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Verhaltensbedingte Kündigung – Abmahnungserfordernis

LAG Berlin-Brandenburg, Az.: 6 Sa 145/12, Urteil vom 27.04.2012

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 23.11.2011 – 41 Ca 14031/11 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger stand seit dem 01.05.2006 als Kraftfahrer gegen ein Monatsgehalt von zuletzt 2.000 € brutto in den Diensten der Beklagten. Zu seinen Aufgaben gehörte es, zweimal täglich Präparate ins Krankenhaus N. (KHNK) zu bringen.

Eine für den Nachmittag des 23.08.2011 vorgesehene Lieferung führte der Kläger erst am folgenden Tag aus, weshalb eine vorgesehen gewesene Operation auf diesen Tag verschoben werden musste. Bei seiner Anhörung am 25.08.2011 gab der Kläger an, er habe wegen eines quer stehenden LKW nicht auf das Krankenhausgelände fahren können.

Verhaltensbedingte Kündigung – Abmahnungserfordernis
Symbolfoto: ilixe48/Bigstock

Daraufhin durchgeführte Recherchen ergaben, dass der Kläger bereits seit ein bis zwei Wochen wiederholt nur einmal täglich Proben ans KHNK ausgeliefert hatte. Nach Eingang eines Schreibens des KHNK vom 01.09.2011, wonach der Kläger eine dortige Mitarbeiterin am 24.08.2011 gebeten haben soll, ihm zu helfen, da er sonst Ärger bekäme, kündigte die Beklagte ihm mit zwei Schreiben vom 09.09.2011 außerordentlich fristlos und hilfsweise ordentlich zum 31.03.2012. Den Schreiben war eine Ablichtung des Schreibens mit der Anhörung des Betriebsrates und dessen Stellungnahme vom 03.06.2011 beigefügt, allerdings ohne die dortige Anlage mit der Darstellung des Kündigungsgrundes.

Das Arbeitsgericht Berlin hat festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers weder durch die außerordentliche Kündigung noch durch die ordentliche Kündigung der Beklagten aufgelöst worden sei. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Kündigungen seien mangels ordnungsgemäßer Anhörung des Betriebsrates unwirksam. Trotz Bestreitens des Klägers in der Klageschrift habe die Beklagte die Umstände einer ordnungsgemäßen Anhörung nicht näher dargelegt und insbesondere auch das Anhörungsschreiben nicht vorgelegt oder in Bezug genommen.

Gegen dieses ihr am 22.12.2011 zugestellte Urteil richtet sich die am 20.01.2012 eingelegte und am 07.03.2012 nach entsprechender Verlängerung der Begründungsfrist begründete Berufung der Beklagten. Sie verweist auf ihre erstinstanzliche Darstellung, ihr Geschäftsführer habe den Betriebsrat unter gleichzeitiger Übergabe des Anhörungsschreibens zu den Gründen für die beabsichtigte Kündigung angehört. Mangels Erwiderung des Klägers hierzu sei diese Anhörung nicht mehr streitig gewesen; jedenfalls habe das Arbeitsgericht seine Hinweispflicht verletzt. Für ihre Kündigung sei entscheidend gewesen, dass der Kläger zur Verdeckung seiner Pflichtverletzung vom 23.08.2011 zunächst einen ihrer Mitarbeiter belogen und dann versucht habe, eine Mitarbeiterin des KHNK zu überreden, den Verdacht von ihm abzuwenden und den Fehler auf sich zu nehmen.

Die Beklagte beantragt, die Klage unter Änderung des angefochtenen Urteils abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er tritt den Angriffen der Berufung entgegen und „bestreitet mit Nichtwissen“, dass dem Betriebsrat die im Anhörungsschreiben erwähnte Anlage überreicht worden sei. Auf Befragen habe er lediglich bestätigt, in N. gewesen zu sein, worauf der Vertreter seines Vorgesetzten geäußert habe, die für die Operation benötigte Probe müsse wohl dort verschlampt worden sein. Die außerordentliche Kündigung sei zudem verspätet erklärt worden. Dass das Schreiben des KHNK am 01.09.2011 aufgesetzt und am folgenden Tag bei der Beklagten eingegangen sei, werde ebenfalls „mit Nichtwissen bestritten“.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils und die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Das Gericht hat den Kläger auf Antrag der Beklagten als Partei zu seinen Erklärungen anlässlich der Auslieferung der Proben vom 23.08.2011 am folgenden Tag uneidlich vernommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll vom 27.04.2012 (Bl. 136 GA) verwiesen.

Entscheidungsgründe

1. Die innerhalb der verlängerten Begründungsfrist ordnungsgemäß begründete Berufung der Beklagten ist in der Sache unbegründet.

