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Urlaubsabgeltung bei Nichtfortsetzung Arbeitsverhältnis im Anschluss an Elternzeit

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz – Az.: 6 Sa 361/19 – Urteil vom 12.05.2020

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 05. September 2019 – 2 Ca 318/19 – unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert und der Klarstellung halber insgesamt wie folgt neu gefasst:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 23.741,64 Euro brutto zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 16. März 2019.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz tragen der Kläger zu 1 % und die Beklagte zu 99 %.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers auf Urlaubsabgeltung.

Der Kläger war ab 20. September 2010 bei der Beklagten, die ein Unternehmen im Bereich Kultur- und Rohrleitungsbau betreibt, als Arbeiter beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis finden kraft Allgemeinverbindlichkeitserklärung der Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe, zuletzt idF. vom 28. September 2018 (im Folgenden BRTV Bau), sowie der Tarifvertrag über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe, zuletzt idF. vom 28. September 2018 (im Folgenden: VTV) Anwendung. Zuletzt betrug der Stundenlohn des Klägers 13,50 Euro brutto.

Ab dem 21. Dezember 2012 befand sich der zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtete Kläger in Elternzeit. Mit Schreiben vom 18. November 2012 hatte er die Beklagte zuvor um Mitteilung gebeten, inwieweit der Resturlaub aus 2012 in Anspruch genommen werden könne. Die Beklagte teilte dem Kläger mit Schreiben vom 28. November 2012 (Bl. 38 d. A.) mit, aufgrund der Auftragslage könne der Urlaub aus betrieblichen Gründen nicht bis zum Beginn der Elternzeit in natura gewährt werden und werde ihm bis zum Beginn der Elternzeit ausgezahlt. Wegen der genauen Formulierung des Schreibens wird auf den Akteninhalt Bezug genommen. In der Folge zahlte die Beklagte dem Kläger das Urlaubsentgelt für das Jahr 2012. Für die Jahre 2013 bis 2018 hat die Beklagte keine Zahlungen zugunsten des Klägers an die Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft (ULAK) erbracht.

Der Kläger kündigte das Arbeitsverhältnis zum 20. Dezember 2018, dem Ende der Elternzeit. Im Anschluss an die Beschäftigung bei der Beklagten wurde er nicht mehr im Bauhauptgewerbe, sondern in einer Spedition der Logistikbranche als Fahrer tätig. Er forderte die Beklagte mit außergerichtlichem Schreiben vom 26. Februar 2019 erfolglos zur Zahlung von 24.165,00 Euro brutto Urlaubsabgeltung nebst Urlaubsgeld für 179 Urlaubstage aus den Jahren 2013 bis 2018 bis 15. März 2019 auf. Mit am 03. April 2019 beim Arbeitsgericht Trier eingegangener Klage vom 01. April 2019 hat der Kläger den Anspruch gerichtlich verfolgt.

Der Kläger hat erstinstanzlich im Wesentlichen geltend gemacht, ihm stehe aus den Jahren 2013 bis 2018 für 179 Urlaubstage (je 30 Urlaubstage für die Jahre 2013 bis 2017, 29 Urlaubstage für 2018) jeweils ein Anspruch auf 108,00 Euro brutto Urlaubsentgelt (8 h x 13,50 Euro brutto) nebst 25 % tariflichem Urlaubsgeld, pro Tag 135,00 Euro brutto, insgesamt 24.165,00 Euro brutto zu. Zuletzt hat der Kläger für 2018 nur noch 28 Urlaubstage verlangt und die Klagesumme im Kammertermin vor dem Arbeitsgericht entsprechend reduziert. Eine Kürzungserklärung nach § 17 BEEG habe die Beklagte nicht abgegeben. Angesichts der besonderen Verfallfrist in § 8 Nr. 7 BRTV Bau seien die Ansprüche nicht verfallen; § 14 BRTV Bau sei ausgeschlossen, im Übrigen aber auch gewahrt.

Der Kläger hat zuletzt unter Teilklagerücknahme im Übrigen beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 24.030,00 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 15. März 2019 zu zahlen.

Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat erstinstanzlich mit Schriftsatz vom 25. Juni 2019 die Einrede der Verjährung hinsichtlich der Ansprüche bis einschließlich 2015 erhoben und im Wesentlichen vorgetragen, sie habe mit dem Schreiben vom 28. November 2012 von der Kürzungsmöglichkeit nach § 17 BEEG Gebraucht gemacht. Mangels offenen Urlaubsanspruchs sei kein Urlaub auf die Zeit nach Beendigung der Elternzeit übertragen worden. Ungeachtet dessen seien die Ansprüche nach § 8 BRTV Bau verfallen. Der Anspruch bestehe auch nicht ihr gegenüber, sondern gegenüber der Urlaubs- und Lohnausgleichskasse. Die Ansprüche seien überdies nach § 14 BRTV Bau verfallen, da die zweimonatige Ausschlussfrist am 21. Dezember 2018 begonnen und am 21. Februar 2019 geendet habe, der Anspruch jedoch erstmals am 26. Februar 2019 geltend gemacht worden sei.

Das Arbeitsgericht hat die Beklagte mit Urteil vom 05. September 2019 (Bl. 48 ff. d. A.) zur Zahlung von 24.030,00 Euro brutto verurteilt. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger habe Anspruch auf die geltend gemachte Zahlung gemäß § 17 Abs. 3 BEEG, da das Arbeitsverhältnis im Anschluss an die Elternzeit nicht fortgesetzt worden sei. Die Beklagte habe mit dem Schreiben vom 28. November 2012 keine Kürzung des Urlaubsanspruchs nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG vorgenommen. Das Schreiben beziehe sich ausweislich seiner Überschrift und seiner Formulierung ausschließlich auf den Jahresurlaub 2012. Den Urlaubsabgeltungsanspruch habe die Beklagte nicht mehr kürzen können. Der Urlaubsanspruch sei nicht nach § 7 Abs. 3 BUrlG verfallen, da das gesetzliche Fristenregime des § 7 Abs. 3 BUrlG angesichts des differenzierten Fristenregimes des BEEG während der Elternzeit nicht gelte. Gleiches gelte für einen Verfall nach § 8 Nr. 7 BRTV Bau. Dem Anspruch stehe auch nicht die tarifliche Ausschlussfrist des § 14 BRTV Bau entgegen, da der Anspruch auf Urlaubsabgeltung nach § 8 Nr. 4.4 iVm. § 5 Nr. 7.2 BRTV Bau erst zum 15. Januar 2019 fällig geworden sei und damit die schriftliche Geltendmachung seiner Ansprüche am 26. Februar 2019 noch innerhalb der zweimonatigen Ausschlussfrist erfolgt sei. Der Anspruch sei auch nicht verjährt, da die regelmäßige Verjährungsfrist nicht vor dem 31. Dezember 2018 begonnen habe. Er richte sich auch nicht gegen die Urlaubskasse, sondern gegen die beklagte Arbeitgeberin, da diese unstreitig keine Beiträge für Urlaubsansprüche an die Kasse abgeführt habe. Insgesamt stehe dem Kläger für die Jahre 2013 bis 2017 jeweils Urlaubsabgeltung für 30 Urlaubstage und für das Jahr 2018 anteilig für 29 Urlaubstage, daher 28 Urlaubstage, insgesamt daher für 178 Urlaubstage im Wert von 19.224,00 Euro brutto zu. Der Kläger könne darüber hinaus nach § 8 Nr. 4.1 BRTV Bau hiervon 25 %, dh. 4.806,00 Euro brutto Urlaubsgeld verlangen, welches nach § 8 Nr. 4.1 Satz 3 BRTV Bau zur Urlaubsvergütung zähle. Wegen der weiteren Einzelheiten der Entscheidungsgründe wird auf Bl. 51 ff. d. A. Bezug genommen.

Die Beklagte hat gegen das ihr am 18. September 2019 zugestellte Urteil mit am gleichen Tag beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz vom 08. Oktober 2019 Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 14. November 2019, bei Gericht eingegangen am 15. November 2019, begründet.

