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Verhaltensbedingte Kündigung einer Pornodarstellerin im kirchlichen Dienst

Landesarbeitsgericht München, Az.: 6 Sa 944/14, Urteil vom 21.04.2015

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Augsburg vom 22. Okt. 2014 – 10 Ca 1518/14 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz noch um die Wirksamkeit einer hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Arbeitgeberkündigung vom 28. Mai 2014.

Die Beklagte ist ein evangelisch-lutherisches Diakoniewerk. Die Klägerin ist bei dieser seit 1. Juni 1999 als Erzieherin in einer Wohngruppe für Menschen mit Behinderung beschäftigt. Im Arbeitsvertrag vom 28. Dez. 1999 (Anlage K1, Bl. 12 ff. d. A.) ist u.a. vereinbart:

„…

§ 3

Für das Dienstverhältnis gelten die Arbeitsvertragsrichtlinien für Einrichtungen, die dem Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland angeschlossen sind (AVR) in der jeweils gültigen Fassung, soweit in § 7 keine abweichende Vereinbarung getroffen ist.

§ 7

Weiter wird folgendes vereinbart:

Die Richtlinien für Mitarbeiter der Behindertenhilfe im Evang.-Luth. Diakoniewerk C-Stadt sind Bestandteil dieses Dienstvertrages.

§ 8

Verhaltensbedingte Kündigung einer Pornodarstellerin im kirchlichen Dienst
Symbolfoto: Von debra hughes /Shutterstock.com

Die Beschlüsse der nach dem Kirchengesetz über das Verfahren zur Regelung der Arbeitsverhältnisse der Mitarbeiter im Dienst der Evang.-Luth. Kirche in Bayern und ihres Diakonischen Werkes (Arbeitsrechtsregelungsgesetz) in der Fassung vom 30.03.1977 gebildeten Arbeitsrechtlichen Kommission zu Regelungen, die den Abschluss und den Inhalt von Dienstverträgen betreffen, sowie die Entscheidungen des nach dem Arbeitsrechtsregelungsgesetz gebildeten Schlichtungsausschusses finden auf das Dienstverhältnis Anwendung.

…“

Die Arbeitsrechtsregelungen über die berufliche Mitarbeit in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern und ihrer Diakonie für den Bereich der privatrechtlichen Dienstverhältnisse (nachfolgend ARR), welche sich aus Anlage 9 AVR ergeben, lauten auszugsweise wie folgt:

„…

§ 6 Loyalitätsobliegenheiten

(1) Die Glaubwürdigkeit der Kirche wird auch daran gemessen, in welcher Weise diakonische Dienstnehmer und Dienstnehmerinnen ihr Leben gestalten und ihre Aufgaben erfüllen. Das Recht, Kritik zu üben, wird durch die persönliche Loyalitätspflicht des Dienstnehmers bzw. der Dienstnehmerin nicht berührt.

(2) …

(3) Von anderen christlichen Dienstnehmern wird erwartet, dass sie Schrift und Bekenntnis achten, sich loyal gegenüber der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern verhalten und dazu beitragen, die Werte des Evangeliums in der Einrichtung zur Geltung zu bringen.

(4) …

§ 7 Verstöße gegen Loyalitätsobliegenheiten

 

(1) …

(2) Insbesondere im Fall des Wegfalls einer Voraussetzung zur Begründung des Dienstverhältnisses nach §§ 2, 3 und 4 oder eines Verstoßes gegen eine Loyalitätsobliegenheit nach § 6 kann als letzte Maßnahme eine ordentliche oder außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund in Betracht gezogen werden. …

(3) Für eine Kündigung aus kirchenspezifischen Gründen werden insbesondere folgende Loyalitätsverstöße aus schwerwiegend angesehen:

– eine schwerwiegende persönliche sittliche Verfehlung.

…“

Die Klägerin tritt unter dem Pseudonym „Z.“ in pornografischen Filmen auf und stellt pornografische Filme und Bilder im Internet auf der Plattform „Y.“ ein; zudem gab sie unter dem Pseudonym auch ein Interview auf dieser Plattform; Die Plattform wirbt u.a. damit man könne mit dem Hochladen eigener Filme und Bilder Geld verdienen. Auf den im Internet eingestellten Filmen und Bildern ist die Klägerin eindeutig zu erkennen.

Die Beklagte brachte über Bekannte von Mitarbeitern die Internetaktivitäten der Klägerin in Erfahrung und hörte diese am 9. Mai 2014 mündlich dazu an. Mit Schreiben vom 13. Mai 2014 (Anlage K 8, Bl. 22 ff. d. A.) forderte sie die Klägerin auf, die entsprechenden Seiten „bis spätestens 20. Mai 2014 aus dem Internet zu nehmen und … innerhalb der gesetzten Frist verbindlich und in Schriftform zu bestätigen, … derartige Aktivitäten künftig dauerhaft“ zu unterlassen bzw. einzustellen. Dies lehnte die Klägerin mit anwaltlichem Schreiben vom 16. Mai 2014 ab. Mit Schreiben vom 20. Mai 2014 stellte die Beklagte die Klägerin „mit sofortiger Wirkung widerruflich von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung frei“ (Anlage K 5, Bl. 19 d. A.). Nach Beteiligung der Mitarbeitervertretung kündigte die Beklagte aus diesem Grund am 23. Mai 2014 außerordentlich (Anlage K 6, Bl. 20 d. A.) und mit Schreiben vom 28. Mai 2014 (Anlage K 7, Bl. 21 d. A.) ordentlich zum 30. Nov. 2014.

