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Unzuständigkeit einer Einigungsstelle – Auslaufenlassen befristeter Arbeitsverträge

LAG Berlin-Brandenburg, Az.: 7 TaBV 1215/17, Beschluss vom 06.10.2017

Die Beschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 18. August 2017 – 29 BV 9313/17 – wird zurückgewiesen.

Gründe

1. Die Beteiligten streiten über die Einsetzung einer Einigungsstelle zum Abschluss eines Sozialplans für diejenigen Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnisse nach Intendantenwechsel über den vorgesehenen Fristablauf hinaus nicht verlängert wurden.

Die Beteiligte zu 2) (im Folgenden: Arbeitgeberin) betreibt mit 192 Arbeitnehmern (Stand November 2016) ein Theater in Berlin. Sie ist nicht tarifgebunden. Der Beteiligte zu 1) ist der für den Betrieb gewählte Betriebsrat (im Folgenden: Betriebsrat).

Die Arbeitsverhältnisse der künstlerisch beschäftigten Arbeitnehmer wurden parallel zu der Laufzeit des Vertrages mit dem Intendanten auf jeweils zwei Jahre befristet. Aufgrund eines Intendantenwechsels zum 31.07.2017 entschloss sich die Beklagte die Arbeitsverhältnisse von 43 der insgesamt 78 künstlerisch Beschäftigten über den vorgesehenen Fristablauf hinaus nicht fortzuführen, sondern an deren Stelle neue künstlerische Mitarbeiter einzustellen. Mit einem Teil dieser Mitarbeiter schloss die Beteiligte zu 2) als „Abwicklungsverträge“ bezeichnete Vereinbarungen, wonach das Arbeitsverhältnis aufgrund Befristungsablauf enden (§ 1), für den Verlust des Arbeitsplatzes eine Abfindung gezahlt werden (§ 2) und auf die Erhebung einer Befristungskontrollklage verzichtet werden solle (§ 5). Für die Einzelheiten dieser Vereinbarung wird auf Bl. 69 und 70 d.A. Bezug genommen.

Unzuständigkeit einer Einigungsstelle - Auslaufenlassen befristeter Arbeitsverträge
Symbolfoto: Mangostar/Bigstock

Im Hinblick auf diese personellen Veränderungen begannen die Betriebsparteien auf Aufforderung des Betriebsrats bereits 2016 mit Verhandlungen über den Abschluss eines Sozialplans. Diese Verhandlungen scheiterten im Ergebnis an den unterschiedlichen Vorstellungen der Betriebsparteien über die Höhe des bereitzustellenden Gesamtbudgets. Mit Beschluss vom 30.05.2017 erklärte der Betriebsrat die Verhandlungen für gescheitert und beauftragte seinen Verfahrensbevollmächtigten mit der Einleitung eines Verfahrens zur Einsetzung eines Einigungsstellenvorsitzenden (Bl. 31 d.A.).

Mit Beschluss vom 18.08.2017 hat das Arbeitsgericht den Antrag des Betriebsrats zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Einigungsstelle sei offensichtlich unzuständig, da weder eine Betriebsänderung iSv. § 111 BetrVG noch sozialplanpflichtige Entlassungen iSv. § 112a BetrVG vorliegen würden. Das Auslaufenlassen befristeter Arbeitsverträge stelle keine Betriebsänderung und auch keine Entlassung im Sinne dieser Norm dar. Auch aus dem Diskriminierungsverbot für befristet beschäftigte Arbeitnehmer lasse sich eine solche Sozialplanpflicht nicht ableiten.

Gegen diesen dem Betriebsrat am 25.08.2017 zugestellten Beschluss richtet sich seine Beschwerde, die er mit einem beim Landesarbeitsgericht am 05.09.2017 eingegangenen Schriftsatz eingelegt und zugleich begründet hat.

