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Verhaltensbedingte Kündigung – Nichtaufnahme der Arbeit nach Ablauf Elternzeit – Dauer Elternzeit

Landesarbeitsgericht Frankfurt – Az.: 12 Sa 290/11 – Urteil vom 10.01.2012

Die Berufungen sowohl der Klägerin als auch der Beklagten werden zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung haben die Parteien je zur Hälfte zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen sowie einer vorsorglichen ordentlichen Kündigung.

Die 43jährige, verheiratete Klägerin war seit dem 1.10.1999 in der Rechtsabteilung der Beklagten als Volljuristin beschäftigt. Sie erzielte zuletzt ein Jahresgehalt von € 82.300,– brutto.

Am 13.07.2008 brachte die Klägerin einen Sohn zur Welt. Mit Schreiben vom 21.07.2008 (Bl. 28 d.A.) teilte sie dies der Beklagten mit und führte weiter aus, dass sie „Elternzeit von zunächst zwei Jahren“ beantrage. Mit Schreiben vom 12.08.2008 (Bl. 29 d.A.) bestätigte die Beklagte die beantragte Elternzeit und wies darauf hin, dass der erste Arbeitstag – nach Ende der Elternzeit am 12.07.2010 – der 13.07.2010 sei. Die Klägerin begleitete während der Elternzeit ihren Ehemann nach Indien, der dort auf Zeit beruflich tätig war. Mit E-Mail vom 22.10.2009 fragte die Beklagte nach einer aktuellen Anschrift der Klägerin, nachdem sie ihr die Meldebescheinigung für die Sozialversicherung an die bisherige Wohnanschrift nicht erfolgreich zuzusenden vermochte. Die Klägerin bat darauf mit E-Mail vom 27.10.2009 (Bl. 72 d.A.), zukünftig die für sie bestimmte Post an die Anschrift „Grabenacker 14 in 67295 Bolanden“ zu senden. Dort wohnt die Mutter der Klägerin.

Am 13.07.2010 erschien die Klägerin nicht zur Arbeit. Am Nachmittag des 14.07.2010 sprach die Beklagte deshalb gegenüber der Klägerin eine Abmahnung aus, die per Boten am selben Tage an die von der Klägerin mitgeteilte Anschrift überbracht und dort ihrer Mutter ausgehändigt wurde. Bei Aushändigung der Abmahnung informierte diese darüber, dass sich ihre Tochter im Urlaub in Italien aufhalte. Nachdem die Klägerin bis zum 29.07.2010 weder die Arbeit aufgenommen noch sich bei der Beklagten überhaupt gemeldet hatte, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin außerordentlich mit sofortiger Wirkung sowie ordentlich zum 31.12. 2010. Zuvor hörte sie mit Anschreiben vom 20.07.2010 (Bl. 36 d.A.), das am 21.07.2010 zuging, den Betriebsrat zu den beabsichtigten Kündigungen an. Der Betriebsrat gab keine Stellungnahme ab.

Die Klägerin hat sich mit ihrer am 9.08.2010 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage gegen die Wirksamkeit der Kündigungen vom 29.07.2010 gewandt

Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, keine arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt zu haben. Sie hat behauptet, davon ausgegangen zu sein, ihre Arbeit erst am 8.09.2010 wieder aufnehmen zu müssen. Nach ihrem Verständnis schließe sich die zweijährige Elternzeit erst an das Ende der Mutterschutzfristen an. Die gesetzliche Bestimmung sei so auszulegen oder zumindest in diesem Punkte missverständlich. Auch ihr Antrag vom 21.07.2010 sei erkennbar so zu verstehen gewesen, dass sie die Elternzeit nach Ablauf der Mutterschutzfrist nehmen wolle. Das Schreiben der Beklagten vom 12.08. 2008, das sie erhalten habe, sei bei ihren Unterlagen in Deutschland verblieben. Der ihr darin von der Beklagten mitgeteilte Zeitpunkt für die Wiederaufnahme der Arbeit habe sich ihr nicht eingeprägt. Die Anhörung des Betriebsrats sei fehlerhaft, weil ihm ein falscher Zeitpunkt für die Verpflichtung zur Wiederaufnahme der Arbeit mitgeteilt worden sei. Nach ihrer Rückkehr aus dem Urlaub in Italien am 30.07.2010 habe ihre Mutter ihr die Abmahnung und das Kündigungsschreiben ausgehändigt.

