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Verdachtskündigung – Anhörung des Arbeitnehmers – Verdacht des Arbeitszeitbetrugs

LAG Berlin-Brandenburg – Az.: 25 Sa 2421/10 – Urteil vom 17.02.2011

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 28. September 2010 – 50 Ca 5832/10 und 50 Ca 13509/10 – abgeändert und wie folgt neu gefasst:

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 23. März 2010 nicht beendet worden ist.

2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Außendienstmitarbeiter weiterzubeschäftigen.

3. Die Klage im Übrigen und die Widerklage werden abgewiesen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 2/10 und die Beklagte zu 8/10.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Verdachtskündigung, über einen Anspruch auf vorläufiger Weiterbeschäftigung sowie über die im Wege der Widerklage von der Beklagten geltend gemachten Rückzahlungsansprüche hinsichtlich einer Sonderzuwendung und überzahlten Gehaltes.

Der 1963 und bei Zugang der Kündigung ledige Kläger war mit einer anerkannten Betriebszugehörigkeit seit dem 16. Juli 1981 bei der Beklagten, einer in der Rechtsform der Körperschaft des öffentlichen Rechts organisierten Betriebskrankenkasse, zuletzt als sog. Sales Manager im Außendienst in alternierender Telearbeit gegen ein monatliches Bruttogehalt in Höhe von 3.201,23 € beschäftigt. Die Beklagte beschäftigt weit mehr als zehn Arbeitnehmer; bei ihr ist auf Grundlage des BPersVG ein Personalrat gebildet.

Zur Aufgabenerfüllung stellt die Beklagte ihm nach näherer Maßgabe einer im Betrieb der Beklagten geltenden Dienstvereinbarung (vgl. Bl. 59 – 68 d. A.) sowie einer zwischen den Parteien geschlossenen Nutzungsvereinbarung (vgl. Bl. 63 – 73 d. A.) einen Dienstwagen zur Verfügung, der – von Ausnahmen abgesehen – ausschließlich zur dienstlichen Nutzung überlassen ist und für den ein Fahrtenbuch zu führen ist. Zum Betanken des Fahrzeugs erhielt der Kläger eine Tankkarte, mit der die Tankkosten gegenüber der Beklagten abgerechnet werden. Die jeweiligen Tankquittungen sind in der Dienststelle abzugeben.

Neben dem Fahrtenbuch sind die Sales-Manager zur Durchführung eines Aktivitätencontrolling verpflichtet, in dem sämtliche Kundenkontakte mit inhaltlichen Angaben in eine elektronische Kontakthistorie (CRM) einzutragen sind.

Die Beklagte führte wegen unterdurchschnittlicher Arbeitsergebnissen des Klägers und vermuteter Nichtwahrnehmung von Terminen in der Zeit vom 10. bis 12. März 2010 eine Auswertung des Fahrtenbuches, des Tourenplanes und dem Aktivitätencontrolling durch und entdeckte so verschiedene Unstimmigkeiten. Bei den Eintragungen für den 21., 22., und 23 September 2009 stimmen die Angaben zu Tankvorgängen nicht. Am 14. Oktober 2009 befand sich der Kläger auf einer Dienstreise nach Stralsund, wurde aber auf der Insel Rügen mit überhöhter Geschwindigkeit von der Polizei „geblitzt“. Am 04., 09. und 30. November 2009, am 04. Dezember 2009 und am 28. Januar 2010 sind ganztägige Fahrten, aber auch Tankungen um die Mittagszeit an einer Tankstelle im Heimatort des Klägers eingetragen. Am 04., 05., 06.,, 26. und 28. Januar 2010 sowie für den 03. Februar 2010 besteht keine Übereinstimmung zwischen den Eintragungen im Fahrtenbuch und dem Tourenplan. Für den 14. Dezember 2009 und den 11. Januar 2010 wurden gegenüber der Beklagten Tankvorgänge abgerechnet, die nicht im Fahrtenbuch eingetragen waren und für die der Kläger keine Tankquittungen bei der Beklagten abgegeben hatte. Für den 07. Januar 2010 sind im Fahrtenbuch Fahrten zur Wahrnehmung zweier Termine in Berlin in der Zeit zwischen 07:15 und 17:00 Uhr und einer Fahrtstrecke von 215 km sowie ein Tankvorgang über 45,73 Liter Kraftstoff eingetragen. An diesem Tag gingen bei der Beklagten um 11:06 Uhr und um 12:50 Uhr zwei Faxschreiben vom Faxgerät des Klägers in seinem home-office ein.

Im Einzelnen geht es dabei um Folgendes:

Gemäß den Eintragungen des Klägers im Fahrtenbuch wurde am 21. September 2009 eine Fahrt beginnend bei Kilometerstand 8.337, beendet bei Kilometerstand 8.630 von Hohen Neuendorf – dem Wohnort des Klägers – nach Wittenberge und zurück vorgenommen und das Fahrzeug am 21. September 2009 bei einem Kilometerstand von 8.340 km mit 44,5 Litern betankt (Bl. 93 d. A.). Für den 22. September 2009 ist im Fahrtenbuch eine Fahrt von Hohen Neuendorf nach Berlin und zurück von 6.45 Uhr bis 16.00 Uhr und an diesem Tag keine Betankung (Bl. 93 d. A.) eingetragen. Ausweislich der vom Kläger eingereichten Tankquittung wurden am 22. September 2009 um 15.09 Uhr in Hohen Neuendorf 44,5 Liter getankt. Für den 23. September 2009 ist im Fahrtenbuch eine Fahrt von 8.30 Uhr bis 17.20 Uhr von Hohen Neuendorf nach Berlin und zurück angegeben sowie ein Tankvorgang von 20.3 l bei einem Kilometerstand von 8.793. Nach einer Tankquittung wurden am 23. September 2009 um 6.57 Uhr 20,3 Liter an der Tankstelle Hohen Neuendorf getankt.

Am 14. Oktober 2009 unternahm der Kläger eine Dienstreise zu einer Veranstaltung in Stralsund. An diesem Tag wurde eine Geschwindigkeitsüberschreitung des Klägers auf der Insel Rügen festgestellt.

Gemäß den Eintragungen des Klägers im Fahrtenbuch für den 04. November 2009 (Bl. 74 d. A.) wurde von 9.30 Uhr bis 16.30 Uhr eine Fahrt von Hohen Neuendorf nach Berlin und zurück genommen, hierbei D.-Agenturen aufgesucht, die Fahrt bei einem Kilometerstand von 12.582 Kilometern begonnen und bei einem Kilometerstand von 12.612 Kilometern beendet. nach dem Fahrtenbuch wurden bei einem Kilometerstand von 12.600 Kilometern 47,3 Liter getankt. Ausweislich des Tankbelegs (Bl. 75 d. A.) wurde um 7.07 Uhr an der Tankstelle Hohen Neuendorf getankt.

Gemäß den Eintragungen des Klägers im Fahrtenbuch für den 30. November 2009 (Bl. 78 d. A.) wurde von 12.00 Uhr bis 18.10 Uhr eine Fahrt von Hohen Neuendorf nach Berlin und zurück vorgenommen, hierbei die D. aufgesucht, die Fahrt bei einem Kilometerstand von 14.754 Kilometern beendet. Hiernach wurden bei einem Kilometerstand von 14.750 Kilometern 43,4 Liter getankt. Ausweislich des Tankbelegs (Bl. 79 d. A.) wurde um 7.03 Uhr an der Tankstelle Hohen Neuendorf getankt.

Gemäß den Eintragungen des Klägers im Fahrtenbuch für den 04. Dezember 2009 (Bl. 78 d. A.) wurde von 7.30 Uhr bis 17.00 Uhr eine Fahrt von Hohen Neuendorf nach Wittenberge und zurück vorgenommen, hierbei die D. aufgesucht, die Fahrt bei einem Kilometerstand von 14.980 Kilometern begonnen und bei einem Kilometerstand von 15.000 Kilometern 48,0 Liter getankt. Ausweislich des Tankbelegs (Bl. 80 d. A.) wurde um 12.29 Uhr an der Tankstelle Hohen Neuendorf getankt.

Am 14. Dezember 2009 wurde ausweislich der Rechnung des Leasinggebers DB-R. gegenüber der Beklagten das Fahrzeug des Klägers in Hohen Neuendorf betankt (Bl. 88 d. A.). Nach dem Fahrtenbuch erfolgten in der Zeit vom 12. bis 16.12.2009 keine Fahrten, ein Tankvorgang ist nicht eingetragen (Bl. 90 d. A.)

Für den 04. Januar 2010 sieht der Tourenplan des Klägers vormittags den Besuch der der D. E. Falkensee und für den Nachmittag Telearbeit (Bl. 83 d. A.). Im Fahrtenbuch (Bl. 84 d. A.) eingetragen ist eine Fahrt von 8.30 Uhr bis 17.00 Uhr von Hohen Neuendorf nach Falkensee und zurück bei einem Besuch der D. und einem Fahrtbeginn bei 16.780 Kilometern und einem Fahrtende von 16.855 Kilometern, insgesamt 75 Kilometern.

Für den 05. Januar 2010 sieht der Tourenplan des Klägers den Besuch der D.-Agenturen Neuruppin, und zweimal in Hagenow vor (Bl. 83 d. A.), nach den Eintragungen im Fahrtenbuch wurde von 07.00 Uhr bis 17.00 Uhr eine Fahrt von Hohen Neuendorf nach Wittenberge vorgenommen und es wurden zwei Agenturen aufgesucht (Bl. 84 d. A.).

Für den 06. Januar 2010 sieht der Tourenplan des Klägers den Besuch des Werks Wittenberge und der D. Agenturen Wittenberge und Perleberg vor (Bl. 83 d. A.), ausweislich des Fahrtenbuchs wurde von 9.00 Uhr bis 16.30 Uhr eine Fahrt von Hohen Neuendorf nach Berlin vorgenommen und es wurden dort zwei Agenturen aufgesucht (Bl. 84 d. A.).

Für den 07. Januar 2010 ist im Fahrtenbuch eine Fahrt von 07.15 Uhr bis 17.00 Uhr von Hohen Neuendorf nach Berlin und zurück eingetragen, sowie die D.-Agenturen in Spandau und Tegel sind als aufgesuchte Gesprächspartner angegeben bei einem Fahrtbeginn bei Kilometerstand 17.225 Kilometern und 17.440 Kilometern bei Fahrtende (Bl. 84 d. A.). Am 07. Januar 2010 gingen in der Zeit zwischen 11.06 Uhr und 12.50 Uhr bei der Beklagten Faxe des Klägers ein (Bl. 100 – 113 d. A.). Gemäß den Eintragungen im Fahrtenbuch wurden bei einem Kilometerstand von 17.438 Kilometern 45,7 l getankt. Ausweislich der Tankquittung erfolgte die Betankung um 16.55 Uhr in Hohen Neuendorf (Bl. 114 d. A.).

Am 11. Januar 2010 wurde ausweislich der Rechnung des Leasinggebers DB-R. gegenüber der Beklagten das Fahrzeug des Klägers in Hohen Neuendorf betankt (Bl. 89 d. A.). Im Fahrtenbuch ist mit einem Strich markiert, dass kein Tankvorgang erfolgt ist (Bl. 84 d. A.).

