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Verdachtskündigung – fehlerhafte Betriebsratsanhörung –

Stellungnahme des Betriebsrats

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz – Az.: 8 Sa 46/19 – Urteil vom 11.02.2020

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz – Auswärtige Kammern Bad Kreuznach – vom 10. Januar 2019 – 7 Ca 635/18 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die ordentliche Kündigung des zwischen ihnen bestehenden Arbeitsverhältnisses durch die Beklagte.

Der 1977 geborene Kläger ist seit dem 01. August 2012 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin als Haustechniker zu einem Bruttomonatsentgelt von zuletzt 2.037,00 EUR beschäftigt (vgl. Arbeitsvertrag Anlage K 1 zur Klageschrift, Bl. 4 – 7 dA.). Mit Schreiben vom 05. März 2018 (Anlage K 4 Bl. 11 – 19 dA.) informierte die Rechtsvorgängerin der Beklagten, die A. Klinik S. GmbH den Kläger darüber, dass der Bereich Technik aus der A. Klinik S. GmbH, Betrieb A. K.-S.-Klinik (nachfolgend: A. K.-S.-Klinik) ausgegliedert und auf die C. (Beklagte) übertragen werde. Zum 01. April 2018 ging das Arbeitsverhältnis des Klägers auf die Beklagte über. Die Beklagte ist eine konzerneigene Dienstleistungsgesellschaft, die im Rahmen von Dienstleistungsverträgen die einzelnen A. Kliniken in allen Bereichen der Technik unterstützt und an den jeweiligen Standorten eigene Betriebe vorhält, wobei die Personalsachbearbeitung in der Personalabteilung der Beklagten in H. erfolgt. Zuvor hatte die Zeugin E., Assistentin der Geschäftsführung der A. K.-S.-Klinik, seit Januar 2017 bis zu dem Betriebsübergang u. a. auch die Personalakte des Klägers geführt. Der Bereich Haustechnik der Beklagten am Standort der K.-S.-Klinik in B-Stadt besteht aus fünf Hausmeistern, wobei Herr K. Leiter und der Kläger stellvertretender Leiter der Haustechnik für die Klinik ist. Dem Kläger obliegt (streitig, ob als Hauptverantwortlicher) u. a. die Bestückung von Getränke- und Snack-Automaten, die Entnahme des eingeworfenen Geldes sowie die Einzahlung des entnommenen Bargeldes bei der Bank.

Anfang August 2018 fiel der Geschäftsführerin der A. K.-S.-Klinik, Frau A. T., auf, dass die Erlöse „Cafeteria“ und „Kiosk“ im Vergleich zum Vorjahr 2017 stark rückläufig waren trotz der Mitte 2017 aufgestellten Snack-Automaten, wobei eine genauere Überprüfung ergab, dass 2018 lediglich einmal 131,26 EUR netto (brutto 156,20 EUR) am 27. Februar 2018 auf das entsprechende Bankkonto eingezahlt worden waren und dem ein Einkauf an Getränken von 2.882,41 EUR bei einer zweimal wöchentlich erfolgenden Auffüllung der Automaten mit Getränken gegenüberstand. Da etwaige Buchungsfehler ausgeschlossen werden konnten, ließen sich die Diskrepanzen zwischen Wareneinkauf und Automatenerlösen nicht aufklären. Aufgrund dessen entzog die Zeugin T. den Mitarbeitern der Beklagten die Schlüssel zu den Automaten und nahm die Leerungen selbst gemeinsam mit der Zeugin E. vor, so dass lediglich noch die Einzahlung des Geldes bei der Bank durch einen Mitarbeiter der Haustechnik erfolgte. Am 06. August 2018 führte die Zeugin T. mit dem Kläger als stellvertretendem Abteilungsleiter – während des Urlaubs des Abteilungsleiters K. – ein Gespräch betreffend der Diskrepanzen zwischen Wareneinsatz und Erlösen aus der Automatenbewirtschaftung, dessen Inhalt streitig ist.

Am 23. August 2018 holte der Kläger gegen 10.00 Uhr bei der Zeugin E., welche die urlaubsbedingt abwesende Zeugin S. vertrat, einen aus der Automatenleerung stammenden Bargeldbetrag ab, wobei aufgrund der nachfolgenden Einzahlung durch den Kläger auf dem Geschäftskonto der K.-S.-Klinik bei der Bank 189,20 EUR gebucht wurden. 2,00 EUR gab der Kläger als vom Automaten nicht angenommen zurück. Da nachfolgend eine Differenz von 44,00 EUR zu dem nach Vortrag der Beklagten morgens gezählten und dem Kläger übergebenen Bargeldbetrag vorlag, fand am 24. August 2018 um 10.00 Uhr ein Gespräch zwischen der Geschäftsführerin der K.-S.-Klinik A. T., dem Regionalleiter der Beklagten, M. F., der Betriebsratsvorsitzenden I. P., dem Mitarbeiter der Haustechnik, O. K. und dem Kläger statt, in dem der Kläger zu dem Verdacht der Aneignung der Differenz von 44,00 EUR angehört wurde.

Die Beklagte hörte den unstreitig zuständigen Betriebsrat der A. K.-S.-Klinik mit Schreiben vom 24. August 2018 (Anlage B 2 zum Schriftsatz der Beklagten vom 03. Januar 2019, Bl. 62 – 64 dA.) zu der beabsichtigten, ordentlichen Kündigung des Klägers unter Einhaltung der vertraglichen Kündigungsfrist von zwei Monaten zum Monatsende, d. h. voraussichtlich zum 30. November 2018, hilfsweise zum nächst zulässigen Termin, an. Im Rahmen der Mitteilung der Sozialdaten des Klägers gab die Beklagte an „Kinder (laut ELStAM-Daten): 2,5“. In der Begründung verwies die Beklagte hinsichtlich der rückläufigen Erlöse trotz der Mitte 2017 neu angeschafften Snack-Automaten darauf hin, dass nach persönlicher Durchsicht der Bankbelege des 1. Halbjahres 2018 nur ein gebuchter Beleg gefunden werden konnte und verwies diesbezüglich auf eine Anlage. Darüber hinaus bezog sie sich auf eine beiliegende Tabelle, die eindeutig zeige, dass 2018 lediglich einmal 131,56 EUR netto (brutto 156,20 EUR) am 27. Februar 2018 auf der Bank eingezahlt worden seien. Diese Anlagen waren dem Anhörungsschreiben jedoch nach dem unbestrittenen Vortrag des Klägers und der Stellungnahme des Betriebsrats mit Schreiben vom 03. September 2018 nicht beigefügt. In der Begründung des Anhörungsschreibens vom 24. August 2018 führt die Beklagte darüber hinaus u. a. aus, dass der Ablauf der Entnahme und Einzahlung der Barerlöse aus dem Getränke- und Snack-Automaten durch die Haustechnik erfolge, hauptverantwortlich durch den Kläger, wobei dies im Vertretungsfall Herr K. übernehme und in Notfällen einer der anderen Haustechniker. Dem Kläger sei am 23. August 2018 Bargeld in Höhe von 235,20 EUR aus den Automaten zur Einzahlung bei der Bank mitgegeben worden, gebucht auf dem Konto seien jedoch lediglich 191,20 EUR. Die entstandene Differenz von 44,00 EUR lasse sich nicht erklären. Im Weiteren begründet die Beklagte die beabsichtigte Kündigung damit, dass auch das gemeinsam geführte Gespräch mit dem Kläger, Herrn K., dem Betriebsrat, Herrn F. und der Geschäftsleitung am 24. August 2018 um 10.00 Uhr keine neuen Anhaltspunkte über den Verbleib des Geldes ergeben habe, so dass der Verdacht des Diebstahls nicht habe entkräftet werden können. Die Beklagte verweist zudem darauf, dass ihr bekannt sei, dass der Kläger eine Familie zu versorgen habe und deshalb „die bei der Prüfung des wichtigen Grundes stets erforderliche Interessenabwägung für das Bedenken der Folgen der Kündigung einzubeziehen sind“. Aber in Anbetracht der aktuell sehr guten Situation auf dem Arbeitsmarkt für eine Wiedereinstellung und des Alters überwögen diese Gesichtspunkte. Der Arbeitgeberin sei die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger unter diesen Umständen nicht zumutbar. Nach ihrer Überzeugung habe der Kläger das Vertrauensverhältnis in heftigster Weise missbraucht. Insbesondere die Höhe des fehlenden Geldbetrages mache einen weiteren Einsatz des Klägers unzumutbar, da die für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauensgrundlage unwiederbringlich zerstört sei.

Der Betriebsrat hat mit Schreiben vom 03. September 2018 eine Stellungnahme zu der Anhörung verfasst (vgl. Anlage zum Schriftsatz des Klägers vom 02. Dezember 2019, Bl. 377 dA.), in der er der ordentlichen Kündigung nicht zustimmt und folgende Bedenken gegen diese äußert:

„Es liegt dem Betriebsrat keine eindeutige Beweislage vor. Die Begründung des Arbeitgebers ist aus Sicht des Betriebsrates nicht klar nachvollziehbar. Das Kündigungsschreiben ist unvollständig. Es fehlen die in der Begründung aufgeführten Anlagen, ebenfalls die Anschrift des Arbeitgebers. Des Weiteren ist das Kündigungsschreiben falsch datiert. Nach § 102 BetrVG Abs. 2 S. 4 hat ein Gespräch mit Herrn A. stattgefunden. Dabei beteuert er seine Unschuld und ist mit einer Kündigung nicht einverstanden.“

Dieses von D. B. als Betriebsratsvorsitzender unterzeichnete Schreiben vom 03. September 2018 hat der Betriebsrat zusammen mit einem ausgefüllten Formblatt „Antwort des Betriebsrats zur Kündigung“, in dem er die Nichtzustimmung zu der ordentlichen Kündigung angekreuzt hat und welches ebenfalls auf den 03. September 2018 datiert, vorab per Fax an die zutreffende Fax-Nummer der Beklagten übersandt und einen entsprechenden Sendebericht, wonach die Übermittlung erfolgreich war, erhalten (vgl. Anlage zum Schriftsatz des Klägers vom 02. Dezember 2019, Bl. 376 dA.). Darüber hinaus hat der Betriebsrat das Stellungnahmeschreiben vom 03. September 2018 per Einwurf-Einschreiben am 03. September 2018 um 17.16 Uhr an die Beklagte übersandt (vgl. Anlage zum Schriftsatz des Klägers vom 02. Dezember 2019, Bl. 175 dA.).

Stellungnahmen des Betriebsrats sind an diese allgemeine Fax-Nummer der Beklagten zu übersenden, wobei sodann üblicherweise eine Weitergabe des Fax-Schreibens an die Personalabteilung der Beklagten erfolgt. Die Beklagte hat in der Berufungsverhandlung vom 11. Februar 2020 den Zugang der Stellungnahme des Betriebsrats vom 03. September 2018 im Hinblick auf die Auskunft der Personalabteilung, dort sei keine Stellungnahme des Betriebsrats eingegangen, bestritten.

