Skip to content

Urlaubsabgeltung – Entschädigung wegen verfallenem Urlaubsabgeltungsanspruch

Landesarbeitsgericht Hessen – Az.: 10 Sa 569/21 SK – Urteil vom 26.11.2021

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 3. März 2021 – 6 Ca 209/20 – wird als unzulässig verworfen, soweit sie sich gegen die Abweisung der Klage auf 650,34 Euro Rechtsanwaltskosten richtet.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über einen tariflichen Anspruch auf Abgeltung von Urlaub bzw. über einen Entschädigungsanspruch für verfallenen Urlaub.

Der Beklagte zu 2. ist die Urlaubs- und Lohnausgleichskasse im Baugewerbe (ULAK). Nach § 8 Ziff. 15.1 des Bundesrahmentarifvertrags für das Baugewerbe (BRTV) vom 28. September 2018 hat diese Kasse, die in der Rechtsform eines eingetragenen Vereins mit eigener Rechtspersönlichkeit kraft staatlicher Verleihung handelt, insbesondere die Aufgabe, die Auszahlung der Urlaubsvergütung zu sichern. Gemäß § 3 Abs. 3 des Tarifvertrags über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV) vom 28. September 2018 zieht er die Beiträge zu dem Sozialkassenverfahren im Baugewerbe ein. Die Beklagte zu 1. ist die Zusatzversorgungskasse des Baugewerbes (ZVK). Nach § 3 Abs. 2 VTV gewährt sie zusätzliche Leistungen zu den gesetzlichen Renten.

Der Kläger war in der Zeit vom 19. März 1988 bis 1. September 2015 bei der A beschäftigt. Dieses Unternehmen unterfiel den Tarifverträgen im Baugewerbe.

Mit Schreiben vom 18. Juni 2016 hat der Kläger einen Antrag auf Erstattung des Urlaubsentgelts für das Kalenderjahr 2012 geltend gemacht. Außergerichtlich ist die Forderung des Klägers auf Entschädigung von Urlaubsansprüchen aus dem Kalenderjahr 2012 mit Schreiben des Beklagten zu 2. vom 11. Dezember 2018 abgelehnt worden (Bl. 5 und 6 der Akte).

Das Arbeitsgericht Wesel hat sich mit Beschluss vom 17. März 2020 für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht Wiesbaden verwiesen.

In einem anderen Prozess vor dem Arbeitsgericht Wesel hat der Kläger seinen ehemaligen Arbeitgeber B in Anspruch genommen. In einem gerichtlichen Vergleich vom 29. November 2019 – 6 Ca 2128/19 haben sich die Parteien darauf verständigt, dass der Kläger eine Schadensersatzleistung i.H.v. 500 Euro erhalte.

Der Kläger begehrt mit seiner Klage die finanzielle Abgeltung seines Urlaubs aus dem Jahre 2012. Hierzu hat er behauptet, dass er in diesem Kalenderjahr keinen Urlaub genommen habe. Auf der Abrechnung für Dezember 2014 seines Arbeitgebers sei ein Restanspruch in Höhe von 6.584,46 Euro aufgeführt gewesen. Wegen der zur Akte gereichten Abrechnung wird verwiesen auf Bl. 9 der Akte. Diesen Betrag fordere er nunmehr gerichtlich ein. Er hat gemeint, er könne sich auf das Urteil des EuGH vom 6. November 2018 – C-684/16 – berufen. Von seinem Arbeitgeber sei niemals ein Hinweis gegeben worden, dass er Urlaub zu nehmen habe oder einen Antrag stellen müsse, um bestehende Urlaubsansprüche finanziell noch abgelten zu lassen. Ein angeblich im Jahr 2014 versandtes Schreiben habe er niemals erhalten. Ferner hat er die Rechtsauffassung vertreten, dass die Beklagten verpflichtet seien, die entstandenen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 650,34 Euro zu zahlen.

Der Kläger hat beantragt, die Beklagten zu verurteilen, an ihn 6.584,46 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Klagezustellung zu zahlen; die Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 650,34 Euro entstandene Rechtsanwaltskosten zu zahlen.

Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagten haben gemeint, dem Kläger stünde kein Anspruch zu, weil ein Urlaubsentschädigungsanspruch mittlerweile nach den tariflichen Ausschlussfristen verfallen sei. Der Kläger habe für das Kalenderjahr 2011 eine Entschädigung beantragt und eine Auszahlung erhalten. Ihm sei daher bekannt, welche Entschädigungsansprüche bestünden und wie diese zu realisieren seien. Er habe mit Schreiben vom 8. Mai 2013 sowie 4. Juli 2014 einen Arbeitnehmerkontoauszug erhalten. Mit diesem Kontoauszug sei er über seine Urlaubsansprüche für das Urlaubsjahr 2012 sowie über die Fristen zur Realisierung des Urlaubsanspruchs in Natur bzw. im Sinne eines Abgeltungs- bzw. Entschädigungsanspruchs belehrt worden. Die Rechtsprechung des EuGH betreffe das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, eine analoge Anwendung auf Ansprüche des Klägers gegenüber einer tariflichen Einrichtung komme nicht in Betracht. Einer Regelungslücke bestünde schon entgegen, dass der Beklagte zu 2. anders als Arbeitgeber Urlaub nicht in Natur gewähre. Der Kläger könne auch nicht Erstattung der Rechtsanwaltskosten verlangen.

Das Arbeitsgericht Wiesbaden hat mit Urteil vom 3. März 2021 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, ein Anspruch bestünde bereits deshalb nicht gegenüber der Beklagten zu 1., da diese nicht passiv legitimiert sei. Der Anspruch gegenüber dem Beklagten zu 2. sei nicht gegeben, da die Ansprüche nach § 8 Nr. 6.2, Nr. 8 BRTV verfallen seien. Die Ansprüche auf „Urlaubsvergütung“ für das Kalenderjahr 2012 hätten bis Ablauf des 31. Dezember 2014 geltend gemacht werden müssen. Diese Frist habe der Kläger nicht eingehalten. Aus der Entscheidung des EuGH vom 6. November 2018 – C-684/16 – folge nichts anderes. Sofern der Kläger der Auffassung sei, dass er nicht von seinem Arbeitgeber darauf hingewiesen worden sei, dass seine Urlaubsansprüche bei nicht rechtzeitiger Geltendmachung verfallen, müsste er sich mit einer Klage an seinen letzten Arbeitgeber wenden. Ein Anspruch auf Erstattung der Rechtsanwaltskosten sei nach § 12a ArbGG ausgeschlossen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Urteils der ersten Instanz wird Bezug genommen auf Bl. 56 – 64 der Akte.

Dieses Urteil ist dem Kläger am 4. Juni 2021 zugestellt worden. Bereits am 14. Mai 2021 hat er hiergegen Berufung eingelegt. Nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 14. Juli 2021 ist die Berufungsbegründung am 14. Juli 2021 beim Berufungsgericht eingegangen.

In der Rechtsmittelinstanz wiederholt und vertieft der Kläger seine Rechtsauffassung, dass nach der Entscheidung des EuGH Urlaubsansprüche nicht verfallen dürften. Ein Verfall könne nur angenommen werden, wenn der Arbeitgeber überzeugend nachgewiesen habe, dass er seine Arbeitnehmer über die Möglichkeiten und Folgen eines Nichthandelns belehrt habe. Diese Rechtsprechung diene dem Schutz der Arbeitnehmer, die auch nicht immer genau erkennen könnten, dass sie für bestimmte Vergütungen besondere Anträge ausfüllen müssten. Aus der Entscheidung des EuGH ergebe sich nicht, dass sich diese Rechtsprechung nur auf Ansprüche zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern bezöge. Die Ansprüche auf Urlaub bzw. Abgeltung des Urlaubs seien hier nur auf eine dritte Stelle kraft Tarifvertrag übertragen worden, für den Verfall könne aber nichts anderes gelten.

