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Verbot technischer Überwachung zur Sicherstellung der Abstandseinhaltung wegen COVID-19

ArbG Wesel – Az.: 2 BVGa 4/20 – Beschluss vom 24.04.2020

1. Der Beteiligten zu 2. wird aufgegeben, es zu unterlassen, Bilder oder Videos von Arbeitnehmern, die mittels Kameras oder anderer technischer Systeme im Betrieb erzeugt werden, zu verarbeiten oder an Dritte zu übermitteln mit dem Zweck, Abstandsmessungen oder Abstandsüberwachung von Arbeitnehmern vorzunehmen, ohne dass zuvor mit dem Antragsteller über die Einführung und Anwendung eine Einigung erzielt oder die fehlende Einigung durch den Spruch der Einigungsstelle ersetzt worden ist, es sei denn, es lägen Notfälle vor oder es läge ein Sachverhalt vor, der ausschließlich in der Person des Arbeitnehmers liegt und keinen kollektiven Bezug hat.

2. Der Beteiligten zu 2. wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Unterlassungsverpflichtung ein Ordnungsgeld in Höhe von bis zu 10.000,00 EUR angedroht.

3. Im Übrigen werden die Anträge zurückgewiesen.

Gründe

I.

Der antragstellende Betriebsrat (Beteiligter zu 1.) nimmt die Arbeitgeberin (Beteiligte zu 2.) im Wege der einstweiligen Verfügung wegen der Verletzung seiner Mitbestimmungsrechte auf Unterlassung in Anspruch.

Die Beteiligte zu 2. ist ein zur B. gehörendes Logistikunternehmen mit Sitz j.. Das Unternehmen beschäftigt derzeit ca. 1.630 Mitarbeiter. Der Antragsteller ist der im Betrieb j. ansässige und gewählte Betriebsrat. Er besteht aus 17 Mitgliedern.

Im Betrieb findet die Betriebsvereinbarung zur Installation und Nutzung von Überwachungskameras vom 16.09.2013 nebst Ergänzungen vom 22.04.2016 und 15.11.2016 Anwendung. Auf den Inhalt der Betriebsvereinbarung wird Bezug genommen (Anlagen BR010 bis BR012 zur Antragsschrift, Bl. 22 ff. d.A.).

Im Rahmen des Projekts „Proxemics“ ermittelt die Beteiligte zu 2. mittels der auf dem Betriebsgelände installierten Kameras solche Bereiche, in denen die im Betrieb anwesenden Personen (Mitarbeiter, Auftragnehmer, Geschäftspartner und andere Besucher) die im Rahmen der Corona-Pandemie (SARS-CoV-2) empfohlenen Sicherheitsabstände nicht einhalten können. Werden solche Bereiche identifiziert, wird in einem zweiten Schritt die Ursache für eine etwaige Nichteinhaltung der Abstandsregelungen näher untersucht, um dann durch Anpassung der Arbeitsprozesse oder des Layouts (Laufwege, Fahrwege, Abstellflächen, etc.) die Einhaltung der empfohlenen Sicherheitsabstände zu ermöglichen. Die Ermittlung der betroffenen Bereiche erfolgt dabei im Einzelnen wie folgt:

Aus vorhandenen Aufnahmen der im Betrieb installierten Videokameras werden mittels einer Anonymisierungssoftware in einem Intervall von 5 Minuten automatisiert Standbilder (sog. Raw Images) generiert. Die Software erkennt Personen, erfasst die Anzahl von Personen auf einem Bild und teilt die Standbilder in folgende Kategorien ein:

1.  Unklar (Bildqualität lässt eine Beurteilung nicht zu)

2.  Weniger als zwei Personen

3.  Zwei oder mehr Personen

Für die weiteren Maßnahmen werden ausschließlich die Bilder der Kategorie 3 verwendet. Von diesen Bildern der Kategorie 3 erstellt die Software eine Kopie und versieht die abgebildeten Personen mit einem Rahmen. Gleichzeitig legt die Software einen Filter über den Rahmen (mit den Personen), der die abgebildeten Personen im Rahmen „verpixelt“. Alle anderen Bilder (Kategorien 1 und 2) werden nicht bearbeitet, verpixelt oder weiter genutzt.

Verbot technischer Überwachung zur Sicherstellung der Abstandseinhaltung wegen COVID-19
(Symbolfoto: Von Mr.YOGEN/Shutterstock.com)

Die verpixelten Standbilder der Kategorie 3 werden dann an die Mitarbeiter des Amazon Vision Operations Center (AVOC-Team) weitergeleitet. Diese ermitteln anhand der verpixelten Standbilder, ob ein Sicherheitsabstand von zwei Metern zwischen den abgebildeten Personen eingehalten worden ist. Ist dies nach ihrer Einschätzung nicht der Fall, wird notiert wann und wo das Bild aufgenommen wurde und wieso ein möglicher Verstoß gegen Abstandsregelungen vorliegt. Das Ergebnis dieser Prüfung wird in einem Reporting Tool erfasst. Dieser schriftliche Bericht wird dem Geschäftsführer/Standortleiter sowie dem zuständigen Loss Prevention Verantwortlichen, der für die Sicherheit am Standort zuständig ist, täglich zur Verfügung gestellt. Die Einsichtnahme der vorgenannten Personen in die Standbilder ist nur möglich, wenn sich nicht schon aus dem Bericht eindeutig ergibt, welche weiteren Verbesserungsmaßnahmen ergriffen werden müssen. Bevor die verpixelten Bilder den o.g. Personen zur Verfügung gestellt werden, werden sie von der Anonymisierungssoftware weiter bearbeitet. Hierfür wird der Inhalt des durch die Software installierten, verpixelten Rahmens vollständig geschwärzt. Nach der erneuten Bearbeitung sind die Umrisse und Konturen der im ersten Schritt bereits verpixelten Personen nicht mehr erkennbar.

Die verwendete Anonymisierungssoftware arbeitet auf Datenservern in Dublin, Irland. Sie führt die einzelnen Schritte (Generieren der Standbilder, Erkennen der Personen, Ermittlung der Personenanzahl, Einrahmen der Personen und Verpixelung) automatisiert durch und übermittelt die erstellten Bilder auf den Datenserver nach Dublin. Alle generierten Standbilder aller Kategorien werden für sieben Tage gespeichert und danach automatisiert gelöscht. Im Übrigen wird auf Anlage BR007 (Bl. 19 d.A.) Bezug genommen.

