Skip to content

Vergütungserwartung Arbeitnehmer – Anspruch Unterhaltsschadensersatz

ArbG Stuttgart – Az.: 10 Ca 174/21 – Urteil vom 28.10.2021

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Der Urteilsstreitwert wird auf 262.800,00 Euro festgesetzt.

4. Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin verlangt als Erbin ihres verstorbenen Ehemanns von der Beklagten als dessen Arbeitgeber die Bezahlung von Überstunden und nimmt die Beklagte auf Zahlung eines ihr entstandenen bzw. entstehenden Unterhaltsschadens infolge des Todes des Ehemanns, den die Beklagte verursacht habe, in Anspruch.

Der Ehemann der Klägerin (künftig: Erblasser) trat in ein Arbeitsverhältnis zur Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin zum 1. September 1999 ein. Unter dem Datum 8. / 12. September 2003 vereinbarten die Arbeitsvertragsparteien, dass dem Erblasser ab dem 1. Januar 2004 die Position „Director Purchasing“ (Leiter Einkauf) übertragen wird. Der Arbeitsvertrag sieht dabei ua. das Folgende vor:

„…

BEZÜGE / ARBEITSZEIT

2.1

Für Ihre Tätigkeit ist mit Wirkung vom 01. Januar 2004 ein Brutto-Jahresgrundgehalt von 118.000,00 Euro vereinbart – zahlbar in 12 Monatsraten jeweils bargeldlos am Monatsende.

2.2

Ihre Vergütung wird in angemessenen Abständen einer individuellen Überprüfung unterzogen. Die Vergütung wird gegebenenfalls unter Berücksichtigung Ihrer persönlichen Leistung, der allgemeinen Entwicklung der Lebenshaltungskosten und der Ertragslage des Unternehmens angemessen angepasst. Ein Rechtsanspruch auf eine Anpassung besteht jedoch nicht.

2.3

Sie gehören zu den Führungskräften, an die – ohne Rechtsanspruch – bei fortbestehendem Arbeitsverhältnis ein Bonus (A‘) nach Ablauf des Geschäftsjahres zur Auszahlung gelangen kann. Dieser richtet sich nach der Ertragslage des Unternehmens und wird entsprechend Ihrer persönlichen Leistung und Ihrer Position festgelegt. Andererseits wird erwartet, dass Sie im Bedarfsfall zur Mehrarbeit über die betrieblich vorgesehene Arbeitszeit – derzeit 40 Stunden/Woche – hinaus ohne besondere Vergütung bereit sind.

ERLÖSCHEN VON ANSPRÜCHEN

Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis sind innerhalb von 3 Monaten nach ihrer Fälligkeit geltend zu machen.

13.2

Die Geltendmachung nach Ablauf der in 13.1 festgesetzten Frist ist ausgeschlossen.

13.3

Ist ein Anspruch rechtzeitig erhoben worden und lehnt die andere Seite seine Erfüllung ab, so ist der Anspruch innerhalb von 3 Monaten nach Zugang der Ablehnung gerichtlich geltend zu machen. Eine spätere Geltendmachung ist ausgeschlossen.

…“

Zuletzt erzielte der Erblasser eine Vergütung von 12.969,00 Euro brutto monatlich.

Zur Erfüllung seiner Aufgaben unternahm der Erblasser regelmäßig Dienstreisen. Die letzte Dienstreise fand vom 6. bis zum 8. Dezember 2018 nach P. statt. Unmittelbar vor dem Antritt der Dienstreise führte der Kläger und der Geschäftsführer der Beklagten, Herr K., ein Gespräch, bei dem es auch um den gesundheitlichen Zustand des Erblassers ging. Der Geschäftsführer stellte es dem Erblasser dabei frei, die Geschäftsreise nicht anzutreten, wenn er sich hierzu nicht in der Lage fühle. Der Erblasser erklärte daraufhin, dass er sich zur Durchführung der Dienstreise in der Lage fühle. Der Geschäftsführer erklärte dem Erblasser zudem, er solle jedenfalls nach Beendigung der Dienstreise eine Woche Urlaub nehmen. Unmittelbar nach Rückkehr von der Dienstreise begab sich der Erblasser in ärztliche Behandlung und wurde in unmittelbaren zeitlichen Anschluss stationär zur Krankenhausbehandlung aufgenommen. Am 0.0.2019 verstarb der Erblasser.

Mit ihrer am 15. Februar 2021 beim Arbeitsgericht Stuttgart, Kammern Ludwigsburg, eingereichten und später erweiterten Klage verlangt die Klägerin die Vergütung von Überstunden als ein auf sie als Erbin übergegangenen Anspruch. Zudem habe die Beklagte ihr den Schaden zu ersetzen, welcher ihr dadurch entstanden sei bzw. entstehe, dass der Erblasser keine Unterhaltsleistungen mehr erbringen könne.

