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Urlaubsabgeltung bei mutterschutzrechtlichem Beschäftigungsverbot

LAG Thüringen, Az.: 4 Sa 91/14, Urteil vom 25.03.2015

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Erfurt vom 05.03.2014 – Az.: 4 Ca 1834/13 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Der Tenor des arbeitsgerichtlichen Urteils wird zur Klarstellung wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.400,80 Euro brutto zu zahlen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten an die Klägerin 1.400,80 Euro brutto als Urlaubsabgeltung für 17 Urlaubstage zu zahlen.

Die Klägerin war bei der Beklagten seit dem 01.07.2008 als Operator zu einem Bruttomonatsgehalt von 1.790,00 Euro beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat im Laufe des Rechtsstreites sein Ende gefunden.

Zu Beginn des Jahres 2013 hatte die Klägerin zur Erstellung der betrieblichen Jahresurlaubsplanung ihre Urlaubswünsche für das Jahr 2013 mitgeteilt, wobei ihr u. a. am 11. und 12.07.2013, vom 19. – 30.08.2013 und vom 21. – 25.10.2013 Urlaub gewährt werden sollte. Aufgrund des tätigkeitsbedingt verbundenen Umgangs mit potentiell infektiösem Blut und Plasma und der fehlenden Möglichkeit zur Umgestaltung ihres Arbeitsplatzes erteilte die Beklagte wegen des erhöhten Gesundheitsrisikos für sie und ihr ungeborenes Kind der zu diesem Zeitpunkt schwangeren Klägerin auf der Grundlage von § 4 der Verordnung zum Schutz der Mütter am Arbeitsplatz i. V. m. § 4 MuSchG ein Beschäftigungsverbot ab dem 05.06.2013 bis zum Beginn der Mutterschutzfrist und nach § 3 Abs. 2 MuSchG teilte ihr zugleich mit, dass das Beschäftigungsverbot unter Anrechnung auf die bewilligten Urlaubstage vom 11. bis 12.07.2013, vom 19.08.2013 – 30.08.2013, vom 21.10. 2013- 25.10.2013 und am 24.12.2013 erfolge.

Urlaubsabgeltung bei mutterschutzrechtlichem Beschäftigungsverbot
Symbolfoto: Von NAR studio /Shutterstock.com

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die für das Jahr 2013 noch ausstehenden Urlaubstage seien nicht auf das Beschäftigungsverbot anzurechnen. Nach § 17 MSchG könne nicht in Anspruch genommener Resturlaub nach der Beschäftigungszeit im laufenden oder im nächsten Urlaubsjahr beansprucht werden, zudem habe die Beklagte die Urlaubstage auch noch nicht definitiv bewilligt gehabt. Die Beklagte hat behauptet, in ihrem Blutspendezentrum in Erfurt, sei der Urlaubsplan für das Jahr 2013 durch die zuständige Zentrumsmanagerin am 13.02.2013 im Wege eines Freigabevermerks mit Unterschrift freigegeben worden. Am 20.02.2013 sei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der fertig gestellte Urlaubsplan bekannt gegeben sowie dessen verbindliche Freigabe mitgeteilt worden. Damit habe sie den Urlaub festgelegt und erteilt. Mit der Festlegung der Arbeitsbefreiung für den Urlaub habe sie auch die ihr gem. § 243 Abs. 2 BGB als Schuldnerin des Urlaubsanspruchs obliegende Leistungshandlung vorgenommen. Der hiermit bezweckte Leistungserfolg sei trotz des ab dem 15.06.2013 ausgesprochenen mutterschutzrechtlich gebotenen tätigkeits- bzw. arbeitsplatzbezogenen Beschäftigungsverbotes auch eingetreten. Die dem zu Grunde liegenden Beschränkungen hätten die Klägerin nicht gehindert, ihren Erholungsurlaub selbst zu gestalten und in Anspruch zu nehmen.

Wegen des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien im Übrigen, der vom Arbeitsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen und der gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils (Bl. 116 f d. A.) Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen.

Gegen dieses ihr am 15.03.2014 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit einem per Telefax am 11.04.2014 beim Thüringer Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese nach – rechtzeitiger beantragter – Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 16.06.2014 mit einem am 13.06.2014 per Telefax eingegangenen Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten begründet.

