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Unwirksame verhaltensbedingte Kündigung dann betriebsbedingte Kündigung

Landesarbeitsgericht Köln – Az.: 6 Sa 1260/20 – Urteil vom 27.05.2021

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 01.12.2020 – 9 Ca 1259/20 – teilweise abgeändert und weiter festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 29.05.2020 nicht aufgelöst worden ist.

2. Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz hat zu 1/6 der Kläger zu tragen und zu 5/6 die Beklagte. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit dreier Kündigungserklärungen, nämlich einer fristlosen Kündigung vom 06.04.2020, einer hilfsweise wegen des Verhaltens des Klägers ausgesprochenen ordentlichen Kündigung vom 08.04.2020 zum 31.05.2020 und einer weiteren äußerst hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Kündigung vom 29.05.2020 zum 30.06.2020, die die Beklagte nicht mehr auf Gründe im Verhalten des Klägers stützt, sondern dieses Mal auf eine innerbetriebliche Organisationsentscheidung und damit auf betriebliche Gründe.

Die Beklagte befasst sich mit der Herstellung und dem Vertrieb von Hydraulikzylindern und beschäftigt gut 30 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Im Unternehmen werden die Bereiche Frästechnik und Drehtechnik unterschieden.

Der Kläger ist 43 Jahre alt, verheiratet und einem Kind zum Unterhalt verpflichtet. Seit dem 01.07.2016 ist er bei der Beklagten beschäftigt. Ursprünglich hatte er eine Ausbildung zum Zerspanungsmechaniker abgeschlossen, eingestellt wurde er als CNC-Dreher. Später übernahm der Kläger die Position des Vorarbeiters im Bereich Drehtechnik bei einer monatlichen Vorarbeiterzulage iHv 200,00 EUR. Der Kläger war bis zuletzt ausschließlich im Bereich Drehtechnik beschäftigt und dort insbesondere an den CNC-Maschinen DUS und GEMINIS (beide Siemenssteuerung), die er auch programmierte. Als Vorarbeiter war der Kläger Vorgesetzter von mindestens zwei Mitarbeitern. Zuletzt erzielte der Kläger vereinbarungsgemäß ein Bruttomonatsentgelt in Höhe von 3.600,00 EUR zuzüglich einer Prämie in Höhe von 500,00 EUR nebst der besagten Vorarbeiterzulage iHv 200,00 EUR. In der Produktionsplanung und Produktionsteuerung sind die Zeugen J und El-A beschäftigt. Der Kläger kritisierte in der Vergangenheit des Öfteren Herrn El-A , weil dieser neue Projekte in laufende Produktionen eingeschoben habe. Am 27.03.2020 war Herr EL-A mit dem Geschäftsführer auf einem Rundgang durch den Betrieb. Dort kam es zu einem Streitgespräch zwischen dem Kläger und dem Zeugen EL-A . Einzelheiten zu diesem Gespräch sind streitig. Jedenfalls verließ der Geschäftsführer das Gespräch, das sodann zwischen dem Kläger und dem Zeugen El-A fortgeführt worden ist. Der Kläger verließ vor Ende der regulären Arbeitszeit den Betrieb. Am 31.03.2020 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu ihrer Absicht an, dem Kläger gegenüber eine fristlose und hilfsweise fristgerechte Kündigung auszusprechen. Der Betriebsrat reagierte hierauf mit Schreiben vom 03.04.2020 und teilte mit, es werde keine Stellungnahme abgegeben. Die Beklagte kündigte sodann das Arbeitsverhältnis am 06.04.2020 fristlos. Unter dem Datum des 08.04.2020 folgte die ordentliche Kündigung.

Mit der seit dem 14.04.2020 beim Arbeitsgericht Aachen anhängigen und seit dem 21.04.2020 rechtshängigen Klage hat sich der Kläger gegen die beiden vorgenannten Kündigungen gewandt.

Zehn Tage später, nämlich am 01.05.2020, wechselte der Zeuge B , der zuvor als CNC-Dreher beschäftigt worden war und im Jahre 2018 eine Ausbildung zum staatlich geprüften Techniker abgelegt hatte, in den Bereich Arbeitsplanung. Mit Wirkung ab 01.04.2020 wurde die Arbeitszeit des Zeuge El-A von 15 Stunden auf 20 Stunden aufgestockt. Unter Bezugnahme unter anderem auf diese beiden Maßnahmen hörte die Beklagte den Betriebsrat mit Schreiben vom 22.05.2020 erneut zu ihrer Absicht an, das Arbeitsverhältnis des Klägers – dieses Mal betriebsbedingt – zu kündigen. Auf den gesamten Inhalt des Anhörungsschreibens wird Bezug genommen (Bl. 123 d.A.). Auszugsweise heißt es dort:

„… Deshalb hat die Geschäftsführung am 20.04.2020 die Organisationsentscheidung getroffen, folgende Maßnahmen zu ergreifen, um die Personalkosten im Fertigungsbereich durch Rationalisierungen zu reduzieren.

Die wichtigste Maßnahme ergibt sich aus der strategischen Entscheidung, die Vorarbeiterrollen in den Bereichen der Drehtechnik und Frästechnik nicht mehr weiterzuführen und die Drehtechnikkapazität im Zuge der nachhaltigen Absenkung zu kürzen. Die Vorarbeiterrolle in der Organisation der A sah vor, dass der Vorarbeiter die Produktionsplanung bei der Verteilung der Arbeit im zugeteilten Drehbereich zu unterstützen und die Kommunikation mit den Mitarbeitern zu führen [hatte].

Durch die Organisationsentscheidung, dass Herr S J nunmehr in vollem Umfang seiner zeitlichen Ressourcen (40 Stunden) und nicht nur anteilig (20 Stunden) die Produktionssteuerung übernimmt, ist die Vorarbeiterrolle obsolet. Deshalb verbleibt die produktive Arbeit als CNC-Dreher. Diese wiederum entfällt wegen der dauerhaften Absenkung des Umsatzniveaus und damit der Arbeitsnachfrage nach der Arbeitsform CNC-Drehen.

Aufgrund dieser Entscheidung entfällt der Arbeitsplatz von Herrn L in seiner aktuellen Form und damit das Beschäftigungsbedürfnis für ihn. […]“

Die Antwort des Betriebsrats vom 25.05.2020 lautete erneut, er werde keine Stellungnahme abgeben. Die Beklagte kündigte sodann das Arbeitsverhältnis am 29.05.2020 (hilfsweise) ordentlich zum 30.06.2020. Gegen diese dritte Kündigung vom 29.05.2020 hat der Kläger am 03.06.2020 die Kündigungsschutzklage erweitert.

Der Kläger hat vorgetragen, er habe den Zeugen El-A nicht beleidigt, sondern nur darauf hingewiesen, dass sich die Leute unter Zeitdruck fühlten. Er habe dem Zeugen EL-A auch nicht die Schuld an dem Unfall gegeben, sondern nur darauf hingewiesen, dass solche Unfälle schnell passierten, wenn die Kollegen unter Zeitdruck stünden. Er sei es gewesen, der ruhig und sachlich geblieben sei und es sei der Geschäftsführer gewesen, der am Ende aufgestanden sei und lautstark gesagt habe „wenn Sie nicht den Mund halten, schmeiße ich Sie raus.“ Das Streitgespräch habe ihn so belastet, dass er nicht mehr habe weiter arbeiten können. Deshalb habe er den Betrieb verlassen. Den Zeugen Ay habe er nicht aufgefordert, es ihm gleich zu tun. Das Gegenteil sei der Fall.