Der Kläger stellt sinngemäß die Anträge, das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 3. März 2021 – 6 Ca 209/20 – abzuändern und die Beklagten zu verurteilen, an ihn 6.584,46 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Klagezustellung zu zahlen; die Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 650,34 Euro entstandene Rechtsanwaltskosten zu zahlen.

Die Beklagten beantragen, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigen das Urteil des Arbeitsgerichts und meinen, die Rechtsprechung des EuGH sei auf tarifliche Urlaubs- und Entschädigungsansprüche nicht anzuwenden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird ergänzend Bezug genommen auf sämtliche gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschriften.

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist bereits unzulässig, soweit sie sich gegen die Abweisung des Anspruchs auf Ersatz von Rechtsanwaltskosten richtet. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet. Die Ansprüche des Klägers gegen den Beklagten zu 2. auf Zahlung einer Urlaubsabgeltung oder eines Anspruchs auf Entschädigung wegen verfallener Urlaubsabgeltungsansprüche sind gemäß der tariflichen Ausschlussfrist verfallen. Daran ändert die Rechtsprechung des Gerichtshofs nichts (vgl. EuGH 6. November 2018 – C-684/16 – [Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften] – NZA 2018, 1474).

I. Die Berufung ist überwiegend zulässig.

1. Sie ist vom Wert her unproblematisch statthaft (§§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 2 Buchst. b ArbGG). Sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt worden (§§ 519 ZPO, 66 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. ArbGG) sowie innerhalb der bis zum 14. Juli 2021 verlängerten Berufungsbegründungsfrist auch rechtzeitig begründet worden (§ 66 Abs. 1 Satz 1 2. Alt., Abs. 1 Satz 5 ArbGG).

2. Die Berufung ist indes unzulässig, soweit sie sich gegen die Abweisung des Anspruchs auf Ersatz von Rechtsanwaltskosten in Höhe von 650,34 Euro richtet.

a) Die Berufungsbegründung genügt den Anforderungen des § 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 bis 4 ZPO nur dann, wenn sie erkennen lässt, in welchen Punkten tatsächlicher oder rechtlicher Art das angefochtene Urteil nach Ansicht des Berufungsklägers unrichtig ist und auf welchen Gründen diese Ansicht im Einzelnen beruht (vgl. BAG 19. Mai 2016 – 3 AZR 131/15 – Rn. 15, Juris; BAG 19. Oktober 2010 – 6 AZR 120/10 – Rn. 7, Juris). Bezieht sich das Rechtsmittel auf mehrere Ansprüche im prozessualen Sinn, ist zu jedem Anspruch eine ausreichende Begründung zu geben. Fehlen Ausführungen zu einem Anspruch, ist das Rechtsmittel insoweit unzulässig. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Begründetheit des einen Anspruchs denknotwendig von der des anderen abhängt (vgl. BAG 19. Mai 2016 – 3 AZR 131/15 – Rn. 15, Juris).

b) Der Kläger hat sich mit dem Argument des Arbeitsgerichts, dass dem Anspruch auf Zahlung der Rechtsanwaltskosten im arbeitsgerichtlichen Verfahren § 12a Abs. 1 ArbGG entgegensteht, in seiner Berufungsbegründung nicht auseinandergesetzt.

II. Die Berufung ist unbegründet.

1. Die Beklagte zu 1. ist schon nicht passivlegitimiert. Urlaubsabgeltung kann nach § 8 Ziff. 6.2 BRTV allenfalls gegenüber der ULAK geltend gemacht werden. Dies hat bereits das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt.

