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Verdachtskündigung wegen Verstoß gegen Verhaltenskodex

ArbG Mannheim – Az.: 8 Ca 121/17 – Urteil vom 09.11.2017

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung vom 09.03.2017 noch durch die außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung vom 16.03.2017 aufgelöst ist.

2. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreits als Head of Investigations zu den Vertragsbedingungen des Arbeitsvertrages vom 14.11.2016 weiter zu beschäftigen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

4. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf EUR 57.810,68 festgesetzt.

5. Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um den Bestand des Arbeitsverhältnisses.

Die am 00.00.0000 geborene, nicht verheiratete und sonst keinen Unterhaltspflichten unterliegende Klägerin war bei der Beklagten seit dem 01.04.2016 angestellt, zunächst als Managerin Investigations, ab dem 15.11.2016 als Head of Investigations innerhalb der Abteilung Corporate Internal Audit. In dieser Funktion war ihr eine Mitarbeiterin unterstellt. Aufgabe der Klägerin war, im Auftrag der Beklagten in allen Konzernunternehmungen vermutete Unregelmäßigkeiten mit Schwerpunkt Korruption und Bestechung von Amtsträgern zu untersuchen. Im Rahmen ihrer Tätigkeit beauftragte die Klägerin international tätige Ermittlungsunternehmen, die als externe Dienstleister vor Ort, beispielsweise in T., I. oder O., Sachverhalte aufklärten. Einschließlich einer variablen Zielvergütung betrug das durchschnittliche monatliche Entgelt EUR 14.452,67 brutto.

Bei der Beklagten existiert ein Verhaltenskodex (Anlagenband B6), eine Konzernrichtlinie zur Beschaffung (Anlagenband B7) sowie eine Konzern-Drittparteienrichtlinie (Anlagenband B8). Nach dem Verhaltenskodex sind alle Mitarbeiter zur strikten Einhaltung aller Gesetze sowie zu ethischem Verhalten verpflichtet. Darüber hinaus enthält der Verhaltenskodex Grundsätze zum Umgang mit vertraulichen Informationen. Insoweit dürfen diese nicht zum eigenen Nutzen missbraucht oder unzulässig an Dritte weitergegeben werden. Personenbezogene Daten aller Art sind – auch konzernintern – sorgfältig vor unbefugtem Zugriff und Missbrauch zu schützen. Die Konzernbeschaffungsrichtlinie gibt Standards für sämtliche Beauftragungen externer Dienstleister vor. Insbesondere sind

  • Nachunternehmer, Dienstleister und Lieferanten auf den X. Verhaltenskodex schriftlich zu verpflichten,
  • vor jeder Vergabe mehrere Angebote in schriftlicher Form einzuholen,
  • Rahmenverträge vorrangig zu beachten,
  • jede Vergabeentscheidung in der Form schriftlich zu dokumentieren, dass ein unbeteiligter Dritter sie ohne weiteres nachvollziehen kann,
  • Beauftragungen nur in schriftlicher Form unter Beachtung der gültigen Unterschriftenregelung zu treffen,
  • Zahlungen ausgeschlossen, sofern kein gegengezeichneter schriftlicher Vertrag vorliegt,
  • die beauftragenden Mitarbeiter verpflichtet, durch Auswahl, Verpflichtung und Überwachung der Nachunternehmer, Dienstleister und Lieferanten dafür zu sorgen, dass die Qualitäts- und Compliance-Vorgaben des Konzerns konsequent beachtet werden.

Hinsichtlich der Beschaffungsprozesse sind folgende Vorgaben einzuhalten:

  • Einholung von mindestens drei schriftlichen Angeboten bei Vergabesummen über EUR 10.000,-
  • Anfertigung von Verhandlungsprotokollen bei einer Angebotssumme über EUR 50.000,-
  • Führen von Verhandlungen mit mindestens drei Anbietern bei einer Vergabesumme von über EUR 75.000,-
  • Unterzeichnung der jeweiligen Geschäftsführung bei Vergabesumme über EUR 250.000,- bzw. Nachtrages über EUR 100.000,-
  • Abschluss von Beraterverträgen nur in Zusammenarbeit mit dem Zentralbereich Einkauf
  • Beachtung der Vorgaben der Drittparteienrichtlinie.

Nach einem Rundschreiben des Vorstands vom 27.07.2015 ist verbindlich vorgegeben, dass zur nachhaltigen Kostenreduzierung und Erhöhung der Transparenz bei der Beauftragung von Beratungsleistungen alle Beraterverträge ab EUR 50.000,- vor der Beauftragung die Genehmigung des Gesamtvorstandes erfordern.

Anfang Dezember 2016 beauftragte die Beklagte die Strafrechtskanzlei D. mit einer externen Sonderuntersuchung. Im Rahmen dieser Untersuchung wurde die Klägerin am 20.01.2017 und 14.02.2017 ausführlich vernommen. Mit Schreiben vom 15.02.2017 wurde die Klägerin widerruflich von der Verpflichtung zur Erbringung ihrer Arbeitsleistung freigestellt. Unter dem 28.02.2017 wurde ein vorläufiger Abschlussbericht erstellt (Anlagenband B4). Die Vernehmungen der Klägerin wurden protokolliert, die Vernehmungsprotokolle wurden nicht vorgelegt. Mit Schreiben vom 06.03.2017 wurde die Klägerin von der Beklagten zu diversen behaupteten Pflichtverletzungen angehört (vgl. Bl. 23 ff. d.A.). Mit Schreiben vom 06.03.2017 (Anlagenband B11) und 13.03.2017 (Anlagenband B12) wurde der bei der Beklagten eingerichtete Betriebsrat vorsorglich zu einer beabsichtigten außerordentlichen sowie hilfsweise ordentlichen Beendigungskündigung angehört. Der Betriebsrat hat am 07.03.2017 (Bl. 125 d.A.) und 14.03.2017 (Bl. 126 d. A.) mitgeteilt, er sei für die Klägerin nicht zuständig, habe im Übrigen aber auch keine Bedenken gegen die beabsichtigten Kündigungen. Mit Schreiben vom 09.03.2017, zugegangen am 10.03.2017 an die Klägerin per Boten, am 13.03.2017 an den Prozessbevollmächtigten der Klägerin, sowie mit Schreiben vom 16.03.2017, der Klägerin und dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin zugegangen am 17.03.2017, hat die Beklagte die fristlose, hilfsweise ordentliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber der Klägerin erklärt.

Mit ihrer am 29.03.2017 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage rügt die Klägerin die Rechtsunwirksamkeit und fehlende soziale Rechtfertigung der streitgegenständlichen Kündigungen.

Die Klägerin beantragt:

1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien begründete Arbeitsverhältnis nicht durch die außerordentliche fristlose, hilfsweise ordentlich fristgemäße Kündigung vom 09.03.2017, der Klägerin per Boten am 10.03.2017 zugegangen, beendet worden ist.

2. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien begründete Arbeitsverhältnis auch nicht durch die außerordentliche fristlose, hilfsweise ordentliche fristgemäße Kündigung vom 09.03.2017, der Klägerin über ihre Prozessbevollmächtigten mit Originalschreiben vom 09.03.2017, am 13.03.2017 zugegangen, beendet worden ist.

3. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis auch nicht durch die weiteren vorsorglichen außerordentlichen hilfsweise ordentlichen Kündigungen vom 16.03.2017, der Klägerin zum einen über ihre Prozessbevollmächtigten mit Originalschreiben vom 16.03.2017, am 17.03.2017 und zum anderen am gleichen Tage an Ihre Heimadresse am 17.03.2017 zugegangen, beendet worden ist.

4. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens vorläufig als Head of Investigations zu den Vertragsbedingungen aus dem Arbeitsvertrag vom 14.11.2016 (Anl. K1 zur Klageschrift) weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte beantragt: Die Klage wird abgewiesen.