Der Kläger hat fünf Pflegekinder. Ausweislich des von ihm unter dem Datum 07. April 2012 vorgelegten Lebenslaufs (Anlage BK 10 zum Schriftsatz der Beklagten vom 04. Februar 2020, Bl. 415 dA.) hatte er zum damaligen Zeitpunkt drei Kinder. Die Personalakte des Klägers enthält ein Schreiben vom 11. Juli 2019, wonach sich seit dem 20. August 2011 das Pflegekind L. in der Familie des Klägers befindet (Anlage BK 11 zum Schriftsatz der Beklagten vom 04. Februar 2020, Bl. 416 dA.). Auf den Bescheinigungen für den Lohnsteuerabzug des Klägers für die Jahre 2012, 2013 und 2014 sind jeweils 3,0 Kinderfreibeträge eingetragen (Anlagen BK 12 a – 12 c, Bl. 417 – 419 dA.). Für das Jahr 2018 waren auf der Lohnsteuerkarte des Klägers 2,5 Kinderfreibeträge angegeben. In der Personalakte des Klägers befindet sich eine Kopie der Geburtsurkunde des Pflegekindes A.. Darüber hinaus existiert ein auf den 05. Februar 2015 datiertes Schreiben des Klägers, in dem er um einen Nachweis über sein Entgelt für die Krankenkasse bittet wegen unbezahlten Urlaubs vom 26. Januar 2015 bis 06. Februar 2015 wegen Erkrankung eines Kindes.

Mit Schreiben vom 05. September 2018 (Anl. K 5 zur Klageschrift, Bl. 20 dA.), dem Kläger zugegangen am 11. September 2018, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist zum 30. November 2018.

Hiergegen hat der Kläger am 25. September 2018 Kündigungsschutzklage bei dem Arbeitsgericht Mainz – Auswärtige Kammern Bad Kreuznach – erhoben.

Der Kläger hat erstinstanzlich im Wesentlichen vorgetragen, er sei nie allein für die Leerung der Automaten und Einzahlung der Gelder zuständig gewesen, sondern insgesamt fünf Mitarbeiter, die alle Zugriff auf den Schlüssel für die Automaten gehabt hätten, der in der Werkstatt in einem Schrank gehangen habe.

Er habe am 23. August 2018 den kompletten Inhalt des Geldbeutels bei der Bank eingezahlt, wobei der Automat 2,00 EUR zurückgegeben habe, da er voll gewesen sei. Er habe keinen Betrag für sich abgezweigt.

Bereits in dem Gespräch am 06. August 2018 habe Frau T. ihm gesagt, wenn bis zu dem Termin, an dem Herr F. komme (24. August 2018), kein Verantwortlicher gefunden sei, würden sich Mittel und Wege finden, dass einer gehen werde.

Der Kläger hat erklärt, der Betriebsrat sei falsch angehört worden, da er tatsächlich fünf und nicht lediglich 2,5 Kinder habe und auch nicht hauptverantwortlich für die Einzahlung der Erlöse aus Getränke- und Snack-Automaten sei.

Im Rahmen der Anhörung vom 24. August 2018 habe Frau T. dem Betriebsrat gegenüber erklärt, dass sie am 22. August 2018 zusammen mit Frau E. das Geld gezählt habe. Als er das Geld am 23. August um 8.00 Uhr habe abholen wollen, sei Frau E. nicht da gewesen, die erst gegen 9.00 Uhr oder 10.00 Uhr erschienen sei.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung vom 05. September 2018, zugegangen am 11. September 2018, aufgelöst worden ist;

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zu unveränderten Bedingungen fortbesteht.

Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat erstinstanzlich im Wesentlichen vorgetragen, man habe dem Kläger am 23. August 2018 einen Bargeldbetrag in Höhe von 235,20 EUR aus dem Getränkeautomaten zur Einzahlung bei der Bank mitgegeben und um 13:00 Uhr festgestellt, dass er lediglich 189,20 EUR eingezahlt hatte. Tresor und Getränkeautomaten seien an diesem Tag durch die Zeugin T. und die Zeugin E. entleert worden, wobei der Betrag aus dem Tresor bereits gezählt gewesen sei und die Beträge aus dem Geldautomaten sodann durch einen klinikeigenen Münzzähler ermittelt worden seien. Beide Beträge seien mittels Addition zur späteren Kontrolle schriftlich vermerkt worden. Da die Differenz von 44,00 EUR auch im Rahmen des Gesprächs vom 24. August 2018 nicht habe aufgeklärt werden können, bestehe zumindest ein großer Verdacht gegen den Kläger, dass er das Geld unterschlagen habe. Insoweit sei eine Abmahnung nicht veranlasst. Der Betriebsrat habe auf die Anhörung vom 24. August 2018 keine Stellungnahme abgegeben.

Zur Darstellung der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Mit Urteil vom 10. Januar 2019 – 7 Ca 635/18 – (Bl. 72 – 81 dA.) hat das Arbeitsgericht Mainz – Auswärtige Kammern Bad Kreuznach – festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 05. September 2018 nicht aufgelöst worden ist.

Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Klage sei im ersten Antrag als Feststellungsklage in der besonderen Form der Kündigungsschutzklage zulässig und voll umfänglich begründet. Die ordentliche, verhaltensbedingte Kündigung vom 05. September 2018 habe das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht beendet, da die Beklagte nicht dargelegt habe, dass der Kläger gegen seine arbeitsvertraglichen Verpflichtungen verstoßen habe. So habe die Beklagte behauptet, dem Kläger sei am Morgen des 23. August 2018 ein an diesem Morgen abgezählter Geldbetrag von 235,20 EUR übergeben worden. In den schriftlichen Unterlagen zu der Einzahlung vom 23. August 2018 (Bl. 61 dA.) finde sich jedoch die Bemerkung, dass die Leerung der Automaten am 22. August 2018 stattgefunden habe und zudem habe der Kläger erklärt, er habe am 23. August 2018 ab 8:00 Uhr vergeblich versucht, das Geld von Frau E. zu erhalten, die erst gegen 9:00 oder 10:00 Uhr erschienen sei. Vor diesem Hintergrund hätte der Beweis für die Behauptung der Beklagten, der gesamte Geldbestand sei am Morgen des 23. August 2018 gezählt worden, durch Vernehmung der angebotenen und präsenten Zeugin Frau T. nur erfolgen können, wenn aus dieser „herausgefragt“ worden wäre, wie in Anbetracht der schriftlichen Unterlage einerseits und der Nichtanwesenheit von Frau E. andererseits die Zählung konkret von statten gegangen sei. Da dies einen unzulässigen Ausforschungsbeweis dargestellt hätte, habe sich der dem Kläger zur Last gelegte erhebliche Vertragsverstoß nicht feststellen lassen.

Gegen das ihr am 22. Januar 2019 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts Mainz – Auswärtige Kammern Bad Kreuznach – vom 10. Januar 2019 hat die Beklagte am 12. Februar 2019 Berufung bei dem Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz eingelegt und diese – nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 23. April 2019 – mit Schriftsatz vom 12. April 2019, der am selben Tag bei dem Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz einging, begründet.

Die Beklagte ist der Auffassung, das Urteil des Arbeitsgerichts beruhe auf einer fehlerhaften Wertung des Sachverhalts.

Sie habe die Vertragspflichtverletzung des Klägers in vollem Umfang dargelegt. Dem Kläger sei am 23. August 2018 zur Einzahlung bei der Bank ein abgezählter Betrag in Höhe von 235,20 EUR übergeben worden, wobei er unstreitig lediglich 189,20 EUR eingezahlt und zwei Euro als vom Automaten nicht angenommen zurückgegeben habe. Die Differenz in Höhe von 44,00 EUR sei verschwunden.

Dieser Sachverhalt habe den Verdacht der Untreue, mindestens aber der Unterschlagung, des Klägers zu Lasten der Auftraggeberin der Beklagten, der A. K.-S.-Klinik ausgelöst. Mit dem Tatvorwurf des Verdachts des Vorliegens einer Vermögensstraftat habe sich das Arbeitsgericht in keiner Weise beschäftigt.

Für diesen Sachverhalt sei nebensächlich, zu welcher Uhrzeit das Geld dem Kläger am Morgen des 23. August 2019 übergeben worden sei, wann der Getränkeautomat geleert worden sei und welche Problemstellungen sich in der Vergangenheit mit dem Münzzähler der Bank möglicherweise ergeben hätten. Wesentlich sei lediglich, dass der streitige Betrag aus der Entnahme aus dem Getränkeautomaten durch die Zeuginnen T. und E. herrühre, wobei das Datum der Entleerung des Automaten auf den 22. August 2018 zu berichtigen sei, da insoweit ein Übertragungsfehler zwischen den Darlegungen der Beklagten und des Beklagtenvertreters vorgelegen habe.

Wesentlich sei ebenfalls, dass das Geld am Morgen des 23. August 2019 durch die Zeugin E. mittels eines klinikeigenen Münzzählers gezählt und hierbei ein Betrag in Höhe von 235,20 EUR ermittelt worden sei. Hierfür sei Zeugenbeweis angeboten worden.

Überdies sei nach Feststellung der Differenz gegen 13:00 Uhr der Münzzählautomat der Klinik durch dreimalig wiederholte Zählvorgänge mit unterschiedlichen Beträgen von den Zeuginnen T. und E. überprüft worden, wobei der Automat jedes Mal exakt den eingegebenen Betrag gezählt habe.

Verwendet worden sei der am 06. August 2018 von der Klinik bestellte, am 08. August 2018 angelieferte und erstmalig in Betrieb genommene neue Münzzähler der Klinik (Kopie des Lieferscheins des Münzzählers, Anlage BK 3 zum Schriftsatz der Beklagten vom 04. September 2019, Bl. 244 f. dA.), der seit Beginn seines Einsatzes störungsfrei gelaufen sei. Ein technischer Defekt des Münzzählers sei daher mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen. Darüber hinaus differierten die Preise des Getränkeautomaten zwischen 1,00 EUR und 1,30 EUR, wobei der Getränkeautomat Münzen in der Stückelung von 5 Cent bis 2 EUR annehme. Dies impliziere, dass in der Regel für jedes Getränk mehrere Münzen eingeworfen werden müssten, so dass es einen großen Zufall darstelle, dass bei einem Zählvolumen von mehreren 100 Münzen ausgerechnet ein glatter Betrag von 44,00 EUR am Morgen des 23. August 2018 von dem neuen Münzzähler nicht gezählt worden sein soll.

Die Beklagte meint, darüber hinaus sei es eine Obliegenheit des Klägers gewesen, den übergebenen Geldbetrag nachzuzählen, was er unstreitig unterlassen habe.