2. Einzige Anspruchsgrundlage für das Begehren des Klägers gegenüber dem Beklagten zu 2. ist § 8 Ziff. 6.2 bzw. § 8 Ziff. 7 BRTV. Die maßgeblichen Rechtsgrundlagen lauten in der Fassung des BRTV vom 28. September 2018 wie folgt:

§ 8 Urlaub

6.  Urlaubsabgeltung

6.1 Der Arbeitnehmer hat nur dann einen Anspruch auf Urlaubsabgeltung in Höhe der Urlaubsvergütung, wenn er

a) länger als drei Monate nicht mehr in einem Arbeitsverhältnis zu einem von diesem Tarifvertrag erfassten Betrieb gestanden hat, ohne arbeitslos zu sein,

b) länger als drei Monate nicht mehr in einem Arbeitsverhältnis zu einem von diesem Tarifvertrag erfassten Betrieb gestanden hat und berufsunfähig oder auf nicht absehbare Zeit außerstande ist, seinen bisherigen Beruf im Baugewerbe auszuüben,

c) Altersrente oder Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung bezieht, nachdem sein Arbeitsverhältnis geendet hat,

d) in ein Angestellten- oder Ausbildungsverhältnis zu einem Betrieb des Baugewerbes überwechselt,

e) als Gelegenheitsarbeiter, Werkstudent, Praktikant oder in ähnlicher Weise beschäftigt war und das Arbeitsverhältnis vor mehr als drei Monaten beendet wurde,

f) nicht mehr von diesem Tarifvertrag erfasst wird, ohne dass sein Arbeitsverhältnis endet, und er nicht innerhalb von drei Monaten erneut von diesem Tarifvertrag erfasst wird.

6.2 Der Anspruch auf Urlaubsabgeltung richtet sich gegen die Kasse. Dieser Anspruch ist nur zu erfüllen, soweit Beiträge für die Urlaubsansprüche des jeweiligen Urlaubsjahres bereits geleistet worden sind oder bis zum Ablauf des Kalenderjahres nachentrichtet werden und nicht für die Erstattung von Urlaubsvergütungen verwendet worden oder zum Ausgleich für geleistete Erstattungen zu verwenden sind. §§ 366, 367BGB finden keine Anwendung.

7.  Verfall der Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüche

Die Urlaubsansprüche und die Urlaubsabgeltungsansprüche gemäß Nr. 6 verfallen mit Ablauf des Kalenderjahres, das auf das Jahr der Entstehung der Urlaubsansprüche folgt; die entsprechenden Ansprüche für Ausfallstunden wegen unverschuldeter Arbeitsunfähigkeit infolge von Krankheit gemäß Nr. 5.1 verfallen jedoch erst nach Ablauf von weiteren drei Monaten. § 14 ist ausgeschlossen.

8.  Entschädigung

Nach Verfall der Urlaubsansprüche oder Urlaubsabgeltungsansprüche hat der Arbeitnehmer innerhalb eines weiteren Kalenderjahres Anspruch auf Entschädigung gegenüber der Kasse in Höhe der Urlaubsvergütung, soweit Beiträge für die Urlaubsansprüche des jeweiligen Urlaubsjahres bereits geleistet worden sind. Dieser Anspruch besteht auch dann, wenn bis zum Ablauf von vier Kalenderjahren nach dem Verfall Beiträge nachentrichtet werden und nicht für die Erstattung von Urlaubsvergütungen bzw. die Zahlung von Urlaubsabgeltungen verwendet worden oder zum Ausgleich für geleistete Erstattungen zu verwenden sind. §§ 366, 367BGB finden keine Anwendung.

a) Zu einem schlüssigen Vortrag des Klägers hätte es an sich gehört darzulegen, dass eine der in der Tarifnorm genannten Abgeltungstatbestände eingreift, Ist dies nicht der Fall, besteht das Wesen des Urlaubskassenverfahrens gerade darin, dass die erworbenen Urlaubsansprüche zum nächsten Bauarbeitgeber „mitgenommen“ werden können. Der Sachvortrag des Klägers ist so auszulegen, dass er behaupten will, dass er in keinem neuen Arbeitsverhältnis mit einem Bauarbeitgeber steht. In der Klageschrift wird mitgeteilt, dass der Kläger bis zum 1. September 2015 bei der A beschäftigt war. Von einem weiteren Arbeitsverhältnis ist dort nicht die Rede. Der Kläger ist 1957 geboren und hat damit im Prinzip das Rentenalter erreicht. Die ULAK hat im Grundsatz einen Abgeltungstatbestand angenommen, denn sie hat nach eigenen Angaben gemäß der E-Mail vom 11. Dezember 2018 Urlaub aus dem Jahr 2011 abgegolten.

b) Geht man nur von dem Wortlaut der Tarifnorm aus, so ist der Anspruch auf Urlaubsabgeltung für das Kalenderjahr 2012 verfallen. Der Abgeltungsanspruch ist nach § 8 Ziff. 7 Satz 1 BRTV mit Ablauf des 31. Dezember 2013 verfallen.