Das Arbeitsverhältnis des Klägers ist durch die beiden Kündigungen der Beklagten vom 09.09.2011 weder fristlos noch zum 31.03.2012 aufgelöst worden.

1.1 Die Unwirksamkeit der beiden Kündigungen ergab sich allerdings nicht in entsprechender Anwendung des § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrAVG aus einer nicht ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrates.

1.1.1 Soweit der Kläger seine unsubstantiierte und deshalb nach der gegenteiligen Darstellung der Beklagten unbeachtliche Behauptung einer nicht ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrates aus der Klageschrift mit der Berufungserwiderung dahingehend korrigiert hat, eine mündliche Erläuterung der Kündigungsgründe durch den Geschäftsführer der Beklagten und eine Übergabe der im Anhörungsschreiben erwähnten Anlage (Abl. Bl. 113-115 GA) „mit Nichtwissen zu bestreiten“, war dies zwar als Erklärung mit Nichtwissen gem. § 138 Abs. 4 ZPO zulässig. Trotz des von ihm bei seiner Anhörung eingeräumten Anrufs des Betriebsrates am 06.09.2011 handelte es sich um Tatsachen, die weder eigene Handlungen des Klägers noch Gegenstand seiner eigenen Wahrnehmung gewesen sind.

1.1.2 Nach dem Inhalt der Verhandlung war die Kammer jedoch gem. § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO davon überzeugt, dass dem Betriebsrat die Anlage zum Anhörungsschreiben am 06.09.2011 überreicht worden ist. Wäre dies nicht der Fall gewesen, ergäbe die Begründung des Betriebsrates auf dem Anhörungsschreiben, ihm liege keine Gegendarstellung vor, keinen Sinn. Vielmehr wäre zu erwarten gewesen, dass der Betriebsrat die beantragte Zustimmung unter Hinweis auf ein Fehlen der Anlage mit dem Kündigungsgrund abgelehnt hätte.

1.2 Die Beklagte hat für ihre außerordentliche Kündigung auch nicht die zweiwöchige Erklärungsfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 und 2 BGB versäumt. Es war nicht zu beanstanden, dass die Beklagte nach Anhörung des Klägers am 25.08.2011 noch sein Fahrtenbuch hat überprüfen und sich die Angaben zu einem Täuschungsversuch des Klägers hat schriftlich bestätigen lassen. Selbst wenn dies alles bereits am folgenden Tag geschehen sein sollte, was nicht zu beanstanden gewesen wäre, hätte der Tag der Übergabe des Kündigungsschreibens noch innerhalb der Zweiwochenfrist gelegen.

1.3 Außerordentliche wie ordentliche Kündigung vom 09.09.2011 sind unwirksam, weil bereits die Voraussetzungen für eine verhaltensbedingte Kündigung gem. § 1 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 KSchG und damit auch die Voraussetzungen des § 626 Abs. 1 BGB für eine Kündigung aus wichtigem Grund nicht erfüllt waren.

1.3.1 Allerdings hatte der Kläger, indem er im August 2011 mehrmals entgegen seinem Tourenplan das KHNK nur einmal täglich angefahren hatte, wiederholt seine Arbeitspflicht verletzt. Die Bedeutung dieser Pflichtverletzung hatte sich insbesondere am 23.08.2011 daran gezeigt, dass eine für diesen Tag vorgesehene Operation auf den nächsten Tag verschoben werden musste. Auch wenn der Kläger nach seiner unwiderlegbaren Einlassung wegen eines die Einfahrt versperrenden LKW nicht auf das Krankenhausgelände hatte fahren können und er wie schon an den anderen Tagen in Sorge war, seine weiteren Aufgaben nicht rechtzeitig erledigen zu können, hätte er sich doch telefonisch bei der Beklagten melden oder zumindest nach Rückkehr von seinem vergeblichen Auslieferungsversuch Mitteilung machen müssen.

1.3.2 Die Pflichtverletzungen des Klägers bedingten jedoch keine Kündigung seines Arbeitsverhältnisses. Es handelte sich um steuerbares Verhalten, das grundsätzlich erst im Wiederholungsfall nach fruchtloser Abmahnung eine Kündigung als verhältnismäßige Reaktion des Arbeitgebers erscheinen lässt (vgl. § 314 Abs. 2 Satz 1 BGB). Eine Abmahnung war nicht wegen besonderer Umstände entbehrlich, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen zumindest eine ordentliche Kündigung gerechtfertigt hätten (vgl. §§ 314 Abs. 2 Satz 2, 323 Abs. 2 Nr. 3 BGB).