Genauso wenig, wie Gründe in seinem Verhalten vorlägen, die eine fristlose oder ordentliche verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigen könnten, genauso wenig lägen dringende betriebliche Erfordernisse für die am 29.05.2020 ausgesprochene ordentliche Kündigung vor. Die Tätigkeit als Vorarbeiter habe nur wenig Zeit in Anspruch genommen. Zu ca. 90 % seiner Arbeitszeit sei er als CNC-Dreher beschäftigt gewesen. Diese Arbeit sei nicht weggefallen. Ein Beschäftigungsbedürfnis bestehe für ihn nach wie vor. Selbst wenn die Nachfrage für den CNC-Bereich zurückgegangen sei, habe dies keine Auswirkungen auf das besagte Beschäftigungsbedürfnis, denn er sei nach kurzer Einarbeitungszeit auch im Bereich Frästechnik einsetzbar. Jedenfalls erweise sich die Kündigung mangels einer ordnungsgemäßen Sozialauswahl als unwirksam. Im Übrigen habe es einen freien Arbeitsplatz gegeben. Der Zeuge O sei an seiner Statt eingestellt worden.

Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch Kündigung der Beklagten vom 06.04.2020 nicht aufgelöst worden ist;

2. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis auch durch die Kündigung der Beklagten vom 08.04.2020 nicht aufgelöst worden ist;

3. die Beklagten zu verurteilen, dem Kläger in wohlwollendes qualifiziertes Arbeitszeugnis zu erteilen;

4. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis auch durch die Kündigung der Beklagten vom 29.05.2020 nicht aufgelöst worden ist.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Zur Begründung der von ihr ausgesprochenen Kündigungen hat die Beklagte vorgetragen, bei jenem Streitgespräch am 27.03.2020 sei der Kläger auf den Geschäftsführer zugegangen und habe diesem mitgeteilt, „Sie haben am Montag meine Kündigung auf dem Tisch“. Weiter habe der Kläger ausgeführt, der Zeuge El-A setze den Mitarbeiter Ay unter Druck. Herr El-A sei ein respektloser Treiber. Auf Nachfrage des Geschäftsführers, was denn das Problem sei, habe der Kläger erwidert, der Zeuge El-A habe keine Ahnung und setze andere unter Druck. Der Zeuge El-A bringe ihm, dem Kläger, nicht genug Respekt entgegen. Der Zeuge J sei faul und unzuverlässig. Der Zeuge sei aufgrund seiner Charakterschwäche nicht in der Lage, seine Tätigkeit auszuüben. Vom Geschäftsführer in das Meisterbüro gebeten, habe der Kläger dem Zeugen El-A gegenüber mitgeteilt: „Du gefährdest die Mitarbeiter, indem du sie unter Zeitdruck setzt.“ Der Kläger habe dem Zeugen El-A vorgeworfen, dieser habe durch Zeitdruck einen Betriebsunfall des Drehers M verursacht. Der Geschäftsführer habe darum gebeten sich nicht „zu zerfleischen“. Darauf habe der Kläger gesagt: „Das ist mir egal. Werfen Sie mich doch raus! Sie werden ja sehen, was Sie davon haben. Sie verstehen ihre Arbeit nicht und es wird nie besser. Ich habe die Schnauze gestrichen voll“. In Abwesenheit des Geschäftsführers habe der Kläger dem Zeugen El-A gegenüber mitgeteilt, der Geschäftsführer sei ein Ausbeuter. Als der Kläger sodann seine Arbeit niedergelegt habe, um nach Hause zu gehen, habe er den Zeugen Ay angestiftet, es ihm gleich zu tun.

Zur Kündigung vom 29.05.2020 hat die Beklagte vorgetragen, die wirtschaftliche Lage sei damals angespannt gewesen. Sie habe seit dem 01.10.2019 einen Umsatzrückgang zu beklagen gehabt. Im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung sei mit einem Umsatzrückgang um 30 % zu rechnen gewesen. Es sei deshalb am 20.04.2020 durch die Geschäftsführung, nämlich durch Herrn Dr. Z und Herrn K , die Unternehmerentscheidung mit dem folgenden Inhalt getroffen worden: 1. Die Vorarbeiterposition im Bereich Drehtechnik und Frästechnik solle vollständig entfallen; 2. Die Vorarbeitertätigkeiten seien auf andere Mitarbeiter zu verteilen; 3. „Die Drehtechnikkapazität, die in einem ersten Schritt aufgrund einer zuvor getroffenen unternehmerischen Entscheidung zum 01.05.2020 bereits um 40 Stunden pro Woche reduziert [worden sei], sei zusätzlich um weitere 30 Stunden pro Woche zeitgleich dauerhaft zu reduzieren, spätestens mit Ablauf der Kündigungsfrist.“ Dabei beträfen die 40 Stunden den Mitarbeiter B , der in den Bereich Arbeitsplanung versetzt worden sei. Zusammengefasst sei so entschieden worden, dass im Bereich Drehtechnik statt der bisher sieben Beschäftigten nur noch fünf im Einsatz benötigt würden. Der Kläger habe vor der Kündigung 10 Wochenstunden mit Vorarbeitertätigkeit verbracht und die übrige Zeit als CNC-Dreher. Die besagten Vorarbeitertätigkeiten würden zukünftig wie folgt verteilt: 1,5 Wochenstunden an Abstimmungsbedarf mit dem jeweils anderen Vorarbeiter entfielen; 8,5 Wochenstunden seien durch den Zeugen J zu übernehmen. Die Dreherzeit entfalle aufgrund der Rationalisierungsentscheidung, zukünftig nur noch 142 Stunden zu drehen. Eine Sozialauswahl sei nicht durchzuführen gewesen, da nur der andere Vorarbeiter, Herr Br mit dem Kläger vergleichbar gewesen sei, dieser aber das Arbeitsverhältnis mir ihr einvernehmlich beendet habe und nicht ersetzt werde. Selbst wenn die Vorarbeiterfunktion keine Beachtung fände, führe die Sozialauswahl zu keinen anderen Ergebnissen, weil der Kläger unter den dann möglicherweise vergleichbaren Beschäftigten (V , S , D , F , B , La ) am wenigsten schutzwürdig sei und weil der Kläger sich mit der Tätigkeit des Fräsens nicht auskenne.