Die Beklagte trägt zur Begründung der streitgegenständlichen Kündigungen vor,

es lägen eine Vielzahl von Pflichtverletzungen der Klägerin vor, die die Kündigungen vom 09.03.2017 als Tat- und die Kündigungen vom 16.03.2017 als Verdachtskündigungen rechtfertigten. Diese Pflichtverletzungen ließen sich in verschiedene Kategorien einordnen: Verletzung von Geheimhaltungsverpflichtungen und Mitteilung unternehmensinterner sowie personenbezogener geheimer Daten an Dritte; Verstöße im Zusammenhang mit der Beauftragung von externen Dienstleistern; fortgesetzte Versuche der Klägerin, die Pflichtverletzungen durch bewusste Falschinformationen und Lügen zu vertuschen. Insbesondere habe die Klägerin in einer Vielzahl von Fällen gegen die Konzernbeschaffungsrichtlinie verstoßen und Dienstleistungsverträge nach freihändiger Vergabe abgeschlossen. Dabei habe die Klägerin entgegen der Konzernbeschaffungsrichtlinie derartige Verträge nicht schriftlich fixiert sowie die Durchführung dieser Verträge als auch die Freizeichnung von Rechnungen nicht pflichtgemäß überprüft. Schließlich liege auch ein Verdacht der Untreue vor, da die Beklagte nicht ausschließen könne, dass es den von der Klägerin freigegebenen Rechnungen (teilweise) an einer Leistungsunterlegung fehle. So komme auch der vorläufige Abschlussbericht der Kanzlei D. zum Ergebnis, es liege hinsichtlich einer Untreue ein Anfangsverdacht vor. Die Pflichtverletzungen der Klägerin würden vor dem Hintergrund, dass die Beklagte seit Herbst 2014 gegenüber dem US-amerikanischen Department of Justice verpflichtet ist, durch einen externen Compliance-Monitor begleitet zu werden, und der Einbindung der Klägerin in die Abteilung Compliance, besonders schwer. Einer Abmahnung habe es im Hinblick auf die Schwere der Pflichtverletzungen und der Verwarnungs- bzw. Sanktionsklausel im Verhaltenskodex aus November 2012 (Anlagenband B6) nicht bedurft.

Zu den Pflichtverletzungen im Einzelnen:

In mindestens drei Fällen habe die Klägerin höchst sensible Geschäftsgeheimnisse bzw. personenbezogene Daten an unternehmensexterne Dritte weitergegeben. Empfänger sei Herr J. gewesen, der ehemalige Vorgesetzte der Klägerin bei der N. AG, mit dem die Beklagte zwischen Januar 2016 und Juni 2016 Verhandlungen über die Position Head of Investigations (die letzte Position der Klägerin bei der Beklagten) erfolglos geführt habe und der nunmehr teilweise für die von der Klägerin beauftragten externen Dienstleister tätig gewesen ist. Am 10.08.2016 habe die Klägerin um 13:35 Uhr eine E-Mail mit Unterlagen eines potentiellen Bewerbers an Herrn J. weitergeleitet (Bl. 485ff d.A.). Enthalten gewesen seien dessen Lebenslauf, Informationen zur bisherigen Tätigkeit, zu Kündigungsfristen und zu seinen Vergütungsvorstellungen. Die Klägerin habe Herrn J. in der E-Mail gefragt, ob er den Bewerber kenne. Am 07.11.2016 um 13:41 Uhr habe die Klägerin eine E-Mail Korrespondenz (Anlagenband B 18) mit diversen Führungskräften der Beklagten an Herrn J. weitergeleitet, die die (Anzahl der) abgeschlossenen und offenen Fälle im Bereich Investigations sowie Backlogs und Diskussionen über sowie Kritik an Investigation Policies und SOPs zum Gegenstand gehabt habe, letztlich also eine Statusdarstellung des gesamten Investigations-Bereichs. Diese – auch unternehmensintern – höchst vertraulichen Inhalte seien kommentarlos an Herrn J. weitergeleitet worden. Auch wenn Herr J. als Mitarbeiter des Dienstleisters B. Ltd. (B) beauftragt gewesen sei, eine Investigations-Richtlinie sowie standardisierte Vorgehensweisen für die Abteilung zu entwerfen (sog. Standard Operating Procedure – SOP), rechtfertige dies die Weiterleitung der sensiblen internen Daten nicht. Am 07.12.2016 um 16:29 Uhr habe die Klägerin an Herrn J. eine E-Mail mit einer PowerPoint-Präsentation geschickt (vgl. Bl. 462 ff. d.A.), die den Entwurf für das Compliance Review für die Vorstandssitzung am 13.12.2016 enthalten habe. Die Übersendung sei verbunden gewesen mit der Bitte der Klägerin an Herrn J., ihr einen Gefallen zu tun, da sie im Rahmen der Präsentation einen kurzen Überblick über die neuen Standard Operation Procedures Investigation geben müsse, es seien jedoch nur vier Folien erlaubt.

Hauptgrund für die Sonderuntersuchung durch die Kanzlei D. seien jedoch Hinweise auf erhebliche Pflichtverletzungen der Klägerin im Zusammenhang mit der Tätigkeit mehrerer externer Dienstleister. Bei diesen Dienstleistern habe es sich gehandelt um O. Ltd., die B. Ltd. (B), die BR Ltd., die C. Ltd. sowie die O. GmbH. Diese Firmen seien ausnahmslos im Bereich Investigations/Informationsgewinnung und auf Empfehlung der Klägerin für die Beklagte tätig geworden. Für insgesamt 20 dieser Aufträge seien von der Klägerin keine Ausschreibungen durchgeführt worden, für 14 liege allerdings eine Genehmigung des Vorgesetzten und des CFO zur freihändigen Vergabe vor. Diese Genehmigungen seien jedoch von vornherein auf die dort genannten Fälle beschränkt gewesen. Die Genehmigungen befreiten die Klägerin auch nur vom Erfordernis einer Ausschreibung, nicht aber von weiteren Voraussetzungen (z.B. ordnungsgemäße schriftliche Vertragsabschlüsse und Dokumentationen). Jedenfalls verblieben sechs Fälle, in denen keine Genehmigung zur freihändigen Vergabe vorliege. Aber auch in 5 der 14 Genehmigungsfälle weiche die von der Klägerin erstellte Genehmigungsvorlage von der Beauftragung (z.B. Auftragsumfang) ab.

Ferner sei im Rahmen der Untersuchung festgestellt worden, dass für zwölf der 20 genannten Aufträge keine wirksamen schriftlichen Verträge vorlägen. Insoweit liege ein Verstoß gegen Ziff. 4.2 „Auftragsvergabe“ der Konzernbeschaffungsrichtlinie vor. Teilweise handele es sich um nicht vollständig, d.h. nicht (ordnungsgemäß) von allen Parteien unterzeichnete Verträge, teilweise liege nur das formelle Angebot, ein informelles Angebot per E-Mail oder gar nur ein verspätetes Angebot vor. Für zwei Beauftragungen existierten lediglich E-Mails zu Vergütungsmodalitäten unter Einbeziehung der Klägerin. Einer Beauftragung liege schließlich ein zwischen dem Dienstleister und einer externen Anwaltskanzlei geschlossener Vertrag ohne Einbeziehung der Beklagten zu Grunde.

Neben den Mängeln bei der Auftragsvergabe seien ferner auch teils ganz erhebliche Mängel bei der Auftragsdurchführung festgestellt worden. In sieben der 20 Fälle seien in den Berichten der Dienstleister Informationen gefunden worden, die nur unter Verstoß gegen Betriebs- oder Amtsgeheimnisse hätten erlangt werden können. Teilweise wiesen die Tätigkeitsnachweise Unstimmigkeiten, Auslagen und/oder Aufwand von „associates“ aus, die aus Sicht der Kanzlei D. nicht nachvollziehbar seien und weitere Verdachtsmomente begründeten. Gleichwohl habe die Klägerin die Untersuchungen nicht gestoppt, sondern weitere Aufträge erteilt. Konkret sei es um Hinweise zu Kontoständen, Bankverbindungen und Steuerdaten gegangen, die nicht legal zugänglich seien. Zudem seien als Quellen eine Vielzahl (ehemaliger) Amtsträger genannt worden. Die Kanzlei D. habe daher festgestellt, dass die Klägerin ihre Pflicht gemäß Ziff. 4.3 der Konzernbeschaffungsrichtlinie, nämlich dafür Sorge zu tragen, dass Qualitäts- und Compliancevorgaben durch die Dienstleister erfüllt werden, mindestens in den sechs vorgenannten Fällen erheblich verletzt habe.