Hierin macht die Beklagte unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens geltend, der Urlaubsplan 2013 sei als verbindliche Urlaubserteilung anzusehen gewesen. Sei der Urlaubsanspruch der Klägerin aber durch die verbindliche Genehmigung bereits erfüllt oder allein wegen des Beschäftigungsverbotes nicht mehr erfüllbar gewesen, bleibe für die Anwendung von § 17 S. 2 MSchG kein Platz. Im Übrigen betreffe die Rechtssprechung des Bundesarbeitsgerichts und des EuGH nur individuelle und generelle Beschäftigungsverbote i. S. d. § 3 MSchG, also Fällte in denen die Arbeitnehmerin ihren Urlaubsanspruch nicht selbst bestimmt verwirklichen könne. Anders sei die Rechtslage jedoch, wenn der Urlaubsanspruch realisiert werden könne, was bei einem arbeitsplatzbezogenen individuellen Beschäftigungsverbot gem. § 4 MSchG gerade der Fall sei. Im Übrigen sei die Freistellungserklärung für den Erholungsurlaub auch der nach § 4 MSchG zeitlich voraus gegangen. Für einen Zeitraum, für den die Freistellung von der Arbeitspflicht bereits verbindlich erklärt worden sei, könne danach nicht eine weitere Freistellung von der Arbeitspflicht erfolgen, da ja für den entsprechenden Zeitraum keine Arbeitspflicht mehr bestehe.

Wegen des Vorbringens der Beklagten in der Berufungsinstanz im Übrigen wird auf den Inhalt des Berufungsbegründungsschriftsatzes vom 13.06.2014 (Bl. 154 – 163 d. A.) sowie ihrer Schriftsätze vom 15.10.2014 nebst Anlagen (Bl. 180 – 192 d. A.), vom 06.01.2015 (Bl. 204 d. A. – 206 d. A.), vom 19.02.2015 (Bl. 213 – 215 d. A.) sowie vom 18.03.2015 (Bl. 222 f d. A.) ergänzend Bezug genommen.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Arbeitsgericht Erfurt vom 05.03.2014, Az.: 4 Ca 1834/13 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt das erstinstanzliche Urteil als rechtsfehlerfrei und bestreitet mit Nichtwissen, dass nachträgliche Änderungen von der Urlaubsplanung auf Wunsch der Arbeitnehmer erfolgt seien. Mit der Freigabe der Urlaubsplanung sei auch nicht gleichzeitig die Gewährung des Urlaubs erfolgt, vielmehr sei in den Teambesprechungen, die regelmäßig stattfinden, seitens der Leitung in regelmäßigen Abständen darauf hingewiesen worden, dass ca. 2 Wochen vor Antritt des gewährten Urlaubs ein Urlaubsantrag zu stellen sei, da ansonsten eine eigenmächtige Urlaubsnahme vorliege. Auch der Arbeitsvertrag fordere im Übrigen die schriftliche Zustimmung des Arbeitgebers zur Urlaubsnahme. Eine Freistellung von der Arbeitspflicht sei vorliegend nicht möglich gewesen, da sie nach § 3 MSchG schon kraft Gesetzes erfolgt sei. Habe aber keine Arbeitspflicht bestanden, habe auch keine Urlaubsgewährung durch Freistellung erfolgen können.

Wegen des Vorbringens der Klägerin in der Berufungsinstanz im Einzelnen wird auf den Inhalt des Berufungserwiderungsschriftsatzes vom 13.08.2014 nebst Anlagen (Bl. 172 – 175 d. A.) sowie ihres Schriftsatzes vom 03.03.2015 (Bl. 219 f d. A.) ergänzend Bezug genommen. Die Klägerin hat mit Zustimmung der Beklagten ihre Klage im Hinblick auf ihr Ausscheiden aus dem Betrieb dahingehend geändert, die Beklagte zur Zählung von 1400,80 € brutto zu verurteilen.

Entscheidungsgründe

Die nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes statthafte, form und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung ist zulässig. Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das Arbeitsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben. Das Arbeitsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt, für die Urlaubstage, die in die Zeit des Beschäftigungsverbotes der Klägerin gefallen seien, sei eine Erfüllung des Urlaubsanspruchs nicht eingetreten, da zu diesen Zeiten keine Pflicht zur Arbeitsleistung bestanden habe. Auf Grund des Beschäftigungsverbotes habe für die Klägerin für die ihr im Rahmen des Direktionsrechts zugewiesenen Tätigkeiten im Blutspendebereich keine Verpflichtung zur Arbeitsleistung bestanden. Eine Ersatztätigkeit sei der Klägerin nicht zugewiesen worden, so dass eine urlaubsbedingte Freistellung von der Verpflichtung zur Ersatztätigkeit ebenso wenig habe erfolgen können. Die Beklagte sei auch nicht gem. § 275 BGB von der Erfüllung ihrer Pflicht zur Urlaubsgewährung frei geworden, da § 17 MuSchG eine abweichende Risikoverteilung vornehme. Für den Fall, dass der von Klägerin beantragte Urlaub von der Beklagten durch die Freigabe des Urlaubsplanes bereits verbindlich genehmigt worden wäre, hätten zwar die Voraussetzungen des § 275 BGB Vorgelegen, da die Nichterfüllung des Urlaubsanspruches von der Beklagten nicht zu vertreten gewesen sei. § 17 MuSchG sehe jedoch als Sonderregelung den Fortbestand des Urlaubsanspruchs und in Abweichung von den Befristungsregelungen im § 7 Abs. 3 BUrlG die Übertragung auf das laufende Jahr nach Beendigung des Beschäftigungsverbotes sowie das darauffolgende Jahr vor. Dabei sei es unerheblich, ob bei der Beklagten die Möglichkeit bestanden habe, die Klägerin während des Beschäftigungsverbotes für ihre ursprüngliche Tätigkeit auf einem Ersatzarbeitsplatz weiter zu beschäftigen, da § 17 MuSchG eine derartige Differenzierung nicht vorsehe.