Das Arbeitsgericht Aachen hat der Kündigungsschutzklage gegen die fristlose Kündigung und gegen die Kündigung, die die Beklagte mit dem Verhalten des Klägers begründet hatte, mit Urteil vom 01.12.2020 stattgegeben; die Kündigungsschutzklage gegen die zuletzt aus betrieblichen Gründen ausgesprochene Kündigung hat das Arbeitsgericht abgewiesen, weil es die Kündigung für wirksam erachtet hatte. Die Klage auf Erteilung eines Schlusszeugnisses hat das Arbeitsgericht abgewiesen, weil inzwischen ein Zeugnis erteilt worden sei. Zur Begründung der vorgenannten Entscheidungen hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt, die fristlose Kündigung und die wegen des Verhaltens des Klägers ausgesprochene ordentliche Kündigung seien unwirksam, weil es ihnen jedenfalls an einer vorab ausgesprochenen Abmahnung gefehlt habe. Einige Facetten des Geschehens sprächen dafür, dass es sich bei den streitigen Äußerungen und bei dem ihm vorgeworfenen Verhalten, insbesondere bei dem vorzeitigen Entfernen vom Arbeitslatz, um kurzfristige Kontrollverluste gehandelt habe, die auf die besondere Gesprächssituation zurückgeführt werden könnten. Dem gegenüber sei die zuletzt ausgesprochene Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt und sie habe daher das Arbeitsverhältnis wirksam beendet. Die von der Beklagten vorgetragene Unternehmerentscheidung betreffe zwar nur einen Arbeitsplatz, nämlich den des Klägers, und sie beschränke sich auf die Streichung einer Hierarchieebene, sie stelle sich also als eine Unternehmerentscheidung dar, die nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts einer besonderen Darlegung bedürfe, nämlich der Darlegung eines nachvollziehbaren unternehmerischen Konzepts. Der Beklagten sei es jedoch gelungen, ein solches Konzept vorzulegen. Dies gelte zunächst für die Streichung der Vorarbeiterfunktion, wobei unentschieden bleiben könne, ob der Kläger mit dieser Funktion zehn Stunden pro Woche beschäftigt gewesen sei (so die Beklagte) oder nur 10 % seiner Gesamtarbeitszeit (so der Kläger). Das gelte auch für die Entscheidung der Beklagten, den „Bereich der Drehtechnik um weitere 30 Stunden in der Woche und somit auf 142 Stunden zu reduzieren“. Der Darstellung dieser Entscheidung sei der Kläger nicht hinreichend konkret entgegengetreten.

Gegen dieses ihm am 10.12.2020 zugestellte Urteil hat der Kläger am 29.12.2020 Berufung eingelegt und er hat diese nach entsprechender Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist am 09.03.2021 begründet. Die Beklagte ihrerseits hat gegen das ihr am 11.12.2020 zugestellte Urteil am 08.01.2020 Berufung eingelegt und diese am 11.02.2021 begründet.

Der Kläger trägt zur Begründung seiner Berufung vor, das Arbeitsgericht habe die zuletzt ausgesprochene Kündigung zu Unrecht als wirksam erachtet. Sie sei nicht durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt. Insbesondere sei es der Beklagten entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts nicht gelungen, ein unternehmerisches Konzept vorzulegen, aufgrund dessen exakt 30 Stunden Drehertätigkeit entfallen könnten. Noch während der laufenden Kündigungsfrist sei seine Stelle neu ausgeschrieben und ohne Zeitverzögerung an den Zeugen O vergeben worden.

Mit Blick auf die Berufung der Beklagten verteidigt der Kläger die Entscheidung des Arbeitsgerichts, soweit seinen Anträgen stattgegeben worden ist und vertieft seinen erstinstanzlichen Vortrag.

Der Kläger beantragt,

1. das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 03.12.2020 – 9 Ca 1259/20 – teilweise abzuändern und weiter festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 29.05.2020 nicht aufgelöst wurde;

2. die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

1. das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 03.12.2020 – 9 Ca 1259/20 – abzuändern und die Klage vollständig abzuweisen;

2. die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Zur Begründung ihrer Berufung trägt die Beklagte vor, das Arbeitsgericht habe nach ihrer Auffassung zu Unrecht die fristlose Kündigung und die durch das Verhalten des Klägers veranlasste und hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung als unwirksam erachtet. Entgegen der Auffassung des Klägers und des Arbeitsgerichts sei eine Abmahnung überflüssig gewesen. Sie gehe nicht davon aus, dass der Kläger sich von einer Abmahnung hätte beeindrucken lassen. Das zeige schon die Nachhaltigkeit seiner Äußerungen im streitgegenständlichen Gespräch vom 27.03.2020, während dem es ihm nicht gelungen sei, die Aggression aus Ton und Inhalt seiner Äußerungen herauszunehmen. Fehlerhaft sei das Arbeitsgericht von nur zwei kündigungsrelevanten Sachverhalten ausgegangen, nämlich den verbalen Entgleisungen im Gespräch vom 27.03.2020 einerseits und dem Verlassen des Arbeitsplatzes andererseits. Sie zähle an jenem Tag aber mindestens 12 einzelne vertragswidrige Verhaltensweisen, die jede für sich genommen eine fristlose Kündigung rechtfertigen könnten. Hinzukomme die vom Arbeitsgericht nicht gewürdigte Tatsache, dass der Kläger den Zeugen Ay veranlasst habe, mit ihm den Betrieb zu verlassen. Das Arbeitsgericht habe gleichfalls versäumt, alle genannten Vertragspflichtverletzungen in einer Gesamtschau zu betrachten und zu werten. Fehlerhaft sei das Arbeitsgericht auch davon ausgegangen, dass das Arbeitsverhältnis zuvor ungestört verlaufen sei. So habe es z.B. Irritationen wegen verbaler Entgleisungen gegenüber Kollegen („fauler Sack“, Drückeberger“, „unfähig“, „dumm“) und gegenüber dem Vorgesetzten El-A gegeben. Auch sei es zu einer Meinungsverschiedenheit wegen eines nicht erfüllten Reparaturauftrages gekommen. Diese und weitere Begebenheiten seien geeignet, die beharrlich betriebsstörende Art der Kommunikation des Klägers zu illustrieren. Außerdem habe sich jetzt bei genauerem Nachdenken herausgestellt, dass es durchaus mündliche Abmahnungen gegeben habe: In einem Gespräch am 10.12.2019 sei es um die Beleidigung der Kollegen R , M und Am gegangen, um die Nichterfüllung von Vorarbeiterpflichten und um die Nichtumsetzung eines Auftrages in Bezug auf die Drehmaschinenlünette. Der Zeuge Di habe den Kläger (so der wörtliche Vortrag im Schriftsatz vom 19.05.2021, Bl. 452 d.A.) nicht nur darauf hingewiesen, dass er mit diesem Verhalten gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten verstoße. Er habe ihm vielmehr auch aufgefordert, sein Verhalten zu ändern, also solche oder gleichgelagerte Pflichtverletzungen in Zukunft zu unterlassen, und darauf hingewiesen, dass weitere Pflichtverletzung dieser Art nicht toleriert würden und arbeitsrechtlichen Konsequenzen bis hin zu einer Kündigung nach sich ziehen könnten. In einem weiteren Gespräch am 04.02.2020 sei es um eine nicht durchgeführte Reparaturarbeit gegangen und um eine harsche Zurückweisung des Zeugen El-A am 30.01.2020, als sich dieser nach dem Stand der Dinge erkundigt habe. Der Zeuge Di habe den Kläger darauf hingewiesen (so auch hier der wörtliche Vortrag im Schriftsatz vom 19.05.2021, Bl. 452 d.A.), dass dies eine Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten darstelle und er aufgefordert werde, ein solches Verhalten in Zukunft zu unterlassen. Für den Wiederholungsfall werde ihm auch dieses Mal klargemacht, dass dies nicht ohne Konsequenzen bleiben werde, wenn er diese Pflichten erneut verletzen würde und dies zur Kündigung führen könne.