Nach Verfall der Urlaubsabgeltungsansprüche sieht § 8 Ziff. 8 Satz 1 BRTV einen Entschädigungsanspruch in gleicher Höhe vor, wobei hierfür die Frist von einem weiteren Jahr gilt. Damit wäre der Entschädigungsanspruch zum 31. Dezember 2014 verfallen.

Es ist nichts dafür vorgetragen oder sonst ersichtlich, dass der Kläger rechtzeitig die Ansprüche gegenüber der ULAK geltend gemacht hat.

c) An diesem Ergebnis ändert sich nichts dadurch, dass der EuGH entschieden hat, dass der Urlaubsanspruch nicht untergeht, sofern der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht darauf hingewiesen hat, dass er Urlaub nehmen müsse, wenn er dessen Verfall zum Ende des Kalenderjahrs vermeiden wolle.

aa) Im Anschluss an die Entscheidung des Gerichtshofs (EuGH 6. November 2018 – C-684/16 – [Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften] NZA 2018, 1474) zu Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG sowie zu Art. 31 Abs. 2 der Charta hat das BAG seine bisherige Rechtsprechung weiterentwickelt und erkannt, dass der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub bei einer mit Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG konformen Auslegung von § 7 BUrlG grundsätzlich nur dann am Ende des Kalenderjahres (§ 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG) oder eines zulässigen Übertragungszeitraums (§ 7 Abs. 3 Satz 2 und Satz 4 BUrlG) erlischt, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch wahrzunehmen, und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat (vgl. BAG 29. September 2020 – 9 AZR 266/20 (A) – Rn. 18, NZA 2021, 413).

In richtlinienkonformer Auslegung von § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG trifft den Arbeitgeber die Initiativlast bei der Verwirklichung des Urlaubsanspruchs. Die Erfüllung der hieraus abgeleiteten Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers ist grundsätzlich Voraussetzung für das Eingreifen des urlaubsrechtlichen Fristenregimes. Die Befristung des Urlaubsanspruchs nach § 7 Abs. 3 BUrlG setzt danach grundsätzlich voraus, dass der Arbeitgeber konkret und in völliger Transparenz dafür Sorge trägt, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage ist, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen. Er muss den Arbeitnehmer – erforderlichenfalls förmlich – auffordern, seinen Urlaub zu nehmen, und ihm klar und rechtzeitig mitteilen, dass der Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahres oder Übertragungszeitraums verfällt, wenn er ihn nicht beantragt (BAG 19. Februar 2019 – 9 AZR 423/16 – Rn. 39 ff., BAGE 165, 376). Hat der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten nicht entsprochen, tritt der am 31. Dezember des Urlaubsjahres nicht verfallene Urlaub zu dem Urlaubsanspruch hinzu, der am 1. Januar des Folgejahres entsteht (vgl. BAG 29. September 2020 – 9 AZR 266/20 (A) – Rn. 19, NZA 2021, 413).Beruft sich der Arbeitgeber auf die Befristung und das Erlöschen des Urlaubsanspruchs, hat er die Erfüllung seiner Mitwirkungsobliegenheiten darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, weil er hieraus eine für sich günstige Rechtsfolge ableitet (vgl. BAG 29. September 2020 – 9 AZR 266/20 (A) – Rn. 20, NZA 2021, 413).