Auf die Anfrage der Beklagten mit Schreiben vom 21. Mai 2014, ob sie aus den Internetaktivitäten Einnahmen erzielt habe, antwortete die Klägerin mit anwaltlichem Schreiben vom 21. Mai 2014, sie habe negative Einkünfte erzielt.

Wegen einer nicht genehmigten Nebentätigkeit kündigte die Beklagte nach Beteiligung der Mitarbeitervertretung erneut mit Schreiben vom 6. Juni 2014 außerordentlich (Bl. 27 d. A.) und mit Schreiben vom 11. Juni 2014 ordentlich zum 31. Dez. 2014 (Bl. 31 d. A.).

Mit ihrer am 12. Juni 2014 beim Arbeitsgericht Augsburg eingegangenen Klage vom 11. Juni 2014 wendet sie sich gegen die ausgesprochenen außerordentlichen Kündigungen vom 23. Mai 2014 und vom 6. Juni 2014 sowie gegen die ordentliche Kündigung vom 28. Mai 2014. Mit der am 23. Juni 2014 beim Arbeitsgericht eingegangenen und der Beklagten am 25. Juni 2014 zugestellten Klageerweiterung vom 18. Juni 2014 wendet sie sich zudem gegen die ordentliche Kündigung vom 11. Juni 2014.

Sie hat erstinstanzlich vorgetragen, die berufliche Tätigkeit sei durch die private Tätigkeit nicht tangiert; beide Bereiche habe sie durch die Verwendung des Pseudonyms strikt getrennt. Ihre pornografischen Tätigkeiten seien rein privater Natur. Die Annahme einer schwerwiegenden sittlichen Verfehlung rühre, wie sie angenommen hat, aus einem stark antiquierten Denken. Zutreffend sei zwar, dass sie keine Nebentätigkeitsgenehmigung eingeholt habe. Doch könne deswegen allenfalls nach Ausspruch einer Abmahnung, wie sie angenommen hat, gekündigt werden. Sie habe jedenfalls ihre arbeitsvertraglichen Pflichten vollständig erfüllt.

Sie hat erstinstanzlich beantragt:

I. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die außerordentliche Kündigung vom 23.05.2014 beendet worden ist.

II. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die ordentliche Kündigung vom 28.05.2014 beendet worden ist.

III. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die außerordentliche Kündigung vom 06.06.2014 beendet worden ist.

IV. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die ordentliche Kündigung vom 11.06.2014 beendet worden ist.

V. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern über den 30.11.2014 hinaus fortbesteht.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat das Verhalten der Klägerin als eine schwerwiegende sittliche Verfehlung angesehen, weswegen sie das Arbeitsverhältnis habe kündigen können. Deren pornografische Aktivitäten stünden im Widerspruch zum sexualethischen Standpunkt der Beklagten, wonach das Sexualleben der Partner neben der körperlich-sexuellen Beziehung auch in einer seelisch-geistigen Beziehung bestehe.

Das Arbeitsgericht Augsburg hat mit Endurteil vom 22. Okt. 2014 (Bl. 174 ff. d. A.) festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche Kündigung vom 23. Mai 2014 noch durch diejenige vom 6. Juni 2014 beendet worden war. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Wegen des unstreitigen und des streitigen Sachvortrags der Parteien im Übrigen sowie der maßgeblichen rechtlichen Erwägungen des Erstgerichts wird auf diese Entscheidung Bezug genommen.

Im Wesentlichen führt das Arbeitsgericht aus, die Klägerin habe sich auch in ihrem außerdienstlichen Verhalten nicht in Widerspruch zu den ethischen Ansprüchen ihrer Arbeitgeberin zu setzen. Dagegen habe sie mit ihren pornografischen Aktivitäten im Internet verstoßen; diese seien nicht mit der in den Leitlinien kirchlichen Lebens festgeschriebenen Sexualethik zu vereinbaren und stellten eine schwere persönliche sittliche Verfehlung dar. Nach der kirchlichen Sexualethik bedürfe das Sexualleben neben der körperlich sexuellen Beziehung auch einer geistig-seelischen Verbindung. Zwar könne sich die Klägerin auf das Recht der freien Entfaltung ihrer Persönlichkeit berufen, das es verbiete, das der Arbeitgeber privates Verhalten, das sich nicht auf den dienstlichen Bereich auswirke, mit einer Kündigung zu sanktionieren. Dieses Recht sei allerdings durch das ebenso grundrechtlich geschützte Selbstverwaltungsrecht verfasster Kirchen eingeschränkt. Die Einbeziehung der kirchlichen Arbeitsverhältnisse in das staatliche Arbeitsrecht hebe deren Zugehörigkeit zu den eigenen Angelegenheiten der Kirchen nicht auf, weswegen die Kirchen in den Schranken des für alle geltenden Gesetzes den kirchlichen Dienst nach ihrem Selbstverständnis und den spezifischen Obliegenheiten kirchlicher Arbeitnehmer festgelegen könnten. Maßgeblich sei danach, auf welche kirchlichen Grundpflichten es ankomme, was die Glaubwürdigkeit der Kirche erfordere und welche Loyalitätsverstöße als schwerwiegend anzusehen seien, ohne dass es auf die Ansicht der Allgemeinheit zu den ethischen Fragen ankomme.

