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Urlaubsgewährung auch während Corona-Quarantäne

ArbG Neumünster – Az.: 3 Ca 362 b/21 – Urteil vom 03.08.2021

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 1.848,42 € festgesetzt.

4. Die Berufung wird gesondert zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Frage, ob dem Kläger bereits gewährter Urlaub wegen der Anordnung einer Quarantäne im Urlaubszeitraum dem Kläger nachgewährt werden muss.

Der seit dem …1986 bei der Beklagten zuletzt mit einem Bruttomonatsgehalt für den Monat Mai 2021 von 6.777,55 € brutto beschäftigte Kläger erhielt für den Zeitraum 23. bis 31.12.2020 einen Urlaub in Höhe von 6 Tagen genehmigt. Wegen Kontaktes zu einem Coronaverdachtsfall wurde der Kläger anschließend, also nach Genehmigung des Urlaubs, durch das Gesundheitsamt mit einer Anordnung über Quarantäne im Zeitraum 21.12.2020 bis 04.01.2021 belegt. Die ursprünglich mündliche Anordnung wurde durch schriftlichen Bescheid vom 04.01.2021 (Anlage K1, Blatt 5 und 6 der Akte) bestätigt. Damit stand der Kläger unter der Beobachtung durch das zuständige Gesundheitsamt, die häusliche Absonderung bzw. Quarantäne wurde dahin konkretisiert, dass der Kläger seine Wohnung ohne ausdrückliche Zustimmung der Behörde nicht verlassen durfte und den Empfang von Besuch auf das notwendigste zu beschränken, habe.

Die Beklagte hat dem Kläger für den streitigen Zeitraum Urlaubsentgelt gezahlt.

Der Kläger ist der Ansicht, dass der Urlaubsanspruch in Höhe von 6 Tagen aus dem Jahre 2020 fortbestehe, weil § 9 BUrlG mindestens analog anzuwenden sei. Ähnlich wie bei Arbeitsunfähigkeit während bereits gewährten Urlaubs sei es vorliegend so, dass die Leistungsfähigkeit des Klägers wegfalle und damit die Befreiung durch den Arbeitgeber von der Leistungspflicht nachträglich unmöglich werde. Insoweit liege eine planwidrige Regelungslücke vor. Dies ergebe sich insbesondere aus der vorliegenden Konstellation der außergewöhnlichen gesamtgesellschaftlichen Besonderheiten der Corona-Pandemie. Es sei so, dass die Politik und hier insbesondere das Bundesministerium für Gesundheit die vorliegende Konstellation durchaus im Blick gehabt habe, es jedoch versäumt habe, dies gesetzlich klarzustellen. Es folgen dann Ausführungen von der Homepage des Bundesministeriums für Gesundheit, welches auf eine Entscheidung Bundesgerichtshofes vom 30.11.1978 – III ZR 43/77, NJW 1979, 422 verweist. Der Kläger führt weiter aus, dass aufgrund der häuslichen Quarantäneanordnung die frei und selbst gewählte Urlaubsgestaltung für ihn nicht möglich sei. Der Gesetzgeber habe wohl im Rahmen der Pandemie aufgrund der vom Ministerium zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs den Eindruck gehabt, dass eine gesonderte Regelung überflüssig gewesen sei. Dies unterscheide den vorliegenden Fall auch von den durch das BAG entschiedenen Fällen im Bereich Schwangerschaft und Technisches Hilfswerk, in denen das Bundesarbeitsgericht eine analoge Anwendung von § 9 BUrlG abgelehnt hat, es handele sich um eine typisierend vergleichbare Beeinträchtigung durch die Quarantäne, wie sie auch bei einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit vorliegt.

Auf Hinweis des Gerichts hat der Kläger seinen ursprünglichen Antrag auf Leistung der Urlaubsgewährung ohne konkrete Angabe zum Urlaubsdatum zurückgenommen und den Hilfsantrag auf Feststellung zum Hauptantrag erhoben und beantragt zuletzt festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger weitere 6 Tage Urlaub aus dem Jahr 2020 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Klage wird abgewiesen.

