Übersicht:
- Das Wichtigste: Kurz & knapp
- Verdachtskündigung bei Arbeitszeitbetrug: Wie Arbeitgeber rechtlich handeln müssen
- Der Fall vor Gericht
- Die Schlüsselerkenntnisse
- FAQ – Häufige Fragen
- Worauf muss ich bei einer Verdachtskündigung wegen Arbeitszeitbetrugs unbedingt achten?
- Welche Beweise reichen aus, um den dringenden Verdacht auf Arbeitszeitbetrug zu begründen?
- Welche Rolle spielt eine vorherige Abmahnung im Zusammenhang mit einer Verdachtskündigung wegen Arbeitszeitbetrugs?
- Welche arbeitsrechtlichen Folgen kann eine unwirksame Verdachtskündigung haben?
- Wie sieht die Rechtslage zu „anderen Pflichtverletzungen“ im Zusammenhang mit einer Verdachtskündigung aus?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Das vorliegende Urteil
Das Wichtigste: Kurz & knapp
- Der Fall betrifft die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung aufgrund angeblicher Pflichtverletzungen der Klägerin.
- Die Beklagte ist von einem dringenden Verdacht auf Arbeitszeitbetrug ausgegangen, hat diese Argumentation jedoch in der Berufung nicht weiter verfolgt.
- Ein zentraler Vorwurf ist die angebliche Täuschung des Vorgesetzten über die ordnungsgemäße Buchung von Urlaubstagen.
- Die schwerwiegendsten Pflichtverletzungen beziehen sich auf die Nichtrückgabe von Arbeitsmitteln und die unbefugte Nutzung einer dienstlichen SIM-Karte.
- Das Arbeitsgericht hat den dringenden Verdacht auf Arbeitszeitbetrug als nicht ausreichend bewiesen angesehen.
- Die Beklagte argumentierte, dass das Arbeitsgericht die relevanten Aussagen und den zeitlichen Ablauf nicht ausreichend gewürdigt habe.
- Es wurde festgestellt, dass die Klägerin trotz Aufforderung ihre Arbeitsmittel nicht vollständig zurückgegeben hat.
- Das Gericht sah in der Durchführung einer Abmahnung vor der Kündigung eine fehlerhafte Interessenabwägung.
- Die Berufung der Beklagten wurde zurückgewiesen, was bedeutet, dass die Kündigungsschutzklage der Klägerin erfolgreich war.
- Diese Entscheidung hat Auswirkungen auf die Beweislast und die Anforderungen an die Rechtfertigung von Verdachtskündigungen.
Verdachtskündigung bei Arbeitszeitbetrug: Wie Arbeitgeber rechtlich handeln müssen
Der Verdacht auf Arbeitszeitbetrug stellt Arbeitgeber vor eine schwierige Situation. Schließlich muss ein Unternehmen die rechtlichen Rahmenbedingungen beachten und gleichzeitig dem Verdacht nachgehen. Doch wann genau ist eine Verdachtskündigung gerechtfertigt? Und welche Beweise sind notwendig, um die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses aufgrund von Arbeitszeitbetrug rechtlich zu rechtfertigen? Die Rechtsprechung bietet in dieser Hinsicht verschiedene Kriterien, die es zu beachten gilt. Es geht darum, den Verdacht auf Arbeitszeitbetrug zu erhärten, den Schaden für das Unternehmen zu belegen und die Verhältnismäßigkeit der Kündigung zu gewährleisten.
Im Folgenden möchten wir einen konkreten Fall beleuchten, der sich mit dieser Thematik beschäftigt. Dieser Fall verdeutlicht die komplexen Rechtsbeziehungen, die im Zusammenhang mit einer Verdachtskündigung auf Arbeitszeitbetrug bestehen. Er zeigt, welche Beweismittel für die Rechtmäßigkeit der Kündigung relevant sind und welche weiteren Aspekte bei der Beurteilung des Falles eine Rolle spielen.
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Der Fall vor Gericht
Verdachtskündigung wegen Arbeitszeitbetrugs und Pflichtverletzungen unwirksam

Das Landesarbeitsgericht Köln hat in einem Urteil vom 22.10.2015 (Az. 7 Sa 431/15) eine außerordentliche fristlose Kündigung wegen des Verdachts auf Arbeitszeitbetrug und weiterer Pflichtverletzungen für unwirksam erklärt.
Hintergrund des Rechtsstreits
Die beklagte Arbeitgeberin hatte einer langjährigen Mitarbeiterin am 02.10.2014 außerordentlich fristlos gekündigt. Begründet wurde die Kündigung mit dem Verdacht auf Arbeitszeitbetrug sowie Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit der Herausgabe von Arbeitsmaterialien bei einer Freistellung.
Konkret warf die Arbeitgeberin der Klägerin vor:
- Sie habe am 29.08.2014 Arbeitszeit erfasst, ohne tatsächlich gearbeitet zu haben.
- Sie habe ihren Vorgesetzten über die Nachbuchung von Urlaubstagen getäuscht.
- Sie habe bei ihrer Freistellung nicht alle Arbeitsmittel zurückgegeben und eine dienstliche SIM-Karte beschädigt.
- Sie habe sich nach der Freistellung unbefugt in das IT-System eingeloggt und Daten gelöscht.
Das Arbeitsgericht hatte der Kündigungsschutzklage der Mitarbeiterin stattgegeben. Gegen dieses Urteil legte die Arbeitgeberin Berufung ein.
Entscheidung des Landesarbeitsgerichts
Das Landesarbeitsgericht Köln wies die Berufung der Arbeitgeberin zurück und bestätigte die Unwirksamkeit der Kündigung.
In seiner Begründung führte das Gericht aus:
Kein dringender Tatverdacht beim Vorwurf des Arbeitszeitbetrugs
Für eine Verdachtskündigung reiche es nicht aus, wenn die Möglichkeit einer Vertragsverletzung nur gleich wahrscheinlich sei wie deren Nichtvorliegen. Vielmehr müsse die Wahrscheinlichkeit der Pflichtverletzung deutlich überwiegen. Dies sei hier nicht der Fall:
- Die Klägerin konnte sich auf zwei Zeugen berufen, die ihre Darstellung eines dienstlichen Termins bestätigten.
- Auch wenn einer der Zeugen in einem engen persönlichen Verhältnis zur Klägerin stand, gebe es keinen Rechtsgrundsatz, wonach persönlich verbundene Zeugen stets lügen würden.
Kein dringender Tatverdacht bei der Urlaubsnachbuchung
Auch hier sah das Gericht keinen dringenden Tatverdacht einer Täuschung:
- Die Übersendung eines Screenshots könnte gerade den Willen zur Pflichterfüllung belegen.
- Der Vorgesetzte hätte die Buchung jederzeit selbst überprüfen können.
- Technische Fehlfunktionen bei IT-Systemen seien nicht ungewöhnlich.
Zudem sei die 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht eingehalten worden.
Pflichtverletzungen bei Herausgabe der Arbeitsmittel nicht kündigungsrelevant
Das Gericht sah zwar Pflichtverletzungen der Klägerin im Umgang mit den Arbeitsmitteln:
- Das eigenmächtige Zuschneiden der dienstlichen SIM-Karte stelle einen unerlaubten Eingriff in das Eigentum der Arbeitgeberin dar.
- Das Einloggen in das IT-System während der Freistellung sei ebenfalls pflichtwidrig gewesen.
Allerdings rechtfertigten diese Verstöße keine fristlose Kündigung ohne vorherige Abmahnung:
- Es seien nur private Daten gelöscht worden, keine Dienstdaten.
- Die genauen Verhaltensregeln für die Nutzung von Laptops und Diensthandys seien unklar gewesen.
- Eine Abmahnung sei erforderlich gewesen, um der Klägerin ihren Pflichtenkreis unmissverständlich vor Augen zu führen.
Interessenabwägung sprach gegen eine fristlose Kündigung
In der abschließenden Interessenabwägung überwogen die Interessen der Klägerin am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses:
- Die 15-jährige Betriebszugehörigkeit begründete einen hohen sozialen Besitzstand.
- Es war nicht erkennbar, dass die Klägerin vorsätzlich schädigend gehandelt hatte.
- Eine Abmahnung wäre das mildere und nicht von vornherein aussichtslose Mittel gewesen.
