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Unwirksame verhaltensbedingte Kündigung – Substantiierungspflicht Arbeitgeber

Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern – Az.: 2 Sa 137/19 – Urteil vom 21.01.2020

1. Die Berufung wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

2. die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Im Berufungsrechtszug steht noch eine ordentliche Kündigung in Streit sowie Entgeltzahlung für den ersten Monat nach Ablauf der Kündigungsfrist.

Die Beklagte betreibt an mehreren Standorten in der Region Autohäuser mit einer Markenbindung an Volkswagen.

Der 1989 geborene Kläger ist bei der Beklagten seit Juli 2015 als Autoverkäufer beschäftigt. Sein durchschnittliches monatliches Einkommen hat zuletzt einschließlich Provision rund 3.215 Euro brutto monatlich betragen. Sein arbeitsvertragliches Garantiegehalt beläuft sich auf 2.000 Euro brutto monatlich. Der Kläger wird in der Niederlassung C-Stadt beschäftigt. Dort werden regelmäßig mehr als 10 Arbeitnehmer im Sinne von § 23 KSchG beschäftigt. Für diese Niederlassung ist ein Betriebsrat nicht gebildet worden.

Die Beklagte hält die bei ihr beschäftigten Verkäufer an, sich regelmäßig und häufig um Kundenkontakte zu bemühen. Dazu gibt es Vorgaben, wie viele Kundenkontakte in bestimmten Zeiträumen zustande kommen müssen. Dem Kläger wird mit der Kündigung vorgeworfen, er habe sich zuletzt nicht mehr ausreichend um Kundenkontakte gekümmert und habe seine Kundengespräche und deren Ausgang nicht mehr ausreichend in dem IT-System EVA dokumentiert.

Im Vorlauf zur Kündigung hatte der Kläger unter dem 26. September 2017 von der Beklagten eine Abmahnung erhalten. Der Text lautet ohne die einleitenden und die ausleitenden Floskeln vollständig wörtlich wie folgt:

„… in unseren geführten Gesprächen in den Monaten 06/2017 bis 08/2017 wurden Sie aufgefordert mit EVA zu arbeiten und ihre Kontaktfrequenz Kunde zu verbessern.

Dazu wurde folgendes festgelegt:

– Täglich werden min. 8 Kundenkontakte generiert und diese auch in EVA abgespeichert (erreicht 2,4/Tag)

– Kundenaktionen zu planen und diese auch durchzuführen. Hier stellten wir fest, dass Sie keine planten bzw. führ Sie organisierte nicht nachgearbeitet haben (Aktion Umweltprämie)

– Eingestellt Termin in EVA sofort bearbeiten.

Eine Überprüfung hat ergeben, dass Sie gegen diese Festlegung verstoßen haben.

Mit Ihrem Handeln haben Sie gegen die betriebliche Anweisung verstoßen, dafür mahnen wir Sie ab.

Sollten Sie ihre Handlungsweise nicht ändern, wird das arbeitsrechtliche Schritte zur Folge haben.“

Der Kläger hat eine Kopie eines Auszuges aus dem IT-System EVA mit der Überschrift „Aktivitätencontrolling – Performanceboard“ vorgelegt, aus dem sich Einzelheiten zu seinen Kundenkontakten im dritten Quartal 2017 ergeben. Dort wird die Anzahl der arbeitstäglich durchschnittlich kontaktierten Kunden mit 10,67 ausgewiesen (Anlage X1 zum erstinstanzlichen Schriftsatz des Klägers vom 11. Februar 2019, hier Blatt 71, es wird Bezug genommen).

Anfang August 2018 erkrankte der Kläger. Die Beklagte hat das Arbeitsverhältnis zum Kläger mit Schreiben vom 13. August 2018 ohne Angabe von Gründen ordentlich zum 15. September 2018 gekündigt (Anlage K 2 zur Klageschrift, hier Blatt 23, es wird Bezug genommen).

Der Kläger hat diese Kündigung mit einer Klage, die am 3. September 2018 beim Arbeitsgericht eingegangen war, mit einem Kündigungsschutzantrag angegriffen. Außerdem hat er die Feststellung verlangt, dass das Arbeitsverhältnis unverändert fortbesteht. Später hat der Kläger seine Klage noch um einen Auflösungsantrag nach § 9 KSchG zum 14. Oktober 2018, um einen Zahlungsantrag für das Entgelt vom 15. September bis zum 14. Oktober 2018 und um einen Antrag auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses mit der Note „gut“ erweitert.

Das Arbeitsgericht Schwerin hat der Klage mit Urteil vom 11. April 2019 überwiegend entsprochen (5 Ca 1201/18). Das Urteil lautet in der Hauptsache wie folgt:

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die ordentliche Kündigung vom 13.08.2018 zum 15.09.2018 beendet wurde.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 3.215,60 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 11.04.2019 zu zahlen.

3. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger ein qualifiziertes Zwischenzeugnis über Leistung und Führung zu erteilen.