1.3.2.1 Entgegen der Vermutung der Beklagten konnte nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger Privatfahrten unternommen hatte und sich damit obendrein auf Kosten der Beklagten durch ersparte Aufwendungen und zu Unrecht bezogenes Arbeitsentgelt bereichert hatte. Da die Beklagte dies nicht zum Gegenstand ihrer Betriebsratsanhörung gemacht hat, konnte sie damit auch im Kündigungsschutzprozess nicht gehört werden (vgl. BAG, Urteil vom 01.04.1981 – 7 AZR 103/78 – BAGE 35, 190 = AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 23 zu II 1 d. Gr.). Zudem ergab sich für Privatfahrten auch nichts aus der Auswertung des Fahrtenbuches des Klägers (Abl. Bl. 116 GA). Vielmehr stützten die dort aufgeführten geringeren Kilometerangaben seine Darstellung, auf seiner Tour lediglich das KHNK nicht angesteuert zu haben.

1.3.2.2 Eine Abmahnung erschien auch nicht wegen eines Vertuschungsversuchs des Klägers entbehrlich.

1.3.2.2.1 Soweit der Kläger nach Darstellung der Beklagten auf Fragen des Vertreters eines Vorgesetzten zunächst erklärt haben soll, die Proben seien wohl im KHNK verschlampt worden, wäre darin noch keine über das bei Vorwürfen übliche spontane Leugnen hinausgehende Reaktion zu sehen. Wie die Beklagte ausweislich ihrer Ausführungen in der Anlage zum Anhörungsschreiben vom 06.09.2011 selbst erkannt hat, hätte erst der Versuch einer Beeinflussung von Mitarbeitern des Vertragspartners als Vertuschungsversuch auf eine Einstellung des Klägers schließen lassen, die sogar die Einhaltung der Kündigungsfrist hätte unzumutbar gemacht haben können. Dementsprechend soll sich der Geschäftsführer der Beklagten auch erst nach Eingang des Schreibens des KHNK vom 01.09.2011 zur Kündigung entschlossen haben.

1.3.2.2.2 Die für den behaupteten Vertuschungsversuch beweisbelastete Beklagte ist beweisfällig geblieben.

1.3.2.2.2.1 Die Beweiskraft des Schreibens des KHNK vom 01.09.2011 als einer Privaturkunde beschränkte sich gem. § 416 ZPO auf die Abgabe der darin enthaltenen Erklärungen des Verfassers, erstreckte sich dagegen nicht auf deren inhaltliche Richtigkeit.

1.3.2.2.2.2 Von einer Benennung der im Schreiben des KHNK als namentlich bekannt bezeichneten Mitarbeiterin als Zeugin hat die Beklagte nach deren Ausscheiden und vergeblicher Kontaktaufnahme abgesehen.

1.3.2.2.2.3 Der gem. § 445 Abs. 1 ZPO auf Antrag der Beklagten als Partei vernommene Kläger hat nach eindringlicher Belehrung über seine Pflicht zur wahrheitsgemäßen Aussage und über die Konsequenzen einer Falschaussage den Ablauf der Auslieferung am Vormittag des 24.08.2011 anschaulich geschildert und dabei jeglichen Versuch einer Beeinflussung einer Mitarbeiterin des KHNK in Abrede gestellt. Dabei ist er auch auf Vorhalt des Schreibens des KHNK vom 01.09.2011 geblieben. Da es auch in der Zeit davor keine Reklamationen seitens des KHNK wegen der wiederholt ausgebliebenen zweiten Lieferung gegeben hatte, und dem Kläger am 24.08.2011 erst zur zweiten Tour eine Empfangsbestätigung mitgegeben wurde, musste aus seiner damaligen Sicht auch noch gar kein Anlass bestanden haben, sich um eine Entlastung zu bemühen.

1.3.2.2.2.4 Die Kammer hat von einer Vereidigung des Klägers gem. § 452 Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen. Eine solche ist zwar grundsätzlich von Amts wegen in Betracht zu ziehen, weil ihre etwaige Verweigerung gem. §§ 446, 453 Abs. 2 ZPO geeignet sein kann, eine Überzeugung von der Wahrheit der Behauptung des Gegners zu begründen (BGH, Urteil vom 12.02.1964 – IV ZR 126/63 – FamRZ 1964, 250). Die Beschränkung in § 58 Abs. 2 ArbGG auf die (besondere) Bedeutung einer Vereidigung für die Entscheidung des Rechtsstreits gilt nur für Zeugen und Sachverständige. Im Hinblick darauf, dass dem Kläger aufgrund seiner Belehrung bewusst sein musste, sich einem ganz erheblichen Überführungsrisiko auszusetzen, falls die frühere Mitarbeiterin des KHNK im Rahmen eines Strafverfahrens als Zeugin gehört werden sollte, hat sich die Kammer keine weitergehende Wirkung davon versprochen, den Kläger mit der Absicht seiner anfangs als möglich in Aussicht gestellten Vereidigung zu konfrontieren.

2. Die Beklagte hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Berufung zu tragen.

Die Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG für eine Zulassung der Revision waren nicht erfüllt.

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