Die Klägerin behauptet im Wesentlichen, ihr Mann sei lediglich zur Leistung von 39 Stunden pro Woche verpflichtet gewesen, habe aber auf Anweisung der Beklagten regelmäßig 60 Stunden wöchentlich gearbeitet; es sei von 94 Überstunden pro Monat auszugehen. Die Beklagte habe vom Erblasser im Übermaß Überstunden abgefordert; dieser habe unter permanenten Arbeitsdruck und Arbeitsüberlastung weder im Urlaub noch am Wochenende Freizeit gehabt. Monatlich habe ihrem Ehemann – ausgehend von einem Bruttoarbeitsentgelt von 74,00 Euro pro Stunde – eine zusätzliche Vergütung von 6.900,00 Euro zugestanden, welche nicht bezahlt worden sei. Für das letzte Jahr des Arbeitsverhältnisses – welches die Klägerin im Kammertermin mit dem Zeitraum vom 9. Dezember 2017 bis 8. Dezember 2018 näher bestimmt hat – mache sie im Wege einer abschließenden Gesamtforderung 82.800,00 Euro geltend. Zudem habe die Beklagte für die entfallenen Unterhaltsleistungen durch den Erblasser einzustehen – die Klägerin gehe hierbei von jährlich 30.000,00 Euro aus. Der Erblasser habe in den letzten 10 Jahren unverhältnismäßig viele Überstunden geleistet, was sich ua. auch daran gezeigt habe, dass er ständig habe erreichbar und verfügbar sein müssen. An einem normalen Arbeitstag sei ihr Mann üblicherweise erst gegen 21:00 Uhr nach Hause gekommen. Auch sei es zur Normalität geworden, dass Geschäftsreisen – auch spät abends – nach einem vollen Arbeitstag angetreten oder auf das Wochenende gelegt worden seien. Am folgenden Montag habe ihr Mann dann – ohne Freizeitausgleich – wieder normal arbeiten müssen. Auch im Urlaub habe ihr Mann bis in die Nacht gearbeitet, Emails beantwortet oder Telefonate geführt. Unmittelbar vor der letzten Dienstreise habe ihr Mann mit dem Geschäftsführer ein Gespräch über seinen gesundheitlichen Zustand geführt, wobei der Geschäftsführer den Ehemann gefragt habe, ob mit ihm etwas nicht stimme. Obwohl dem Geschäftsführer bekannt gewesen sei, dass es ihrem Ehemann nicht gut gegangen sei, sei die Dienstreise nicht verlegt worden. Die Klägerin habe sich bereits vor der Dienstreise große Sorgen gemacht, die sich nach Reiserückkehr bestätigt hätten. Sie habe daraufhin mit dem Geschäftsführer Kontakt aufgenommen und von dem mit dem Ehemann vor Reiseantritt geführten Gespräch Kenntnis erlangt. Der Geschäftsführer habe auch eingeräumt, dass ihm schon länger Verhaltensänderungen und Schwierigkeiten (beim Gehen im Büro) aufgefallen seien, weshalb er den Ehemann auch auf etwaig bestehende Alkoholprobleme angesprochen habe. Alkoholprobleme habe es jedoch niemals gegeben. Bereits im Sommer 2018 habe sie mit Vertretern der Beklagten ein Gespräch über Verhaltensauffälligkeiten beim Ehemann geführt. Spätestens jedoch im Dezember 2018 sei der Ehmann nachweislich erkrankt und der Beklagten der Gesundheitszustand bekannt gewesen. Die Beklagte habe gegen ihre Fürsorgepflicht verstoßen, indem sie zahlreiche Überstunden, Dienstreisen und Termine angeordnet und in Kenntnis des Gesundheitszustands die Arbeitsleistung des Ehemanns entgegengenommen habe. Die Beklagte habe Gewinnmaximierung auf Kosten der Gesundheit des Ehemanns und unter Missachtung der gesetzlichen Regelungen zum Arbeitszeitgesetz und zum Arbeitsschutz betrieben. Entgegen ihrer Fürsorgepflicht habe es die Beklagte verabsäumt, in einer angemessenen und den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden Weise für Entlastung zu sorgen.

Die Klägerin beantragt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin gegenüber die geleisteten Überstunden in Höhe des Bruttobetrages von 82.800 Euro abzurechnen und den sich ergebenden Nettobetrag an die Klägerin auszuzahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt an die Klägerin 180.000 Euro zuzüglich 5 % Zinsen über dem Basisdiskontsatz seit 16. Juli 2021 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte macht im Wesentlichen geltend, der Erblasser habe weder die behaupteten Überstunden geleistet noch seien etwaige Überstunden angeordnet oder geduldet worden. Ungeachtet dessen, habe der Erblasser eine deutlich gehobene Vergütung zzgl. eines Bonus erhalten, weshalb es an einer Erwartung zur Vergütung von Überstunden gefehlt habe. Auch seien etwaige Ansprüche infolge der arbeitsvertraglichen Ausschlussfrist verfallen. Gegen ihre Fürsorgepflichten habe die Beklagte zu keinem Zeitpunkt verstoßen.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens im Einzelnen wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und auf die Protokolle der mündlichen Verhandlungen vom 28. April und 28. Oktober 2021 verwiesen.

Entscheidungsgründe

A. Die Klage hat keinen Erfolg. Der Klägerin steht weder ein Anspruch auf Überstundenvergütung aus übergegangenem Recht noch ein eigener Schadensersatzanspruch infolge des Versterbens des unterhaltspflichtigen Ehemanns zu.

I. Die Klageanträge sind allerdings nach gebotener Auslegung zulässig.

1. Entgegen des Wortlauts des Antrags Ziffer 1 ist dieser kein unbestimmter Zahlungsantrag gerichtet auf Auszahlung eines nicht bezifferten Nettobetrags, sondern gerichtet auf Zahlung von 82.800,00 Euro brutto.

a) Gerichte haben Prozessanträge soweit wie möglich rechtsschutzgewährend auszulegen (vgl. BAG 21. Mai 2019 – 9 AZR 260/18 – Rn. 15, AP BUrlG § 7 Nr. 88). Bei der Auslegung von Prozesshandlungen ist zu beachten, dass die Vorschriften des Verfahrensrechts nicht Selbstzweck sind (vgl. BAG 19. November 2015 – 6 AZR 559/14 – Rn. 16, BAGE 153, 271). Klageanträge sind so auszulegen, dass im Zweifel gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der richtig verstandenen Interessenlage entspricht. Für das Verständnis eines Klageantrags ist deshalb nicht am buchstäblichen Wortlaut des Antrags zu haften. Das Gericht hat den erklärten Willen zu erforschen, wie er aus der Klagebegründung, dem Prozessziel und der Interessenlage hervorgeht. Die für Willenserklärungen geltenden Auslegungsregeln (§§ 133, 157 BGB) sind für die Auslegung von Klageanträgen heranzuziehen. Die Grenzen der Auslegung oder auch der Umdeutung eines Klageantrags sind dann erreicht, wenn ein Kläger unmissverständlich ein bestimmtes Prozessziel verfolgt, auch wenn dieses Vorgehen seinem wohlverstandenen Eigeninteresse widerspricht. Dies dient nicht zuletzt der hinreichenden Berücksichtigung der schutzwürdigen Belange des Klagegegners als Erklärungsadressaten. Dieser muss sich zur Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Verteidigung gegen die Klage darauf verlassen können, dass ausschließlich über den gestellten Antrag entschieden wird und nicht über den Antrag, der richtigerweise hätte gestellt werden müssen (vgl. BAG 17. März 2015 – 9 AZR 702/13 – Rn. 13 mwN, AP BGB § 611 Beschäftigungspflicht Nr. 31).

b) Entgegen des Wortlauts des Antrags Ziffer 1 verlangt die Klägerin nicht die Zahlung eines nicht bestimmten Nettobetrags. Aus dem gesamten Prozessvorbringen ergibt sich, dass es ihr um die Vergütung der von ihr behaupteten Überstunden im Arbeitsverhältnisses des Erblassers geht. Ihre gesamte Berechnung hat sie auf der Basis von Bruttobeträgen vorgenommen. Daher kann auch der Antrag nur so verstanden werden, dass es ihr um die Zahlung des gesamten – bezifferten – Bruttobetrags geht.