Dennoch seien die ausgesprochenen außerordentlichen Kündigungen nicht wirksam, da der Beklagten trotz der Loyalitätspflichtverletzung eine Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zuzumuten sei. Denn die Pflichtverletzungen hätten in der Freizeit stattgefunden und hätten keine Auswirkungen auf den konkreten Dienst der Klägerin gezeitigt. Gleiches gelte in Ansehung der nicht erholten Nebentätigkeitsgenehmigung. Allerdings beende die ordentliche Kündigung vom 28. Mai 2014 das Arbeitsverhältnis; einer vorangegangenen Abmahnung bedürfe es dazu nicht, da für die Zukunft mit keiner Verhaltensänderung zu rechnen sei. Im Rahmen der Interessenabwägung sei zwar die 15-jährige Tätigkeit der Klägerin für die Beklagte zu betrachten. Zudem spiele sich die Verletzung der Loyalitätspflichten im privaten Bereich ab. Dennoch überwiege das Kündigungsinteresse der Beklagten, da die Pflichtverletzung offen im Internet erfolge. Wenngleich die Klägerin ein Pseudonym verwende, so sei sie auf den Bildern und in den Filmen eindeutig erkennbar. Im Falle einer Duldung dieser privaten Aktivitäten durch die Beklagte litte deren Glaubwürdigkeit erheblich. Schließlich sei die Klägerin auch im Bereich der Sexualerziehung tätig, weswegen die Gefahr bestehe, dass die Eltern und Angehörigen ihr Vertrauen in die Einrichtung der Beklagten verlören. Zudem übe die Klägerin keinen kirchenspezifischen Beruf aus, und habe die Möglichkeit, auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eine neue Stelle zu finden.

Gegen diese ihr am 10. Nov. 2014 zugestellte Entscheidung hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 8. Dez. 2014, der am selben Tag per Telefax beim Landesarbeitsgericht eingegangen war, Berufung eingelegt und diese nach der Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist auf ihren Antrag hin bis 10. Feb. 2015 (Beschluss vom 7. Jan. 2015, Bl. 215 d. A.), mit Schriftsatz vom 9. Feb. 2015, der am selben Tag per Telefax eingegangen war, begründet.

Sie ist der Ansicht, mit ihren pornografischen Aktivitäten keine schwerwiegende Verfehlung nach § 7 Abs. 3 ARR begangen zu haben. Dabei beruft sie sich auf eine Aussage vom Direktor der Evangelischen Akademie Thüringen, Prof. Dr. Haspel, die in einem Beitrag zu „neuen evangelischen Sexualethik“ enthalten sei (vgl. Anlage K 12, Bl. 227 ff, 228 d. A.), wonach es eine gute Entwicklung gebe, dass die repressive Sexualmoral, die in Deutschland bis in die 70er-Jahre geherrscht habe, entschwunden sei. Ebenso trete die Diakonie für eine Liberalisierung sexueller Fragen ein; so erstrebe die Dortmunder Mitternachtsmission e.V. die Beendigung der Diskriminierung von Prostituierten und eine Gleichstellung von allen in der Prostitution arbeitenden Menschen. Nun habe Pornografie nichts mit Prostitution zu tun. Doch sei es nicht miteinander in Einklang zu bringen, einerseits zu versuchen, die Diskriminierung von Prostituierten aufzuheben, andererseits aber eine andere Person zu diskriminieren, weil sie an pornografischen Filmen mitwirke.

Das Arbeitsgericht gehe von dem unzutreffenden Ansatz aus, bei der Beklagten liege eine festgeschriebene Sexualethik vor, welche strikt pornografische Aktivitäten stigmatisiere. Es könne, wie sie meint, offen bleiben, ob Pornografie eine sittliche Verfehlung darstelle, jedenfalls handle es sich um keinen schwerwiegenden Verstoß. Insbesondere sei bislang keine Auswirkung auf ihre Tätigkeit erkennbar gewesen, wie auch das Arbeitsgericht ausführe.

Die arbeitsgerichtliche Begründung von Loyalitätspflichtverletzungen beruhe auf hypothetischen Ansätzen. Ein real existierender Schaden sei nicht zu verzeichnen. § 6 ARR spreche aber nicht davon, dass künftig etwas falsch gemacht werden könnte. Vielmehr komme es darauf an, wie die evangelisch-lutherische Kirche repräsentiert werde. Sie habe sich stets loyal zur Kirche verhalten und die Werte des Evangeliums in der Einrichtung zur Geltung gebracht. Zudem gewähre § 6 Abs. 1 Satz 2 ARR das Recht, Kritik zu üben. Gäbe es bei der Beklagten (hypothetisch) eine Sexualmoral, die pornografische Aktivitäten als schwere sittliche Verfehlung ansehe, so stelle sich die Frage, wie man Kritik üben könnte. Dabei sei es sicherlich die kleinere Kritik, an pornografischen Filmen mitzuwirken und dies nicht „an die große Glocke“ zu hängen, als öffentlich gegen diese Moral aufzutreten. Sie habe mithin die harmloseste Form der Kritik gewählt.

Pornografie habe zudem nichts mit Prostitution zu tun. So sei es nicht miteinander vereinbar, dass auf der einen Seite versucht werde, die Diskriminierung Prostituierter zu verhindern, andererseits jemand anderen wegen der Mitwirkung an pornografischen Filmen durch Ausspruch einer Kündigung diskriminiere.

Da hinsichtlich der nicht erholten Nebentätigkeitsgenehmigung eine Kündigung ohne vorangegangene Abmahnung nicht in Betracht komme, seien, wie sie meint, auch die ausgesprochenen ordentlichen Kündigungen nicht gerechtfertigt.