Das Gericht bestätigte daher die Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung. Eine Revision wurde nicht zugelassen, da die Entscheidung den Grundsätzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung folge und sich im Übrigen nach den Umständen des Einzelfalls richte.
Die Schlüsselerkenntnisse
Das Urteil unterstreicht die hohen Anforderungen an eine Verdachtskündigung im Arbeitsrecht. Für deren Wirksamkeit muss die Wahrscheinlichkeit einer Pflichtverletzung deutlich überwiegen, bloße Vermutungen reichen nicht aus. Bei Pflichtverletzungen im Umgang mit Arbeitsmitteln ist vor einer fristlosen Kündigung in der Regel eine Abmahnung erforderlich, insbesondere wenn die genauen Verhaltensregeln unklar waren. Eine sorgfältige Interessenabwägung unter Berücksichtigung der Betriebszugehörigkeit ist stets geboten.
Was bedeutet das Urteil für Sie?
Als Arbeitgeber müssen Sie bei Verdacht auf Arbeitszeitbetrug äußerst sorgfältig vorgehen. Eine Verdachtskündigung erfordert einen deutlich höheren Grad an Wahrscheinlichkeit als bloße Vermutungen. Sammeln Sie handfeste Beweise und dokumentieren Sie alle Vorfälle akribisch. Vor einer fristlosen Kündigung sollten Sie in der Regel zunächst eine Abmahnung aussprechen, besonders bei langjährigen Mitarbeitern. Klare Richtlinien zur Nutzung von Arbeitsmitteln sind unerlässlich und müssen nachweisbar kommuniziert werden. Eine vorschnelle Kündigung ohne ausreichende Grundlage birgt erhebliche rechtliche und finanzielle Risiken für Ihr Unternehmen.
FAQ – Häufige Fragen
Verdachtskündigung wegen Arbeitszeitbetrug – ein brisantes Thema, das viele Fragen aufwirft. Hier finden Sie Antworten auf die wichtigsten Fragen rund um die rechtlichen Aspekte dieser komplexen Thematik. Unsere Experten haben die wichtigsten Informationen verständlich und prägnant zusammengefasst, um Ihnen einen umfassenden Überblick zu ermöglichen.
Wichtige Fragen, kurz erläutert:
- Worauf muss ich bei einer Verdachtskündigung wegen Arbeitszeitbetrugs unbedingt achten?
- Welche Beweise reichen aus, um den dringenden Verdacht auf Arbeitszeitbetrug zu begründen?
- Welche Rolle spielt eine vorherige Abmahnung im Zusammenhang mit einer Verdachtskündigung wegen Arbeitszeitbetrugs?
- Welche arbeitsrechtlichen Folgen kann eine unwirksame Verdachtskündigung haben?
- Wie sieht die Rechtslage zu „anderen Pflichtverletzungen“ im Zusammenhang mit einer Verdachtskündigung aus?
Worauf muss ich bei einer Verdachtskündigung wegen Arbeitszeitbetrugs unbedingt achten?
Bei einer Verdachtskündigung wegen Arbeitszeitbetrugs müssen mehrere wichtige Aspekte beachtet werden, um die rechtliche Zulässigkeit sicherzustellen.
Zunächst ist es entscheidend, dass ein dringender Tatverdacht vorliegt. Dieser muss auf objektiven Tatsachen beruhen und so stark sein, dass er das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zerstört. Bloße Vermutungen oder vage Anhaltspunkte reichen hierfür nicht aus. Der Arbeitgeber muss konkrete Beweise vorlegen, die den Verdacht des Arbeitszeitbetrugs erhärten.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Pflicht des Arbeitgebers zur umfassenden Sachverhaltsaufklärung. Er muss alle zumutbaren Anstrengungen unternehmen, um den Sachverhalt aufzuklären. Dazu gehört in der Regel auch die Anhörung des betroffenen Arbeitnehmers. Diesem muss die Gelegenheit gegeben werden, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen und eventuell entlastende Umstände vorzubringen.
Die Verhältnismäßigkeit der Kündigung spielt ebenfalls eine zentrale Rolle. Es muss geprüft werden, ob nicht mildere Mittel wie eine Abmahnung ausreichen würden. Bei schwerwiegenden Vertrauensbrüchen wie einem systematischen Arbeitszeitbetrug kann jedoch eine Abmahnung entbehrlich sein.
Besonders wichtig ist die zeitnahe Reaktion des Arbeitgebers. Sobald der Verdacht aufkommt und sich erhärtet, muss der Arbeitgeber handeln. Eine zu lange Verzögerung kann dazu führen, dass das Kündigungsrecht verwirkt wird.
Der Arbeitgeber trägt die Darlegungs- und Beweislast für die Kündigungsgründe. Er muss also nicht nur den Verdacht darlegen, sondern auch die Tatsachen, auf denen dieser beruht. Dabei reicht es aus, wenn die vorgebrachten Indizien eine hohe Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer Pflichtverletzung begründen.
Ein oft übersehener Aspekt ist die Berücksichtigung alternativer Erklärungen. Der Arbeitgeber muss auch prüfen, ob es plausible andere Gründe für das verdächtige Verhalten geben könnte. Nur wenn sich keine anderen vernünftigen Erklärungen finden lassen, ist der Verdacht ausreichend begründet.
Die Kündigung muss innerhalb der gesetzlichen Zwei-Wochen-Frist nach Bekanntwerden der für die Kündigung maßgebenden Tatsachen ausgesprochen werden. Diese Frist beginnt mit dem Abschluss der Sachverhaltsaufklärung, nicht schon mit dem ersten Verdacht.
Schließlich ist zu beachten, dass die Schwere des Verdachts im Verhältnis zur Dauer der Betriebszugehörigkeit und zum bisherigen Verhalten des Arbeitnehmers stehen muss. Bei langjährigen, bisher unbescholtenen Mitarbeitern sind höhere Anforderungen an die Verdachtskündigung zu stellen als bei Arbeitnehmern mit kürzerer Betriebszugehörigkeit.
Die sorgfältige Beachtung dieser Punkte ist unerlässlich, um eine Verdachtskündigung wegen Arbeitszeitbetrugs rechtssicher zu gestalten und im Falle einer gerichtlichen Auseinandersetzung bestehen zu können.
Welche Beweise reichen aus, um den dringenden Verdacht auf Arbeitszeitbetrug zu begründen?
Der dringende Verdacht auf Arbeitszeitbetrug erfordert stichhaltige und konkrete Beweise, die über bloße Vermutungen hinausgehen. Zeugenaussagen von Kollegen oder Vorgesetzten spielen dabei eine zentrale Rolle. Wenn mehrere Mitarbeiter übereinstimmend berichten, dass ein Kollege regelmäßig zu spät kommt oder früher geht als im Zeiterfassungssystem vermerkt, kann dies den Verdacht erhärten.
Dokumentierte Diskrepanzen zwischen erfasster Arbeitszeit und tatsächlicher Anwesenheit sind ebenfalls gewichtige Indizien. Hierzu zählen etwa Aufzeichnungen von Sicherheitssystemen wie elektronischen Zugangskarten, die belegen, dass ein Mitarbeiter das Gebäude später betreten oder früher verlassen hat als angegeben. Auch E-Mail-Protokolle oder Aktivitätsaufzeichnungen von Computersystemen können Aufschluss über die tatsächliche Arbeitszeit geben.
In Fällen von Homeoffice oder mobilem Arbeiten gestaltet sich die Beweisführung komplexer. Hier können Logdaten von VPN-Verbindungen oder Zeitstempel von bearbeiteten Dokumenten relevante Hinweise liefern. Allerdings muss der Arbeitgeber dabei stets datenschutzrechtliche Bestimmungen beachten.
Auffällige Muster in der Zeiterfassung können ebenfalls den Verdacht begründen. Wenn ein Mitarbeiter beispielsweise über einen längeren Zeitraum exakt die gleichen Arbeitszeiten bucht, obwohl flexible Arbeitszeiten vereinbart sind, kann dies auf eine manipulierte Erfassung hindeuten.
Es ist wichtig zu betonen, dass einzelne Indizien in der Regel nicht ausreichen. Der Verdacht muss sich aus einer Gesamtschau verschiedener Beweismittel ergeben. Dabei muss die Wahrscheinlichkeit des Arbeitszeitbetrugs deutlich überwiegen. Eine bloße Vermutung oder die Tatsache, dass ein Betrug möglich wäre, genügt nicht.