Die schwerwiegendsten Pflichtverstöße aus dem Bereich der Zusammenarbeit mit externen Dienstleistern stammten allerdings nicht aus der Beauftragung, sondern lägen vielmehr in der Freizeichnung der jeweiligen Rechnungen ohne das Vorliegen jeglicher Tätigkeitsnachweise. Mit einer Ausnahme – und hier sowohl nachträglich eingereicht als auch (wohl) nachträglich erstellt – lägen solche bis zum heutigen Tage nicht vor. Für acht Aufträge an O., zwei Aufträge an BR sowie zwei Aufträge an C. sei festgestellt worden, dass die Rechnungen durch die Klägerin sachlich richtig gezeichnet worden seien, obwohl keine schriftliche Beauftragung vorgelegen habe. Das Rechnungsvolumen habe insgesamt EUR 1.448.776,- betragen, wovon EUR 365.243,- bezahlt worden seien. In einem Fall sei eine Rechnung freigezeichnet worden, in dem die vertragliche Vereinbarung zwischen einer externen Anwaltskanzlei und C. bestanden habe. Besonders auffällig sei ein Sachverhalt, bei dem die Klägerin am 21.12.2016 insgesamt 13 Rechnungen des Dienstleisters O. in einer Gesamthöhe von ca. EUR 510.000,- innerhalb von 10 Minuten (17:09 Uhr bis 17:19 Uhr) ohne Prüfung freigezeichnet habe. Exakt während der Freizeichnung, nämlich von 17:00 Uhr bis 17:28 Uhr habe die Klägerin im Übrigen ein Telefonat geführt, was eine zeitgleiche sachliche Prüfung der Rechnungen noch unmöglicher mache. Besonders pikant sei, dass am selben Tag durch Herrn H., Head Internal Audit, gegenüber O. eine Aufforderung zur Vorlage von Arbeitsergebnissen und Tätigkeitsnachweisen erfolgt sei, nämlich um 14:24 Uhr, was der Klägerin auch bekannt gewesen sei. Hinzu komme, dass die Klägerin am selben Tag um 16:05 Uhr mit einem Vertreter von O. telefoniert habe. Hiernach habe die Klägerin die Rechnungen freigezeichnet, obwohl sie gewusst habe – insbesondere durch eine E-Mail von Herrn H. vom 16.12.2016 (Anlagenband B27) –, dass die interne Revision der Beklagten die Vorgänge genau prüfen wolle. In sechs Fällen sei ein Auftragswert von EUR 50.000,- erreicht oder überschritten, ohne dass die Genehmigung des Gesamtvorstandes gemäß des Vorstandsrundschreibens vom 27.07.2015 eingeholt worden sei. In einem weiteren Fall fehle entgegen der Vorstandsanweisung eine notwendige Zweitunterschrift. Der notwendige Third Party Check gemäß der Drittparteienrichtlinie bei Erreichen des Schwellenwertes von EUR 250.000,- beim Dienstleister O. sei unterblieben. Mit Ausnahme des Dienstleisters O. lägen überhaupt keine Tätigkeitsnachweise vor. Auch für den Dienstleister O. seien erst unter dem 13./14.01.2017 auf Anforderung der Beklagten Tätigkeitsnachweise eingereicht worden, die jedoch auch nicht geeignet sein, die Tätigkeiten nachzuvollziehen.

Ebenfalls besonders schwer wiege aus Sicht der Beklagten, dass die Klägerin sich im Rahmen der Aufklärungsbemühungen der Beklagten mehrfach erkennbar wahrheitswidrig eingelassen habe. Dies betreffe die unwahren Einlassungen im Hinblick auf die Rechnungsfreizeichnung am 21.12.2016 sowie ihre Einlassung, sie habe Tätigkeitsnachweise erhalten.

Insgesamt seien die vorhandenen Tätigkeitsnachweise unbrauchbar und offensichtlich falsch. Sofern Tätigkeitsnachweise vorliegen würden, differierten diese zu den Rechnungsbeträgen. Teilweise sei der ausgewiesene Aufwand in mehreren Rechnungen identisch, Auftragssumme und Rechnungssumme differierten ebenfalls häufig. Tätigkeitsnachweise differierten zeitlich mit dem aus der Rechnung ersichtlichen Leistungszeitraum, zum Teil stünden der abgerechnete Aufwand zum Arbeitsergebnis in einem auffälligen Missverhältnis. Wegen der weiteren Einzelheiten der einzelnen Beauftragungen wird insbesondere auf den Vortrag im Schriftsatz vom 06.10.2017 (Bl. 586-614 d.A.) verwiesen.

Eine Anhörung des Betriebsrats sei nicht erforderlich gewesen, da die Klägerin leitende Angestellte gewesen sei, was auch im Arbeitsvertrag sowie in der Mitteilung an den Betriebsrat vom 07.11.2016 (Anlagenband B65) festgehalten sei. Die Klägerin habe die Befugnis gehabt, Mitarbeiter ihres Bereichs selbstständig einzustellen und zu entlassen. Im Übrigen sei sie aufgrund ihrer Position und ihres Aufgabenbereichs leitende Angestellte, da ein funktionierendes Compliance-System aufgrund der Vorgaben des Department of Justice für die Beklagte von existenzieller Bedeutung sei.

Im Übrigen wird hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beklagten zu den Kündigungsgründen auf die Schriftsätze vom 18.04.2017, 21.06.2017, 31.08.2017 sowie 06.10.2017 verwiesen.

