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Unwirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung nach § 1 Abs 2 S 1 Alt 3 KSchG

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz – Az.: 1 Sa 356/20 – Urteil vom 18.06.2021

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 11.11.2020, Az. 7 Ca 1061/20, teilweise abgeändert:

Die Klage wird mit dem Antrag, die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger für die Monate Juni bis Dezember 2019 korrigierte Lohnabrechnungen unter Berücksichtigung einer Sonderzahlung in Höhe von 920,00 EUR brutto pro Monat zu erteilen, abgewiesen.

II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

III. Die erstinstanzlichen Kosten tragen die Beklagte zu 93 % und der Kläger zu 7 %. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Beklagte zu 96 % und der Kläger zu 4 %.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger ist bei der Beklagten seit 01.02.2017 zu einem durchschnittlichen Bruttomonatsgehalt von zuletzt 6.195,00 EUR beschäftigt. In seinem Arbeitsvertrag heißt es u.a.:

„§ 1 Beginn des Arbeitsverhältnisses

Der Arbeitnehmer wird ab dem 01.02.2017 als Prüfingenieur … und als Sachverständiger für Schäden und Bewertung eingestellt.

§ 2 Tätigkeit

Der Arbeitnehmer wird als Prüfingenieur … an allen Standorten der C. sowie im Außendienst eingestellt (Prüftätigkeit) … Neben der Prüftätigkeit soll der Arbeitnehmer zur Erstellung technischer Gutachten und als Unterschriftsberechtigter des Technischen Dienstes oder zur Erbringung von anderen Ingenieurdienstleistungen eingesetzt werden (SV- und USB-Tätigkeit).

……“

Die Beklagte betreibt ein Ingenieurbüro im Bereich Karosserie und Kraftfahrzeuge mit Anschluss an die Gesellschaft für Technische Überwachung mbH (GTÜ). Ihr Tätigkeitsfeld gliedert sich im Wesentlichen in den Bereich Kfz-Sachverständigenwesen und den Bereich Prüfwesen. Im Sachverständigenwesen liegt ihr Schwerpunkt auf der Erstellung von Schadensbegutachtungen, Unfallanalysen und Fahrzeugbewertungen, im Prüfwesen führt sie durch gesondert ausgebildete und zugelassene Prüfingenieure auf Grundlage deren öffentlicher Betrauung Hauptuntersuchungen, Abgasuntersuchungen und Sicherheitsprüfungen durch. Dazu betreibt sie eigene Prüfstellen in C-Stadt, B-Stadt und D-Stadt, ist jedoch als GTÜ-Vertragspartner auch mobil im Rahmen von Prüfungen vor Ort für Kfz-Werkstätten und Autohäuser in Rheinland-Pfalz und Hessen tätig.

Der für Rheinland-Pfalz öffentlich betraute Kläger war seit Beginn des Arbeitsverhältnisses als einer von zehn Prüfingenieuren im Prüfwesen tätig, zunächst in einer Prüfstelle in B-Stadt, danach in C-Stadt.

Bereits im Vorfeld des Arbeitsvertrages hatten beide Seiten am 09.01.2017 bei der GTÜ einen Antrag auf Zweitbetrauung des Klägers für das Bundesland Hessen gestellt. Hierzu übermittelte die Beklagte der GTÜ einen von ihr und dem Kläger unterzeichneten Antrag vom 04./09.012017 (Bl. 168 d.A.). Zuvor hatte die GTÜ der Beklagten mit E-Mail vom 03.01.2017 (Bl. 192 d.A.) eine Aufstellung der benötigten Unterlagen übermittelt, die vom Kläger beigebracht wurden. Eine Bestellung seitens der GTÜ erfolgte nicht und wurde weder vom Kläger noch von der Beklagten weiter forciert. Im Gegensatz zu einer Aufstellung benötigter Unterlagen seitens der GTÜ gemäß E-Mail vom 14.01.2021 (Bl. 382 d.A.) wurde in der Aufstellung in der E-Mail vom 03.01.2017 keine ärztliche Bescheinigung des Wortlauts „Hiermit wird bescheinigt, dass Herr XY geistig und körperlich fähig ist die Tätigkeit als Prüfingenieur auszuüben“.

Mit Schreiben vom 30.03.2020 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristgerecht zum 30.06.2020.

