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Vergütungsanspruch bei Freistellung wegen fehlender SARS-CoV-2-Impfung

ArbG Gießen – Az.: 5 Ca 119/22 – Urteil vom 08.11.2022

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 7.546,98 EUR festgesetzt.

Die Berufung wird nicht zugelassen. Die Statthaftigkeit der Berufung nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes bleibt davon unberührt.

Zusammenfassung

Zwischen dem Kläger und der Beklagten besteht ein Rechtsstreit über den Anspruch des Klägers auf Entschädigung während seiner Freistellung von der Arbeit. Der Kläger war als Wohnbereichsleiter in einem von der Beklagten betriebenen Seniorenheim tätig, wurde aber von der Arbeit freigestellt, weil er nicht gegen COVID-19 geimpft war. Der Kläger macht geltend, dass er nicht gesetzlich verpflichtet war, sich impfen zu lassen, und dass die Beklagte kein Recht hatte, ihn von der Arbeit freizustellen. Er fordert von der Beklagten die Zahlung von Entgelt für den Zeitraum seiner Freistellung. Die Beklagte argumentiert, dass nach dem Gesetz nur geimpfte oder genesene Personen in Seniorenheimen arbeiten dürfen und die Freistellung des Klägers zum Schutz der Gesundheit der Bewohner notwendig war. Das Gerichtsverfahren umfasst mehrere Schadensersatzforderungen des Klägers und eine Widerklage des Beklagten. Der Kläger hatte zuvor versucht, eine einstweilige Verfügung und eine separate Klage zu erwirken, um seinen Arbeitsplatz zu behalten, was jedoch erfolglos blieb. Der Kläger hat seine Hauptklage zurückgezogen, weil sein Arbeitsverhältnis bereits beendet war.

Die Klage wurde abgewiesen, da der Kläger aufgrund seiner Freistellung von der Beklagten keinen Anspruch auf Vergütung für den Zeitraum vom 16. März 2022 bis zum 31. August 2022 hat. Der Kläger hat in diesem Zeitraum keine Arbeitsleistung erbracht, da er aufgrund seiner fehlenden vollständigen Immunisierung gemäß dem Gesundheits- und Hygienekonzept der Beklagten nicht mehr in ihren Einrichtungen beschäftigt werden durfte. Der Kläger hatte somit keinen Anspruch auf Vergütung gemäß § 611a BGB für geleistete Arbeit. Auch lagen die Voraussetzungen für Anspruch aus Annahmeverzug gemäß § 615 BGB nicht vor, da die Beklagte nicht im Annahmeverzug war, da der Kläger zu diesem Zeitpunkt nicht leistungswillig war.

Gemäß § 20a IfSG müssen Personen, die in voll- oder teilstationären Einrichtungen zur Betreuung und Unterbringung älterer, behinderter oder pflegebedürftiger Menschen oder in vergleichbaren Einrichtungen tätig sind, ab dem 15. März 2022 über einen Impf- oder Genesenennachweis verfügen. Die Entscheidung der Beklagten, ungeimpfte Personen zum Schutz der in dem von ihr betriebenen Seniorenheim betreuten Personen tatsächlich nicht zu beschäftigen, ist nicht zu beanstanden. Das von der Beklagten zu vermeidende Risiko einer Beschädigung von Leib und Leben der Bewohnerinnen und Bewohner des von der Beklagten betriebenen A wiegt dabei schwerer als die von dem Kläger hinzunehmenden Nachteile seiner Nichtbeschäftigung.

Der Vergütungsanspruch des Klägers für die Zeit der Freistellung würde dem Zweck des § 20a IfSG vollkommen zuwiderlaufen. Ein Anreiz zur Impfung, der durch den § 20a IfSG geschaffen werden sollte, würde komplett entfallen, wenn die Freistellung ungeimpfter Personen lediglich bei Aufrechterhaltung des Vergütungsanspruchs möglich wäre. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits gemäß §§ 46 Abs. 2 ArbGG i.v.m. 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu tragen. Die Berufung wurde nicht zugelassen, da die Rechtssache nach Überzeugung der Kammer keine grundsätzliche Bedeutung hat und auch sonst kein Fall des § 64 Abs. 3 ArbGG gegeben ist.