2. Die Zahlungsanträge Ziffer 1 und Ziffer 2 sind auch ausreichend streitgegenständlich iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO bestimmt.

a) Gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO muss die Klageschrift die bestimmte Angabe des Gegenstandes und des Grundes des erhobenen Anspruchs enthalten. Damit wird der Streitgegenstand abgegrenzt und zugleich die Grundlage für eine etwa erforderlich werdende Zwangsvollstreckung geschaffen. Daran gemessen ist ein Klageantrag grundsätzlich hinreichend bestimmt, wenn er den erhobenen Anspruch konkret bezeichnet, dadurch den Rahmen der gerichtlichen Entscheidungsbefugnis (§ 308 ZPO) absteckt, Inhalt und Umfang der materiellen Rechtskraft der begehrten Entscheidung (§ 322 ZPO) erkennen lässt, das Risiko eines Unterliegens des Klägers nicht durch vermeidbare Ungenauigkeit auf den Beklagten abwälzt und schließlich eine Zwangsvollstreckung aus dem Urteil ohne eine Fortsetzung des Streits im Vollstreckungsverfahren erwarten lässt (vgl. BGH 9. Januar 2013 – VIII ZR 94/12 – Rn. 12, NJW 2013, 1367; BAG 18. Mai 2011 – 5 AZR 181/10 – Rn. 10, EzA BGB 2002 § 611 Mehrarbeit Nr. 4). Sowohl bei einer der Klage stattgebenden als auch bei einer sie abweisenden Sachentscheidung muss zuverlässig feststellbar sein, worüber das Gericht entschieden hat (vgl. BAG 24. September 2014 – 5 AZR 593/12 – Rn. 18).

b) Danach sind beide Zahlungsanträge ausreichend bestimmt.

aa) Zwar hat die Klägerin bzgl. des Begehrens zur Vergütung von Überstunden in keiner Weise angegeben, welche konkrete zeitliche Lage diese Überstunden gehabt haben sollen, weshalb sich erhebliche Zweifel an einem feststehenden gerichtlichen Entscheidungsrahmen ergeben. Allerdings hat die Klägerin jedenfalls im Kammertermin den Zeitraum für den sie die Überstunden geltend macht, ausdrücklich mit einem Zeitraum von einem Jahr (9. Dezember 2017 bis 8. Dezember 2018) angegeben und gleichzeitig erklärt, sie mache eine abschließende Gesamtforderung geltend. Jedenfalls durch die Angabe des Jahreszeitraums und der Erklärung, dass es sich um eine abschließende Gesamtforderung handeln soll, sind Rechtkraftprobleme nicht zu erwarten und der Entscheidungsrahmen ist ausreichend abgesteckt.

bb) Hinsichtlich der Schadensersatzforderung (Antrag Ziffer 2) hat die Klägerin angegeben, sie gehe von einem Verlust an Unterhaltsansprüchen von 30.000,00 Euro pro Jahr – ab dem Zeitpunkt des Versterbens des Ehemanns – aus. Ihre Forderung ergibt sich folglich aus einem Zeitraum von sechs Jahren, gerechnet ab dem 19. Februar 2019 (bis zum 18. Februar 2025). Damit ist jedenfalls der Entscheidungsrahmen hinsichtlich der Schadensersatzforderung in ausreichender Weise abgesteckt.

II. Die Klage ist unbegründet.

1. Der verstorbene Ehemann der Klägerin hatte gegenüber der Beklagten keinen Anspruch auf Vergütung von im Zeitraum 9. Dezember 2017 bis 8. Dezember 2018 etwaig geleisteter Überstunden, der auf die Klägerin als Alleinerbin und damit Gesamtrechtsnachfolgerin des Erblassers nach § 1922 Abs. 1 BGB, übergegangen sein könnte. Es fehlte dem Erblasser bereits an einer Vergütungserwartung, weshalb es auf die Frage, ob Überstunden überhaupt geleistet, angeordnet, geduldet oder notwendig waren, nicht ankommt. Ebenso kann dahinstehen, ob die arbeitsvertragliche Ausschlussfrist einer gerichtlichen Geltendmachung entgegensteht.

a) Einen allgemeinen Rechtsgrundsatz, dass jede Mehrarbeitszeit oder jede dienstliche Anwesenheit über die vereinbarte Arbeitszeit hinaus zu vergüten ist, gibt es nicht. Die Vergütungserwartung ist stets anhand eines objektiven Maßstabs unter Berücksichtigung der Verkehrssitte, der Art, des Umfangs und der Dauer der Dienstleistung sowie der Stellung der Beteiligten zueinander festzustellen, ohne dass es auf deren persönliche Meinung ankommt (vgl. BAG 15. November 2018 – 6 AZR 385/17 – Rn. 25, AP BGB § 611 Bühnenengagementsvertrag Nr. 68). Sie kann sich insbesondere daraus ergeben, dass im betreffenden Wirtschaftsbereich Tarifverträge gelten, die für vergleichbare Arbeiten eine Vergütung von Überstunden vorsehen. Die – objektive – Vergütungserwartung wird deshalb in weiten Teilen des Arbeitslebens gegeben sein (vgl. BAG 25. März 2015 – 5 AZR 874/12 – Rn. 25, AP BGB § 612 Nr. 78; 22. Februar 2012 – 5 AZR 765/10 – Rn. 21, EzA BGB 2002 § 612 Nr. 12; 17. August 2011 – 5 AZR 406/10 – Rn. 20 mwN, EzA BGB 2002 § 612 Nr. 10; 21. September 2011 – 5 AZR 629/10 – Rn. 31 mwN, EzA BGB 2002 § 612 Nr. 11). Sie wird aber fehlen, wenn arbeitszeitbezogene und arbeitszeitunabhängig vergütete Arbeitsleistungen zeitlich verschränkt sind (vgl. BAG 21. September 2011 – 5 AZR 629/10 – Rn. 32, aaO) oder wenn Dienste höherer Art geschuldet sind oder insgesamt eine deutlich herausgehobene Vergütung gezahlt wird (vgl. BAG 22. Februar 2012 – 5 AZR 765/10 – Rn. 21, aaO; 17. August 2011 – 5 AZR 406/10 – Rn. 20, 21, aaO).