Dieser Auffassung schließt sich die erkennende Kammer im Ergebnis an. Die Klägerin war gemäß § 264 Nr. 3 ZPO wegen der zwischenzeitlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses berechtigt, ihren Antrag zu ändern und statt der ursprünglich begehrten Feststellung nunmehr einen Leistungsantrag zu stellen. da die Beklagte ihr zugestimmt hat. Dementsprechend hat die Klägerin Anspruch auf Abgeltung der noch offenen 17 Resturlaubstage in rechnerisch unstreitiger Höhe von 1.400,80 Euro brutto.

Die Beklagte geht zwar im Ausgangspunkt zutreffend im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts davon aus, dass sie mit der Freigabe des Urlaubs spätestens am 20.02.2013 ihre Erfüllungshandlung i. S. d. § 243 Abs. 1 BGB erbracht hat und es dementsprechend für die zuvor beantragte und hiermit genehmigte Urlaubserteilung keiner erneuten Befreiung von der Arbeitspflicht mehr bedurft hätte. Zutreffend ist auch der Hinweis der Berufung, dass die Erfüllung des Urlaubsanspruchs auf Grund der Schwangerschaft der Klägerin mit der gesetzlich angeordneten Folge des Beschäftigungsverbotes unmöglich geworden ist, §§ 275Abs. 1, 243 BGB (BAG Urteil v. 09.08.1994 – 8 AZR 384/92 – AP Nr. 19 zu § 7 BUrlG). Die Beschäftigungsverbote nach § 3 S. 1 MSchG und nach § 4 MSchG verbieten dem Arbeitgeber zwar nicht generell jede Beschäftigung, sondern nur eine Beschäftigung mit den im Einzelfall oder allgemein als gefährdend beurteilten Tätigkeiten. Der Arbeitgeber ist danach berechtigt und verpflichtet, eine Gefährdungsbeurteilung gem. § 1 Abs. 1 S. 1 Mutterschutzverordnung durchzuführen und nach § 3 Abs. 1 Mutterschutzverordnung die Arbeitsbedingungen so umzugestalten, dass eine gefahrlose Beschäftigung möglich wird. Ist dies nicht möglich, ist nach § 3 Abs. 2 Mutterschutzverordnung als zweiter Schritt ein Arbeitsplatzwechsel zu prüfen. Nur wenn auch hierdurch die Gefahr nicht ausgeschlossen werden kann oder unzumutbar ist, greift nach § 3 Abs. 2 Mutterschutzverordnung als ultima ratio ein Beschäftigungsverbot ein. Vorliegend hat die Beklagte unbestritten vorgetragen, dass ihr die Beschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz nicht möglich war so dass die Arbeitspflicht durch das öffentlich rechtliche Beschäftigungsverbot suspendiert wurde. Auch wenn die Beklagte entsprechend ihrem Vortrag die ihr als Schuldnerin des Urlaubsanspruchs obliegende Leistungshandlung erfüllt hatte, konnte der geschuldete Leistungserfolg nicht mehr eintreten.

Die Beklagte stützt ihre gegenteilige Auffassung zu Unrecht auf die zitierte Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts. Entgegen dieser Entscheidung, die durch die gesetzliche Neuregelung durch das 2. Gesetz zur Änderung des Mutterschutzrechts vom 16.06.2002 und die hierin enthaltenen Neuregelung im § 17 Satz 2 MSchG überholt ist (Düwell, Vereinbarkeit von Familie und Beruf Kapitel 5.23 Rn. 12), wird der Arbeitgeber bei einem nachträglichen Eintritt eines Beschäftigungsverbotes während des festgelegten Urlaubszeitraumes von seiner Leistungspflicht nämlich gemäß § 17 Satz 2 MSchG nicht mehr frei, vielmehr hat das Arbeitsgericht zutreffend angenommen, dass der Gesetzgeber durch § 17 S. 2 MSchG das Risiko der Leistungsstörung, auch eines in den festgelegten Urlaubszeitraum fallenden Beschäftigungsverbots dem Arbeitgeber auferlegt hat (Düwell a. a. O.).

Dementsprechend war die Berufung der Beklagten mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben, § 72 Abs.2 ArbG.

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