Tatbestand

Die Parteien streiten über den Vergütungsanspruch des Klägers für die Zeit seiner Freistellung.

Der Kläger ist am xx.xx.1992 geboren und alleinerziehender Vater von 2 Töchtern im Alter von 1 und 2 Jahren. Er ist mit schriftlichem Arbeitsvertrag vom 9. Oktober 2020 seit dem 1. November 2020 bei der Beklagten als Wohnbereichsleiter in deren Seniorenheim tätig. Die durchschnittliche monatliche Bruttovergütung des Klägers beträgt 3.600,00 Euro. Wegen der Einzelheiten des schriftlichen Arbeitsvertrages wird auf Bl. 8 bis 17 d. A. verwiesen.

Bei dem Seniorenheim handelt es sich um eine vollstationäre, nach § 72 SGB IX zugelassene Pflegeeinrichtung zur Betreuung und Unterbringung älterer und pflegebedürftiger Menschen.

Der Kläger ist nicht gegen SARS-CoV-2 geimpft. Er hat der Beklagten weder einen Impf- noch einen Genesenennachweis vorgelegt und bei ihm liegt auch keine medizinische Kontraindikation vor, die einer Impfung entgegensteht.

Mit Schreiben vom 14. März 2022 stellte die Beklagte den Kläger ab dem 16. März 2022 bis auf weiteres widerruflich von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung frei, längstens bis zum 31. Dezember 2022. In ihrem Schreiben führt die Beklagte aus, dass der Hintergrund der Freistellung der Umstand sei, dass nach § 20 a Abs. 1 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) Personen, die in Pflegeeinrichtungen oder ambulanten Pflegediensten tätig sind, ab dem 15. März 2022 grundsätzlich geimpft oder genesen sein müssen. Wegen des genauen Inhaltes des Schreibens wird auf Bl. 18 und 19 d. A. verwiesen.

Der Kläger forderte die Beklagte mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 16. März 2022 erfolglos auf, die Freistellung zu widerrufen und bot der Beklagten seine Arbeitskraft an. Die Beklagte hat dem Kläger für die Zeit der Freistellung keine Vergütung gezahlt.

Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien endete aufgrund einer Kündigung von Seiten des Klägers mit Ablauf des 31. August 2022.

Der Kläger hat seit dem 16. März 2022 für die Dauer der Freistellung Leistungen der Bundesagentur für Arbeit in Höhe von 1.621,50 Euro netto monatlich erhalten.

Der Kläger ist der Auffassung, die Beklagte sei verpflichtet, ihn nach Maßgabe des Arbeitsvertrages zu beschäftigen, jedenfalls aber für die Zeit der Freistellung zu vergüten. § 20a Abs. 3 Infektionsschutzgesetz (IfSG) normiere ausdrücklich nur für diejenigen ungeimpften Beschäftigten ein Tätigkeitsverbot, die ab dem 16. März 2022 erstmals dort tätig sein sollen. Für diejenigen Beschäftigten, die schon vor dem 16. März 2022 in der Einrichtung tätig gewesen sind, ergebe sich weder ein Verbot noch ein Nichtdürfen oder eine Unmöglichkeit. Die Beklagte habe lediglich dem Gesundheitsamt den Impfstatus des Klägers mitteilen müssen, damit dieses eine Entscheidung über ein etwaiges Betretungs- und/oder Beschäftigungsverbot treffen könne. Zu der den Kläger benachteiligenden Freistellungsmaßnahme sei sie demgegenüber nicht berufen gewesen. Die Freistellung sei auch nicht von dem arbeitgeberseitigen Direktionsrecht gedeckt. Die Beklagte sei nicht berechtigt, so ultimativ in das Privatleben des Klägers hineinzuregieren, dass sie dem Kläger vorgeben könnte, sich impfen zu lassen. Mit der Impfung gehe ein nicht zu verkennendes Risiko einher, weil es sich bei den Vakzinen um nur bedingt zugelassene Impfstoffe handelt. Im Übrigen sei zu berücksichtigen, dass zum Zeitpunkt Zustandekommens und Inkrafttretens des § 20a IfSG noch keine derart eindeutige Kenntnis darüber vorgelegen habe, dass der Impfung kein relevanter Fremdschutz zukomme.