Für den 26. Januar 2010 sieht der Tourenplan des Klägers für den Nachmittag ein sog. zielorientiertes Mitarbeitergespräch (ZOM) vor und für den Vormittag Telearbeit in Form der Vorbereitung dieses Gesprächs. Ausweislich des Fahrtenbuchs wurden an diesem Tag von 07.30 Uhr bis 17.00 Uhr eine Fahrt von Hohen Neuendorf – Ketzin – Berlin und zurück vorgenommen und hierbei die D. Agentur und die Regionalgeschäftsstelle aufgesucht. Hierbei wurden bei einem Kilometerstand von 18.354 km bei Beginn der Fahrt und 18.484 km bei Fahrtende 130 km gefahren (Bl. 81 d. A.)

Gemäß den Eintragungen des Klägers im Fahrtenbuch für den 28. Januar 2010 (Bl. 81 d. A.) wurde von 07.00 Uhr bis 17.00 Uhr eine Fahrt von Hohen Neuendorf nach Ludwigslust und zurück vorgenommen, hierbei die D. aufgesucht, die Fahrt bei einem Kilometerstand von 18.788 Kilometern begonnen und bei einem Kilometerstand von 19.108 Kilometern beendet. Hiernach wurden bei einem Kilometerstand von 19.100 Kilometern 46,7 Liter getankt. Ausweislich des Tankbelegs (Bl. 82 d. A.) wurde um 13.22 Uhr an der Tankstelle Hohen Neuendorf getankt. Der Tourenplan des Klägers für diesen Tag (Bl. 86 d. A.) sieht für den Vormittag den Besuch von D.-Agenturen in Ludwigslust und für den Nachmittag den Besuch der D. in Hagenow vor.

Für den 03. Februar 2010 sieht der Tourenplan des Klägers den Besuch von drei Agenturen in Berlin vor (Bl. 87 d. A.), das Fahrtenbuch weist für diesen Tag keine Eintragungen auf.

Die Beklagte geht deshalb von Manipulationen aus und lud den Kläger, der sich zu diesem Zeitpunkt auf dem Weg nach Neuruppin befand, am 15. März 2010 kurzfristig und ohne Angabe des Grundes zu einem Gespräch über die festgestellten Unregelmäßigkeiten. Dabei wurden ihm Auszüge des Fahrtenbuches vorgehalten. Der Kläger erklärte, er habe keine Privatfahrten durchgeführt und nicht privat getankt. Das Fahrtenbuch habe er im Nachhinein und auch nachlässig geführt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Gesprächsvermerk hierüber (Bl. 115 – 116 d. A.) verwiesen.

Die Beklagte hörte darauf hin mit Schreiben vom 16. März 2010, eingegangen beim Personalrat am 17. März 2010, den bei ihr gebildeten örtlichen Personalrat zu der von ihr beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Klägers unter Darlegung der von ihr festgestellten Unregelmäßigkeiten an. Sie führte in dem Anhörungsschreiben aus, dass in jedem Falle ein arbeitsrechtlicher Pflichtenverstoß vorliege, aus dem sich der Verdacht ergebe bzw. sich schließen lasse, dass der Kläger das ihm überlassene Dienstfahrzeug für private Zwecke genutzt, Kundenkontakte nicht wahrgenommen und seine wöchentliche Arbeitszeit nicht erbracht habe. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Anhörungsschreiben vom 16. März 2010 (Bl. 117 – 125 d. A.) ergänzend Bezug genommen.

Der Personalrat äußerte sich mit Schreiben vom 22. März 2010 und stimmte der Kündigung nicht zu.

Mit Schreiben vom 23. März 2010, dem Kläger zugegangen am 25. März 2010 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum Kläger außerordentlich fristlos.

Mit seiner am 13. April 2010 beim Arbeitsgericht Berlin eingegangenen Klage hat sich der Kläger gegen diese Kündigung gewandt und deren Unwirksamkeit geltend gemacht.

Nach Ausspruch der Kündigung stellte die Beklagte weitere Ermittlungen an, die Folgendes ergaben:

Im Fahrtenbuch ist für den 06. Oktober 2009 eine Fahrt beginnend bei einem Kilometerstand von 9.800, endend bei einem Kilometerstand von 9.888 km, für den 07. Oktober 2009 eine Fahrt beginnend bei einem Kilometerstand von 9.888 und endend bei einem Kilometerstand von 9.940, für den 08. Oktober 2009 eine Fahrt beginnend bei einem Kilometerstand von 9.940 und endend bei einem Kilometerstand von 9.995 eingetragen. Für den 09. Oktober 2009 ist keine Dienstfahrt im Fahrtenbuch eingetragen (Bl. 199 d. A.). Gemäß dem nächsten Eintrag für den 12. Oktober 2009 begann die Fahrt bei einem Kilometerstand von 9.995 km. Ausweislich der Rechnung der Firma E. aus Oranienburg wurde am 09. Oktober 2009 bei einem Kilometerstand von 9.870 km am Fahrzeug des Klägers ein Reifenwechsel vorgenommen (Bl. 200 d. A.).

Für den 03. Dezember 2009 sieht der Tourenplan des Klägers den Besuch zweier D.-Agenturen in Wittenberge und Perleberg sowie ein Geschäftsessen im DB-Werk Wittenberge vor (Bl. 177 d. A.). Bezüglich dieses Geschäftsessens reichte der Kläger eine Rechnung zwecks Kostenerstattung ein. Im Fahrtenbuch ist für den 03. Dezember 2009 keine Fahrt eingetragen. Für den 04. Dezember 2009 ist eine Dienstfahrt von Hohen Neuendorf nach Wittenberge und zurück in der Zeit von 07.30 Uhr bis 17.00 Uhr eingetragen (Bl. 178 d. A.)

Für den 19. Januar 2010 ist im Fahrtenbuch ein Fahrtbeginn 08.45 Uhr und ein Fahrtende 17.10 Uhr eingetragen (Bl. 179 d. A.). Um 11.54 Uhr und 11.55 Uhr gingen Telefaxe des Klägers bei der Beklagten ein (Bl. 194, 195 d. A.). Für den 21. Januar 2010 ist im Fahrtenbuch ein Fahrtbeginn 8.00 Uhr und ein Fahrtende 16.00 Uhr eingetragen (Bl. 179 d. A.). Um 13.16 Uhr, 13.24 Uhr, 13.34 Uhr, 13.50 Uhr gingen Telefaxe des Klägers bei der Beklagten ein (Bl. 195 – 198 d. A.). Am 9., 10. und 18. Februar 2010 gingen bei im Fahrtenbuch angegebener ganztätiger Fahrten zu Zeiten zwischen 10.16 Uhr und 15.20 Uhr wiederum Telefaxe des Klägers ein (Bl. 180 – 182 d. A.).

Für den 03. März 2010 ist im Fahrtenbuch eine Fahrt von 07.00 Uhr bis 17.00 Uhr, beginnend bei einem Kilometerstand von 21.294 und endend bei einem Kilometerstand von 21.658 und der Besuch von Agenturen in Ludwigslust und Stendal eingetragen. Ausweislich der Auftragsbestätigung vom 03. März 2010 der Firma F. L. (Bl. 205 d. A.) wurde das Fahrzeug um 14.10 Uhr mit einem Kilometerstand von 21.230 km zur 20.000-Kilometer-Sicherheitskontrolle abgegeben und um 16.00 Uhr fertig gestellt.

Im Fahrtenbuch ist für den 09. März 2010 für die Zeit von 08.30 Uhr bis 17.00 Uhr der Besuch von drei D.-Agenturen in Berlin eingetragen (Bl. 201 d. A.). Ausweislich der Abrechnung der Tankkarte (Bl. 202 d. A.) wurden am 09. März 2010 an der Tankstelle Stolpe Süd 47,7 Liter getankt (Bl. 202 d. A.). Ausweislich der vom Kläger eingereichten Quittung (Bl. 203 d. A.) wurde um 11.50 Uhr getankt. Dieser Quittung fehlt die normalerweise als „Briefkopf“ enthaltene Angabe der Tankstelle. Beim Datum erscheint oben links „08.03.2010“ bei etwas abweichendem Druckbild der 8, im weiteren Text der Quittung erscheint schlecht lesbar als Datum der 09.03.2010.

Auf die Fahrtenbucheintragungen und Tankbelege betreffend den 28. Juli 2009, 12. August 2009 und 19. August 2009 wird Bezug genommen (Bl. 206 – 210 d. A.).

Zu diesen Erkenntnissen hörte die Beklagte mit Schreiben vom 23. August 2010 (Bl. 215 – 219 d. A.), auf das ergänzend Bezug genommen wird, den Kläger und seine Prozessbevollmächtigten unter Beifügung der entsprechenden Belege zu ihren darauf gestützten Vermutungen manipulatorischer Eintragungen an. Der Kläger äußerte sich nicht.

Mit weiterem Schreiben vom 31. August 2010 hörte die Beklagte den bei ihr gebildeten örtlichen Personalrat unter Schilderungen der weiteren Feststellungen zu der beabsichtigten Einführung dieser Erkenntnisse in den laufenden Kündigungsschutzrechtsstreit sowie zum Ausspruch einer weiteren, vorsorglichen Kündigung des Klägers an.

Der Personalrat verwies auf seine erste Stellungnahme.

Der Kläger hat vorgetragen, er habe weder das Fahrtenbuch gefälscht, noch habe er Arbeitszeiten nachzuweisen versucht, die er nicht erbracht habe. Soweit sich zwischen den Eintragungen im Fahrtenbuch und dem Tourenplan Widersprüche ergäben, beruhten diese darauf, dass die Tourenpläne nur eine grobe Planung ermöglichten, im voraus erstellt würden und Termin im Interesse der Kunden häufig kurzfristig verändert werden müssten. Er habe das Fahrtenbuch nicht immer zeitnah geführt. Dies rechtfertige aber ohne einschlägige Abmahnung nicht die außerordentliche, fristlose Kündigung. Weder der Tourenplan, noch das Fahrtenbuch dienten dem Arbeitszeitnachweis. Die Auswertungen des Aktivitätencontrolling verstießen gegen eine Dienstvereinbarung und seien somit unzulässig. Des Weiteren sei nicht nachvollziehbar, dass ihm die Beklagte unterdurchschnittliche Leistungen vorhalte. Schließlich sei ihm mitgeteilt worden, dass er mit der Neukundengewinnung im Zielkorridor liege. Kritik an der Führung seines Fahrtenbuches sei nie aufgekommen; ihm sei vielmehr dafür die volle Punktzahl zuerkannt worden. Schließlich sei das Nachschieben von Gründen unzulässig. Insoweit sei die Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht eingehalten. Die ordnungsgemäße Anhörung des Personalrats werde bestritten.

Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 23. März 2010 nicht beendet wird.

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern auf unbestimmte Zeit fortbesteht.