Mit Blick auf die Berufung des Klägers verteidigt die Beklagte die Entscheidung des Arbeitsgerichts, soweit mit ihr die Kündigungsschutzklage gegen die zuletzt ausgesprochene ordentliche Kündigung abgewiesen worden war und vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag. Die Entscheidung, die Drehtechnikkapazität um 30 Stunden auf nur noch 142 Stunden pro Woche zu senken, sei eine von ihr gefällte freie Unternehmerentscheidung. Diese Entscheidung sei weder unsachlich, unvernünftig oder willkürlich. Die deshalb ausgesprochene betriebsbedingte Kündigung stehe nicht im Zusammenhang mit der zuvor ausgesprochenen fristlosen Kündigung. Sie habe nicht nur entschieden, Personalkosten einzusparen (Seite 3 des Schriftsatzes vom 14.05.2021, Bl. 430 d.A.). Es sei nach ihrer Auffassung legitim, für den Fall, dass eine solche durch das Verhalten des Arbeitnehmers bedingte Kündigung möglicherweise als unwirksam erachtet werde, hilfsweise eine betriebsbedingte Kündigung auszusprechen, wenn zusätzlich auch noch der Arbeitsplatz und damit das Beschäftigungsbedürfnis für einen eventuellen Nachfolger weggefallen sei. Die Einstellung des Zeugen O spreche nicht gegen den Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses. Er sei nicht der Nachfolger des Klägers in diesem Sinne gewesen. Es sei zwar richtig, dass der anschließend langzeitig erkrankte Leiter der Produktionssteuerung, der Zeuge J , im April 2020 eigenständig eine Stelle für einen Zerspanungsmechaniker habe ausschreiben lassen. Dies sei kurz nach der hier streitgegenständlichen verhaltensbedingten Kündigung und vor der besagten unternehmerischen Entscheidung zum dauerhaften betriebsbedingten Abbau dieser Stelle geschehen. Die Ausschreibung der Stelle sei zunächst pro forma geschehen, um einen Überblick über den aktuellen Personalmarkt zu erhalten. Eine konkrete Einstellungsabsicht sei damit nicht verbunden gewesen. Es sei zwar richtig, dass dann zum 01.07.2020 Herr O neu eingestellt worden sei. Herr O sei jedoch nicht eingestellt worden, um den Kläger zu ersetzen. Diese Behauptung des Klägers werde ausdrücklich bestritten. Zuzugeben sei dem Vortrag der Gegenseite zwar, dass der Zeuge gegenwärtig vorrangig an der Maschine GEMINIS eingesetzt werde, aber eben nicht in der gleichen Weise wie der Kläger seinerzeit. Der Zeuge O sei mit dem Kläger auch nicht vergleichbar, da er ein viel vielseitigeres Profil habe als der Kläger. Er könne nämlich sowohl drehen als auch bohren und fräsen. Der Kläger habe sich dagegen einmal mit den Worten geäußert: “ Ich bin kein Fräser, ich bin Dreher.“

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Beide Berufungen sind zulässig, aber nur die Berufung des Klägers hat in der Sache Erfolg. Im Ergebnis besteht das Arbeitsverhältnis der Parteien ungekündigt fort, denn auch die dritte von der Beklagten ausgesprochene Kündigung ist unwirksam.

I. Die Berufungen beider Parteien sind zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden sind (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).

Zur Klarstellung ist auf folgendes hinzuweisen: Es geht den Parteien und dem Berufungsgericht um das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen, das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 01.12.2020 ergangen ist und das den Verkündungsvermerk vom 03.12.2020 trägt. Mit Blick auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 01.12.2020 (Bl. 202 f), das mit der Verkündigung des streitgegenständlichen Urteils am Ende der Sitzung endet, ist davon auszugehen, dass es sich bei dem Datum des Verkündungsvermerks, das dem Datum der Reinschrift des Protokolls entspricht (Bl. 203 unten), um einen offensichtlichen Tippfehler handelt. Das Urteil wurde nicht am 03.12.2020, sondern am 01.12.2020 verkündet. Von diesem Verkündungstermin ausgehend ist der Tenor des vorliegenden Berufungsurteils zu verstehen.

II. Die Berufung der Beklagten bleibt in der Sache ohne Erfolg. Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage gegen die fristlose Kündigung und die wegen des Verhaltens des Klägers ausgesprochene ordentliche Kündigung zu Recht und mit zutreffender Begründung stattgegeben. Dabei ist das Arbeitsgericht zurecht davon ausgegangen, dass der von der Beklagten vorgetragene Sachverhalt nicht geeignet ist, eine Kündigung zu rechtfertigen, ohne dass vorher eine einschlägige Abmahnung ausgesprochen worden wäre (1.).

Aus dem Vortrag der Beklagten in der Berufungsbegründung kann nicht geschlossen werden, dass vor Ausspruch der Kündigung eine hinreichend bestimmte mündliche Abmahnung erteilt worden ist oder sogar zwei Abmahnungen, wie von der Beklagten behauptet (2.).

1. Wie schon vom Arbeitsgericht erkannt, rechtfertigt das von der Beklagten dargestellte Verhalten des Klägers am 27.03.2020 ohne Abmahnung weder eine fristlose noch eine ordentliche Kündigung. Nach § 314 Abs. 2 BGB ist eine außerordentliche Kündigung erst nach erfolgloser Abmahnung zulässig, wenn der zur Begründung der Kündigung geltend gemachte wichtige Grund in der Verletzung einer Pflicht aus dem Vertrag besteht. Gleiches gilt nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit für die ordentliche Kündigung. Gemäß Satz 3 des § 314 Abs. 2 BGB ist bei einer Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung eine Abmahnung aber entbehrlich, wenn besondere Umstände vorliegen, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die sofortige Kündigung rechtfertigen. Die Entbehrlichkeit ist also aus dem Gesichtspunkt des Gesetzes die Ausnahme. Von einer solchen Ausnahme ist z.B. auszugehen, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft – trotz Abmahnung – nicht erwartet werden kann oder es sich um eine solch schwere Pflichtverletzung handelt, dass deren Rechtswidrigkeit dem Vertragspartner ohne weiteres erkennbar ist und bei der eine Hinnahme des Verhaltens offensichtlich ausgeschlossen werden kann, oder wenn ein Kündigungsgrund besonders schwer wiegt, so dass dem Kündigenden selbst nach erfolgreicher Abmahnung die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses unzumutbar ist oder wenn die Vertrauensgrundlage der Rechtsbeziehung derart erschüttert ist, dass sie auch durch die Abmahnung nicht wiederhergestellt werden kann. Das Abmahnerfordernis besteht also dann nicht, wenn die Abmahnung von vornherein nicht erfolgversprechend ist und daher eine bloße Förmelei wäre. In solchen Fällen kommt es auf eine Wiederholungsgefahr gar nicht an, da das Vertrauensverhältnis so stark belastet ist, dass sich der Pflichtverstoß selbst als fortdauernde Störung auswirkt (Weth in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Aufl., § 314 BGB, Rn. 35). Bei der Prüfung dieser für das Erfordernis der Abmahnung wesentlichen Kriterien ist also von der Regel auszugehen, dass jedes willensbestimmtes Verhalten eines Arbeitnehmers für die Zukunft abänderbar und deswegen grundsätzlich abmahnungsfähig und abmahnungsbedürftig ist (Fischermeier KR § 626 Rn. 277 mwN). Die Ausnahme von dieser Regel ist die zu begründende.