Sie beantragt: Das Urteil des Arbeitsgerichts Augsburg wird abgeändert und es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis auch nicht durch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung vom 28.05.2014 bzw. durch die ordentliche Kündigung vom 11.06.2014 beendet worden ist, sondern zu unveränderten Bedingungen über den 31.12.2014 hinaus fortbesteht.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung. Die Klägerin trage keine Umstände vor, aus denen sich eine Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die erstinstanzliche Entscheidung oder eine unvollständige Tatsachenfeststellung ergebe. Zu Recht habe das Arbeitsgericht in den in Internet zu sehenden pornografischen Aktivitäten der Klägerin eine schwere persönliche sittliche Verfehlung gesehen, welche der festgeschriebenen kirchlichen Sexualethik widerspreche. Das von dieser angeführte Zitat von Prof. Dr. Haspel stehe dem nicht entgegen und sei nicht geeignet die Loyalitätspflichten zu relativieren. Sie verkenne damit das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften, die alleine festlegen könnten, was ihre Glaubwürdigkeit erfordere, was als spezifisch kirchliche Aufgabe sei und welches die wesentlichen Grundsätze der Glaubens- und Sittenlehre sind.

Mit den Ausführungen der Klägerin zur Dortmunder Mitternachtsmission verkenne diese, dass es vorliegend nicht um eine Diskriminierung ihrer Person gehe, sondern um die Verletzung von Loyalitätspflichten durch ihre Aktivitäten im Internet. Damit gehe nicht das Arbeitsgericht, sondern sie selbst von einem falschen Ansatz aus. Das Arbeitsgericht begründe die Loyalitätspflichtverletzungen maßgeblich aus den Internetaktivitäten der Klägerin und nicht auf Grund hypothetischer Ansätze. Auf einen real existierenden Schaden komme es nicht an.

Wegen des Sachvortrages der Parteien im Einzelnen wird auf die Schriftsätze der Klägerin vom 11. Juni 2014 (Bl. 8 ff. d. A.), vom 12. Juni 2014 (Bl. 26 f. d. A.), vom 18. Juni 2014 (Bl. 30 f. d. A.), vom 16. Sept. 2014 (Bl. 148 ff. d. A.), vom 8. Dez. 2014 (Bl. 208 ff. d. A.) und vom 9. Feb. 2015 (Bl. 222 ff. d. A.), der Beklagten vom 1. Juli 2014 (Bl. 55 ff. d. A.), vom 28. Aug. 2014 (Bl. 112 ff. d. A.), vom 8. Sept. 2014 (Bl. 140 d. A.), vom 21. Okt. 2014 (Bl. 168 ff. d. A.), vom 15. Jan. 2015 (Bl. 213 d. A.) und vom 27. März 2015 (Bl. 248 ff. d. A.) sowie auf die Sitzungsprotokolle vom 22. Okt. 2014 (Bl. 163 f. d. A.) und vom 21. Apr. 2015 (Bl. 253 ff. d. A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die statthafte Berufung bleibt in der Sache ohne Erfolg.

I. Die Berufung ist zulässig.

Sie ist nach § 64Abs. 1,2c ArbGG statthaft sowie in rechter Form und Frist eingelegt und begründet worden (§ 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, § 519Abs. 2, § 520 Abs. 3 ZPO i.V.m. § 66 Abs. 1 Sätze 1, 2, 5 ArbGG, § 222 ZPO).

II. In der Sache bleibt die Berufung ohne Erfolg.

Das Arbeitsgericht hat zutreffend und mit zutreffender Begründung die ausgesprochene ordentliche Kündigung als gerechtfertigt angesehen, mit der Folge, dass das Arbeitsverhältnis zum 30. Nov. 2014 beendet worden war (§ 1 Abs. 2 KSchG). Die dagegen gerichteten Angriffe der Klägerin führen zu keinem anderen Ergebnis.

Vorweg wird zur Vermeidung von Wiederholungen zunächst auf die ausführlichen und überzeugenden Darlegungen des Arbeitsgerichts Bezug genommen (§ 69 Abs. 2 ArbG). Hinsichtlich der Berufungsangriffe ist ergänzend auszuführen:

1. Die ausgesprochenen außerordentlichen Kündigungen sind nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens. Die Beklagte hat gegen die arbeitsgerichtlich festgestellte Unwirksamkeit dieser keine (Anschluss-)Berufung eingelegt. Ebenso ist die vom Arbeitsgericht allein im Tatbestand unterstellte, inhaltlich in den Entscheidungsgründen aber nicht geprüfte, ordnungsgemäße Beteiligung der Mitarbeitervertretung nicht zu überprüfen, da die Klägerin insoweit keine Rüge erhoben hat.