Sie stützt die Kündigung auf eine Organisationsentscheidung, die u.a. zum Inhalt habe, dass eine feste Bindung eines Prüfingenieurs an bestimmte Kundenbetriebe aufgehoben werde, der regionale Einsatz der Prüfingenieure durch Zusammenlegung von Prüftagen an nahe zueinander gelegenen Orten optimiert werde, regionale Festlegungen mit der Folge der Einsetzbarkeit jedes Prüfingenieurs an jeder Prüfstelle und in jedem Kundenbetrieb aufgehoben würden und die Geschäftskunden in die Auslastungsplanung durch ein Online-Portal eingebunden sind.

In Vollzug von § 5 des Arbeitsvertrages wurde dem Kläger ein Dienstfahrzeug auch zur privaten Nutzung überlassen. Nach der „Ergänzung zum Arbeitsvertrag“ vom 28.11.2016 (Bl. 14 f. d.A.) erfolgte die lohnsteuerrechtliche Versteuerung nach der sogenannten 1%-Regelung, wobei die steuerliche Mehrbelastung durch zusätzlichen Bruttolohn ausgeglichen wird. Abrechnungstechnisch wurde dieser Ausgleich durch Ausweisung einer Sonderzahlung in den Gehaltsabrechnungen vollzogen. Nachdem der Kläger zunächst in B-Stadt eingesetzt und die Entfernung zum Wohnort 33 km betrug, leistete die Beklagte eine Sonderzahlung von jeweils 645,00 EUR brutto monatlich. Ab dem 17.06.2020 wurde der Kläger mit der Folge einer Erhöhung der Entfernung zwischen Wohnort und Arbeitsstelle auf 69 km in C-Stadt eingesetzt. Eine Erhöhung der Sonderzahlung erfolgte nicht. Die Beklagte hat eine Nachberechnung für die Monate Januar – März 2020 vorgenommen. Eine Korrektur der Gehaltsabrechnungen für die Monate Juni 2019 – Dezember 2019 erfolgte nicht.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des unstreitigen Sachverhalts und des streitigen Vorbringens der Parteien erster Instanz wird Bezug genommen auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Koblenz vom 11.11.2020, Az. 7 Ca 1061/20 (Bl. 316 ff. d.A.).

Soweit für das Berufungsverfahren relevant, hat das Arbeitsgericht durch das genannte Urteil festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 30.03.3030 nicht mit Ablauf des 30.06.2020 endet. Ferner hat es die Beklagte verurteilt dem Kläger für die Monate Juni 2019 bis Dezember 2019 korrigierte Lohnabrechnungen unter Berücksichtigung einer Sonderzahlung in Höhe von 920,00 EUR brutto pro Monat zu erteilen.

Zur Begründung hat das Arbeitsgericht zusammengefasst ausgeführt:

Die Beklagte habe nicht ausreichend dargelegt, aus welchen Gründen der Bedarf an der Arbeitsleistung des Klägers entfallen sei. Soweit sie sich auf eine Effizienzsteigerung durch Umstrukturierung der Verteilung der Prüfaufträge auf die Prüfingenieure berufe, habe sie dies in tatsächlicher Hinsicht nicht ausreichend dargelegt und auch das von ihr in Bezug genommene interne Planungskonzept, welches im Ergebnis zu einer Effizienzsteigerung von 8,8% bzw. 10 % bzw. sogar 20% mit der Folge des Entfall des Beschäftigungsbedarfs für zumindest einen von zehn Prüfingenieuren führen solle, nicht vorgelegt und auch die Berechnungsparameter nicht offengelegt. Wenn sie sich darauf berufe, der ortsflexible Einsatz der Ingenieure bedinge einen Arbeitskräfteüberhang, sei nicht nachvollziehbar, wie sich dies auf die Arbeitsmenge der an den von der Beklagten selbst betriebenen, festen Prüfstellen auswirke, da diese ja während der Öffnungszeiten unabhängig davon, wie viele Fahrzeuge dort vorgestellt würden, besetzt sein müssten.