Im hier zu entscheidenden Fall wäre der Ausspruch einer Abmahnung keine bloße Förmelei; er war also nicht ausnahmsweise überflüssig. Der Kläger hat zwar mehrere nicht unerhebliche Vertragspflichtverletzungen begangen (a.). Diese Vertragspflichtverletzungen sind aber nach dem dargestellten Maßstab nicht geeignet, ohne vorher ausgesprochene Abmahnung eine negative Zukunftsprognose zu rechtfertigen, aufgrund derer sich die Weiterbeschäftigung aus dem Blickwinkel der Beklagten als unzumutbar erweisen würde (b.).

a) Der Kläger hat sich mehrerer Vertragspflichtverletzungen schuldig gemacht, die im Falle ihrer Beharrlichkeit geeignet sind, eine Kündigung, ggfls. auch eine fristlose Kündigung, zu rechtfertigen. Wird der Vortrag der Beklagten als richtig unterstellt, so hat sich der Kläger herabwürdigend geäußert und zwar über Herrn El-A : … setzt Herrn Ay unter Druck … ist ein respektloser Treiber … hat keine Ahnung … setzt Mitarbeiter unter Druck … gefährdet die Mitarbeiter; über Herrn J : … ist ein fauler Mensch … ist ein unzuverlässiger Mensch … ist nicht in der Lage, anständig zu arbeiten; und schließlich über den Geschäftsführer: … ist ein Ausbeuter. Der Kläger hat also – wenn diese von ihm bestrittenen Äußerungen als unstreitig unterstellt werden – eine betriebs- und arbeitsplatzbezogene Kritik geäußert und diese Kritik überspitzt an drei Personen festgemacht. Die Art der Kritik ist überzogen und für die so kritisierten Personen herabwürdigend und respektlos. Der Kläger hat damit gegen die aus § 241 Abs. 2 BGB folgende vertragliche Nebenpflicht verstoßen, auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen seiner Arbeitgeberin, ihrer Organe und ihrer Beschäftigten Rücksicht zu nehmen und seine Kommunikation maßvoll zu gestalten. Indem er seinen Arbeitsplatz vor Schichtende verlassen hat, hat er darüber hinaus seine Hauptleistungspflicht verletzt. Wird der (bestrittene) Vortrag der Beklagten weiter als richtig unterstellt, nämlich dass der Kläger beim Verlassen des Betriebes den Zeugen Ay aufgefordert hat, es ihm gleich zu tun, der Kläger einen Dritten also zu einer Vertragspflichtverletzung aufgefordert hat, hat er zusätzlich die Interessen der Arbeitgeberin beeinträchtigt.

b) Diese Vertragspflichtverletzungen sind nach den unter II 1. dargestellten Maßstäben nicht geeignet, ohne eine vorher ausgesprochene Abmahnung eine negative Zukunftsprognose zu rechtfertigen, aufgrund derer sich die Weiterbeschäftigung aus dem Blickwinkel der Beklagten als unzumutbar erweisen würde.

(1) Eine Abmahnung war nicht schon deshalb ausnahmsweise überflüssig, weil sich das Geschehen am 27.03.2020 aus sich heraus als eine beharrliche, nachhaltige und fortgesetzte Vertragspflichtverletzung eines uneinsichtigen Arbeitnehmers dargestellt hätte. Richtigerweise hat das Arbeitsgericht das von der Beklagten beschriebene Geschehen am 27.03.2020 in nur zwei Abschnitte und damit in zwei Kernvorwürfe unterteilt, nämlich die Schimpftirade einerseits und das vorzeitige Verlassen des Arbeitsplatzes (einschließlich der Aufforderung an den Zeugen Ay , es ihm gleichzutun) andererseits. Richtiger Weise macht die Beklagte nämlich selbst geltend, die einzelnen Vorwürfe müssten in einem Gesamtzusammenhang betrachtet und gewertet werden. Ein solcher Gesamtzusammenhang ist hier gegeben, denn alle Äußerungen sind Teil einer vom Kläger geübten fundamentalen Kritik an der Arbeitsorganisation, am Setzen von Prioritäten und an der nach seiner Auffassung nicht hinreichend geübten Rücksicht auf die Interessen, insbesondere auf die Arbeitssicherheitsinteressen der Beschäftigten. Die gesamte Schimpftirade ist daher als eine Einheit zu betrachten und das Verlassen des Betriebes als eine andere. Die beiden in Frage stehenden Vertragspflichtverletzungen, nämlich zum einen die Beschimpfungen und zum anderen das Verlassen des Betriebes gehören zu zwei unterschiedlichen Regelkreisen. In einem Fall wird eine Nebenpflicht aus dem Arbeitsverhältnis berührt, im anderen Fall die Hauptleistungspflicht. Der eine Fall kann damit nicht einschlägig sein, um in dem anderen Fall eine Wiederholung der Pflichtverletzung zu sehen.

(2) Einem Beschäftigten in der Rolle des Klägers ist die Rechtswidrigkeit der Beschimpfung Dritter, insbesondere Vorgesetzter, als „respektlose Treiber“, „faule Menschen“ oder „Ausbeuter“ zwar ohne weiteres erkennbar. Dass aber für die Arbeitgeberin die Hinnahme dieses Verhaltens offensichtlich ausgeschlossen werden könnte, die Beklagte also in einem solchen Falle direkt zur Beendigungserklärung schreiten würde, war für den Kläger nicht in gleicher Weise vorhersehbar. Zu häufig sind dafür in der Arbeitswirklichkeit solche „Ausraster“, die manchmal nachvollziehbar, manchmal querulatorisch, manchmal provoziert, manchmal jähzornig, manchmal hilflos, manchmal verzweifelt und manchmal einfach nur unvernünftig, böse und unbeherrscht sind; und zu vielfältig sind dafür die aus der Arbeitswelt bekannten Reaktionen der Arbeitgeber, der Kollegen, der Mitbestimmungsgremien, der Betriebsöffentlichkeit usw.

(3) Dass der von der Beklagten genannte Kündigungsgrund besonders schwerwiege, so dass der Beklagten sogar nach einer erfolgreichen Abmahnung die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses unzumutbar wäre, dass also die Vertrauensgrundlage der Rechtsbeziehung derart erschüttert wäre, dass sie auch durch die Abmahnung nicht wiederhergestellt werden könne, ist fernliegend. Die Äußerungen des Klägers stellen (auch) eine Meinungsäußerung über die Arbeitsorganisation durch den Zeugen El-A , über die Arbeitsweise des Zeugen J und über die Verwertung des Arbeitskraftmehrwertes durch den Geschäftsführer der Beklagten dar. Der Kläger kann sich insoweit auf sein Recht auf freie Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) berufen. Bei den Äußerungen handelt es sich nicht um Formalbeleidigungen oder um bloße Schmähungen. Setzt man das Recht auf freie Meinungsäußerung des Klägers vorliegend in ein ausgeglichenes Verhältnis zum Recht der persönlichen Ehre des Vorgesetzten, des Kollegen und des Geschäftsführers liegt aber kein grob unsachlicher Angriff vor. Die Äußerungen des Klägers waren respektlos und geeignet, das Ansehen des Vorgesetzten und des Geschäftsführers bei wiederholtem, beharrlichem oder dauerhaftem Verhalten dieser Art zu beschädigen; aber eben erst nach Feststellung der Beharrlichkeit.