Der Betriebsrat vertritt im Beschwerdeverfahren weiterhin die Auffassung, die Einigungsstelle sei zuständig, jedenfalls sei sie nicht offensichtlich unzuständig. Der umfangreiche Austausch des künstlerischen Personals sei als Einschränkung eines wesentlichen Betriebsteils zu qualifizieren. In die Betrachtung seien die befristet beschäftigten Arbeitnehmer mit einzubeziehen, da deren Arbeitsverhältnisse aus betriebsbedingten Gründen, nämlich ausschließlich wegen des Intendantenwechsels nicht verlängert worden seien. Der Intendantenwechsel führe zudem zu einer grundlegenden Änderung der Betriebsorganisation bzw. des Betriebszwecks. Entscheidend für den Betriebszweck eines Theaters sei dessen künstlerische Ausprägung und Ausstrahlung. Die künstlerische Ausrichtung eines Theaters werde aber durch den Intendanten bestimmt und bei einem Intendantenwechsel entsprechend verändert. Der neue Intendant habe nicht nur ein völlig anderes künstlerisches Konzept, sondern auch ein völlig anderes organisatorisches Umsetzungskonzept als sein Vorgänger. Dies zeige sich schon darin, dass er die Arbeitsverhältnisse von 43 künstlerisch Beschäftigten nicht weiterführen wolle. Zumindest aber sei eine nicht unter die nicht abschließend aufgeführten Katalogfälle des § 111 S. 3 Nr. 1 – 5 fallende Betriebsänderung anzunehmen. Auch sei das Auslaufenlassen der befristeten Arbeitsverträge als Entlassung iSv. § 112a BetrVG zu qualifizieren. Hier sei zu berücksichtigen, dass es sich bei den als Abwicklungsvereinbarung bezeichneten Verträgen in Wahrheit um Aufhebungsverträge handeln würde.

Der Betriebsrat beantragt, den Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin, Aktenzeichen 29 BV 9313/17, vom 18.08.2017 abzuändern und zum Vorsitzenden einer Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand: Sozialplan für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, deren Arbeitsverhältnis mit der Beteiligten zu 2) mit Ablauf des 31.07. bzw. 31.12.2017 im Zusammenhang mit dem Ausscheiden des Herrn C. P. als Intendant der Beteiligten zu 2) endet, wird eingesetzt der Vorsitzende Richter am Arbeitsgericht Berlin, Herr F. Sch.. Die Anzahl der Beisitzer wird für jede Seite mit drei festgelegt.

Die Arbeitgeberin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Arbeitgeberin verteidigt den arbeitsgerichtlichen Beschluss mit Rechtsausführungen zur offensichtlichen Unzuständigkeit der Einigungsstelle. Eine Betriebsänderung im Sinne der §§ 111, 112a BetrVG liege nicht vor.

Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Vorbringen in dem mündlichen Anhörungstermin Bezug genommen.

2. Die gemäß § 100 Abs. 2 S. 2 ArbGG statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und begründete Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zu Recht von der Einsetzung eines Vorsitzenden einer Einigungsstelle abgesehen, weil diese für den beantragten Regelungsgegenstand offensichtlich unzuständig wäre.

2.1 Gemäß § 100 Abs. 1 S. 2 ArbGG kann der Antrag auf Errichtung einer Einigungsstelle nach § 76 Abs. 2 S. 2 und 3 BetrVG nur zurückgewiesen werden, wenn diese offensichtlich unzuständig ist. Dies ist anzunehmen, wenn bei fachkundiger Beurteilung durch das Gericht sofort erkennbar ist, dass ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats in der fraglichen Angelegenheit unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt in Frage kommt und sich die beizulegende Streitigkeit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat erkennbar nicht unter einen mitbestimmungspflichtigen Tatbestand des Betriebsverfassungsgesetzes subsummieren lässt (vgl. statt aller: GMP-Schlewing ArbGG 2017 § 100 Rz. 9 m.w.N.). Sinn der Regelung in Abs. 1 S. 1 ist es, in Zweifelsfällen der Einigungsstelle die Prüfung ihrer Zuständigkeit zu überlassen und so eine beschleunigte Durchführung des Einigungsstellenverfahrens zu ermöglichen (Koch Erf. Komm. § 100 ArbGG Rz. 3).