aa) Von letztem Fall wird regelmäßig ausgegangen werden können, wenn das Entgelt die Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung überschreitet. Mit dieser dynamischen Verdienstgrenze gibt der Gesetzgeber alljährlich zu erkennen, welche Einkommen so aus dem in der Solidargemeinschaft aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten herausragen, dass damit keine weitere Rentensteigerung mehr zu rechtfertigen ist. Wer mit seinem aus abhängiger Beschäftigung erzielten Entgelt die Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung überschreitet, gehört zu den Besserverdienern, die aus der Sicht der beteiligten Kreise nach der Erfüllung ihrer Arbeitsaufgaben und nicht eines Stundensolls beurteilt werden. Ihnen und ihren Arbeitgebern fehlt regelmäßig die objektive Vergütungserwartung für ein besonderes Entgelt als Gegenleistung für die über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus geleistete Arbeit (vgl. BAG 22. Februar 2012 – 5 AZR 765/10 – Rn. 21, aaO).

bb) Gleiches gilt, wenn die arbeitsvertragliche Beziehung dadurch gekennzeichnet ist, dass der Arbeitnehmer insgesamt bzw. für einen Teil seiner Arbeit eine zusätzliche Vergütung (bspw. in der Form einer Provision) erhält, bei der es typischerweise aus Sicht der beteiligten Kreise nicht auf die Erfüllung eines Stundensolls, sondern den Erfolg ankommt. In einem solchen Fall lässt sich das Bestehen einer objektiven Vergütungserwartung für Überstunden nicht ohne Hinzutreten besonderer Umstände oder einer entsprechenden Verkehrssitte begründen. Fehlt es daran, kann eine Überstundenvergütung nur verlangt werden, wenn sie arbeitsvertraglich vereinbart ist (vgl. BAG 27. Juni 2012 – 5 AZR 530/11 – Rn. 20, EzA BGB 2002 § 612 Nr. 14 = NZA 2012, 1147).

cc) Darlegungs- und beweispflichtig für das Bestehen einer Vergütungserwartung ist nach allgemeinen Grundsätzen derjenige, der eine Vergütung begehrt (vgl. BAG 27. Juni 2012 – 5 AZR 530/11 – Rn. 19, aaO).

b) In der gesetzlichen Rentenversicherung lag die Beitragsbemessungsgrenze im Jahr 2018 bei 6.500,00 Euro monatlich. Der Erblasser verdiente mit den von der Klägerin angegebenen 12.969,00 Euro monatlich weit über dieser Grenze. Hinzu kommt, dass der Erblasser nach Ziffer 2.3 des Arbeitsvertrags Anspruch auf einen Bonus (A) hatte, der sich nach der Ertragslage des Unternehmens richtete und entsprechend den persönlichen Leistungen und der Position festgelegt wurde. Vor allem aber ist im Arbeitsvertrag – angesichts des Vorstehenden – ausdrücklich das folgende vereinbart worden: „Andererseits wird erwartet, dass Sie im Bedarfsfall zur Mehrarbeit über die betrieblich vorgesehene Arbeitszeit – derzeit 40 Stunden/Woche – hinaus ohne besondere Vergütung bereit sind“. Der Erblasser hatte sich also gerade mit einer Leistung von Überstunden ohne gesonderte Vergütung bereit erklärt, was vor dem Hintergrund der Höhe und der Art der vereinbarten Vergütung eine Vergütungserwartung eindeutig ausschließt.

2. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Ersatz eines etwaig ihr entstandenen Unterhaltsschadens infolge des Versterbens ihres Ehemanns. Ein solcher Anspruch folgt weder aus §§ 280 Abs. 1, 618 Abs. 1, 3 BGB iVm. § 844 Abs. 2 BGB noch aus § 823 Abs. 2 iVm. einer Schutzgesetzverletzung, § 844 Abs. 2 BGB.

a) Der Klägerin steht als Rechtsfolge (§ 618 Abs. 3 BGB) kein Unterhaltsschadensersatzanspruch aus § 844 Abs. 2 BGB zu, weil die Beklagte nach §§ 280 Abs. 1, 618 Abs. 1 BGB gegen ihre Fürsorgepflichten beim Gesundheitsschutz verstoßen hätte. § 618 Abs. 3 BGB ist eine partielle Rechtsfolgenverweisung, die einen Schadensersatzanspruch voraussetzt (vgl. ua. AR/Kamanabrou § 618 BGB Rn. 32; ErfK/Wank § 618 BGB Rn. 30).

aa) Letztlich dahinstehen kann, ob sich ein Ausschluss der Haftung der Beklagten bereits aus § 104 Abs. 1 SGB VII ergibt.