(4) Das Vorgesagte gilt gleichfalls für das Verlassen des Betriebes. Indem der Arbeitnehmer seine Arbeit einstellt und sogar einen Kollegen (und Verwandten) auffordert, es ihm gleich zu tun, verletzt der Arbeitnehmer die Interessen der Arbeitgeberin. Das Verhalten ist geeignet, bei festgestellter Beharrlichkeit den Bestand des Arbeitsverhältnisses zu gefährden, wobei die besagte Beharrlichkeit am sichersten mittels einer erfolglosen Abmahnung festgestellt werden kann. Im Rahmen des hier geltenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes kommt es auf die Dauer der Nichtarbeit, auf die Begleitumstände und insbesondere auf die Folgen der Nichtarbeit für den betrieblichen Ablauf an. Einzelheiten hierzu sind der erkennenden Kammer aber nicht bekannt gemacht worden.

Es ist nach alledem nicht ersichtlich, wieso die Vertrauensgrundlage des Arbeitsverhältnisses derart erschüttert sein soll, dass sie durch eine Abmahnung nicht wiederhergestellt werden könnte; und warum entgegen dem Grundsatz aus § 314 Abs. 2 BGB eine Abmahnung ausnahmsweise überflüssig sein sollte.

2. Eine mithin notwendige Abmahnung hat die Beklagte vor Zugang der Kündigung nicht ausgesprochen. Auch nach dem späten schriftsätzlichen Vortrag der Beklagten kurz vor der Berufungsverhandlung kann nicht davon ausgegangen werden, dass sie tatsächlich eine dafür hinreichend konkrete Erklärung abgegeben hätte. Im Rahmen einer Abmahnung muss dem abgemahnten Beschäftigten vor Augen gehalten werden, um welche Vertragspflicht es geht, mit welchem Verhalten die Vertragspflicht nach der Auffassung der Arbeitgeberin verletzt worden ist und dass bei Wiederholung der Vertragsverletzung weitere arbeitsrechtliche Maßnahmen bis hin zur Kündigung in Betracht kommen. Die Worte „noch einmal und du bist gefeuert“ können durchaus die vorgenannten Voraussetzungen erfüllen, wenn sich – wie häufig – aus dem Zusammenhang für den Arbeitnehmer ergibt, welche Vertragspflicht gemeint ist, welche konkrete Verletzung gemeint ist und was der Arbeitgeber unter „Feuern“ versteht. Die Behauptung, es seien die Worte „noch einmal und du bist gefeuert“ seien gefallen, sind im Bestreitensfalle einer Beweisaufnahme zugänglich. Das ist hier bei der von der Beklagten kurz vor der Berufungsverhandlung in das Verfahren eingeführten Behauptung, es habe eine oder gar zwei Abmahnungen gegeben, nicht der Fall. Die Beklagte hat hier zuletzt behauptet, am 10.12.2019 sei ein ähnliches Verhalten des Klägers, wie dasjenige, das sie zur Kündigung bewogen habe, bereits abgemahnt worden. Wird der schriftsätzliche Vortrag der Beklagten zur Beleidigung der Kollegen und zur Drehmaschinenlünette in wörtliche Rede übersetzt, hieße das, dass der Zeuge Di zum Kläger gesagt haben soll:

„Ich weise Sie darauf hin, dass Sie mit diesem Verhalten gegen Ihre arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen. Ich fordere Sie auf, Ihr Verhalten zu ändern, also solche oder gleichgelagerte Pflichtverletzungen in Zukunft zu unterlassen, und weise Sie weiter darauf hin, dass weitere Pflichtverletzung dieser Art nicht toleriert werden und arbeitsrechtlichen Konsequenzen bis hin zu einer Kündigung nach sich ziehen können.“

Dass ein solcher Wortlaut in einem Kritikgespräch fällt, ist unwahrscheinlich, es sei denn, der so Formulierende hätte sich zuvor aus einem HR-Handbuch eine Redevorlage erstellt und sich vorgenommen, unter Verzicht auf die beweissichernde Schriftform eine möglichst vollständige mündliche Abmahnung auszusprechen. Auf ausdrückliche Nachfrage in der Berufungsverhandlung, die auch zum Gegenstand des Protokolls geworden ist, konnte von Seiten der Beklagten nicht bestätigt werden, dass genau dieser Wortlaut gefallen sei. Damit stellt der Vortrag der Beklagten nur das Ergebnis einer Subsumtion dar („der Kläger wurde wirksam und einschlägig abgemahnt“), nicht aber die Darstellung von Tatsachen, die eine Subsumtion ermöglichen könnten und einer Beweisaufnahme zugänglich wären. Gleichermaßen schädlich für die Berücksichtigung des Vortrages ist die Tatsache, dass der Wortlaut „mit diesem Verhalten“ nicht deutlich macht, welches Verhalten gemeint ist: Eine spezielle Wortwahl? Alle „Beleidigungen“? Nur die Lünette? Auch die Lünette?

Das Vorgesagte gilt gleichermaßen für den Vortrag der Beklagten zum Gespräch vom 04.02.2020, bei dem es um eine nicht durchgeführte Reparaturarbeit gegangen sein soll und um eine harsche Zurückweisung des Zeugen El-A fünf Tage zuvor. Der Zeuge Di soll sich wie folgt geäußert haben:

„Dies stellt eine Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten dar und Sie werden aufgefordert, ein solches Verhalten in Zukunft zu unterlassen. Für den Wiederholungsfall wird Ihnen auch dieses Mal klargemacht, dass dies nicht ohne Konsequenzen bleiben wird, wenn Sie diese Pflichten erneut verletzen und dies zur Kündigung führen kann.“

Es ist nicht nur äußerst unwahrscheinlich, dass im Rahmen einer mündlichen Auseinandersetzung ein solcher Wortlaut fällt, sondern es bleibt auch hier offen, um welche arbeitsvertragliche Pflicht es geht.

Nach alldem bleibt es bei den Feststellungen des Arbeitsgerichts, dass nämlich die von der Beklagten ausgesprochene fristlose Kündigung mangels einer zuvor ausgesprochenen einschlägigen Abmahnung genauso unwirksam ist wie die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung, die die Beklagte mit dem Verhalten des Klägers versucht hatte zu begründen. Die Berufung der Beklagten war damit insgesamt unbegründet.

III. Die Berufung des Klägers hatte dem gegenüber auch in der Sache Erfolg. Die zuletzt ausgesprochene ordentliche Kündigung ist gemäß § 1 Abs. 1 KSchG mangels einer sozialen Rechtfertigung unwirksam und hat deshalb das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht beendet. Insbesondere ist die Kündigung nicht gemäß § 1 Abs. 2 KSchG durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt. Aus den Darlegungen der Beklagten, die gemäß § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG die Darlegungs- und Beweislast für die Tatsachen zu tragen hat, die die Kündigung bedingen sollen, ergeben sich solche dringenden betrieblichen Erfordernisse nicht. Insbesondere fehlt es an einer Darlegung, welche greifbaren Formen die behaupteten Unternehmerentscheidungen angenommen haben sollen, um auf die Dauerhaftigkeit des Wegfalls des Beschäftigungsbedürfnisses für den Kläger schließen zu können.

Das Institut der betriebsbedingten Kündigung ist kein Auffangtatbestand für missratene fristlose Kündigungen oder Sachverhalte, die zur Begründung einer ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung nicht ausreichen. Dringende betriebliche Erfordernisse sind daher von den nur vorgeschobenen Gründen scharf zu trennen (BAG v. 24.05.2012 – 2 AZR 124/11 -, Rn. 23). Diese Trennung deutlich zu machen, ist die Aufgabe der Arbeitgeberin. Der Beklagten ist dies nicht gelungen.

