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Verhaltensbedingte Kündigung bei Abhalten von Kollegen von Corona-Schnelltest

Kündigung eines Arbeitnehmers wegen Missachtung von Weisungen und Störung des Betriebsfriedens für unwirksam erklärt

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Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf hat in einem Urteil vom 19.01.2022 (Az.: 4 Sa 933/21) die Kündigung eines Arbeitnehmers des beklagten Landes NRW für unwirksam erklärt. Der Arbeitnehmer war in der Post- und Botenstelle des Finanzamtes Oberhausen Nord beschäftigt und hatte zwei Abmahnungen erhalten. Die Kündigung war sowohl außerordentlich als auch hilfsweise ordentlich ausgesprochen worden. Das Gericht entschied, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 26.04.2021 nicht ordentlich aufgelöst worden ist.

Hintergrund und Abmahnungen

Die beiden Abmahnungen, die der Kläger erhalten hatte, bezogen sich auf einen Vorfall am 14.04.2021. Die erste Abmahnung betraf die Missachtung von dienstlichen Weisungen. Der Kläger hatte gegenüber einer Kollegin seinen Unwillen darüber geäußert, dass diese an einem COVID-19-Schnelltest teilnehmen wollte. Damit verstieß er gegen die dienstliche Weisung, jegliche Beeinflussung von Kollegen zu unterlassen, die sich zu einem Schnelltest angemeldet hätten.

Die zweite Abmahnung betraf eine Störung des betrieblichen Friedens. Der Kläger hatte auf die Frage eines schwerbehinderten und herzkranken Kollegen, der Risikopatient ist, ob er auch mit einer Corona-Infektion zur Arbeit kommen würde, geäußert, dass er auch mit einer Erkältung arbeiten kommen würde. Die Abmahnung beanstandete, der Kläger habe damit angekündigt, auch mit einer Corona-Erkrankung zum Dienst zu erscheinen.

Aushang am Arbeitsplatz und Kündigung

Nach Erhalt der Abmahnungen hatte der Kläger an der Plexiglasabtrennung seines Arbeitsplatzes ein DIN-A4-Blatt mit dem Text „TOD DURCH ABMAHNUNG“ und dem Bild eines Galgenmännchens angebracht. Das beklagte Land hörte daraufhin die Personalvertretung zu einer fristlosen, außerordentlichen Kündigung an und bat zugleich hilfsweise um Zustimmung zur ordentlichen Kündigung. Die Personalvertretung stimmte der hilfsweise ordentlichen Kündigung zum 30.09.2021 zu.

Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf entschied in seinem Urteil, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des beklagten Landes vom 26.04.2021 nicht ordentlich aufgelöst worden ist. Die Revision wurde nicht zugelassen. Das beklagte Land wurde dazu verurteilt, die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

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Das vorliegende Urteil

Landesarbeitsgericht Düsseldorf – Az.: 4 Sa 933/21 – Urteil vom 19.01.2022

Auf die Berufung des Klägers und unter Zurückweisung der Berufung des beklagten Landes wird das Urteil des Arbeitsgerichts Oberhausen vom 30.09.2021 – 2 Ca 514/21 – teilweise abgeändert und festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des beklagten Landes vom 26.04.2021 auch nicht ordentlich aufgelöst worden ist.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt das beklagte Land.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung des zwischen ihnen bestehenden Arbeitsverhältnisses sowie über die Entfernung von zwei Abmahnungen.

Der am 01.07.1969 geborene, geschiedene und zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtete Kläger ist seit dem 01.03.2013 bei dem beklagten Land NRW in der Post- und Botenstelle des Finanzamtes Oberhausen Nord beschäftigt. Die Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetztes finden auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung. Für diese Behörde ist ein Personalrat gewählt worden. Ferner verfügt die Dienststelle über eine Gleichstellungsbeauftragte.

Am 19.04.2021 erhielt der Kläger von der Dienststellenleitung – nach telefonischer und schriftlicher Anhörung des Personalrats – zwei Abmahnungen. Beide Abmahnungen bezogen sich auf einen Vorfall am Mittwoch, den 14.04.2021, gegen 7:00 Uhr in der Post- und Botenstelle des Amtes. Die erste Abmahnung betraf die Missachtung von dienstlichen Weisungen. Der Kläger äußerte gegenüber seiner Kollegin, Frau H.-C., seinen Unwillen darüber, dass diese am 15.04.2021 erstmals an einem Bürgertest und Schnelltest im Hinblick auf eine Infektion mit COVID 19 teilnehmen wolle. Er befürchtete, bei einer eventuellen Quarantäne der Kollegin ebenfalls in Quarantäne geschickt zu werden. Die Abmahnung beanstandete, dass der Kläger mit seinen Äußerungen gegen die ausdrückliche dienstliche Weisung der stellvertretenden Geschäftsleiterin vom Vortage verstoßen habe, jegliche Beeinflussung von Kollegen zu unterlassen, die sich zu einem Schnelltest angemeldet hätten. Wegen der weiteren Einzelheiten der Abmahnung wird auf Bl. 69-70 d. A. Bezug genommen.