Der Kläger behauptet, seine Freistellung habe zur Folge, dass die bedürfnisorientierte Betreuung und die Versorgung der Bewohnerinnen und Bewohner bei ohnehin schon angespannter Personalsituation extrem eingeschränkt seien. Im Übrigen böte eine Impfung keinen relevanten Fremdschutz. Er sei bei der Beklagten täglich und damit häufiger als die geimpften Beschäftigten getestet worden. Durch diese täglichen Testungen und das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes sei nicht zu erwarten, dass von ihm eine Infektionsgefahr ausgehe, insbesondere keine solche, die auch von einer geimpften Person ausgehen könnte.

Mit seiner am 12. Mai 2022 beim Arbeitsgericht eingegangenen, der Beklagten am 18. Mai 2022 zugestellten Klage beantragt der Kläger,

1. die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger eine berichtigte Gehaltsabrechnung für März 2022 über 3.600,00 EUR brutto zu erteilen und den sich daraus noch restlich rückständigen Lohn in Höhe von 1.887,88 EUR netto abzüglich von der Bundesagentur für Arbeit gezahlter 432,40 EUR netto, mithin 1.455,48 EUR netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 01. April 2022 zu zahlen,

2. die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger eine Abrechnung für April 2022 über 3.600,00 EUR brutto zu erteilen und dem Kläger den sich daraus ergebenden Lohn in Höhe von 2.623,80 EUR netto abzüglich von der Bundesagentur für Arbeit gezahlter 1.621,50 EUR netto, mithin 1.002,30 EUR netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 01. Mai 2022 zu zahlen,

3. die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger eine Abrechnung für Mai 2022 über 3.600,00 EUR brutto zu erteilen und dem Kläger den sich daraus ergebenden Lohn in Höhe von 2.623,80 EUR netto abzüglich von der Bundesagentur für Arbeit gezahlter 1.621,50 EUR netto, mithin 1.002,30 EUR netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 01. Juni 2022 zu zahlen,

4. die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger eine Abrechnung für Juni 2022 über 3.600,00 EUR brutto zu erteilen und dem Kläger den sich daraus ergebenden Lohn in Höhe von 2.623,80 EUR netto abzüglich von der Bundesagentur für Arbeit gezahlter 1.621,50 EUR netto, mithin 1.002,30 EUR netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 01. Juli 2022 zu zahlen,

5. die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger eine Abrechnung für Juli 2022 über 3.600,00 EUR brutto zu erteilen und dem Kläger den sich daraus ergebenden Lohn in Höhe von 2.623,80 EUR netto abzüglich von der Bundesagentur für Arbeit gezahlter 1.621,50 EUR netto, mithin 1.002,30 EUR netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 01. August 2022 zu zahlen,

6. die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger eine Abrechnung für August 2022 über 3.600,00 EUR brutto zu erteilen und dem Kläger den sich daraus ergebenden Lohn in Höhe von 2.623,80 EUR netto abzüglich von der Bundesagentur für Arbeit gezahlter 1.621,50 EUR netto, mithin 1.002,30 EUR netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01. September 2022 zu zahlen,

Die Beklagte beantragt, den Antrag zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, § 20a Abs. 1 IfSG normiere ausdrücklich eine Tätigkeitsvoraussetzung, nach der nur Geimpfte und Genesene in den benannten Einrichtungen tätig werden dürften. Ein Einsatz ungeimpfter Beschäftigter dürfe nicht erfolgen. Dies ergebe sich auch aus der Systematik des Gesetzes, das zwischen dem in § 20a Abs. 1 IfSG geregelten gesetzlichen Tätigkeitsverbot, welches an den Impf- und Genesenenstatus anknüpfe, und der Pflicht zur Vorlage des Impf- und Genesenennachweises in § 20a Abs. 2-5 IfSG unterscheide. Mangels Vorliegens der gesetzlichen Tätigkeitsvoraussetzung des § 20a Abs. 1 IfSG durch die Klägerin liege eine Unmöglichkeit der Arbeitsleistung vor, die zu einem Wegfall des Vergütungsanspruchs des Klägers führe. Unabhängig hiervon fehle dem Kläger die Fähigkeit, seine Arbeit unter den vertraglichen Bedingungen zu erfüllen, weil die Beschäftigung ungeimpfter Personen dem von der Beklagten in Erfüllung des § 20a IfSG angepassten Gesundheits- und Hygienekonzept entgegenstehe.