(1) Nach § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Unternehmer den Versicherten, die für ihre Unternehmen tätig sind, sowie deren Angehörigen und Hinterbliebenen – dh. vorliegend der Klägerin – nach anderen gesetzlichen Vorschriften zum Ersatz des Personenschadens, den ein Versicherungsfall verursacht hat, nur verpflichtet, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich oder auf einem nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis Nr. 4 SGB VII versicherten Weg herbeigeführt haben. Hintergrund dieses Haftungsprivilegs zugunsten des Arbeitgebers gegenüber dem Schadensersatzverlangen eines Beschäftigten oder Hinterbliebenen ist, dass bei einem Versicherungsfall die gesetzliche Unfallversicherung eintritt, in die die Unternehmer Beiträge zu zahlen haben und dafür im Gegenzug im Regelfall – außer wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich oder auf einem nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis Nr. 4 SGB VII versicherten Weg herbeigeführt haben – von der Haftung befreit sind (vgl. BAG 28. November 2019 – 8 AZR 35/19 – Rn. 17, AP SGB VII § 104 Nr. 7). Versicherungsfälle sind nach § 7 Abs. 1 SGB VII Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Nach § 108 Abs. 1 SGB VII ist zwar ein Gericht, das über Ersatzansprüche der in den §§ 104 bis 107 SGB VII genannten Art zu entscheiden hat, an eine unanfechtbare Entscheidung nach dem SGB VII oder nach dem Sozialgerichtsgesetz in der jeweils geltenden Fassung gebunden, ob ein Versicherungsfall vorliegt, in welchem Umfang Leistungen zu erbringen sind und ob der Unfallversicherungsträger zuständig ist. Auch räumt § 108 Abs. 2 SGB VII mit der dort vorgesehenen Aussetzung den Stellen, die für die Beurteilung sozialrechtlicher Fragen originär zuständig sind, also den Unfallversicherungsträgern und den Sozialgerichten, hinsichtlich der Beurteilung bestimmter unfallversicherungsrechtlicher Vorfragen den Vorrang vor den Zivil- und Arbeitsgerichten ein (vgl. BAG 28. November 2019 – 8 AZR 35/19 – Rn. 30 mwN, aaO). Vorliegend behauptet jedoch keine der Parteien, dass das Versterben des Ehemanns der Klägerin auf einen Arbeitsunfall (§ 8 SGB VII) oder eine Berufskrankheit (§ 9 SGB VII) zurückzuführen wäre. Für die Annahme eines Arbeitsunfalls muss es sich immer um eine zeitlich begrenzte Einwirkung handeln, was bei Fällen der Gesundheitsschädigung infolge von arbeitsplatzbezogenem Stress – wie auch von der Klägerin behauptet – regelmäßig nicht der Fall ist (vgl. von Trotha Stress am Arbeitsplatz – Haftung des Arbeitgebers auf Schadensersatz für hieraus resultierende Gesundheitsschäden? [2009] S. 250 ff.). Unter den Begriff der Berufskrankheit fallen nach § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Krankheiten, welche in die Berufskrankheitenverordnung (BKV) aufgenommen sind und von einem Versicherten infolge einer dem Versicherungsschutz begründenden Tätigkeit erlitten wird. Stress bzw. die aus der ihm zugrundeliegenden psychischen Überbeanspruchung folgenden Gesundheitsbeschädigungen sind nicht in die BKV aufgenommen. Ist eine Krankheit (noch) nicht in die BKV aufgenommen, so ist sie als Berufskrankheit anzuerkennen (§ 9 Abs. 2 SGB VII), wenn die Voraussetzungen für eine Aufnahme nach § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII vorliegen, dh. wenn die Krankheit nach Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höheren Grade als die restliche Bevölkerung ausgesetzt sind. Dies ist bei stressbedingte Gesundheitsschäden nicht der Fall. Stress ist absolut jeder Arbeitstätigkeit immanent und kann theoretisch jeden Arbeitnehmer gleichermaßen betreffen; eine spezifische Berufsgruppe, bei der typsicherweise ein besonders hohes Stressniveau herrscht, lässt sich nicht ausmachen (vgl. von Trotha S. 254 f.). Spricht damit alles dafür, dass eine Haftung der Beklagten nicht schon nach Maßgabe von § 104 Abs. 1 SGB VII entfällt, so haftet die Beklagte vorliegend jedenfalls deshalb nicht, weil die Voraussetzungen des § 280 Abs. 1 BGB nicht vorliegen.

(2) Nähme man an, der Personenschaden wäre durch einen Versicherungsfall (Arbeitsunfall oder Berufskrankheit) verursacht worden, so entfiele jedenfalls die Haftung der Beklagten deshalb, weil die Klägerin schon nicht behauptet, dass die Beklagte den Versicherungsfall vorsätzlich herbeigeführt hat. Die vorsätzliche Herbeiführung des Versicherungsfalls umfasst nicht nur die vorsätzliche Herbeiführung des Versicherungsfalls, sondern auch des konkreten Verletzungserfolgs (vgl. BAG 19. August 2004 – 8 AZR 349/03 – Rn. 31, AP SGB VII § 104 Nr. 4).

bb) Jedenfalls haftet die Beklagte nicht nach § 280 Abs. 1 BGB. Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger nach § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Nach der in § 618 Abs. 1 BGB konkretisierten Fürsorgepflicht hat der Arbeitgeber u.a. die Arbeitsräume so einzurichten und zu unterhalten, dass der Arbeitnehmer gegen arbeitsbedingte Gefahren für Leben und Gesundheit soweit geschützt ist, als es die Dienstleistung gestattet. Der Arbeitnehmer kann verlangen, dass er unter Arbeitsbedingungen beschäftigt wird, die ihn gesundheitlich nicht gefährden (vgl. BAG 17. Februar 1998 – 9 AZR 130/97 – zu I 3 a der Gründe, AP BGB § 618 Nr. 27 = EzA BGB § 615 Nr. 89).

(1) § 618 Abs. 1 BGB wird nicht nur durch die Verhältnisse des Einzelfalls konkretisiert, sondern auch durch die Normen des europäischen und des nationalen Arbeitsschutzrechts. Die öffentlich-rechtlichen Arbeitsschutznormen konkretisieren den Inhalt der Organisationspflichten, die dem Arbeitgeber nach § 618 BGB im Hinblick auf die Sicherheit und das Leben der Arbeitnehmer obliegen. Den Vorschriften des Arbeitsschutzes kommt eine Doppelwirkung zu, wenn ihre Schutzpflichten über § 618 Abs. 1 BGB in das Arbeitsvertragsrecht transformiert werden (vgl. HWK/Krause § 618 BGB Rn. 6). In diesem Fall sind die Arbeitsschutzbestimmungen neben öffentlich-rechtlicher Pflicht zugleich unabdingbare privatrechtliche Pflicht des Arbeitgebers im Sinne eines einzuhaltenden Mindeststandards (vgl. BAG 19. Mai 2009 – 9 AZR 241/08 – Rn. 25, BAGE 131, 18). Deren Einhaltung wird damit zugleich arbeitsvertraglich geschuldet. Das wirkt sich auf das Weisungsrecht des Arbeitgebers (§ 106 Satz 1 GewO) aus. Die öffentlich-rechtlichen Vorschriften enthalten allerdings nur die Mindestanforderungen, denen der vom Arbeitgeber eingerichtete Arbeitsplatz entsprechen muss. Umstände in der Person eines Arbeitnehmers, die ihn besonders anfällig machen, werden durch sie nicht ohne weiteres abgedeckt, deshalb begrenzen sie nicht die vom Arbeitgeber nach § 618 Abs. 1 BGB vertraglich geschuldete Fürsorge (vgl. § 1 Abs. 3 Satz 1 ArbSchG). Der Inhalt der vertraglichen Schutzpflicht des Arbeitgebers wird weitergehend durch die Umstände des einzelnen Arbeitsverhältnisses konkretisiert (vgl. BAG 17. Februar 1998 – 9 AZR 84/97 – zu II 1 der Gründe, BAGE 88, 63; HK-ArbSchR/Nebe § 618 BGB Rn. 14; Erman/Belling § 618 BGB Rn. 7). Allerdings besteht der dem Arbeitgeber obliegende Gefahrenschutz nicht absolut, sondern nur soweit „wie es die Natur des Betriebs gestattet“. In diesem Rahmen sind die Grundsätze des § 4 ArbSchG zu beachten (vgl. ErfK/Wank § 618 BGB Rn. 14). Ungeachtet dessen besteht der Zweck des § 618 Abs. 1 BGB nur darin, vor spezifischen Gefahren der Dienstleistung zu schützen, nicht aber vor allgemeinen Lebensrisiken (vgl. von Trotha S. 92 f.).