Die zweite Abmahnung vom 19.04.2021 betraf eine Störung des betrieblichen Friedens in der Dienststelle ebenfalls vom 14.04.2021 gegen 7.00 Uhr. Auf die Nachfrage seines schwerbehinderten, herzkranken Kollegen, der Risikopatient ist, ob der Kläger auch mit einer Corona-Infektion arbeiten kommen würde, äußerte dieser, er würde auch mit einer Erkältung arbeiten kommen. Die Abmahnung beanstandete, der Kläger habe damit angekündigt, auch mit einer Corona-Erkrankung zum Dienst zu erscheinen. Wegen der weiteren Einzelheiten der Abmahnung wird auf die Ablichtungen, Bl. 71-72 d. A., Bezug genommen.

Am Nachmittag des 19.04.2021 fanden Arbeitskollegen an der (Corona-)Plexiglasabtrennung der klägerischen Arbeitsplatzes zum benachbarten Arbeitsplatz, auf der verschiedene Aushänge angebracht waren, ein gut sichtbares DIN-A4-Blatt vor. Darauf war in der oberen Hälfte mittig das ausgeschnittene und etwa bierdeckelgroße Bild eines an einem Galgen hängenden Strichmännchens (iF: Galgenmännchen) mit Kreuzen als Augen auf schwarzem Grund angebracht. Darüber war groß mit Edding-Stift geschrieben: „TOD DURCH ABMAHNUNG“. Rechts daneben stand: „KOLLEGE KURDE“ mit einem schwarzen Pfeil darunter, der auf das Galgenmännchen links davon wies. In der unteren Hälfte des Blattes befanden sich links zwei weitere, wesentlich kleinere Galgenmännchenbilder. Rechts neben dem oberen der beiden stand handschriftlich: „Mündliche Drohung mit Abmahnung: Herr F. (2018)“. Rechts neben dem unteren stand: „Mündliche Drohung mit Abmahnung: Frau N. (2020)“. Darunter war in großer Schrift mit Edding geschrieben: „19.4. LETS ROLL!“. Wegen der weiteren Einzelheiten des Papierblattes wird auf die Ablichtung Bl. 24 d. A. Bezug genommen.

Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass der Kläger die Ergänzung „19.4. LETS ROLL!“ nach Erhalt der Abmahnungen dort angebracht hat. Bei Herrn F. handelt es sich um den ehemaligen Dienststellenleiter des Finanzamtes. Frau N. ist die Ständige Vertreterin der Dienststellenleitung und somit Vorgesetzte bei Abwesenheit der Dienststellenleitung.

Das beklagte Land hörte die Personalvertretung zu einer fristlosen, außerordentlichen Kündigung mit Schreiben vom 26.04.2021 (Bl. 67 d. A.) unter Beifügung des Entwurfs eines achtseitigen Kündigungsschreibens (Bl. 58 ff. d. A.) an und bat zugleich hilfsweise um Zustimmung zur ordentlichen Kündigung. Die Personalvertretung gab zur außerordentlichen Kündigung keine Stellungnahme ab und stimmte der hilfsweise ordentlichen Kündigung zum 30.09.2021 am 28.04.2021 zu (Bl. 67 d. A.). Die Gleichstellungsbeauftragte hat mit Schreiben vom 27.04.2021 Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. Sie gab zur außerordentlichen Kündigung keine Stellungnahme ab und stimmte der ordentliche Kündigung zu (Bl. 68 d. A.).

Daraufhin kündigte das beklagte Land das Arbeitsverhältnis zum Kläger mit Schreiben vom 26.04.2021 (Bl. 58 – 65 d. A.), dem Kläger zugestellt am 30.04.2021 (Bl. 66 d. A.), außerordentlich sowie hilfsweise ordentlich zum 30.09.2021.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner am 10.05.2021 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage. Er hat gemeint, die Kündigung sei weder fristlos noch fristgemäß gerechtfertigt. Das streitgegenständliche Papier habe schon seit August 2020 in seinem Büro gehangen. Er habe am 19.04.2021 nur handschriftlich den Zusatz „19.4. LETS ROLL!“ hinzugefügt. Dies bedeute im Fliegerjargon, dass man sich zur Wehr setze. Das Schild sei als Satirezeichnung gemeint gewesen. Eine andere Reaktionsmöglichkeit auf die übergebenen Abmahnungen habe er nicht gehabt. Nach Erhalt der Abmahnungen sei er arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Hinsichtlich der Abmahnung „Dienstliche Weisung“ vom 19.04.2021 habe er Frau H.-C. nur gebeten, die Bürotür geschlossen zu halten. Bezüglich der Abmahnung zum Thema „Betriebsfrieden“ habe er generell erklärt, er würde auch mit einer Erkältung arbeiten kommen. Dies sei nicht als Provokation gemeint gewesen.

Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung vom 26.04.2021 aufgelöst worden ist;

2. die Beklagte zu verurteilen, die Abmahnung vom 19.04.2021 wegen angeblicher Nichtbefolgung von dienstlichen Weisungen aus der Personalakte des Klägers zu entfernen;

3. die Abmahnung vom 19.04.2021 wegen angeblicher Störung des Friedens in der Dienststelle aus der Personalakte des Klägers zu entfernen.

Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger sei nicht ungestört verlaufen. Mit seiner aufbrausenden und unbeherrschten Art habe er immer wieder im Kollegenkreis angeeckt und den Betriebsfrieden empfindlich gestört. Der Kläger habe am 14.04.2021 sein Missfallen darüber geäußert, dass Frau H.-C. an dem Schnelltest teilnehmen würde. Dies sei nicht seine Aufgabe, weshalb die Abmahnung gerechtfertigt sei. Die weitere Abmahnung wegen Störung des Betriebsfriedens sei durch die Äußerung gegenüber dem schwerbehinderten und herzkranken Kollegen gerechtfertigt, er würde auch mit einer Erkältung arbeiten kommen. Die außerordentliche Kündigung sei daher gerechtfertigt. Das Blatt habe den Betriebsfrieden in der Dienststelle erheblich gestört. Es verbreite in seiner Gesamtschau im Zusammenhang mit dem bisherigen Auftreten des Klägers im Dienst ein Klima der Angst. Ferner lägen darin eine Beleidigung und ein persönlicher Angriff auf seine Vorgesetzten.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 30.09.2021, auf dessen Tatbestand und Entscheidungsgründe Bezug genommen wird, der Klage hinsichtlich der außerordentlichen Kündigung sowie den Anträge auf Entfernung der Abmahnungen stattgegeben und sie hinsichtlich der ordentlichen Kündigung abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, mit dem „Galgenmännchenbild“ an seinem Arbeitsplatz habe der Kläger seine Vorgesetzten in grober Weise beleidigt und diese auch bedroht. Bei der Schwere der Pflichtverletzung habe es einer vorherigen Abmahnung nicht mehr bedurft. Allerdings falle hinsichtlich der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses die Interessenabwägung zugunsten des Klägers aus. Die Abmahnungen vom 19.04.2021 seien zu entfernen. Der Kläger habe zum einen nicht gegen eine rechtswirksame Anweisung der Beklagten verstoßen, als er sich gegenüber Frau H.-C. zur Frage eines Schnelltests geäußert habe. Zum anderen habe der Kläger nicht, wie in der zweiten Abmahnung beanstandet, zu seinem herzkranken Kollegen geäußert, auch mit einer Corona-Erkrankung zum Dienst erscheinen zu wollen, sondern nur von einer Erkältung gesprochen.

Gegen das dem beklagten Land am 11.10.2021 und dem Kläger am 12.10.2021 zugestellte Urteil haben beide Parteien noch im Oktober Berufung eingelegt. Der Kläger hat seine Berufung am 27.10.2021 begründet, das beklagte Land – nach Verlängerung der Frist bis zum 06.01.2022 – am 14.12.2022.

Der Kläger macht geltend, das Arbeitsgericht habe das Galgenmännchenbild des Klägers falsch interpretiert. Im Fliegerjargon – der Kläger sei Anhänger des Flugsports – bedeute das Gelgenmännchen keine Beleidigung, sondern bezeichne eine erlittene Niederlage. Keinesfalls habe er damit seine Vorgesetzten als Mörder oder Henker bezeichnet. Der seit Jahren an schweren Depressionen leidende Kläger habe die Abmahnungen bzw. Beanstandungen als Niederlage empfunden. Der Ausdruck „Let`s roll“ enthalte keine Bedrohung, sondern die Ankündigung, sich aktiv zur Wehr zu setzen. Entsprechend habe sich der Kläger nach Erhalt der Abmahnungen und noch vor der Kündigung in die anwaltliche Beratung seines späteren Prozessbevollmächtigten begeben. Das Arbeitsgericht habe das Bild zum Nachteil des Klägers überinterpretiert. Eine Abmahnung wäre als milderes Mittel angemessen gewesen.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Oberhausen vom 30.09.2021 – 2 Ca 514/21 – insoweit abzuändern, als dass festgestellt wird, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis auch nicht durch die hilfsweise ordentlich fristgerecht zum 30.09.2021 ausgesprochene Kündigung des beklagten Landes vom 26.04.2021 aufgelöst worden ist.

Das beklagte Land beantragt, unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Oberhausen vom 30.09.2021 – 2 Ca 514/21 – die Klage vollumfänglich abzuweisen.

Beide Parteien beantragen zudem, die gegnerische Berufung zurückzuweisen.

Das beklagte Land macht unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens geltend, die Aussage des „Galgenmännchenbildes“ sei eindeutig und biete keinen Interpretationsspielraum und bezichtige die Vorgesetzten der „Hinrichtung“ des Klägers. Zusammen mit der Wendung „Let`s roll!“ und den Namen der Vorgesetzten, mit denen der Kläger in Konflikt geraten war, wirke das am Arbeitsplatz des Klägers betriebsöffentlich ausgehängte Bild für einen objektiven Betrachter bedrohlich. Es zeige, dass dem Kläger jede Fähigkeit zur Reflektion seines Verhaltens und ggfs. zu dessen Änderung fehle.

Entgegen seiner Darstellung habe sich der Kläger von Beginn seines Arbeitsverhältnisses an in vielfältiger Weise provozierend und problematisch verhalten und habe immer wieder ermahnt werden müssen. Die Abmahnungen vom 19.04.2021 bildeten den Endpunkt einer Kette von Problemen mit dem Kläger. Auch auf seine Kollegen wirke der Kläger bedrohlich.