Ferner sei die Beklagte dem Vortrag des Klägers, sie habe zwei Auszubildende übernommen und beschäftige diese als Prüfingenieure, nicht entgegengetreten, so dass nicht nur keine Stelle abgebaut, sondern sogar zwei zusätzliche Stellen geschaffen worden seien. In unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit der Kündigung sei zudem im August 2020 auch Herr E. übernommen worden. Ein zusätzlicher Bedarf ergäbe sich auch daraus, dass die Beklagte nach eigenem Sachvortrag einen weiteren Geschäftsbereich (Erstellung von Voll- und Einzelgutachten) etablieren wolle, der personell nach entsprechender Sonderausbildung aus dem Kreis der Prüfingenieure abgedeckt werden solle, so dass diese in dem Maße ihres Einsatzes im neuen Geschäftsbereich nicht mehr in bisherigem Umfang im Prüfwesen zur Verfügung stehen könnten.

Auch auf die fehlende Betrauung des Klägers für Hessen könne die Beklagte einen Wegfall des Beschäftigungsbedarfs nicht stützen. Ihr stünden 8 Prüfingenieure mit Prüfberechtigung in Hessen zur Verfügung, so dass sie den dort anfallenden Prüfaufwand ohne Weiteres bewältigen könne, ohne auf einen Einsatz des Klägers in Hessen angewiesen zu sein. Die Berufung auf die Nichteinsetzbarkeit des Klägers in Hessen sei der Beklagten auch verwehrt. Durch Unterzeichnung des Arbeitsvertrages in dem Wissen, dass der Kläger in Hessen nicht prüfbefugt war und dem von Beginn des Arbeitsverhältnisses durchgeführten Einsatz ausschließlich in Rheinland-Pfalz sei es treuwidrig, wenn sie nunmehr unter Berufung auf die fehlende Einsetzbarkeit kündige, ohne dem Kläger Gelegenheit zu geben, die Prüfberechtigung für Hessen beizubringen.

Die Kündigung sei ferner unter dem Gesichtspunkt fehlerhafter Sozialauswahl sozial ungerechtfertigt. Insbesondere bestehe auch eine Vergleichbarkeit mit den Prüfingenieuren, die über eine Prüfberechtigung für Hessen verfügten. Die einzig für die Erlangung der Prüfberechtigung für Hessen fehlende ärztliche Bescheinigung sei innerhalb einer kurzen Zeit zu erlangen.

Eine Korrektur der Lohnabrechnungen Juni bis Dezember 2019 könne der Kläger verlangen. Einwendungen hiergegen seien weder ersichtlich noch vorgetragen.

Das genannte Urteil ist der Beklagten am 20.11.2020 zugestellt worden. Sie hat hiergegen (teilweise) mit einem am 30.11.2020 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 20.01.2021, bei Gericht am gleichen Tag eingegangen, begründet.

Zur Begründung ihrer Berufung macht die Beklagte mit dem genannten Schriftsatz vom 20.01.2021, auf den ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 358 ff. d.A.), im Wesentlichen geltend:

Die Geschäftsführer hätten bei der unternehmerischen Entscheidung in Übereinstimmung mit den Prognosen der Arbeitnehmer, die das Konzept entwickelt hätten, prognostiziert, dass es bei der der Umsetzung der Entscheidung zur Optimierung der Arbeitsabläufe und zu einem Überhang an Arbeitskräften im Umfang von zumindest einem Mitarbeiter aus dem Kreis der Prüfberechtigten kommen würde. Diese Entwicklung sei tatsächlich eingetreten und könne als Beleg für die Ernsthaftigkeit und Plausibilität der unternehmerischen Entscheidung herangezogen werden.

Eine Effizienzkontrolle dahingehend, dass die Umorganisation der betrieblichen Abläufe nur zulässig ist, wenn sie zu einer Verringerung der Arbeitsmenge führe, sei entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts vor dem Hintergrund der grundrechtlich geschützten unternehmerischen Freiheit unzulässig. Selbst ein gewisser Effizienzverlust aufgrund der geänderten Betriebsorganisation könne noch nicht dazu führen, die unternehmerische Organisationsentscheidung als keinen Kündigungsgrund anzusehen. Für eine beschlossene und tatsächlich durchgeführte unternehmerische Entscheidung spreche eine Vermutung, dass diese aus sachlichen Gründen erfolge. Die Darlegungs- und Beweislast für Tatsachen, aus denen sich ergeben soll, dass die getroffene Strukturmaßnahme offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich sei, trage der Arbeitnehmer. Allein durch den Wegfall von Reise- und Leerlaufzeiten sei prognostiziert worden, dass das regelmäßig bestehende Arbeitsvolumen auch mit maximal 90% und wahrscheinlich auch nur 80% der Manntage der bisher beschäftigten Prüfingenieure ohne Mehrarbeit geleistet werden könne.