(2) Nach ständiger Rechtsprechung hat der Arbeitnehmer, der wegen Verletzung der Pflichten aus § 618 BGB Schadenersatz beansprucht, neben dem Schaden nur den objektiv ordnungswidrigen Zustand der Räume, Vorrichtungen oder Gerätschaften nachzuweisen, wenn dieser generell geeignet ist, den eingetretenen Schaden herbeizuführen. Der Arbeitgeber hat dann den Gegenbeweis dahin zu führen, dass der ordnungswidrige Zustand für den Schaden nicht ursächlich gewesen ist oder dass ihn kein Verschulden (§ 280 Abs. 1 Satz 2 BGB) trifft (vgl. BAG 16. Mai 2007 – 8 AZR 709/06 – Rn. 94, BAGE 122, 304; 8. Mai 1996 – 5 AZR 315/95 – zu C II der Gründe, BAGE 83, 105; 27. Februar 1970 – 1 AZR 258/69 – EzA BGB § 618 Nr. 1). Hierbei handelt es sich um eine echte Beweislastumkehr, nicht lediglich um die Anwendung der Regeln des Anscheinsbeweises (vgl. von Trotha S. 221 ff.; HWK/Krause § 618 BGB Rn. 38; aA LAG Rheinland-Pfalz 21. Juli 2020 – 8 Sa 69/19 – Rn. 97, juris; Erman/Belling § 618 BGB Rn. 29; NK-GA/Otto § 618 BGB Rn. 39).

(3) Vorliegend hat die Klägerin schon keinen objektiv ordnungswidrigen Zustand dargelegt, der geeignet gewesen wäre, den eingetretenen Schaden (Tod des Erblassers) herbeizuführen. Deshalb kann auch dahinstehen, ob ein Schadensersatzanspruch wegen eines überwiegenden Mitverschuldens des Erblassers ausgeschlossen bzw. wegen eines Mitverschuldens jedenfalls zu mindern wäre. Ein mitwirkendes Verschulden eines Arbeitnehmers kann ua. auch darin bestehen, dass er eine Stelle übernommen hat, der er gesundheitlich nicht gewachsen war, oder darin, dass er sich selbst nicht um eine Entlastung gemüht hat (vgl. BAG 13. März 1967 – 2 AZR 133/66 – BAGE 19, 288; NK-GA/Otto § 618 BGB Rn. 38; AR/Kamanabrou § 618 BGB Rn. 34). Anknüpfungspunkt für das Mitverschulden des Arbeitnehmers kann daher ein Verstoß gegen §§ 15, 16 ArbSchG sein (vgl. AR/Kamanabrou § 618 BGB aaO).

(a) Der Arbeitgeber hat zwar die im Interesse des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer festgelegten Grenzen der höchstzulässigen Arbeitszeiten einzuhalten (st. Rspr., vgl. BAG 6. Mai 2014 – 9 AZR 575/12 – Rn. 14, EzA Verordnung 561/2006 EG-Vertrag 1999 Nr. 2; 18. November 2008 – 9 AZR 737/07 – Rn. 18, BAGE 128, 288; 11. Juli 2006 – 9 AZR 519/05 – Rn. 35, BAGE 119, 41). Dazu gehören die im Interesse des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer festgelegten Grenzen der höchstzulässigen täglichen Arbeitszeit. Sie darf nach § 3 Satz 1 ArbZG werktäglich acht Stunden nicht überschreiten und kann nach § 3 Satz 2 ArbZG nur unter den dort näher bestimmten Voraussetzungen auf bis zu zehn Stunden verlängert werden. Nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit ist dem Arbeitnehmer nach § 5 Abs. 1 ArbZG regelmäßig eine ununterbrochene Ruhezeit von elf Stunden zu gewähren. Die Klägerin behauptet jedoch nicht, dass eine einzelne Anordnung von Überstunden – soweit es eine solche gegeben haben sollte – einen Gesundheitsschaden bei ihrem Ehemann ausgelöst hätte. Vielmehr behauptet sie, eine Vielzahl von stressauslösenden Faktoren (bspw. Mehrarbeit, die Erreichbarkeit an Wochenenden oder im Urlaub) habe über Jahre zu einer Gesundheitsschädigung geführt. Die Stressresilienz eines jeden Menschen hängt jedoch von einer Vielzahl von individuellen Faktoren ab. Dementsprechend ist für einen Arbeitgeber nicht erkennbar, wie ein einzelner Arbeitnehmer auf die Vielzahl der mit der Arbeit verbundenen (physischen und) psychischen Belastungsfaktoren reagieren wird und ob aus einem Umstand oder aus der Summe der Faktoren Gesundheitsgefahren drohen. Folglich kann regelmäßig nicht allein eine Schutzpflichtverletzung aus der aktiven Vornahme einer Organisationsmaßnahme hergeleitet werden (vgl. von Trotha S. 114 ff.). Von einem hochbezahlten leitenden Angestellten darf ein Arbeitgeber zudem ein besonderes Maß an Arbeitsleistung verlangen, auch wenn dadurch die im Betrieb übliche Arbeitszeit überschritten wird; ein Übermaß nach Arbeit, durch welches die Gesundheit des Angestellten gefährdet wird, darf jedoch nicht verlangt oder geduldet werden (vgl. BAG 13. März 1967 – 2 AZR 133/66 – BAGE 19, 288). Entscheidend ist jedoch die Erkennbarkeit der Gesundheitsgefährdung für den Arbeitgeber.