2. Die Kündigung vom 28. Mai 2014 ist nach § 1 Abs. 2 KSchG aus verhaltensbedingten Gründen sozial gerechtfertigt; sie hat das zwischen den Parteien bestandene Arbeitsverhältnis wirksam aufgelöst. Mit den pornografischen Filmen, in denen sie mitgewirkt hat und die sie im Internet eingestellt hat, hat sie eine schwerwiegende persönliche sittliche Pflicht i.S.v. § 7 Abs. 3 ARR, die über § 3 des Arbeitsvertrages und Anlage 9 AVR auf das Arbeitsverhältnis Anwendung finden, verletzt.

a. Aus Gründen im Verhalten eines Arbeitnehmers ist eine Kündigung nach § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt, wenn dieser (schuldhaft) eine Vertragspflicht, zu deren Einhaltung er rechtswirksam hatte verpflichtet werden können, erheblich verletzt hat, keine zumutbare Möglichkeit einer anderen Beschäftigung besteht, bei der künftige Störungen zuverlässig ausgeschlossen wären und die Beendigung des Arbeitsverhältnisses in Abwägung der Interessen beider Vertragsteile billigenswert und angemessen erscheint. Dabei kann auch die erhebliche Verletzung einer vertraglichen Nebenpflicht zur sozialen Rechtfertigung einer Kündigung ausreichen (BAG v. 8. 9. 2011 – 2 AZR 543/10, NZA 2012, 443, unter Rz. 16; BAG v. 9. 6. 2011 – 2 AZR 284/10, NZA-RR 2012, 12, unter Rz. 34, jeweils m.w.N.).

b. Die Beklagte konnte die Einhaltung ihrer Glaubens- und Sittenlehre auch durch die Klägerin verlangen. Insoweit ist kein Verstoß gegen verfassungsrechtliche Vorgaben zu erkennen.

Dem steht allerdings das Recht der Klägerin auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG) gegenüber, das auch das Recht und die Freiheit umfasst, ihre Freizeitgestaltung nicht an den Interessen des Arbeitgebers ausrichten zu müssen. Die Gestaltung des privaten Lebensbereichs steht außerhalb der Einflusssphäre des Arbeitgebers und wird durch arbeitsvertragliche Pflichten nur insoweit eingeschränkt, wie sich das private Verhalten auf den betrieblichen Bereich auswirkt und dort zu Störungen führt. Soweit außerdienstliches Verhalten den arbeitsvertraglichen Pflichtenkreis nicht berührt, ist der Arbeitgeber regelmäßig nicht berechtigt, die ihm bekannt gewordenen Umstände aus der Privatsphäre des Arbeitnehmers durch Ausspruch einer Kündigung zu sanktionieren (BAG v. 8. 9. 2011, a.a.O., unter Rz. 21; BAG v. 10. 9. 2009 – 2 AZR 257/08, NZA 2010, 220, unter Rz. 20).

Doch bestehen das Grundrecht eines Arbeitnehmers nach Art. 2 Abs. 1 GG nicht uneingeschränkt. Vielmehr ist das durch Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV verfassungsrechtlich verbürgte Selbstordnungs- und Selbstverwaltungsrecht sowie einer korporativen Religionsfreiheit der verfassten Kirchen zu berücksichtigen. (BVerfG v. 22. 10. 2014, a.a.O., unter Rz. 91 m.w.N.; BVerfG v. 22. 10. 2014 – 2 BvR 661/12, NZA 2014, 1387, unter Rz. 82 ff.). Dieses Recht besteht aber nicht allein zugunsten der Kirchen als solcher, sondern auch zugunsten der ihnen zugeordneten, insbesondere karitativen Einrichtungen zu (BVerfG v. 4. 6. 1985 – 2 BvR 1718/83, NJW 1986, 131, unter Rz. 59 [juris]), mithin auch der Beklagten, welche dem Sendungsauftrag der evangelischen Kirche in Bayern u.a. im Bereich der Betreuung und Förderung nachkommt. Denn nach Art. 137 Abs. 3 WRV ordnet und verwaltet jede Religionsgesellschaft ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Diese unabhängig vom jeweiligen Status der Religionsgemeinschaft geltende (Art. 137 Abs. 7 WRV) Garantie erweist sich als notwendige, rechtlich selbständige Gewährleistung, die der Freiheit des religiösen Lebens und Wirkens der Kirchen und Religionsgemeinschaften die zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben unerlässliche Freiheit der Bestimmung über Organisation, Normsetzung und Verwaltung hinzufügt (BVerfG v. 22. 10. 2014, a.a.O.; unter Rz. 90; ferner BVerfG v. 25. 3. 1980 – 2 BvR 208/76, NJW 1980, 1875). Die Verfassungsgarantie des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts gewährleistet zugleich, darüber zu befinden, welche Dienste es in ihren Einrichtungen geben soll und in welchen Rechtsformen sie wahrzunehmen sind. Die Kirchen können sich dabei der staatlichen Privatautonomie bedienen, um ein Arbeitsverhältnis zu begründen und zu regeln (BVerfG v. 4. 6. 1985, a.a.O., unter Rz. 58 [juris]). In diesem Fall findet auf diese Arbeitsverhältnisse das staatliche Arbeitsrecht Anwendung, ohne aber deren Zugehörigkeit zu den „eigenen Angelegenheiten“ der Kirche i.S.v. Art. 140 GG, Art. 137 Abs. 3 WRV aufzuheben. Den Kirchen ist es mithin möglich, in den Schranken des für alle geltenden Gesetzes den kirchlichen Dienst nach ihrem Selbstverständnis zu regeln und dazu die spezifischen Obliegenheiten kirchlicher Arbeitnehmer verbindlich zu machen. Mit der Festlegung von Loyalitätsanforderungen im Arbeitsvertrag nimmt der kirchliche Arbeitgeber nicht allein die allgemeine Vertragsfreiheit für sich in Anspruch, sondern macht zugleich von seinem verfassungsrechtlichen Selbstbestimmungsrecht Gebrauch (BVerfG v. 4. 6. 1985, a.a.O., unter Rz. 59 [juris]; BAG v. 22. 10. 2014, a.a.O., unter Rz. 23).