Sie macht zur Begründung ihrer Berufung nach Maßgabe ihrer Berufungsbegründungsschrift vom 14. November 2019 (Bl. 73 ff. d. A.), hinsichtlich deren weiteren Inhaltes ergänzend auf den Akteninhalt Bezug genommen wird, zweitinstanzlich im Wesentlichen geltend,

das Arbeitsgericht habe bei der Auslegung der Erklärung vom 28. November 2012 verkannt, dass dem Schreiben konkludent zu entnehmen sei, dass sie lediglich bereit sei, den Urlaub bis zum Beginn der Elternzeit abzugelten. Hinsichtlich zukünftiger Ansprüche sei von der Kürzungsmöglichkeit Gebraucht gemacht worden. Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüche seien gemäß § 8 Nr. 7 BRTV Bau verfallen. Auch finde § 14 BRTV Bau Anwendung. Als reiner Geldanspruch entstehe der Abgeltungsanspruch mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und werde nach § 271 BGB sofort fällig. Damit sei die Zwei-Monats-Frist des § 14 BRTV Bau nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 21. Dezember 2018 durch das außergerichtliche Schreiben vom 26. Februar 2019 nicht gewahrt worden. Das erstinstanzliche Gericht verkenne dies, wenn es davon ausgehe, dass der Urlaubsabgeltungsanspruch nach §§ 8, 5 BRTV Bau erst am 15. des Folgemonats fällig geworden sei. Seine anderslautende Wertung sei unzutreffend, da die Formulierung „spätestens“ in § 5 Nr. 7.2 BRTV Bau eine frühere Zahlung nicht ausschließe. Vorsorglich werde die Einrede der Verjährung, der Verwirkung und des Verfalls sämtlicher Urlaubsansprüche nach § 7 Abs. 3 BUrlG erhoben.

Die Beklagte beantragt, unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Trier vom 05. September 2019 – 2 Ca 318/19 – die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe seiner Berufungserwiderung vom 20. November 2019 (Bl. 84 ff. d. A.), hinsichtlich deren weiteren Inhaltes ergänzend auf den Akteninhalt Bezug genommen wird, und trägt zweitinstanzlich im Wesentlichen vor, da sich die Beklagte nicht ausreichend mit den Ausführungen des Arbeitsgerichts auseinandersetze, sei die Berufung bereits unzulässig. Das Arbeitsgericht habe frei von Rechtsfehlern entschieden, dass dem Kläger der geltend gemachte Urlaubsabgeltungsanspruch zustehe. Dem Schreiben vom 28. November 2012 sei für einen objektiven Empfänger nicht zu entnehmen gewesen, dass die Beklagte Urlaubsansprüche für die Elternzeit habe kürzen wollen. Zutreffend habe das Arbeitsgericht entschieden, dass die Sonderregelungen des BEEG § 8 Nr. 7 BRTV Bau vorgingen. Zutreffend sei auch, dass die Ausschlussfrist des § 14 BRTV Bau gewahrt sei, da der Urlaubsabgeltungsanspruch als reiner Geldanspruch denselben tariflichen Bedingungen unterfalle, wie alle übrigen Ansprüche, dass er jedoch gemäß § 8 Nr. 4.4 iVm. § 5 Nr. 7.2 BRTV Bau erst zum 15. des Folgemonats fällig geworden sei. § 8 Nr. 4.4 BRTV Bau regele insoweit eine abweichende Fälligkeitsregelung. Im Übrigen sei die Ausschlussfrist des § 14 BRTV Bau gemäß § 8 Nr. 7 BRTV ohnehin ausgeschlossen. Verjährung sei aus den vom Arbeitsgericht zutreffend erkannten Gründen nicht eingetreten.

Im Übrigen wird hinsichtlich des Sach- und Streitstandes zweiter Instanz ergänzend auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

A

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, in der Sache jedoch überwiegend nicht erfolgreich.