Der Arbeitgeber sollte zudem alternative Erklärungen für Abweichungen sorgfältig prüfen. Technische Fehler im Zeiterfassungssystem, Missverständnisse bezüglich der Arbeitszeitregelungen oder besondere betriebliche Umstände können ebenfalls zu Unstimmigkeiten führen.
In jedem Fall muss der Arbeitgeber dem Mitarbeiter die Möglichkeit zur Stellungnahme geben. Die Reaktion des Beschäftigten auf konkrete Vorwürfe kann selbst ein wichtiges Beweismittel darstellen. Kann er die Vorwürfe plausibel entkräften, schwächt dies den Verdacht. Verstrickt er sich hingegen in Widersprüche oder verweigert jegliche Erklärung, kann dies den Verdacht erhärten.
Bei der Beweisführung muss der Arbeitgeber stets die Grenzen des Arbeits- und Datenschutzrechts beachten. Verdeckte Überwachungsmaßnahmen sind in der Regel unzulässig und die so gewonnenen Beweise vor Gericht nicht verwertbar. Die Beweiserhebung muss transparent und verhältnismäßig erfolgen.
Letztlich entscheidet im Streitfall das Arbeitsgericht, ob die vorgelegten Beweise ausreichen, um einen dringenden Verdacht zu begründen. Die Anforderungen sind hoch, da eine Verdachtskündigung einen schwerwiegenden Eingriff in die Rechte des Arbeitnehmers darstellt. Der Arbeitgeber tut gut daran, die Beweislage sorgfältig zu prüfen und rechtlichen Rat einzuholen, bevor er eine Kündigung auf Verdacht ausspricht.
Welche Rolle spielt eine vorherige Abmahnung im Zusammenhang mit einer Verdachtskündigung wegen Arbeitszeitbetrugs?
Bei einer Verdachtskündigung wegen Arbeitszeitbetrugs spielt eine vorherige Abmahnung in der Regel keine zwingende Rolle. Der Grund dafür liegt in der besonderen Natur des Arbeitszeitbetrugs als schwerwiegende Pflichtverletzung. Ein vorsätzlicher Verstoß gegen die Verpflichtung zur korrekten Dokumentation der Arbeitszeit kann einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darstellen, ohne dass es einer vorherigen Abmahnung bedarf.
Die Rechtsprechung sieht Arbeitszeitbetrug als erheblichen Vertrauensbruch an, der das Arbeitsverhältnis nachhaltig stören kann. Der Arbeitgeber muss sich darauf verlassen können, dass Arbeitnehmer ihre Arbeitszeiten wahrheitsgemäß erfassen. Dies gilt besonders in Fällen, in denen Arbeitnehmer selbstständig ihre Arbeitszeiten dokumentieren.
Allerdings ist jeder Fall individuell zu betrachten. Die Schwere des Verstoßes und die Umstände des Einzelfalls sind entscheidend dafür, ob eine Abmahnung vor der Kündigung erforderlich ist oder nicht. Bei geringfügigen oder einmaligen Verstößen könnte eine Abmahnung angemessen sein, um dem Arbeitnehmer die Möglichkeit zur Verhaltensänderung zu geben.
Bei einer Verdachtskündigung kommt erschwerend hinzu, dass nicht die tatsächliche Pflichtverletzung, sondern der dringende Verdacht einer solchen den Kündigungsgrund darstellt. Der Arbeitgeber muss in diesem Fall nachweisen, dass objektive Tatsachen vorliegen, die den Verdacht begründen und das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zerstören.
Die Entbehrlichkeit einer Abmahnung wird damit begründet, dass der Arbeitnehmer bei einem vorsätzlichen Arbeitszeitbetrug wissen muss, dass er seine arbeitsvertraglichen Pflichten in schwerwiegender Weise verletzt. Eine Abmahnung hätte in solchen Fällen keine verhaltenssteuernde Wirkung, da dem Arbeitnehmer bewusst ist, dass sein Verhalten nicht toleriert werden kann.
Es ist wichtig zu betonen, dass der Arbeitgeber vor Ausspruch einer Verdachtskündigung wegen Arbeitszeitbetrugs sorgfältig prüfen muss, ob die vorliegenden Verdachtsmomente tatsächlich so schwerwiegend sind, dass sie eine Kündigung ohne vorherige Abmahnung rechtfertigen. Hierbei sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, wie etwa die Dauer und Häufigkeit des vermuteten Fehlverhaltens, die Position des Arbeitnehmers und die bisherige Dauer des Arbeitsverhältnisses.
In der Praxis empfiehlt es sich für Arbeitgeber, bei Verdacht auf Arbeitszeitbetrug zunächst eine gründliche interne Untersuchung durchzuführen und die Ergebnisse sorgfältig zu dokumentieren. Sollte sich der Verdacht erhärten, ist eine Anhörung des Arbeitnehmers vor Ausspruch der Kündigung unerlässlich, um diesem die Möglichkeit zur Stellungnahme zu geben.
Trotz der grundsätzlichen Entbehrlichkeit einer Abmahnung bei schwerem Arbeitszeitbetrug kann es in Grenzfällen ratsam sein, zunächst eine Abmahnung auszusprechen. Dies kann die rechtliche Position des Arbeitgebers stärken, falls es zu einem arbeitsgerichtlichen Verfahren kommt.
Die Rechtsprechung hat in der Vergangenheit die hohen Anforderungen an eine Verdachtskündigung betont. Der Verdacht muss auf objektiven Tatsachen beruhen und so stark sein, dass er geeignet ist, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören. Arbeitgeber sollten daher sehr sorgfältig abwägen, ob die vorliegenden Indizien für einen Arbeitszeitbetrug ausreichen, um eine Verdachtskündigung ohne vorherige Abmahnung zu rechtfertigen.
Welche arbeitsrechtlichen Folgen kann eine unwirksame Verdachtskündigung haben?
Eine unwirksame Verdachtskündigung kann für den Arbeitgeber weitreichende arbeitsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Zunächst ist festzuhalten, dass eine solche Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht beendet. Der Arbeitnehmer hat in diesem Fall einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung zu den bisherigen Vertragsbedingungen. Dies bedeutet, dass der Arbeitgeber verpflichtet ist, den Mitarbeiter wieder einzustellen und ihm eine vertragsgemäße Beschäftigung anzubieten.
Darüber hinaus steht dem Arbeitnehmer ein Vergütungsanspruch für den Zeitraum zwischen der unwirksamen Kündigung und der tatsächlichen Wiederaufnahme der Arbeit zu. Dieser Anspruch ergibt sich aus dem Grundsatz des Annahmeverzugs gemäß § 615 BGB. Der Arbeitgeber muss also das Gehalt nachzahlen, als ob der Arbeitnehmer durchgehend beschäftigt gewesen wäre.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist der mögliche Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers. Wenn dem Arbeitnehmer durch die unwirksame Verdachtskündigung ein Schaden entstanden ist, beispielsweise durch entgangene Verdienstmöglichkeiten oder zusätzliche Kosten für die Rechtsverfolgung, kann er diese vom Arbeitgeber ersetzt verlangen. Die Höhe des Schadensersatzes richtet sich nach dem tatsächlich entstandenen Schaden und muss im Einzelfall ermittelt werden.
In Bezug auf das Arbeitsverhältnis selbst ist zu beachten, dass eine unwirksame Verdachtskündigung das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer erheblich belasten kann. Dies kann die zukünftige Zusammenarbeit erschweren und möglicherweise zu weiteren arbeitsrechtlichen Konflikten führen. In manchen Fällen einigen sich die Parteien daher auf eine einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses, oft verbunden mit der Zahlung einer Abfindung.
Es ist auch wichtig zu erwähnen, dass der Arbeitgeber bei einer unwirksamen Verdachtskündigung gegen arbeitsrechtliche Vorschriften verstoßen hat. Dies kann zu einem Imageschaden führen und sich negativ auf das Betriebsklima auswirken. Zudem besteht die Gefahr, dass andere Mitarbeiter verunsichert werden und das Vertrauen in die Unternehmensführung schwindet.