Der Beteiligte zu 1. hat die Beteiligte zu 2. mit E-Mails vom 07.04.2020, 08.04.2020 sowie 16.04.2020 aufgefordert, die Übermittlung und Auswertung der Kameradaten zum Zwecke der Abstandsmessungen einzustellen und sein Mitbestimmungsrecht einzuhalten.

Der Betriebsrat hat am 15.04.2020 beschlossen, die Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers mit der Durchführung eines einstweiligen Verfügungsverfahrens zu beauftragen.

Mit seinem am 16.04.2020 bei dem Arbeitsgericht eingegangen Antrag verfolgt der Antragsteller sein Begehren im Rahmen eines Eilverfahrens weiter.

Der Beteiligte zu 1. sieht seine Mitbestimmungsrechte aus § 87 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 6 sowie Nr. 7 BetrVG als verletzt an. Zudem meint er, die Maßnahme verstoße gegen datenschutzrechtliche Vorschriften. Durch die nicht mitbestimmten Handlungen der Beteiligte zu 2. würden seine Mitbestimmungsrechte und die Persönlichkeitsrechte der betroffenen Arbeitnehmer fortlaufend verletzt.

Weiter meint der Beteiligte zu 1., die Betriebsvereinbarung stelle keine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für eine Kameraüberwachung im Betrieb dar. Jedenfalls sei die Erhebung und Verarbeitung von Standbildern zur Abstandsmessung und Abstandwahrung und deren Auswertung durch Dritte im Ausland nicht zulässig. Zudem würden die bereits erhobenen Daten zu einem Zweck genutzt, der von der Betriebsvereinbarung nicht gedeckt sei.

Darüber hinaus vertritt der Beteiligte zu 1. die Ansicht, als mildere Mittel stünden die Inaugenscheinnahme und/oder Meldung kritischer Stellen durch Mitarbeiter zur Verfügung.

Der Beteiligte zu 1. beantragt,

1.

der Arbeitgeberin aufzugeben, es zu unterlassen, Bilder und Videos von Arbeitnehmern die mittels Kameras oder anderer technischer Systeme im Betrieb erzeugt werden, aufzunehmen, zu speichern, zu verarbeiten oder an Dritte zu übermitteln, ohne dass zuvor mit dem Betriebsrat über die Einführung und Anwendung eine Einigung erzielt oder die fehlende Einigung durch den Spruch der Einigungsstelle ersetzt worden ist, es sei denn, es lägen Notfälle vor oder es läge ein Sachverhalt vor, der ausschließlich in der Person des Arbeitnehmers liegt und keinen kollektiven Bezug hat,

2.

hilfsweise der Arbeitgeberin aufzugeben, es zu unterlassen, Bilder und Videos von Arbeitnehmern die mittels Kameras oder anderer technischer Systeme im Betrieb erzeugt werden, aufzunehmen, zu speichern, zu verarbeiten oder an Dritte zu übermitteln, mit dem Zweck, Abstandsmessungen oder Abstandsüberwachungen vorzunehmen, ohne dass zuvor mit dem Antragsteller über die Einführung und Anwendung eine Einigung erzielt oder die fehlende Einigung durch den Spruch der Einigungsstelle ersetzt worden ist, es sei denn, es lägen Notfälle vor oder es läge ein Sachverhalt vor, der ausschließlich in der Person des Arbeitnehmers liegt und keinen kollektiven Bezug hat,

3.

hilfsweise der Arbeitgeberin aufzugeben, es zu unterlassen, Bilder und Videos von Arbeitnehmern die mittels Kameras oder anderer technischer Systeme im Betrieb erzeugt werden, zu verarbeiten oder an Dritte zu übermitteln, mit dem Zweck, Abstandsmessungen oder Abstandsüberwachungen vorzunehmen, ohne dass zuvor mit dem Antragsteller über die Einführung und Anwendung eine Einigung erzielt oder die fehlende Einigung durch den Spruch der Einigungsstelle ersetzt worden ist, es sei denn, es lägen Notfälle vor oder es läge ein Sachverhalt vor, der ausschließlich in der Person des Arbeitnehmers liegt und keinen kollektiven Bezug hat,

4.

hilfsweise der Arbeitgeberin aufzugeben, es zu unterlassen, Überwachungskameras in Abweichung von der Betriebsvereinbarung zur Installation und Nutzung von Überwachungskameras vom 16.09.2013 nebst deren Anlagen 1 und 2 zum Zwecke der Abstandsüberwachung und/oder Abstandsmessung von Arbeitnehmer zu nutzen.

5.

Der Arbeitgeberin für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Verpflichtung ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Ordnungs- bzw. Zwangsgeld, das 10.000,00 Euro nicht unterschreiten sollte, anzudrohen.

Die Beteiligte zu 2. beantragt, die Anträge zurückzuweisen.

Die Beteiligte zu 2. ist der Ansicht, der Antrag zu 1. sei mangels Bestimmtheit bereits unzulässig. Jedenfalls läge eine an sich mitbestimmungsfreie Maßnahme unter Nutzung mitbestimmt eingeführter Technik vor. Ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG bestehe nicht, da die Nutzung der aus den bereits vorhandenen Aufnahmen generierten Standbilder einen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmer ausschließe. Durch die vollständige Anonymisierung der Standbilder sei eine Überwachung der Leistung oder des Verhaltens der Arbeitnehmer ausgeschlossen. Sie behauptet, die Verpixelung der anonymisierten Bilder sei nicht umkehrbar.

Die Beteiligte zu 2. meint, dass auch ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG nicht gegeben sei, da § 3 Abs. 1 ArbSchG und andere Generalklauseln nur bei festgestellten konkreten Gefährdungen eine Handlungspflicht des Arbeitgebers eröffnen würden. Bei der Analyse der automatisiert gewonnen und anonymisierten Standbilder handle es sich zudem um eine der Gefährdungsbeurteilung vorgelagerte Maßnahme, die ebenfalls nicht mitbestimmungspflichtig sei. Auch verstoße die Maßnahme nicht gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen, da bereits keine personenbezogenen Daten erhoben würden.

Sie trägt weiter vor, andere Maßnahmen seien jedenfalls weniger effektiv. Lokale Kontrollen und der ebenfalls vorgenommene Einsatz von sog. Social Distancing Ambassadors zur Überprüfung der Einhaltung der Abstandsvorgaben könnten aufgrund der Größe des Betriebes und der Anzahl der Mitarbeiter schlicht nicht das leisten, was eine automatisierte Auswertung von Standbildern ermögliche.