3. für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1.) und /oder zu 2.) wird die Beklagte verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Außendienstmitarbeiter weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen und im Wege der Widerklage, den Kläger zu verurteilen, an die Beklagte 1.852,30 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der Deutschen Bundesbank seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags hat sie vorgetragen, die Kündigung sei wirksam. Der Kläger habe gegen klare arbeitsvertragliche Weisungen verstoßen. Über seine diesbezüglichen Pflichten sei er belehrt gewesen. Neben der erheblichen Bedeutung der Fahrtenbücher für die Steuerfestsetzung sei nach den festgestellten Falscheintragungen davon auszugehen, dass der Kläger die Wahrnehmung von Terminen nur vorgetäuscht und in betrügerischer Absicht über seine Arbeitszeit getäuscht habe. So seien für den 28. Juli, 12. August und 19. August 2009 im Fahrtenbuch ganztägige Fahrten angegeben, aber bereits Mittags im Heimatort des Klägers Tankvorgänge durchgeführt worden. Auch die Eintragung für den 04. Dezember 2009 (Fahrt nach Wittenberge) müsse unzutreffend sein, weil der Kläger bereits am Tag zuvor in Wittenberge gewesen sei. Die jeweils für den 19. und 21. Januar 2010 sowie für den 9., 10. und 18. Februar 2010 eingetragenen Besuche könne der Kläger nicht durchgeführt haben, weil tagsüber von ihm Faxschreiben an die Beklagte versandt wurden. Auch für den 03. März 2010 sei davon auszugehen, dass diese Fahrt nicht durchgeführt worden sei. Aufgrund des manipulierten Tankbelegs für den 09. März 2010 von der außerhalb Berlins gelegenen Tankstelle Stolpe-Süd sei ebenfalls davon auszugehen, dass der Kläger die angegebenen Besuche in Berlin nicht durchgeführt habe. Daraus resultiere der Verdacht, dass der Kläger seine wöchentliche Arbeitszeit von 39 Stunden nicht erbracht habe. Dieser werde auch durch die weiter festgestellten Pflichtverletzungen gestützt. Die Erklärungsversuche des Klägers seien nicht überzeugend. Es sei auch von Privatfahrten auszugehen. Allein für den Zeitraum vom 04. Januar bis 15. März 2010 ergäbe sich nach Abgleich der angegeben Fahrten und den Eintragungen im Fahrtenbuch eine Differenz von rund 700 km zu ihren Lasten. Besonders schwer wiege der Vertrauensverlust. Der Kläger habe sich uneinsichtig gezeigt und lasse keine Verhaltensänderungen erwarten. Deshalb sei auch unter Berücksichtigung seiner langen Betriebszugehörigkeit eine Weiterbeschäftigung nicht zumutbar.

Mit ihrer dem Kläger am 03. September 2010 zugestellte Widerklage macht sie im Hinblick auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Zugang der außerordentlichen Kündigung am 25. März 2010 einen tariflichen Rückzahlungsanspruch nach § 22 Abs. 2 Nr. 2 AnTV wegen vorzeitigen Ausscheidens vor dem 31. März 2010 sowie überzahltes Gehalt für die Zeit vom 26. bis 31. März 2010 in rechnerisch unstreitiger Höhe geltend. Diesbezüglich habe sie auch die Ausschlussfrist gewahrt. Denn die Rückzahlungsansprüche seien erst am 26. März 2010 fällig geworden.

Der Kläger hat insoweit beantragt, die Widerklage abzuweisen.

Aufgrund der Unwirksamkeit der Kündigung bestehe kein Anspruch auf Rückzahlung der Sonderzuwendung und des anteiligen Märzgehaltes. Im Übrigen seien entsprechende Ansprüche verfallen; die tarifliche Ausschlussfrist sei von der Beklagten nicht eingehalten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen ihnen erstinstanzlich gewechselten Schriftsätze Bezug genommen, § 69 Abs. 2 ArbGG.

Das Arbeitsgericht Berlin hat mit seinem Urteil vom 28. September 2010 die Klage abgewiesen und den Kläger auf die Widerklage hin verurteilt, an die Beklagte 1.852,30 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der Deutschen Bundesbank seit dem 07. September 2010 zu zahlen. Zur Begründung, auf die zur näheren Sachdarstellung Bezug genommen wird, hat es im Wesentlichen ausgeführt, ein wichtiger Grund für die außerordentliche Kündigung liege vor. Die Bezahlung eines privaten Tankvorganges mit der Tankkarte des Arbeitsgebers in Verbindung mit dem dringenden Verdacht der Privatnutzung des Dienstwagens sowie die Vorspiegelung so nicht erbrachter Arbeitsleistungen und falscher Angaben im Fahrtenbuch sei ein an sich geeigneter Grund für eine fristlose Kündigung. Davon sei vorliegend nach dem Vortrag der Beklagten auszugehen, ohne dass es darauf ankomme, ob das Auswerten des Aktivitätencontrolling zulässig sei oder nicht. Denn die Beklagte stütze sich nicht auf solche Daten, sondern vielmehr auf die Eintragungen im Fahrtenbuch, dem Tourenplan und auf Tankbelege. Das Arbeitsgericht hat angenommen, die erste Anhörung am 15. März 2010 sei nicht ordnungsgemäß erfolgt und die dieser Anhörung zugrunde liegenden Vorwürfe könnten zur Stützung der Kündigung nicht dienen. Gleichwohl hat es ausgeführt, dass die Eintragungen für den 21. 22. und 23. September 2009, für den 14. Oktober 2009, den 04., 09. und 30. November 2009, den 04. und 14. Dezember 2009 falsch seien, für den 04., 05. und 06. Januar 2010 sowie für den 03. Februar 2010 keine Pflichtverletzungen feststellbar seien, aber aufgrund der falschen Eintragungen für den 07. Januar 2010 der Verdacht einer Privatnutzung des Dienstwagens bestehe. Auch die Eintragungen für den 11., 26. und 28. Januar 2010 seien falsch. Jedenfalls auf der Grundlage der zulässigerweise nachgeschobenen Gründe sei die Kündigung berechtigt. Für den Zeitraum vom 06. bis zum 09. Oktober 2009 sei das Fahrtenbuch nicht korrekt geführt. Am 09. Oktober 2009 sei keine Fahrt eingetragen, obwohl an diesem Tag ein Reifenwechsel an dem Dienstwagen bei der Fa. Euromaster in Oranienburg durchgeführt wurde. Erschwerend komme hinzu, dass der in der Rechnung dieser Firma angegebene Kilometerstand nach den Eintragungen im Fahrtenbuch bereits am 06. Oktober 2009 erreicht gewesen sei. Auch die Eintragungen für den 19. und 21. Januar 2010, den 09., 10. und 18. Februar 2010 könnten nicht stimmen, weil für diese Tage jeweils ganztägige Dienstfahrten, beginnend morgens und endend zwischen 16:00 Und 17:00 Uhr eingetragen seien, aber jeweils gegen Mittags Telefaxe des Klägers vom Zuhause des Klägers bei der Beklagten eingegangen seien. Auch am 03. März 2010 könne die im Fahrtenbuch eingetragene ganztägige Fahrt von 07:00 bis 17:00 Uhr nicht durchgeführt worden sein, weil der Dienstwagen in der Zeit von 14:10 bis 16:00 Uhr laut der entsprechenden Auftragsbestätigung in der Inspektion bei der Fa. Ford gewesen sei. Auch der in der betreffenden Auftragsbestätigung genannte Kilometerstand stimme nicht mit den Eintragungen im Fahrtenbuch überein. Schließlich könne die Eintragung für den 09. März 2010 ebenfalls nicht stimmen. Der dort angegebene Besuch dreier Agenturen in der Zeit von 08:30 bis 17:00 Uhr könne so nicht stattgefunden haben, weil für diesen Tag ein Tankbeleg der Tankstelle Stolpe-Süd über einen Tankvorgang um 11:50 Uhr vorliege. Hinzu komme noch der Manipulationsvorwurf bezüglich dieses Tankbeleges, bei dem der „Briefkopf“ mit der Angabe der Tankstelle fehle und bei dem das Datum vom 09. März 2010 in den 08. März 2010 abgeändert worden sei. In der Gesamtschau dieser Feststellungen bestehe der dringende Verdacht der Privatnutzung des Dienstwagens und des Vortäuschens so nicht erbrachter Arbeitszeiten. Hierfür habe es auch vor Ausspruch einer Kündigung keiner Abmahnung bedurft, weil für den Kläger ohne weiteres erkennbar gewesen sei, dass die Beklagte ein solches Verhalten nicht dulden würde. Die Beklagte habe auch die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB eingehalten. Anhaltspunkte dafür, dass ein kündigungsberechtigter Mitarbeiter der Beklagten bereist vor dem 12. März 2010 positive Kenntnisse von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen gehabt hätte, lägen nicht vor. Auch die vorzunehmende Interessenabwägung führe trotz der langen Betriebszugehörigkeit des Klägers wegen der Vielzahl der Pflichtverletzungen nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung. Auch die Personalratsanhörung sei ordnungsgemäß erfolgt. Die Kündigung habe daher das Arbeitsverhältnis der Parteien mit ihrem Zugang am 25. März 2010 beendet. Deswegen seien auch die mit der Widerklage geltend gemachten Ansprüche auf Rückzahlung der Sonderzuwendung wegen Ausscheidens vor dem 31. März 2010 nach § 22 Abs. 2 Nr. 2 AnTV sowie hinsichtlich des bereits gezahlten Gehaltes für die Zeit vom 26. bis 31. März 2010 nach § 812 BGB begründet.

Gegen das den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 19. Oktober 2010 zugestellte Urteil hat dieser mit dem am 18. November 2010 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz seiner jetzigen Prozessbevollmächtigten vom selben Tage Berufung eingelegt und diese mit dem am 17. Dezember 2010 eingegangenen Schriftsatz begründet.

Der Kläger hält das angefochtene für rechtsfehlerhaft. Das Arbeitsgericht habe zwar zutreffend entschieden, dass die erste Anhörung des Klägers am 15. März 2010 nicht ordnungsgemäß erfolgt sei und die bei dieser Anhörung gegenständlichen Vorwürfe nicht zur Stützung der Kündigung herangezogen werden könnten, habe aber in den Entscheidungsgründen teilweise diese Vorwürfe eingeflochten. Auch die nachgeschobenen Gründe könnten entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts die Kündigung nicht stützen, weil dieses Nachschieben unzulässig sei. Diesbezüglich habe die Beklagte die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht eingehalten. Es sei wegen des zeitlichen Abstands zwischen Kündigung und dem Nachschieben der Kündigungsgründe davon auszugehen, dass die Beklagte bereits zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung am 23. März 2010 Kenntnis hatte. Trotz erstinstanzlichen Bestreitens habe die Beklagte zu den Umständen der Kenntniserlangung dieser Gründe nicht vorgetragen. Auch die Anhörung des Klägers zu diesen nachgeschobenen Gründen und die Anhörung des Personalrats zum Nachschieben in den Prozess seien im Übrigen nicht ordnungsgemäß erfolgt. Im Übrigen läge kein wichtiger Grund vor. Er habe das Fahrtenbuch aus Nachlässigkeit oft über längere Zeit erst im Nachhinein ausgefüllt und sich dabei offenbar vertan. Er habe aber keinesfalls das Fahrtenbuch vorsätzlich falsch geführt und insbesondere auch nicht versucht, Pflichtverletzungen zu verschleiern. Privatfahrten oder private Tankvorgänge auf Kosten der Beklagten habe er nicht ausgeführt. Die festgestellten Fehler in den Eintragungen beruhten ausschließlich auf Irrtümern in der zeitlichen Abfolge. Zu den einzelnen Vorwürfen, insbesondere den nachgeschobenen Gründen wiederholt und vertieft der Kläger sein Vorbringen aus erster Instanz. Hinsichtlich der Vorwürfe bezüglich des 03. und 04. Dezember 2009 trägt der Kläger vor, an beiden Tagen in Wittenberge gewesen zu sein. Am 03. Dezember 2009 sei wegen der Weihnachtsfeier und um etwas trinken zu können, mit der Bahn nach Wittenberge gefahren. Danach sei er am 04. Dezember 2009 ein weiteres Mal, diesmal mit dem Dienstwagen nach Wittenberge gefahren, um dort Kalender abzugeben. Die Eintragungen für den 08. und den 09. März 2010 habe er, weil er diese Eintragungen auch erst im Nachhinein vorgenommen habe, vertauscht. Durch die erst nachträglichen Eintragungen im Fahrtenbuch seien wohl die Kilometerstände durcheinander geraten und auch Irrtümer in den zeitlichen Abläufen aufgetreten. Da er seine Arbeitszeit nicht nur über Fahrten im Außendienst, sondern auch von Zuhause aus erbringe, könne von den fehlerhaften Eintragungen nicht auf einen Arbeitszeitbetrug geschlossen werden. Die Fehler im Umgang mit dem Fahrtenbuch könnten aber ohne vorherige Abmahnung nicht zum Anlass für eine Kündigung genommen werden. Hinsichtlich des Tankvorgangs am 23. September 2009, der eine absolute Ausnahme gewesen sei, sei er sich des Unrechts nicht bewusst gewesen. Er habe keine Schädigungsabsicht gehabt, sondern sich lediglich das verauslagte Benzin zurückholen wollen. Das er damit seinen Arbeitsplatz riskiere, sei ihm nicht bewusst gewesen. Er habe auch nicht den Tankbeleg für den 09. März 2010 manipuliert. Insgesamt erweise sich die Kündigung jedenfalls nach der vorzunehmenden Interessenabwägung wegen der zu berücksichtigenden langen Betriebszugehörigkeit als unwirksam. Aufgrund des Widerspruchs des Personalrats sei die Beklagte auch zur vorläufigen Weiterbeschäftigung verpflichtet. Da die Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht beendet habe, sei auch die Widerklage abzuweisen.