Die Beklagte erklärt, im Rahmen der Kammersitzung des Arbeitsgerichts am 10. Januar 2019 sei erstmals vorgetragen worden, dass die Zeugin E. um 8:00 Uhr nicht in ihrem Büro anwesend gewesen sei. Hierzu habe die Beklagte nichts sagen können, da die Zeugin E. nicht zu ihren Arbeitnehmerinnen gehört. Der nicht bestrittene Vortrag dürfe nicht zu Lasten der insoweit schweigenden Gegenpartei ausgelegt werden. Darüber hinaus sei nicht ersichtlich, weshalb die Zeugin E. zwischen 8:00 und 10:00 Uhr das Geld nicht hätte zählen können.

Die Beklagte trägt vor, tatsächlich sei der Getränkeautomat am 22. August 2018 durch die Zeuginnen E. und T. geleert und das Geld in eine bankübliche Geldtasche geschüttet worden. Diese sei von der Zeugin E. in den im Raum 151 – der ihrem Büro (Raum 152) benachbart sei – befindlichen Tresor eingeschlossen worden. Zunächst habe Frau E. aus dem fest an der Wand und von innen verschraubten, mit einem 8-stelligen Zahlencode gesicherten Schlüsselsafe den Tresorschlüssel entnommen. Der Öffnungscode des Schlüsselsafes sei nur drei Personen bekannt, nämlich den Zeuginnen T. und E. und der zu dieser Zeit (20. August 2018 – 07. September 2018) im Urlaub in Südafrika befindlichen Zeugin S.. Sodann habe die Zeugin E. den Schrank aufgeschlossen, in dem sich der Tresor befunden habe, habe den Tresor aufgeschlossen und geöffnet und die Geldtasche in den Tresor gelegt, den Tresor verschlossen, diesen erneut verriegelt und auch den Schrank verschlossen sowie sodann den Schlüssel in dem Schlüsselsafe deponiert und diesen durch das Verstellen der Nummer gesichert. Im Anschluss habe die Zeugin E. die Tür zu Raum 151 geschlossen und sei in ihr Büro 152 zurückgekehrt.

Am 23. August 2018 habe die Zeugin E. zunächst im dritten Obergeschoss der Klinik eine Datensicherung im EDV-Raum von ca. 8.00 bis 8.15 Uhr durchgeführt. Als zweite Tätigkeit habe sie nach Aufschließen des Raums 151 und Entnahme des Tresorschlüssels aus dem Schlüsselsafe, der ohne jegliche Aufbruchsspuren unversehrt an der Wand gehangen habe, nach Aufschließen und Öffnen des Tresorschranks und Aufschließen und Öffnen des Tresors die in dem Tresor noch immer an der gleichen Stelle liegende verschlossene Geldtasche an sich genommen und anschließend das in der Tasche befindliche Münzgeld in den im Raum 151 befindlichen Zählautomaten geschüttet und die Zählmaschine eingeschaltet. Die Maschine habe das Geld störungsfrei gezählt und einen Betrag von 235,20 EUR angezeigt. Die Zeugin E. habe das so gezählte Geld aus dem Auffangbehälter der Zählmaschine entnommen und zurück in die Geldtasche geschüttet, wobei aufgrund des sorgfältigen Arbeitens der Zeugin ausgeschlossen werden könne, dass ein Betrag von glatt 44,00 EUR bei diesem Arbeitsgang neben die Geldtasche gefallen sei. Die Zeugin E. habe die Geldtasche durch vollständiges Zuziehen des Reißverschlusses verschlossen, diese zurück in den Tresor gelegt, den Tresor verschlossen, den Tresorschrank verschlossen, den Tresorschlüssel im Schlüsselsafe deponiert und diesen durch Verdrehen des Zahlencodes gesichert und den Raum 151 verschlossen. Die Beklagte stellt hierzu klar, dass sich das Zahlenschloss des Schlüsselsafes nach der Schließung selbst auf Nullwerte stellt.

Ab ca. 8.30 Uhr sei Frau E. jedenfalls bis 9.00 Uhr in ihrem Büro gewesen, da sie um 8.39 Uhr einen Kontoauszug ausgedruckt habe, der ca. 20 Minuten zu bearbeiten gewesen sei. Dann sei sie in ihrem Büro sonstigen Arbeitsaufgaben nachgekommen bzw. habe zwischendurch Aufgaben in anderen örtlichen Bereichen der Klinik geregelt. Die Beklagte erklärt, nach der Erinnerung der Zeugin E. sei zwischen 9:30 und 9:45 Uhr der Kläger erschienen, woraufhin sie mit ihm in den Nachbarraum 151 gegangen sei, wo sie ihm die verschlossene Geldtasche übergeben habe, mit der er gegen 10:00 Uhr das Büro 151 verlassen habe.

Zu der Anhörung vom 24. August 2018 hat die Beklagte vorgetragen, dass ausschließlich der Kläger, nicht hingegen der Kollege K. zu dem bestehenden Verdacht angehört worden sei.

Da der Kläger lediglich angegeben habe, dass er mit dem Verschwinden des Betrages nichts zu tun habe und sich das nicht erklären könne, habe der Verdacht dicht an Gewissheit gegrenzt, jedoch habe sie mangels notwendiger Sicherheit den Betriebsrat nicht zu einer Tat-, sondern zu einer Verdachtskündigung angehört. Da der Betriebsrat bei dem Gespräch vom 24. August 2018 vertreten gewesen sei, sei auch er von einer Verdachtskündigung ausgegangen.

Die Beklagte ist der Auffassung, dass die Betriebsratsanhörung ordnungsgemäß erfolgt sei. Hinsichtlich der Anzahl der Kinder sei sie auf die Kinderzahl angewiesen, die der Kläger bei ihr angegeben habe. Dies sei die auf der Lohnsteuerkarte eingetragene Zahl von 2,5 Kindern gewesen. Auch aus den Unterlagen in der Personalakte des Klägers habe sich keine abweichende Kinderanzahl ergeben. Weder Frau E. noch Frau T. sei die genaue Anzahl der Kinder des Klägers bekannt gewesen, wobei beide keine Mitarbeiter der Beklagten seien und Frau T. nach dem Betriebsübergang auch keine Arbeitgeberfunktionen mehr gegenüber Mitarbeitern der Beklagten wahrnehme, insbesondere auch keine Abmahnungen aussprechen dürfe oder ausgesprochen habe. Ebenso nehme Frau E. keine Arbeitgeberfunktion für die Beklagte wahr, so dass beispielsweise Urlaubsanträge und Stundenzettel von dem Abteilungsleiter der Haustechnik Herrn K. direkt an die Mitarbeiter der Personalabteilung der Beklagten zu übersenden seien. Im Übrigen habe der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 17. September 2019 selbst gesagt, dass dem Betriebsrat über persönliche Kontakte bekannt sei, dass er fünf Kinder habe. Darüber hinaus sei die genaue Anzahl der Kinder irrelevant, da es auf die Unterhaltspflichten ankäme und der finanzielle Aufwand bei Pflegekindern wegen der Gewährung von Unterhaltskosten nicht mit dem bei leiblichen Kindern vergleichbar sei. Im Übrigen habe sie im Rahmen der Interessenabwägung die familiäre Situation des Klägers berücksichtigt ausweislich der Anhörung des Betriebsrates, wobei die genaue Anzahl der Kinder für sie nebensächlich gewesen sei und sie schließlich mit dem Verzicht auf eine außerordentliche Kündigung bei Vorlage eines Vermögensdelikts über das hinausgegangen sei, was ihr zuzumuten gewesen sei. Obwohl das Vertrauen in den Kläger grundlegend und restlos zerstört gewesen sei und damit an sich ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 BGB vorgelegen habe, habe sie dem Kläger das Gehalt noch für weitere 2,25 Monate bis zum Ablauf der Kündigungsfrist gewährt unter Berücksichtigung der familiären Gesamtumstände des Klägers.

Mit Schriftsatz vom 04. Februar 2020 hat die Beklagte zunächst vorgetragen, dass sie die Rückmeldung des Betriebsrates mit Schreiben vom 03. September 2018 bisher nicht gekannt habe, obwohl diese an die richtige Faxnummer übersandt worden sei, so dass sie diesen Umstand selbst verantworten müsse. In der Berufungsverhandlung vom 11. Februar 2020 hat die Beklagte dann jedoch im Hinblick darauf, dass der zuständige Personalleiter O. B. mitgeteilt habe, dass eine Stellungnahme des Betriebsrats nicht eingegangen sei, den Zugang der Stellungnahme vom 03. September 2018 bestritten. Im Übrigen weist die Beklagte darauf hin, dass der Betriebsrat der Kündigung nicht widersprochen, sondern ihr lediglich nicht zugestimmt und Bedenken geäußert habe.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz – Auswärtige Kammern Bad Kreuznach – vom 10. Januar 2019 – 7 Ca 635/18 – abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Der von der Beklagten vorgetragene Sachverhalt löse keineswegs den Verdacht der Untreue oder Unterschlagung durch ihn zu Lasten der Auftraggeberin der Beklagten aus.

Die Zeugin T. habe ihm gegenüber am 06. August 2018 im Hinblick auf den bereits auf den 24. August 2018 festgelegten Termin mit Herrn F. in B-Stadt mitgeteilt, dass für den Fall, dass bis zu diesem Tag niemand ermittelt werden könne, Mittel und Wege gefunden würden, damit jemand gehe. Nach allgemeiner Lebenserfahrung sei eine Täterschaft des Klägers abwegig, da er hinreichend gewarnt gewesen sei, dass Geldentnahmen egal in welcher Höhe arbeitsrechtliche Konsequenzen nach sich zögen.

Der Kläger rügt, dass die Beklagte die Vorgänge mehrfach anders darstelle und selbst in der Berufungsbegründungsschrift die Daten der angeblichen Zählungen mehrfach unterschiedlich nenne. Es sei jedoch keineswegs nebensächlich, wann von wem der Automat geleert, wann welche Zählung von welchem Betrag erfolgt sei, welche Zählung in welcher Weise vorgenommen worden sei und welche Probleme es in der Vergangenheit mit dem Geldzählautomaten gegeben habe. Im Übrigen sei die Darstellung der Abläufe auch entscheidend für eine inhaltlich richtige Anhörung des Betriebsrates.

Zu dem Raum 151 habe jeder Zugang, der einen General- oder untergeordneten Schlüssel habe, beispielsweise die Putzfrauen, sämtliche Hausmeister, Frau T., Frau E., die Schwestern, die Betreuung, die Ärzte sowie die Abteilungsleiter. Insofern sei der Raum, selbst wenn er abgeschlossen gewesen sein sollte, nicht unzugänglich. Als er am 23. August 2018 um 8:00 Uhr und nochmals gegen 8:45 Uhr im Büro der Zeugin E. gewesen sei, sei diese nicht da gewesen, wobei auch der Monitor nicht gelaufen sei und deren Tasche, Jacke etc. noch nicht in dem Büro gewesen sei. Die Schilderung der Geldzählung am Morgen des 23. August 2018 stehe im Widerspruch zu der Aussage von Frau T. am 24. August 2018, wonach die Entnahme vom 22. August 2018 an diesem Tag und die Entnahme vom 23. August 2018 an jenem Tag gezählt worden seien. Im Übrigen sei es lebensfremd, dass nach einer Zählung das Geld wieder in den Tresor verbracht, dieser abschlossen und der Raum anschließend wieder verschlossen worden sein soll, wenn zeitnah der Betrag abgeholt werden soll, zumal der Geldbeutel sich bei seinem Erscheinen um 10:00 Uhr bereits in dem Büro der Zeugin E. befunden habe und nicht erst noch aus dem Tresor des Zimmers 151 habe geholt werden müssen. Darüber hinaus sei selbst bei Unterstellung des Vortrages über das Einschließen in dem Nachbarraum nicht ausgeschlossen, dass durch das Vorhandensein von mehreren Schlüsseln für den Raum und Schrank in der Zwischenzeit oder bei einer kurzen Abwesenheit der Zeugin nach dem Vorbereiten der Abholung des Geldbeutels eine Entnahme durch Dritte erfolgt sei.