bb) Diese Rechtsgrundsätze gelten nicht nur, sofern der Urlaubsabgeltungsanspruch aus § 7 Abs. 4 BUrlG hergeleitet wird, sie gelten im Grundsatz auch dann, wenn wie hier auf der Grundlage von § 13 Abs. 2 BUrlG abweichende Urlaubsregelungen auf tarifvertraglicher Grundlage vereinbart worden sind. Denn im BRTV wird kein von § 7 Abs. 1 BUrlG abweichender Begriff der Gewährung und Inanspruchnahme des Urlaubs geregelt. Vielmehr wird erkennbar vorausgesetzt, dass der Urlaub nach den allgemeinen Grundsätzen, mithin nach § 7 Abs. 1 BUrlG, auch in der Baubranche genommen wird. Insoweit gelten wegen der Spezifika im Baugewerbe (Fluktuation) keine Besonderheiten, die eine Abweichung von allgemeinen Urlaubsgrundsätzen rechtfertigen würden.

cc) Das BAG hat nach der Entscheidung des Gerichthofs entschieden, dass nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses tarifvertragliche Ausschlussfristen weiterhin gelten und Bestand haben. Es hat erkannt, dass die dreimonatige tarifliche Ausschlussfrist des § 22 Ziff. 3 Nr. 1b MTV Bayerische Metall- und Elektroindustrie für den Urlaubsabgeltungsanspruch mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu laufen begann (vgl. BAG 27. Oktober 2020 – 9 AZR 531/19 – Rn. 10 ff., NZA 2021, 504). Entsprechendes muss für § 8 Ziff. 7 und 8 BRTV gelten.

(1) Die Richtlinie 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 GRC enthalten keine Vorgaben hinsichtlich der Möglichkeit, den Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub und – als eng mit diesem Anspruch verbundenen Anspruch – den Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht genommenen Jahresurlaub (vgl. EuGH 25. Juni 2020 – C-762/18 und C-37/19 – [Varhoven kasatsionen sad na Republika Bulgaria] Rn. 83, Juris) nach nationalem Recht einer zeitlich befristeten Geltendmachung zu unterwerfen. Fehlt es an einer unionsrechtlichen Regelung des Verfahrens der Rechtsdurchsetzung, ist es nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs entsprechend dem Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung, die Verfahrensmodalitäten auszugestalten, die den Schutz der dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten (vgl. nur EuGH 19. Juni 2014 – C-501/12 bis C-506/12, C-540/12 und C-541/12 – Rn. 112; 8. Juli 2010 – C-246/09 – [Bulicke] Rn. 24 f., Juris). Die getroffenen Regelungen dürfen jedoch nicht ungünstiger sein als diejenigen, die gleichartige Sachverhalte innerstaatlicher Art regeln (Äquivalenzgrundsatz), und die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Effektivitätsgrundsatz) (vgl. BAG 27. Oktober 2020 – 9 AZR 531/19 – Rn. 20, NZA 2021, 504).

(2) Der Äquivalenzgrundsatz ist hier gewahrt. Tarifliche Ausschlussfristen betreffen nicht den Inhalt eines Anspruchs, sondern regeln den Fortbestand eines bereits entstandenen Rechts (vgl. BAG 27. Oktober 2020 – 9 AZR 531/19 – Rn. 22, NZA 2021, 504). § 8 Ziff. 7 und 8 BRTV unterscheidet nicht zwischen Ansprüchen, die auf Unionsrecht beruhen und solchen, die einen ähnlichen Gegenstand und Rechtsgrund haben und aus innerstaatlichem Recht resultieren (vgl. BAG 27. Oktober 2020 – 9 AZR 531/19 – Rn. 23, NZA 2021, 504). Die in § 8 BRTV getroffenen Regelungen sind nicht ungünstiger als diejenigen, die gleichartige Sachverhalte innerstaatlicher Art regeln, sondern sie sind im Gegenteil günstiger. Denn aus § 8 Ziff. 7 und 8 BRTV ergibt sich, dass ein Arbeitnehmer zwei Jahre selbst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses Zeit hat, den Anspruch auf Abgeltung oder Entschädigung geltend zu machen. Häufig gibt es sehr viel kürzere Ausschlussfristen, wie der Fall der BAG – dort drei Monate – zeigt (vgl. BAG 27. Oktober 2020 – 9 AZR 531/19 – Rn. 25, NZA 2021, 504).