Dieser eingeschränkte Prüfungsmaßstab führt aber nicht dazu, dass eine Einigungsstelle, weil sie nicht „offensichtlich unzuständig“ wäre, stets dann schon einzusetzen wäre, wenn zwischen den Parteien auch oder nur eine Rechtsfrage im Streit steht. Die Rechtsfragen sind vom Gericht vielmehr „fachkundig“ dahin zu prüfen, ob der zur Entscheidung gestellte Sachverhalt unter Berücksichtigung der von den Parteien aufgeworfenen Rechtsfrage unter ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht fällt und ob bspw. die sonstigen formalen Voraussetzungen für ein Tätigwerden der Einigungsstelle überhaupt vorliegen. Das Gericht kann auch im Rahmen von § 100 ArbGG nicht von der ihm zukommenden Aufgabe absehen, eine diesbezügliche Prüfung vorzunehmen. Dies gilt insbesondere, wenn etwa höchstrichterlich bestimmte Rechtsfragen schon geklärt sind oder die Rechtsfragen vom Gericht eindeutig in dem Sinne zu beantworten sind, dass ein Mitbestimmungsrecht nicht in Betracht kommt oder beispielsweise eine Zuständigkeit eines der Beteiligten nicht gegeben ist. Bloße „Schwierigkeiten“ bei der Beurteilung einer Sach- und Rechtslage rechtfertigen nicht für sich genommen die Annahme, die Einigungsstelle sei nicht „offensichtlich unzuständig“.

2.2 Auch bei Anwendung dieses eingeschränkten Prüfungsmaßstabs war die Einigungsstelle nicht zu errichten, da sie offensichtlich unzuständig ist. Auf der Grundlage des von den Beteiligten vorgetragenen und unstreitigen Sachverhalts war eine Betriebsänderung iSd. §§ 111, 112a BetrVG, aus der sich Ansprüche des Betriebsrates auf Verhandlungen über einen Sozialplan hätten ergeben können, nicht zu bejahen.

2.2.1 Unstreitig beschäftigt die Arbeitgeberin mehr als 20 wahlberechtigte Arbeitnehmer (§ 111 Abs. 1 BetrVG). Insofern kann der Betriebsrat bei einer Betriebsänderung, die wesentliche Nachteile für die Belegschaft oder erhebliche Teile der Belegschaft zur Folge hat, gemäß § 112 Abs. 2 BetrVG die Einigungsstelle anrufen, wenn eine Einigung über einen Sozialplan nicht zustande kommt. Dass es sich bei der Arbeitgeberin um einen Tendenzbetrieb iSv § 118 BetrVG handelt, steht dem nicht entgegen. Nach § 118 Abs. 1 Satz 2 BetrVG sind die Regelungen in §§ 111- 113 BetrVG insoweit anzuwenden, als der Betriebsrat im Falle einer Betriebsänderung im Sinne dieser Vorschriften den Abschluss eines Sozialplans verlangen kann. Darauf hat der Betriebsrat seinen Antrag bei der Festlegung des Regelungsgegenstandes ausgerichtet.

2.2.2 Die hier zwischen den Beteiligten im Streit stehende Maßnahme, das Auslaufenlassen von 43 befristeten Arbeitsverträgen bei gleichzeitiger Neueinstellung anderer künstlerischer Beschäftigter im selben Umfang, stellt keine Betriebsänderung iSv. § 111 BetrVG dar. Weder ist damit eine geplante Betriebsstilllegung oder Betriebseinschränkung auch nicht unter dem Gesichtspunkt des reinen Personalabbaus, § 111 S. 3 Nr. 1, § 112 a BetrVG, noch eine grundlegende Änderung der Betriebsorganisation, § 111 S. 3 Nr. 4 BetrVG verbunden. Für eine Erweiterung des Katalogs nach § 111 S. 3 Nr. 1 – 5 BetrVG bietet diese Maßnahme keine hinreichenden Grundlagen.