Der Kläger erklärt, er habe sowohl um 8:00 Uhr als auch um 8:45 Uhr nicht nur das Büro von Frau E. aufgesucht, um zu erfahren, ob er das Geld wegfahren solle, sondern auch um die Post abzuholen und wieder hinzubringen. Die Zeugin E. habe auch im Sommer die Gewohnheit gehabt, zumeist eine Jacke zu tragen, wobei an diesem Tag keine Jacke vorhanden gewesen sei und auch die Handtasche der Zeugin E. nicht wie üblich auf dem halb hohen Schrank auf der rechten Seite (Blickrichtung von der Tür) abgestellt gewesen sei. Ihm sei nicht bekannt, dass an der gegenüberliegenden Wand eine Lücke von 47 cm sei, in der ein Garderobenhaken installiert sei, sondern er könne nur schildern, dass häufiger die Handtasche auf dem halbhohen Schränkchen gelegen habe, so dass diese beim Eintreten erkennbar gewesen sei. Zudem sei der bei Betreten des Büros erkennbare Monitor schwarz gewesen und ein PC-Geräusch sei nicht hörbar gewesen.

Gegen 10:00 Uhr sei er auf telefonische Aufforderung der Frau E. erschienen, die ihn gebeten hatte, das Geld wegzufahren. Jedes Mal beim Abholen des Geldes habe er gefragt, ob zur Sicherheit das Nachzählen des in der Geldtasche befindlichen Geldes erfolgen solle. Dies sei auch an dem 23. August 2018 abgelehnt worden. Frau E. habe auf seine Frage nach der gemeinsamen Zählung erwidert „Das brauchen wir nicht.“. Am 24. August 2018 habe Frau E. in einem Vier-Augen-Gespräch zu ihm gesagt: „Hätten wir doch besser mal gestern zusammen gezählt.“ Mit dieser Aussage offenbare die Zeugin E. selbst, dass sie nicht sicher sagen könne, welcher Betrag in dem Geldbeutel bei der Übergabe gewesen sei.

Der Kläger erklärt, er habe den Zählautomaten wegen Fehlfunktionen ca. drei bis vier Wochen zuvor zwei Mal reinigen müssen. Von einem neuen Münzzähler sei ihm nichts bekannt. Er bestreite die ordnungsgemäße Inbetriebnahme nach technischer Überprüfung durch einen Elektriker sowie die störungsfreie Funktion dieses Münzzählers. Die Preise der Getränkeautomaten seien einheitlich 1,00 EUR, weshalb auch nicht ausgeschlossen sei, dass ein Betrag von 44,00 EUR fehlerhaft gezählt worden sein könnte.

Er meint, starke Verdachtsmomente lägen schon deshalb nicht vor, da die Beklagte am 24. August 2018 neben ihm auch den Mitarbeiter K. als Täter der vermeintlichen Geldentwendung bezichtigt und angehört habe.

Der Kläger erklärt, die Kündigung sei unabhängig von Vorstehendem wegen nicht ordnungsgemäßer Betriebsratsanhörung unwirksam. Bereits aus dem Anhörungsschreiben vom 24. August 2018 ergäben sich erkennbare Fehler. Die vermeintlichen kündigungsrelevanten Tatsachen seien unvollständig und unrichtig dargestellt. So sei fälschlicherweise behauptet worden, er sei hauptverantwortlich für die Entnahme und Einzahlung der Bargelderlöse aus dem Getränke- und Snackautomaten gewesen, obwohl alle fünf Mitarbeiter der Haustechnik verantwortlich gewesen seien. Darüber hinaus habe die Beklagte angegeben, dass von den angeblich übergebenen 235,20 EUR 191,20 EUR auf dem Konto verbucht worden seien, obwohl lediglich 189,20 EUR auf dem Konto verbucht und 2,00 EUR, die der Einzahlungsautomat nicht angenommen habe, von ihm wieder zurückgebracht worden seien. Die Rückgabe der 2,00 EUR sei ein wesentlicher Aspekt für die Beurteilung seiner Vertrauenswürdigkeit. Zudem sei in der Anhörung nicht dargelegt, dass neben ihm auch der Kollege K. der vermeintlichen Entwendung des Geldes bezichtigt worden war.

Darüber hinaus sei die Anzahl seiner Kinder mit 2,5 unzutreffend gegenüber dem Betriebsrat mitgeteilt worden. Unabhängig davon, dass es 2,5 Kinder nicht gebe, habe die Beklagte gewusst, dass er fünf Kinder habe. Hierbei sei unerheblich, ob die Person, die das Anhörungsschreiben verfasste, die genaue Anzahl kannte, da der Kenntnisstand des Arbeitgebers und des Rechtsvorgängers insgesamt maßgeblich sei (LAG Hessen 29. August 2003 – 17/10 Sa 665/03; LAG Rheinland-Pfalz 15. November 2006 – 10 Sa 390/06 -).

Frau T. habe als Geschäftsführerin der Klinik und da sie sich immer wieder nach seinen Kindern erkundigt habe, die Anzahl seiner Kinder gekannt. Sie habe auch nach dem Betriebsübergang noch Weisungsbefugnis gegenüber den in der Klinik tätigen Mitarbeitern der Beklagten gehabt, da sie im Mai 2018 eine Abmahnung gegenüber Herrn K. erteilt habe.

Auch Frau E. sei die Anzahl seiner Kinder bekannt gewesen, da sie in der Abteilung Buchhaltung tätig gewesen sei und die Personalakte geführt habe und er sie auch privat kenne. Der Kläger erklärt, die Zeugin E. habe die Stundenzettel der Mitarbeiter der Beklagten gesammelt und während der Urlaubsabwesenheit des Herrn K. nach H. versandt. Da sich außer Herrn K. und Frau E. niemand mit dem Stundenerfassungsprogramm ausgekannt habe und die Stunden wöchentlich der Beklagten mitgeteilt werden mussten, habe Frau E. die Übertragung der Stundenzettel der Arbeitnehmer in das sogenannte SPK „Dienstsoftwareprogramm“ vorgenommen.

Er habe bei seiner Einstellung die Geburtsurkunden der in seinem Haushalt befindlichen drei Kinder übergeben und während des Arbeitsverhältnisses ebenso die Geburtsurkunden der hinzukommenden Kinder. So habe er die Geburtsurkunde des Kindes E. zeitnah nach der Aufnahme des Kindes in seine Familie im Januar 2017 Frau E. übergeben, wobei sich in der Personalakte zu diesem Zeitpunkt bereits die Geburtsurkunden der Kinder L., A., P. und P. befunden hätten. Die Anzahl der Kinder sei auch deshalb bekannt, da er im Jahr 2017 für ein halbes Jahr die Arbeitszeit wegen der Kinderbetreuung reduziert habe. Mit dem Betriebsübergang im Mai 2018 sei die Personalakte an die neue Arbeitgeberin übergeben worden, so dass dieser die Kinderanzahl bekannt sei.

In dem Betriebsrat gebe es zwei Betriebsratsmitglieder, die ihn privat kennen und daher auch die Anzahl der Kinder, jedoch wisse er nicht, inwiefern die anderen Betriebsratsmitglieder Kenntnis hiervon hätten und welche Betriebsratsmitglieder bei der Entscheidung des Betriebsrats bezüglich der Anhörung zu seiner Kündigung beigewohnt hätten.

Der Kläger meint, bei der Betriebsratsanhörung komme es nur auf die Anzahl der Kinder an und nicht auf die Unterhaltungskosten für die Pflegekinder bzw. ob diese wirtschaftlich durch Dritte unterstützt würden. Bei getrenntlebenden Familienangehörigen sei die Frage der Unterhaltslast für das Kind auch nicht von Belang. Der Gesetzgeber differenziere nicht zwischen Kindern und Pflegekindern und Kindern, die wirtschaftlich zu tragen seien.

Der Kläger trägt vor, der Betriebsrat habe am 03. September 2018 der Kündigung widersprochen und aus der Stellungnahme des Betriebsrats ergebe sich, dass die Beklagte diesem nicht nur das Kündigungsschreiben unvollständig übergeben, sondern auch die in der Begründung angeführten Anlagen, die für die Entscheidung des Betriebsrats von Relevanz gewesen seien, nicht beigefügt und den Betriebsrat daher unvollständig informiert habe.

Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz hat Beweis erhoben aufgrund des Beweisbeschlusses vom 11. Februar 2020 durch Vernehmung der Zeugin E.. Zum Ergebnis der Beweiserhebung wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 11. Februar 2020 verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schrift-sätze der Parteien nebst Anlagen sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlungen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

A. Die Berufung der Beklagten ist zurückzuweisen.

I. Die nach § 64 Abs. 1, 2 Buchst. c ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG iVm. §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie erweist sich auch im Übrigen als zulässig.

II. In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg.

Die Kündigungsschutzklage ist zulässig. Dem unzulässigen allgemeinen Feststellungsantrag hat das Arbeitsgericht nicht stattgegeben und insofern in den Entscheidungsgründen ausgeführt, dass lediglich der erste Antrag als Feststellungsklage in der besonderen Form der Kündigungsschutzklage zulässig sei. Dieser Antrag ist auch nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens, weil der Kläger die Entscheidung des Arbeitsgerichts nicht angegriffen hat.

Die Kündigungsschutzklage ist auch begründet. Das Arbeitsgericht hat zu Recht festgestellt, dass die Kündigung vom 05. September 2018 das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht beendet hat.

1. Da der Kläger binnen der Drei-Wochenfrist nach Zustellung der Kündigung am 11. September 2018 durch Einreichung der Klageschrift am 25. September 2018 Kündigungsschutzklage erhoben hat, wird die Wirksamkeit der Kündigung nicht gemäß §§ 4 Satz 1, 7 Halbsatz 1 KSchG fingiert.

2. Allerdings ist die ordentliche Kündigung nach Überzeugung der Berufungskammer aufgrund des Ergebnisses der Beweiserhebung als Verdachtskündigung sozial gerechtfertigt iSv. § 1 Abs. 1, 2 KSchG.

a) Der Verdacht einer Pflichtverletzung stellt gegenüber dem verhaltensbezogenen Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Pflichtverletzung tatsächlich begangen, einen eigenständigen Kündigungsgrund dar. Der Verdacht kann eine ordentliche Kündigung aus Gründen in der Person des Arbeitnehmers bedingen.