In Fällen, in denen der Verdacht sich als unbegründet erweist, hat der Arbeitnehmer zudem einen Anspruch auf Rehabilitierung. Der Arbeitgeber muss dann geeignete Maßnahmen ergreifen, um den Ruf des Arbeitnehmers wiederherzustellen und etwaige negative Folgen für dessen berufliche Zukunft zu minimieren.
Es ist hervorzuheben, dass eine Verdachtskündigung nur unter sehr strengen Voraussetzungen wirksam ist. Der Arbeitgeber muss insbesondere eine umfassende Anhörung des Arbeitnehmers durchführen und alle Umstände sorgfältig prüfen, bevor er eine solche Kündigung ausspricht. Versäumt er dies, ist die Kündigung in der Regel schon aus formalen Gründen unwirksam.
Im Kontext von Arbeitszeitbetrug, der häufig Anlass für Verdachtskündigungen ist, müssen Arbeitgeber besonders vorsichtig vorgehen. Sie müssen stichhaltige Beweise für den Verdacht vorlegen und dürfen nicht vorschnell handeln. Andernfalls riskieren sie, dass die Kündigung als unverhältnismäßig eingestuft wird.
Abschließend lässt sich sagen, dass eine unwirksame Verdachtskündigung für den Arbeitgeber mit erheblichen finanziellen und rechtlichen Risiken verbunden ist. Sie kann zu Nachzahlungen, Schadensersatzforderungen und einer Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung führen. Zudem kann sie das Arbeitsklima nachhaltig beeinträchtigen und dem Ruf des Unternehmens schaden. Arbeitgeber sollten daher äußerst sorgfältig prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Verdachtskündigung tatsächlich vorliegen, bevor sie eine solche aussprechen.
Wie sieht die Rechtslage zu „anderen Pflichtverletzungen“ im Zusammenhang mit einer Verdachtskündigung aus?
Die Rechtslage zu „anderen Pflichtverletzungen“ im Zusammenhang mit einer Verdachtskündigung ist komplex und erfordert eine differenzierte Betrachtung. Grundsätzlich kann eine Verdachtskündigung ausgesprochen werden, wenn ein dringender Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung oder Straftat besteht. Dabei ist es wichtig zu verstehen, dass nicht nur der Verdacht auf eine einzelne Pflichtverletzung, sondern auch mehrere mögliche Verstöße in Betracht gezogen werden können.
Bei der Beurteilung „anderer Pflichtverletzungen“ im Kontext einer Verdachtskündigung müssen zunächst die allgemeinen Voraussetzungen erfüllt sein. Der Verdacht muss auf objektiven Tatsachen beruhen und so stark sein, dass er das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen nachhaltig zerstört. Dabei ist es nicht zwingend erforderlich, dass jede einzelne vermutete Pflichtverletzung für sich genommen bereits einen Kündigungsgrund darstellt.
Ein wichtiger Aspekt ist, dass die Gesamtheit der Verdachtsmomente betrachtet wird. Wenn neben dem Hauptverdacht, beispielsweise eines Arbeitszeitbetrugs, weitere Pflichtverletzungen im Raum stehen, kann dies die Position des Arbeitgebers stärken. Allerdings muss der Arbeitgeber auch für diese zusätzlichen Vorwürfe konkrete Anhaltspunkte darlegen können. Es reicht nicht aus, vage Vermutungen oder unbegründete Anschuldigungen vorzubringen.
Die Rechtsprechung hat klargestellt, dass bei der Beurteilung einer Verdachtskündigung eine Gesamtwürdigung aller Umstände vorzunehmen ist. Dies bedeutet, dass auch weniger schwerwiegende Pflichtverletzungen in die Bewertung einfließen können, sofern sie in ihrer Gesamtheit das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nachhaltig beeinträchtigen.
Es ist jedoch zu beachten, dass der Arbeitgeber bei der Geltendmachung mehrerer Pflichtverletzungen im Rahmen einer Verdachtskündigung besonders sorgfältig vorgehen muss. Er ist verpflichtet, dem Arbeitnehmer im Rahmen der Anhörung die Möglichkeit zu geben, zu allen Vorwürfen Stellung zu nehmen. Versäumt der Arbeitgeber dies, kann die Kündigung unwirksam sein, selbst wenn der Hauptverdacht begründet war.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Verhältnismäßigkeit der Kündigung. Auch wenn mehrere Pflichtverletzungen im Raum stehen, muss der Arbeitgeber prüfen, ob eine Kündigung das angemessene Mittel ist oder ob mildere Maßnahmen ausreichen würden. Dies gilt insbesondere, wenn die zusätzlichen Pflichtverletzungen für sich genommen keine schwerwiegenden Verstöße darstellen.
In der Praxis kann es vorkommen, dass ein Arbeitgeber neben dem Hauptverdacht weitere mögliche Pflichtverletzungen anführt, um seine Kündigungsentscheidung zu untermauern. Hierbei ist jedoch Vorsicht geboten: Stellt sich heraus, dass einige der Vorwürfe unbegründet sind, kann dies die Glaubwürdigkeit des Arbeitgebers insgesamt in Frage stellen und somit die Wirksamkeit der Kündigung gefährden.
Es ist wichtig zu betonen, dass die rechtliche Bewertung „anderer Pflichtverletzungen“ im Rahmen einer Verdachtskündigung stets einzelfallabhängig ist. Faktoren wie die Art und Schwere der vermuteten Verstöße, die Dauer des Arbeitsverhältnisses, die Position des Arbeitnehmers und mögliche Vorstrafen können eine Rolle spielen.
Abschließend lässt sich festhalten, dass „andere Pflichtverletzungen“ im Kontext einer Verdachtskündigung durchaus relevant sein können, sofern sie auf konkreten Tatsachen beruhen und in ihrer Gesamtheit das Vertrauensverhältnis nachhaltig stören. Der Arbeitgeber muss jedoch sorgfältig abwägen und alle prozessualen Schritte, insbesondere die umfassende Anhörung des Arbeitnehmers, beachten, um die Wirksamkeit der Kündigung nicht zu gefährden.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Verdachtskündigung: Eine Kündigung, die auf dem dringenden Verdacht einer schweren Pflichtverletzung des Arbeitnehmers beruht, wie z. B. Arbeitszeitbetrug. Sie ist nur zulässig, wenn Tatsachen vorliegen, die eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitgeber unzumutbar machen.
- Dringender Tatverdacht: Ein Sachverhalt, der aufgrund konkreter Tatsachen den Verdacht einer Straftat oder schwerwiegenden Pflichtverletzung nahelegt. Er erfordert mehr als nur einen vagen Verdacht und muss so stark sein, dass eine hohe Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen der Tat besteht.
- Pflichtverletzung: Ein Verstoß gegen die Pflichten, die sich aus dem Arbeitsvertrag oder dem Gesetz für den Arbeitnehmer ergeben. Beispiele sind Arbeitszeitbetrug, Diebstahl oder Verstöße gegen die Verschwiegenheitspflicht.
- Abmahnung: Eine formelle Warnung des Arbeitgebers an den Arbeitnehmer wegen einer Pflichtverletzung. Sie soll dem Arbeitnehmer die Möglichkeit geben, sein Verhalten zu ändern und dient als Voraussetzung für eine spätere verhaltensbedingte Kündigung.
- Interessenabwägung: Eine Abwägung der widerstreitenden Interessen des Arbeitgebers und des Arbeitnehmers bei einer Kündigung. Dabei werden Faktoren wie die Schwere der Pflichtverletzung, die Dauer des Arbeitsverhältnisses und die Chancen des Arbeitnehmers auf einen neuen Arbeitsplatz berücksichtigt.
- Fristlose Kündigung: Eine Kündigung, die ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist erfolgt. Sie ist nur in Ausnahmefällen zulässig, wenn ein wichtiger Grund vorliegt, der eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitgeber unzumutbar macht, wie z. B. eine schwere Pflichtverletzung des Arbeitnehmers.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- § 626 Abs. 2 BGB (fristlose Kündigung): Diese Vorschrift regelt die Voraussetzungen für eine außerordentliche, fristlose Kündigung. Sie setzt einen wichtigen Grund voraus, der es dem Kündigenden unzumutbar macht, das Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der Kündigungsfrist fortzusetzen. Im vorliegenden Fall prüfte das Gericht, ob der Verdacht auf Arbeitszeitbetrug und die Pflichtverletzungen der Arbeitnehmerin einen solchen wichtigen Grund darstellten.