Die Beklagte ist der Ansicht, dass der Anspruch des Klägers durch Erfüllung erloschen sei und eine analoge Anwendung von § 9 BUrlG nicht in Betracht komme. Es bleibe bei der Grundregel, das den Urlaub störende Ereignisse in den persönlichen Risikobereich des Arbeitnehmers fallen, sofern nicht ausnahmsweise gemäß §§ 9,10 BUrlG eine andere Regelung getroffen worden sei, was der Gesetzgeber etwa im Bereich Mutterschutz getan habe.

Die Voraussetzungen einer Analogie lägen nicht vor. Insbesondere fehle es bereits an einer planwidrigen Regelungslücke. Der Gesetzgeber habe auch jüngere Entscheidungen des BAG nicht zum Anlass genommen, § 9 BUrlG auszuweiten, sondern punktuell Sondernormen wie etwa § 24 Satz 2 Mutterschutzgesetz geschaffen. Insbesondere habe er auch nicht im Zuge der Anpassungen von § 56 Infektionsschutzgesetz Änderungen vorgenommen. Meinungsäußerungen eines Bundesministeriums seien für die Ergründung des Willens des Gesetzgebers unerheblich. Das Ministerium habe insoweit nicht einmal im Rahmen einer Formulierungshilfe für den Gesetzgebungsprozess eine Meinung, die der Gesetzgeber eventuell hätte übernehmen können, eingebracht.

Es fehle auch an einer vergleichbaren Interessenlage. Nicht jede Absonderung führe zwangsläufig dazu, dass ein Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung nicht mehr erbringen kann. Denkbar sei etwa die weitere Tätigkeit im Rahmen eines Home-Office. Konkret habe der Kläger mit Zustimmung des Gesundheitsamtes seine Wohnung grundsätzlich durchaus verlassen dürfen. Zu berücksichtigen sei auch, dass im Dezember 2020 die Reisemöglichkeit für jeden konkret eingeschränkt gewesen sei.

Für das weitere Vorbringen der Parteien wird auf den Inhalt der Akte, insbesondere die gewechselten Schriftsätze und die protokollierten Erklärungen verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

I.

Die Klage ist als Feststellungsklage gem. § 256 Abs. 1 ZPO zulässig. Sie ist insbesondere hinreichend bestimmt, da der Kläger konkretisiert, dass er den Urlaub aus einem bestimmten Kalenderjahr – hier 2020 – geltend macht. Ein Antrag auf Feststellung ist auch ansonsten zulässig, da der Kläger ein streitiges Rechtsverhältnis, nämlich den Anspruch auf Urlaub in konkret genannter Höhe geltend macht. Das Feststellungsinteresse des Klägers liegt auch vor. Die Beklagte bestreitet den Anspruch. Ein Feststellungsurteil ist auch geeignet im Rahmen des Möglichen diesen Anspruch zu klären. Sollte der Kläger obsiegen, müsste er den Anspruch auf konkrete Tage konkretisieren und geltend machen. Die Beklagte könnte dann zwar einwenden, dass die konkrete Urlaubsgewährung aus betrieblichen Gründen ausgeschlossen wäre, nicht aber den Bestand des Anspruches an sich infrage stellen.

II.

Der Anspruch ist durch Erfüllung gemäß § 362 Abs. 1 BGB erloschen. Dem steht § 9 BUrlG weder direkt noch analog entgegen.

1. Der Kläger war nicht arbeitsunfähig im Sinne des Entgeltfortzahlungsgesetzes. Er war lediglich der Erkrankung und Ansteckungsmöglichkeit verdächtig. Anhaltspunkte für irgendeine Art von gesundheitlicher Beeinträchtigung des Klägers hat dieser weder vorgetragen, noch sind sie ersichtlich. Er hat sich konsequenterweise auch auf eine Arbeitsunfähigkeit nicht berufen.

2. § 9 BUrlG ist auch nicht auf den Fall der Anordnung einer häuslichen Absonderung bzw. Quarantäne analog anzuwenden.