Alter und Unterhaltspflichten des Klägers fielen angesichts der ihm zu machenden Vorwürfe nicht entscheidend ins Gewicht, zumal nicht bekannt sei, ob der Kläger tatsächlich Unterhalt leiste. Zu Unrecht habe das Arbeitsgericht daher die außerordentliche Kündigung im Rahmen der Interessenabwägung für unwirksam gehalten. Zu berücksichtigen sei auch die schwierige Lage aufgrund der Corona-Pandemie. Hier habe die Dienststelle im Interesse der Gesundheit ihrer Mitarbeiter und der Aufrechterhaltung des Betriebs Schnelltests und Schutzmaßnahmen propagiert. Dem habe der Kläger entgegengewirkt. Zudem sei dem Kläger im Jahre 2018 eine Abmahnung für den Fall weiterer diskriminierender und rassistischer Äußerungen angedroht worden.

Die Abmahnung vom 19.04.2021 betreffend die dienstliche Weisung, sich Kommentaren zu und jeglicher Beeinflussung von Kollegen zu enthalten, die sich zum Schnelltest angemeldet hätten, sei entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts wirksam. Der Kläger habe mit lauter und bedrohlicher Stimme versucht, Frau H.-C. einzuschüchtern und vom Corona-Schnelltest abzubringen. Damit habe er seine Dienstpflichten verletzt.

Die weitere Abmahnung vom 19.04.2021 betreffend die Äußerung gegenüber einem herzkranken Kollegen, auch mit einer Corona-Erkrankung zur Arbeit zu kommen, sei ebenfalls wirksam. Das Arbeitsgericht habe seiner Entscheidung ohne Beweisaufnahme einen Sachverhalt zugrunde gelegt, der der Darstellung der Beklagten widersprochen habe. Ungeachtet dessen sei die Äußerung des Klägers aus dem Kontext nur so zu verstehen gewesen, dass der Kläger auch mit Corona-Symptomen zur Arbeit erscheinen würde.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvorbringens wird auf den Inhalt der zweitinstanzlich gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Protokollerklärungen der Parteien Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet, die Berufung der Beklagten ist dagegen unbegründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien wurde durch die Kündigung des beklagten Landes vom 26.04.2021 mangels vorausgegangener einschlägiger Abmahnung weder fristlos noch fristgerecht aufgelöst. Die Abmahnungen vom 19.04.2021 sind rechtswidrig und daher aus der Personalakte des Klägers zu entfernen.

I. Der Kläger hat Anspruch auf Entfernung beider Abmahnungen vom 19.04.2021.

1. Arbeitnehmer können in entsprechender Anwendung von §§ 242, 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB die Entfernung einer zu Unrecht erteilten Abmahnung aus ihrer Personalakte verlangen. Der Anspruch besteht, wenn die Abmahnung inhaltlich unbestimmt ist, unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält, auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers beruht oder den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt (st. Rspr., zuletzt BAG 15.06.2021 – 9 AZR 413/19, Rn. 17 mwN).

2. Danach hat der Kläger Anspruch auf Entfernung der Abmahnungen vom 19.04.2021 aus seiner Personalakte. Sie beruhen beide auf einer zu weit gefassten und damit rechtlich unwirksamen Weisung zur Unterlassung von Meinungsäußerungen an den Kläger.

a. Zu den Nebenpflichten im Arbeitsverhältnis zählt insbesondere die Pflicht der Arbeitsvertragsparteien zur Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen des jeweils anderen Teils (§ 241 Abs. 2 BGB). Danach hat der Arbeitnehmer seine Arbeitspflichten so zu erfüllen und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung und Tätigkeit im Betrieb, seiner eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebs nach Treu und Glauben verlangt werden kann (BAG 31.07.2014 – 2 AZR 505/13; 08.05.2014 – 2 AZR 249/13 mwN).

Andererseits kann sich auch ein Arbeitnehmer auf das Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit in Art. 5 Abs. 1 GG berufen. Mit der Bedeutung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit wäre es unvereinbar, wenn es in der betrieblichen Arbeitswelt nicht oder nur eingeschränkt anwendbar wäre (BAG 31.07.2014 – 2 AZR 505/13, Rn. 42; 24.11.2005 – 2 AZR 584/04, Rn. 24 mwN).

Das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG ist allerdings nicht schrankenlos gewährleistet. Es ist gemäß Art. 5 Abs. 2 GG durch die allgemeinen Gesetze und das Recht der persönlichen Ehre beschränkt. Mit diesen muss es in ein ausgeglichenes Verhältnis gebracht werden (BVerfG 13.02.1996 – 1 BvR 262/91 – zu B II 2 der Gründe, BVerfGE 94, 1; 15.01.1958 – 1 BvR 400/51 – [Lüth] zu B II 2 der Gründe, BVerfGE 7, 198; BAG 31.07.2014 – 2 AZR 505/13, Rn. 42; 29.08.2013 – 2 AZR 419/12, Rn. 35). Auch § 241 Abs. 2 BGB gehört zu den allgemeinen, das Grundrecht auf Meinungsfreiheit beschränkenden Gesetzen. Zwischen der Meinungsfreiheit und dem beschränkenden Gesetz findet demnach eine Wechselwirkung statt. Die Reichweite der Pflicht zur vertraglichen Rücksichtnahme muss ihrerseits unter Beachtung der Bedeutung des Grundrechts bestimmt, der Meinungsfreiheit muss dabei also die ihr gebührende Beachtung geschenkt werden – und umgekehrt (vgl. BVerfG 13. Februar 1996 – 1 BvR 262/91 – aaO; 15. Januar 1958 – 1 BvR 400/51 – [Lüth] aaO).