- § 626 Abs. 1 BGB (Kündigung aus wichtigem Grund): Dieser Paragraph legt fest, dass ein Arbeitsverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden kann, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Im vorliegenden Fall wurde geprüft, ob der Verdacht auf Arbeitszeitbetrug und die Pflichtverletzungen einen solchen wichtigen Grund darstellten.
- § 314 Abs. 1 BGB (Kündigung wegen Verletzung einer Pflicht aus dem Arbeitsverhältnis): Gemäß dieser Vorschrift kann ein Arbeitsverhältnis von jedem Vertragsteil ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn der andere Vertragsteil eine Pflicht aus dem Arbeitsverhältnis erheblich verletzt hat. Im vorliegenden Fall wurde untersucht, ob die Pflichtverletzungen der Arbeitnehmerin im Zusammenhang mit der Herausgabe von Arbeitsmitteln und dem unbefugten Zugriff auf das IT-System eine solche erhebliche Pflichtverletzung darstellten.
- § 1 KSchG (Kündigungsschutzgesetz): Dieses Gesetz regelt den allgemeinen Kündigungsschutz für Arbeitnehmer. Es schreibt vor, dass eine Kündigung sozial gerechtfertigt sein muss, entweder personen-, verhaltens- oder betriebsbedingt. Im vorliegenden Fall war insbesondere die Frage relevant, ob eine Verdachtskündigung wegen Arbeitszeitbetrugs sozial gerechtfertigt sein kann.
- § 611a BGB (Bürgerliches Gesetzbuch): Dieser Paragraph definiert das Arbeitsverhältnis als eine besondere Art des Dienstvertrags, bei dem der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung weisungsgebunden und in persönlicher Abhängigkeit erbringt. Im vorliegenden Fall war diese Definition relevant, um zu beurteilen, ob das Verhalten der Arbeitnehmerin (z. B. eigenmächtiges Zuschneiden der SIM-Karte) eine Verletzung ihrer arbeitsvertraglichen Pflichten darstellte.
Das vorliegende Urteil
Landesarbeitsgericht Köln – Az.: 7 Sa 431/15 – Urteil vom 22.10.2015
* Der vollständige Urteilstext wurde ausgeblendet, um die Lesbarkeit dieses Artikels zu verbessern. Klicken Sie auf den folgenden Link, um den vollständigen Text einzublenden.
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Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 26.02.2015 in Sachen 3 Ca 2399/14 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz noch um die Wirksamkeit einer außerordentlichen fristlosen Kündigung der Beklagten vom 02.10.2014.
Wegen des Sach- und Streitstandes in erster Instanz, wegen der erstinstanzlich zur Entscheidung gestellten Sachanträge und wegen der Gründe, die die 3. Kammer des Arbeitsgerichts Bonn dazu bewogen haben, der Kündigungsschutzklage in vollem Umfang stattzugeben, wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des Urteils des Arbeitsgerichts Bonn vom 26.02.2015 Bezug genommen.
Das Urteil des Arbeitsgerichts wurde der Beklagten am 24.03.2015 zugestellt. Die Beklagte hat hiergegen am 20.04.2015 Berufung eingelegt und diese am 21.05.2015 begründet.
Die Beklagte und Berufungsklägerin stellt zunächst klar, dass sie an der hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Kündigung nicht festhält, weil eine solche aus tarifvertraglichen Gründen nicht mehr möglich war.
Darüber hinaus stellt die Beklagte klar, dass sie die außerordentliche Kündigung nicht mehr auf den Verdacht eines Arbeitszeitbetruges stützt, den die Klägerin nach dem erstinstanzlichen Vorbringen der Beklagten am Montag, den 01.09.2014 begangen haben soll.
Im Übrigen hält die Beklagte aber an der außerordentlichen, fristlosen Kündigung vom 02.10.2014 und den zu deren Rechtfertigung erstinstanzlich vorgebrachten verhaltensbedingten Sachverhalten fest.
So bleibt die Beklagte bei ihrer Auffassung, dass der dringende Verdacht bestehe, die Klägerin habe am Freitag, den 29. August 2014 einen (versuchten) Arbeitszeitbetrug begangen. Zu Unrecht habe das Arbeitsgericht die Voraussetzungen des dringenden Tatverdachts als nicht bewiesen angesehen. Hätte es sich mit dem Aussagegehalt der Erklärungen und den zeitlichen Abläufen näher auseinandergesetzt, hätte es zu dem Ergebnis kommen müssen, dass die Aussagen der Klägerin nicht zutreffen können, jedenfalls aber sehr unwahrscheinlich seien.
Die Beklagte hält auch an dem Vorwurf fest, dass die Klägerin ihren Vorgesetzten durch Übersendung eines Bildschirmausdrucks darüber habe täuschen wollen, dass sie die zunächst unterbliebene Buchung von vier Urlaubstagen aus Februar/März 2014 ordnungsgemäß nachgeholt habe, obwohl dies jedenfalls im Zeitpunkt der Erstellung des Bildschirmausdrucks ersichtlich nicht der Fall gewesen sei. Jedenfalls hätte die Klägerin ihren Vorgesetzten zeitnah darüber informieren müssen, wenn nachträglich die Speicherung der nachgetragenen Urlaubstage fehlgeschlagen sein sollte.
Den gravierendsten Pflichtverstoß sieht die Beklagte jedoch darin, dass die Klägerin anlässlich ihrer Freistellung ab dem 03.09.2014 es trotz Aufforderung unterlassen habe, sämtliche Arbeitsmittel vollständig zurückzugeben, sondern die SIM-Karte ihres Diensthandys, eine Ultrakarte und eine weitere Datenkarte behalten habe. Sie habe auch den Vorgesetzten darüber getäuscht, dass sie die technischen Geräte vollständig zurückgegeben habe.
Ferner habe sie die dienstliche SIM-Karte verbotswidrig in ihr Privathandy eingesetzt und dazu beschädigt, indem sie sie auf Mini-Karten-Format zurechtgeschnitten habe. Schließlich habe sie auch mit Hilfe der SIM-Karte weiter private Telefonate geführt. Sie habe sich ferner trotz ihrer Freistellung in das dienstliche IT-System eingeloggt, um dort diverse Daten in ihrem Kalender zu löschen. Auch das Arbeitsgericht habe hierin einen Pflichtverstoß der Klägerin gesehen, jedoch aufgrund einer fehlerhaft durchgeführten Interessenabwägung zu Unrecht die Auffassung vertreten, dass vor Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung nochmals der Ausspruch einer Abmahnung vorrangig gewesen sei.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den vollständigen Inhalt der Berufungsbegründungsschrift der Beklagten Bezug genommen.
Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt nunmehr, das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 26.02.2015,3 Ca 2399/14, abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin und Berufungsbeklagte beantragt, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Die Klägerin verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil und bleibt dabei, dass sie sich in keinem der von der Beklagten angesprochenen Sachverhaltskomplexe rechtswidrig verhalten habe, schon gar nicht vorsätzlich.
Am 29.08.2014 habe sie in den Räumen der Niederlassung der D IT Services GmbH in der W mit dem dortigen Mitarbeiter Z eine Besprechung zum Thema myNet und Intranet gehabt. Diese Besprechung habe im Büro des Herrn P , aber mit dem Gesprächspartner Z stattgefunden, ohne dass Herr P bei dem Gespräch anwesend gewesen sei. Etwas anderes habe sie auch in der Anhörung nicht geäußert. Hinsichtlich der korrekten Erfassung ihrer Urlaubstage habe sie mehrfach schriftlich und mündlich alle zumutbaren Anstrengungen unternommen. Ihr sei letztendlich auch durch Herrn G von der Personalabteilung die vollständige und fehlerfreie Buchung bestätigt worden.
Weiterhin lässt sich die Klägerin dahin ein, dass sie die dienstliche SIM-Karte nicht beschädigt habe. Sie habe sie vielmehr von dem Anbieter V auf das aktuell in ihrem Privathandy benötigte Kartenformat zuschneiden lassen. Mit Hilfe einer gängigen Schablone sei die SIM-Karte aber weiterhin uneingeschränkt auch in den dienstlichen BlackBerry-Geräten einsetzbar. Ihr sei erlaubt gewesen, mit Hilfe der dienstlichen SIM-Karte privat zu telefonieren. Dies sei stets und bis heute von der Beklagten entsprechend in Rechnung gestellt worden.