2.2.2.1 Unzweifelhaft plant die Arbeitgeberin keine Betriebsstilllegung. Der Theaterbetrieb soll – wenn auch mit einem anderen Intendanten und teilweise anderen Künstlern – weiter geführt werden. Dementsprechend wurden auch die Arbeitsverhältnisse der nicht künstlerisch beschäftigten Mitarbeiter nicht aufgelöst und die Arbeitsverhältnisse eines Teils der künstlerisch Beschäftigten über den vorgesehenen Fristablauf hinaus weiter geführt.

2.2.2.2 Die geplante Maßnahme stellt auch keine Einschränkung von wesentlichen Betriebsteilen dar. Unter einer Einschränkung des Betriebes ist eine Herabsetzung der Leistungsfähigkeit des Betriebes zu verstehen, die sowohl durch eine Verringerung der sächlichen Betriebsmittel als auch durch eine Einschränkung der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer und damit der personellen Leistungsfähigkeit des Betriebes bedingt sein kann (BAG vom 28.04.1993 – 10 AZR 38/92 – NZA 1993, S. 1142; ErfK/Kania BetrVG § 111 Rnr. 11).

Eine solche Herabsetzung der Leistungsfähigkeit des Betriebes plant die Arbeitgeberin vorliegend nicht. Denn sie will den Theaterbetrieb gerade mit der gleichen Stärke weiterführen. Sie stellt für die ausscheidenden Mitarbeiter eine in etwa gleiche Zahl von neuen künstlerisch beschäftigten Mitarbeitern ein. Die personelle Leistungsfähigkeit bleibt damit erhalten.

2.2.2.3 Eine sozialplanpflichtige Betriebsänderung liegt im vorliegenden Fall auch nicht allein in der Entlassung von Arbeitnehmern (§ 111 S. 3 Nr. 1, § 112a Abs. 1, § 112 Abs. 4 und 5 BetrVG), weil die Arbeitgeberin die Arbeitsverhältnisse von 43 künstlerisch beschäftigten Arbeitnehmern über den vertraglich vorgesehenen Fristablauf nicht fortsetzt.

2.2.2.3.1 Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG v. 02.08.1983 – 1 AZR 516/81 – BAGE 43, 222-232; vom 28.03.2006 – 1 ABR 5/05 – BB 2006, 2084 – 2088), dass eine Betriebsänderung auch in einem bloßen Personalabbau liegen kann. Der Gesetzgeber hat diese Rechtsprechung in § 112 a Abs. 1 Satz 1 BetrVG bestätigt. Voraussetzung für die Annahme einer wesentlichen Einschränkung ist, dass der Personalabbau eine relevante Zahl von Arbeitnehmern erfasst. Besteht die geplante Betriebsänderung iSd. § 111 Satz 3 Nr. BetrVG allein in der Entlassung von Arbeitnehmern, ist ein Sozialplan nur dann erzwingbar, wenn die Zahlen von § 112a Abs. 1 BetrVG erreicht werden. Im Fall der hiesigen Arbeitgeberin, die unstreitig insgesamt 192 Arbeitnehmer beschäftigte, müssten gemäß § 112 a Abs. 1 Nr. 2 BetrVG mindestens 37 Arbeitnehmer „entlassen“ werden, wobei der Personalabbau auf einer einheitlichen unternehmerischen Planung beruhen muss (BAG v. 28.03.2006 – 1 ABR 5/05 – Rz. 18).

2.2.2.3.2 Die hier notwendigen Zahlen werden durch das „Auslaufenlassen“ der befristeten Arbeitsverträge indes nicht erreicht.