Jedes Arbeitsverhältnis setzt als personenbezogenes Dauerschuldverhältnis ein gewisses gegenseitiges Vertrauen der Vertragspartner voraus. Ein schwerwiegender Verdacht einer Pflichtverletzung kann zum Verlust der vertragsnotwendigen Vertrauenswürdigkeit des Arbeitnehmers und damit zu einem Eignungsmangel führen, der einem verständig und gerecht abwägenden Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar macht. Der durch den Verdacht bedingte Eignungsmangel stellt einen Kündigungsgrund in der Person des Arbeitnehmers dar, auch wenn die den Verdacht und den daraus folgenden Vertrauensverlust begründenden Umstände nicht unmittelbar mit seiner Person zusammenhängen müssen. Dies entspricht auch der ganz herrschenden Meinung im Schrifttum.

Die Verdachtskündigung ist „keine unterentwickelte Tatkündigung“ im Sinn einer Absenkung des von § 286 Abs. 1 ZPO verlangten Beweismaßes. Vielmehr unterscheidet sich der materiell-rechtliche Bezugspunkt der richterlichen Überzeugungsbildung. Bei einer Tatkündigung muss das Gericht davon überzeugt sein, der Arbeitnehmer habe eine kündigungsrelevante Pflichtverletzung begangen. Die diese Würdigung tragenden (Indiz-)Tatsachen müssen entweder unstreitig oder bewiesen sein. Hingegen muss das Gericht bei einer Verdachtskündigung mit dem nach § 286 Abs. 1 ZPO erforderlichen Grad an Gewissheit zu der Überzeugung gelangen, der Arbeitnehmer weise aufgrund des Verdachts einer schwerwiegenden Pflichtverletzung einen Eignungsmangel auf. Dazu müssen die den Verdacht begründenden (Indiz-)Tatsachen ihrerseits unstreitig sein oder vom Arbeitgeber „voll“ bewiesen werden.

Angesichts der jeweils aus Art. 12 Abs. 1 GG folgenden, gegenläufigen Grundrechtspositionen der Arbeitsvertragsparteien bedarf das Rechtsinstitut der Verdachtskündigung gleichwohl der besonderen Legitimation. Die verfassungskonforme Auslegung von § 1 Abs. 2 KSchG ergibt, dass eine Verdachtskündigung auch als ordentliche Kündigung sozial nur gerechtfertigt ist, wenn Tatsachen vorliegen, die zugleich eine außerordentliche, fristlose Kündigung gerechtfertigt hätten.

Dies gilt zunächst für die Anforderungen an die Dringlichkeit des Verdachts als solchen. In dieser Hinsicht bestehen keine Unterschiede zwischen außerordentlicher und ordentlicher Kündigung. Der Verdacht muss auf konkreten, vom Kündigenden darzulegenden und ggf. – mit dem „vollen“ Maß des § 286 Abs. 1 ZPO – zu beweisenden Tatsachen beruhen. Er muss ferner dringend sein. Es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass er zutrifft. Die Umstände, die ihn begründen, dürfen nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ebenso gut durch ein Geschehen zu erklären sein, das eine Kündigung nicht zu rechtfertigen vermöchte. Bloße, auf mehr oder weniger haltbare Vermutungen gestützte Verdächtigungen reichen nicht aus.

Die (auch) für eine ordentliche Kündigung erforderliche Annahme, das für eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses objektiv unabdingbare Vertrauen sei bereits aufgrund des Verdachts eines erheblichen Fehlverhaltens des Arbeitnehmers zerstört, ist zumindest solange nicht gerechtfertigt, wie der Arbeitgeber die zumutbaren Mittel zur Aufklärung des Sachverhalts nicht ergriffen hat. Dazu gehört insbesondere, dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme zu den Verdachtsmomenten zu geben, um dessen Einlassungen bei der Entscheidungsfindung berücksichtigen zu können. Versäumt der Arbeitgeber dies, kann er sich im Prozess nicht auf den Verdacht eines pflichtwidrigen Verhaltens des Arbeitnehmers berufen; die hierauf gestützte Kündigung ist unwirksam.

Auch im Rahmen von § 1 Abs. 2 KSchG muss die Interessenabwägung zu dem Ergebnis führen, dass das Verhalten, dessen der Arbeitnehmer dringend verdächtig ist, – wäre es erwiesen – sogar eine sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerechtfertigt hätte. Die Verdachtskündigung beruht auf der Erwägung, dass dem Arbeitgeber von der Rechtsordnung die Fortsetzung eines Arbeitsverhältnisses unter dem dringenden Verdacht auf ein Verhalten des Arbeitnehmers, das ihn – den Arbeitgeber – zur sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses berechtigen würde, nicht zugemutet werden kann. Besteht dagegen der Verdacht auf das Vorliegen eines solchen Grundes nicht, weil selbst erwiesenes Fehlverhalten des Arbeitnehmers die sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht rechtfertigen könnte, überwiegt bei der Güterabwägung im Rahmen von Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG dessen Bestandsinteresse. In einem solchen Fall nimmt die Rechtsordnung das im Fall einer Verdachtskündigung besonders hohe Risiko, einen „Unschuldigen“ zu treffen, nicht in Kauf.

Anders als für eine außerordentliche Verdachtskündigung besteht keine starre Frist, innerhalb derer der Arbeitgeber das Recht zur ordentlichen Verdachtskündigung ausüben müsste. Allerdings kann ein längeres Abwarten zu der Annahme berechtigen, die Kündigung sei nicht iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG durch den Verlust des vertragsnotwendigen Vertrauens „bedingt“ (BAG 31. Januar 2019 – 2 AZR 426/18 – Rn. 20 – 21, 23, 26 – 30; 18. Juni 2015 – 2 AZR 256/14 – Rn.20 – 22, juris).

b) Im vorliegenden Fall ist die Berufungskammer nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme iSd. § 286 Abs. 1 ZPO davon überzeugt, dass konkrete Tatsachen vorliegen, die eine große Wahrscheinlichkeit dafür begründen, dass der Kläger zu Lasten der Beklagten 44,00 EUR am 23. August 2018 für sich vereinnahmt hat.

Die Zeugin E. hat glaubhaft bestätigt, dass sie am 23. August 2018 nach Durchführung der Datensicherung in dem EDV-Raum die Datensicherungskassette in den Tresor hineingelegt und zugleich dem Tresor die Geldtasche entnommen hat, um das Geld aus der Automatenleerung vom 22. August 2018 vor Übergabe an den Kläger zu zählen. Sie hat nachvollziehbar geschildert, dass der zum damaligen Zeitpunkt neu angeschaffte Geldzählautomat störungsfrei gezählt habe und sie den gezählten Betrag in Höhe von 235,20 EUR handschriftlich notiert habe, da der Automat keinen Beleg erstelle. Zwar hat die Zeugin hinsichtlich des Betrages einen Moment überlegen müssen, so dass er ihr erst einfiel, als sie sich bereits nach ihrem vor der Zeugenvernehmung erstellten handschriftlichen Zettel bückte; jedoch ist ihre Erklärung, dass sie sich den Betrag nach dem Zählvorgang vom 23. August 2018 ebenfalls handschriftlich notiert hatte, glaubhaft und es ist im Übrigen nachvollziehbar, dass sie den Betrag nach einem Zeitraum von mehr als zwei Jahren nicht aus dem Gedächtnis heraus sagen kann, sondern vor der Zeugenvernehmung in ihre damals erstellten Unterlagen geschaut und sich eine Notiz gefertigt hat. Die Zeugin hat ebenso glaubhaft dargelegt, dass sie nach der Zählung das Geld wieder in die Geldtasche eingefüllt und diese in den Tresor gelegt habe, den sie mit dem Tresorschlüssel verschloss, welchen sie in den Schlüsselsafe legte. Sie hat auch bestätigt, dass die Zahlenkombination für den Schlüsseltresor lediglich Frau T., Frau S. und ihr bekannt sei, wobei sie eingeräumt hat, dass die Zahlenkombination nicht regelmäßig geändert werde, sondern es sich um eine dauerhafte, aus acht Zahlen bestehende Kombination handele. Ihren weiteren Tagesablauf am 23. August 2018 nach der Geldzählung schilderte die Zeugin E. so, dass sie zunächst in dem Büro der Zeugin S. 151 an deren PC das Bankprogramm aufrief und einen Kontoauszug zog, den sie im Anschluss bearbeitete. Im Weiteren schilderte sie den üblichen Ablauf im Falle der Abwesenheit von Frau S. und der Vertretung für diese. Sie konnte sich jedoch nicht mehr daran erinnern, ob sie in dem Büro von Frau S. oder in ihrem Nachbarbüro im Anschluss die E-Mails bearbeitete, welche aus dem gesamten Haus an Frau S. gesendet werden. Sie konnte auch die Uhrzeit der Übergabe des Geldes an den Kläger nur schätzen und nicht mehr sicher sagen, welche Arbeiten sie vor der Übergabe erledigte. Zudem konnte sie sich nicht mehr erinnern, ob der Kläger angerufen oder an ihrer Bürotür geklopft hatte, um Bescheid zu sagen, dass er gleich das Geld abholen werde. Sie konnte hierzu lediglich den üblichen Ablauf schildern, dass sie das im Tresor befindliche Geld erst aus dem Tresor nehme, sobald sie die Info bekomme, dass ein Haustechniker, in der Regel seien dies Herr K., der Kläger oder Herr F. gewesen, das Geld holen komme. Auf Nachfrage schloss sie aus, dass sie nach Entnahme der Geldtasche aus dem Tresor zwecks Geldübergabe an den Kläger nochmals das Büro verlassen und die Geldtasche allein im Büro liegengelassen habe. Zudem erklärte sie, dass sie normalerweise nicht in der Haustechnik anrufe, damit das Geld abgeholt werde, dass sie jedoch keine konkrete Erinnerung an den Ablauf an dem 23. August 2018 habe. Auf Nachfrage sagte sie, dass der Kläger das Zählen des Betrages nicht angeboten habe, sie ihm den Betrag nicht genannt habe und der Kläger auch nicht danach gefragt habe. Zudem konnte sie sich nicht daran erinnern, dass sie im Nachhinein zu dem Kläger gesagt habe, dass sie „mal besser zusammen gezählt“ hätten.

Die Zeugin hat im Übrigen bestätigt, dass sie nach Feststellung der Differenz den Zählautomaten durch drei Zählvorgänge mit unterschiedlichen Beträgen überprüft habe, wobei der Automat in allen drei Fällen korrekt gezählt habe.

Sie hat den Ablauf am 23. August 2018 widerspruchsfrei und nachvollziehbar dargelegt und darüber hinaus mitgeteilt, an was sie sich konkret erinnern kann, inwiefern sie den üblichen Ablauf schildert und woran sie sich nicht mehr erinnern kann. Deshalb war die Zeugin E. glaubwürdig.