Auch die fehlende Prüfberechtigung für Hessen vermöge den Wegfall des Beschäftigungsbedarfs für den Kläger zu begründen. Ein solcher Einsatz sei arbeitsvertraglich von vornherein vorgesehen gewesen und ergäbe sich auch aus der E-Mail der Beklagten vom 04.01.2017 (Anlage K 22). Die Beklagte habe damit gerade nicht zu erkennen gegeben, dass der Kläger nur in Rheinland-Pfalz eingesetzt werden solle. Vielmehr sei eine weitergehende Einsetzbarkeit Grundlage des Arbeitsvertrages. Welcher Arbeitnehmer wo eingesetzt werde, unterfalle dem Direktionsrecht. Die Grenze der Unbilligkeit im Sinne des § 106 GewO könne aber nicht tangiert sein, wenn sich die Beklagte an einer Grundlage des Arbeitsvertrages orientiere.

Überdies sei es nicht Aufgabe der Beklagten, Informationsbeschaffung für die notwendigen persönlichen Berufsausübungsvoraussetzungen zu betreiben. Vielmehr habe dem Kläger die Nebenpflicht oblegen, von sich aus mitzuteilen, dass er keine Prüfberechtigung für Hessen besitze.

Soweit das Arbeitsgericht ausführe, die Kündigung sei treuwidrig, soweit die Beklagte sich auf die Nichteinsetzbarkeit in Hessen berufe, ohne sich zuvor um die Betrauung für Hessen zu kümmern, stehe dem entgegen, dass sie in ihrer Funktion als Mittelsmann zwischen dem Kläger und der Überwachungsorganisation (GTÜ) das ihrerseits Erforderliche getan habe.

Auch die Sozialauswahl sei nicht zu beanstanden. Zutreffend habe sie nur auf den Kreis der Prüfingenieure abgestellt und ebenso rechtlich zutreffend nur auf diejenigen, die ebenfalls nur in Rheinland-Pfalz einsetzbar seien. Eine Einbeziehung auch der KFZ-Sachverständigen scheide mangels fachlicher Eignung aus. Der Kläger könne deren Tätigkeit nicht ausüben.

Zu Unrecht habe das Arbeitsgericht die Beklagte auch verurteilt, Abrechnungen mit dem vom Kläger gewünschten Inhalt zu erteilen. Nach § 108 GewO bestehe nur ein Anspruch auf Erteilung von Abrechnungen hinsichtlich tatsächlich erbrachter Leistungen.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 11.11.2020, Az. 7 Ca 1061/20, teilweise abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil mit seinem Berufungserwiderungsschriftsatz vom 01.03.2021, auf den Bezug genommen wird (Bl. 372 ff. d.A.), als zutreffend. Er hält die Berufung unter dem Gesichtspunkt nicht ausreichender Auseinandersetzung mit allen tragenden Erwägungen des angefochtenen Urteils für unzulässig.

Ergänzend wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Sie wurde fristgerecht eingelegt und begründet. Entgegen der Ansicht des Klägers wurde die Berufung auch ausreichend begründet.

Nach § 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung durch das angefochtene Urteil und deren Erheblichkeit für das Ergebnis der Entscheidung ergibt. Die Berufungsbegründung muss deshalb auf den zur Entscheidung stehenden Fall zugeschnitten sein und sich mit den rechtlichen oder tatsächlichen Argumenten des angefochtenen Urteils befassen, wenn sie diese bekämpfen will. Für die erforderliche Auseinandersetzung mit den Urteilsgründen der angefochtenen Entscheidung reicht es nicht aus, die tatsächliche oder rechtliche Würdigung durch das Arbeitsgericht mit formelhaften Wendungen zu rügen und lediglich auf das erstinstanzliche Vorbringen zu verweisen oder dieses zu wiederholen (ständige Rechtsprechung, vgl. nur BAG 17.02.2016 -2 AZR 613/14-, juris Rn. 13).