c. Welche kirchlichen Grundverpflichtungen Gegenstand des Arbeitsverhältnisses sein können, bestimmt sich nach den von der verfassten Kirche anerkannten Maßstäben. Auf die Auffassung einzelner betroffene kirchlicher Einrichtungen, bei denen die Meinungsbildung von verschiedenen Motiven beeinflusst sein kann, oder diejenige breiter Kreise unter Kirchenmitgliedern oder gar einzelner, bestimmten Tendenzen verbundener Mitarbeiter, kommt es nicht an (BAG v. 22. 10. 2014, a.a.O., Rz. 24; BAG v. 21. 2. 2001 – 1 AZR 139/00, NZA 2011, 1136, unter Rz. 53 [juris]). Die vorgegebenen kirchlichen Maßstäbe zur Bewertung einzelner Loyalitätsanforderungen sind von den Gerichten zugrunde zu legen, soweit diese vom verfassungsrechtlich anerkannten Selbstbestimmungsrecht umfasst sind. Danach ist es grundsätzlich den verfassten Kirchen überlassen, verbindlich zu bestimmen, was die „Glaubwürdigkeit der Kirche und der Einrichtung, in der sie beschäftigt sind“ erfordert, welches die zu beachtenden Grundsätze der Glaubens- und Sittenlehre sind und welche Loyalitätsverstöße aus „kirchenspezifischen Gründen“ als „schwerwiegend“ anzusehen sind. Auch die Entscheidung darüber, ob und wie innerhalb der im kirchlichen Dienst tätigen Mitarbeiter eine Abstufung der Loyalitätsanforderungen eingreifen soll, ist grundsätzlich eine dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht unterliegende Angelegenheit (BAG v. 21. 2. 2001, 22. 10. 2014, jeweils a.a.O.; EGMR v. 3. 2. 2011 – 18136/02, EzA BGB 2002 § 611 Kirchliche Arbeitnehmer Nr. 17).

d. Vorliegend ist ein Loyalitätsverstoß der Klägerin gegeben. Diese hat die Loyalitätspflicht nach § 6 ARR, welche über § 3 des Arbeitsvertrages und § 9 AVR auch auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin anzuwenden ist, verletzt. Das private Verhalten der Klägerin, d.h. ihre pornografischen Aktivitäten sowie deren Einstellen ins Internet sind als schwere persönliche sittliche Verfehlung i.S. § 6 Abs. 1, § 7 Abs. 3 ARR anzusehen. Insbesondere kann das Verhalten der Klägerin, entgegen ihrer eigenen Annahme, nicht als erlaubte Kritik nach § 6 Abs. 1 Satz 2 ARR betrachtet werden.

aa. Die sexualethischen Vorstellungen der evangelischen Kirche in Bayern und damit auch der Beklagten sowie die Auferlegung auch im Privatbereich zu beachtender Loyalitätspflichten, stehen, wie das Arbeitsgericht bereits zutreffend ausgeführt hat, im Einklang mit der Rechtsordnung. Mit der Forderung, die Klägerin müsse auch diese beachten, verstößt die Beklagte mithin nicht gegen verfassungsrechtliche Vorgaben.

bb. Diese Loyalitätspflichten hat die Klägerin mit ihren pornografischen Aktivitäten verletzt. Ihr Verhalten ist mit den Leitlinien des kirchlichen Lebens und der kirchlichen Sexualethik nicht vereinbar und stellt eine schwere persönliche sittliche Verfehlung dar (§ 7 Abs. 3 ARR). Danach ist das Sexualleben nicht auf eine körperlich-sexuelle Beziehung reduziert, sondern verlangt auch nach einer geistig-seelischen Verbundenheit der Partner.

cc. Die Klägerin kann sich demgegenüber nicht auf eine bereits geänderte oder (wünschenswert) zu ändernde auch kirchliche Sexualmoral berufen. Solches folgt weder aus dem von ihr vorgelegten Artikel (Anlage K 12, Bl. 227 ff.), noch wäre ein Plädoyer einzelner für eine zu ändernde Sozialmoral der evangelischen Kirche in Bayern vorliegend maßgebend.

(1) Dem klägerseits vorgelegten Artikel (Anlage K 12, a.a.O.), der zudem zuvorderst nur ein Plädoyer für eine neue (derzeit nur teilweise befürwortete) Sexualethik der evangelischen Kirche beinhaltet, ist zwar zu entnehmen, dass sich die Sexualmoral und Sexualethik der Evangelischen Kirche in Deutschland in den letzten Jahren und Jahrzehnten geändert hat. Sexualität wird danach nicht mehr allein oder überwiegend auf die Ehe fokussiert, sondern – der tatsächlichen Lebenssituation entsprechend – unterscheidet und anerkennt die Kirche auch voreheliche, vorfamiliale und auch nacheheliche Lebensphasen, in die Sexualität eingebunden ist, wenngleich die Ehe für viele Protestanten „nach wie vor das A und O der zwischenmenschlichen Beziehung“ darstellt (a.a.O., Bl. 228 d. A.). Ebenso werden homophile Neigungen verändert betrachtet, deren Ablehnung nicht biblisch-exegetisch zu begründen sei (a.a.O.). Ohne auf die einzelnen Aspekte des Artikels gesondert einzugehen, ergibt sich aus diesem – und insoweit ist die von der Klägerin angezogene Äußerung des Direktors der evangelischen Akademie Thüringen Dr. Haspel (Anlage BK 12, S. 3, Bl. 228 d. A.) zutreffend, dass es eine gute Entwicklung gebe und die repressive Sexualmoral entschwunden sei, zutreffend – nicht, dass die kirchliche Sexualmoral auch einer bloßen, auf körperlich-sexuelle Beziehung reduzierten Sexualität nicht entgegenstehe. Der Fokus ist vielmehr nicht mehr nur auf die Sexualität in der Ehe gerichtet; diese wird auch in anderen Lebenslagen (vorehelich, nachehelich, etc.) und auch zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern nicht mehr als biblisch-exegetisch nicht begründbar angesehen. Sexualität ist zudem nicht allein auf die Familienplanung beschränkt.