b. Die dienstliche Weisung, sich Kommentaren zu und jeglicher Beeinflussung von Kollegen zu enthalten, die sich zum Schnelltest angemeldet hätten, ist danach unwirksam. Zwar ist es nicht zu beanstanden, dass der Arbeitgeber in der pandemischen Lage des Frühjahrs 2021 untersagt, testwillige Kolleginnen und Kollegen gezielt von einem Corona-Schnelltest abzuhalten. Der Arbeitgeber hatte im vorliegenden Fall seinen Mitarbeitern zur Aufrechterhaltung seines Betriebs bzw. der Dienststelle (Finanzamt) und zum Schutze vor einer Infektion mit dem Covid-19-Virus eine von nahezu allen Fachleuten empfohlene Testung an der Dienststelle ermöglicht. Es lief daher evident den anerkennenswerten dienstlichen Interessen des Arbeitgebers zuwider, testwillige Mitarbeiter von einer Testung abzubringen.

Eine gezielte, etwa breit angelegte Beeinflussung testwilliger Mitarbeiter, um diese von einer – seinerzeit freiwilligen – Testung abzubringen, durfte der Arbeitgeber daher nach Auffassung des erkennenden Gerichts „coronakritisch“ eingestellten Arbeitnehmern untersagen. Sie würde seinen berechtigten betrieblichen Interessen zuwiderlaufen und verletzte damit auch im Lichte des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 GG die Pflicht des Vertragspartners zur Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen des anderen Teils. Doch geht es, wie das Arbeitsgericht zu Recht erkannt hat, zu weit, in Bezug auf Corona-Testungen kritisch eingestellten Mitarbeitern „jegliche negativen Äußerungen und jegliche Kommentare diesbezüglich“ zu untersagen, wie es in der Abmahnung heißt. Dies kommt einem „Maulkorb“ gleich und schießt – jedenfalls im Lichte der Meinungsäußerungsfreiheit – über die berechtigten Interessen des Arbeitgebers hinaus. In einer freien Gesellschaft ist eine freie Meinungsäußerung von zentraler Bedeutung und zu akzeptieren. Erst die zielgerichtet gegen seine berechtigten Interessen vorgehende Einflussnahme wie etwa eine großflächige Ansprache von Mitarbeitern oder ähnliches kann der Arbeitgeber in seinem Betrieb untersagen. Hiervon ist die in kollegialem Gespräch geäußerte Meinung eines Arbeitnehmers weit entfernt.

Die Weisung der Beklagten an den Kläger, sich Kommentaren zu und jeglicher Beeinflussung von Kollegen zu enthalten, die sich freiwillig testen lassen wollen, engt diesen daher in seinem Recht auf freie Meinungsäußerung rechtswidrig ein. Die auf die Zuwiderhandlung gegen die Weisung gestützte Abmahnung ist aus diesem Grund aus der Personalakte zu entfernen. Dabei ist es letztlich unerheblich, ob der Kläger seine Meinungsäußerung, wie die Beklagte im Rechtsstreit unsubstantiiert vorträgt, laut und „einschüchternd“ vorgebracht hat. Denn die Anmahnung stützt sich auf die zu weit gefasste Weisung. Im Übrigen erwähnt sie Lautstärke und Einschüchterung nicht.

c. Der Kläger kann ebenso die Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte verlangen, die seine behauptete Äußerung zu einem herzkranken Kollegen betrifft, auch mit einer Corona-Erkrankung zur Arbeit zu kommen.

Allerdings störte es im Frühjahr 2021 den Betriebsfrieden erheblich, wenn der Kläger gegenüber Kolleginnen und Kollegen ernsthaft geäußert haben sollte, auch mit Corona-Symptomen zur Arbeit erscheinen zu wollen. Aufgrund der hohen Infektiosität des Virus und seiner Auswirkungen auf die Gesundheit konnte sich die Kollegenschaft in der Tat schon durch die Ankündigung eines solchen Verhaltens in ihrer Gesundheit bedroht fühlen und eine Zusammenarbeit mit dem Kläger ablehnen. Ein solches Verhalten verletzte daher Vertragspflichten und kann vom Arbeitgeber ohne weiteres untersagt oder abgemahnt werden.

Einer Aufklärung, ob der Kläger eine solche Ankündigung tatsächlich gemacht hat, bedurfte es nicht. Denn die Abmahnung verletzte ihn bereits deshalb in seinen Rechten, weil sie auf Seite 2 die zu weit gehende und mit der Androhung arbeitsrechtlicher Konsequenzen verbundene Aufforderung an den Kläger enthält, „gegenüber jeglichen Kollegen während der Dienstzeit jegliche Äußerungen zu unterlassen, die kundtun, dass Sars-Covid-19 keine ernstzunehmende Erkrankung darstellt…“. Auch diese Weisung stellt sich als rechtswidriger Eingriff in das Recht zur freien Meinungsäußerung („Maulkorb“) dar, der durch berechtigte Interessen des beklagten Landes nicht ausreichend gerechtfertigt ist. Es wird auf die vorstehenden Ausführungen (oben a. und b.) verwiesen.