Bei der Überprüfung, ob eine erhebliche Personaleinschränkung im Sinne des § 111 Satz 1 BetrVG vorliegt, sind nur solche Arbeitnehmer zu berücksichtigen, die aus betriebsbedingten Gründen aus dem Betrieb ausscheiden. Diejenigen Arbeitnehmer, die aus personen- oder verhaltensbedingten Gründen entlassen werden oder deren Arbeitsverhältnis infolge Fristablaufs endet, bleiben nach ganz herrschender Meinung außer Betracht (BAG 02.08.1983 – 1 AZR 516/81 – AP BetrVG 1972 § 111 Nr. 12; LAG Berlin-Brandenburg 07.11.2006 – 1 TaBV 1310/16 juris; LAG Hamm 10.09.2010 – 10 TaBV 111/09; LAG Hessen 01.02.2001 – 3 Sa 565/00 – ZInsO 2001, 677; LAG Baden-Württemberg 27.09.2004 – 4 TaBV 3/04 – NZA-RR 2005, 195; Fitting § 111 Rz. 80; ErfK/Kania § 111 Rz. 9; Richardi/Annuß § 111 Rn. 78; GK/Oetker § 111 Rn. 78; a.A: DKKW/Däubler, § 111 Rn. 57; Matthes/MünchArbR, 3. Aufl., § 360 Rn. 35 nur bezogen auf § 111 BetrVG).

Dieser herrschenden Auffassung folgt auch die hiesige Kammer. Die bloße Nichtbesetzung frei gewordener Arbeitsplätze und die dadurch bewirkte Herabsetzung der Leistungsfähigkeit des Betriebes stellt regelmäßig keinen wesentlichen Nachteil für die noch vorhandene Belegschaft dar. Auch diejenigen Arbeitnehmer, die wegen Auslaufens ihrer zeitlich befristeten Arbeitsverhältnisse ausscheiden, erleiden jedenfalls keinen gerade auf die unternehmerische Betriebsplanung zurückzuführenden Nachteil. Die befristet eingestellten Mitarbeiter verlieren ihren Arbeitsplatz wegen der bereits bei Einstellung abgeschlossenen Befristung, nicht aufgrund einer neuen Planung seitens des Arbeitgebers. Der Arbeitgeber, der befristet abgeschlossene Arbeitsverträge nicht verlängert, nutzt lediglich die natürliche Fluktuation im Betrieb. Der Verlust des Arbeitsplatzes eines befristet eingestellten Mitarbeiters ist kein durch die unternehmerische Betriebsplanung bedingter Nachteil (BAG 02.08.1983 – 1 AZR 516/81 – Rz. 26; LAG Hamm 10.09.2010 – 10 TaBV 111/09).

Auch im vorliegenden Fall endeten die Arbeitsverhältnisse aufgrund einer im Zeitpunkt des Abschlusses des Vertrages vorgesehenen und vereinbarten Befristung, nicht aber erst aufgrund des späteren Entschlusses der Arbeitgeberin mit dem eingetretenen Intendantenwechsel nach Ablauf der Befristung die Arbeitsverhältnisse einzelner Arbeitnehmer nicht erneut abzuschließen. Zwischen den Beteiligten war unstreitig, dass es für die Beendigung der Arbeitsverhältnisse nicht der im Geltungsbereich des Tarifvertrages NV Bühne sonst üblichen „Nichtverlängerungsmitteilung“ bedurfte. Insofern unterscheidet sich der vorliegende Fall auch nicht maßgeblich von dem vom BAG entschiedenen Sachverhalt. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses tritt zunächst allein durch Fristablauf ein. Die Arbeitgeberin hat nur die Entscheidung getroffen, keine weiteren neuen befristeten Arbeitsverträge abzuschließen. Dahinstehen kann in diesem Zusammenhang im Hinblick auf die Regelungen der § 17 TzBfG, §§ 5,7 KSchG, ob die Befristungen – wie vom Betriebsrat geltend gemacht – mangels sachlichen Grunds zunächst unwirksam gewesen wären.