Diesen Anforderungen genügt die Berufungsbegründung auch im Hinblick auf die Entscheidung über den Kündigungsschutzantrag. Zwar setzt sie sich nicht mit allen einzelnen Begründungselementen der angefochtenen Entscheidung auseinander, worauf der Kläger zu Recht hinweist. Nach der Berufungsbegründung kommt es aber aus Sicht der Beklagten auf diese Einzelelemente nicht an, da sie davon ausgeht, der Wegfall von Beschäftigungsmöglichkeiten sei aufgrund der Darstellung des Konzepts und den Verweis darauf, dass dieses durchgeführt worden sei und den prognostizierten Personalminderbedarf bestätigt habe, ausreichend dargelegt worden sei. Entsprechendes gilt für die Sozialauswahl. Auch hier kommt es nach der Argumentationslogik der Beklagten auf die Einzelelemente der Begründung des Arbeitsgerichts nicht an. Ob diese Auffassung der Beklagten rechtlich zutreffend ist oder nicht, ist keine Frage der Zulässigkeit, sondern der Begründetheit des Rechtsmittels.

II.

In der Sache hat die Berufung Erfolg, soweit sie sich gegen die Verurteilung zur Erteilung korrigierter Gehaltsabrechnungen bezieht.

Als Grundlage des Anspruchs kommt vorliegend nur § 108 Abs. 1 GewO in Betracht. Danach ist eine Abrechnung in Textform „bei Zahlung des Arbeitsentgelts“ zu erteilen. Die tatsächliche Zahlung ist damit Voraussetzung des Anspruchs. Ein hiervon unabhängiger Anspruch auf Erteilung von Abrechnungen besteht nicht (vgl. BAG 12.07.2006 -5 AZR 646/05- Rz. 14, juris). Eine Zahlung der Sonderzulage in der vom Kläger angegebenen Höhe erfolgte nicht. Soweit der Kläger geltend macht, auch bei Inansatzbringung einer höheren Sonderzahlung hätte sich an den jeweiligen Netto-Auszahlungsbeträgen nichts geändert, weshalb er keine Zahlungsansprüche geltend machen könne, trifft dies nicht zu. Mit dem Abzug und der Abführung von Lohnbestandteilen erfüllt der Arbeitgeber gegenüber dem Arbeitnehmer seine Vergütungspflicht. Die Abführung begründet einen besonderen Erfüllungseinwand (vgl. im Einzelnen BAG 22.12.2016 -5 AZR 266/16- Rz. 17, juris). Es handelt sich rechtlich um eine Leistung an den Arbeitnehmer, der nicht gehindert ist, den insoweit bestehenden (Brutto-) Anspruch geltend zu machen.

III.

Die Berufung ist unbegründet, soweit sie sich auf die erstinstanzliche Entscheidung über den Kündigungsschutzantrag bezieht. Das Arbeitsgericht hat zu Recht und mit zutreffender Begründung erkannt, dass die streitgegenständliche Kündigung sozial nicht gerechtfertigt und damit rechtsunwirksam ist, § 1 Abs. 1, Abs. 2 KSchG. Die Berufungskammer folgt den Gründen des angefochtenen Urteils und stellt dies fest, § 69 Abs. 2 ArbGG. Unter Berücksichtigung des Berufungsvorbringens sind folgende ergänzende Ausführungen veranlasst:

1.

Das Gericht geht in Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung ebenso wie die Beklagte in ihrer Berufung davon aus, dass die Arbeitsgerichte nur zu einer eng begrenzten Kontrolle unternehmerischer Organisationsentscheidungen befugt sind.

a)