II. Das Arbeitsverhältnis der Parteien wurde durch die Kündigung des beklagten Landes vom 26.04.2021 weder fristlos noch fristgerecht aufgelöst. Es fehlt an einer vorausgegangenen einschlägigen Abmahnung in Bezug auf den Aushang des Klägers an der Plexiglastrennwand („Galgenmännchenbild“).

1. Der außerordentlichen Kündigung fehlt es an einem wichtigen Grund iSv. § 626 BGB.

a. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu untersuchen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar war oder nicht (BAG 18.12.2014 – 2 AZR 265/14, Rn 14 mwN).

Als wichtiger Grund kann neben der Verletzung vertraglicher Hauptpflichten auch die schuldhafte Verletzung von Nebenpflichten „an sich“ geeignet sein, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Zu diesen Nebenpflichten zählt insbesondere die Pflicht der Arbeitsvertragsparteien zur Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen des jeweils anderen Teils (§ 241 Abs. 2 BGB). Danach hat der Arbeitnehmer seine Arbeitspflichten so zu erfüllen und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung und Tätigkeit im Betrieb, seiner eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebs nach Treu und Glauben verlangt werden kann (BAG 18.12.2014 – 2 AZR 265/14, Rn 15 mwN).

Eine in diesem Sinne erhebliche Pflichtverletzung stellen ua. grobe Beleidigungen des Arbeitgebers oder seiner Vertreter und Repräsentanten oder von Arbeitskollegen dar. Entsprechendes gilt, wenn der Arbeitnehmer bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen über seinen Arbeitgeber, Vorgesetzte oder Kollegen aufstellt, insbesondere dann, wenn die Erklärungen den Tatbestand der üblen Nachrede erfüllen (BAG 18.12.2014 – 2 AZR 265/14, Rn 16 mwN).

Ein Arbeitnehmer kann sich für bewusst falsche Tatsachenbehauptungen nicht auf sein Recht auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 GG berufen. Solche Behauptungen sind vom Schutzbereich des Grundrechts nicht umfasst. Anderes gilt für Äußerungen, die nicht Tatsachenbehauptungen, sondern ein Werturteil enthalten. Sie fallen in den Schutzbereich des Rechts auf Meinungsfreiheit. Dasselbe gilt für Äußerungen, in denen sich Tatsachen und Meinungen vermengen, sofern sie durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sind. Darauf kann sich auch ein Arbeitnehmer berufen. Mit der Bedeutung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit wäre es unvereinbar, wenn es in der betrieblichen Arbeitswelt nicht oder nur eingeschränkt anwendbar wäre. Der Grundrechtsschutz besteht dabei unabhängig davon, welches Medium der Arbeitnehmer für seine Meinungsäußerung nutzt und ob diese rational oder emotional, begründet oder unbegründet ist. Vom Grundrecht der Meinungsfreiheit umfasste Äußerungen verlieren den sich daraus ergebenden Schutz selbst dann nicht, wenn sie scharf oder überzogen geäußert werden (BAG 18.12.2014 – 2 AZR 265/14, Rn 17 mwN).

Das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG ist allerdings nicht schrankenlos gewährleistet. Es ist gemäß Art. 5 Abs. 2 GG durch die allgemeinen Gesetze und das Recht der persönlichen Ehre beschränkt. Mit diesen muss es in ein ausgeglichenes Verhältnis gebracht werden. Auch § 241 Abs. 2 BGB gehört zu den allgemeinen, das Grundrecht auf Meinungsfreiheit beschränkenden Gesetzen. Zwischen der Meinungsfreiheit und dem beschränkenden Gesetz findet demnach eine Wechselwirkung statt. Die Reichweite der Pflicht zur vertraglichen Rücksichtnahme muss ihrerseits unter Beachtung der Bedeutung des Grundrechts bestimmt, der Meinungsfreiheit muss dabei also die ihr gebührende Beachtung geschenkt werden – und umgekehrt (BAG 18.12.2014 – 2 AZR 265/14, Rn 18 mwN).

Im Rahmen der Abwägung fällt die Richtigkeit des Tatsachengehalts, der dem Werturteil zugrunde liegt, ins Gewicht. Handelt es sich bei einem Werturteil um einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage, dann spricht die Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede (BAG 18.12.2014 – 2 AZR 265/14, Rn 19 mwN).

Erweist sich das in einer Äußerung enthaltene Werturteil als Formalbeleidigung oder Schmähkritik, muss die Meinungsfreiheit regelmäßig zurücktreten. Allerdings macht auch eine überzogene oder gar ausfällige Kritik eine Erklärung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Dafür muss hinzutreten, das bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht, die diese jenseits polemischer und überspitzter Kritik in erster Linie herabsetzen soll (BAG 18.12.2014 – 2 AZR 265/14, Rn 20 mwN).

b.In Anwendung dieser Grundsätze erweist sich die außerordentliche Kündigung vom 26.04.2021 als unwirksam. Mit dem Aushang des Galgenmännchenbildes an der Plexiglastrennwand verletzte der Kläger zwar seine Pflicht zu Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen des beklagten Landes an einem störungsfreien Betriebsablauf. Diese Pflichtverletzung hat jedoch ein deutlich geringeres Gewicht, als vom Arbeitsgericht angenommen. Insbesondere beinhaltet das Bild keine Formalbeleidigung oder Schmähkritik an den Vorgesetzten des Klägers, sondern unterfällt auch in seiner Zuspitzung und Überzogenheit noch dem Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit. Vor Ausspruch einer Kündigung bedurfte es daher nach dem im Kündigungsschutzrecht geltenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einer einschlägigen Abmahnung. Daran fehlt es.