Die Klägerin trägt vor, nach Ihrem Arbeitsantritt habe sie sich mit ihrem Vorgesetzten, Dr. M., unterhalten und betont, dass Untersuchungen mangels eigener Mitarbeiter fremdvergeben werden müssten, sie aber weiterhin die Leitung und Oberaufsicht beibehalten werde. Dr. M. habe diesem Vorschlag zugestimmt. Bereits anlässlich einer der ersten Untersuchungen, die innerhalb von 48 Stunden habe durchgeführt werden müssen, sei von der Klägerin thematisiert worden, dass man den Auftrag nicht einfach vergeben könne – aus Gründen des Zeitablaufs als auch aus Vertraulichkeitsgesichtspunkten. Die Klägerin habe die Firma C. ins Spiel gebracht, wobei Dr. M. erwidert habe, dass der Auftrag ohne weiteres vergeben werden solle. Anfang Mai habe es auf dessen Anraten ein Gespräch mit dem zuständigen Vorstandsmitglied, Herrn S., gegeben. Die Klägerin habe auf den enormen Zeitdruck und die Notwendigkeit der Fremdvergabe der Untersuchungen hingewiesen. Sie habe mitgeteilt, dass es für eine Fremdvergabe Konzernregularien gäbe, deren Einhaltung schwierig bis unmöglich sei, sie aber keine Ausnahmemöglichkeiten sehen würde. Dieses Problem sei sowohl von Dr. M. als auch von Herrn S. verstanden worden. Die Klägerin habe entsprechende Auskünfte zu den von ihr später beauftragten Unternehmen gegeben. Auf die Frage, wie man mit den Vergaberichtlinien und den anderen Konzernrichtlinien umgehen solle, habe Herr S. sinngemäß erwidert „Vergessen Sie es! So können Sie nicht arbeiten, ich möchte Ergebnisse!“ Dabei sei zwischen den Beteiligten klar gewesen, dass die Konzernregelungen eine Ausnahme überhaupt nicht vorsehen würden. Auf den Einwand der Klägerin, eine solche Weisung müsse sie schon schriftlich haben, erklärte sich Herr S. zu einer Bestätigung bereit. Sinngemäß habe er jedoch die Klägerin angewiesen: „Machen Sie es, arbeiten sie, wir haben keine Zeit, Unterschriften bekommen sie dann später!“ Entsprechend sei es dann später zu insgesamt drei Memoranden unter dem 02.06.2016, 01.07.2016 (Anlagenband B34) und 29.08.2016 (Anlagenband B28) gekommen. Diese Memoranden habe die Klägerin unter dem Eindruck des geschilderten Gesprächs nach und nach formuliert, sich aber gleichzeitig um die Beauftragung der Dienstleister gekümmert. Vor der Unterzeichnung des dritten Memorandums habe Herr S. gegenüber der Klägerin geäußert, sie solle nicht immer mit diesen Memos kommen, man müsse doch einmal etwas Allgemeines formulieren. Entsprechend habe sie im Memorandum vom 29.08.2016 unter dem letzten Spiegelstrich formuliert, dass mit den dort benannten Anbietern zusammengearbeitet werde. Damit sei eine Generalklausel nach Wunsch von Herrn S. formuliert worden; allen Beteiligten sei klar gewesen, dass es weiterer schriftlicher Niederlegung nicht mehr bedurfte. Nach ihren bisherigen Erfahrungen in anderen Unternehmen sei die Durchführung von internen Untersuchungen mit externen Dienstleistern von entsprechenden Vergaberichtlinien ebenfalls ausdrücklich befreit. Gerade auch aufgrund der drei verfassten Memoranden habe sie davon ausgehen dürfen, dass sie von allen Konzernregularien in Bezug der Beauftragung der in den Memoranden aufgeführten externen Dienstleister befreit sei. Daneben sei die Klägerin – gerade auch aufgrund der vielen Auslandsreisen – erheblich arbeitsbelastet gewesen, so dass sie den administrativen Tätigkeiten nicht die volle Aufmerksamkeit habe widmen können, was sie bedauere und so nicht mehr handhaben würde.

Soweit sie E-Mail-Verkehr bzw. eine PowerPoint-Präsentation an Herrn J. weitergeleitet habe, habe dies in Abwicklung des Auftrags mit der B. stattgefunden, dessen Gegenstand eine Bestandsaufnahme und Ausarbeitung einer Investigations-Richtlinie sowie die Begleitung bei der Umsetzung und Einführung der neuen Richtlinie und Prozesse gewesen sei. Soweit die Beklagte vermute, die Rechnungen seien (teilweise) nicht leistungsunterlegt, habe diese doch einklagbare Informations- und Rechenschaftsansprüche gegen die Dienstleister, die Sie nicht ausgeübt habe. Es sei auch unzutreffend, dass keine Tätigkeitsnachweise vorliegen würden. Schätzungsweise habe die Beklagte mindestens 30-40 Abschluss- oder Zwischenberichte, die die Tätigkeit der Dienstleister belegen würden. Die Klägerin habe unzählige Telefonate mit den Dienstleistern geführt, weil sie diese beaufsichtigen und führen habe müssen. Aufgrund des steten Austauschs sei sie über die Leistungen der Dienstleister stets informiert gewesen. Nach ihrer Erinnerung habe es auch mit allen Dienstleistern, mit Ausnahme der Firma M., Pauschalvereinbarungen gegeben. Die Klägerin erinnere sich auch noch daran, dass beispielsweise die Firma C. im Projekt Mx. in ein bis zwei Tagesrhythmen Übersichten per E-Mail übersandt hätten, wie viel vom kalkulierten Budget verbraucht worden sei und „wo man stehe“. Soweit der Klägerin nun Pflichtverstöße bei der Freizeichnung von Rechnungen vorgeworfen würden, seien nach ihrer Erinnerung und Einschätzung alle Rechnungen, die sie als sachlich richtig gezeichnet habe, berechtigt gestellt worden, weil die versprochenen Leistungen erbracht worden seien. Dass Leistungen fehlen würden, habe die Beklagte nicht substantiiert vorgetragen. Soweit ihr die Freizeichnung von 13 Rechnungen am 21.12.2016 vorgeworfen werde, seien nach ihrer Erinnerung alle Leistungen tatsächlich erbracht worden. Sie habe die Rechnungen alle schon teilweise seit Sommer erhalten und geprüft, was sie auch vorgerichtlich mehrfach erklärt habe. Dass die Beklagte von der Firma O. Tätigkeitsnachweise angefordert habe, habe sie nicht gewusst. Soweit ihr wahrheitswidrige Angaben und Vertuschungsversuche im Rahmen der Aufklärungsmaßnahmen vorgeworfen würden, müsse darauf hingewiesen werden, dass ihr zu keinem Zeitpunkt während der Untersuchung erläutert worden sei, um was es eigentlich gehe. Ohne jede Unterlagen und ohne Mitteilung des Untersuchungsgegenstandes sei sie zu einzelnen aus komplexen Vorgängen herausgerissen Details mit Fragen konfrontiert worden. Die Klägerin habe sich stets bemüht, die Fragen mit Substanz zu beantworten und sei immer zur Aufklärung bereit gewesen. Die Anforderungen an eine Verdachtskündigung seien nicht erfüllt. Die Klägerin habe keine ausreichende Sachverhaltsermittlung durchgeführt, sondern sich lediglich auf den Bericht der Kanzlei D. berufen. Ein dringender Tatverdacht bestehe nicht, auch sei die Klägerin nicht ordnungsgemäß angehört worden. Die Klägerin sei auch keine leitende Angestellte, so dass eine Anhörung des Betriebsrats erforderlich gewesen sei. Die Betriebsratsanhörungen seien aber bereits deshalb fehlerhaft, als schon nicht klar hervorginge, ob es sich bei den Kündigungen um eine Tat- oder Verdachtskündigung handele. Wegen des weiteren Vorbringens der Klägerin wird insbesondere auf den Vortrag im Schriftsatz vom 16.08.2017 verwiesen.

Zwischen den Parteien ist ein Parallelrechtsstreit beim Arbeitsgericht Mannheim, Az. 8 Ca 325/17, anhängig, in dem die Parteien um Schadensersatzansprüche der Beklagten streiten. Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle vom 20.04.2017 und 07.09.2017 verwiesen. Eine Beweisaufnahme hat nicht stattgefunden.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet.

I.

Verdachtskündigung wegen Verstoß gegen Verhaltenskodex
(Symbolfoto:
Von Purple Anvil/Shutterstock.com)

Die Klage ist zulässig, insbesondere ist der Streitgegenstand hinreichend i.S.d. §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 253 ZPO bestimmt. Die Klägerin greift die fristlosen und hilfsweise erklärten ordentlichen Kündigungen vom 09.03.2017 und 16.03.2017 mit punktuellen Kündigungsschutzanträgen i.S.d. § 4 KSchG an. Dass es sich bei den jeweils zweifach zugegangenen Kündigungen nur um eine doppelte Verlautbarung handelte, haben die Parteien in der mündlichen Verhandlung unstreitig gestellt. An der Bestimmtheit des Weiterbeschäftigungsantrags bestehen ebenfalls keine Zweifel.

II.

Die Klage ist begründet, das Arbeitsverhältnis der Parteien ist weder durch die fristlosen Kündigungen der Beklagten vom 09.03.2017 und 16.03.2017 aufgelöst worden, noch wird es durch die hilfsweise erklärten ordentlichen Kündigungen vom 09.03.2017 und 16.03.2017 aufgelöst. Zudem hat die Klägerin Anspruch auf vorläufige Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreits.