Die Beteiligte zu 2. macht auch geltend, dass kein Verfügungsgrund vorliege. Eine drohende Gefahr sei nicht ersichtlich. Jedenfalls würden vorliegend ihre Interessen überwiegen, da aufgrund der gegenwärtigen Pandemielage ein Abwarten des Mitbestimmungsverfahrens bis hin zur Einigungsstelle zum Schutz der Arbeitnehmer nicht zumutbar sei.

Zur Glaubhaftmachung bezieht die Beteiligte zu 2. sich auf die zur Akte gereichten eidesstattlichen Versicherungen (Bl. 72 ff.).

Wegen der weiteren Einzelheiten des zugrundliegenden Sachverhaltes soweit des widerstreitenden Sachvortrages und der unterschiedlichen Rechtsauffassungen der Beteiligten wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie die zu den Akten gereichten Unterlagen und Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

II.

Die Anträge des Betriebsrates sind zulässig, jedoch nur teilweise begründet. Dem Betriebsrat steht im Wege des einstweiligen Verfügungsverfahrens ein Anspruch auf Unterlassung der Verarbeitung von Kameraaufnahmen und deren Übermittlung an Dritte zum Zwecke der Abstandsmessungen oder Abstandsüberwachung von Arbeitnehmern zu. Im Übrigen unterliegen die Anträge der Zurückweisung.

A.

Die Anträge des Betriebsrates sind zulässig.

1.  Das Begehren des Betriebsratsrats ist im Beschlussverfahren gemäß § 80 Abs. 1 ArbGG i.V.m. § 2a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG geltend zu machen. Danach sind die Gerichte für Arbeitssachen ausschließlich zuständig für Angelegenheiten nach dem Betriebsverfassungsgesetz.

2.  Das angerufene Arbeitsgericht ist gemäß § 82 Abs. 1 Satz 1 ArbGG auch örtlich zuständig. Der Betrieb liegt j..

3.  Gemäß § 85 Abs. 2 Satz 1 ArbGG ist auch im Beschlussverfahren der Erlass einer einstweiligen Verfügung zulässig. Die Zulässigkeit der Androhung von Ordnungsmitteln ergibt sich aus § 890 Abs. 2 ZPO.

4.  Den Anträgen, insbesondere dem Antrag zu 1., fehlt es nicht an der nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO notwendigen Bestimmtheit. Die Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren erfordert einen Antrag, der einzelne, tatbestandlich umschriebene, konkrete Handlungen zum Verfahrensgegenstand macht (vgl. schon BAG, Beschl. v. 09.05.1995, 1 ABR 58/94, BeckRS 1995, 30754723). Diesen Anforderungen genügt der Antrag des Betriebsrats. Dem Antrag lässt sich eindeutig entnehmen, welches Verhalten die Arbeitgeberin unterlassen soll.

Soweit die Beteiligte zu 2. geltend macht, der Antrag erfasse auch solche Bilder und Videos, die gemäß der bestehenden Betriebsvereinbarung zur Installation und Nutzung von Überwachungskameras aufgenommen werden und damit mitbestimmt seinen, führt dies nicht zur Unbestimmtheit und damit Unzulässigkeit des Antrages. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist ein sog. Globalantrag zulässig, jedoch grundsätzlich als insgesamt unbegründet abzuweisen, wenn unter ihn einzelne Sachverhalte fallen, in denen sich der Antrag als unbegründet erweist (vgl. BAG, Beschl. v. 17.09.2013, 1 ABR 37/12, NZA 2014, 219 Rn. 19; so auch schon Beschl. v. 09.05.1995, 1 ABR 58/94, aaO mwN; vgl. auch Hamacher, Antragslexikon Arbeitsrecht, 3. Aufl. 2019, I. System. Einleitung Rn. 9).

B.

Die Anträge des Betriebsrates sind jedoch nur teilweise begründet.

Gemäß § 85 Abs. 2 ArbGG i.V.m. §§ 935, 940 ZPO kann eine einstweilige Verfügung in betriebsverfassungsrechtlichen Angelegenheiten erlassen werden, wenn ein Verfügungsanspruch und ein Verfügungsgrund gegeben sind. Verfügungsanspruch und Verfügungsgrund sind gemäß § 928 ZPO glaubhaft zu machen.

Dabei ist der Verfügungsanspruch im Sinne der §§ 935, 940 ZPO das von dem Antragsteller behauptete subjektive Recht bzw. der geltend gemachte Anspruch. Ein Verfügungsgrund im Sinne des § 940 ZPO ist dann anzunehmen, wenn die Regelung eines einstweiligen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis, insbesondere bei dauernden Rechtsverhältnissen, zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint (vgl. dazu nur LAG Düsseldorf, Beschl. v. 13.03.2013, 9 TaBVGa 5/13, BeckRS 2013, 68272).

1.  Dem Betriebsrat steht ein Verfügungsanspruch nur im Hinblick auf die mit dem Antrag zu 2. geltend gemachte Unterlassung der Verarbeitung von Kameraaufnahmen und deren Übermittlung an Dritte zum Zwecke von Abstandsmessungen bzw. Abstandsüberwachungen zu.

a.  Nach § 77 Abs. 1 Satz 1 BetrVG hat der Arbeitgeber rechtswirksame Betriebsvereinbarungen im Betrieb durchzuführen. Der Betriebsrat hat einen Anspruch gegen den Arbeitgeber auf Durchführung der getroffenen Vereinbarung und auf Unterlassung vereinbarungswidriger Maßnahmen (vgl. nur BAG, Beschl. v. 16.11.2011, 7 ABR 27/10, NZA-RR 2012, 579; ErfK/Kania, 20. Aufl. 2020, § 77 BetrVG Rn. 8; Fitting, BetrVG, 30. Aufl. 2020, § 77 BetrVG Rn. 7 jew. mwN). Dieser kann durch einstweilige Verfügung bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens gesichert werden (vgl. nur LAG Düsseldorf, Beschl. v. 09.01.2018, 3 TaBVGa 6/17, NZA-RR 2018, 368 Rn. 64; GK-BetrVG/Kreutz, 11. Aufl. 2018, § 77 Rn. 27, jew. mwN). Zudem kann der Betriebsrat nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts im Hinblick auf sein Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 BetrVG nicht nur die Beseitigung eines mitbestimmungswidrigen Zustands verlangen, sondern sich gegen zu erwartende weitere Verstöße des Arbeitgebers gegen ein Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 BetrVG unabhängig von den Voraussetzungen des § 23 Abs. 3 BetrVG im Wege eines allgemeinen Unterlassungsanspruchs wehren (vgl. nur BAG, Beschl. v. 07.02.2012, 1 ABR 63/10 Rn. 14; grundlegend Beschl. v. 03.05.1994, 1 ABR 24/92 jew. juris; vgl. auch GK-ArbGG/Ahrendt, Stand: 01.11.2018, § 85 ArbGG Rn. 44 mwN). Der Anspruch des Betriebsrats auf Unterlassung bestimmter Handlungen des Arbeitgebers aus einer Betriebsvereinbarung steht dabei neben einem etwaigen Anspruch des Betriebsrats auf Unterlassung mitbestimmungswidrigen Verhaltens.