Der Kläger beantragt – zuletzt sinngemäß -, das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 28. September 2010 abzuändern und

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 23. März 2010 nicht beendet worden ist.

2. für den Fall des Obsiegens mit dem Kündigungsschutzantrag die Beklagte zu verurteilen, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Außendienstmitarbeiter weiterzubeschäftigen.

3. die Widerklage abzuweisen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Sie verteidigt unter Wiederholung und Vertiefung ihres Vorbringens die angefochtene Entscheidung als richtig. Das Arbeitsgericht habe genügend Pflichtverstöße festgestellt, die die streitgegenständliche Kündigung rechtfertigten. Jedenfalls die von ihr nachgeschobenen Gründe, die sie auch habe zulässigerweise in den Prozess einführen können, seien ausreichend. Hiervon habe sie erst im August 2010 Kenntnis gehabt. Im Übrigen gelte für das Nachschieben von Kündigungsgründen auch nicht die Frist des § 626 Abs. 2 BGB. Nach dem Berufungsvorbringen sei der Vorwurf hinsichtlich des Tankvorganges am 23. September 2009 unstreitig und rechtfertige die Kündigung bereits unter dem Gesichtspunkt der Tatkündigung. Auf eine ordnungsgemäße Anhörung diesbezüglich komme es daher nicht mehr an. Gleiches gelte auch für die Fahrt am 14. Oktober 2009 mit dem Dienstwagen nach Rügen. Von dieser Fahrt habe sie auch erst im März 2010 Kenntnis erhalten, nachdem der Kläger selbst ein Schreiben wegen des Verkehrsvergehens vorgelegt habe. Behördliche Schreiben wegen Verkehrsvergehen würden ohne inhaltliche Kenntnisnahme an den jeweiligen Außendienstmitarbeiter weitergeleite, weil diese für Bußgelder etc. selbst aufzukommen hätten. Eine frühere Kenntnis werde bestritten. Die Vorwürfe hinsichtlich des 03. und 04. Dezember 2009 für die Fahrten nach Wittenberge seien erwiesen; die Eintragungen seien unrichtig. Auch diesbezüglich sei eine Anhörung entbehrlich, da die Tatvorwürfe unzweifelhaft seien und damit die Voraussetzungen für eine Tatkündigung gegeben seien. Dies gelte auch für die weiteren falschen Eintragungen. Die Ausführungen zu den Erinnerungslücken bezüglich der Manipulation des Tankbeleges vom 09. März 2010 seien reine Schutzbehauptungen. Die Ausführungen des Klägers seien allesamt nicht geeignet, die Tatvorwürfe zu entkräften. Einer vorherigen Abmahnung habe es wegen der vorangegangenen Belehrungen über das Führen des Fahrtenbuches nicht bedurft.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in Berufung wird auf die Schriftsätze der Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 17. Dezember 2010 (Bl. 308 – 317 d. A.) und vom 16. Februar 2011 (Bl. 357 – 362 d. A.) sowie auf den Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten der Beklagten vom 21. Januar 2011 (Bl. 339 – 354 d. A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Das Rechtsmittel der Berufung ist nach § 64 Abs. 1, Abs. 2 ArbGG statthaft. Die Berufung des Klägers ist gem. §§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG in Verbindung mit §§ 518, 519 ZPO auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist somit zulässig. Die Berufung des Klägers hat auch in der Sache Erfolg. Das Arbeitsverhältnis der Parteien wurde durch streitbefangene außerordentliche Kündigung nicht aufgelöst. Deshalb steht ihm auch ein Anspruch auf vorläufige Weiterbeschäftigung zu. Aus diesem Grund erweist sich auch die Widerklage der Beklagten als unbegründet.

I.

Die Kündigung vom 23. März 2010 erweist sich als unwirksam, weil ein wichtiger Grund gemäß §§ 626 BGB, 30 AnTV nicht vorliegt.

1.

Der Kläger genießt – wovon beide Parteien ausgehen – nach § 30 AnTV besonderen Kündigungsschutz. Ihm konnte daher nur aus wichtigem Grund gekündigt werden. Soweit die Tarifvertragsparteien vom Erfordernis des wichtigen Grundes für eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses von Arbeitnehmern sprechen, wird ohne eigenständige Definition die in § 626 Abs. 1 BGB gebrauchte Formulierung verwendet. Da der Gesetzgeber in § 626 BGB geregelt hat, unter welchen Voraussetzungen eine Kündigung aus wichtigem Grund gerechtfertigt ist, sind die in § 626 BGB enthaltenen und daraus abgeleiteten Regeln zur Zulässigkeit einer außerordentlichen Kündigung auch im Rahmen des § 30 AnTV anzuwenden. Der Tarifvertrag schließt somit die Möglichkeit, einem solchen Arbeitnehmer außerordentlich fristlos zu kündigen, nicht aus, sondern nimmt vielmehr auf § 626 BGB Bezug.

2.

Nach §§ 30 AnTV, 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Vertragsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Nach dieser Bestimmung ist bei allen Kündigungsgründen eine Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und eine Abwägung der jeweiligen Interessen beider Vertragsteile erforderlich. Im Rahmen der Prüfung einer außerordentlichen Kündigung ist nach der Spruchpraxis des Bundesarbeitsgerichts zunächst zu prüfen, ob ein arbeitsvertraglicher Pflichtenverstoß bzw. der Kündigungssachverhalt unabhängig von den Besonderheiten des Einzelfalles an sich geeignet ist, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen fristlosen Kündigung abzugeben. In einer zweiten Prüfungsstufe ist sodann zu klären, ob es dem Arbeitgeber im konkreten Fall unter Berücksichtigung aller in Betracht kommender Umstände des Einzelfalles und der beiderseitigen Interessen zumutbar ist, den Arbeitnehmer auch nur für die Dauer der ordentlichen Kündigungsfrist weiterzubeschäftigen (BAG, Urteil vom 27. April 2006 – 2 AZR 386/05 – BAGE 118, 104 = NZA 2006, 977; BAG, Urteil vom 07. Juli 2005 – 2 AZR 581/04 – BAGE 115, 195 = AP Nr. 192 zu § 626 BGB = NZA 2006, 98; BAG, Urteil vom 15. November 1995 – 2 AZR 974/94 – AP Nr. 73 zu § 102 BetrVG 1972 = NZA 1996, 419).

3.

Die Beklagte kann sich zur Begründung der außerordentlichen Kündigung vom 23. März 2010 nicht darauf berufen, der Kläger habe sich des Verdachts eines Arbeitszeitbetruges oder der Privatnutzung des ihm überlassenen Dienstwagens zu Lasten der Beklagten schuldig gemacht. Sie hat den bei ihr gebildeten Personalrat ausweislich der von ihr eingereichten Anhörungsunterlagen zu einer auszusprechenden Verdachtskündigung angehört, so dass die streitgegenständliche Kündigung unter diesem Aspekt zu prüfen ist. Denn nach Mitteilung der von ihr festgestellten Unregelmäßigkeiten in den Fahrtenbucheintragungen hat sie die beabsichtigte Kündigung gegenüber dem Personalrat ausschließlich mit dem daraus aus ihrer Sicht folgenden Verdacht hinsichtlich eines Arbeitszeitbetruges und der unberechtigten Privatnutzung des Dienstwagens begründet.

a)

In der Rechtsprechung der Arbeitsgerichte ist anerkannt, dass strafbare Handlungen zu Lasten des Arbeitgebers ebenso wie grobe Vertrauensverstöße grundsätzlich eine außerordentliche Kündigung nach § 626 BGB rechtfertigen können. Dabei kann nicht nur eine erhebliche Vertragsverletzung, sondern auch schon der schwerwiegende Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer sonstigen Verfehlung einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darstellen. Der Verdacht der strafbaren Handlung stellt gegenüber dem Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Tat begangen, einen eigenständigen Kündigungsgrund dar, der in dem Tatvorwurf nicht enthalten ist. Bei der Tatkündigung ist für den Kündigungsentschluss maßgebend, dass der Arbeitnehmer nach der Überzeugung des Arbeitgebers die strafbare Handlung bzw. Pflichtverletzung tatsächlich begangen hat und dem Arbeitgeber aus diesem Grund die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar ist. Eine Verdachtskündigung liegt vor, wenn und soweit der Arbeitgeber seine Kündigung damit begründet, der Verdacht eines (nicht erwiesenen) strafbaren bzw. vertragswidrigen Verhaltens habe das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zerstört. Eine Verdachtskündigung ist nur dann zulässig, wenn sich starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründen, die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören, und der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhaltes unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat. Dabei ist die vorherige Anhörung des Arbeitnehmers Wirksamkeitsvoraussetzung der Verdachtskündigung. Die Kündigung verstieße anderenfalls gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Sie wäre nicht ultima ratio (BAG, Urteil vom 23. Juni 2009 – 2 AZR 474/07 – AP Nr. 47 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlungen = NZA 2009, 1136; BAG, Urteil vom 13. März 2008 – 2 AZR 961/06 – NZA 2008, 809). Der Verdacht muss darüber hinaus schwerwiegend sein und sich aus den Umständen ergeben bzw. objektiv durch Tatsachen begründet sein. Er muss weiter dringend sein, d. h. bei einer kritischen Prüfung muss eine auf Beweisanzeichen gestützte große Wahrscheinlichkeit für die erhebliche Pflichtverletzung gerade dieses Arbeitnehmers bestehen (BAG, Urteil vom 12. März 2009 – 2 ABR 24/08 – NZA-RR 2010, 180). Dabei muss das Gericht im Einzelnen prüfen, ob die den Verdacht begründenden Indizien zutreffen, also entweder unstreitig sind oder vom Arbeitgeber bewiesen werden. Dafür kommt es nicht darauf an, ob der Tatvorwurf erwiesen ist, sondern darauf, ob die vom Arbeitgeber zur Begründung des Verdachts vorgetragenen Tatsachen einerseits den Verdacht rechtfertigen und ob sie tatsächlich zutreffen (BAG, Urteil vom 10. Februar 2005 – 2 AZR 189/04 – NZA 2005, 1056).