I.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Sie ist statthaft (§ 64 Abs. 2 Buchstabe b ArbGG), wurde von der Beklagten nach Zustellung des erstinstanzlichen Urteils am 18. September 2019 mit am gleichen Tag beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz vom 08. Oktober 2019 form- und fristgerecht eingelegt (§ 66 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 64 Abs. 6 ArbGG iVm. § 519 ZPO) und mit Schriftsatz vom 14. November 2019, bei Gericht eingegangen am 15. November 2019, rechtzeitig und ordnungsgemäß begründet (§ 66 Abs. 1 Satz 1, 2 und 5, § 64 Abs. 6 ArbGG iVm. § 520 ZPO). Entgegen der Bedenken des Klägers wird die Berufungsbegründungsschrift den gemäß § 520 Abs. 3 ZPO zu stellenden Anforderungen an ihre Begründung noch gerecht. Auch wenn die Beklagte weitgehend lediglich die Argumente aus ihrem erstinstanzlichen Vortrag wiederholt hat, hat sie sich hinsichtlich der Ausschlussfrist des § 14 BRTV Bau mit der nach dem erstinstanzlichen Urteil entscheidungserheblichen Argumentation des Arbeitsgerichts zur Auslegung des § 5 Nr. 7.2 BRTV Bau ausreichend auseinandergesetzt. Eine schlüssige, rechtlich haltbare Begründung erfordert § 520 Abs. 3 ZPO nicht (vgl. BAG 26. April 2017 – 10 AZR 275/16 – Rn. 13; 15. August 2002 – 2 AZR 473/01 – Rn. 24, jeweils zitiert nach juris).

II.

Die Berufung der Beklagten ist weitgehend unbegründet. Das Arbeitsgericht hat dem Kläger zu Recht gemäß §§ 17 Abs. 3 BEEG, 7 Abs. 4 BUrlG Urlaubsabgeltung für zuletzt geltend gemachte 178 Urlaubstage zugesprochen. Lediglich der Höhe nach war die Klageforderung in Anwendung von § 8 Nr. 4.2 BRTV Bau zu Gunsten der Beklagten auf 23.741,64 Euro brutto zu korrigieren. Im Übrigen unterlag die Berufung der Zurückweisung.

1. Der Kläger kann von der Beklagten dem Grunde nach gemäß § 17 Abs. 3 BEEG, 7 Abs. 4 BUrlG die Abgeltung jedenfalls zuletzt geltend gemachter 178 Urlaubstage für die Jahre 2013 bis 2018 verlangen.

1.1. Gemäß §§ 17 Abs. 3 BEEG iVm. § 7 Abs. 4 BUrlG hat der Arbeitgeber nicht gewährten Urlaub abzugelten, wenn das Arbeitsverhältnis – wie vorliegend – im Anschluss an die Elternzeit nicht fortgesetzt wird.

1.2. Hiernach hat das Arbeitsgericht zu Recht angenommen, dass die Beklagte dem Kläger die geltend gemachten 178 Urlaubstage abzugelten hat.

1.2.1. Die Beklagte hat dem Kläger den während seiner Elternzeit für die Jahre 2013 bis zum Ende der Elternzeit und des Beschäftigungsverhältnisses am 20. Dezember 2018 erworbenen Urlaub von zumindest 178 Tagen nicht gewährt.

a) Das Arbeitsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass grundsätzlich auch während der Elternzeit des Klägers Urlaubsansprüche entstanden sind. Die Elternzeit eines Arbeitnehmers, die zu einer Suspendierung der Hauptleistungspflichten im Arbeitsverhältnis führt, wirkt sich nicht urlaubschädlich aus, solange der Arbeitgeber das in § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG normierte Kürzungsrecht nicht ausgeübt hat (BAG 23. Januar 2018 – 9 AZR 200/17 – Rn. 17; 19. Mai 2015 – 9 AZR 725/13 – Rn. 11, jeweils zitiert nach juris).

b) Die Beklagte hat ihr Kürzungsrecht nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG nicht, insbesondere nicht durch das allein den Urlaubsanspruch für das Jahr 2012 betreffende Schreiben vom 28. Dezember 2012 ausgeübt. Die Berufungskammer nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen vollumfänglich auf die sorgfältigen und zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts diesbezüglich unter I 2 seiner Entscheidungsgründe (S. 4 f. des Urteils = Bl. 51 f. d. A.) Bezug, macht sie sich zu eigen und stellt dies ausdrücklich fest (§ 69 Abs. 2 ArbGG). Der Berufung der Beklagten sind keine über ihre erstinstanzlichen Ausführungen hinausgehenden Anhaltspunkte zu entnehmen, die für eine Kürzungserklärung sprechen könnten.