Die Freistellung des Klägers wäre überdies auch ungeachtet des § 20a IfSG aus überwiegend schutzwerten Interessen der Beklagten gerechtfertigt. Das Wohlergehen und die Gesundheit der Bewohner des A seien schützenswerte Güter, welche sie unbedingt zu wahren habe.

Wegen des Parteivorbringens im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Der Kläger hat seinen Anspruch auf Beschäftigung sowohl mit einem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung (Az. 5 Ga 1/22) als auch in einem Hauptsacheverfahren (5 Ca 93/22) gerichtlich geltend gemacht. Das Arbeitsgericht Gießen hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung mit Urteil vom 12. April 2022 abgewiesen. Die hiergegen eingelegte Berufung wurde mit Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 11. August 2022 – 5 SaGa 728/22 – zurückgewiesen. In dem Hauptsacheverfahren hat der Kläger seine Klage im Kammertermin vom 8. November 2022 aufgrund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zurückgenommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist unbegründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung der Vergütung für die Zeit seiner Freistellung vom 16. März 2022 bis zum 31. August 2022.

Der Kläger hat in dieser Zeit aufgrund der von der Beklagten ausgesprochenen Freistellung keine Arbeitsleistung erbracht. Mithin ist ein Vergütungsanspruch gem. § 611a BGB für geleistete Arbeit nicht gegeben.

Ebenso wenig liegen die Voraussetzungen für Anspruch aus Annahmeverzug gem. § 615 BGB vor. Die Beklagte befand sich ab dem 16. März 2022 nicht im Annahmeverzug. Der Kläger war zu diesem Zeitpunkt nicht leistungswillig, § 297 BGB.

Nach § 615 Satz 1 BGB kann der Verpflichtete für die infolge des Verzugs nicht geleisteten Dienste die vereinbarte Vergütung verlangen, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein, wenn der Dienstberechtigte mit der Annahme der Dienste in Verzug kommt. Er muss sich gem. § 615 Satz 2 BGB jedoch dasjenige anrechnen lassen, was er infolge des Unterbleibens der Dienstleistung erspart. Die Voraussetzungen des Annahmeverzuges richten sich nach den §§ 293 ff. BGB.

Nach dieser Vorschrift kommt die Arbeitgeberin nicht in Annahmeverzug, wenn der Arbeitnehmer außer Stande ist, die Arbeitsleistung zu bewirken. Neben der (tatsächlichen oder rechtlichen) Leistungsfähigkeit umfasst § 297 BGB auch die nicht ausdrücklich genannte Leistungswilligkeit. Dies folgt daraus, dass ein leistungsunwilliger Arbeitnehmer sich selbst außer Stande setzt, die Arbeitsleistung zu bewirken. Die objektive Leistungsfähigkeit und der subjektive Leistungswille sind von dem Leistungsangebot und dessen Entbehrlichkeit unabhängige Voraussetzungen, die während des gesamten Annahmeverzugszeitraums vorliegen müssen (vgl. BAG, Urteil vom 17. August 2011 – 5 AZR 251/10 – AP Nr. 126 zu § 615 BGB – juris).

Der Kläger war in dem Zeitraum, für den er Anspruch auf Vergütung erhebt, nicht leistungsfähig, die arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit zu erbringen. Aufgrund seiner fehlenden vollständigen Immunisierung konnte er diese aufgrund des bei der Beklagten vorliegenden Gesundheits- und Hygienekonzeptes, nach dem 15. März 2022 entsprechend der gesetzlichen Wertung des § 20a IfSG in ihren Einrichtungen keine ungeimpften Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mehr zu beschäftigen, nicht mehr verrichten.