1. Die fristlosen Kündigungen vom 09.03.2017 und 16.03.2017 sind – sowohl als Tat- wie auch als Verdachtskündigung – rechtsunwirksam.

a) Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist das Vorliegen eines wichtigen Grundes grundsätzlich in zwei Schritten zu untersuchen. Danach ist zunächst zu prüfen, ob der Kündigungssachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalles an sich geeignet ist, eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund zu rechtfertigen. Ist dies der Fall, folgt als zweiter Schritt die Prüfung, ob bei Berücksichtigung der individuellen Umstände und Abwägung der gegenseitigen Interessen die Kündigung im konkreten Einzelfall gerechtfertigt ist (BAG, Beschluss vom 16.12.2004 – 2 ABR 7/04, AP Nr. 7 zu § 626 BGB 2002). Daneben ist die eigentliche Erforderlichkeit der Kündigung zu prüfen, namentlich die Gefahr der Wiederholung der durch die Vertragspflichtverletzung hervorgerufenen Störungen und deren Vermeidbarkeit mit milderen Mitteln. Dabei ist zu beachten, dass zum Schutz des Vertragspartners, der regelmäßig auf die Einhaltung des Vertrages vertrauen darf, an die Ausübung des Kündigungsrechts strenge Anforderungen zu stellen sind. Insoweit handelt es sich bei der außerordentlichen Kündigung um ein Ausnahmerecht zur Reaktion auf gravierende Störungen des Vertragsverhältnisses (BAG, Urteil vom 18.06.1997 – 4 AZR 710/95, AP Nr. 2 zu § 1 TVG).

b) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann nicht nur eine erwiesene Vertragsverletzung, sondern auch schon der schwerwiegende Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer sonstigen Verfehlung einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darstellen. Eine Verdachtskündigung liegt vor, wenn insoweit der Arbeitgeber seine Kündigung damit begründet, gerade der Verdacht eines (nicht erwiesenen) strafbaren bzw. vertragswidrigen Verhaltens habe das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zerstört. Eine Verdachtskündigung ist dann zulässig, wenn starke Verdachtsmomente auf objektiven Tatsachen gründen, die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören, und der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat (vgl. BAG, Urteil vom 13.04.2008 – 2 AZR 961/06, AP Nr. 43 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung m. w. N.).

c) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung – etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihrer wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Als mildere Reaktionen sind insbesondere Abmahnungen und ordentliche Kündigung anzusehen. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck – die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen – zu erreichen. Die Notwendigkeit der Prüfung, ob eine fristgerechte Kündigung als Reaktion ausgereicht hätte, folgt schon aus dem Wortlaut des § 626 Abs. 1 BGB. Das Erfordernis weitergehend zu prüfen, ob nicht schon eine Abmahnung ausreichend gewesen wäre, folgt aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (die Kündigung als „ultima ratio“) und trägt zugleich dem Prognoseprinzip bei der verhaltensbedingten Kündigung Rechnung. Das Erfordernis gilt auch bei Störungen im Vertrauensbereich. Es ist nicht stets und von vorneherein ausgeschlossen, verlorenes Vertrauen durch künftige Vertragstreue zurückzugewinnen (vgl. BAG, Urteil vom 10.06.2010 – 2 AZR 541/09, NZA 2010, 1227 ff. m. w. N.).

d) Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses beeinflusst werden kann. Die ordentliche wie die außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Sie dient der Objektivierung der negativen Prognose. Ist der Arbeitnehmer ordnungsgemäß abgemahnt worden und verletzt er dennoch seine arbeitsvertraglichen Pflichten erneut, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch zukünftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen. Nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist die Kündigung nicht gerechtfertigt, wenn es mildere Mittel gibt, eine Vertragsstörung zukünftig zu beseitigen. Dieser Aspekt hat durch die Regelung des § 314 Abs. 2 BGB i. V. m. § 323 Abs. 2 BGB eine gesetzgeberische Bestätigung erfahren. Eine Abmahnung bedarf es in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes deshalb nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten ist oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist (vgl. BAG a. a. O. m. w. N.).

e) Legt man vorliegend diese Prüfungsmaßstäbe zugrunde, liegen nach Auffassung der Kammer die Voraussetzungen für eine außerordentliche Kündigung gem. § 626 BGB nicht vor. Die fristlosen Kündigungen vom 09.03.2017 und 16.03.2017 sind weder als Tat- noch als Verdachtskündigung wirksam.

aa) Pflichtverletzungen der Klägerin, die ohne vorherige Abmahnung eine Tatkündigung rechtfertigen könnten, hat die Beklagte nicht ausreichend dargelegt. Dabei kann zu Gunsten der Beklagten unterstellt werden, dass die Klägerin – was diese in Teilen auch nicht in Abrede stellt – gegen verschiedene Compliance-Vorschriften und damit auch in nicht unerheblichem Maße gegen arbeitsvertragliche Verpflichtungen verstoßen hat. Aber weder der Verstoß gegen die Compliance-Vorgaben, noch die Weitergabe interner Informationen an Dritte wiegen vorliegend so schwer, dass eine vorherige Abmahnung entbehrlich gewesen wäre. Dabei ist ganz maßgeblich zu berücksichtigen, dass die Klägerin zwar gegen Richtlinien der Beklagten verstoßen, im Übrigen aber nicht gesetzeswidrig gehandelt hat. Soweit die Beklagte allein auf die Vielzahl der Verstöße abstellt, ist dies für die Prognoseentscheidung unbehelflich.

(1) Was die Weitergabe einer Bewerbung bzw. einer E-Mail Korrespondenz sowie einer PowerPoint-Präsentation an Herrn J. anbelangt, kann zu Gunsten der Beklagten unterstellt werden, dass es sich insoweit um schützenswerte personenbezogene Daten bzw. Betriebsgeheimnisse im Sinne von § 17 UWG gehandelt hat. Der Tatbestand des § 17 UWG ist aber gleichwohl schon deshalb nicht erfüllt, da die Beklagte den subjektiven Tatbestand nicht ausreichend dargelegt hat. Die Weitergabe der Informationen durch die Klägerin war erkennbar davon geprägt, sich eine Arbeitserleichterung zu verschaffen bzw. Herrn J. um Rat zu fragen. Dass die Klägerin insoweit zu Zwecken des Wettbewerbs, aus Eigennutz, zu Gunsten eines Dritten oder in der Absicht, der Beklagten ein Schaden zuzufügen, gehandelt hätte, ist weder dargelegt noch sonst ersichtlich; dies kann zwar nicht ausgeschlossen werden, erscheint der Kammer nach dem Vorbringen der Parteien aber fernliegend. Dass es sich bei Herrn J. um den ehemaligen Vorgesetzten der Klägerin handelte, dieser auch bei der Beklagten für eine entsprechende Position im Gespräch war sowie von der Beklagten mit der Erbringung von Dienstleistungen beauftragt war, mag die Datenweitergabe der Klägerin zwar nicht rechtfertigen, verleiht den unstreitigen Pflichtverletzungen der Klägerin insoweit jedoch nicht ein so schweres Gewicht, dass auch ohne Abmahnung von einer negativen Zukunftsprognose ausgegangen werden könnte.

(2) Unterstellt man zu Gunsten der Beklagten, dass sich die Memoranden vom 02.06.2016, 01.07.2016 und 29.08.2016 nicht auf alle zukünftigen, sondern nur auf spezielle Beauftragungen bezogen, hat die Klägerin gegen die Beschaffungsrichtlinie verstoßen, auch sofern die spätere tatsächliche Beauftragung von den Modalitäten der ursprünglichen Genehmigung abgewichen haben mag. Aber auch insoweit ist nicht ersichtlich, woraus die Beklagte schließt, dass es trotz einer Abmahnung weiterhin zu Vertragsstörungen hätte kommen sollen. Dabei ist zu Gunsten der Klägerin zu berücksichtigen, dass die Beklagte im Hinblick auf die drei benannten Memoranden – auch wenn sich diese nicht auf alle künftigen Aufträge bezogen hätten – selbst von der verbindlichen Beschaffungsrichtlinie abgewichen ist, ohne dass diese einen Dispens überhaupt vorsehen würden. Vor diesem Hintergrund musste die Klägerin nicht damit rechnen, bei einem eigenen Verstoß (d.h. einem Verstoß ohne vorherige Zustimmung des Vorstands) gegen die Beschaffungsrichtlinie sofort und ohne vorherige Abmahnung gekündigt zu werden. Ob die Klägerin im Übrigen nicht bereits mit ihrem Vortrag zur allgemeinen Genehmigung freihändiger Vergaben durch Herrn S. einen Rechtfertigungsgrund vorgetragen hat, den die Beklagte weder qualifiziert bestritten bzw. für dessen Abwesenheit die Beklagte kein taugliches Beweisangebot unterbreitet hat, kann vor diesem Hintergrund dahin stehen.