b.  Davon ausgehend ist im Hinblick auf den Antrag zu 1. ein Unterlassungsanspruch des Betriebsrates nicht gegeben.

Gemäß § 2.1 der Betriebsvereinbarung gilt sie für die Installation und den Einsatz von dauerhaft installierten, sichtbaren sowie zeitweise installierten, verdeckten Überwachungskameras sowie die Verarbeitung der daraus gewonnen Daten. Die im Einsatz befindlichen Kameras sind gemäß § 5.2 in der Anlage 2 detailliert aufgelistet. Auf dieser Grundlage ist die Beteiligte zu 2. berechtigt, die im Betrieb installierten, in der Anlage 2 genannten Kameras zu dem bisherigen Zweck gemäß den Regelungen der Betriebsvereinbarung zu betreiben. Daher kann der Betriebsrat jedenfalls im Umfang des Antrages zu 1. keine Unterlassung verlangen. Der Antrag zu 1. bezieht sich umfassend auf alle Bilder und Videos, die mittels Kamera oder anderer technischer Systeme im Betrieb erfasst werden, ohne ihren Zweck zu berücksichtigten. Damit erfasst er auch solche Bilder und Videos, die gemäß der bestehenden Betriebsvereinbarung zur Installation und Nutzung von Überwachungskameras aufgenommen werden. Anhaltspunkte für eine Unwirksamkeit der Betriebsvereinbarung bestehen aus Sicht der Kammer nicht. Unstreitig sind im Betrieb keine neuen Kameras installiert oder in Betrieb genommen worden.

c.  Der Antrag zu 2. ist teilweise unbegründet. Der Betriebsrat hat im Hinblick auf die Verarbeitung von Bildern und Videos und deren Übermittlung an Dritte mit dem Zweck Abstandsmessungen oder Abstandsüberwachungen von Arbeitnehmern vorzunehmen, einen Unterlassungsanspruch gegen die Beteiligte zu 2. Im Übrigen unterlag der Antrag der Zurückweisung. Im Einzelnen:

aa.  Nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG besteht ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates bei der Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten und die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen. Dabei ist von einer Bestimmung zur Überwachung bereits dann auszugehen, wenn die technische Einrichtung zur Überwachung objektiv geeignet ist, wenn sie also individualisierte oder individualisierbare Verhaltens- oder Leistungsdaten selbst erhebt und aufzeichnet, sodass es auf die subjektive Überwachungs- oder Verwendungsabsicht des Arbeitgebers nicht ankommt (st. Rspr. vgl. grundlegend: BAG, Beschl. v. 09.09.1975, 1 ABR 20/74, AP BetrVG 1972 § 87; Beschl. v. 13.12.2016, 1 ABR 7/15, NZA 2017, 657; ErfK/Kania, § 87 BetrVG Rn. 55; Fitting, § 87 Rn. 226 u. 235, jew. mwN). Die Überwachung des Verhaltens oder der Leistung von Arbeitnehmern ist ein Vorgang, der verschiedene Phasen, nämlich die Ermittlung, Übermittlung und/oder Aufzeichnung sowie die Verarbeitung (Auswertung) von Kontrollinformationen durchlaufen kann, die alle vom Umfang des Regelungsgegenstandes erfasst sind (vgl. GK-BetrVG/Wiese/Gutzeit, § 87 Rn. 545 ff.).

(1)  Es ist offensichtlich, dass es sich bei den vorliegend im Betrieb installierten Kameras um eine technische Einrichtungen i.S.d. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG handelt. Dabei fällt auch die Aufnahme und Speicherung der Kameraaufnahmen in den Regelungsgegenstand des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG. Die Aufnahme und Speicherung mittels der im Betrieb bereits installierten Kameras ist allerdings von der geltenden Betriebsvereinbarung gedeckt. Anhaltspunkte für eine Unwirksamkeit der Betriebsvereinbarung bestehen aus Sicht der Kammer nicht. Soweit der Antragsteller geltend macht, dass auch im Hinblick auf die Aufnahme und Speicherung ein von den Regelungen der Betriebsvereinbarung abweichender Zweck verfolgt werde, trägt dies nicht. Gemäß § 2.1 der Betriebsvereinbarung hat diese u.a. den Schutz der Mitarbeiter zum Zweck. Wegen dieser weitgehenden Zweckbestimmung dürfte auch der Schutz der Mitarbeiter vor Gesundheitsgefahren darunter fallen. Darüber hinaus ist nicht ersichtlich, dass die Überwachungskameras nicht mehr im Sinne ihres bisherigen Zwecks genutzt werden oder die Arbeitgeberin diesen Zweck aufgegeben hat bzw. nicht weiterverfolgt.  Da der bisherige Zweck nicht entfallen ist, sind die Aufnahme und Speicherung der Kameraaufnahmen nach wie vor zulässig und von der Betriebsvereinbarung gedeckt.

(2)  Anders stellt es sich jedoch im Hinblick auf die Verarbeitung von Kameraaufnahmen und deren Übermittlung an Dritte zum Zweck der Vornahme von Abstandsmessungen oder Abstandsüberwachungen dar. Insoweit steht dem Betriebsrat ein Unterlassungsanspruch nach § 77 Abs. 1 Satz 1 bzw. § 87 Abs. 1 BetrVG zu. Es handelt sich um mitbestimmte Maßnahmen, die von der Betriebsvereinbarung nicht gedeckt sind. Die Beteiligte zu 2. verstößt gegen die Regelungen der Betriebsvereinbarung, indem sie die Aufnahmen der im Betrieb installierten Überwachungskameras zum Zwecke der Bearbeitung an die auf irischen Datenservern liegende Anonymisierungssoftware übermittelt bzw. die Daten zu diesem Zweck zur Verfügung stellt.