c) Mit richtiger Begründung hat das Arbeitsgericht ausführlich ausgeführt, dass die Urlaubsansprüche des Klägers auch nicht gemäß § 7 Abs. 3 BUrlG verfallen sind. Urlaub, der nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG für jeden vollen Kalendermonat der Elternzeit um ein Zwölftel gekürzt werden kann, verfällt während der Elternzeit nicht gemäß § 7 Abs. 3 BUrlG mit Ablauf des Urlaubsjahres oder des Übertragungszeitraums; die Vorschrift entkoppelt den grundsätzlich der Kürzung unterliegenden Urlaubsanspruch vom Urlaubsjahr und nimmt ihn somit von einem Verfall nach § 7 Abs. 3 BUrlG während der Elternzeit aus (BAG 19. März 2019 – 9 AZR 495/17 – Rn. 14 ff., zitiert nach juris). Zu Recht ist das Arbeitsgericht entgegen der Auffassung der Berufung auch davon ausgegangen, dass § 17 Abs. 1 BEEG auch einem Verfall von Urlaub während der Elternzeit nach § 8 Nr. 7 Satz 1, Hs. 1. 1. Alt. BRTV Bau entgegensteht, nach dem Urlaubsansprüche mit Ablauf des Kalenderjahres verfallen, das auf das Jahr der Entstehung der Urlaubsansprüche folgt. Das Gebot der gesetzeskonformen Auslegung von Tarifnormen verbietet ein Verständnis des § 8 Nr. 7 Satz 1, Hs. 1. 1. Alt. BRTV Bau dahin, dass während der Elternzeit erworbener, der Kürzungsmöglichkeit nach § 17 Abs. 1 BEEG unterliegender Urlaub nach dieser Vorschrift während der Elternzeit verfällt. Tarifnormen sind grundsätzlich so auszulegen, dass sie nicht in Widerspruch zu höherrangigem Recht geraten. Tarifvertragsparteien wollen im Zweifel Regelungen treffen, die mit zwingendem höherrangigen Recht in Einklang stehen und damit auch Bestand haben. Lässt eine Tarifnorm eine Auslegung zu, die zu einem mit höherrangigem Recht zu vereinbarenden Ergebnis führt, ist sie in diesem Sinne anzuwenden (BAG 20. September 2016 – 9 AZR 429/15 – Rn. 17, 21. Februar 2013 – 6 AZR 524/11 – Rn. 19 mwN, jeweils zitiert nach juris). Nachdem das BEEG eine Öffnungsklausel für abweichende tarifvertragliche Regelungen nicht enthält, verstieße eine Verfallanordnung iSd. § 8 Nr. 7 Satz 1, Hs. 1. 1. Alt. BRTV Bau für einen während der Elternzeit erworbenen, nicht gekürzten Urlaubsanspruch gegen § 17 Abs. 1 BEEG. Demgemäß kann § 8 Nr. 7 Satz 1, Hs. 1. 1. Alt. BRTV Bau nur dahingehend ausgelegt werden, dass er – wie § 7 Abs. 3 BUrlG – auf derartige, gemäß § 17 Abs. 1 BEEG vom Urlaubsjahr entkoppelte Urlaubsansprüche keine Anwendung findet.

d) Insgesamt schuldete die Beklagte dem Kläger in den streitigen Jahren 2013 bis zum Ende von Elternzeit und Arbeitsverhältnis am 20. Dezember 2018 jedenfalls die zuletzt geltend gemachten 178 Urlaubstage. Gemäß § 8 Nr. 2.2 bis 2.4 des kraft Allgemeinverbindlichkeit nach § 5 Abs. 4 TVG und Eröffnung des betrieblichen und persönlichen Anwendungsbereichs (§ 1 BRTV Bau) anwendbaren BRTV Bau erwirbt ein Arbeitnehmer nach jeweils 12 Beschäftigungstagen iSv. Kalendertagen des Bestehens des Arbeitsverhältnisses in Betrieben des Baugewerbes während des Urlaubsjahres Anspruch auf einen vollen Tag Urlaub. Volle Beschäftigungsmonate sind hierbei zu 30 Beschäftigungstagen zu zählen, die Beschäftigungstage eines angefangenen Beschäftigungsmonats auszuzählen. Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses sind die während der Dauer zurückgelegten Beschäftigungstage zu ermitteln (§ 8 Nr. 2.5 BRTV Bau). Danach ergeben sich vorliegend für die Jahre 2013 bis 2017 jeweils 30 Urlaubstage und für das anteilige Jahr 2018 bei insgesamt 350 Beschäftigungstagen jedenfalls die zuletzt vom Kläger verlangten 28 Urlaubstage, insgesamt zumindest 178 Urlaubstage.