4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Das Arbeitsgericht hat angenommen, der Kündigung fehle die soziale Rechtfertigung, denn die Beklagte habe „die Kündigungsgründe nicht hinreichend vorgetragen“. Da die Kündigung unwirksam sei, habe der Kläger auch Anspruch auf Entgelt bzw. Annahmeverzugslohn für den geltend gemachten Zeitraum. – Auf dieses Urteil wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes vor dem Arbeitsgericht Bezug genommen.

Mit der rechtzeitig eingelegten und fristgerecht begründeten Berufung verfolgt die Beklagte weiterhin ihr Ziel, die Klage nahezu vollständig abweisen zu lassen. Lediglich die Verurteilung zur Erteilung eines Zwischenzeugnisses hat die Beklagte nicht angegriffen. Der Kläger hat kein Rechtsmittel eingelegt.

Die Prozessbevollmächtigte der Beklagten trägt vor, nach Auffassung der Beklagten habe die streitige Kündigung zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses geführt. Der Kläger sei seit langem in der Kritik, weil er unter anderem nicht oft genug Kundenkontakte herstelle und weil er keine Kundenaktionen plane bzw. für ihn organisierte Kundenaktionen nacharbeite. Zu den im Einzelnen nicht schriftlich vorgetragenen dafür erheblichen Umständen bietet die Beklagte erneut das Zeugnis des Verkaufsleiters der Beklagten an. Eine Vorlage von Urkunden oder Berichten aus dem IT-System scheide aus, da der Kläger im IT-System inzwischen nicht mehr auftauche und man daher auch nicht mehr in der Lage sei, Berichte über seine Kundenkontakte zu generieren.

Die Beklagte hält auch die Verurteilung zur Zahlung von Entgelt in Höhe von 3.125,60 Euro brutto für die Zeit von Mitte September bis Mitte Oktober 2018 für falsch, da der Kläger auf ein solch hohes Einkommen nur unter Berücksichtigung von Verkaufsprovisionen gekommen sei. Tatsächlich habe er aber in diesem Zeitraum keine Provisionen verdient. Daher könne ihm allenfalls sein Garantieentgelt in Höhe von 2.000 Euro brutto für diese Zeit zustehen.

Die Beklagte beantragt, unter Abänderung des am 11.04.2019 verkündeten Urteils des Arbeitsgerichts Schwerin, Az. 5 Ca 1201/18, die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt in seiner knapp gehaltenen Berufungserwiderung das arbeitsgerichtliche Urteil, soweit es von der Beklagten mit der Berufung angegriffen wird.

Er bleibt unter Verweis auf den von ihm vorgelegten Auszug aus dem IT-System EVA bei seiner Behauptung, die Beklagte hätte der Abmahnung Zahlen eines Kollegen des Klägers zu Grunde gelegt, es liege eine Verwechslung vor. Er – der Kläger – habe zwischen Juni 2017 und September 2019 arbeitstäglich im Durchschnitt 10,67 Kunden kontaktiert.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachvortrages der Parteien im Berufungsrechtszug wird auf die überreichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist nicht begründet. Der streitgegenständlichen Kündigung fehlt offensichtlich die soziale Rechtfertigung im Sinne von § 1 KSchG. Die Verteidigung gegen die Verurteilung zur Zahlung von Annahmeverzugslohn für die Zeit von Mitte September bis Mitte Oktober 2018 ist offensichtlich unerheblich.

I.

Die soziale Rechtfertigung der streitgegenständlichen ordentlichen Kündigung vom 13. August 2018 kann nicht festgestellt werden.

Die Beklagte hat sich gegen die Feststellung des Arbeitsgerichts nicht zur Wehr gesetzt, dass auf das Arbeitsverhältnis der Parteien nach der Anzahl der bei der Beklagten beschäftigten Arbeitnehmer und nach der Dauer der Zusammenarbeit der Parteien das Kündigungsschutzgesetz Anwendung findet. Diese Feststellung legt auch das Berufungsgericht seiner Entscheidung zu Grunde.

Auch das Berufungsgericht ist nicht in der Lage, einen tragfähigen Kündigungsgrund festzustellen.

Dafür kann zu Gunsten der Beklagten sogar unterstellt werden, dass das Verfehlen der Zielvorgaben für die Anzahl der täglichen Kundenkontakte und die unzureichend umfassende Dokumentation der Bemühungen um Kundenkontakte im Prinzip ausreichen würde, um eine ordentliche verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigen zu können.

Dennoch ist die Kündigung offensichtlich nicht begründet, da sich die Beklagte nicht der Mühe unterzogen hat, die Tatsachen, die ihren Vorwurf begründen sollen, dem Gericht gegenüber vorzutragen. Sie hat sich nicht einmal mit dem Verteidigungsvorbringen des Klägers gegen die Abmahnung aus September 2017 auseinandergesetzt. Angesichts dieser gravierenden Schwäche des Sachvortrags der Beklagten sieht sich das Berufungsgericht nicht in der Lage, überhaupt irgendeine Feststellung zu der Frage zu treffen, wie viele Kundenkontakte der Kläger im Vorlauf zur Abmahnung oder im Vorlauf zur Kündigung aufweisen konnte, und ob er diese – so wie von der Beklagten gewünscht – im System dokumentiert hat.