aa. Das Galgenmännchenbild stellt keine Formalbeleidigung oder Schmähkritik an den Vorgesetzten des Klägers dar. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz hat der Kläger seine Vorgesetzten darin nicht ernstlich als Henker und Mörder bezeichnet. Vielmehr hat er mit der Wendung „Tod durch Abmahnung“ den gemeinten Zusammenhang hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht. Danach symbolisierte der Begriff „Tod“ und das an einem Galgen hängende Strichmännchen, das den Kläger selbst darstellen sollte, ohne weiteres erkennbar die diesem drohende Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Keinesfalls konnte ein verständiger Betrachter des Bildes annehmen, der Kläger werde von seinen Vorgesetzten tatsächlich mit dem Tode bedroht. Damit reduziert sich die Aussage des Bildes auf die zugespitzte und ohne Zweifel überzogene Kritik an dem Umgang seiner Vorgesetzten mit ihm als Arbeitnehmer. Als solche unterfällt sie der Meinungsäußerungsfreiheit iSd. Art. 5 Abs. 1 GG.

bb. Mit der Art dieser Meinungsäußerung verletzte der Kläger allerdings seine Vertragspflichten aus § 241 Abs. 2 BGB auf Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen des Vertragspartners.

Wie dargelegt, ist das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG ist nicht schrankenlos gewährleistet, sondern gemäß Art. 5 Abs. 2 GG durch die allgemeinen Gesetze und das Recht der persönlichen Ehre beschränkt. Mit diesen muss es in ein ausgeglichenes Verhältnis gebracht werden. Mit der für eine (begrenzte) Betriebsöffentlichkeit bestimmten Plakatierung seines individualrechtlichen Konflikts mit dem beklagten Land auf drastische Weise und der hinzugefügten unbestimmten Drohung „Let`s Roll!“ verletzte der Kläger seine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen des beklagten Landes (§ 241 Abs. 2 BGB). Dieses richtet sich auf einen ordnungsgemäßen Betriebsablauf in friedlichem Miteinander. Dem Kläger ist es unbenommen, sich gegen als rechtswidrig empfundene Abmahnungen und Beanstandungen zur Wehr zu setzen. Entgegen seiner Äußerung im Rechtsstreit hat er hierfür durchaus Möglichkeiten wie etwa die Anbringung einer Gegendarstellung, die Einschaltung des Personalrats mit der Bitte um Unterstützung oder, wie er es selbst im Rechtsstreit vorgeführt hat, die Klage auf Entfernung einer Abmahnung. Auch besteht insoweit keineswegs ein Verbot für den Kläger, sich über seine diesbezügliche Auffassung im Betrieb gegenüber Kollegen zu äußern. Die drastische Plakatierung des Konflikts störte den Betriebsfrieden aber deshalb in einer durch die Meinungsäußerungsfreiheit nicht mehr gerechtfertigten Weise, weil sie den internen Konflikt zwischen dem Kläger und dem Land betriebsöffentlich dauerhaft zur Schau stellte und dies zugleich in einer deutlich überzogenen Art sowie unter Namensnennung von Vorgesetzten, deren Persönlichkeitsrecht ebenfalls tangiert wurde. Damit trug das Bild zielgerichtet in besonderer Weise zum betrieblichen Unfrieden bei. In der Abwägung zwischen der Freiheit zur Meinungsäußerung und der Pflicht zur Wahrung berechtigter Interessen des Vertragspartners gebührt unter den gegebenen Umständen letzterer der Vorrang. Der Kläger verletzte daher mit dem Aushang seine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen des beklagten Landes. Dieses konnte zudem die Entfernung des Bildes von der Plexiglaswand verlangen.

cc.Die nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit grundsätzlich gebotene vorherige Abmahnung war entgegen der Annahme des Arbeitsgerichts nicht entbehrlich. Weder war bereits ex ante erkennbar, dass eine Verhaltensänderung des Klägers in Zukunft auch nach einer Abmahnung nicht zu erwarten steht, noch hat die Pflichtverletzung ein für die Entbehrlichkeit einer Abmahnung erforderliches Gewicht.

(1)Die Interessenabwägung im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB hat bei Vorliegen einer Vertragspflichtverletzung ua. zum Gegenstand, ob dem Kündigenden eine mildere Reaktion als eine fristlose Kündigung, also insbesondere eine Abmahnung oder fristgerechte Kündigung zumutbar war. Ordentliche und außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer solchen bedarf es nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach einer Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist. Liegt nur eine dieser Fallgruppen vor, kann Ergebnis der Interessenabwägung nicht sein, den Kündigenden auf eine Abmahnung als milderes Mittel zu verweisen. Die zweite Fallgruppe betrifft ausschließlich das Gewicht der in Rede stehenden Vertragspflichtverletzung, die für sich schon die Basis für eine weitere Zusammenarbeit irreparabel entfallen lässt. Dieses bemisst sich gerade unabhängig von einer Wiederholungsgefahr. Die Schwere einer Pflichtverletzung kann zwar nur anhand der sie beeinflussenden Umstände des Einzelfalls beurteilt werden, diese müssen aber die Pflichtwidrigkeit selbst oder die Umstände ihrer Begehung betreffen. Dazu gehören etwa ihre Art und ihr Ausmaß, ihre Folgen, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers sowie die Situation bzw. das „Klima“, in der bzw. in dem sie sich ereignete (BAG 20.05.2021 – 2 AZR 596/20, Rn. 27 mwN).