Das Gesundheits- und Hygienekonzept der Beklagten ist nicht zu beanstanden und entspricht der Systematik des § 20a Abs. 1 IfSG.

Nach § 20a IfSG müssen u.a. Personen, die in voll- oder teilstationären Einrichtungen zur Betreuung und Unterbringung älterer, behinderter oder pflegebedürftiger Menschen oder in vergleichbaren Einrichtungen tätig sind, ab dem 15. März 2022 über einen Impf- oder Genesenennachweis nach § 22 a Absatz 1 oder Absatz 2 IfSG verfügen.

Hierin kommt der Wille des Gesetzgebers zum Ausdruck, dass in den genannten Einrichtungen grundsätzlich keine Personen beschäftigt werden sollen, die nicht geimpft oder genesen sind.

Zwar ist ein ausdrückliches Beschäftigungsverbot nur in § 20a Abs. 3, S. 4 und 5 IfSG für diejenigen Personen vorgesehen, die ab dem 16. März 2022 in den genannten Einrichtungen tätig werden sollen und über keinen Impf- oder Genesenennachweis verfügen oder diesen nicht vorlegen. Hierbei handelt es sich um Personen, die ab dem 16. März 2022 erstmalig tätig werden sollen, also nicht um Personen, die bereits vor dem 16. März 2022 in den Einrichtungen beschäftigt sind. Bezüglich der bereits in den Einrichtungen beschäftigten Personen ist in § 20a Abs. 2 IfSG zunächst lediglich die Verpflichtung der Arbeitgeberin normiert, dem Gesundheitsamt bei Nichtvorlage eines Impf- oder Genesenennachweises die entsprechenden personenbezogenen Daten zu übermitteln.

Entgegen der Auffassung des Klägers, lässt sich aber daraus im Umkehrschluss gerade nicht entnehmen, dass bereits beschäftigte ungeimpfte Personen zwingend tatsächlich zu beschäftigen sind. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber vermeiden wollte, dass mit einem zwingenden Beschäftigungsverbot für ungeimpfte, bereits in den Einrichtungen beschäftigte Personen die Funktionsfähigkeit der Einrichtungen unter Umständen nicht mehr gegeben ist. Dies ändert jedoch nichts an der gesetzlichen Wertung, die § 20a IfSG zugrunde liegt, dass vulnerable Personen, zu denen insbesondere die Bewohnerinnen und Bewohner von A gehören, vor einer Ansteckung mit dem SARS-CoV2-Virus geschützt werden sollen, was u. a. damit gewährleistet werden soll, dass grundsätzlich keine ungeimpften Personen in den Einrichtungen zum Einsatz kommen sollen. Im Hinblick auf die bereits beschäftigten, ungeimpften Personen ergibt sich daraus, dass die Arbeitgeberin eben nicht an deren Freistellung gehindert ist.

In dem Gesetzentwurf (BT-Drs. 20/188) wird hierzu insbesondere folgendes ausgeführt:

„Dem Personal in den Gesundheitsberufen und Berufen, die Pflegebedürftige und Menschen mit Behinderungen betreuen, kommt eine besondere Verantwortung zu, da es intensiven und engen Kontakt zu Personengruppen mit einem hohen Risiko für einen schweren, schwersten oder gar tödlichen COVID-19 Krankheitsverlauf hat. Ein verlässlicher Schutz vor dem Coronavirus SARS-CoV-2 durch eine sehr hohe Impfquote bei dem Personal in diesen Berufen ist besonders wichtig, denn so wird das Risiko gesenkt, dass sich die besonders vulnerablen Personengruppen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 infizieren.“ (S. 28)

„Zum Schutz der öffentlichen Gesundheit und vulnerabler Personengruppen vor einer COVID-19-Erkrankung wird vorgesehen, dass in bestimmten Einrichtungen und Unternehmen tätige Personen geimpft oder genesen sein oder ein ärztliches Zeugnis über das Bestehen einer Kontraindikation gegen eine Impfung gegen COVID-19 besitzen müssen.“ (S. 30)