Anlässlich ihrer Freistellung sei sie auch nicht aufgefordert worden, „sämtliche Arbeitsmittel zurückzugeben“. Als die Beklagte die Herausgabe der SIM-Karten verlangt habe, sei sie dem unverzüglich nachgekommen. Ferner treffe es nicht zu, dass sie, die Klägerin, aufgrund ihrer Freistellung keine Dispositionsbefugnis mehr über die in ihrem Profil hinterlegten Daten gehabt habe. Die Beklagte habe das Profil auch nach ihrer Freistellung nicht gesperrt. Sie habe sich mit ihrem Benutzernamen und ihrem üblichen Passwort weiterhin in das System einwählen können. Nach der Freistellung habe sie in ihrem Outlook-Kalender – unstreitig – auch nur private Termine gelöscht.
Schließlich rügt die Klägerin nochmals, dass der Betriebsrat vor der Kündigung ordnungsgemäß angehört worden sei.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den vollständigen Inhalt der Berufungserwiderungsschrift der Klägerin Bezug genommen.
Bezug genommen wird ferner auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht vom 22.10.2015.
Entscheidungsgründe
I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 26.02.2015 in Sachen 3 Ca 2399/14 ist zulässig. Die Berufung ist gemäß § 64 Abs. 2 c) ArbGG statthaft. Sie wurde auch innerhalb der in § 66 Abs. 1 ArbGG vorgeschriebenen Fristen formell ordnungsgemäß eingelegt und begründet.
II. Die Berufung der Beklagten konnte in der Sache jedoch keinen Erfolg haben. Das Arbeitsgericht Bonn hat die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 02.10.2014 zu Recht für rechtsunwirksam erklärt und festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch diese Kündigung nicht beendet worden ist. Die Einlassungen der Beklagten in der Berufungsinstanz geben dem Berufungsgericht keinen hinreichenden Anlass, die Entscheidung des Arbeitsgerichts Bonn abzuändern.
Im Einzelnen gilt auf der Grundlage des zuletzt erreichten Sach- und Streitstandes zusammenfassend und ergänzend das Folgende:
1. Die Beklagte kann die fristlose Kündigung vom 02.10.2014 nicht auf den Vorwurf stützen, es bestehe der dringende Verdacht, dass die Klägerin durch Übersendung eines sogenannten Screenshots am 02.07.2014 ihren Vorgesetzten darüber getäuscht habe, dass sie eine von diesem angemahnte Nachbuchung bestimmter Urlaubstage aus Februar 2014 tatsächlich vorgenommen habe. Das Arbeitsgericht hat zu Recht darauf abgestellt, dass schon keine objektiven Umstände erkennbar sind, die einen entsprechenden dringenden Verdacht zu erhärten vermöchten. Einer weiteren inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Stellenwert eines solchen Kündigungsvorwurfs bedarf es daher nicht.
a. Der äußere Sachverhalt erscheint im Wesentlichen unstreitig: Unstreitig hat der Vorgesetzte der Klägerin diese am 25.06.2014 aufgefordert, bestimmte im Februar 2014 genommene Urlaubstage im System nach zu buchen. Unstreitig hat die Klägerin dem Vorgesetzten daraufhin am 02.07.2014 einen sogenannten Screenshot übersandt, welcher belegen sollte, dass die Klägerin die fragliche Nachbuchung nunmehr vorgenommen habe. Ebenso unstreitig ist, dass im Zeitpunkt der Übersendung des Screenshots eine erfolgreiche abschließende Umbuchung im System noch nicht zustande gekommen war. Nach der eigenen Einlassung der Klägerin habe das System ihre Umbuchungsbemühungen zunächst nicht angenommen und es habe der Mithilfe des Mitarbeiters der Personalabteilung G bedurft, um die erfolgreiche Umbuchung sicherzustellen. Diese sei dann am 31.07.2014 durch den Vorgesetzten bestätigt worden.
b. Selbstverständlich kann denklogisch nicht ausgeschlossen werden, dass die Klägerin bei der Übersendung des Screenshots die Absicht verfolgte, ihren Vorgesetzten zu täuschen. Die rein theoretische Möglichkeit, dass sich ein Sachverhalt in bestimmter Weise abgespielt haben und ein Arbeitnehmer dabei eine Arbeitsvertragsverletzung begangen haben könnte, reicht jedoch nicht aus, um eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses zu rechtfertigen.
c. Zwar ist in ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung anerkannt, dass nicht in jedem Fall einer verhaltensbedingten Kündigung der Kündigungssachverhalt in vollem Umfang nachgewiesen sein muss in dem Sinne, dass jedweden vernünftigen objektiven Zweifeln Schweigen geboten ist. Vielmehr kann unter bestimmten Umständen auch ein niedrigerer Grad der Gewissheit ausreichen, um eine sogenannte Verdachtskündigung zu rechtfertigen. Dabei reicht es jedoch schon nicht aus, wenn die Möglichkeit, es liege ein tatsächlicher Sachverhalt vor, in welchem ein Arbeitnehmer eine schwerwiegende Vertragsverletzung begangen hat, nur gleich wahrscheinlich ist wie die objektive Möglichkeit, dass dies nicht der Fall war. Der für den Ausspruch einer außerordentlichen Verdachtskündigung erforderliche „dringende Tatverdacht“ muss somit zwar nicht wie bei der Tatkündigung so geartet sein, dass er jedem vernünftigen Zweifel am Vorliegen einer bestimmten Sachverhaltsvariante Schweigen gebietet. Er darf aber nur relativ geringfügig hinter dem Grad der Gewissheit bei der Tatkündigung zurückbleiben und muss in jedem Fall wahrscheinlicher sein als die Möglichkeit, dass die inkriminierte Vertragsverletzung in Wirklichkeit nicht stattgefunden hat (BAG vom 25.10.2010, AP Nr.48 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung; BAG v. 29.11.2007, AP Nr.40 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung; BAG vom 30.04.1987, NZA 1987, 699; LAG Köln vom 13.08.2015, 7 Sa 145/15; LAG Köln vom 10.08.1999, 13 Sa 220/99; Staudinger/Preis, BGB § 626 Rdnr.227; APS/Dörner/Vossen, § 626 BGB Rdnr. 357).
d. Diese Voraussetzungen einer Verdachtskündigung liegen hinsichtlich des Kündigungsgrunds „nachträgliche Urlaubsbuchung“ ersichtlich nicht vor. Zur Überzeugung des Berufungsgerichts erscheint es nicht einmal gleich wahrscheinlich, dass die Klägerin ihren Vorgesetzten durch Übersendung des Screenshots täuschen wollte als dass sie ohne die ihr unterstellte Täuschungsabsicht gehandelt hat.
aa. So hat das Arbeitsgericht bereits auf die nicht fernliegende Möglichkeit aufmerksam gemacht, dass die Klägerin durch die vergleichsweise aufwendige Übersendung eines Screenshots ihrem Vorgesetzten gegenüber gerade ihren guten Willen verdeutlichen wollte, seine Weisung hinsichtlich der Urlaubsnachbuchung zu erfüllen.
bb. Gegen eine Täuschungsabsicht der Klägerin spricht weiter, dass ihr klar sein musste, dass der Vorgesetzte den Vollzug der Buchungsänderung jederzeit auf einfache Weise hätte nachkontrollieren können, sei es aufgrund der ihm eingeräumten Leseberechtigung, sei es durch Nachfrage bei der für die Buchung letztlich zuständigen Personalabteilung.
cc. Darüber hinaus ist jedem täglichen Benutzer von Büro-EDV-Systemen bekannt, dass es immer wieder im Einzelfall zu technischen Fehlfunktionen kommen kann, die es nach Einschätzung der zuständigen Techniker theoretisch gar nicht geben dürfte, wobei solche Fehlfunktionen selbstverständlich in nicht seltenen Fällen auch auf Fehlbedienungen durch den Nutzer beruhen.