(3) Die Klägerin hat auch insoweit gegen die Beschaffungsrichtlinie der Beklagten verstoßen, als sie – auch wenn der Umfang streitig sein mag – in nicht unerheblichem Umfang Aufträge/Verträge nicht schriftlich fixierte. Aber auch hier kann nicht ohne weitere Anhaltspunkte davon ausgegangen werden, dass die Klägerin beharrlich gegen Compliance-Vorschriften verstoßen hätte wollen. Vielmehr muss davon ausgegangen werden, dass die Klägerin – wie sie selbst einräumt – den administrativen Aufgaben nicht ausreichend Raum eingeräumt hat und/oder schlicht überfordert war. Auch insoweit hätte es zur Begründung einer negativen Zukunftsprognose einer vorherigen Abmahnung bedurft. Entsprechendes gilt für den behaupteten Verstoß gegen die sog. Drittparteienrichtlinie. Soweit der Klägerin zudem vorgeworfen wird, entgegen eines Vorstandsrundschreibens vom 27.07.2015 ohne notwendige Genehmigung des Gesamtvorstands gehandelt zu haben, kann dies ohne nähere Darlegung – insbesondere der Vorlage dieses Vorstandsrundschreibens – nicht nachvollzogen werden. Ausweislich des Vortrags der Beklagten bezieht sich das Vorstandsrundschreiben auf den Abschluss von „Beraterverträgen“. Inwieweit dieser Tatbestand durch die Beauftragung der externen Dienstleister – deren Gegenstand die Informationsgewinnung war – erfüllt gewesen sein soll, erschließt sich der Kammer nicht.

(4) Entsprechendes gilt für den (Folge-) Verstoß, die Klägerin habe Rechnungen auch ohne schriftliche Vertragsfixierung zur Zahlung freigegeben. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Vorgabe in der Beschaffungsrichtlinie im Verhältnis zum Vertragspartner kein gewillkürtes Schriftformerfordernis statuieren konnte, der Vertragsschluss somit auch rechtlich wirksam und die fehlende schriftliche Fixierung einer Auszahlung zivilrechtlich nicht hätte entgegengehalten werden können. Auch insoweit ist die Kammer überzeugt, dass die Klägerin sich – bei Vorliegen einer ordnungsgemäßen Abmahnung – zukünftig vertragsgetreu verhalten hätte.

(5) Soweit die Beklagte der Klägerin vorwirft, Rechnungen ohne entsprechende Tätigkeitsnachweise zur Zahlung freigegeben zu haben, führt dies allein noch nicht einmal zu einem Verstoß gegen die Beschaffungsrichtlinie oder sonstige Compliance-Vorschriften der Beklagten. Denn eine solche Vorgabe – keine Zahlung ohne Tätigkeitsnachweis – konnte die Kammer den von der Beklagten überlassenen Regelwerken nicht entnehmen. Dass die Klägerin Rechnungen ohne Prüfung der Erbringung der Gegenleistung – oder gar wider besseren Wissens der (teilweisen) Nichtleistung – zur Zahlung angewiesen hätte, ist eine bloße Vermutung der Beklagten, die jedenfalls eine Tatkündigung nicht rechtfertigen kann; ob die Rechnungen der Dienstleister (vollständig) leistungsunterlegt waren, ist auch nach dem Vortrag der Beklagten völlig offen. Dass und welche abgerechneten Leistungen nicht erbracht worden sein sollen, hat die Beklagte nicht dargelegt. Entsprechendes gilt für die reine Mutmaßung der Beklagten, die Durchführung der Aufträge durch die externen Dienstleister hätte den Compliance-Vorgaben insofern nicht entsprochen, als Erkenntnisse/Informationen nur auf illegale Art und Weise hätten eingeholt werden können. Auch dies ist eine bloße Mutmaßungen, die einer ausreichenden Tatsachengrundlage entbehrt. Durch welche konkreten Handlungen welche Rechtsvorschriften – erkennbar für die Klägerin – verletzt worden sein sollen, bleibt offen.

(6) Dass die Klägerin – so der Vortrag der Beklagten – im Rahmen ihrer Vernehmung durch die Kanzlei D. unzutreffende Angaben bezüglich vorhandener Tätigkeitsnachweise bzw. der Freizeichnung von Rechnungen gemacht haben soll (unverständlicherweise wurden die Vernehmungsprotokolle nicht vorgelegt), würde als Wahrnehmung berechtigter Interessen und aufgrund des Verbots der Selbstbezichtigung die ausgesprochenen Kündigungen nicht tragen.

(7) Die Beklagte kann sich schließlich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, bereits in ihrem Verhaltenskodex aus November 2012 (Ziff. 3.1, Anlagenband B6) seien für die Missachtung von Gesetzen und sonstigen bindenden Regelungen personelle Konsequenzen und Schadensersatzansprüche angedroht. Dabei mag dahinstehen, ob man eine antizipierte Abmahnung in Compliance-Vorschriften überhaupt für zulässig erachtet. Denn einen Gesetzesverstoß oder gar eine strafbare Handlung hat die Beklagte schon nicht dargelegt. Daneben erfüllt der Hinweis auf „die Missachtung von sonstigen bindenden Regelungen“ und die Androhung „personeller Konsequenzen“ weder die Hinweis-, noch die Warnfunktion einer Abmahnung.

bb) Zur Überzeugung der Kammer liegen auch nicht die Voraussetzungen für eine Verdachtskündigung vor. Insoweit fehlt es an einem ausreichenden Tatverdacht dergestalt, dass hinsichtlich einer gravierenden Pflichtverletzung der Klägerin von einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit auszugehen ist. Eine Verdachtskündigung kommt nur in Betracht, wenn dringende, auf objektiven Tatsachen beruhende schwerwiegende Verdachtsmomente vorliegen. Dabei sind an die Darlegung und Qualität der schwerwiegenden Verdachtsmomente besonders strenge Anforderungen zu stellen, weil bei einer Verdachtskündigung immer die Gefahr besteht, dass ein „Unschuldiger“ betroffen ist. Der Verdacht muss dringend sein, d. h. bei einer kritischen Prüfung muss eine auf Beweisanzeichen gestützte große Wahrscheinlichkeit für die erhebliche Pflichtverletzung gerade dieses Arbeitnehmers bestehen. Bloße auf mehr oder weniger haltbare Vermutungen gestützte Verdächtigungen reichen nicht aus (vgl. BAG, Urteil vom 29.11.2007 – 2 AZR 724/06, zitiert nach juris m. w. N.). Daneben kann sich die Beklagte aber auch nicht zur Begründung eines dringenden Verdachts auf die erstmals im Schriftsatz vom 06.10.2017 angeführten Zweifel an der Korrektheit der nunmehr überlassenen Rechnungen berufen. Denn diese weiteren Verdachtsmomente hat sie weder der Klägerin im Rahmen ihrer Anhörung, noch dem Betriebsrat mitgeteilt.