Was die Klägerin in dem von ihr vorgelegten Artikel aber gerade übersieht oder verschweigt: Dr. Haspel plädiert dafür, dass eine neue evangelische Sexualmoral „vom Würdebegriff ausgehen“ sollte. „Die Würde des anderen zu wahren sollte zu den Prioritäten einer Sexualethik zählen: Damit würde ein pornografischer, kommerzieller Umgang mit Sexualität ausgeschlossen, …“ (Anlage K 12, Seite 4 f., Bl. 229 f. d. A.). Ungeachtet des Umstandes, dass Dr. Haspel in seinen zitierten Äußerungen nicht die derzeit geltende Sexualethik der evangelischen Kirche referiert, sondern einer erst künftigen Entwicklung das Wort redet, schließt gerade die letztere Bemerkung eine Sexualität und Sexualmoral, wie sie die Klägerin versteht, auch nach seinem Verständnis aus. Eine solche ist danach weder mit der derzeitigen noch mit einer von Dr. Haspel befürworteten künftigen Sexualmoral der evangelischen Kirche vereinbar.

(2) Daneben ist zu sehen, dass es für die von kirchlichen Arbeitnehmern zu beachtenden Maßstäbe auf diejenigen der verfassten Kirche, nicht auf die Maßstäbe breiter Kreise ankommt und ankommen kann (vgl. oben II 2 c; BAG v. 22. 10. 2014, a.a.O., Rz. 24; BAG v. 21. 2. 2001 – 1 AZR 139/00, NZA 2011, 1136, unter Rz. 53 [juris]). Ein Plädoyer einzelner auch herausragender Kirchenvertreter oder Kirchenmitglieder stellt danach keine Rechtfertigung für ein abweichendes Verhalten einzelner kirchlicher Arbeitnehmer dar, das den Maßstäben der verfassten Kirche widerspricht.

e. Die ausgesprochene ordentliche Kündigung ist nicht unverhältnismäßig. Weder bedurfte der Kündigungsausspruch einer vorangegangenen vergeblichen Abmahnung, noch ist hier ein Überwiegen des Bestandsschutzinteresses der Klägerin gegenüber dem Kündigungsinteresse der Beklagten zu erkennen.

aa. Die Kündigung ist nicht mangels des vorherigen Ausspruches einer Abmahnung unwirksam. Einer solchen bedurfte es nicht.

(1) Als milderes Mittel zur Vermeidung auch einer Kündigung kann auch der vorrangige Ausspruch einer Abmahnung dienen. Der Ausspruch einer Abmahnung ist in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes allein dann nicht geboten, wenn eine künftige Verhaltensänderung des Arbeitnehmers nach deren Erteilung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, deren Hinnahme durch den Arbeitgeber für den Arbeitnehmer offensichtlich erkennbar ausgeschlossen ist (BAG v. 10. 6.

2010 – 2 AZR 541/09, NZA 2010, 1227; BAG v. 19. 4. 2012 – 2 AZR 258/11, NZA-RR 2012, 567 jeweils a.a.O.; BAG v. 9. 6. 2011 – 2 AZR 381/10, NZA 2011, 1027). Diese Grundsätze finden ebenso bei Störungen im Vertrauensbereich Anwendung (BAG v. 9. 6. 2011, 19. 4. 2012, jeweils a.a.O.; BAG v. 12. 5. 2010 – 2 AZR 845/08, NZA 2010, 1348).

(2) Eine Abmahnung hätte hier keinen Erfolg versprochen. Die Klägerin war mit Schreiben vom 13. Mai 2014 (Anlage K 8, Bl. 22 d. A.) aufgefordert worden, ihre pornografischen Internetaktivitäten dauerhaft einzustellen; für den Fall der Weigerung war sie auf eine Kündigungsmöglichkeit hingewiesen worden. Sie hatte daraufhin aber unmissverständlich erklärt, dazu nicht bereit zu sein, wobei sie sich dabei auch (kurz) mit der Kündigungsmöglichkeit auseinandergesetzt hatte (Schreiben vom 16. Mai 2014, Anlage B 4, Bl. 122 f. d. A.). Nach alledem hätte, wie das Arbeitsgericht zutreffend erkennt, eine weitere formelle Abmahnung keine Verhaltensänderung der Klägerin erwarten lassen.

bb. Die ausgesprochene Kündigung ist nicht wegen Verstoßes gegen §§ 1, 7 AGG ungerechtfertigt i.S.d. § 1 Abs. 2 KSchG. Mit dieser hat die Beklagte die Klägerin entgegen deren Annahme nicht wegen ihrer sexuellen Identität diskriminiert.