1.2.2. Zutreffend ist das Arbeitsgericht davon ausgegangen, dass der Kläger auch unter Berücksichtigung der besonderen Regelungen im Baugewerbe nach § 8 Nr. 6 BRTV Bau die geltend gemachte Urlaubsabgeltung in Höhe der Urlaubsvergütung verlangen kann.

a) Die Beklagte ist gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG als letzte Arbeitgeberin des Klägers Anspruchsgegnerin, obwohl der Anspruch des Arbeitnehmers auf Urlaubsabgeltung sich gemäß § 8 Nr. 6.2 BRTV Bau, § 13 Abs. 2 VTV Bau regelmäßig gegen die Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft (ULAK) richtet. Diese Regelung erfasst nur solche Ansprüche, die durch Arbeitgeberbeiträge an die – in der Rechtsform eines Vereins mit eigener Rechtspersönlichkeit kraft staatlicher Verleihung organisierte – ULAK gedeckt sind, für weitergehende Abgeltungsansprüche bleibt der Arbeitgeber gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG Anspruchsgegner (vgl. BAG 15. Januar 2013 – 9 AZR 465/11 – Rn. 26 ff., zitiert nach juris). Da die Beklagte unstreitig für die Jahre 2013 bis 2018 an die ULAK zu Gunsten des Klägers keine Beiträge entrichtet hat, hat der Kläger den Anspruch zu Recht gegen sie gerichtet.

b) Es bedarf keiner Entscheidung, ob in Fällen fehlender Beitragsdeckung auch die besonderen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Urlaubsabgeltung nach § 8 Nr. 6.1 BRTV Bau entbehrlich sind. Da der Kläger – wie im Termin zur mündlichen Verhandlung vor der Berufungskammer mitgeteilt – im Anschluss an die Beschäftigung bei der Beklagten nicht mehr im Bauhauptgewerbe, sondern in einer Spedition der Logistikbranche als Fahrer tätig wurde, ist § 8 Nr. 6.1 a) BRTV Bau erfüllt.

2. Der Höhe nach schuldet die Beklagte dem Kläger für zuletzt klageweise verlangte 178 Urlaubstage für den Zeitraum vom 01. Januar 2013 bis 20. Dezember 2018 gemäß § 8 Nr. 4.3 BRTV Bau einen Gesamtbetrag an Urlaubsabgeltung von 23.741,64 Euro brutto. Nach § 8 Nr. 4.1 BRTV Bau beträgt die Urlaubsvergütung 14,25 % des Bruttolohns. Ausgehend von einem Bruttostundenlohn des Klägers von 13,50 Euro brutto und einer durchschnittlichen regelmäßigen Arbeitszeit von 40 Stunden pro Woche nach § 3 Nr. 1.1 BRTV Bau ergibt sich ein Jahresbruttolohn von 28.080,00 Euro (40 x 4, x 12 x 13,5) mithin eine jährliche Urlaubsvergütung von 4.001,40 Euro brutto für die Jahre 2013 bis 2017. Für das Jahr 2018 steht dem Kläger bei geltend gemachten 28 Urlaubstagen ein anteiliger Anspruch in Höhe von 3.734,64 Euro brutto zu.