Auch der Verdacht eines Arbeitszeitbetruges ist bei Vorliegen dieser Voraussetzungen hiernach geeignet, einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB abzugeben (BAG, Urteil vom 07. Dezember 2006 – 2 AZR 182/06 – BAGE 120, 293 = NZA 2007, 617).

b)

Entgegen der arbeitsgerichtlichen Entscheidung ist die Berufungskammer der Überzeugung, dass ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB im vorliegenden Fall nicht gegeben ist. Die außerordentliche Kündigung vom 23. März 2010 ist bei Beachtung aller Umstände des vorliegenden Falls nicht gerechtfertigt. Zur Überzeugung der Berufungskammer sind auch keine Tatsachen vorhanden, die den dringenden Verdacht eines Arbeitszeitbetruges oder der Privatnutzung des Dienstwagens rechtfertigen können.

aa)

Zutreffend ist das Arbeitsgericht zunächst davon ausgegangen, dass die erste Anhörung des Klägers am 15. März 2010 nicht ordnungsgemäß erfolgt. Allein die Befragung des Arbeitnehmers zu bestimmten, ihm im Gespräch vorgehalten Vorwürfen reicht für eine ordnungsgemäße Anhörung nicht aus (LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 06. November 2009 – 6 Sa 1121/09 – LAGE Nr. 8 zu § 626 BGB 2002 Verdacht strafbarer Handlungen = ArbuR 2010, 78). Gerade bei der Verdachtskündigung besteht die Gefahr, dass ein Unschuldiger wegen des Verdachts einer nicht erwiesenen Pflichtverletzung die Kündigung erhält. Aus diesem Grund werden an die Wirksamkeit einer Verdachtskündigung nicht nur strenge Anforderungen gestellt, sondern auch die vorherige Anhörung des betroffenen Arbeitnehmers zur Wirksamkeitsvoraussetzung gemacht. Die Anhörung muss sich dabei auf einen konkreten Sachverhalt beziehen. Das Anhörungserfordernis ist dabei kein Selbstzweck und verfolgt insbesondere nicht das Ziel, eine Verdachtskündigung zu erschweren oder zu verzögern. Sie hat ausschließlich der Aufklärung willen zu erfolgen (BAG, Urteil vom 13. März 2008 – 2 AZR 961/06 – AP Nr. 43 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlungen = NZA 2008, 809). Deshalb ist sie so durchzuführen, dass der Arbeitnehmer die Möglichkeit hat, bestimmte, zeitlich und räumlich eingegrenzte Tatsachen zu bestreiten oder den Verdacht entkräftende Tatsachen vorzubringen und so ggf. zur Aufklärung eines zum Anlass für den Verdacht genommenen Sachverhalts beizutragen (BAG, Urteil vom 13. März 2008 – 2 AZR 961/06 – a. a. O.). Zur Anhörung des Arbeitnehmers gehört es deshalb nicht nur, ihm deutlich zu machen, dass der Arbeitgeber aufgrund konkreter Verdachtsmomente einen entsprechenden Verdacht hegt und darauf ggf. eine Kündigung zu stützen beabsichtigt. Zumindest dann, wenn es sich um umfangreiche tatsächliche Vorwürfe handelt, die sich über eine längere Zeitspanne erstrecken, wird man dem Arbeitnehmer bereits im Vorfeld einer Anhörung Hinweise zu den gegen ihn bestehenden Verdachtsmomenten zu geben haben. Denn nur dann ist es dem betroffenen Arbeitnehmer möglich, sich unter Heranziehung von Aufzeichnungen, Unterlagen etc. auf eine Anhörung sinnvoll vorzubereiten, damit dem Zweck der Anhörung Genüge getan werden kann. In diesem Zusammenhang ist dem Arbeitnehmer auch Gelegenheit zu geben, entweder einen Rechtsanwalt hinzuziehen oder sich über einen Rechtsanwalt innerhalb einer bestimmten Frist schriftlich zu äußern (BAG vom 13. März 2008 – 2 AZR 961/06 – a. a. O.; LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16. Dezember 2010 – 2 Sa 2022/10 – DB 2011, 424 = ArbR 2011, 100; LAG Berlin-Brandenburg vom 06. November 2009 – 6 Sa 1121/09 – a. a. O.). Diesen an eine Anhörung zu stellenden Anforderungen wird die erste Anhörung des Klägers vom 15. März 2010 nicht gerecht. Die Beklagte hatte den Kläger im Vorfeld nicht darauf hingewiesen, dass gegen ihn der Verdacht des Arbeitszeitbetruges bzw. der erheblichen Privatnutzung des ihm überlassenen Dienstwagens besteht, der sich für die Beklagte aus den Falscheintragungen im Fahrtenbuch des Klägers ergab. Die Beklagte hat den Kläger vielmehr kurzfristig und ohne Angabe des Gesprächsthemas von einer Fahrt nach Neuruppin von unterwegs zu dem Gespräch am 15. März 2010 zitiert. Einen Hinweis auf die Bedeutung dieses Gesprächs hatte der Kläger nicht. Ohne entsprechende Angaben konnte der Kläger in diesem Gespräch aber nicht zu den ihm gemachten Vorwürfen qualifiziert Stellung nehmen. Gerade weil der Kläger mit zahlreichen Vorwürfen konfrontiert wurde, die sich aus detaillierten Abgleichen zwischen Fahrtenbucheintragungen und Tankbelegen ergeben und teilweise längere Zeit zurücklagen, hätte ihm die Möglichkeit der Vorbereitung und des Nachvollziehens der Vorwürfe anhand eigener Aufzeichnungen, beispielsweise in seinem Terminkalender, gegeben werden müssen. Die Anhörung vom 15. März 2010 wird den an eine Anhörung zu stellenden Anforderungen damit nicht gerecht. Die Anhörung soll dem Betroffenen die Möglichkeit bieten, sich gegen möglicherweise ungerechtfertigte Vorwürfe zu wehren. Dem Arbeitnehmer müssen deshalb nicht nur greifbare, zeitlich und räumlich abzugrenzende Tatsachen unterbreitet werden. Der Arbeitnehmer muss vielmehr vor allem die Möglichkeit erhalten, sich zu den geäußerten Vorwürfen und den Indizien zu erklären. Ihm muss deshalb die konkrete Möglichkeit eingeräumt werden, die Verdachtsmomente zu entkräften und gegebenenfalls auch Entlastungstatsachen anzuführen. Für die ordnungsgemäße Anhörung ist auch unerheblich, dass die Erklärungen des Klägers im Prozess aus Sicht der Beklagten zu keiner Entlastung geführt haben sollen. Denn das Ergebnis einer Anhörung ist ohne Einfluss auf ihre Erforderlichkeit (LAG Berlin-Brandenburg vom 06. November 2009 – 6 Sa 1121/09 – a. a. O.). Insgesamt kann in der Anhörung vom 15. März 2010 nicht der Versuch der Beklagten gesehen werden, den Sachverhalt umfassend aufzuklären. Dies hat zur Folge, dass die Beklagte mit den Vorwürfen, die Gegenstand der ersten Anhörung des Klägers am 15.März 2010 im vorliegenden Prozess ausgeschlossen ist, soweit sich hierauf die von ihr ausgesprochen Verdachtskündigung gründet und sie hierauf nicht den Verdacht schwerer Pflichtverletzungen stützen kann. Das betrifft die Vorwürfe hinsichtlich der Eintragungen am 21., 22., und 23. September 2009, dem 14. Oktober 2009, dem 04., 09. und 30. November 2009, dem 04. und 14. Dezember 2009, dem 04., 05., 06., 07., 11., 26. und 28. Januar 2010 und dem 03. Februar 2010. Diese können zur Begründung einer Verdachtskündigung nicht herangezogen werden.

bb)

Auch die von der Beklagten im Zuge der weiteren Ermittlungen festgestellten Unregelmäßigkeiten begründen nach Auffassung der Kammer nicht den dringenden Verdacht schwerer arbeitsvertraglicher Pflichtverletzungen, insbesondere nicht den Verdacht eines Arbeitszeitbetruges oder einer unberechtigten Privatnutzung des Dienstwagens.

(1)

Diese Gründe konnte die Beklagte zulässigerweise in den Prozess einführen. Kündigungsgründe, die dem Kündigenden bei Ausspruch der Kündigung noch nicht bekannt waren, können im Prozess uneingeschränkt nachgeschoben werden, wenn sie bereits vor Ausspruch der Kündigung entstanden waren (BAG, Urteil vom 06. September 2007 – 2 AZR 264/06 – AP Nr. 208 zu § 626 BGB = NZA 2008, 636; BAG, Urteil vom 04. Juni 1997 – AP Nr. 5 zu § 626 BGB Nachschieben von Kündigungsgründen; BAG, Urteil vom 11. April 1985 – 2 AZR 239/84 – BAGE 49, 39 = EzA Nr. 62 zu § 102 BetrVG 1972 = NZA 1986, 674). Dies ist vorliegend der Fall. Ob das Nachschieben von Gründen auch dann noch möglich ist, wenn sich dadurch der Charakter einer Kündigung ändert (offen gelassen von: BAG, Urteil vom 18. Januar 1980 – 7 AZR 260/78 – AP Nr. 1 zu § 626 BGB Nachschieben von Kündigungsgründen = EzA Nr. 71 zu § 626 BGB nF), bedarf hier schon deshalb vorliegend keiner Entscheidung, weil ein solcher Extremfall jedenfalls nicht vorliegt. Auch scheitert eine Berücksichtigung des Vortrags hinsichtlich der weiteren Feststellungen nicht an der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB. Denn Kündigungsgründe, die erst nach Zugang der Kündigung bekannt werden, können auch außerhalb der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB nachgeschoben werden (vgl. KR-Fischermeier, 9. Auflage 2009, § 626, Rn. 179,190). Denn die Ausschlussfrist erfasst nur Gründe, die bei Ausspruch der Kündigung bereits länger als zwei Wochen bekannt waren. Eine zeitliche Grenze wird lediglich durch die Grundsätze von Treu und Glauben gesetzt. Dass hier eine illoyale verspätete Geltendmachung vorliegt, ist nicht ersichtlich. Die Beklagte hat auch die notwendige Anhörung des bei ihr gebildeten Personalrats vorher der Einführung der nachträglichen Feststellungen in den hiesigen Prozess durchgeführt (BAG, Urteil vom 11. April 1985 – 2 AZR 239/84 – a. a. O.; KR-Etzel, 9. Auflage 2009, § 102 BetrVG, Rn 185, 187 ff.). Die Anhörung ist auch ordnungsgemäß und insbesondere darin auch die Angabe enthalten, diese Sachverhalte in den bereits laufenden Kündigungsschutzrechtsstreit einzuführen. Konkrete Einwände gegen die ordnungsgemäße Anhörung des Personalrats hat der Kläger auch nicht geltend gemacht.