Entgegen der Auffassung des Betriebsrates musste hier auch nicht deshalb die Einigungsstelle eingesetzt werden, weil diese Rechtsfrage streitig wäre, mit der Folge, dass eine offensichtliche Unzuständigkeit der Einigungsstelle nicht zu bejahen wäre. Abgesehen davon, dass das Bundesarbeitsgericht bereits in seiner vom Arbeitsgericht zitierten Entscheidung vom 02.08.1983 (1 AZR 516/81 – BAGE 43, Seite 222 – 232) die befristeten Arbeitsverträge bei der Betrachtung der maßgeblichen Zahlen außerachtgelassen hat, damit bereits eine höchstrichterliche Klärung der Streitfrage, vorliegt, wird die Einbeziehung dieser Arbeitsverträge in die Zahlen nach § 111 bzw. § 112a BetrVG umfassend abgelehnt. Für die hier vorgenommene Auslegung spricht die gesetzliche Regelung in § 112 a Abs. 1 Satz 2 BetrVG. Der Gesetzgeber hat nämlich in Kenntnis der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts vom 02.08.1983 mit der Einführung von § 112 a BetrVG die Beendigung durch Aufhebungsverträge der Entlassung gleichgestellt, nicht aber das Auslaufenlassen befristeter Arbeitsverträge.

2.2.2.3.3 Dahinstehen kann auch, ob die von der Arbeitgeberin mit einem Teil der Arbeitnehmer abgeschlossenen Abwicklungsverträge – wie vom Betriebsrat vertreten – als Aufhebungsverträge zu qualifizieren sind. Dagegen sprechen allerdings die im Abwicklungsvertrag getroffenen Regelungen. § 1 des Abwicklungsvertrages, wonach das Arbeitsverhältnis zum vorgesehenen Fristablauf enden sollte, erweist sich nämlich gerade nicht als konstitutiver Beendigungstatbestand. Andernfalls hätte es der Vereinbarung über den Klageverzicht nach § 4 der Abwicklungsvereinbarung nicht bedurft. Vielmehr zeigt das Zusammenspiel dieser Regelungen, dass es vorliegend darum ging, den im Arbeitsvertrag bereits vereinbarten Beendigungstatbestand des Fristablaufs zu wiederholen, verbunden mit dem Klageverzicht, der dann dazu führt, dass mit Ablauf der 3-Wochenfrist die Befristung als rechtswirksam vereinbart gilt, unabhängig davon ob ihr irgendwelche Rechtsfehler anhaften.

Jedenfalls aber lassen sich die nach § 112a BetrVG erforderlichen Zahlen in Bezug auf die Abwicklungsverträge schon nicht feststellen. Im Laufe der Verhandlung ist nämlich deutlich geworden, dass die Arbeitgeberin nicht etwa mit sämtlichen 43 Arbeitnehmern solche Abwicklungsverträge abgeschlossen hat, sondern nur mit etwa der Hälfte dieser Arbeitnehmer, die anderen ohne Abwicklungsverträge aus dem Betrieb ausgeschieden sind. Da aber bei 192 Arbeitnehmern zumindest 37 Arbeitnehmer entlassen werden müssen, kann damit schon die Zahl nach § 112a BetrVG nicht erreicht werden.

2.2.2.4 Auch eine grundlegende Änderung der betrieblichen Organisation oder des Betriebszwecks durch den Intendantenwechsel ist vorliegend nicht erkennbar. Eine Änderung der Betriebsorganisation liegt vor, wenn der Betriebsablauf insbesondere hinsichtlich Zuständigkeit und Verantwortung umgewandelt wird (BAG vom 31.01.2008 – 8 AZR 1116/06 – juris Rz. 50). Solche Änderungen treten aber allein durch den Wechsel der Person des Intendanten nicht ein. Die organisatorischen Strukturen bleiben dadurch unberührt. Dies findet seinen Niederschlag auch darin, dass die nicht künstlerisch beschäftigten Arbeitnehmer bei der Arbeitgeberin weiterhin beschäftigt bleiben. Soweit mit dem Intendantenwechsel ein Austausch weiterer Arbeitnehmer z.B. der Dramaturgen etc. erfolgt, verändern sich auch dadurch nicht die organisatorischen Strukturen als solches, sondern nur die Personen, die in dieser Organisation tätig werden.