3. Der Anspruch des Klägers auf Urlaubsabgeltung ist weder verfallen, noch verjährt.

3.1. Der Anspruch ist nicht gemäß § 8 Nr. 7 Satz 1 1. Hs. 2. Alt., S. 2 BRTV Bau verfallen, nach dem Urlaubsabgeltungsansprüche – bei Ausschluss der allgemeinen Ausschlussfrist nach § 14 BRTV Bau – mit Ablauf des Kalenderjahres verfallen, das auf das Jahr der Entstehung der Urlaubsansprüche folgt. Jedenfalls in Fällen wie dem Vorliegenden, in denen das Arbeitsverhältnis mit dem Ende der Elternzeit endet und während der Elternzeit entstandene, nicht nach § 17 Abs. 1 BEEG gekürzte Urlaubsansprüche nach § 17 Abs. 3 BEEG abzugelten sind, ist unter dem Jahr der Entstehung der Urlaubsansprüche das Jahr zu verstehen, in dem die Elternzeit und das Arbeitsverhältnis enden und der Urlaubsabgeltungsanspruch entsteht. Dies ergibt die Auslegung der Norm nach den für die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages geltenden Grundsätzen (vgl. hierzu beispielhaft BAG 27. Februar 2018 – 9 AZR 238/17 – Rn. 14, zitiert nach juris). Zwar spricht § 8 Nr. 7 Satz 1 1. Hs. 2. Alt., S. 2 BRTV Bau seinem bloßen Wortlaut nach vom Jahr der Entstehung der Urlaubsansprüche. Da § 17 Abs. 1 BEEG jedoch den grundsätzlich der Kürzung unterliegenden Urlaubsanspruch während der Elternzeit vom Urlaubsjahr entkoppelt und ihn vom Verfall ausnimmt (BAG 19. März 2019 – 9 AZR 495/17 – Rn. 14, zitiert nach juris) kann nach dem Sinn der Vorschrift, deren Auslegung im Zweifel gesetzeskonform zu erfolgen hat, mit dem Jahr der Entstehung der Urlaubsansprüche im Ausnahmefall von nach § 17 Abs. 3 BEEG abzugeltenden Urlaubsansprüchen bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Anschluss an die Elternzeit nur das Jahr gemeint sein, in dem die entkoppelten Urlaubsansprüche wegen der fehlenden Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses im Anschluss an die Elternzeit abzugelten sind. Damit konnten die Urlaubsabgeltungsansprüche des Klägers, dessen Elternzeit wie das Arbeitsverhältnis am 20. Dezember 2018 geendet hat, nicht vor dem 31. Dezember 2019 verfallen und er hat mit dem Geltendmachungsschreiben vom 26. Februar 2019 seinen Anspruch fristgerecht geltend gemacht, ohne dass er gehalten gewesen wäre, die allgemeine Ausschlussfrist nach § 14 BRTV Bau einzuhalten (§ 8 Nr. 7 Satz 2 BRTV Bau).

3.2. Wollte man davon ausgehen, dass § 14 BRTV Bau Anwendung findet, hätte der Kläger auch diese Frist gewahrt. Die Berufungskammer nimmt für diesen Fall zur Vermeidung von Wiederholungen vollumfänglich Bezug auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts unter I 4 seiner Entscheidungsgründe (S. 6 f. d. Urteils = Bl. 53 f. d. A.) und stellt dies ausdrücklich fest (§ 69 Abs. 2 ArbGG). Es begegnet keinen Bedenken, auch die Urlaubsabgeltung – wie für die Urlaubsvergütung in § 8 Nr. 4.4 ausdrücklich angeordnet – als Lohn iSd. § 5 Nr. 7.2 BRTV Bau zu betrachten, da auch der Urlaubsabgeltungsanspruch als reine Geldleistung mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses als Ersatz für den nicht gewährten Urlaub entsteht, ohne dass er durch eine Arbeitsleistung verdient werden musste (vgl. zu § 8 Nr. 1 Rahmentarifvertrag für die gewerblichen Beschäftigten in der Gebäudereinigung vom 4. Oktober 2003 (RTV) BAG 06. Mai 2014 – 9 AZR 758/12 – Rn. 17., zitiert nach juris).

3.3. Das Arbeitsgericht ist mit richtigen Erwägungen davon ausgegangen, dass der Anspruch auch nicht verjährt ist. Die Berufungskammer macht sich seine Ausführungen unter I 5 vollumfänglich zu eigen und stellt dies ausdrücklich fest (§ 69 Abs. 2 ArbGG). Neue Einwendungen hat die Berufung nicht erhoben.

4. Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 288 Abs. 1 iVm. § 286 Abs. 1 Satz 1 BGB. Der Verzug beginnt am Folgetag (vgl. BAG 27. Februar 2019 – 5 AZR 354/18 – Rn. 26, zitiert nach juris). Soweit der Kläger einen früheren Zinsbeginn beantragt hat, war die Klage abzuweisen.

B

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1, 92 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 72 Abs. 2 ArbGG sind nicht gegeben.

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