(2)

Zwar ist zwischen den Parteien unstreitig, dass der Kläger in einzelnen Fällen am 28. Juli 2009, am 12. und 19. August 2009, am 09. und 13. Oktober 2009, am 19. und 21. Januar 2010, am 09., 10. und 18. Februar 2010 sowie am 03. und 09. März 2010 unzutreffende Daten in das von ihm auszufüllenden Fahrtenbuch eingetragen hat. Dieser Umstand beweist aber allein nicht, dass der Kläger damit auch vorsätzlich und bewusst einen Arbeitszeitbetrug zu Lasten der Beklagten begangen hat, um sich Entgeltvorteile zu verschaffen oder unberechtigt Privatfahrten unternommen hat.

(a)

Am 28. Juli 2009 sowie am 12. und 19. August 2009 sowie am 13. Oktober 2009 hat der Kläger in seinem Fahrtenbuch (Bl. 206 – 210 d. A.) ganztägige Dienstfahrten eingetragen. Am 28. Juli 2009 hat nach diesen Eintragungen die Fahrt um 08:45 Uhr begonnen. Es existiert jedoch ein Tankbeleg (Anlage B 47, Bl. 207 d. A.), welcher einen Tankvorgang bereits um 06:57 Uhr ausweist. Für den 12. und 19. August hat die Beklagte Tankbelege (Anlagen B 49 und B 50, Bl. 209, 210 d. A.) vorgelegt, aus denen sich jeweils ergibt, dass in der Mittagszeit im Heimatort des Klägers getankt wurde. Für den 13. Oktober 2009 ergibt sich aus dem Tankbeleg für diesen Tag, dass der Kläger erst eine Stunde nach dem im Fahrtenbuch eingetragenen Ende der Dienstfahrt getankt hat (Anlage B 52, Bl. 212 d. A.). Auch stimmen die Kilometerangaben für diesen Tag nicht. Diese Diskrepanzen lassen sich mit der arbeitsvertraglichen Verpflichtung des Klägers zur ordnungsgemäßen Führung des Fahrtenbuches nicht in Einklang bringen und sind auch geeignet Misstrauen und einen Verdacht gegenüber dem Kläger zu begründen. Sie begründen jedoch nicht den für den Ausspruch einer Verdachtskündigung erforderlichen dringenden Verdacht für einen Arbeitszeitbetrug oder die unberechtigte Nutzung des Dienstwagens. Dass der Kläger an diesen Tagen nicht die geschuldete Arbeitsleistung erbracht oder mit dem Dienstwagen Privatfahrten unternommen hat, lässt sich diesen Indizien nicht mit der erforderlichen großen Wahrscheinlichkeit für die Tat entnehmen. Sie beweisen zunächst nur, dass die Eintragungen so nicht zutreffend sind. Der Kläger hat im Klageverfahren geltend gemacht, sein Fahrtenbuch nicht zeitnah und häufig erst im Nachhinein ausgefüllt zu haben. Dies ist nicht widerlegt. Vor dem Hintergrund seiner Einlassungen und Erklärungsversuche ist es nicht ausgeschlossen, dass die falschen Eintragungen auf diesem Umstand beruhen und nachträglich wegen fehlender Erinnerung falsche Eintragungen vorgenommen wurden.

(b)

Auch für den Zeitraum vom 06. bis 09. Oktober 2009 ist das Fahrtenbuch falsch. Das dem Kläger überlassene Fahrzeug befand sich am 09. Oktober 2009 bei der Fa. E. zum Reifenwechsel. Ein Eintrag für die Fahrt am 09. Oktober 2009 ist im Fahrtenbuch nicht enthalten. Zudem weicht der anlässlich des Reifenwechsels von der Fa. E. festgestellte Kilometerstand von dem im Fahrtenbuch eingetragenen Kilometerstand insofern ab, als der festgestellte Kilometerstand nach den Eintragungen im Fahrtenbuch bereits am 06. Oktober 2009 erreicht gewesen sein soll. Aber es mindestens genauso wahrscheinlich, dass auch dieser Falscheintrag auf den nachträglichen Eintragungen im Fahrtenbuch beruht wie der von der Beklagte daraus gezogene Schluss der unberechtigten Privatnutzung. Soweit das Arbeitsgericht annimmt, der Kläger habe sich dazu im Einzelnen erklären müssen, folgt dem die erkennende Kammer nicht. Der Kläger hat ausgeführt, die falschen Eintragungen resultierten aus seinem nachlässigen Umgang mit dem Fahrtenbuch und dem erst nachträglichen Ausfüllen. Dies bezog sich auf sämtliche ihm zum Vorwurf gemachten Falscheintragungen und galt damit auch für diese für die Zeit vom 06. bis zum 09. Oktober 2009. Er musste deshalb nicht noch einmal für jede einzelne Eintragung diesen Vortrag wiederholen. Anderseits ist es angesichts der der Beklagten obliegenden Darlegungslast nicht Aufgabe des Klägers die von der Beklagten in den Prozess eingeführten Kündigungsvorwürfe zu widerlegen. Vielmehr ist es Aufgabe der Beklagten, dem Kläger ein entsprechendes Fehlverhalten nachzuweisen. Das gilt erst recht und insbesondere für eine Verdachtskündigung, zu deren vom Arbeitgeber zu erfüllenden Voraussetzungen gerade die erforderliche Sachverhaltsaufklärung gehört.

(c)

Für den 04. Dezember 2009 mögen die Eintragungen im Fahrtenbuch hinsichtlich der Dauer von 07:30 bis 17:00 Uhr sowie der angegebene Kilometerstand falsch sein. Dies begründet weder den Verdacht des Arbeitszeitbetruges noch den einer Privatnutzung. Insoweit ist der Vortrag des Klägers, er habe am Vormittag Kunden in Wittenberge besucht, mittags getankt und am Nachmittag zu Hause gearbeitet, von der Beklagten nicht widerlegt. Allein aufgrund der fehlerhaften Eintragung kann nicht darauf geschlossen werden, der Kläger sei nicht in Wittenberge gewesen. Dem steht auch nicht das vom Kläger abgerechnete Geschäftsessen am 03. Dezember 2009 entgegen. Dies beweist allein, dass der Kläger auch am 03. Dezember 2009 in Wittenberge gewesen ist. Soweit hierfür ein Eintrag im Fahrtenbuch nicht vorhanden ist, hat der Kläger dies für die Kammer nachvollziehbar damit erklärt, er sei zu diesem Geschäftsessen (Weihnachtsfeier) mit dem Zug gefahren, um bei der Weihnachtsfeier Alkohol trinken zu können. Dies deckt sich insoweit auch mit der Darstellung der Beklagten für den 03. Dezember 2009, wonach es Zeugen dafür geben soll, dass diese den Kläger nach dem Geschäftsessen zum Bahnhof gebracht haben. Es mag der Beklagten zwar nicht recht einleuchten, dass er dann am 04. Dezember 2009 nochmals nach Wittenberge gefahren sein will, um dort Kalender abzugeben. Dies hätte die Beklagte ohne Mühe durch eine Rückfrage bei den jeweiligen D.-Agenturen aufklären können. Warum die Beklagte eine Nachfrage unterlassen hat, ist nicht nachvollziehbar. Für den 03. Dezember 2009 hat es offenbar entsprechende Nachfragen der Beklagten gegeben. Allein die objektive Möglichkeit der weiteren Sachverhaltsaufklärung hätte eine Nachfrage zwingend erforderlich gemacht (LAG Köln, Urteil vom 07. Oktober 2009 – 3 Sa 662/09 – ArbuR 2010, 272 zitiert nach juris). Das gilt umso mehr, als darüber hinaus die Möglichkeit einer Entlastung des Klägers jedenfalls nicht völlig ausgeschlossen war und die Nachfrage für die Beklagte keinen weiteren unverhältnismäßigen Aufwand bedeutete. Auch hier erscheint es hinsichtlich der unrichtigen mindestens genauso wahrscheinlich, dass auch dieser Falscheintrag auf der Erstellung im Nachhinein und damit einhergehender fehlender Erinnerungen beruht. Im Übrigen hat die Beklagte nicht alles versucht, um diesen Sachverhalt aufzuklären

(d)

Soweit für den 19. und 21. Januar 2010 sowie für den 09., 10. und 18. Februar 2010 die Angaben im Fahrtenbuch nicht zutreffend sind, weil für diese tage ganztägige Fahrten eingetragen sind, aber bereits jeweils im Laufe des Tages gegen Mittag Telefaxe des Klägers von zuhause aus an die Beklagte gesandt worden sind, kann daraus für den von der Beklagten entstandenen Verdacht etwa eines Arbeitsbetruges nichts hergeleitet werden. Vielmehr sind doch die abgesandten Telefaxe des Klägers ein Beleg dafür, dass er insoweit gearbeitet hat. Dies belegt nur, dass die Eintragungen falsch sind; dies begründet jedoch auch keinen dringenden Verdacht der Privatnutzung, weil die Falscheinträge ebenso – wie vom Kläger geltend gemacht – auf seiner nachlässigen Führung des Fahrtenbuches und der Erstellung erst im Nachhinein beruhen können.

Soweit die Beklagte hieraus schließt, der Kläger habe die eingetragenen Besuche von D.-Agenturen nicht wahrgenommen, hätte es ihr auch hier wiederum oblegen, dort nachzufragen, um entweder den Verdacht zu entkräften oder zu erhärten.

(e)

Auch die Angaben im Fahrtenbuch für den 03. März 2010 belegen lediglich die Fehlerhaftigkeit der Angaben. An diesem Tag war das dem Kläger überlassene Dienstfahrzeug in der Zeit von 14:10 bis 16:00 Uhr in der Inspektion bei der Fa. F. L. in Hennigsdorf (Anlage B 45, Bl. 205 d. A.). Hieraus lässt sich aber noch nicht zwangsläufig schließen, der Kläger habe die von ihm angegebenen Termine bei den D.-Agenturen in Ludwigslust und Stendal nicht durchgeführt. Auch dies hätte die Beklagte ohne Mühe durch eine Rückfrage bei den betreffenden D.-Agenturen aufklären können. Allein die objektive Möglichkeit der weiteren Sachverhaltsaufklärung hätte eine Nachfrage zwingend erforderlich gemacht (LAG Köln, Urteil vom 07. Oktober 2009 – 3 Sa 662/09 – a. a. O.). Das gilt umso mehr, als darüber hinaus die Möglichkeit einer Entlastung des Klägers jedenfalls nicht völlig ausgeschlossen war und die Nachfrage für die Beklagte keinen weiteren unverhältnismäßigen Aufwand bedeutete. Die Diskrepanzen zwischen dem für diesen Tag vorliegenden Tankbeleg und des darin angegebenen Kilometerstandes und dem eingetragenen Kilometerstand können auf dem nachträglichen Ausfüllen des Fahrtenbuches beruhen.

(f)

Die Angaben für den 09. März 2010 können ebenfalls so wie eingetragen nicht zutreffen. Nach diesen Eintragungen will der Kläger verschiedene D.-Agenturen in Berlin aufgesucht haben. Der Beklagten liegt allerdings ein Tankbeleg der in Mecklenburg-Vorpommern liegenden Tankstelle Stolpe-Süd bei Parchim für den 09. März 2010 vor. Daraus lässt sich entgegen der Annahme der Beklagten jedoch nicht schließen, der Kläger habe an diesem Tag nicht die von ihm angegeben D.-Agenturen in Berlin besucht. Auch hier wäre eine Nachfrage bei den betreffenden Agenturen nötig gewesen. Der Tankbeleg ist nur insoweit aussagekräftig, als sich aus ihm ergibt, dass der Kläger sich an diesem Tag mit dem Dienstwagen in Mecklenburg-Vorpommern aufgehalten hat. Hieraus lässt sich jedoch auch nicht mit dem erforderlichen hohen Maß an Wahrscheinlichkeit auf eine Privatnutzung schließen. Denn im Fahrtenbuch ist für den vorgehenden Tag, dem 08. März 2010 (Anlage B 41, Bl. 201 d. A.) eine entsprechende Dienstfahrt von Hohen Neuendorf über Neuruppin, Parchim nach Perleberg und zurück eingetragen. Eine Verwechselung der Tage bei nachträglichem Führen des Fahrtenbuches ist möglich.