(1) Soweit die Beklagte eine Verdachtskündigung auf den Umstand stützen möchte, dass die Klägerin Rechnungen ohne die Existenz (ausreichender) Tätigkeitsnachweise freigegeben hat, ist nochmals darauf hinzuweisen, dass eine derartige vertragliche Verpflichtung zunächst nicht festgestellt werden kann. Weder der Arbeitsvertrag noch die Compliance-Regelwerke der Beklagten sehen vor, dass eine Auszahlung nur dann vorgenommen werden darf, wenn Tätigkeitsnachweise vorliegen. Gerichtsbekannt ist es in einer Vielzahl von Branchen üblich, auch nach Stundensätzen abzurechnende Leistungen ohne nähere Tätigkeitsnachweise zu begleichen. Der Auftraggeber hat regelmäßig ausreichend Möglichkeit, aufgrund der Arbeitsergebnisse – gegebenenfalls auch Zwischenberichte – die in der Rechnung angegebenen Arbeitsmengen zu überprüfen. Erscheint ihm dies nicht plausibel, steht es ihm frei, weitere Nachweise zu verlangen. Allein aus dem Vorhandensein nicht (ordnungsgemäßer) Tätigkeitsnachweise einen dringenden Verdacht annehmen zu wollen, die Klägerin habe ohne jede Prüfung oder gar trotz Kenntnis einer Nichtleistung Zahlungen freigegeben, erscheint der Kammer zu weitgehend; ob die Rechnungen (vollständig) leistungsunterlegt waren, hat die Beklagte überhaupt nicht überprüft. So hat die Beklagte ausweislich Seite 37 des Untersuchungsberichts der Kanzlei D. (Anlagenband B4) ausdrücklich auf eine Befragung der Dienstleister verzichtet und damit gerade nicht alle zumutbaren Aufklärungsmaßnahmen ergriffen. Entsprechendes gilt für den weiteren Verdachtsmoment, die Klägerin habe innerhalb kürzester Zeit eine Vielzahl von Rechnungen freigegeben, obwohl sie zu diesem Zeitpunkt nicht in ihrem Büro anwesend gewesen sei und überdies ein Telefonat geführt habe. Aufgrund der unstreitigen Tatsache, dass die Rechnungen zum Zeitpunkt der Freigabe bereits seit Monaten ausgestellt gewesen waren, erscheint die Einlassung der Klägerin nicht abwegig, sie habe diese Rechnungen bereits überprüft. Jedenfalls kann eine auf Beweisanzeichen gestützte große Wahrscheinlichkeit einer erheblichen Pflichtverletzung gerade nicht festgestellt werden. Anders wäre dies, hätte die Beklagte die Klägerin ausdrücklich vor Freigabe der Rechnungen darauf hingewiesen, dass diese zunächst überprüft würden bzw. ohne weitere Tätigkeitsnachweise eine Zahlung nicht erfolgen dürfe. Diese pauschale Behauptung hat die Beklagte – trotz Bestreitens der Klägerin – nicht näher substantiiert. Auch aus der im nachgelassenen Schriftsatz vom 06.10.2017 erwähnten E-Mail vom 16.12.2016 (Anlagenband B 27) kann derartiges nicht entnommen werden. Die Kammer kann der E-Mail überhaupt keine Berührungspunkte zu Rechnungen und/oder Tätigkeitsnachweisen entnehmen. Insgesamt kann daher ein dringender und schwerwiegender Verdacht einer erheblichen Vertragspflichtverletzung nicht festgestellt werden. Korrespondierend hierzu kommt auch die die interne Untersuchung durchführende Kanzlei D. nach umfangreichen Ermittlungen und einem 158-seitigen Untersuchungsbericht nur zum Ergebnis, es liege der Anfangsverdacht einer Untreue vor.

(2) Soweit die Beklagte im nachgelassenen Schriftsatz vom 06.10.2017 (dort insbesondere S. 14-42) weitere Unstimmigkeiten der Beauftragung/Rechnungsstellung/Freizeichnung vorträgt, mag dahinstehen, ob dies einen dringenden Tatverdacht begründen kann. Auf diesen Vortrag kann die Beklagte die Verdachtskündigung jedoch nicht stützen, da weder die Klägerin hiervon im Rahmen ihrer Anhörung vom 06.03.2017, noch der Betriebsrat in dessen Anhörung vom 06.03.2017 und/oder 13.03.2017 informiert wurden.

(2.1) Der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat nur diejenigen Gründe mitteilen, die nach seiner subjektiven Sicht die Kündigung rechtfertigen und für seinen Kündigungsentschluss maßgebend sind. Diese Gründe darf der Arbeitgeber dem Betriebsrat in der Regel aber nicht nur pauschal, schlagwort- oder stichwortartig bezeichnen. Vielmehr muss er den als maßgebend erachteten Sachverhalt unter Angabe von Tatsachen, aus denen der Kündigungsentschluss hergeleitet wird, näher beschreiben, so dass der Betriebsrat ohne zusätzliche eigene Nachforschungen in die Lage versetzt wird, die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe zu prüfen, um sich über eine Stellungnahme schlüssig zu werden. Der Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit (§ 74 BetrVG) gebietet es dem Arbeitgeber, dem Betriebsrat Informationen zu geben bzw. nicht vorzuenthalten, aufgrund derer bzw. ohne die bei ihm ein falsches Bild über den Kündigungssachverhalt entsteht. Eine bewusst und gewollt unrichtige Mitteilung der für den Kündigungsentschluss des Arbeitgebers maßgebenden Kündigungsgründe führt wegen nicht ordnungsgemäßer Anhörung des Betriebsrats zu einem fehlerhaften und damit unwirksamen Anhörungsverfahren (BAG, 18.05.1994 – 2 AZR 920/93). Nach diesem Grundsatz der subjektiven Determination ist der Betriebsrat immer dann ordnungsgemäß angehört worden, wenn der Arbeitgeber ihm die aus seiner subjektiven Sicht tragenden Umstände unterbreitet hat. Teilt der Arbeitgeber objektiv kündigungsrechtlich erhebliche Tatsachen dem Betriebsrat deshalb nicht mit, weil er darauf die Kündigung (zunächst) nicht stützen will oder weil er sie für seinen Kündigungsentschluss für unerheblich oder entbehrlich hält, dann ist die Anhörung selbst ordnungsgemäß. Eine in objektiver Hinsicht unvollständige Anhörung verwehrt es aber dem Arbeitgeber, im Kündigungsschutzprozess Gründe nachzuschieben, die über die Erläuterung des mitgeteilten Sachverhalts hinausgehen. (BAG a. a.O.).

(2.2) In den Anhörungen vom 06.03.2017 und 13.03.2017 wird dem Betriebsrat jedoch nur mitgeteilt, die Klägerin habe trotz fehlender Tätigkeitsnachweise Rechnungen freigezeichnet. Insbesondere in der Anhörung vom 13.03.2017 stellt die Beklagte entscheidend darauf ab, dass wegen dieser fehlenden Tätigkeitsnachweise der dringende Verdacht bestehe, dass die Rechnungen teilweise auch tatsächlich nicht leistungsunterlegt gewesen seien. Weitergehende Verdachtsmomente, mit Ausnahme des Freizeichnens innerhalb eines sehr kurzen Zeitraums, werden nicht mitgeteilt. Damit ist die Beklagte jedoch mit ihrem Vortrag zu weiteren Verdachtsmomenten im nachgelassenen Schriftsatz vom 06.10.2017 präkludiert.