Der in § 1 AGG verwandte und auf der Richtlinie 2000/78/EG fußende Begriff der „sexuellen Identität“ meint die identitätswahrend wahrgenommene sexuelle Ausrichtung einer Person (ErfK/Schlachter, 15. Aufl., § 1 AGG Rz. 14; HWK/Annuß/Rupp, Arbeitsrecht Kommentar, 4. Aufl., § 1 AGG Rz. 12; Thüsing, Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz, 2. Aufl., Rz. 213). Die Begrifflichkeit betrifft mithin Fragen der homo-, hetero- oder bisexuellen, wie auch eine transsexuellen oder zwischengeschlechtlichen Identität eines Menschen; keiner dieser Begriffe ist durch die vorliegend ausgesprochene Kündigung tangiert. Bei der Klägerin ist – ersichtlich – eine heterosexuelle Identität gegeben, welche aber keinerlei Anlass für die ausgesprochene Kündigung darstellt oder dargestellt hat.

Soweit die Klägerin meint, ihre Intention, ihre Sexualität in pornografischen Filmen ausleben und diese ggf. auch im Internet einstellen zu können, sei Teil ihrer sexuellen Identität, kann dem die Kammer nicht folgen. Dies betrifft allein die Frage, wie die Sexualität tatsächlich gelebt wird, offen oder (eher) heimlich.

cc. Unter Abwägung der beiderseitigen Interessen überwiegt das Kündigungsinteresse der Beklagten.

(1) In Fällen einer hier gegebenen Nichtachtung von Loyalitätsanforderungen ist die Frage nach der sachlichen Rechtfertigung der Kündigung eines kirchlichen Arbeitsverhältnisses nach den kündigungsschutzrechtlichen Vorschriften – hier – des § 1 KSchG zu beantworten. Diese unterliegen als für alle geltendes Gesetz i.S.v. Art. 137 Abs. 3 Satz 1 WRV umfassender arbeitsgerichtlicher Anwendungskompetenz (BVerfG v. 7. 3. 1992 – 1 BvR 1962/01, NZA 2002, 609; BAG v. 21. 2. 2001, 8. 9. 2014, jeweils a.a.O.). Auch im Rahmen des Art. 137 Abs. 3 WRV ist dem gewährleisteten Selbstbestimmungsrechts der Religionsgemeinschaften Rechnung zu tragen (BVerfG v. 4. 6. 1985, a.a.O.), ohne dass die Gerichte die religiös vorgeprägten Sachverhalte einer eigenen Bewertung unterziehen dürften (BVerfG v. 22. 10. 2014, a.a.O.; BVerfG v. 4. 6. 1985, a.a.O.; vgl. auch Trebeck, öAT 2015, 92).

(2) Der Klägerin, der die gegenüber ihrer Arbeitgeberin einzuhaltenden Loyalitätspflichten zumindest erkennbar sind, betreibt ihren Loyalitätsverstoß, wie schon das Arbeitsgericht zutreffend ausführt, nicht hinter verschlossenen Türen, sondern öffentlich im Internet. Jeder Dritte, auch Bewohner der von ihr betreuten Wohngruppe oder deren Angehörige können jederzeit von ihren pornografischen Aktivitäten erfahren und/oder diese – mehr oder weniger leicht – beobachten. Zwar verwendet die Klägerin in ihren pornografischen Filmen und auch für die im Internet zu sehenden Bilder ein Pseudonym. Doch ist sie auf den Bildern bzw. in den Filmen eindeutig zu erkennen.

Durch diese Aktivitäten der Klägerin würde die Beklagte in ihrer Glaubwürdigkeit erheblich tangiert, beschäftigte sie die Klägerin, die von ihren in der Öffentlichkeit weitgehend bereits bekannten Aktivitäten keinen Abstand nehmen will, weiter. Denn sie ist in einem glaubensnahen Bereich tätig, in dem auch Sexualerziehung oder zumindest Hilfestellung bei sexuellen Fragen oder Problemen unstreitig eine Rolle spielt. Die Klägerin kann sich demgegenüber nicht darauf berufen, dass sie im Beruflichen stets die „kirchliche Linie“ beachtet habe. Dies bedeutet vielmehr, dass sie sich weiter unglaubwürdig macht, wenn sie einerseits die Regeln und Überzeugungen der kirchlichen Sexualität vermittelt, sich selbst aber erkennbar nicht an diese hält. Frei nach Heinrich Heine (Deutschland. Ein Wintermärchen, Kapitel 2) predigte sie damit Wasser, tränke aber selbst Wein. Damit verlieren die Bewohner und/oder deren Angehörige das Vertrauen in die von der Klägerin mit betreute Einrichtung oder können das Vertrauen zumindest verlieren, umso mehr, als wohl zumindest einzelne von ihnen diese Einrichtung bewusst wegen der religiösen Ausrichtung gewählt haben. Erziehung oder Hilfe bei sexuellen Fragen durch die Klägerin könnte nicht mehr ernst genommen werden, selbst wenn sie darin die christlichen Werte vermittelt, die sie aber, für die Bewohner und/oder Angehörigen ersichtlich, selbst nicht lebt.

Damit konkurriert zwar das Grundrecht der Klägerin auf allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG).Diese hat aber nach Art. 140 GG, Art. 137 Abs. 3 WRV infolge des den verfassten Kirchen eingeräumten Selbstbestimmungsrechts zurückzutreten, zumal die berufliche Ausrichtung der Klägerin nicht auf kirchliche Einrichtungen beschränkt ist.

3. Inwieweit die (weitere) Kündigung mit Erfolg auf die nicht erholte Nebentätigkeitsgenehmigung hatte gestützt werden können, ist damit unerheblich.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

IV. Umstände, welche eine Zulassung der Revision (§ 72 Abs. 2 ArbGG) bedingten, liegen nicht vor.

 

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