(g)

Schließlich kann der Verdacht einer unberechtigten Privatnutzung des Dienstwagens auch nicht auf die von der Beklagten ermittelten Kilometerdifferenz für die Zeit vom 04. Januar bis 15, März 2010 in Höhe von 710 Kilometern zwischen den im Fahrtenbuch angegebenen und den unter Zuhilfenahme eines Routenplaners ermittelten Kilometern begründet werden. Denn die Eintragungen im Fahrtenbuch sind – unstreitig – nicht korrekt. Es erscheint deshalb nicht unwahrscheinlich, dass nicht alle einzutragenden Dienstfahrten auch tatsächlich eingetragen sind. Im Übrigen hätte zum Vergleich wohl auch auf die tatsächliche gefahrenen Kilometer abgestellt werden müssen und zu diesem Zweck der Tacho-Stand jeweils am 04. Januar und 15. März abgelesen werden müssen. Aus dem Vortrag der Beklagten ergibt sich, dass die Kilometerangaben im Fahrtenbuch nicht korrekt waren und nicht mit dem Tacho-Stand übereinstimmen.

Insgesamt können sämtliche festgestellten Falscheintragungen verdachtsbegründend wirken, einen zum Ausspruch einer Kündigung berechtigenden dringenden Verdacht begründen sie jedoch nicht.

4.

Letztlich bleibt festzustellen, dass der Kläger – insoweit unstreitig – das Fahrtenbuch nicht korrekt geführt hat und am 14. Oktober 2009 unberechtigt mit dem Dienstwagen auf einer Dienstreise nach Stralsund auch nach Rügen gefahren ist. Dies kann als erwiesen angesehen werden und auch unter dem Gesichtspunkt der Tatkündigung gewürdigt werden. Dem steht nicht entgegen, dass sich die Beklagte zur Stützung ihrer Kündigung auf den Verdacht schwerer Pflichtverletzungen berufen und den Personalrat zu einer Verdachtskündigung angehört hat. Zwar handelt es sich um jeweils eigenständige Kündigungsgründe. Diese stehen jedoch zueinander dergestalt in Beziehung, dass eine auf einen Verdacht hin ausgesprochenen Kündigung im Falle der Überzeugung des Gerichts von der Tat auch unter dem Gesichtspunkt der erwiesenen Pflichtverletzung zu würdigen (BAG, Urteil vom 10. Juni 2010 – 2 AZR 541/09 – NZA 2010, 1227 = NJW 2011, 167). Bei der Überprüfung der Wirksamkeit der fristlosen Kündigung vom 23. März 2010 ist die Kammer allerdings auf die Bewertung der Kündigungsgründe beschränkt, die dem Personalrat bei der Anhörung am 16. März 2010 und 31. August 2010 bekannt waren. Andere Kündigungsgründe können von der Beklagten zur Rechtfertigung der Kündigungen nicht nachgeschoben werden. Der vom Kläger eingeräumte Tankvorgang seines Privatwagens über die Tankkarte der Beklagten am 23. September 2009 ist dem Personalrat nicht mitgeteilt und kann daher nicht berücksichtigt werden. Beide zu berücksichtigenden Pflichtverletzung, nämlich die Unkorrekte Führung des Fahrtenbuches und die Privatfahrt am 14. Oktober 2009 rechtfertigen ohne vorherigen Ausspruch einer Abmahnung jedoch nicht eine außerordentliche Kündigung.

Aufgrund des dem Kläger zustehenden besonderen Kündigungsschutzes ist davon auszugehen, dass das Arbeitsverhältnis des zum Zeitpunkt des Kündigungszugangs 47-jährigen Klägers regulär erst mit dem Erreichen des Renteneintrittsalters endet. Im Rahmen der Prüfung, ob die Voraussetzungen der §§ 30 AnTV, 626 Abs. 1 BGB für eine fristlose Kündigung des ordentlich unkündbaren Klägers vorliegen und die Beklagte vorliegend nicht in erster Linie eine außerordentliche Kündigung mit einer der Frist für eine ordentliche Kündigung entsprechenden Auslauffrist ausgesprochen hat, ist darauf abzustellen, ob der Beklagten die Weiterbeschäftigung nicht einmal bis zum Ablauf der fiktiven Frist zur ordentlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist (vgl. BAG, Urteil vom 27. April 2006 – 2 AZR 386/05 – NZA 2006, 977 = NJW 2006, 2939 = DB 2006, 1849).

a)

Unter Berücksichtigung dieser fiktiven Kündigungsfrist liegen keine ausreichenden Gründe für eine außerordentliche fristlose Kündigung vor, die der Beklagten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für die Dauer dieser Kündigungsfrist als unzumutbar erscheinen lassen. Der Kläger hat seine arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt. Gleichwohl ist dieses Fehlverhalten des Klägers nach Lage aller Dinge nicht so gravierend, dass es einen an sich wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung abgeben könnte. Eine negative Prognose, der Kläger würde auch zukünftig seine Pflichten in gleicher Weise verletzen, kann nicht angestellt werden. Eine solche Prognose ist erst gerechtfertigt, wenn der Kläger ein solches Verhalten nach einschlägiger Abmahnung erneut wiederholen würde. Aufgrund des im Kündigungsschutzrecht allgemein geltenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und des für verhaltensbedingte Kündigungen geltenden Prognoseprinzips wird vor jeder Kündigung, die wegen eines steuerbaren Fehlverhaltens des Arbeitsnehmers ausgesprochen wird, grundsätzlich eine Abmahnung gefordert. Dies gilt jedenfalls dann, wenn damit gerechnet werden kann, dass die Abmahnung zu vertragsgemäßem Verhalten in der Zukunft führen wird und eine Wiederherstellung des Vertrauens zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer erwartet werden kann (BAG, Urteil vom 23. Juni 2009 – 2 AZR 103/08 – AP Nr. 59 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung = NZA 2009, 1198 m. w. N.). Dies gilt auch hier. Wie dem Hinweis auf eine vorhergehende erfolglose Abmahnung zu entnehmen ist, geht damit die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts davon aus, dass zu besorgen ist, der Arbeitnehmer werde in Zukunft seiner Arbeitspflicht nicht nachkommen; insbesondere ist dieser Rechtsprechung nicht zu entnehmen, die Kündigung werde allein deshalb als gerechtfertigt angesehen, weil es sich um eine zulässige Sanktion des Arbeitgebers handelt. Das Gegenteil ist der Fall. Das Bundesarbeitsgericht hat zumindest seit 1988 (vgl. u. a. Urteil vom 10. November 1988 – 2 AZR 215/88 – AP Nr. 3 zu § 1 KSchG 1969 Abmahnung; BAG, Urteil vom 10. Juni 2010 – 2 AZR 541/09 – DB 2010, 2395 = NZA 2010, 1227)) deutlich herausgestellt, auch im Bereich der verhaltensbedingten Kündigung gelte das Prognoseprinzip (ebenso BVerfG Beschluss vom 21. Februar 1995 – 1 BvR 1397/93 – AP Nr. 44 zu Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX); der Kündigungszweck sei zukunftsbezogen ausgerichtet, weil mit der verhaltensbedingten Kündigung das Risiko weiterer Vertragsverletzungen ausgeschlossen werden solle; entscheidend sei, ob eine Wiederholungsgefahr bestehe oder ob das vergangene Ereignis sich auch künftig weiter belastend auswirke. Die Kündigung ist somit gerade keine Sanktion für begangenes Unrecht, sondern soll ein Vertragsverhältnis beenden, mit dessen vertragsgerechter Durchführung in Zukunft nicht mehr gerechnet werden kann (BAG, Urteil vom 23. Juni 2009 – 2 AZR 103/08 – AP Nr. 59 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung = NZA 2009, 1198). Dies kann vorliegend nicht angenommen werden. Die Kammer geht – auch nach dem persönlichen Eindruck vom Kläger aus der mündlichen Verhandlung – davon aus, dass er in Zukunft sorgfältiger bei der Führung des Fahrtenbuches sein wird, ihm dieses Kündigungsschutzverfahren die Wichtigkeit des peniblen und zeitnahen Eintrags der Daten in das Fahrtenbuch aufgezeigt hat und er entsprechende Lehren daraus ziehen wird. Danach war vorliegend eine Abmahnung vor Ausspruch einer außerordentlichen, fristlosen Kündigung nicht entbehrlich.

b)

Selbst wenn man dies anders sehen wollte, erweist sich die Kündigung als unwirksam. Auch wenn man zu Gunsten der Beklagten aufgrund dieser beiden zu berücksichtigenden Pflichtverletzungen vom Vorliegen eines an sich wichtigen Kündigungsgrundes ausginge, ist die außerordentliche Kündigung keinesfalls nach der gebotenen umfassenden Interessenabwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles zu rechtfertigen. Es ergibt sich im Rahmen der erforderlichen Interessenabwägung unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ein Überwiegen der Gesichtspunkte, die für eine Zumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sprechen. Zu Gunsten des Klägers sind die beträchtliche, bislang störungsfrei verlaufene Beschäftigungszeit, das Fehlen einer konkreten Vermögens- oder signifikanten Rufschädigung der Beklagten ebenso einzusetzen wie der Umstand, dass er eine nicht herausgehobene Stellung im Betrieb hat. Das Interesse der Beklagten, sich vom Kläger zu trennen, wiegt dessen Bestandsschutzinteresse nicht auf. Dabei ist zunächst die lange Beschäftigungszeit des Klägers zu berücksichtigen. Er war zum Zeitpunkt der Kündigung nach der von der Beklagten anerkannten ab dem 16. Juli 1981 annähernd 29 Jahre beschäftigt, ist tariflich ordentlich unkündbar und hat bis zur Kündigung einen Großteil seines Arbeitslebens bei der Beklagten oder ihren Rechtsvorgängern verbracht. Bezogen auf das betriebliche Beendigungsinteresse des Arbeitgebers sind in erster Linie die Schwere der begangenen Pflichtverletzung, das Bestehen einer Wiederholungsgefahr und auch das Maß der dem Arbeitgeber entstandenen Schädigung von Bedeutung. Außerdem ist zu berücksichtigen, ob dem Verhalten des Arbeitnehmers eine besondere Verwerflichkeit und ein hoher Verschuldensgrad inne wohnt. Hingegen ist eine vom Arbeitgeber intendierte Generalprävention gegenüber anderen Mitarbeitern als kündigungsrechtlicher Belastungsfaktor ein nur begrenzt tragfähiger Gesichtspunkt (BAG, Beschluss vom 16. Dezember 2004 – 2 ABR 7/04 – a. a. O.). Bei der gebotenen umfassenden Interessenabwägung ist schließlich zu prüfen, ob anstelle der außerordentlichen Kündigung eine mildere Maßnahme angemessen und ausreichend gewesen wäre, z.B. eine Ermahnung, Abmahnung, eine Änderungs- oder ordentliche Beendigungskündigung (vgl. BAG, Urteil vom 18. Oktober 2000 – 2 AZR 131/00 – AP Nr. 169 zu § 626 BGB = NZA 2001, 383). In diesem Zusammenhang hat der Arbeitgeber auch Umsetzungs- und Versetzungsmöglichkeiten zu prüfen (BAG Urteil vom 31. März 1993 – 2 AZR 492/92 – BAGE 73, 42 = AP Nr. 32 zu § 626 BGB = NZA 1994, 409).