Die Berufungskammer ist daher davon überzeugt, dass die Zeugin E. am Morgen des 23. August 2018 das Bargeld aus der Automatenentnahme vom Vortrag mit dem neuen Zählautomaten zählte und hierbei ohne Funktionsstörungen des Automaten ein Betrag in Höhe 235,20 EUR ermittelt wurde. Denn die Zeugin konnte sich konkret daran erinnern, dass sie nach der zunächst durchgeführten Datensicherung die Datensicherungskassette in den Tresor hineinlegte und zugleich die Geldtasche zwecks Zählung herausnahm. Zudem ist die Kammer auch davon überzeugt, dass die Zeugin die Geldtasche nach der Zählung des Geldes wieder in den Tresor hineinlegte und diesen verschloss und den Tresorschlüssel in den Schlüsselsafe einschloss.

Aufgrund dessen, dass die Zeugin sich an den weiteren Ablauf jedoch nicht konkret erinnern kann, sondern hier lediglich den üblichen Ablauf im Falle der Vertretung ihrer Kollegin geschildert hat, ist nicht erwiesen, in welchem Raum die Geldübergabe stattgefunden hat, zu welchem genauen Zeitpunkt die Zeugin E. die Geldtasche aus dem Tresor wieder entnommen hat und was in der Zeit zwischen der Herausnahme der Geldtasche aus dem Tresor und der Übergabe an den Kläger geschah. Insbesondere hat die Zeugin nach ihrer eigenen Schilderung die Geldtasche nicht erst in Anwesenheit des Klägers aus dem Tresor entnommen.

Aus diesen Gründen steht ein pflichtwidriges Handeln des Klägers in Form der Aneignung der festgestellten Differenz von 44,00 EUR nicht tatsächlich zur Überzeugung des Gerichts fest, so dass eine Tatkündigung nicht gerechtfertigt wäre.

Jedoch haben sich aufgrund der Beweiserhebung Tatsachen bestätigt, die eine große Wahrscheinlichkeit dafür begründen, dass der Kläger den Betrag von 44,00 EUR von der Zeugin E. erhalten und nicht in voller Höhe bei der Bank eingezahlt, sondern die Differenz von 44,00 EUR für sich behalten hat.

Denn die erwiesenen Umstände, die den Verdacht begründen, lassen sich nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ebenso gut durch ein Geschehen erklären, das eine Kündigung nicht zu rechtfertigen vermöchte.

Der für die Verdachtskündigung erforderliche dringende Verdacht der Vereinnahmung der 44,00 EUR ist daher gegeben und dieses Verhalten hätte – wäre es erwiesen – sogar eine sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerechtfertigt.

Es kann – im Hinblick auf die insoweit mangels konkreter Erinnerung an die Übergabe nicht überzeugende Aussage der Zeugin E. – dahinstehen, ob der Kläger die Zeugin E. bei Übergabe des Geldes danach fragte, ob sie es nachzählen sollten und ob Frau E. am nächsten Tag zum Kläger sagte, dass sie besser nachgezählt hätten. Zwar ist nicht von einer Obliegenheit des Nachzählens durch den Kläger auszugehen, jedoch würde es den dringenden Verdacht auch nicht entkräften, wenn der Kläger bei der Übergabe gefragt hätte, ob sie das Geld gemeinsam zählen sollten. Im Falle des Nachzählens hätte der Kläger Gelegenheit gehabt, von einer Aneignung des Geldes abzusehen.

Es entlastet den Kläger auch nicht ausreichend, um den Verdacht zu entkräften, dass er der Beklagten zwei Euro zurückgegeben hat. Denn es ist ebenso möglich, dass er dies getan hat, um Vertrauen zu erzeugen.

c) Die Beklagte hat den Kläger in einem Gespräch am 24. August 2018 unstreitig zu dem dringenden Verdacht der Vereinnahmung der 44,00 EUR bzw. zu dem konkreten Tatvorwurf angehört. Hierbei spielt es keine Rolle, ob die Zeugin T. in dem Gespräch von Automatenleerungen am 22. und 23. August 2018 sprach, da letztlich die Übergabe des zuvor gezählten Geldbetrages an den Kläger für die Begründung des dringenden Verdachtes maßgeblich ist, unabhängig vom Zeitpunkt der Automatenleerung. Der Kläger hat in der Anhörung bestritten, das Geld vereinnahmt zu haben, konnte sich die Differenz jedoch auch nicht erklären. Anhaltspunkte für weitere, durch die Beklagte vor Ausspruch einer Verdachtskündigung durchzuführende Aufklärungsmaßnahmen sind nicht ersichtlich.

Darüber hinaus spielt es keine Rolle, ob der Kollege des Klägers K. in dem Gespräch am 24. August 2018 ebenfalls zu einem konkreten Tatvorwurf angehört worden ist. Wenn dem so wäre, könnte es sich hierbei – mangels näherer Darlegung durch den Kläger – allenfalls um die für das erste Halbjahr 2018 festgestellten Diskrepanzen zwischen der Automatenbestückung und den Erlösen gehandelt haben. Diese sind jedoch nicht Gegenstand der vorliegenden Verdachtskündigung, sondern ausschließlich der konkrete Verdacht, den Betrag von 44,00 EUR vereinnahmt zu haben, der nur gegenüber dem Kläger erhoben worden sein kann.

d) Die auch im Rahmen von § 1 Abs. 2 KSchG durchzuführende Interessenabwägung führt im vorliegenden Fall zu dem Ergebnis, dass der bestehende dringende Verdacht der Aneignung von 44,00 EUR zulasten der Auftraggeberin der Beklagten die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigt.

Zwar ist zu Gunsten des Klägers seine zum Zeitpunkt der Kündigung über sechs jährige Betriebszugehörigkeit bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin ebenso zu berücksichtigen wie seine fünf Pflegekinder. Unabhängig davon, inwiefern der Kläger durch die Pflegekinder wirtschaftlich trotz des Erhalts von Unterhaltszahlungen belastet wird (wobei das Berufungsgericht davon ausgeht, dass die Zahlungen der öffentlichen Hand sicherlich nicht ausreichend sein dürften, um den gesamten, durch die Versorgung von fünf Pflegekindern bestehenden (Mehr-)Bedarf zu erfüllen) stellen die fünf Pflegekinder in jedem Fall einen zu Gunsten des Klägers zu berücksichtigenden sozialen Gesichtspunkt dar.

So hat die Beklagte selbst in der Betriebsratsanhörung im Hinblick auf die Interessenabwägung erwähnt, dass der Kläger eine Familie zu versorgen habe. Sie hat dies also berücksichtigt und nicht als völlig unerheblich angesehen. Daher kann sie sich nicht darauf berufen, sie habe den Kündigungsentschluss völlig unabhängig von Unterhaltspflichten des Klägers getroffen.

Allerdings stellen Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers im Rahmen der Interessenabwägung bei einem vorsätzlichen Vermögensdelikt – oder Verdacht eines solchen – keine Umstände dar, die sich entscheidend zugunsten des Arbeitnehmers auswirken können (vgl. dazu BAG 02. März 1989 – 2 AZR 280/88 – Rd. 60).

Zwar sind sie im Grundsatz berücksichtigungsfähig, jedoch nur dann bei der Interessenabwägung von größerem Gewicht, wenn sie mit dem verhaltensbedingten Kündigungsgrund im Zusammenhang stehen. Dass der Arbeitnehmer mit der Eingehung des Arbeitsverhältnisses in der Regel für den Arbeitgeber erkennbar gerade auch den Zweck verfolgt, seine Unterhaltspflichten erfüllen zu können, tritt dagegen in den Hintergrund, wenn der Arbeitnehmer gewichtige Pflichten aus dem Arbeitsvertrag trotz Abmahnung wiederholt vorsätzlich verletzt; in diesem Fall können die Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers bei der Interessenabwägung kaum von Gewicht und im Extremfall sogar völlig vernachlässigbar sein (BAG 27. Februar 1997 – 2 AZR 302/96 –, Rn. 21, juris).

Die ausschließlich dem Lebensbereich des Arbeitnehmers zuzurechnenden Unterhaltspflichten können also allenfalls dann für die Interessenabwägung von Bedeutung sein, wenn das bestimmende Motiv für das Verhalten des Arbeitnehmers mit den Unterhaltspflichten in Zusammenhang steht (BAG 05. November 1992 – 2 AZR 287/92 – Rn. 32, juris).

Ein derartiger Zusammenhang – zB. in dem Sinne, dass eine durch Unterhaltspflichten bedingte schlechte Vermögenslage das bestimmende Motiv für die Tat gewesen wäre und den Schuldvorwurf mindern könnte – ist hier nicht erkennbar, so dass die Unterhaltspflichten des Klägers sich nicht entscheidend zu seinen Gunsten auswirken.

Es handelt sich hier um den dringenden Verdacht einer gegen das Vermögen der Arbeitgeberin gerichteten, besonders schwerwiegenden Pflichtverletzung, aufgrund derer trotz ihrer Einmaligkeit das zwischen den Parteien bestehende Vertrauensverhältnis grundlegend zerstört wird, ohne dass die Möglichkeit ersichtlich wäre, das Vertrauen auf andere, weniger einschneidende Maßnahmen hin wiederherzustellen. Insbesondere geht es sich hier nicht um einen geringfügigen Betrag und das Arbeitsverhältnis ist kein besonders langjähriges. Zudem ist aufgrund des Alters des Klägers und seines Berufes davon auszugehen, dass er hinreichend gute Aussichten auf dem Arbeitsmarkt hat.

e) Darüber hinaus musste die Beklagte aufgrund des Ausspruchs der ordentlichen Kündigung nicht die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB wahren. Eine entsprechende Anwendung auf ordentliche Kündigungen scheidet auch im Fall der ordentlichen Verdachtskündigung aus und darüber hinaus liegt hier auch kein längeres Zuwarten der Arbeitgeberin trotz Kenntnis der für die Kündigung maßgebenden Umständen vor, welches zu der Annahme berechtigen könnte, die Kündigung sei nicht durch den Verlust des vertragsnotwendigen Vertrauens bedingt. Selbst die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB hätte erst mit der Anhörung vom 24. August 2018 zu laufen begonnen und das Kündigungsschreiben vom 05. September 2018 ist dem Kläger bereits am 11. September 2018, mithin weniger als 3 Wochen nach der Anhörung, zugegangen.

Daher ist die Verdachtskündigung als sozial gerechtfertigt anzusehen.

3. Die Kündigung ist jedoch wegen nicht ordnungsgemäßer Anhörung des Betriebsrats gemäß § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG unwirksam.