(2)Danach bedurfte es im vorliegenden Fall vor Ausspruch der Kündigung einer Abmahnung.

(a)Es war bei Ausspruch der Kündigung nicht bereits ex ante erkennbar, dass eine Verhaltensänderung des Klägers in Zukunft auch nach einer Abmahnung nicht zu erwarten stand. Dabei kommt es

……………..

(i)hier nicht darauf an, ob der Kläger in Zukunft ein allgemein weniger problematischer Mitarbeiter sein wird, als es die Beklagte im Rechtsstreit angedeutet hat. Der insoweit wenig substantiierte Vortrag der Beklagten bildet nicht den Kündigungsgrund. Dieser liegt vielmehr in dem Aushang und der Zurschaustellung individueller Konflikte des Klägers mit seinen Vorgesetzten, wie er sich in dem Galgenmännchenbild manifestiert hat.

Insoweit kann eine Verhaltensänderung des Klägers aufgrund einer Abmahnung nicht ausgeschlossen werden. Beruht die Vertragspflichtverletzung – wie hier – auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Dies gilt auch, wenn es allein auf der Sorge um den Arbeitsplatz beruhen sollte (BAG 20.05.2021 – 2 AZR 596/20, Rn. 28 mwN). Gesichtspunkte, die gegen eine künftige Verhaltensänderung des Klägers sprechen, sind auch sonst nicht ersichtlich. Zwar hat die erkennende Kammer aufgrund der mündlichen Verhandlung durchaus den Eindruck gewonnen, dass der Kläger in gewisser Weise zu renitentem und überzogenem Verhalten neigt. So musste ihn der Vorsitzende mehrfach zur Ordnung rufen. Dies allein rechtfertigt allerdings nicht die Annahme, dass der Kläger sein Verhalten in Bezug auf die innerbetriebliche Publikation seiner individuellen Konflikte auch unter dem Eindruck einer Abmahnung nicht ändern würde.

(b)Die Pflichtverletzung des Klägers im Zusammenhang mit dem Aushang des Bildes hatte auch nicht ein solches Gewicht, dass deshalb eine Abmahnung entbehrlich gewesen wäre. Wie oben unter aa. und bb. dargelegt, stellte das Bild keine Formalbeleidigung oder Schmähkritik dar. Es unterfiel grundsätzlich dem Schutzbereich der Meinungsäußerungsfreiheit. Mit seinem Aushang verletzte der Kläger aber die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen des beklagten Landes, weil der Aushang in seiner Ausgestaltung zielgerichtet in besonderer Weise zum betrieblichen Unfrieden beitrug.

Diese Pflichtverletzung hat durchaus erhebliches Gewicht. Die Störung des Betriebsfriedens sowie die Beeinträchtigung der Persönlichkeitsrechte der genannten Vorgesetzten durch den Aushang ist jedoch nicht von solchem Ausmaß, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist. Die Schwere der Pflichtverletzung bewegt sich eher in einem mittleren Bereich und macht damit dem beklagten Land den Ausspruch einer Abmahnung nicht unzumutbar.

dd. Eine einschlägige Abmahnung liegt nicht vor. Die Abmahnungen vom 19.04.2021 sind nicht rechtswirksam, wie oben unter Ziffer I. festgestellt. Soweit auch eine unwirksame Abmahnung unter besonderen Umständen Warnfunktion entfalten kann (vgl. dazu HWK/Quecke, 10. Aufl. § 1 KSchG Rn. 201 aE mwN), macht dies im vorliegenden Fall eine rechtswirksame Abmahnung nicht entbehrlich. Das folgt schon daraus, dass die Abmahnungen vom 19.04.2021 nicht einschlägig waren. Sie betrafen zwar auch den Pflichtenkreis der Rücksichtnahme auf berechtigte Interessen des Vertragspartners. Diese weit gefasste Gemeinsamkeit genügt aber nicht für eine kündigungsrechtlich hinreichende Warnung des Arbeitnehmers. In den Abmahnungen ging es speziell um Äußerungen des Klägers zur Corona-Pandemie und freiwillige Testungen. Das steht mit dem Kündigungsvorwurf nur sehr allgemein in Zusammenhang. Sonstige einschlägige, auch mündliche Abmahnungen sind nicht ersichtlich.

2. Aus den vorstehenden Ausführungen folgt zugleich, dass auch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts in Ermangelung einer einschlägigen Abmahnung unwirksam ist. Auch eine auf das Verhalten des Arbeitnehmers gestützte ordentliche Kündigung setzt regelmäßig eine Abmahnung voraus (BAG 20.05.2021 – 2 AZR 596/20, Rn. 27 mwN). Daran fehlt es.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision iSv. § 72 Abs. 2 ArbGG bestanden nicht.

 

 

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