e. Die fristlose Kündigung vom 02.10.2014 kann darüber hinaus auch deshalb nicht auf den Kündigungsgrund einer Täuschung über die vorgenommene Urlaubsnachbuchung gestützt werden, weil die Beklagte nicht substantiiert dargelegt hat, dass insoweit die 14-Tage-Frist des § 626 Abs. 2 BGB eingehalten wurde.
aa. Die Übersendung des Screenshots erfolgte am 02.07.2014. Nach der insoweit unwidersprochen gebliebenen Darstellung der Klägerin bestätigte der Vorgesetzte spätestens am 31.07.2014, dass nunmehr die geforderte Nachbuchung tatsächlich erfolgt war.
bb. Darauf, dass eine Anhörung der Klägerin zu der beabsichtigten Kündigung erst im September 2014 erfolgte, kann die Beklagte sich im Hinblick auf § 626 Abs.2 BGB nicht berufen; denn eine wirksame Verdachtskündigung erfordert nicht nur unabdingbar die Anhörung des Arbeitnehmers, sondern auch ein zügiges Ermitteln des Sachverhalts durch den Arbeitgeber. Welche Ermittlungen jedenfalls nach dem 31.07.2014 noch erforderlich gewesen wären, erschließt sich nicht.
f. Schließlich erscheint es in Anbetracht des Vorbringens der Beklagten in der Berufungsinstanz auch nicht widerspruchsfrei nachvollziehbar, dass sich die Klägerin durch die nicht erfolgte Nachbuchung der Urlaubstage einen finanziellen Vorteil erschlichen hätte, wie die Beklagte in der ersten Instanz behauptet hat.
aa. In der Berufungsinstanz hat die Beklagte zur Funktionsweise des Systems AZE wie folgt vorgetragen: „Sofern an einem Tag Arbeitszeit hinterlegt ist, ist die – nachträgliche – Eingabe von Urlaubstagen nicht mehr möglich. Wird für einen bestimmten Zeitraum weder Arbeitszeit noch Urlaub gebucht, führt dies zu einem entsprechend negativen Zeitsaldo (das System geht von Fehlzeit aus). Wird sodann nachträglich Urlaub eingetragen, würde sich ein negativer Saldo nachträglich entsprechend ausgleichen bzw. ein positiver Saldo würde sich – für den Arbeitnehmer ersichtlich – deutlich erhöhen“ (Berufungsbegründungsschrift Seite 4).
bb. Geht man von dieser Darlegung aus, so konnte die Klägerin an den streitigen Urlaubstagen aus Februar 2014 ursprünglich keine Arbeitszeit eingetragen haben, da dann ein Nachbuchen von Urlaub von vornherein nicht möglich gewesen wäre.
cc. Hat die Klägerin seinerzeit für die fraglichen Tage aber gar keine Eintragung im System vorgenommen, wären ihr – der Berufungsbegründungsschrift zufolge – entsprechende Minusstunden im Arbeitszeitkonto angeschrieben worden. Ein etwaiger Urlaub wäre demnach de facto ein unbezahlter Urlaub gewesen. Warum vor diesem Hintergrund eine unterbliebene Nachbuchung der damaligen Urlaubstage für die Klägerin finanziell vorteilhaft gewesen wäre, erschließt sich nicht.
2. Zu Recht hat das Arbeitsgericht einen dringenden Tatverdacht auch im Hinblick auf den der Klägerin vorgeworfenen Arbeitszeitbetrug von Freitag, dem 29.08.2014 verneint. Anknüpfend an die obigen Überlegungen zum erforderlichen Grad der Gewissheit bei der dringenden Verdachtskündigung hätte die Wahrscheinlichkeit, dass die Klägerin am 29.08.2014 in den fraglichen Nachmittagsstunden tatsächlich nicht einem Dienstgeschäft in den Räumen der D IT Services GmbH nachgegangen wäre, zumindest deutlich höher sein müssen als die gegenteilige Sachverhaltsversion der Klägerin. Auch dies kann in Übereinstimmung mit dem Arbeitsgericht nicht festgestellt werden.
a. Das Berufungsgericht verschließt keineswegs die Augen vor der Möglichkeit, dass die Klägerin am Nachmittag des 29.08.2014 in den Räumen der D IT Services GmbH tatsächlich keinem Dienstgeschäft nachgegangen ist, sei es, dass sie lediglich einen privaten Besuch bei Herrn P habe abstatten wollen, sei es, dass sie überhaupt nicht vor Ort gewesen wäre.
b. Für die Version der Klägerin können andererseits folgende Indizien vorgebracht werden: Die Klägerin ist tatsächlich dienstlich mit dem Projekt myNet befasst. Der Mitarbeiter P hat bereits auf die erste Nachfrage hin angegeben, dass es an dem fraglichen Freitagnachmittag zu einem Arbeitstreffen zum System myNet gekommen sei, welches von dem Mitarbeiter Z organisiert worden sei. Dass er hierbei (noch) keine Angaben zur Teilnahme der Klägerin an einem solchen Gespräch gemacht hat, kann auch von der Art der Fragestellung der Beklagten abhängen, z. B. wenn diese nicht gezielt nach einer Anwesenheit der Klägerin gefragt haben sollte, etwa um den Mitarbeiter P nicht „hellhörig“ werden zu lassen. Schließlich hat der Mitarbeiter Z ohne Wenn und Aber bekräftigt, dass er an diesem Freitagnachmittag eine Stunde lang mit der Klägerin über das Projekt myNet konferiert habe.
c. Der Angabe der Beklagten, der Mitarbeiter Z habe aber auch ausgesagt, dass er die Klägerin vor seinem Dienstgespräch mit ihr im Büro des Mitarbeiters P angetroffen habe, kommt keine entscheidende Bedeutung zu. Zum einen bestätigt auch diese Angabe zumindest, dass sich die Klägerin zur fraglichen Zeit tatsächlich in den Räumen der D IT Services GmbH aufgehalten hat. Andererseits sagt sie nichts darüber aus, ob nicht der gesamte Aufenthalt dort letztlich durch Dienstgeschäfte geprägt war.
d. Das Berufungsgericht räumt der Beklagten ein, dass im Hinblick auf den von ihr für den 29.08.2014 vermuteten (versuchten) Arbeitszeitbetrug der Klägerin ein Anfangsverdacht angenommen werden kann. Dass die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Klägerin am Nachmittag des 29.08.2014 in Wirklichkeit nicht in den Räumen der D IT Services GmbH aufgehalten oder dort jedenfalls keinen Dienstgeschäften nachgegangen ist, im Sinne eines dringenden Tatverdachtes deutlich höher ist als die gegenteilige Wahrscheinlichkeit, dass die Klägerin dort Dienstgeschäfte verrichtet hat, lässt sich jedoch nicht feststellen. Immerhin kann sich die Klägerin auf das Zeugnis zweier Mitarbeiter eines konzernangehörigen Unternehmens der Beklagten berufen. Zwar besteht zwischen der Klägerin und dem Zeugen Pütz – nach der Darstellung der Beklagten – ein enges persönliches Verhältnis. Ein anerkannter Rechtsgrundsatz, wonach alle Ehegatten, Lebenspartner oder sonstige enge persönliche Freunde als Zeugen stets lügen, existiert jedoch nicht.