Gemäß § 7.1 der Betriebsvereinbarung sind die Aufnahmen der Überwachungskameras ausschließlich auf lokalen Netzwerkrecordern zu speichern. Die Auswertung der aus der Kameraüberwachung gewonnen Daten soll gemäß § 8.1 nur den dort genannten Personen erlaubt sein. Gemäß § 9 ist die Weitergabe des Bildmaterials an Dritte mit Ausnahme der Strafverfolgungs- und Ermittlungsbehörden ausgeschlossen. Dritte sind dabei alle nicht unter § 6 der Betriebsvereinbarung genannten Personen.

Unstreitig werden die nach Irland übermittelten Daten dort jedenfalls bis zur Löschung nach sieben Tagen gespeichert. Damit erfolgt eine Speicherung entgegen der in § 7.1 vorgesehenen Regelung. Zudem hat die Beteiligte zu 2. auf Nachfrage im Anhörungstermin angegeben, dass die in Irland befindlichen Datenserver nicht der Beteiligten zu 2. selbst, sondern einem Konzernunternehmen gehören. Ein Konzernunternehmen ist damit als Dritter i.S.d. § 9 der Betriebsvereinbarung anzusehen.

Entgegen der Ansicht der Beteiligten zu 2. handelt es sich vorliegend nicht um eine mitbestimmungsfreie Maßnahme. Zwar ist der Beteiligten zu 2. zuzugeben, dass die Erhebung oder Verarbeitung anonymisierter Daten nicht der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG unterliegt. Denn eine Überwachung i.S.d. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG ist nur gegeben, wenn die erhobenen Verhaltens- oder Leistungsdaten einzelnen Arbeitnehmer zugeordnet werden können also individualisiert oder individualisierbar sind (vgl. dazu ErfK/Kania, § 87 BetrVG Rn. 53; GK-BetrVG/Wiese/Gutzeit, § 87 Rn. 572). Dies setzt allerdings voraus, dass die Anonymisierung dauerhaft erfolgt und nicht nachträglich wieder aufgehoben werden kann (vgl. nur ErfK/Kania, aaO; GK-BetrVG/Wiese/Gutzeit, aaO). Vorliegend hat die Beteiligte zu 2. mit Schriftsatz vom 21.04.2010, Seite 21 dort letzter Absatz (Bl. 56 R d.A.), zwar behauptet, dass die vorgenommene Verpixelung nicht umkehrbar ist. Es fehlt insoweit jedoch an einer Glaubhaftmachung, denn die vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen verhalten sich dazu nicht. Darüber hinaus konnte die Beteiligte zu 2. im Anhörungstermin nicht ausräumen, dass die Daten erst nach der Übermittlung auf den Datenserver nach Irland von der dortigen Softwaren anonymisiert werden. Somit werden nicht anonymisierte Aufnahmen der Arbeitnehmer an einen Dritten übermittelt. Eine Zuordnung der übermittelten Verhaltens- oder Leistungsdaten einzelnen Arbeitnehmer ist damit gerade nicht ausgeschlossen. Auch hat es keinen Einfluss auf das Bestehen der Mitbestimmungsrechte, dass der Arbeitgeber die Auswertung der Daten einem Dritten, wie hier einem Konzernunternehmen, überlasst (vgl. dazu nur Fitting, § 87 Rn. 250 mwN).

Diesem Ergebnis steht auch nicht entgegen, dass nach dem Vortrag der Beteiligten zu 2. ein Zugriff auf die Software bzw. die automatisch anonymisierten Daten nicht möglich ist. In § 9 der Betriebsvereinbarung haben die Betriebsparteien nämlich jegliche Übermittlung an Dritte ausgeschlossen, unabhängig davon, ob der Dritte die Daten verarbeitet bzw. auf sie zugreifen kann. Jedenfalls wollten die Betriebsparteien den Zugriff Dritter auf die Arbeitnehmerdaten ausschließen. § 9 will damit der abstrakten Gefahr vorbeugen, dass personenbezogene Daten dem Einflussbereich und damit auch dem Schutz der Betriebsparteien entzogen werden. Daher genügt es bereits, dass die nicht anonymisierten Daten auf den Servern im Ausland befindlichen Datenservern Dritter gespeichert werden.

bb.  Die für den allgemeinen Unterlassungsanspruch wegen Verletzung von Mitbestimmungsrechten nach § 87 BetrVG erforderliche Wiederholungsgefahr ist ebenfalls gegeben. Für diese besteht eine tatsächliche Vermutung, es sei denn, dass besondere Umstände einen neuen Eingriff unwahrscheinlich machen (st. Rspr., vgl. nur BAG, Beschl. v. 29.02.2000, 1 ABR 4/99, NZA 2000, 1066). Unstreitig übermittelt die Beteiligte zu 2. die Kameraaufnahmen zwecks Überprüfung der Abstände an den Server nach Irland und lässt sie dort entsprechend auswerten. Es ist nicht ersichtlich, die Beteiligte zu 2. ihre Maßnahmen nicht fortsetzten wird.

cc.  Die Berücksichtigung der gegenwärtigen Pandemielage führt zu keinem anderen Ergebnis.

Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 BetrVG besteht auch in Eilfällen (vgl. nur BAG, Beschl. v. 09.07.2013, 1 ABR 19/12, NZA 2014, 99 Rn. 19 mwN). Der Arbeitgeber ist daher verpflichtet, auch bei Eilbedürftigkeit der Maßnahme den Betriebsrat zu beteiligen. Dies gilt insbesondere soweit der Eintritt des Eilfalls vorhersehbar ist (Richardi/Richardi, BetrVG, 16. Aufl. 2018, § 87 BetrVG Rn. 55 ff.). Auch unter Berücksichtigung der gegenwärtigen Corona-Pandemie, bei der es sich um eine außergewöhnliche und in dieser Form wohl präzedenzlose Situation handelt, ist der Arbeitgeber daher gehalten, die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates zu wahren (vgl. dazu Schulze/Helmrich, ArbRAktuell 2020, 162).