Der Intendantenwechsel und der damit einhergehende Austausch von künstlerisch beschäftigten Arbeitnehmern führen weiterhin nicht zu einer Änderung des Betriebszwecks. Die Arbeitgeberin betreibt ein Theater, in dem neben Werken von Berthold Brecht aktuelle Stoffe und zeitgenössische Stücke lebender Autoren gezeigt werden (vgl. die Darstellung unter www.berliner-bühnen.de) Daran hat sich durch den Intendantenwechsel nichts geändert. Auch jetzt werden ausweislich des Spielplans 2017/2018 Theaterstücke aufgeführt, u.a. von Berthold Brecht und anderen Autoren. Die Änderung eines Theaterstücks aber führt nicht zu einer Änderung des Betriebszwecks. Vielmehr ist es Inhalt des Betriebszwecks eines Theaters, dass sich die Stücke, die Schauspieler und die Regisseure im Laufe der Spielzeiten verändern, um das angesprochene Publikum nach wie vor zum Besuch des Theaters zu bewegen.

2.2.3. Dahinstehen kann, ob es – wie vom Betriebsrat geltend gemacht – außerhalb der in § 111 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 – 5 aufgeführten Tatbestände weitere Sachverhalte gibt, die als Betriebsänderungen qualifiziert werden könnten. Denn auch wenn der Katalog in § 111 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 – 5 BetrVG die Betriebsänderung nicht abschließend regeln würde (streitig vgl. Ricardi BetrVG/Annuß BetrVG § 111 Rnr. 41 – 44 m.w.N.) , lässt sich die vorliegende zwischen den Parteien im Streit stehende Maßnahme nicht unter eine „sonstige Betriebsänderung“ subsummieren. Im Ergebnis geht es um die Frage, ob das Auslaufenlassen befristeter Arbeitsverträge als „Entlassung“ zu qualifizieren ist. Die Entlassung selbst wird aber von der gesetzlichen Regelung in §§ 111 Satz 1 Nr. 1, 112a BetrVG erfasst. Zwischen den Betriebsparteien steht nur im Streit, ob die vom Gesetz für eine sozialplanpflichtige Betriebsänderung aufgestellten Voraussetzungen vorliegen. Die fehlenden Voraussetzungen können nicht durch eine Ergänzung des Katalogs in § 111 BetrVG herbeigeführt werden.

3. Die Zuständigkeit der Einigungsstelle lässt sich auch nicht mit § 4 Abs. 2 TzBfG begründen. Wie das Arbeitsgericht bereits zutreffend ausgeführt hat, geht es vorliegend nicht darum, befristet beschäftigte Arbeitnehmer von einem bestehende Abfindungsanspruch auszuschließen, sondern allein um die Frage, ob der Tatbestand der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses aufgrund Fristablaufs bei Zahlen zu berücksichtigen sind, die erst die Verhandlungen über einen Sozialplan im Rahmen einer Einigungsstelle ermöglichen. Insofern ist weder die vom Betriebsrat zitierte Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts noch die des Europäischen Gerichtshofs einschlägig. In beiden Entscheidungen ging es um die Frage, ob von bestehenden Ansprüchen befristet beschäftigte Arbeitnehmer ausgeschlossen werden können.

4. Lässt sich aber die hier im Streit stehende Maßnahme unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einer sozialplanpflichtigen Maßnahme nach §§ 111, 112a BetrVG zuordnen, erweist sich die vom Betriebsrat begehrte Einigungsstelle als offensichtlich unzuständig. Der Antrag des Betriebsrats war daher zurückzuweisen.

Die Entscheidung ergeht gemäß § 2 Abs. 2 GKG iVm. § 2a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG gerichtskostenfrei.

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