Nach § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören. Gemäß Satz 2 der Bestimmung hat ihm der Arbeitgeber die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Eine Kündigung ist dabei nach Satz 3 nicht erst unwirksam, wenn eine Unterrichtung ganz unterblieben ist, sondern schon dann, wenn der Arbeitgeber seiner Unterrichtungspflicht nicht ordnungsgemäß nachgekommen ist. Der notwendige Inhalt der Unterrichtung gem. § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG richtet sich nach Sinn und Zweck der Anhörung. Dieser besteht darin, den Betriebsrat in die Lage zu versetzen, sachgerecht, dh. ggf. zugunsten des Arbeitnehmers auf den Kündigungsentschluss des Arbeitgebers einzuwirken. Der Betriebsrat soll die Stichhaltigkeit und Gewichtigkeit der Kündigungsgründe überprüfen und sich über sie eine eigene Meinung bilden können. Die Anhörung soll dem Betriebsrat nicht die selbständige – objektive – Überprüfung der rechtlichen Wirksamkeit der beabsichtigten Kündigung, sondern ggf. eine Einflussnahme auf die Willensbildung des Arbeitgebers ermöglichen.

Der Inhalt der Unterrichtung nach § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG ist deshalb grundsätzlich subjektiv determiniert. Der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat die Umstände mitteilen, die seinen Kündigungsentschluss tatsächlich bestimmt haben. Dem kommt der Arbeitgeber dann nicht nach, wenn er dem Betriebsrat einen schon aus seiner eigenen Sicht unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt unterbreitet. Schildert er dem Betriebsrat bewusst einen solchen irreführenden Kündigungssachverhalt, der sich bei der Würdigung durch den Betriebsrat zum Nachteil des Arbeitnehmers auswirken kann, ist die Anhörung unzureichend und die Kündigung unwirksam.

Die subjektive Überzeugung des Arbeitgebers von der Relevanz oder Irrelevanz bestimmter Umstände ist für den Umfang der Unterrichtung nach § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG dann nicht maßgeblich, wenn dadurch der Zweck der Betriebsratsanhörung verfehlt würde. Der Arbeitgeber darf ihm bekannte Umstände, die sich bei objektiver Betrachtung zugunsten des Arbeitnehmers auswirken können, dem Betriebsrat nicht deshalb vorenthalten, weil sie für seinen eigenen Kündigungsentschluss nicht von Bedeutung waren. In diesem Sinne ist die Betriebsratsanhörung – ausgehend vom subjektiven Kenntnisstand des Arbeitgebers – auch objektiv, dh. durch Sinn und Zweck der Anhörung determiniert (BAG 22. September 2016 – 2 AZR 700/15 – Rn. 25 – 27, juris).

Das Anhörungsschreiben vom 24. August 2018 (Anlage B 2 zum Schriftsatz der Beklagten vom 03. Januar 2019, Bl. 62 dA.) genügt nicht diesen Anforderungen.

a) Zwar hat die Beklagte den Betriebsrat zutreffend zu einer Verdachts- und nicht zu einer Tatkündigung angehört.

Die Verwendung des Wortes Verdachtskündigung ist dabei nicht erforderlich. Der Arbeitgeber muss lediglich mit hinreichender Klarheit zum Ausdruck bringen, dass er die Kündigung wegen des Verdachts einer Pflichtverletzung beabsichtigt (LAG Hamm 24. Juli 2019 – 4 Sa 143/19 – Rn. 68, juris).

In dem Anhörungsschreiben vom 24. August 2018 ist auf Seite 2 im vorletzten Absatz von dem Verdacht des Diebstahls die Rede. Darüber hinaus bringt die Beklagte auf Seite 3 des Anhörungsschreibens zum Ausdruck, dass die für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauensgrundlage unwiederbringlich zerstört sei. Im Übrigen hat die Beklagte erklärt, dass der Betriebsrat schon aufgrund seiner Beteiligung an dem Gespräch vom 24. August 2018 – der Anhörung des Klägers – von einer Verdachtskündigung ausgehen musste, wobei der Kläger diesem Vortrag nicht widersprochen hat.

b) Jedoch liegt aufgrund einer Summierung unvollständiger und unrichtiger Angaben in dem Schreiben vom 24. August 2018 eine fehlerhafte Anhörung des Betriebsrats vor.

So hat der Kläger vorgetragen, dass dem Anhörungsschreiben die ausdrücklich genannten Anlagen, nämlich der gebuchte Beleg einer Einzahlung von Einnahmen aus dem Automaten im ersten Halbjahr 2018 sowie eine Tabelle über die Einzahlungen und die diesen gegenüberstehenden Einkäufe von Getränken, dem Schreiben nicht beigefügt waren. Da die Beklagte dies nicht bestritten hat, ist diese Tatsache gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden anzusehen.

Darüber hinaus ergibt sich auch aus der Stellungnahme mit Schreiben des Betriebsrats vom 03. September 2018 (Anlage zum Schriftsatz des Klägers vom 02. Dezember 2019, Bl. 377 dA.), dessen Erstellung und Versendung die Beklagte ebenfalls nicht bestritten hat, dass die in der Begründung aufgeführten Anlagen fehlten.

Zudem ist dort die Rede von einem offensichtlich beigefügten Kündigungsschreiben, welches unvollständig und falsch datiert gewesen sei. Im Übrigen hat der Betriebsrat gerügt, dass die Anschrift des Arbeitgebers in dem Anhörungsschreiben fehlte.

Darüber hinaus hat der Kläger zu Recht beanstandet, dass in dem Anhörungsschreiben fälschlicherweise angegeben wurde, dass auf dem Konto 191,20 EUR gebucht worden seien, obwohl tatsächlich lediglich 189,20 EUR gebucht wurden und er die von dem Automaten nicht angenommenen 2,00 EUR der Beklagten wieder übergeben hat. Die Beklagte hat hier den für die Kündigung maßgeblichen Sachverhalt falsch dargestellt, wobei die Rückgabe der 2,00 EUR sich hinsichtlich des Verdachts des Vorliegens einer Pflichtverletzung betreffend das Vermögen der Arbeitgeberin objektiv tatsächlich positiv zu Gunsten des Klägers auswirken könnte.

Dabei ist nicht maßgeblich, ob die Beklagte die Rückgabe der 2,00 EUR für relevant hielt, da es nur darauf ankommt, ob sich die der Arbeitgeberin bekannten Umstände bei objektiver Betrachtung zu Gunsten des Arbeitnehmers auswirken können (objektive Determinierung der Betriebsratsanhörung ausgehend vom subjektiven Kenntnisstand des Arbeitgebers).

Zudem hat die Beklagte in der Betriebsratsanhörung den Kläger als den Hauptverantwortlichen für die Entnahme und Einzahlung des Geldes aus dem Automaten ausdrücklich dargestellt. Dies mag zwar die subjektive Wertung der Beklagten gewesen sein, da der Kläger stellvertretender Abteilungsleiter der Haustechnik war und der Abteilungsleiter Herr K. sich nach dem Vortrag der Beklagten nicht um diesen Bereich kümmerte. Jedoch hat die Beweisaufnahme den Vortrag des Klägers bestätigt, dass neben ihm zumindest auch der Kollege K. und der Kollege F. den Automaten entleert haben und für die Einzahlung von Geldern auf der Bank zuständig waren, wobei neben den Einnahmen aus dem Automaten weitere Geldbeträge, wie beispielsweise aus Kursen, an die Mitarbeiter der Haustechnik übergeben und von diesen zur Bank gebracht wurden. Es kann hierbei dahinstehen, ob Herr K. tatsächlich mit der Entnahme von Geldern aus dem Automaten und der Einzahlung von Geldbeträgen auf der Bank nichts zu tun hatte bzw. diese Aufgabe als Abteilungsleiter auf seine Mitarbeiter delegierte. Jedenfalls kann der Kläger als Stellvertreter lediglich im Falle von Abwesenheitszeiträumen des Abteilungsleiters K. als „Verantwortlicher“ angesehen werden und die Bezeichnung als Hauptverantwortlicher gegenüber dem Betriebsrat in dem Anhörungsschreiben war nach Auffassung der Berufungskammer irreführend.

Selbst wenn man der Auffassung sein sollte, dass es sich im Einzelnen nicht um gravierende Fehler handelt, führen diese jedenfalls in ihrer Gesamtheit zu einer unvollständigen und unrichtigen Anhörung des Betriebsrats.

c) Daher kann dahinstehen, ob der Beklagten die tatsächliche Anzahl der Pflegekinder des Klägers bekannt war, so dass sie nicht auf die ELStAM-Daten durch bloße Aufführung von 2,5 Kindern zurückgreifen durfte. Der Vollständigkeit halber wird hierzu jedoch auf Folgendes hingewiesen.

Nach dem Sinn und Zweck der Anhörung dürfen dem Betriebsrat vom Arbeitgeber keine persönlichen Umstände des Arbeitnehmers vorenthalten werden, die sich im Rahmen der Interessenabwägung entscheidend zu seinen Gunsten auswirken können. Der Wirksamkeit einer auf verhaltensbedingte Gründe gestützten Kündigung steht die fehlende Mitteilung der genauen Sozialdaten des zu kündigenden Arbeitnehmers an den Betriebsrat nur dann nicht entgegen, wenn es dem Arbeitgeber wegen der Schwere der Kündigungsvorwürfe auf die genauen Daten ersichtlich nicht ankommt und der Betriebsrat die ungefähren Daten kennt und von daher die Kündigungsabsicht des Arbeitgebers ausreichend beurteilen kann (BAG 06. Oktober 2005 – 2 AZR 280/04 – Rn. 41; 23. Oktober 2014 – 2 AZR 736/13 –, Rn. 15, juris).

Wie bereits dargelegt, kann die Beklagte sich nicht darauf berufen, die Unterhaltspflichten des Klägers hätten für sie bei der Interessenabwägung gar keine Rolle gespielt. Es ist jedoch anzunehmen, dass es ihr nicht auf die genaue Anzahl ankam, da sie sonst nicht vom „2,5 Kindern laut ELStAM“ ausgegangen wäre.

Der Arbeitgeber darf mangels anderweitiger Kenntnisse der Unterhaltspflichten im Rahmen der Betriebsratsanhörung von den Eintragungen in der Lohnsteuerkarte ausgehen, sofern er dies dem Betriebsrat gegenüber kennzeichnet (BAG 24. November 2005- 2 AZR 514/04 – Rd. 17, juris).

Im vorliegenden Fall hat die Beklagte in der Anhörung gegenüber dem Betriebsrat bei der Anzahl der Kinder ausdrücklich festgestellt „laut ELStAM-Daten 2,5“. Dem Kläger ist zuzugeben, dass es 2,5 Kinder nicht gibt. Es dürfte jedoch jedem bekannt sein, dass die Kinderfreibeträge zwischen den Eltern auch aufgeteilt und daher halbe Kinderfreibeträge auf der Lohnsteuerkarte eingetragen werden können.