3. Schließlich führt – wiederum in Übereinstimmung mit dem Arbeitsgericht – auch das Verhalten der Klägerin bei der Herausgabe der in ihrem Besitz befindlichen Arbeitsmaterialien anlässlich ihrer Freistellung am 03. September 2014 nicht zur Rechtfertigung der streitigen Kündigung durch einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB.
a. Zunächst teilt das Berufungsgericht uneingeschränkt die Auffassung des Arbeitsgerichts, dass in dem von der Klägerin privat veranlassten „Zuschneiden“ der dienstlichen SIM-Karte, damit diese für ihr eigenes Privathandy passend wird, eine arbeitsvertragliche Pflichtverletzung lag. Zwar hat die Klägerin nachvollziehbar dargelegt, dass diese Aktion die SIM-Karte für das dienstliche Black Berry nicht dauerhaft unbrauchbar gemacht hat; denn mit Hilfe einer Schablone kann das SIM-Karten-Format variiert werden. Dennoch stellt die Handlungsweise der Klägerin einen Eingriff in das Eigentum der Beklagten dar, zu dem sich die Klägerin nicht ohne weiteres für befugt halten durfte. Sie hätte somit die Erlaubnis der Beklagten einholen müssen, was sie nicht getan hat.
b. Der Umstand, dass die Klägerin beim ersten Herausgabeverlangen der Beklagten die SIM-Karte und weitere Datenkarten zunächst in ihrem Besitz behalten hat, ist demgegenüber bereits differenziert zu betrachten.
aa. Zunächst ist festzuhalten, dass eine „Täuschung“ der Beklagten insoweit nicht feststellbar ist. Es wäre der Person, die die von der Klägerin zurückgegebenen Gegenstände in Empfang genommen hat, ohne weiteres mit Leichtigkeit möglich gewesen, die Rückgabe der SIM-Karte und der weiteren Datenkarten zu überprüfen. Dies gilt nicht zuletzt auch deshalb, weil die Klägerin zuvor unstreitig nicht nur eine, sondern vier entsprechende Datenkarten in ihrem Besitz hatte, nämlich neben der eigentlichen SIM-Karte noch zwei Ultrakarten und eine Datenkarte, mit deren Rückgabe der Empfänger zu rechnen hatte.
bb. Zum anderen ist im Laufe des Rechtsstreits unstreitig geworden, dass die Klägerin durchaus befugt war, von ihrem dienstlichen Handy private Telefonate zu führen, die ihr dann später über die Beklagte in Rechnung gestellt wurden. Dies war auch noch nach Auftreten des Streits der Parteien der Fall. In der Dienstwagenrechtsprechung ist anerkannt, dass dann, wenn ein Arbeitnehmer einen Dienstwagen auch zur privaten Nutzung ausgehändigt bekommen hat, ein Herausgabeverlangen anlässlich einer vorläufigen Arbeitsfreistellung nicht ohne weiteres zulässig ist.
c. Unstreitig hat sich die Klägerin schließlich während ihrer Freistellungsphase von außen mit Hilfe der sich noch in ihrem Besitz befindlichen Datenkarten in das dienstliche EDV-System der Beklagten eingeloggt und dort Löschungen vorgenommen.
aa. Zunächst ist festzuhalten, dass die von der Klägerin vorgenommenen Löschungen unstreitig ausschließlich private Kalenderdaten der Klägerin betreffen. Der Klägerin kann also nicht vorgeworfen werden, zu Dienstzwecken dienende Datenbestände gelöscht oder sonst beeinträchtigt zu haben.
bb. Sodann hat die Erörterung in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht zwischen den Parteien kontroverse Standpunkte darüber gegeben, welche Befugnisse genau die Mitarbeiter, die über einen dienstlichen Laptop und ein Diensthandy verfügen, hinsichtlich der Benutzung dieser Geräte haben.
aaa. Die Klägerin hatte bereits schriftsätzlich vorgetragen, dass sie sich auch während der Freistellungsphase anstandslos mit ihrem vorherigen Benutzernamen und Passwort im System der Beklagten habe anmelden können. Der Beklagten wäre es zweifelsfrei möglich gewesen, dies z. B. durch Änderung des Passworts unmöglich zu machen.
bbb. Zum anderen hat die Beklagte in der mündlichen Verhandlung folgendes ausgeführt: „Es gebe bei der Beklagten eine Compliance-Richtlinie, die es verbiete, dienstliche SIM-Karten in privaten Handys zu nutzen, und zwar aus Sicherheitsgründen. Erforderlich sei vielmehr die Nutzung einer Applikation mit dem Namen „Good for Enterprise“. Diese Richtlinie sei auch veröffentlicht“.
Der Klägervertreter erklärt laut Sitzungsprotokoll hierzu, „dass er vom Betriebsrat die Auskunft erhalten habe, dass es eine entsprechende Richtlinie so nicht gebe“.
Die Beklagtenvertreterin erklärt darauf hin, „es mag sein, dass der Betriebsrat dies als strittig empfinde.“
ccc. Die Beklagte hat im vorliegenden Rechtsstreit, obwohl dies nahegelegen hätte, nicht ausreichend substantiiert dargelegt, welche Verhaltensregeln im Hinblick auf die überlassenen Laptops und Diensthandys aufgestellt, wirksam und den Mitarbeitern kommuniziert waren. Wenn die Beklagte einräumt, dass die von ihr für maßgeblich gehaltene Compliance-Richtlinie vom Betriebsrat möglicherweise als strittig empfunden wird, so spricht dies dafür, dass nicht nur bei der hiesigen Klägerin, sondern in den einschlägigen Arbeitnehmerkreisen allgemein eine Unsicherheit zu bestehen scheint, was genau im Einzelfall erlaubt ist und was nicht.
ddd. Gerade dieser Gesichtspunkt unterstreicht die Rechtsauffassung des Arbeitsgerichts, wonach die Beklagte im vorliegenden Fall vorrangig eine Abmahnung hätte aussprechen müssen, bevor sie die Vorgänge um die Herausgabe und nachträgliche Benutzung des Dienstlaptops und Diensthandys der Klägerin zum Anlass für eine verhaltensbedingte Kündigung nehmen wollte. Eine Abmahnung war somit schon aus diesem Grunde nicht entbehrlich. Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin klare und unmissverständliche Verhaltensanweisungen in der Zukunft keineswegs befolgt hätte, liegen nicht vor. Vielmehr war die Abmahnung erforderlich, um der Klägerin ihren Pflichtenkreis, den sie im Zusammenhang mit der Herausgabe der EDV-Gegenstände teilweise verletzt hat, genau und unmissverständlich vor Augen zu stellen.
4. Auch die abschließende Interessenabwägung führt dazu, dass vorliegend nach dem Ultima-ratio-Prinzip die Beklagte noch keine fristlose Beendigungskündigung in Erwägung ziehen durfte, sondern zunächst vorrangig eine Abmahnung aussprechen musste.
a. Die Klägerin stellt, wie schon ihr Einkommen belegt, keine ganz untergeordnete Mitarbeiterin dar. Die Beklagte als Arbeitgeberin hat demnach auch ein gesteigertes berechtigtes Interesse daran, auf den redlichen Umgang der Klägerin mit ihr überlassenen Dienstgegenständen unbedingt vertrauen zu können. Dahinter stehen darüber hinaus auch unübersehbare IT-Sicherheitsbedürfnisse.
b. Für die Klägerin stellt das Arbeitsverhältnis indessen im Zweifel ihre wirtschaftliche Existenzgrundlage dar. Zudem kann sie im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung auf eine 15-jährige Betriebszugehörigkeit zurückblicken. Dieser soziale Besitzstand ist für die Tarifvertragsparteien ausschlaggebend gewesen, nur noch die außerordentliche Kündigung der Klägerin zuzulassen. Die Anforderungen an einen wichtigen Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB können aber nicht herabgesenkt werden, nur weil eine ordentliche Kündigung der Klägerin tarifvertraglich ausgeschlossen ist. Dadurch würde der Schutzzweck der tarifvertraglichen Norm in ihr Gegenteil verkehrt.
c. Wie gesehen sind der Klägerin zwar verschiedene Arbeitsvertragsverstöße im Zusammenhang mit der Herausgabe ihrer Arbeitsmaterialien vorzuwerfen. Es ist jedoch nicht erkennbar, dass die Klägerin es vorsätzlich darauf angelegt hätte, die Beklagte finanziell oder auf andere Art zu schädigen. Es mag angebracht gewesen sein, der Klägerin nochmals aus der Sicht der Beklagten als ihres Arbeitgebers unmissverständlich klarzumachen, was sie von ihr im Umgang mit den ihr überlassenen Arbeitsmaterialien erwartet. Eine solche Abmahnung stellte ein milderes und nach Lage der Dinge keineswegs von vornherein aussichtsloses Mittel dar, um die berechtigten Interessen der Beklagten ausreichend zu wahren.
d. Es muss daher bei der bereits vom Arbeitsgericht festgestellten Unwirksamkeit der streitgegenständlichen Kündigung vom 02.10.2014 verbleiben. Die Berufung der Beklagten konnte keinen Erfolg haben.
III. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ArbGG.
Ein gesetzlicher Grund für die Zulassung der Revision ist nicht ersichtlich. Die vorliegende Entscheidung folgt den Grundsätzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung und richtet sich im Übrigen nach den besonderen Umständen des Einzelfalles.