Dringende betriebliche Erfordernisse für eine Kündigung i.S.v. § 1 KSchG können sich aus innerbetrieblichen oder außerbetrieblichen Gründen ergeben. Eine Kündigung ist aus innerbetrieblichen Gründen gerechtfertigt, wenn sich der Arbeitgeber zu einer organisatorischen Maßnahme entschließt, bei deren innerbetrieblicher Umsetzung das Bedürfnis für die Weiterbeschäftigung eines oder mehrerer Arbeitnehmer entfällt. Von den Arbeitsgerichten voll nachzuprüfen ist, ob eine derartige unternehmerische Entscheidung tatsächlich vorliegt und durch ihre Umsetzung das Beschäftigungsbedürfnis für einzelne Arbeitnehmer entfallen ist. Dagegen ist die unternehmerische Entscheidung nicht auf ihre sachliche Rechtfertigung oder ihre Zweckmäßigkeit zu überprüfen, sondern nur darauf, ob sie offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist. Dabei unterliegt auch die Gestaltung des Anforderungsprofils eines Arbeitsplatzes, der lediglich auf offenbare Unsachlichkeit zu überprüfenden Unternehmerdisposition des Arbeitgebers. Soweit für die sachgerechte Erledigung der Arbeitsaufgabe bestimmte persönliche oder sachliche Voraussetzungen erforderlich sind, kann die unternehmerische Entscheidung, welche Anforderungen an den Stelleninhaber zu stellen sind, nur auf offenbare Unsachlichkeit gerichtlich überprüft werden. Die Entscheidung des Arbeitgebers, bestimmte Tätigkeiten nur von Arbeitnehmern mit bestimmten Qualifikationen ausführen zu lassen, ist von den Arbeitsgerichten grundsätzlich zu respektieren. Auch die Organisationsentscheidung zur Umstrukturierung des gesamten oder von Teilen eines Betriebes oder einzelner Arbeitsplätze, von der das Anforderungsprofil der im Betrieb nach Umstrukturierung verbleibenden Beschäftigungsmöglichkeiten erfasst wird, unterliegt damit nur einer Missbrauchskontrolle. Wenn allerdings die Organisationsentscheidung des Arbeitgebers und sein Kündigungsentschluss ohne nähere Konkretisierung praktisch deckungsgleich sind, kann die Vermutung, die Unternehmerentscheidung sei aus sachlichen Gründen erfolgt, nicht unbesehen greifen. Der Arbeitgeber kann sich nicht lediglich auf seine Entscheidungsfreiheit berufen. Er muss vielmehr konkret darlegen, wie sich seine Entscheidung auf die Einsatzmöglichkeiten auswirkt und in welchem Umfang dadurch ein konkreter Änderungsbedarf besteht (BAG 07.07.2005 – 2 AZR 399/04 – Rz 31-33; 10.07.2008 – 2 AZR 1111/06 – Rz. 24-26; 02.03.2017 – 2 AZR 546/16 – Rz. 23; LAG Rheinland-Pfalz 14.03.2019 -2 Sa 289/18- Rn. 18. alle zitiert nach juris).

Ebenso zutreffend ist, dass für eine beschlossene und tatsächlich durchgeführte Organisationsentscheidung die Vermutung besteht, dass sie nicht offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist.

b)

Vorliegend geht es aber zunächst nicht um die Frage, ob die von der Beklagten behauptete Organisationsentscheidung unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist, sondern um die dem vorgelagerte Frage, ob die Beklagte ihrer insoweit sich aus § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG folgenden Darlegungslast in Bezug auf den Entfall des Beschäftigungsbedarfs gerecht geworden ist. Dies ist – wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat – nicht der Fall. Die Beklagte hat auch im Berufungsverfahren von einer näheren Darstellung des Konzepts und der diesem zugrundeliegenden tatsächlichen Annahmen abgesehen. Ebenso wenig hat sie konkret dargelegt, wie sich dieses Konzept auf die Anzahl der benötigten Prüfingenieure auswirkt.

Im Hinblick auf die durchzuführenden Prüfungen vor Ort unter gleichzeitiger IT-unterstützter Bedarfsvoranmeldung durch die Werkstätten und Autohäuser lässt sich noch nachvollziehen, dass ein flexibilisierter Einsatz der Prüfingenieure zu einem effektiveren Personaleinsatz führen kann. Die Beklagte unterhält aber ebenfalls eigene Prüfstellen mit festen Öffnungszeiten, in denen Kunden ohne Voranmeldung Fahrzeuge zur Abnahme vorstellen können und die demzufolge während der Öffnungszeiten mit einem Prüfingenieur besetzt sein müssen. In Rheinland-Pfalz unterhält die Beklagte nach ihrem Internetauftritt 3 solcher Prüfstellen mit festen, von montags bis freitags ganztägigen und samstags bis mittags bestehenden Öffnungszeiten. Die dort damit erforderlichen Prüfingenieure können nicht während tatsächlicher Leerlaufzeiten flexibel anderweitig eingesetzt werden. Wenn die von der Beklagten angeführte Flexibilisierung des örtlichen Einsatzes zu einem Personalüberhang führt, dann ausgehend von ihrem eigenen Sachvortrag im Bereich der Prüfungen vor Ort, wobei auch diesbezüglicher näherer Sachvortrag fehlt.