Zudem ist nicht davon auszugehen, dass die Beklagte Kenntnis von mehr als den drei Kindern hatte, welche der Kläger bereits bei seiner Einstellung in seinem Lebenslauf angegeben hat. Frau E. hat im Rahmen ihrer Zeugenvernehmung glaubhaft bekundet, dass sie die genaue Anzahl der Pflegekinder des Klägers nicht kannte, und sich aus der – vor Übernahme durch sie – nicht ordnungsgemäß geführten Personalakte auch keine höhere Anzahl von Kindern ergab. Im Übrigen kann es nach Auffassung der Berufungskammer auch nicht auf die Kenntnis von Frau E. oder Frau T. ankommen, da diese seit dem Betriebsübergang nicht mehr bei derselben Arbeitgeberin beschäftigt sind wie der Kläger und ihre Kenntnis der Beklagten nicht zugerechnet werden kann.

Unklar ist, ob dem Betriebsrat die ungefähre Anzahl der Kinder bekannt war. Dies wäre ausreichend, da es der Beklagten ersichtlich nicht auf die genaue Anzahl ankam. Zwar kannten zwei Betriebsratsmitgliedern aufgrund persönlicher Kontakte zum Kläger die genaue Anzahl der Pflegekinder. Jedoch ist nicht erkennbar, ob sie an der Sitzung betreffend die Anhörung zur beabsichtigten Kündigung des Klägers teilgenommen und ihr Wissen an das Gremium weitergegeben haben.

d) Unabhängig von der fehlerhaften Anhörung aufgrund mehrerer Unvollständigkeiten und Unrichtigkeiten liegt auch deshalb keine ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung vor, weil die Beklagte die Stellungnahme des Betriebsrates mit Schreiben vom 03. September 2018 nicht zur Kenntnis genommen hat.

Wie bereits dargelegt ist unstreitig und damit als von der Beklagten zugestanden anzusehen, dass der Betriebsrat die vom Kläger vorgelegte Stellungnahme vom 03. September 2018 zu der Anhörung vom 24. August 2018 verfasst und sowohl per Fax an die zutreffende allgemeine Fax-Nummer der Beklagten sowie darüber hinaus per Einwurfeinschreiben an deren Anschrift in H. übersandte. Ausweislich des Stellungnahmeschreibens des Betriebsrates vom 03. September 2018 erhielt der Betriebsrat das Anhörungsschreiben am 29. August 2018 um 16:10 Uhr persönlich von der Zeugin T.. Entgegenstehendes hat die Beklagte nicht vorgetragen. Daher lief am 03. September 2018 die einwöchige Anhörungsfrist des § 102 Abs. 2 Satz 1 noch. Diese dauerte nämlich ab dem 29. August 2018 genau bis zu dem Datum, unter dem das Kündigungsschreiben verfasst wurde, dem 05. September 2018.

Die Beklagte hat zwar in der letzten mündlichen Verhandlung – nachdem das Gericht darauf hingewiesen hat, dass es hierauf ankommen könnte – den Zugang dieses Stellungnahmeschreibens des Betriebsrats vom 03. September 2018 bei der Beklagten bestritten, obwohl der Prozessbevollmächtigte der Beklagten noch mit Schriftsatz vom 04. Februar 2020 geäußert hatte, da die vom Betriebsrat angewählte Telefaxnummer die richtige Nummer gewesen wäre, müsse die Beklagte den Umstand selbst verantworten, dass sie die Rückmeldung des Betriebsrats zur Betriebsratsanhörung als Anlage zum Schriftsatz der Gegenseite zum ersten Mal gesehen habe.

Die Berufungskammer ist jedoch iSd. § 286 ZPO überzeugt von dem Zugang des Schreibens des Betriebsrats vom 03. September 2018 bei der Beklagten am 03. September 2018 durch die Übermittlung per Telefax.

Nach § 130 Abs. 1 S. 1 BGB wird eine unter Abwesenden abgegebene Willenserklärung in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie dem Empfänger zugeht. Eine verkörperte Willenserklärung ist zugegangen, sobald sie in verkehrsüblicher Weise in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers gelangt ist und für diesen unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit besteht, von dem Scheiben Kenntnis zu nehmen.

Zum Bereich des Empfängers gehören auch von ihm vorgehaltene Empfangseinrichtungen wie z. B. ein Briefkasten. Ob die Möglichkeit der Kenntnisnahme bestand, ist nach den „gewöhnlichen Verhältnissen“ und den „Gepflogenheiten des Verkehrs“ zu beurteilen. So bewirkt der Einwurf in einen Briefkasten den Zugang, sobald nach der Verkehrsanschauung mit der nächsten Entnahme zu rechnen ist. Dabei ist nicht auf die individuellen Verhältnisse des Empfängers abzustellen, sondern im Interesse der Rechtssicherheit zu generalisieren. Bei Hausbriefkästen ist mit einer Leerung im Allgemeinen zum Zeitpunkt der üblichen Postzustellzeiten zu rechnen, die allerdings stark variieren können.

Wenn danach für den Empfänger unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit der Kenntnisnahme bestand, ist es unerheblich, ob und wann er die Erklärung tatsächlich zur Kenntnis genommen hat und ob er daran durch Krankheit, zeitweilige Abwesenheit oder andere besondere Umstände einige Zeit gehindert war. In diesem Fall trifft den Empfänger die Obliegenheit, die nötigen Vorkehrungen für eine tatsächliche Kenntnisnahme zu treffen. Unterlässt er dies, so wird der Zugang durch solche – allein in seiner Person liegende – Gründe nicht ausgeschlossen (BAG, 22. März 2012 – 2 AZR 224/11 – Rn. 21 f.; LAG Rheinland-Pfalz 23. September 2013 – 5 Sa 18/13 – Rn. 43, juris).

Im vorliegenden Fall stellt das Faxgerät der Beklagten die von ihr vorgehaltene Empfangseinrichtung dar. Der Betriebsrat hat das Stellungnahmeschreiben vom 03. September 2018 unstreitig an die zutreffende Faxnummer übersandt und im Übrigen auch einen Sendebericht erhalten, wonach die beiden Seiten, nämlich das Stellungnahmeschreiben sowie das ausgefüllte Formblatt, auf dem der Kündigung nicht zugestimmt wurde, erfolgreich übersandt wurden. Die Beklagte trifft die Obliegenheit dafür zu sorgen, dass Personalangelegenheiten betreffende Schreiben, die auf diesem Faxgerät unter der allgemeinen Faxnummer der Beklagten eingehen, auch zu der Personalabteilung gelangen und dort zur Kenntnis genommen werden können. Insofern stellt es nach Auffassung der Berufungskammer bereits ein Organisationsverschulden der Beklagten dar, dass Personalangelegenheiten betreffende Schreiben mit sensiblen Daten nach dem von ihr gewählten Organisationsablauf an eine allgemeine Faxnummer übersandt werden sollen, statt an eine der Personalabteilung zugeordnete Faxnummer und ein dort vorhandenes Faxgerät. Jedenfalls aber hat die Beklagte es unterlassen dafür Sorge zu tragen, dass die unter der allgemeinen Faxnummer auf dem Faxgerät eingehenden Schreiben in personalrechtlichen Angelegenheiten zuverlässig an die Personalabteilung weitergeleitet werden. Da sie gegenüber dem Betriebsrat die allgemeine Faxnummer als zutreffende angegeben hat, stellt dieses Faxgerät ihre Empfangseinrichtung dar, bei der das Schreiben des Betriebsrats vom 03. September 2018 nebst ausgefülltem Formular betreffend Nichtzustimmung zu der Kündigung des Klägers nach Überzeugung der Berufungskammer gemäß § 286 ZPO am 03. September 2018 auch eingegangen und damit der Beklagten zugegangen ist.

Unabhängig hiervon hat der Betriebsrat die Stellungnahme vom 03. September 2018 zusätzlich per Einwurfeinschreiben ausweislich des Einlieferungsbelegs vom 03. September 2018 – 17:16 Uhr – übersandt.

Es widerspricht jeder Lebenserfahrung, dass sowohl das Fax-Schreiben trotz positiven Sendeberichts als auch das Einwurfeinschreiben nicht bei der Beklagten eingegangen sein sollen.

Somit ist die Stellungnahme des Betriebsrats zu der beabsichtigten Kündigung des Klägers der Beklagten als Arbeitgeberin zugegangen. Die Beklagte hat diese Stellungnahme jedoch nicht zur Kenntnis genommen.

Zwar hält das Bundesarbeitsgericht eine Einflussnahme auf den Kündigungswillen auch dann noch für möglich, wenn der Arbeitgeber den Kündigungsentschluss schon gefasst, die Kündigung aber noch nicht ausgesprochen hat (vgl. BAG 13. Dezember 2012 – 6 AZR 348/11 – Rn. 81, juris).

Jedoch ist der Arbeitgeber verpflichtet, die Stellungnahme des Betriebsrats entgegenzunehmen und sich mit ihr sachlich auseinanderzusetzen. Er muss den Betriebsrat anhören, darf also beispielsweise nicht dem Betriebsrat ein fertig formuliertes Kündigungsschreiben vorlegen, sondern muss sich mit Gegenvorstellungen des Betriebsrats befassen. Er muss noch bereit sein, die Argumente des Betriebsrats zu würdigen (Fitting, 29. Auflage 2018, § 102 BetrVG, Rn. 58).

Die Anhörung soll dem Betriebsrat ggf. eine Einflussnahme auf die Willensbildung des Arbeitgebers ermöglichen, indem er seine Überlegungen zur Kündigungsabsicht des Arbeitgebers vorbringt. Die Einschaltung des Betriebsrats im Rahmen des Anhörungsverfahrens vor einer Kündigung hat über die reine Unterrichtung hinaus den Sinn, ihm Gelegenheit zu geben, seine Überlegungen zu der Kündigungsabsicht aus Sicht der Arbeitnehmervertretung zur Kenntnis zu bringen. Die Sanktion verfolgt den Zweck, den Arbeitgeber zu veranlassen, vor jeder Kündigung den Betriebsrat zu hören, will er nicht Gefahr laufen, dass die Kündigung von vorneherein unwirksam ist. Die Anhörung soll in geeigneten Fällen dazu beitragen, dass es gar nicht zum Ausspruch einer Kündigung kommt (BAG 31. Januar 1996 – 2 AZR 181/95 – Rn. 11; 16. Juli 2015 – 2 AZR 15/15 – Rn. 14; juris).

Der Sinn und Zweck der Betriebsratsanhörung wird daher nicht gewahrt, wenn der Arbeitgeber die Stellungnahme des Betriebsrats zu der Anhörung überhaupt nicht zur Kenntnis nimmt. Ohne Kenntnisnahme der Überlegungen des Betriebsrats zur Kündigungsabsicht des Arbeitgebers kann daher keine ordnungsgemäße Anhörung im Sinne des § 102 BetrVG vorliegen.

Somit ist die Kündigung vom 05. September 2018 mangels ordnungsgemäßer Betriebsratsanhörung unwirksam und die Berufung der Beklagten als unbegründet zurückzuweisen.

B. Die Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Berufung zu tragen.

Die Voraussetzungen einer Revisionszulassung nach § 72 Abs. 2 ArbGG sind nicht erfüllt.

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