Lediglich in sog. Notfällen, in denen sofort gehandelt werden muss, um von dem Betrieb oder den Arbeitnehmern Schaden abzuwenden und in denen entweder der Betriebsrat nicht erreichbar ist oder keinen ordnungsgemäßen Beschluss fassen kann, wird ein Recht des Arbeitgebers für einseitige Anordnungen diskutiert. Schon dem Grundsatz der vertrauensvollen Arbeit (§ 2 Abs. 1 BetrVG) kann entnommen werden, dass in solchen extremen Notsituationen der Arbeitgeber das Recht hat, vorläufig zur Abwendung akuter Gefahren oder Schäden eine Maßnahme durchzuführen, wenn er unverzüglich die Beteiligung des Betriebsrats nachholt (vgl. dazu BAG, Beschl. v. 19.02.1991, 1 ABR 31/90, NZA 1991, 609; Richardi/Richardi, § 87 BetrVG Rn. 62 mwN). Wenngleich die Corona-Pandemie mit gravierenden Bedrohungen für die Gesundheit von Betriebsangehörigen und Dritten – z. B. Kunden des Arbeitgebers – einhergeht und die wirtschaftlichen Auswirkungen auf die Betriebe immens sind, liegt aus Sicht der Kammer kein Notfall im obigen Sinn vor. Denn ein solcher setzt jedenfalls eine akute Gefahr, die es abzuwenden gilt, voraus. Davon ausgehend mag die Maßnahme zur Abstandsüberwachung der Beteiligten zu 2. zwar geeignet und erforderlich sein, um die Ausbreitung des Corona-Virus im Betrieb zu vermeiden und damit den Schutz der Arbeitnehmer zu bezwecken. Allein die kontinuierliche Ausbreitung des Virus führt jedoch nicht dazu, dass er bereits als akute Gefahr für den Betrieb und damit als extremer Notfall anzusehen ist (vgl. dazu Schulze/Helmrich, aaO).

dd.  Vor dem Hintergrund der schriftsätzlichen Ausführungen sowie den Erörterungen im Anhörungstermin wird zudem wie folgt ausgeführt: Ein Unterlassungsanspruch des Betriebsrates besteht auch wegen der Verletzung des sich aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG ergebenden Mitbestimmungsrechts.

Nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG hat der Betriebsrat bei betrieblichen Regelungen über den Gesundheitsschutz mitzubestimmen, die der Arbeitgeber auf Grund einer öffentlich-rechtlichen Rahmenvorschrift zu treffen hat, bei deren Gestaltung ihm aber Handlungsspielräume verbleiben. Das Mitbestimmungsrecht setzt ein, wenn eine gesetzliche Handlungspflicht objektiv besteht und wegen Fehlens einer zwingenden gesetzlichen Vorgabe betriebliche Regelungen verlangt, um das vom Gesetz vorgegebene Ziel des Arbeits- und Gesundheitsschutzes zu erreichen (st. Rspr., vgl. zuletzt BAG, Beschl. v. 19.11.2019, 1 ABR 22/18, NZA 2020, 266 Rn. 28; Beschl. v. 18.07.2017, 1 ABR 59/15, NZA 2017, 1615; Beschl. v. 28.03.2017, 1 ABR 25/15, NZA 2017, 1132, jew. mwN). Sowohl § 5 ArbSchG als auch § 3 Abs.1 Satz 1 und 2 ArbSchG stellen zwar ausfüllungsbedürftige Rahmenvorschriften in diesem Sinne dar. Allerdings kann ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG i.V.m. § 3 Abs. 1 Satz 1 ArbSchG erst eingreifen, wenn eine konkrete Gefährdung nach Art und Umfang entweder feststeht oder im Rahmen einer nach § 5 ArbSchG vom Arbeitgeber durchgeführten Beurteilung der Arbeitsbedingungen festgestellt wurde (vgl. zuletzt BAG, Beschl. v. 19.11.2019, 1 ABR 22/18, aaO Rn. 28 mwN). Nach der Konzeption des Arbeitsschutzgesetzes baut die Regelung in § 3 Abs. 1 Satz 1 ArbSchG auf § 5 ArbSchG auf. Die Gefährdungsbeurteilung ist das maßgebende Instrument, um von der Arbeit ausgehende Gefährdungen zu ermitteln. Je genauer und wirklichkeitsnäher im Betrieb die Gefährdungen anhand der jeweiligen Gefahrenquellen ermittelt und beurteilt werden, umso gezielter können konkrete Maßnahmen getroffen werden (vgl. BAG, Beschl. v. 19.11.2019, 1 ABR 22/18, aaO Rn. 32 mwN). Dabei unterliegt auch die Ausgestaltung der Ausgestaltung der Gefährdungsbeurteilung i.S.v. § 5 ArbSchG dem Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 Betr VG (vgl. nur BAG, Beschl. v. 19.11.2019, 1 ABR 22/18, aaO Rn. 32 mwN; vgl. dazu Fitting, § 87 Rn. 297). Diese umfasst etwa die zu untersuchenden Arbeitsplätze und Tätigkeiten, die Gesundheitsfaktoren, die Untersuchungsmethoden sowie das Verfahren (vgl.   BAG, Beschl. v. 19.11.2019, 1 ABR 22/18, aaO; ErfK/Kania, § 87 BetrVG Rn. 64a).

Davon ausgehend ist der Beteiligten zu 2. zuzugeben, dass im Hinblick auf § 3 Abs. 1 ArbSchG noch keine konkrete Gefährdung festgestellt worden ist. Allerdings stellt die Auswertung der Standbilder aus Sicht der Kammer keine der Gefährdungsbeurteilung vorgelagerte Maßnahme (so S. 20 d. Schriftsatzes v. 21.04.2020, dort letzter Absatz, Bl. 56 d.A.), sondern eine Maßnahme der Gefährdungsbeurteilung selbst dar. Die Auswertung des Bildmaterials dient gerade der Feststellung, ob überhaupt entsprechende Gefahren bestehen. Dies ist Sinn und Zweck der Gefährdungsbeurteilung. Die Auswertung von Bildmaterial des Betriebes stellt eine Untersuchungsmethode der Gefährdungsbeurteilung, hinsichtlich derer dem Antragsteller ein Mitbestimmungsrecht gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG zustand.