Der 2. Senat des Bundesarbeitsgerichts hat sich in der von der Beklagten selbst zitierten Entscheidung (BAG v. 22.05.2003 – 2 AZR 326/02 – 4. Leitsatz) zu diesem Punkt zutreffend wie folgt geäußert:

„Der Sinn, dass der Arbeitgeber zur organisatorischen Durchführbarkeit und Nachhaltigkeit der unternehmerischen Entscheidung vortragen muss, besteht darin, einen Missbrauch des Kündigungsrechts auszuschließen. Vermieden werden sollen betriebsbedingte Kündigungen, die zu einer rechtswidrigen Überforderung oder Benachteiligung des im Betrieb verbleibenden Personals führen. Vermieden werden soll außerdem, dass die unternehmerische Entscheidung lediglich als Vorwand benutzt wird, um Arbeitnehmer aus dem Betrieb zu drängen, obwohl Beschäftigungsbedarf und Beschäftigungsmöglichkeit fortbestehen und lediglich die Arbeitsvertragsinhalte und die gesetzlichen Kündigungsschutzbestimmungen als zu belastend angesehen werden.“

Aufgrund der vorliegenden Indizien sind die von der Beklagten zur Begründung der Kündigung dargelegten Unternehmerentscheidungen gleichermaßen zweifelhaft wie die von ihr behauptete Kausalität dieser Entscheidungen für den dauerhaften Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses. Die Anforderungen an ihren Vortrag zur organisatorischen Durchführbarkeit und Nachhaltigkeit der von ihr behaupteten unternehmerischen Entscheidung sind daher hoch.

Der Beklagten ist es nicht gelungen, mit ihrem Vortrag auszuschließen, dass die Kündigung nicht willkürlich, sachwidrig oder vorgeschoben wäre. Dies gilt auch unter Beachtung ihrer von Verfassungswegen zu berücksichtigenden Unternehmerfreiheit. Dabei kann zu ihren Gunsten noch unterstellt werden, dass die Hierarchieebene „Vorarbeiter“ tatsächlich gestrichen wurde und die Vorarbeitertätigkeiten des Klägers auf andere Mitarbeiter verteilt worden sind, obwohl schon dies eine Organisationsentscheidung ist, die – wenn sie zur Kündigung nur eines einzigen Mitarbeiters führt – eine besondere Darlegungslast für die Arbeitgeberin auslöst (BAG v. 24.05.2012 – 2 AZR 124/11 -, Rn. 23). Auch kann zu ihren Gunsten unterstellt werden, dass die Vorarbeitertätigkeit des Klägers tatsächlich ungewöhnliche 10 Stunden pro Woche die Arbeitsleistung des Klägers bestimmte und nicht etwa nur 10 Prozent, wie der Kläger es behauptet.

Die Beklagte lässt aber jeglichen Vortrag vermissen, aus dem sich ein unternehmerische Konzept schließen ließe, mit dem eine Unternehmerentscheidung umgesetzt worden wäre, deren Gegenstand es gewesen sein soll, „die Kapazitäten im Bereich Drehtechnik um 30 Stunden in der Woche und somit auf 142 Stunden zu reduzieren.“ Bekanntermaßen kann sich ein dringendes betriebliches Erfordernis im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG aus außerbetrieblichen Gründen ergeben, zum Beispiel aus einem dauerhaften Auftragsrückgang, oder aus innerbetrieblichen Gründen, zum Beispiel aus einer Organisationsentscheidung. Die Beklagte hat ausdrücklich geltend gemacht, sie stütze die hier streitige Kündigung nur und ausschließlich auf eine innerbetriebliche Organisationsentscheidung, nämlich, neben der Entscheidung zur Streichung einer Hierarchieebene, auf die besagte Entscheidung, „die Kapazitäten im Bereich Drehtechnik um 30 Stunden in der Woche und somit auf 142 Stunden zu reduzieren.“

Dass diese innerbetriebliche Organisationsentscheidung tatsächlich getroffen wurde und, wenn sie getroffen wurde, dass sie nicht nur zur Heilung der missglückten verhaltensbedingten Kündigung vorgeschoben werden sollte, ist aus gleich acht Gründen zweifelhaft: (1.) Aus der von der Beklagten dargestellten Organisationentscheidung soll die Notwendigkeit nur einer einzigen Kündigung folgen; (2.) diese eine Kündigung soll denjenigen treffen, der bereits zuvor eine rechtlich fragwürdige fristlose und ebenfalls unsichere hilfsweise ordentliche Kündigung erhalten hatte; (3.) die von der Beklagten dargestellten Organisationentscheidung soll einen Tag vor Zustellung der gegen die fristlose Kündigung erhobene Kündigungsschutzklage gefallen sein; (4.) nach Entfernung des Klägers aus dem Betrieb wird mit dem Zeugen O ein neuer gewerblicher Mitarbeiter eingestellt, der zumindest vorübergehend an der Drehbank arbeitet, an dem zuvor der Kläger seinem angeblich durch die Organisationsentscheidung weggefallenen Beschäftigungsbedürfnis nachging; (5.) Es fehlt zu der behaupteten Unternehmerentscheidung jegliches Mittel der Glaubhaftmachung (keine Controlling-Zahlen, keine Geschäftsleitungsvorlage, keine Emails, keine Powerpoint-Präsentation und keine Informationen zur beabsichtigten betrieblichen Umsetzung der Folgen, die sich aus der angeblich beschlossenen Kapazitätsminderung ergeben sollen, etc; nicht einmal die Betriebsratsanhörung ist in dieser Hinsicht gehaltvoll); (6.) Es fehlt an greifbaren Formen, die die Unternehmerentscheidung angenommen haben sollen (Mitteilung an die Mitarbeiter, Mitteilung an die Kunden, Mitteilung an das Controlling, Korrektur der Dienstplanvorlagen, Darlegung des betriebswirtschaftlichen Überbaus etc); (7.) Es fehlt jede Darlegung, wieso die Entscheidung, „die Kapazitäten im Bereich Drehtechnik um 30 Stunden in der Woche und somit auf 142 Stunden zu reduzieren“ ausgerechnet 30 Stunden, also den verbliebenen Arbeitszeitanteil des Klägers, zum Gegenstand hatte und nicht 10 oder 72 Stunden, es fehlt damit an Vortrag zur Abwesenheit von Willkür; und schließlich (8.) Die beiden behaupteten Unternehmerentscheidungen „Wegfall Hierarchieebene“ und „Stundenreduzierung“ sind nicht nur der einzigen im Betrieb ausgesprochenen Kündigungserklärung nahe, sie decken sogar sich mit ihr.