2.

Selbst wenn aber in diesem Bereich die Prüfungen mit einer geringeren Anzahl von Prüfern dergestalt durchführbar sein sollten, so dass ein Personalüberhang im Kreis der auch bisher ortsflexibel und bundeslandübergreifend einsetzbaren Prüfer in einem Ausmaß entstehen würde, dass einzelne dieser Prüfer die Prüfstellen mit festen Öffnungszeiten betreuen könnten, wäre die Kündigung unter dem Gesichtspunkt fehlerhafter Sozialauswahl, § 1 Abs. 3 KSchG, rechtsunwirksam, da die weiteren Prüfingenieure dann unzweifelhaft in die Sozialauswahl einzubeziehen gewesen wären.

Aber auch unabhängig hiervon erweist sich die Sozialauswahl als unzutreffend, weil die Beklagte den einbezogenen Personenkreis zu eng gezogen hat und in ihre Prüfung nur den einzigen weiteren Prüfingenieur, der ebenfalls über keine Prüfberechtigung im Land Hessen verfügte, einbezogen hat. Sie hätte sämtliche Prüfingenieure in die Sozialauswahl einbeziehen müssen. Auch dies hat das Arbeitsgericht zutreffend erkannt.

Der Beklagten ist zuzugeben, dass allein die Tatsache, dass sie nach dem Arbeitsvertrag (§ 2) rechtlich befugt ist, ihr Weisungsrecht hinsichtlich des Orts der Tätigkeit ohne Beschränkung auf Rheinland-Pfalz auszuüben, nicht zu einer Vergleichbarkeit führt, wenn nicht zugleich auch eine tatsächliche Einsetzbarkeit besteht. In die soziale Auswahl einzubeziehen sind Arbeitnehmer die Austauschbar sind. Eine Austauschbarkeit ist nur anzunehmen, wenn aufgrund der fachlichen Qualifikation des unmittelbar betroffenen Arbeitnehmers eine alsbaldige personelle Einsetzbarkeit gegeben ist (BAG 10.06.2010 -2 AZR 420/09- Rz. 31; 24.05.2005 -8 AZR 398/04- Rz. 37; juris). Nicht erforderlich ist aber eine sofortige Einsetzbarkeit (vgl. auch BAG 19.12.2013 – 6 AZR 790/12 – Rz. 47, juris). So steht etwa die Notwendigkeit einer kurzen Einarbeitungszeit der Vergleichbarkeit nicht entgegen (BAG 24.05.2005 und 10.06.2010, aaO.). Welche Einarbeitungszeit noch angemessen ist, entscheidet sich nach den Umständen des Einzelfalles (statt vieler: ErfK/Oetker, 21. Aufl., § 1 KSchG Rz. 325).

Vorliegend erfüllt der Kläger sämtliche Voraussetzungen einer Bestellung durch die GTÜ für das Land Hessen. Auch die nunmehr erforderliche ärztliche Bestätigung ist in Ermangelung von Anhaltspunkten für eine entgegenstehende körperliche oder geistige Beeinträchtigung aller Voraussicht nach leicht zu erlangen. Es war der Beklagten daher zumutbar, die Zeitspanne, die für eine erneute Beantragung der Zulassung oder die Weiterführung des seinerzeitigen Zulassungsverfahrens erforderliche Zeit abzuwarten. Hinsichtlich der Zumutbarkeit ist auch zu berücksichtigen, dass der Kläger auch während der erforderlichen Zeitspanne für das Antragsverfahren weiterhin in Rheinland-Pfalz sinnvoll einsetzbar gewesen wäre. Es kommt hinzu, dass die Beklagte in das ursprüngliche Zulassungsverfahren mit eingebunden war und bis zum Ausspruch der Kündigung das Fehlen einer Zulassung für Hessen nicht beanstandet hat.

IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92, 97 ZPO. Ein Revisionszulassungsgrund im Sinne des § 72 Abs. 2 ArbGG besteht nicht.

 

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