Es fehlt insoweit schon an einer planwidrigen Regelungslücke. Bei der Schaffung von § 9 BUrlG (im Jahre 1963, die Norm war bereits in den Entwürfen enthalten, Neumann/Fenski/Kühn/Neumann, 12. Aufl. 2021 Rn. 1, BUrlG § 9 Rn. 1) waren Unterscheidungen zwischen Krankheit und bloßer seuchenbezogener Risiken, die zu einer Quarantäneanordnung führen konnten, bereits bekannt, seinerzeit galt das Bundesseuchengesetz. Auch wenn seinerzeit kein derartig großer Seuchenzug, wie im Moment durch die Corona-Pandemie mit weitreichenden gesellschaftlichen Auswirkungen vorlag, konnte ein Problem wie das vorliegende jederzeit auftreten und trat auch sicherlich in vielfältigen Einzelfällen tatsächlich auf. Soweit der Kläger darauf abstellt, dass es nun bei der Corona-Pandemie um eine besondere gesamtgesellschaftliche Situation geht, hat er zwar insoweit recht, dass es eine solche Situation gibt, ein besonderer Unterschied ist hieraus aber nicht zu ermitteln. Im Gegenteil ergeben die aktuellen Maßnahmen des Gesetzgebers, dass dieser etwaige Belastungen einer Seite – wie der Kläger sie vorliegend zu Lasten der Arbeitgebergesamtheit durchsetzen möchte – stark durch Subventionstatbestände abfedert. Sollte der Kläger also – obwohl er sich auf ausdrückliche Nachfrage des Gerichts auf eine Analogie zu § 9 BUrlG und nicht auf eine teleologische Extension der geänderten Vorschriften des Infektionsschutzgesetz berufen hat – auf die konkrete Situation beziehen, müsste er darlegen, warum eine Norm ganz ungewöhnlicher Weise die Kosten der Pandemie einer Seite auferlegt, ohne hierfür die Gesamtgesellschaft über Steuermittel in Haftung zu nehmen.

Die vom Kläger und dem Bundesgesundheitsministerium zitierte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zu § 49 Bundesseuchengesetz (Urteil vom 30.11.1978 – III ZR 43/77, NJW 1979, 422) überzeugt nicht. Der BGH stellt dort auf einen fließenden Übergang zwischen Krankheit und den Tatbeständen ab, die zu einer seuchenpolizeilichen Anordnung führen. Dies trifft aber allenfalls auf die Fälle von Ausscheidern (also symptomfreien, aber infizierten Personen) zu, nicht auf die bloße Krankheitsverdächtigkeit, wie sie beim Kläger vorliegt. Weiterhin begründet der BGH seine Entscheidung damit, dass der Urlaubsgenuss durch die vielfältigen seuchenpolizeilichen Beschränkungen gemindert wird. Derartige äußere Umstände gibt es aber auch außerhalb von Krankheit und Arbeitsunfähigkeit in großer Zahl. Der Gesetzgeber hat gerade nur einen Fall herausgegriffen, in dem dieses Risiko dem Arbeitgeber zugewiesen wird und es ansonsten beim Arbeitnehmer belassen.

Das Bundesarbeitsgericht hat zudem in verschiedenen Entscheidungen ausgeführt, dass § 9 BUrlG eng auszulegen ist. Bei der Regelung handelt es sich um eine nicht verallgemeinerungsfähige Ausnahmevorschrift; eine entsprechende Anwendung auf andere urlaubsstörende Ereignisse oder Tatbestände, aus denen sich eine Beseitigung der Arbeitspflicht des Arbeitnehmers ergibt, kommt grundsätzlich nicht in Betracht (BAG, Urteil vom 09.08.1994 – 9 AZR 384/92 – juris, Rn. 33; BAG, Urteil vom 25.08.2020 – 9 AZR 612/19 – juris, Rn. 29; ErfK – Gallner, 21. Aufl., § 9 BUrlG Rn. 2; HWK – Schinz, 8. Aufl., § 9 BUrlG Rn. 9). Das ArbG Bremen-Bremerhaven Urt. v. 8.6.2021 – 6 Ca 6035/21, BeckRS 2021, 21151, Rn. 44, hat zudem darauf hingewiesen, dass der BGH sich seinerzeit auf eine später aufgegebene Rechtsprechung des BAG stützte.