(2.3) Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der bei ihr eingerichtete Betriebsrat auch für die Klägerin zuständig, denn die Klägerin war nicht leitende Angestellte. Die Tatbestandsvoraussetzung des § 5 Abs. 3 BetrVG hat die Beklagte nicht ausreichend dargelegt. Der Tatbestand des § 5 Abs. 3 Nr. 2 BetrVG ist offensichtlich nicht erfüllt. Im Gegensatz zu § 14 Abs. 2 KSchG müssen Einstellungs- und Entlassungsbefugnis kumulativ vorliegen. Hiervon ist auszugehen, wenn der Angestellte im Wesentlichen frei von Weisungen des Arbeitgebers über diese personellen Einzelmaßnahmen entscheiden kann; die Berechtigung muss vor allem im Innenverhältnis zum Arbeitgeber bestehen, aber auch im Außenverhältnis gelten. Abweichend von § 14 KSchG kommt es zwar auf den zeitlichen Umfang der tatsächlichen Ausübung dieser Befugnisse nicht an. Berücksichtigt man die gleichgewichtige Bedeutung von Nr. 1 und Nr. 3, darf die Einstellungs- und Entlassungsbefugnis aber nicht nur untergeordnete Bedeutung haben. Insofern genügt es nicht, dass nur vorübergehend Hilfskräfte eingestellt oder entlassen werden können. Es muss sich um eine Aufgabe handeln, die wegen der Größe bzw. der Funktion der betroffenen Arbeitnehmer für den Bestand des Unternehmens, eines Betriebs oder einer Betriebsabteilung von Bedeutung ist. Erforderlich ist also, dass – insoweit entsprechend § 14 Abs. 2 KSchG – dem Angestellten eine Personalkompetenz ggü. einer bedeutenden Anzahl von Arbeitnehmern oder gewissen Anzahl bedeutender Arbeitnehmer zusteht. Die Bedeutung der Personalverantwortung kann aus Quantität oder Qualität der Arbeitnehmer folgen, auf die sich die Einstellungs- und Entlassungsbefugnis bezieht. Qualitative Bedeutung haben Arbeitnehmer, die hoch qualifizierte Tätigkeiten mit entsprechenden Entscheidungsspielräumen ausüben, einen für das Unternehmen herausgehobenen Geschäftsbereich betreuen oder ihrerseits die ihnen nachgeordneten Arbeitnehmer selbständig einstellen und entlassen können. Umgekehrt genügt es nicht, wenn sich die Befugnis auf einen sehr begrenzten Personenkreis beschränkt, z.B. nur geringfügig oder mit untergeordneten Aufgaben Beschäftigte (vgl. Gaul in: Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 7. Aufl. 2016, § 5 BetrVG, Rn. 52 m.w.N.). Die Klägerin war als Head of Investigations zuständig für nur eine Mitarbeiterin. Einstellungen und/oder Entlassungen wurden seitens der Klägerin unstreitig nicht vorgenommen. Auch unter Berücksichtigung der kurzen bisherigen Vertragsdauer ist aus dem Vortrag der Beklagten nicht erkennbar, dass die Klägerin eine qualitativ oder quantitativ bedeutsame Personalverantwortung hatte.

Aber auch der Tatbestand des § 5 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG liegt nicht vor. Dass die Tätigkeit der Klägerin, zuständig für interne Ermittlungen mit einer ihr unterstellten Mitarbeiterin, für den Bestand und die Entwicklung der Beklagten von Bedeutung gewesen sein soll, erscheint abwegig, unbeschadet der Frage, ob die übrigen Voraussetzungen von § 5 Abs. 3 Nr. 3 BetrVG vorliegen. Ziel des § 5 Abs. 3 BetrVG ist die Herausnahme von Personengruppen aus dem Anwendungsbereich des BetrVG, die nach Art ihrer Tätigkeit und Bedeutung ihrer Funktion der Unternehmensleitung nahe stehen. Dabei muss es sich um einen beachtlichen Teilbereich unternehmerischer Gesamtaufgaben handeln; die Tätigkeit des Arbeitnehmers darf sich nicht in Aufsichts- oder Überwachungsarbeiten erschöpfen (Gaul in: Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 7. Aufl. 2016, § 5 BetrVG, Rn. 58 m.w.N.). Ein Rückgriff auf § 5 Abs. 4 BetrVG scheidet schließlich aus, soweit Zweifel bei der Anwendung von Nr. 3 nicht vorliegen.

2. Die hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Beendigungskündigungen vom 09.03.2017 und 16.03.2017 sind sozial nicht gerechtfertigt, §§ 1 Abs. 1, Abs. 2 KSchG.

a) Zwischen den Parteien fand unstreitig zum Zeitpunkt des Ausspruchs der beiden Kündigungen das Kündigungsschutzgesetz Anwendung. Die Frist zur Anrufung des Arbeitsgerichts gem. § 4 KSchG ist gewahrt.

b) Auch bei der Frage der sozialen Rechtfertigung einer verhaltensbedingten Kündigung ist nach dem vom Bundesarbeitsgericht für § 626 BGB entwickelten zweistufigen Prüfungsaufbau in der ersten Stufe zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalles die abstrakte Eignung aufweist, einen verhaltensbedingten Kündigungsgrund abzugeben (sog. Kündigungsgrund an sich). In der zweiten Stufe ist die soziale Rechtfertigung der konkreten Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles zu untersuchen und abschließend eine Interessenabwägung vorzunehmen. Die Kündigung ist nur dann erforderlich, wenn auch in der Zukunft Vertragsstörungen zu befürchten sind und keine milderen Mittel zur Verfügung stehen (vgl. HaKo-Fiebig, 3. Aufl. 2007 § 1 KSchG Rdnr. 199 ff. n. w. N.).

Kündigungsgründe sind zur Überzeugung der Kammer nicht in erheblicher Art und Weise vorgetragen worden. Insoweit kann auf die Ausführungen zur Rechtsunwirksamkeit der fristlosen Kündigungen verwiesen werden. Hinsichtlich der Verstöße gegen Compliance-Vorgaben der Beklagten wäre jedenfalls eine Abmahnung auch gegenüber einer ordentlichen Beendigungskündigung das zumutbare mildere Mittel. Ein hinreichender Tatverdacht für eine Verdachtskündigung besteht auch nach dem Vorbringen der Beklagten nicht. Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine Verdachtskündigung auch als ordentliche Kündigung nur dann sozial gerechtfertigt ist, wenn Tatsachen vorliegen, die zugleich eine außerordentliche, fristlose Kündigung gerechtfertigt hätten. Ist der Arbeitnehmer eines Verhaltens verdächtig, das selbst als erwiesenes nur eine ordentliche Kündigung zu stützen vermochte, ist dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses deshalb trotz des entsprechenden Verdachts zuzumuten (vgl. BAG, Urteil vom 21.11.2013 – 2 AZR 797/11).

3. Die Klägerin hat auch Anspruch darauf, für die Dauer des Kündigungsrechtsstreits weiterbeschäftigt zu werden. Die vom Großen Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgestellten Voraussetzungen des allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruchs (vgl. Beschluss vom 27.02.1985 – AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht) liegen vor. Die Kündigungen vom 09.03.2017 und 16.03.2017 sind – sowohl als fristlose als auch als ordentliche – unwirksam. Die Interessenabwägung fällt daher zu Gunsten der Klägerin aus, weil besondere Umstände, aus denen sich im Einzelfall ein überwiegendes Interesse der Beklagten an der Nichtbeschäftigung der Klägerin ergeben könnte, nicht vorliegen. Ein strafbares oder die Beklagte schädigendes Verhalten der Klägerin bzw. ein dringender Verdacht hat sich im Rechtsstreit eben nicht bestätigt und kann daher auch keinen Umstand bilden, der das Interesse der Klägerin an der Weiterbeschäftigung überwiegt. Hinsichtlich der Einhaltung der Richtlinien der Beklagten bezüglich der Vergabe von Untersuchungsdienstleistungen dürfte die Klägerin nunmehr hinreichend sensibilisiert sein.

III.

Die Kostenentscheidung folgt dem vollständigen Unterliegen der Beklagten, §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 91 ZPO. Die Rücknahme des allgemeinen Feststellungsantrags bleibt entsprechend §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO unberücksichtigt.

Gründe für eine gesonderte Berufungszulassung i.S.d. § 64 Abs. 3 ArbGG liegen nicht vor. Der Statthaftigkeit der Berufung kraft Gesetzes gem. §§ 64 Abs. 2 b), c) ArbGG steht der Ausspruch im Tenor nicht entgegen.

 

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