2.  Es liegt auch ein Verfügungsgrund im Sinne der §§ 935, 940 ZPO vor:

a.  Die §§ 935, 940 ZPO setzen voraus, dass ohne Erlass einer einstweiligen Verfügung für den Antragsteller ein wesentlicher Nachteil entsteht. Erforderlich ist, dass die Interessen des Antragstellers so gefährdet sind, dass durch Veränderung des status quo dessen Rechtsverwirklichung im gegenwärtigen oder zukünftigen Hauptverfahren vereitelt oder erschwert werden könnte (dazu MüKoZPO/Drescher, 5. Aufl. 2016, § 940 ZPO Rn. 9).

Im Rahmen des arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahrens ist bei der Prüfung, ob ein Verfügungsgrund vorliegt, einerseits zu berücksichtigen, dass die Zwangsvollstreckung eines Beschlusses nach § 85 Abs. 1 ArbGG, sofern es sich nicht gemäß § 85 Abs. 1 Satz 2 1. HS ArbGG um einen Beschluss in vermögensrechtlichen Angelegenheiten handelt, erst nach Rechtskraft möglich ist (dazu LAG Düsseldorf, Beschl. v. 09.01.2018, 3 TaBVGa 6/17, NZA-RR 2018, 368 Rn. 49; LAG Nürnberg, Beschl. v. 25.02.2016, 7 TaBVGa 4/15, BeckRS 2016, 69603 Rn. 34; LAG Berlin, Beschl. v. 12.11.2003, 3 Ta 2142/03, BeckRS 2003, 30454064; GK-ArbGG/Vossen, Lfg. 112 Stand: 01.11.2018, § 85 Rn. 55; GMP/Spinner, 9. Aufl. 2017, § 85 ArbGG Rn. 36). Zum anderen ist bedeutsam, dass gemäß § 85 Abs. 2 Satz 2 ArbGG ein Schadensersatzanspruch nach § 945 ZPO ausgeschlossen ist. Es bedarf daher in jedem Einzelfall zur Feststellung eines Verfügungsgrundes einer umfassenden Interessenabwägung. Dabei kommt es darauf an, ob die glaubhaft gemachten Gesamtumstände es in Abwägung der beiderseitigen Interessen und Belage zur Abwendung wesentlicher Nachteile erforderlich erscheinen lassen, eine sofortige Regelung zu treffen (LAG Düsseldorf, Beschl. v. 09.01.2018, 3 TaBVGa 6/17, aaO; LAG Köln, Beschl. v. 20.05.2009, 8 TaBVGa 3/09, juris Rn. 54; Beschl. v. 13.08.2002, 12 Ta 244/02, NZA-RR 2003, 249; ErfK/Koch, § 85 ArbGG Rn. 5; GK-ArbGG/Vossen, § 85 Rn. 55). Im Rahmen dieser Interessenabwägung ist von dem Grundsatz auszugehen, dass der Verfügungsgrund nicht bereits durch den Verfügungsanspruch indiziert wird (dazu LAG Düsseldorf, Beschl. v. 09.01.2018, 3 TaBVGa 6/17, aaO Rn. 45 mwN).

Bei einer einstweiligen Verfügung zur Sicherung von Beteiligungsrechten des Be-triebsrates besteht oft die Gefahr, dass die Rechte ohne den Erlass einer vorläufigen Unterlassungsverfügung leerlaufen. Die Beteiligungsrechte können sogar endgültig verteilt werden, wenn es sich um eine kurzfristige, zeitlich begrenzte Maßnahme handelt. Auch bei einer auf Dauer gerichteten Maßnahme wird das Beteiligungsrecht zumindest für die bereits verstrichene Zeit nicht mehr ausgeübt werden können (dazu GK-ArbGG/Vossen, § 85 Rn. 56; GMP/Spinner, § 85 ArbGG Rn. 37). Dies allein rechtfertigt eine Unterlassungsverfügung jedoch nicht. Das durch eine Unterlassungsverfügung zu sichernde Beteiligungsrecht des Betriebsrates ist nämlich kein subjektives, absolutes Recht des Betriebsrates, sondern eine Berechtigung, zum Schutz der Arbeitnehmer durch Ausübung des jeweiligen Beteiligungsrechts mitgestaltend tätig zu werden. Für die Feststellung eines Verfügungsgrundes kommt es daher nicht darauf an, ob dem Betriebsrat die Ausübung seiner Beteiligungsrechte ganz oder jedenfalls für die Vergangenheit unmöglich gemacht wird, sondern darauf, ob für die Zeit bis zum Inkrafttreten einer mitbestimmten Regelung, der damit bezweckte notwendige Schutz der Arbeitnehmer unwiederbringlich vereitelt wird (LAG Düsseldorf, Beschl. v. 09.01.2018, 3 TaBVGa 6/17, aaO Rn. 52; LAG Hamburg, Beschl. v. 28.01.2010, 7 TaBVGa 2/09, juris Rn. 81; ErfK/Koch, § 85 ArbGG Rn. 5; GK-ArbGG/Vossen, § 85 Rn. 56; GMP/Spinner, § 85 ArbGG Rn. 37).

Im Rahmen der umfassenden Interessenabwägung sind zu berücksichtigen das Gewicht des drohenden Verstoßes gegen Mitbestimmungsrechte und die Bedeutung der umstrittenen Maßnahme für die Arbeitgeberin einerseits und für die Belegschaft andererseits. Das Gewicht des drohenden Verstoßes gegen Mitbestimmungsrechte ist umso höher, je klarer die Prüfung der Sach- und Rechtslage im Rahmen des einstweiligen Verfügungsverfahrens ausfällt. Bei klar gegebenem mitbestimmungswidrigen Verhalten der Arbeitgeberin werden regelmäßig bereits geringfügige Beeinträchtigungen der Mitarbeiter für die Annahme eines Verfügungsgrundes ausreichen, da das Interesse der Arbeitgeberin an der Durchführung einer eindeutig mitbestimmungswidrigen Maßnahme nicht schutzwürdig ist. Umgekehrt gilt allerdings, dass bei weitgehend ungeklärter Sach- und Rechtslage die Anforderungen an den Verfügungsgrund erhöht sind. Bei einer in höherem Maße zweifelhaften Rechtslage kann regelmäßig keine einstweilige Verfügung ergehen (vgl. dazu LAG Düsseldorf, Beschl. v. 09.01.2018, 3 TaBVGa 6/17, aaO Rn. 50 ff.; LAG Köln, Beschl. v. 21.8.2013, 11 Ta 87/13, BeckRS 2013, 73949 Rn. 31; LAG Hessen, Beschl. v. 15.11.2012, 5 TaBVGa 257/12, BeckRS 2013, 67432, jew. mwN). Dann ist das Hauptsacheverfahren bis zur rechtskräftigen Klärung der Streitfragen abzuwarten, es sei denn, dass schwerwiegende Schutzinteressen der Belegschaft ausnahmsweise selbst in einem solchen Fall das Durchführungsinteresse der Arbeitgeberin deutlich überwiegen.