Auch der Effektivitätsgrundsatz ist gewahrt. Die Festsetzung von angemessenen Ausschlussfristen ist als ein Anwendungsfall des grundlegenden Prinzips der Rechtssicherheit grundsätzlich mit dem Erfordernis der Effektivität vereinbar (vgl. EuGH 21. Dezember 2016 – C-154/15, C-307/15 und C-308/15 – [Gutiérrez Naranjo] Rn. 69, Juris). Derartige Fristen sind nicht geeignet, die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte praktisch unmöglich zu machen oder übermäßig zu erschweren, soweit der Fristlauf nicht vor dem Zeitpunkt beginnt, zu dem der Arbeitnehmer von den anspruchsbegründenden Tatsachen Kenntnis erlangt (vgl. BAG 27. Oktober 2020 – 9 AZR 531/19 – Rn. 25, NZA 2021, 504).

Insgesamt zwei Jahre sind als ein ausreichender Zeitraum anzusehen, um nach Entstehung eines Urlaubsabgeltungsanspruchs gemäß § 8 Ziff. 6.1 BRTV seine Ansprüche auf finanzielle Vergütung der Urlaubsansprüche geltend zu machen. Dem Kläger musste klar sein, dass er nicht untätig bleiben durfte, wenn er seine angesparten Urlaubsansprüche nicht verlieren wollte. Er musste auch die Regelung in § 8 BRTV kennen, denn sie galt aufgrund eines für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrags (vgl. § 5 Abs. 4 TVG). Nach den Angaben der ULAK hat er regelmäßig einen Kontoauszug erhalten und wurde auch über das Eingreifen von tariflichen Ausschlussfristen informiert. Die tarifliche Regelung ist auch durch § 3 des Gesetzes zur Sicherung der Sozialkassen im Baugewerbe (SokaSiG) per Gesetzesbefehl in den Rang eines Bundesgesetzes erhoben worden.

dd) Selbst wenn man der Meinung sein sollte, dass tarifliche Ausschlussfristen im Falle der Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Hinblick auf die Urlaubsabgeltung nicht eingreifen, wenn der Arbeitgeber seinen mit Blick auf § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG bestehenden Obliegenheiten nicht nachgekommen ist (vgl. auch den Vorlagebeschluss zur der Anwendbarkeit des Verjährungsrechts BAG 29. September 2020 – 9 AZR 266/20 (A) – NZA 2021, 413), würde sich im vorliegenden Fall an dem Ergebnis nichts ändern. Denn dann müsste der Anspruch gegenüber dem letzten Arbeitgeber, nicht aber gegenüber der ULAK geltend gemacht werden.

(1) Das BAG hat im Anschluss an die Entscheidung des EuGH in der Sache C entschieden, dass die Regelung in § 8 Ziff. 5.1 BRTV in der Fassung vom 20. August 2007, die bewirkte, dass Zeiten unverschuldeter Arbeitsunfähigkeit im Referenzzeitraum zu einer Verminderung der Urlaubsvergütung haben führen können, in Bezug auf den gesetzlichen Mindesturlaubsanspruch unwirksam ist (vgl. BAG 15. Januar 2013 – 9 AZR 465/11 – Rn. 13 ff., NZA-RR 2013, 585). § 13 Abs. 2 BUrlG lässt zwar im weiten Umfang Abweichungen gegenüber dem gesetzlichen Urlaubsregime zu, stets ist aber Voraussetzung, dass dies zur Sicherung eines zusammenhängenden Jahresurlaubs für alle Arbeitnehmer erforderlich ist. Diese Voraussetzungen wurden verneint in Bezug auf eine tarifliche Regelung in der vormaligen Fassung, die dazu führte, dass Langzeit erkrankte Arbeitnehmer eine geringere oder gar keine Urlaubsvergütung erhielten (vgl. BAG 15. Januar 2013 – 9 AZR 465/11 – Rn. 23, NZA-RR 2013, 585).