(b) Zu Verkehrssicherungspflichten gilt ganz allgemein: Ein allgemeines Verbot, andere nicht zu gefährden, wäre utopisch. Eine Verkehrssicherung, die jede Schädigung ausschließt, ist im praktischen Leben nicht erreichbar. Haftungsbegründend wird eine Gefahr daher erst dann, wenn sich für ein sachkundiges Urteil die nahe liegende Möglichkeit ergibt, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden (vgl. BGH 6. Februar 2007 – VI 274/05 – Rn. 15, NJW 2007, 1683). In diesem Sinne ist auch § 618 BGB zu verstehen: § 618 BGB bietet Schutz vor sicher erkannten und ernstlich möglichen Beeinträchtigungen der Gesundheit am Arbeitsplatz (vgl. BVerwG 13. September 1984 – 2 C 33/82 – NJW 1985, 876; Schaub ArbR-HdB/Ahrendt 19. Aufl. § 106 Rn. 8). Eine Schutzpflichtverletzung setzt voraus, dass der Arbeitgeber Maßnahmen zum Gesundheitsschutz unterlassen hat, obwohl für ihn ein künftig eintretender Gesundheitsschaden hinreichend vorhersehbar war. Grundsätzlich liegt es in der Verantwortung des Arbeitnehmers, für die Erhaltung seiner Gesundheit und Leistungsfähigkeit Vorsorge zu treffen. Wenn er sich zu Arbeiten in der Lage fühlt, so übernimmt er die Verantwortung für eine etwaige Verschlechterung seines Gesundheitszustandes (vgl. LAG Rheinland-Pfalz 15. Juli 1988 – 6 Sa 370/88 – LAGE KSchG § 1 Krankheit Nr. 11). Dementsprechend darf auch ein Arbeitgeber die Beschäftigung des Arbeitnehmers nicht ablehnen, wenn er die Arbeit als für den – nicht arbeitsunfähigen – Arbeitnehmer gesundheitsgefährdend ansieht, der Arbeitnehmer aber die (vertraglich geschuldete) Beschäftigung verlangt; grds. ist von einer Beschäftigungspflicht auszugehen (vgl. auch: MHdB ArbR/Reichold § 92 Rn. 12). Der Arbeitgeber ist nicht berechtigt, die Annahme der von einem arbeitswilligen und arbeitsfähigen Arbeitnehmer ordnungsgemäß angebotenen Arbeitsleistung zu verweigern (vgl. BAG 17. Februar 1998 – 9 AZR 130/97 – zu I 3 der Gründe, AP BGB § 618 Nr. 27). Umgekehrt sind Beschäftigte nach § 15 Abs. 1 Satz 1 ArbSchG hinsichtlich ihrer Sicherheit und Gesundheit zur Eigenvorsorge und damit – im Rahmen der Unterweisung und Weisung des Arbeitgebers – zur Verhütung arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren (vgl. HK-ArbSchR/Feldhoff/Schulze-Doll 2. Aufl. §§ 15-17 ArbSchG Rn. 10) sowie nach § 16 Abs. 1 ArbSchG verpflichtet, dem Arbeitgeber jede von ihnen festgestellte unmittelbare erhebliche Gefahr für die Sicherheit und Gesundheit unverzüglich zu melden. Die öffentlich-rechtliche Pflicht der Beschäftigten aus § 16 Abs. 1 ArbSchG konkretisiert dabei zugleich die sich aus §§ 241 Abs. 2, 242 BGB privatrechtliche Nebenpflicht zur Anzeige von erkannten Gesundheitsgefahren (vgl. ErfK/Wank § 16 ArbSchG Rn. 1). Aus diesem auf Kooperation ausgelegten Ansatz des Arbeitsschutzrechts folgt zugleich, dass es keine generelle eigenständige Nachforschungspflicht des Arbeitgebers gibt (vgl. von Trotha S. 120 ff.). Eine Handlungspflicht des Arbeitgebers besteht vielmehr nur, wenn die Möglichkeit einer Verletzung der Schutzgüter von Leben und Gesundheit hinreichend vorhersehbar ist (vgl. von Trotha S. 133). Eindeutig bejahen lässt sich damit die Vorhersehbarkeit in den Fällen, in denen der Arbeitnehmer den Arbeitgeber umfassend über die stressbezogenen Probleme seiner Tätigkeit informiert hat (vgl. von Trotha S. 136 ff.). Indizien können sich aber auch aus häufigen und/oder langen Arbeitsunfähigkeitszeiten, die für den betroffenen Arbeitnehmer untypisch sind, ergeben, wie auch das Umfeld des Arbeitnehmers Indizien liefern kann (vgl. von Trotha S. 138 f.). Nur bei entsprechenden, konkreten einzelfallbezogenen Hinweisen wird man den Arbeitgeber für verpflichtet halten können, weitere – zu Gesundheitsgefahren begründenden stressauslösenden Faktoren – Nachforschungen anstellen zu müssen (vgl. von Trotha S. 141).