Hier ist das Arbeitsverhältnis bislang ohne rechtlich relevante Störung verlaufen.Nachweisbare erhebliche Schäden sind der Beklagten nicht entstanden. Zugunsten des Klägers war auch der Ausschluss der ordentlichen Kündigung zu berücksichtigen. Ein tariflicher oder in den Wirkungen tarifähnlicher Ausschluss der ordentlichen Kündigung und die hierdurch in der Regel bedingte langfristige Vertragsbindung stellen Umstände dar, die bei einer außerordentlichen Kündigung des Arbeitgebers im Rahmen der einzelfallbezogenen Interessenabwägung entweder zugunsten oder zuungunsten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen sind. Welche Betrachtungsweise im Einzelfall den Vorrang verdient, ist insbesondere unter Beachtung von Sinn und Zweck des tariflichen Ausschlusses der ordentlichen Kündigung sowie unter Berücksichtigung der Art des Kündigungsgrundes zu entscheiden. Bei einmaligen Vorfällen ohne Wiederholungsgefahr wirkt sich die längere Vertragsbindung zugunsten des Arbeitnehmers aus. Bei Dauertatbeständen oder Vorfällen mit Wiederholungsgefahr kann die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitgeber wegen des Ausschlusses der ordentlichen Kündigung unter Umständen eher unzumutbar sein als bei einem ordentlich kündbaren Arbeitnehmer. Ein Dauerzustand steht vorliegend nicht in Frage. Nach Auffassung der Kammer ist aber – wie bereits ausgeführt – unter Berücksichtigung der Umstände des vorliegenden Falles auch noch nicht eine hinreichend gesicherte Prognose gerechtfertigt, dass eine Wiederholungsgefahr besteht. Angesichts des langjährigen störungsfreien Verlaufs des Arbeitsverhältnisses ist es der Beklagten unter Berücksichtigung der genannten, im Rahmen der Interessenabwägung zugunsten des Klägers sprechenden Gesichtspunkte und unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zumutbar, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen und dem Kläger ggf. durch eine Abmahnung die ihm obliegenden Pflichten zu verdeutlichen. Das während der Dauer der Beschäftigungszeit vom Kläger erworbene Vertrauen in die Korrektheit seiner Aufgabenerfüllung ist hoch zu bewerten. Die zugunsten des Klägers sprechenden Umstände sind im Ergebnis höher zu bewerten als der Wunsch der Beklagten, nur solche Mitarbeiter zu beschäftigen, die in jeder Hinsicht ohne Fehl und Tadel sind. Dabei hat die Kammer zugrunde gelegt, dass nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 10. Juni 2010 – 2 AZR 541/09 – a. a. O.) einer langjährigen Betriebszugehörigkeit und dem dadurch gebildeten Vertrauenskapital im Rahmen der Interessenabwägung ein solch hoher Wert zukommt, dass auch eine erhebliche Pflichtverletzung im Erstfall nicht ohne weiteres zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen muss. Insgesamt erscheint der Kammer (noch) nicht die Prognose gerechtfertigt, der Kläger werde auch zukünftig, ggf. nach einer Abmahnung seine arbeitsvertraglichen Pflichten verletzen. Es war der Beklagten deshalb zuzumuten, auf das mildere Mittel der Abmahnung zurückzugreifen.

5.

Auch eine Gesamtwürdigung der Umstände führt nicht zur Wirksamkeit der streitgegenständlichen Kündigung.

Zwar ist bei einer mehrfachen Begründung des Sachverhaltes nicht nur der Überprüfung der einzelnen Kündigungsgründe abzustellen, sondern, wenn die isolierte Betrachtungsweise nicht bereits zur Wirksamkeit der Kündigung führt, auch der Prüfung anzustellen, ob die Kündigungsgründe in ihrer Gesamtheit das Arbeitsverhältnis so belasten, dass dem Kündigenden die Fortsetzung nicht zuzumuten ist (BAG, Urteil vom 04. August 1955 – 2 AZR 88/54 – AP Nr. 3 zu § 626). Eine solche Gesamtwürdigung setzt jedoch voraus, dass die einzelnen Gründe an sich geeignet sein können, einen wichtigen Grund abzugeben. An dieser Voraussetzung fehlt es vorliegend, weil die Kündigungsgründe, die dem Personalrat mitgeteilt worden sind, als wichtige Gründe ausscheiden.

Nach alledem liegt ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB nicht vor.

Die Umdeutung der außerordentlichen Kündigung in eine ordentliche Kündigung nach § 1 KSchG kommt vorliegend aufgrund des besonderen Kündigungsschutzes des Klägers gemäß § 30 AnTV nicht in Betracht.

Da die Kündigung sich insgesamt als unwirksam erweist, kommt es auch nicht mehr darauf an, ob die Beklagte die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB eingehalten hat oder die Beteiligung des bei der Beklagten gebildeten Personalrats ordnungsgemäß erfolgt ist.

III.

Die Beklagte ist auch verpflichtet, den Kläger zu unveränderten Arbeitsbedingungen bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreites weiterzubeschäftigen.

Die Klägerin kann ihren Anspruch auf die Grundsätze stützen, die das Bundesarbeitsgericht zur Weiterbeschäftigung gekündigter Arbeitnehmer entwickelt hat. Eine Weiterbeschäftigungspflicht aus § 79 Abs. 2 BPersVG besteht nicht. Dieser kommt grundsätzlich nur bei einer ordentlichen Kündigung in Betracht. Denn § 79 Abs. 2 BPersVG nimmt nur auf § 79 Abs. 1 BPersVG (ordentliche Kündigung) Bezug. Nur im Falle der außerordentlichen Kündigung eines tariflich ordentlich unkündbaren Arbeitnehmers mit einer der ordentlichen Kündigungsfrist entsprechenden sozialen Auslauffrist, kommt eine entsprechende Anwendung des § 79 Abs. 2 BPersVG in Betracht (BAG, Urteil vom 18. Oktober 2000 – 2 AZR 627/99 – BAGE 96, 65 = AP Nr. 9 zu § 626 BGB Krankheit = NZA 2001, 219; BAG, Urteil vom 05. Februar 1998 – 2 AZR 227/97 – BAGE 88, 10 = AP Nr. 143 zu § 626 BGB = NZA 1998, 771; Benecke in Richardi, Personalvertretungsrecht, 3. Auflage 2008, § 79 Rn. 84). Eine solche Kündigung ist vorliegend jedoch nicht gegeben.

Außerhalb der betriebsverfassungsrechtlichen Regelung des § 102 Abs. 5 BetrVG sowie der personalvertretungsrechtlichen Regelung des § 79 Abs. 2 BPersVG folgt die Pflicht des Arbeitgebers, einen Arbeitnehmer, der gegen eine Kündigung erfolgreich Rechtsschutz in Anspruch nimmt, über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens weiterzubeschäftigen, aus dem Arbeitsvertrag (vgl. BAG – Großer Senat -, Beschluss vom 27. Februar 1985 – GS 1/84 – BAGE 48, 122 = AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht = NZA 1985, 702). Die Vorschriften der §§ 611, 613 BGB i. V. m. § 242 BGB sind im Lichte der grundrechtlichen Gewährleistungen der Artikel 1 Abs. 1; 2 Abs. 1; 12 Abs. 1 GG auszulegen. Dabei ist die Grundrechtsposition des Arbeitnehmers aus Artikel 1 Abs. 1; 2 Abs. 1 GG unter dem Primat der praktischen Konkordanz gegen die Gewährleistung der unternehmerischen Freiheit, Artikel 12 Abs. 1 GG, abzuwägen. Danach hat der Arbeitnehmer grundsätzlich einen arbeitsvertraglichen Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens, sofern er mit seinem Kündigungsschutzantrag in durchdringt. Eine Interessenabwägung zugunsten des insofern darlegungs- und beweisbelasteten Arbeitgebers setzt zusätzliche Umstände voraus, aus denen sich im Einzelfall ein sachlicher Grund ergibt, der einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers entgegensteht (vgl. zu den diesbezüglichen Fallgestaltungen BAG GS, Beschluss vom 27. Februar 1985 – GS 1/84 – a. a. O.).

Mit der vorliegenden Entscheidung wird dem Kündigungsschutzbegehren der Klägerin entsprochen. Umstände, die ein vom Regelfall abweichendes Abwägungsergebnis zu Lasten des Klägers rechtfertigten, hat die Beklagte nicht vorgetragen. So sind keine besonderen Umstände ersichtlich sind, die ein überwiegendes Interesse der Beklagten begründen könnten, den Kläger nicht weiterzubeschäftigen. Die Weiterbeschäftigungspflicht entfällt auch nicht etwa wegen der ausgesprochenen Folgekündigung der Beklagten vom 02. September 2010. Eine weitere Kündigung, die sich möglicherweise als wirksam erweist, begründet grundsätzlich zusätzliche Ungewissheit über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses, die das schutzwürdige Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung wieder überwiegen lässt. Dies gilt jedoch dann nicht, wenn die Folgekündigung offensichtlich unwirksam ist oder aber auf die auf dieselben Gründe gestützt wird, die nach Auffassung der Gerichte für Arbeitssachen schon für die erste Kündigung nicht ausgereicht haben (BAG, Urteil vom 19. Dezember 1985 – 2 AZR 190/85 – BAGE 50, 319 = NZA 1986, 566). Denn besteht nicht die einem Weiterbeschäftigungsanspruch entgegenstehende Ungewissheit über den Bestand des Arbeitsverhältnisses. So liegt der Fall hier. Die Beklagte stützt die Kündigung vom 02. September 2010 auf dieselben Gründe, die sie in diesem Prozess nachgeschoben hat und die der Kammer als wichtiger Grund für einen außerordentliche Kündigung nicht ausgereicht haben. Auch der Hinweis der Beklagten, dass ihr Vertrauen in die Arbeit des Klägers zerstört sei, führt – wie die obigen Ausführungen zeigen – nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung vom 23. März 2010 und kann damit auch nicht den Weiterbeschäftigungsanspruch des Klägers zu Fall bringen.

III.

Da das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die streitgegenständliche Kündigung nicht beendet worden ist, besteht zugunsten der Beklagten auch nicht der mit ihrer Widerklage geltend gemachter Anspruch auf Rückzahlung der jährlichen Sonderzuwendung nach § 22 Abs. 2 Nr. 2 AnTV sowie der Anspruch auf Rückzahlung der Vergütung für den Zeitraum vom 26. bis 31. März 2010. Die Widerklage unterlag daher der Abweisung.

Insgesamt war daher die angefochtene Entscheidung abzuändern und der Tenor neu zu fassen.

IV.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 64 Abs. 6 ZPO i. V. m. § 92 Abs. 1, 516 Abs. 3 ZPO.

V.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision gemäß § 72 ArbGG lagen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung ohne grundsätzliche Bedeutung. Das Berufungsgericht ist der höchstrichterlichen Rechtsprechung gefolgt.

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