(2) Nichts anderes würde im vorliegenden Fall dann gelten, wenn das tarifliche Fristenregime mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht vereinbar wäre. In einem solchen Fall wäre die Tarifnorm gemäß § 8 Ziff. 7 und 8 BRTV nach § 13 Abs. 2 BurlG teilweise unwirksam. Damit würde der Arbeitnehmer nicht rechtlos gestellt, sondern er könnte den Urlaubsanspruch bzw. dessen Abgeltung – wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat – gegenüber seinem letztmaligen Arbeitgeber verlangen. Zwar ist in § 8 Ziff. 6.2 Satz 1 BRTV geregelt, dass sich der Anspruch auf Urlaubsabgeltung gegen die Kasse richte, entsprechendes gilt für den Entschädigungsanspruch nach § 8 Ziff. 8 Satz 1 BRTV. Die Normen setzen aber erkennbar voraus, dass die Ausschlussfristen wirksam in Gang gesetzt wurden. Es lässt sich dem Wortlaut nach nicht sicher entnehmen, gegen wen sich der Anspruch richtet, wenn die Ausschlussfristen nicht zu laufen begannen (vgl. BAG 15. Januar 2013 – 9 AZR 465/11 – Rn. 26, NZA-RR 2013, 585). Zur effektiven Umsetzung des Unionsrechts muss durch die nationalen Gerichte eine Auslegung vorgenommen werden, die – bis zur Wortlautgrenze – die durch den EuGH aufgestellten Prinzipien umsetzt (vgl. zu § 8 BRTV EuGH 13. Dezember 2018 – C-385/17 – Rn.48 ff., NZA 2019, 47).

Dagegen könnte man einwenden, dass es Sinn und Zweck der ULAK ist, die Urlaubsansprüche von Arbeitnehmern effektiv abzusichern. Wollte man den Arbeitnehmern in diesen Fällen darauf verweisen, seinen letzten Arbeitgeber in Anspruch zu nehmen, stünde dem Arbeitnehmer ein weniger sicherer und solventer Schuldner zur Verfügung. Auf der anderen Seite muss beachtet werden, dass die vom EuGH aufgestellte Handlungsobliegenheit, den Arbeitnehmer darauf hinzuweisen, dass er seinen Urlaub zum Ende des Kalenderjahres zu nehmen hat, an den Arbeitgeber adressiert war. Damit ist eine gemeinsame Einrichtung der Tarifvertragsparteien nicht gleichzusetzen. Die Hinweispflicht kann im Prinzip nur von den Arbeitgebern, nicht aber von der ULAK wahrgenommen werden. Deshalb erscheint es auch gerechtfertigt, dass in diesen Fällen der Arbeitgeber nicht von seiner Haftung entlassen wird.

III. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Ein gesetzlicher Grund, die Revision zuzulassen, liegt nach § 72 Abs. 2 ArbGG nicht vor. Insbesondere ist es in der Rechtsprechung des BAG bereits anerkannt, dass tarifliche Ausschlussfristen nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses trotz der Entscheidung des EuGH vom 6. November 2018 – C-684/16 – auch zum Untergang von Urlaubsabgeltungsansprüchen führen können. Ein aktueller Vorlagebeschluss des BAG betrifft die Frage der Anwendbarkeit des Verjährungsrechts, wenn keine Ausschlussfristen eingreifen (vgl. BAG 29. September 2020 – 9 AZR 266/20 (A) – NZA 2021, 413); insoweit ist die Fallkonstellation hier eine andere.

 

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Unsere Hilfe im Arbeitsrecht

Wir sind Ihr Ansprechpartner in Sachen Arbeitsrecht. Vom Arbeitsvertrag bis zur Kündigung. Nehmen Sie noch heute Kontakt zu uns auf.

Rechtsanwälte Kotz - Kreuztal

Wissenswertes aus dem Arbeitsrecht einfach erklärt

Weitere interessante arbeitsrechtliche Urteile

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!