Das Arbeitsgericht Bremen-Bremerhaven (Urt. v. 8.6.2021 – 6 Ca 6035/21, BeckRS 2021, 21151, bes. Rn. 37 ff.) hat mit Recht auch darauf abgestellt, dass die Zuordnung von Quarantäne-Beschränkungen zum gesetzliche geregelten Fall der Arbeitsunfähigkeit während des Urlaubs nicht mit der Begründung des beschränkten Urlaubsgenusses durchgeführt werden kann, ohne eine irgendwie klare Grenzziehung aufzugeben. Denn es gibt unzählige Umstände, die einer Erholung im Urlaub entgegenstehen können. Viele davon haben auch – irgendwie – mit Krankheiten zu tun. Hervorgehoben werden soll hier nur die Erkrankung des Ehepartners, die nicht nur einen (gemeinsamen) Genuss des Urlaubs erschweren kann, sondern auch zu Betreuungsnotwendigkeiten für gemeinsame Kinder führen kann, die u.U. besondere Entgeltfortzahlungstatbestände auslösen, aber kaum auch die Rechtsfolge von § 9 BUrlG. Sollte bei Erkrankung des Ehegatten oder nur in Kombination mit Betreuungsnotwendigkeiten Urlaub nachzugewähren sein? Eine klare Grenzziehung ist nur beim Abstellen auf die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers möglich und praktikabel.

Die Tätigkeit des Gesetzgebers, durch die er mit Einzelgesetzen § 9 BUrlG ähnliche Regelungen in anderen speziellen Gesetzen eingefügt hat, bringt systematisch auch eher eine Verschärfung der Tendenz, dass 9 BUrlG eng auszulegen ist.

Soweit der Kläger für die Interpretation des historischen Gesetzgebers von § 9 BUrlG und dessen Regelungsplan auf Äußerungen auf der Homepage des Bundesgesundheitsministeriums abstellt, ist hierzu schon aus chronologischen Gründen zu sagen, dass eine Art authentischer Interpretation des historischen Gesetzgebers ausscheidet. Unabhängig hiervon handelt es sich bei der Homepage des Bundesgesundheitsministeriums lediglich um eine dienende Darstellung der Exekutive, die den Gesetzgeber weder bindet noch erläutern kann, was sich der Gesetzgeber gedacht hat oder was er hätte denken sollen.

Hinzuweisen ist darauf, dass die Mehrzahl der mit dieser Frage bereits befassten Instanzgerichte sich ebenfalls gegen eine Analogie ausgesprochen haben (ArbG Bremen-Bremerhaven Urt. v. 8.6.2021 – 6 Ca 6035/21, BeckRS 2021, 21151 mit besonders ausführlicher Begründung; ArbG Halle Urt. v. 23.6.2021 – 4 Ca 285/21, BeckRS 2021, 20254; ArbG Bonn Urt. v. 7.7.2021 – 2 Ca 504/21, BeckRS 2021, 19661 Rn. 44 ff.).

III.

1. Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG, § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu Lasten des Klägers. Der Wert des Streitgegenstandes ist gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil festzusetzen (Streitwert für die Zulässigkeit der Berufung gemäß § 62 Satz 2 GKG nicht bindend für die Gebühren). Er bemisst sich gemäß § 3 ZPO mit dem Betrag des zu zahlenden Urlaubsentgelts für den vom Kläger geltend gemachten Urlaub. Der ursprüngliche Hauptantrag des Klägers auf Leistung ist wirtschaftlich identisch und daher nicht gesondert zu berücksichtigen.

2. Obwohl der Wert des Beschwerdegegenstandes somit die Summe von 600,00 € nicht übersteigt, war die Berufung gemäß § 64 Abs. 3 Ziffer 1 ArbGG für den Kläger zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Die betreffende Rechtsfrage ist vom Bundesarbeitsgericht bisher nicht entschieden.

 

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