Nach diesen acht an der Ernsthaftigkeit der Unternehmerentscheidung Zweifel weckenden Punkten ist der Anspruch an die Darlegung der Beklagten zur Umsetzbarkeit und tatsächlichen Umsetzung der behaupteten Unternehmerentscheidung besonders hoch. Richtig zitiert die Beklagte zwar die Entscheidung des 2. Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 22. Mai 2003 (2 AZR 326/02), in der es heißt:

„Der Arbeitgeber kann grundsätzlich sowohl das Arbeitsvolumen (Menge der zu erledigenden Arbeit) als auch das diesem zugeordnete Arbeitskraftvolumen (Arbeitnehmer-Stunden) und damit auch das Verhältnis dieser beiden Größen zueinander festlegen.“

Einen Absatz später heißt es in der gleichen Entscheidung aber auch:

„Erschöpft sich die Entscheidung des Arbeitgebers im Wesentlichen darin, Personal einzusparen, so rückt sie nahe an den Kündigungsentschluss heran. Da die Kündigungsentscheidung selbst nach dem Gesetz nicht frei, sondern an das Vorliegen von Gründen gebunden ist, muss der Arbeitgeber in solchen Fällen seine Entscheidung hinsichtlich ihrer organisatorischen Durchführbarkeit und hinsichtlich ihrer Nachhaltigkeit („Dauer“) verdeutlichen, damit das Gericht prüfen kann, ob sie im Sinne der oben gekennzeichneten Rechtsprechung offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich, also missbräuchlich ausgesprochen worden ist.“

In diesem vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall hatte sich eine Gemeinde (es ging um eine Erzieherinnen-Stelle im Kindergarten) an die gesetzlichen Bedarfsschlüssel und der damit verbundenen Finanzierbarkeit unter Berücksichtigung der Zahl der für das nächste Jahr angemeldeten Kinder orientiert. Das war für den erkennenden Senat „Konzept genug“ (a.a.O. Rn. 28). Im hier zu entscheidenden Fall ist die Darlegung „prognostizierter Umsatzeinbruch von 30 %, deshalb Reduzierung der Drehtechnik um 30 Stunden“ in diesem Sinne „nicht Konzept genug“. Es reicht nicht, ohne weitere Vertiefung geltend zu machen, es gehe nicht nur um die Reduzierung von Personalkosten. Das reicht insbesondere dann nicht, wenn man zuvor den Betriebsrat ausdrücklich mit den Worten „… um die Personalkosten zu reduzieren …“ angehört hatte. Im Übrigen konnte die erkennende Kammer im Vortrag der Beklagte keine Hinweise dazu finden, dass sie ihre Entscheidung hinsichtlich ihrer organisatorischen Durchführbarkeit und hinsichtlich ihrer Nachhaltigkeit verdeutlicht hätte, „damit das Gericht prüfen kann, ob sie im Sinne der oben gekennzeichneten Rechtsprechung offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich, also missbräuchlich ausgesprochen worden ist.“

Die soziale Rechtfertigung der streitgegenständlichen Kündigung kommt darüber hinaus schon deshalb nicht in Betracht, weil die Beklagte die von ihr geltend gemachte (und vom Kläger bestrittene) Unternehmerentscheidung als solche nicht dergestalt dargelegt hat, dass sie einer Beweisaufnahme zugänglich wäre. Auf Seite 9 der Klageerwiderung vom 24.08.2020 heißt es bei der Beklagten wörtlich:

„Vor diesem Hintergrund wurde am 20.04.2020 durch die Geschäftsführung, bestehend aus Herrn Dr. Z und Herrn K , folgende unternehmerische Entscheidung zur Rationalisierung und innerbetrieblichen Veränderung der Organisationsstruktur getroffen […]:“

Als Zeugen für diese Behauptung benennt die Beklagte den Produktionsplaner El-A und den Betriebsleiter Di . Über die Behauptung der Beklagten, die besagte Unternehmerentscheidung, „die Kapazitäten im Bereich Drehtechnik um 30 Stunden in der Woche und somit auf 142 Stunden zu reduzieren“, sei am 20.04.2020 gefällt worden, war nach diesem Vortrag kein Beweis zu erheben, weil hier wieder nur ein Subsumtionsergebnis (Unternehmerentscheidung mit dem Inhalt …), nicht aber eine Tatsache behauptet wird. Es wird aus dem Vortrag der Beklagten nicht einmal deutlich, warum die Zeugen El-A und Di benannt werden für eine Unternehmerentscheidung, die von Herrn Dr. Z und Herrn K getroffen worden sein soll. Es wird nicht klar, wie diese Entscheidung „gefällt“ wurde. Wer hat hier was gesagt? Und waren die Zeugen dabei? Auf entsprechende Nachfrage in der Berufungsverhandlung und auf entsprechenden Hinweis auf diese Problematik hat der erschienene Geschäftsführer der Beklagten erklärt, es sei das Ergebnis eines langen Beratungsprozesses gewesen, es habe alle drei Monate eine Beiratssitzung gegeben, regelmäßige Gespräche mit dem Zeugen Z seien geführt worden, die Information über die wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Unternehmens sei durch diesen Zeugen erfolgt, es habe eine Diskussion über Maßnahmen zur Produktivitätssteigerung gegeben und schließlich am 20. April sei der Vorschlag gekommen, „die Aktivitäten auf ein Minimum der Produktion zu drücken“. Das Ergebnis sei dann die Zahl „142 Stunden“ gewesen. Diese Darlegungen waren wortreich und handelten vor allem von der schwierigen wirtschaftlichen Lage, in der sich die Beklagten zum Zeitpunkt der tatsächlichen oder vermeintlichen Unternehmerentscheidung befand, beantwortete aber die aufgeworfene Frage nicht. Sachverständige Mitglieder der erkennenden Kammer vermissten auch Ausführungen zum betriebswirtschaftlichen Überbau der behaupteten Organisationsentscheidung, also zu den zahlreichen weiteren betrieblichen Konsequenzen einer solchen kapazitätsminimierenden Maßnahme, die sich nicht nur auf den bloßen Personaleinsatz beschränken kann.

Kurz zusammengefasst fehlt es bis zuletzt an einer nachvollziehbaren Darlegung einer Unternehmerentscheidung genauso wie an einer konkreten Darlegung des unternehmerischen Konzepts, mit dem die behauptete Unternehmerentscheidung betrieblich umgesetzt werden sollte. Es ist der Beklagten, wenn eine Organisationsentscheidung als getroffen unterstellt wird, nicht gelungen auszuschließen, dass diese Organisationsentscheidung nur vorgeschoben war, um die wegen des Verhaltens des Klägers ausgesprochene unwirksame Kündigung auf einem anderen – sachwidrigen – Weg zu begründen.

Wird nach alledem zu Gunsten der Beklagten unterstellt, dass aufgrund einer Organisationsentscheidung der Beklagten die Vorarbeiterfunktion entfallen ist, so fehlt es an einer kausalen Entscheidung, die die verbleibenden 30 Wochenstunden an Beschäftigungsbedürfnis für den Kläger betreffen. Als milderes Mittel hätte daher die Beklagte vor der Beendigungskündigung eine Änderungskündigung aussprechen müssen.

IV. Nach allem bleibt es somit bei der klagestattgebenden erstinstanzlichen Entscheidung zur fristlosen Kündigung und zur hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Kündigung. Auf die Berufung des Klägers war das Urteil des Arbeitsgerichts teilweise abzuändern und der Kündigungsschutzklage gegen die weiter hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung stattzugeben. Als unterliegende Partei hat die Beklagte gemäß § 91 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen mit Ausnahme der Kosten erster Instanz, soweit der Kläger mit seinem Zeugnisantrag unterlegen geblieben ist. Gründe für eine Revisionszulassung sind nicht gegeben, da die Entscheidung auf den Umständen des vorliegenden Einzelfalls beruht.

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