Im Hinblick auf das sich aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG ergebende Mitbestimmungsrecht ist dem Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer, dessen Schutz das Beteiligungsrecht des Betriebsrates dient (dazu BAG, Beschl. v. 25.04.2017, 1 ABR 46/15, NZA 2017, 1205; Beschl. v. 13.12.2016, 1 ABR 7/1, NZA 2017, 657; Fitting, § 87 BetrVG Rn. 215; Richardi/Maschmann, § 87 Rn. 492), ein hoher Stellenwert beizumessen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass dem einzelnen Arbeitnehmer aufgrund der vielfältigen, oft nicht wahrnehmbaren Überwachungsmöglichkeiten ein Schutz seiner Rechte ohne kollektivrechtliche Verstärkung durch die Mitbestimmung oft nicht möglich sein wird (vgl. dazu BAG, Beschl. v. 10.12.2013, 1 ABR 43/12, NZA 2014, 439 Rn. 27; Fitting, § 87 Rn. 215).

b.  In Anwendung dieser Grundsätze kam die Kammer nach umfassender Abwägung der widerstreitenden Interessen zu dem Ergebnis, dass vorliegend ein Verfügungsgrund gegeben ist.

Soweit die Beteiligte zu 2. sich unter Verweis auf die gegenwärtige Pandemielage darauf beruft, dass ihr ein Abwarten des Mitbestimmungsverfahrens bis hin zur Einigungsstelle nicht zugemutet werden kann, mag dies aus Sicht der Kammer zwar im Hinblick auf das aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG ergebende Mitbestimmungsrecht durchdringen. Im Bereich des Gesundheitsschutzes werden im Hinblick auf den sich aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG ergebenden Unterlassungsanspruch des Betriebsrats nach dem Sinn und Zweck des betroffenen Mitbestimmungsrechts Einschränkungen angenommen, soweit die Arbeitgeberin arbeitsschutzrechtlich zum Handeln gezwungen ist und lediglich Umfang und Ausgestaltung von zu ergreifenden Schutzmaßnahmen der Mitbestimmung unterliegen, wenn anderenfalls durch eine Unterlassungsverfügung vorübergehend bis zum Zustandekommen einer mitbestimmten Regelung der Arbeitsschutz schlechter als durch die von der Arbeitgeberin einseitig getroffenen Maßnahmen gewährleistet wäre (in diesem Sinne LAG Düsseldorf, Beschl. v. 09.01.2018, 3 TaBVGa 6/17, aaO; LAG Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 18.10.2016, 2 TaBVGa 1/16, BeckRS 2016, 119000 Rn. 55 ff.). Die Kammer erkennt an, dass die Übermittlung und Auswertung der Kameraaufnahmen seitens der Beteiligten zu 2. zum Zwecke der Vermeidung der Ausbreitung des Corona-Virus und zum Schutz aller Mitarbeiter erfolgt. Die Aktualität der Pandemielage und dies sich daraus ergebenden gravierenden Bedrohungen für die Gesundheit der Betriebsangehörigen bringen die Arbeitgeberin in das Dilemma, einerseits die Belegschaft vor Gefahren schützen und andererseits darüber einen Konsens mit dem Betriebsrat erzielen zu müssen. Es ist daher auch nicht auszuschließen, dass der Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer nicht im selben Maße gewährleistet werden kann.

Allerdings ist aus Sicht der Kammer maßgeblich zu berücksichtigen, dass die Beteiligte zu 2. Maßnahmen (zum Gesundheitsschutz) gewählt hat, die gleichzeitig massiv in die Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmer eingreifen. Dies führt im Rahmen der vorgenommenen umfassenden Interessenabwägung zu dem Ergebnis, dass zur Abwendung wesentlicher Nachteile, eine sofortige Regelung zu treffen ist. Die Übermittlung nicht anonymisierter Kameraaufnahmen ins Ausland verletzt die Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmer schwerwiegend. Mit der laufenden und weiterhin beabsichtigten Übermittlung und Verarbeitung der Daten hat die Beteiligte zu 2. Fakten geschaffen, die das Mitbestimmungsrecht und die Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmer ständig wiederholend verletzen. Auch ist die bereits erfolgte Übermittlung der Daten nicht umkehrbar. Die eindeutig und offensichtlich gegen eine geltende Betriebsvereinbarung verstoßende Arbeitgeberin ist in ihrem Verhalten nicht schutzwürdig. Zudem hat die Beteiligte zu 2. selbst vorgetragen, dass bereits anderweitige Maßnahmen (lokale Kontrollen, Einsatz von Social Distancing Ambassadors) zur Überwachung der Einhaltung des Gesundheitsschutzes ergriffen worden sind. Diese mögen aufgrund der Größe des Betriebes und der Anzahl der Mitarbeiter nicht gleich effektiv sein. Es ist jedoch nicht zu befürchten, dass der Schutz der Arbeitnehmer im Betrieb ohne die Auswertung der Kameraaufnahmen vollständig vereitelt wird.

C.

Die Androhung des Ordnungsgeldes beruht auf § 85 Abs. 1 ArbGG i.V.m. § 890 ZPO sowie § 23 Abs. 3 Satz 2, 5 BetrVG. Hinsichtlich der Art und Höhe des Ordnungsmittels war auch für den allgemeinen Unterlassungsanspruch die spezialgesetzliche Vorschrift des § 23 Abs. 3 BetrVG zu beachten (vgl. dazu nur BAG, Beschl. v. 29.04.2004, 1 ABR 30/02, NZA 2004, 670). Vor diesem Hintergrund war der Arbeitgeberin als Zwangsmittel ein Ordnungsgeld bis zu einer Höhe von 10.000,00 EUR anzudrohen. Auch musste im Rahmen des Androhungsbeschlusses nicht die genaue Höhe des Ordnungsgeldes angegeben werden. Es reicht insofern der Verweis auf den gesetzlichen Höchstbetrag (vgl. LAG Düsseldorf, Beschl. v. 14.05.2002, 7 Ta 128/02, juris).

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