(c) Zunächst ergibt sich aus dem Vortrag der Klägerin nicht, woran ihr verstorbener Ehemann erkrankt war; vielmehr hat die Klägerin im Kammertermin explizit erklärt, hierzu keine Angaben machen zu wollen. Gleichzeitig hat die Klägerin im Kammertermin erstmals die Erkrankung mit (dienstlichen) Reisen nach Asien in Verbindung gebracht, wobei unklar geblieben ist, wie diese Erklärung wiederum mit der Behauptung, die Beklagte habe durch die Gestaltung der Arbeitsbedingungen den Tod des Ehemanns verursacht, zusammenpassen soll. Sollte sich der Ehemann der Klägerin auf einer Dienstreise (bspw. beim Essen) mit einem Krankheitserreger (bspw. Hepatitis) infiziert haben, stellte sich zum einen – in anderem Licht – die Frage nach einer Berufskrankheit (Ziffer 3104 der Anlage 1 BKV; vgl. etwa: BSG 26. Januar 1983 – 9b/8/8a RU 76/80 – juris), wobei in diesem Zusammenhang entscheidend wäre, in welchem Land die etwaige Infektion stattgefunden hätte. Zum anderen dürfte in diesem Fall eine Pflichtverletzung der Beklagten, welche zudem auch kausal für den eingetretenen Schaden sein müsste (vgl. dazu: BAG 24. April 2008 – 8 AZR 347/07 – Rn. 53, AP BGB § 611 Haftung des Arbeitgebers Nr. 42), kaum in Betracht kommen und wird auch von der Klägerin nicht behauptet. Aus dem Vortrag der Klägerin ergibt sich jedenfalls, dass der Erblasser den Geschäftsführer der Beklagten erstmals direkt auf seinen Gesundheitszustand unmittelbar vor der Dienstreise nach P. (6. bis 8. Dezember 2018) angesprochen hat. Unstreitig ist, dass es dem Erblasser darauf freigestellt wurde, die Dienstreise anzutreten und der Erblasser gleichzeitig für die Zeit nach dem 8. Dezember 2018 unter Anrechnung auf Urlaub für eine Woche freigestellt werden sollte. Selbst unterstellt, aus dem Gespräch vor der geplanten Dienstreise habe der Geschäftsführer der Beklagten erkennen müssen, dass aus dem Umfang der Arbeitszeit und/oder weiteren Arbeitsbedingungen konkrete Gesundheitsgefahren für den Erblasser drohen, ist ein Verstoß gegen Fürsorgepflichten nicht zu erkennen. Ungeachtet der Frage, welchen Beitrag die Dienstreise nach P. zur Verschlechterung des Gesundheitszustands des Erblassers – auch in Anbetracht der Unkenntnis der konkreten Erkrankung und der Todesursache – geleistet haben soll, war der Erblasser nicht verpflichtet die Dienstreise anzutreten. Vielmehr stand es ihm frei, die Dienstreise (aus gesundheitlichen Gründen) abzusagen. Zudem hat der Geschäftsführer dem Erblasser in unmittelbarer Reaktion auf das Gespräch die Freistellung für eine Woche erklärt, wozu es letztlich mit Rücksicht auf die dann festgestellte Arbeitsunfähigkeit nicht mehr kam. Eine Pflichtverletzung ist daher nicht zu erkennen. Auch aus Arbeitsunfähigkeitszeiten des Erblassers konnte die Beklagte nicht entnehmen, dass aus den Umständen unter denen der Erblasser seine Arbeit leistete, Gefahren für dessen Gesundheit drohen. Weder im Jahr 2018 noch im Jahr 2017 hatte der Erblasser nennenswerte Arbeitsunfähigkeitszeiten (aus der im Kammertermin von der Beklagten übergebenen Aufstellung ergeben sich für 2017 insgesamt sechs Tage krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit in drei Zeiträumen von je zwei Tagen und für das Jahr 2018 bis zum 10. Dezember ebenso sechs Tage, verteilt auf zwei Zeiträume von vier bzw. zwei Tagen). Schließlich musste die Beklagte auch nicht aus dem Gespräch mit der Klägerin im Sommer 2018 den Schluss ziehen, dass sich aus den bzw. einzelnen Arbeitsbedingungen Gefahren für die Gesundheit des Erblassers ergeben können. Die Klägerin hat lediglich vorgetragen, sie habe im Sommer 2018 mit Vertretern der Beklagten Gespräche über Verhaltensauffälligkeiten bei ihrem Ehemann geführt, ohne Einzelheiten abzugeben. Unklar ist dabei schon, was in diesem Zusammenhang mit „Verhaltensauffälligkeiten“ gemeint ist. Aufgrund welcher Umstände die Beklagte bereits im Sommer 2018 den Schluss hätte ziehen müssen, dass sich aus einzelnen Arbeitsbedingungen konkrete Gesundheitsgefahren für den Erblasser ergeben können, ist nicht nachvollziehbar. Mithin kann auch nicht von einem Verstoß gegen Fürsorgepflichten ausgegangen werden.

b) Eine Haftung der Beklagten ergibt sich auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB iVm. einer Schutzgesetzverletzung und § 844 Abs. 2 BGB. Dabei kann insbesondere dahinstehen, ob § 618 BGB ein Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB ist (in diesem Sinne: BAG 25. April 2001 – 5 AZR 368/99 – zu II 1 b bb der Gründe, BAGE 97, 350; aA LAG Rheinland-Pfalz 21. Juli 2020 – 8 Sa 69/19 – Rn. 122 mwN, juris), denn einer etwaigen Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB iVm. § 618 BGB kommt jedenfalls – nach der Schuldrechtsmodernisierung – keine eigenständige Bedeutung (mehr) zu (vgl. von Trotha S. 238 ff.). Die Haftungsvoraussetzungen unterscheiden sich insoweit nicht von den Voraussetzungen einer Haftung aus § 280 Abs. 1 iVm. § 618 Abs. 1, 3 BGB. Nachdem die Klägerin eine Fürsorgepflichtverletzung der Beklagten nicht dargelegt hat, kommt auch eine Haftung der Beklagten über § 823 Abs. 2 BGB nicht in Betracht.

B. Nachdem die Klägerin unterlegen ist, hat sie nach § 46 Abs. 1 ArbGG iVm. §§ 495, 91 Abs. 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

C. Die Festsetzung des Urteilsstreitwerts beruht auf § 61 Abs. 1 ArbGG; es liegt die Summe der geforderten Beträge zugrunde.

D. Anlass für eine gesonderte Berufungszulassung bestand nach Maßgabe von § 64 Abs. 3 ArbGG nicht.

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Unsere Hilfe im Arbeitsrecht

Wir sind Ihr Ansprechpartner in Sachen Arbeitsrecht. Vom Arbeitsvertrag bis zur Kündigung. Nehmen Sie noch heute Kontakt zu uns auf.

Rechtsanwälte Kotz - Kreuztal

Wissenswertes aus dem Arbeitsrecht einfach erklärt

Weitere interessante arbeitsrechtliche Urteile

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!