Es ist abwegig anzunehmen, die offensichtlichen Lücken im Parteivortrag der Beklagten könnten durch Vernehmung des Verkaufsleiters der Beklagten als Zeugen geschlossen wären. Die Vernehmung des Zeugen bei der Prozesslage, wie sie zum Schluss der mündlichen Verhandlung bestanden hat, wäre offensichtlich unzulässig gewesen. Denn das Gericht kann im Zivilprozess Zeugen nur zu streitigen Tatsachenbehauptungen vernehmen. Wenn die Beklagte aber schon keine Tatsachen vorträgt, um die von ihr gegenüber dem Kläger erhobenen Vorwürfe zu untermauern, kann das Gericht auch keine Zeugen vernehmen (so auch bereits LAG Mecklenburg-Vorpommern 9. Juni 2015 – 2 Sa 5/15 – in einem Rechtsstreit gegen die Beklagte mit ähnlich oberflächlichem Vortrag zu dem Kündigungsgrund).

Die Vernehmung des angebotenen Zeugen kommt auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Beweisnotstandes in Betracht. Zwar lässt die Beklagte – bedauerlicherweise ohne Mitteilung von Details – im Berufungsrechtszug vortragen, man könne sich inzwischen nicht mehr zu den einzelnen Umständen erklären, die zu der Kündigung geführt hätten, da der Kläger im IT-System inzwischen gestrichen sei und man daher keinen Zugriff mehr auf die ihm zugeordneten Daten habe. Daraus ergibt sich allerdings kein Beweisnotstand. Die streitige Kündigung stammt aus August 2018 und sie wurde im September 2018 mit einer Klage angegriffen. Zu diesem Zeitpunkt bestand das Arbeitsverhältnis der Parteien selbst nach dem Vortrag der Beklagten noch. Wenn die Beklagte es seinerzeit nicht für erforderlich gehalten hatte, die Daten, die man benötigt, um den von ihr erhobenen Vorwurf beweisen zu können, zu sichern oder auszudrucken, trägt sie das damit verbundene Risiko selbst.

Im Übrigen kann der Datenverlust durch den verloren gegangenen Zugriff der auf den Kläger bezogenen Daten nach dem eigenen Vortrag der Beklagten keine dramatischen Auswirkungen haben. Denn die Beklagte hat ja zu den Details der erhobenen Vorwürfe ihren Verkaufsleiter als Zeugen angeboten. Wenn sie also davon ausgeht, dass er noch über die notwendigen Detailkenntnisse verfügt, hätte sie ihn dazu befragen und dann im Rechtsstreit entsprechend vortragen können.

II.

Die Berufung gegen die Verurteilung zur Zahlung von 3.215,60 Euro brutto für die Zeit vom 15. September bis zum 14. Oktober 2018 ist ebenfalls offensichtlich nicht begründet.

Da die Kündigung vom 13. August 2018 das Arbeitsverhältnis nicht beendet hat, ist die Beklagte auch über den 15. September 2018 hinaus verpflichtet, das arbeitsvertraglich geschuldete Entgelt zu zahlen. Dies gilt auch dann, wenn der Kläger – wie vorliegend – nicht gearbeitet hat. Der Anspruch stützt sich dann auf § 615 BGB (Annahmeverzug).

Bei der Bemessung der Höhe des Entgelts wird fiktiv betrachtet, was der Arbeitnehmer verdient hätte, wenn er in dem Zeitraum tatsächlich gearbeitet hätte. Legt man diesen Maßstab zu Grunde, steht dem Kläger der Annahmeverzugslohn in der eingeklagten Höhe zu. Der Kläger hat zum Beleg die Abrechnung für Juli 2018 vorgelegt und hat aus den dort wiedergegebenen kumulierten Jahreswerten rechnerisch korrekt ermittelt, dass er in den ersten 7 Monaten 2018 im Durchschnitt 3.215,60 Euro brutto verdient hat. Das bietet eine ausreichend sichere Grundlage für die gerichtliche Feststellung, dass er auch im Streitzeitraum der Zahlungsklage dieses Entgelt hätte erzielen können, wenn er gearbeitet hätte.

Dass der Kläger tatsächlich in diesem Zeitraum keine Provision erarbeitet hat, steht der Zahlung nicht entgegen. Denn es war die Beklagte, die durch den Ausspruch der Kündigung verhindert hat, dass der Kläger weiter seiner Tätigkeit nachgehen kann.

III.

Die Beklagte trägt die Kosten der Berufung, da das von ihr eingelegte Rechtsmittel keinen Erfolg hat (§ 97 ZPO).

Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision aus § 72 ArbGG sind nicht erfüllt.

 

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