„Geimpfte und genesene Personen werden seltener infiziert und werden somit auch seltener zu Überträgern des Coronavirus SARS-CoV-2. Zudem sind sie, wenn sie trotz Impfung infiziert werden sollten, weniger bzw. für einen kürzeren Zeitraum infektiös. Das Risiko, das von Geimpften oder Genesenen ausgeht, ist somit deutlich geringer als bei Personen, die über keine Immunisierung aufgrund eines vollständigen Impfschutzes oder einer durchgemachten Infektion verfügen. In bestimmten Settings, z. B. in Krankenhäusern oder Pflegeeinrichtungen, halten sich typischerweise eine Vielzahl von besonders vulnerablen Personen auf. Diese sind regelmäßig aufgrund ihrer gesundheitlichen Verfassung im Hinblick auf eine Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 besonders gefährdet und tragen unter Umständen ein erhöhtes Risiko für schwere Verläufe. (…) Daher wird für solche Einrichtungen und Unternehmen, in denen sich typischerweise eine Vielzahl von besonders vulnerablen Personen aufhalten oder die von diesen Einrichtungen und Unternehmen versorgt werden, vorgeschrieben, dass dort tätige Personen geimpft oder genesen sein müssen oder ein ärztliches Zeugnis über das Bestehen einer Kontraindikation gegen eine Impfung gegen COVID-19 besitzen.“ (S. 37)

Die Entscheidung der Beklagten, ungeimpfte Personen zum Schutz der in dem von ihr betriebenen Seniorenheim betreuten Personen tatsächlich nicht zu beschäftigen, ist nicht zu beanstanden. Das von der Beklagten zu vermeidende Risiko einer Beschädigung von Leib und Leben der Bewohnerinnen und Bewohner des von der Beklagten betriebenen A wiegt dabei schwerer als die von dem Kläger hinzunehmenden Nachteile seiner Nichtbeschäftigung.

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts steht es der Arbeitgeberin grundsätzlich frei, im Rahmen der Pandemiebekämpfung auch über die gesetzlichen Vorgaben hinausgehende eigene Regelungen zu treffen, soweit sich diese bei der vorzunehmenden Interessenabwägung unter Berücksichtigung der Interessen aller Beteiligten als verhältnismäßig und interessengerecht erweisen (vgl. BAG, Urteil vom 1. Juni 2022 – 5 AZR 28/22 – juris). Wie bereits ausgeführt, überwiegt das Nichtbeschäftigungsinteresse der Beklagten aufgrund der besonderen Schutzwürdigkeit der in ihren Einrichtungen lebenden Menschen, die im Rahmen des Pandemiegeschehens zu den besonders vulnerablen Gruppen gehören, das Beschäftigungsinteresse des Klägers.

Die dadurch vorliegende Berechtigung der Beklagten zur Freistellung des Klägers schlägt sich auch auf den Vergütungsanspruch durch. Ein Vergütungsanspruch für die Zeit der Freistellung liefe dem Zweck des § 20a IfSG vollkommen zuwider. Ein Anreiz zur Impfung, der durch den § 20a IfSG geschaffen werden sollte, würde komplett entfallen, wenn die Freistellung ungeimpfter Personen lediglich bei Aufrechterhaltung des Vergütungsanspruchs möglich wäre. Im Gegenteil würde dadurch vielmehr ein Anreiz geschaffen, die Impfung nicht vornehmen zu lassen, was dem Zweck des Gesetzes gänzlich zuwiderlaufen würde (vgl. ArbG Köln, Urteil vom 21. Juli 2022 – 8 Ca 1779/22 – juris).

Als unterliegende Partei hat der Kläger die Kosten des Rechtsstreits gemäß §§ 46 Abs. 2 ArbGG i.v.m. 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu tragen.

Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht gem. §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 3 ZPO auf den geltend gemachten Zahlungsansprüchen.

Die Berufung war nicht zuzulassen, da die Rechtssache nach Überzeugung der Kammer keine grundsätzliche Bedeutung hat und auch sonst kein Fall des § 64 Abs. 3 ArbGG gegeben ist.

 

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