Die Klägerin hat beantragt, festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die mit Schreiben vom 29.07.2010 ausgesprochenen Kündigungen außerordentlich und ordentlich) aufgelöst worden ist.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, die Klägerin habe ab dem 13.07.2010 unentschuldigt gefehlt. Ein Irrtum der Klägerin sei ausgeschlossen. Der Inhalt der gesetzlichen Regelung sei eindeutig und müsse sich der Klägerin, einer Volljuristin, ohne Weiteres erschließen. Spätestens nach ihrem Schreiben vom 12.08.2008 sei zu erwarten gewesen, dass sich die Klägerin bei abweichender Meinung über das mitgeteilte Ende der Elternzeit bei ihr gemeldet hätte. Dieser erhebliche Pflichtverstoß stelle einen zur außerordentlichen Kündigung berechtigenden wichtigen Grund dar.

Das Arbeitsgericht Frankfurt hat mit Urteil vom 10.02.2011 – 3 Ca 5409/10 – zwar zugunsten der Klägerin die Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung festgestellt, die ordentliche Kündigung jedoch für wirksam angesehen und deshalb insoweit die Klage abgewiesen. Für die Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen (Bl. 79 – 82 d.A.).

Die Klägerin hat gegen das ihr am 24.2.2011 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts am 3.3.2011 Berufung eingelegt und diese – nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 24.5.2011 – am 24.5.2011 begründet. Die Beklagte hat gegen das ihr am 23.2.2011 zugestellte Urteil am 17.3.2011 ebenfalls Berufung eingelegt und ihre Berufung am 12.4.2011 begründet.

Die Klägerin ist weiterhin der Ansicht, mit dem Nichterscheinen am Arbeitsplatz ab 13.07.2010 keinerlei arbeitsvertragliche Pflichten verletzt zu haben. Vielmehr habe die Beklagte eine falsche Vorstellung davon, wann sie ihre Arbeit wieder aufnehmen musste. Nach der gesetzlichen Regelung werde die Dauer der Elternzeit von dem sie verlangenden Elternteil festgelegt und nicht vom Arbeitgeber. So habe die Klägerin nach ihrem im Schreiben vom 21.07. 2008 erklärten Willen deutlich gemacht, dass sie zwei Jahre Elternzeit, beginnend nach dem Ende der Mutterschutzfristen, in Anspruch nehmen wolle. Damit habe sie Beginn und Ende der Elternzeit verbindlich verlangt. Den Beginn der Elternzeit bestimme das Gesetz für die Mutter immer auf den Zeitpunkt nach dem Ende der Mutterschutzfristen. Eine Anrechnung der Mutterschutzfrist auf die Elternzeit komme nur bei Inanspruchnahme der Höchstdauer der Elternzeit von drei Jahren in Betracht. Indem die Beklagte in ihrem Schreiben vom 12.08.2010 den Zweijahreszeitraum ab dem Zeitpunkt der Geburt des Sohnes berechnete, habe sie versucht, den Zeitraum der Elternzeit gegen den erklärten Willen der Klägerin zu verkürzen. Es habe daher keine Verpflichtung der Klägerin bestanden, ab dem 13.07.2010 wieder zur Arbeit zu erscheinen, sondern erst ab dem 8.09.2010.

Die Klägerin beantragt, unter teilweiser Abänderung des erstinstanzlichen Urteils festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die mit Schreiben vom 29.07.2010 ausgesprochenen Kündigungen ordentlich aufgelöst worden ist; die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt, unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 10.02.2011 – 3 Ca 4509/10 – die Klage insgesamt abzuweisen; die Berufung der Klägerin zurückzuweisen;

Die Beklagte ist der Ansicht, dass die Verweigerung der Arbeitspflicht, insbesondere nach einschlägiger Abmahnung, einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung darstelle. Die Klägerin habe keine Veranlassung dazu gehabt, von einer Dauer der Elternzeit bis zum 8.09.2010 ausgehen zu können. Es müsse zunächst davon ausgegangen werden, dass sie als Volljuristin in der Lage sei, zu verstehen, dass die Mutterschutzfrist auf die Elternzeit angerechnet werde. Zudem habe die Beklagte ihr ihre Ansicht der Dauer der Elternzeit im Schreiben vom 12.08.2008 mitgeteilt, auf das die Klägerin nicht reagiert habe. Auch auf die Abmahnung vom 14.07.2010, die die Pflichtverletzung benannte, habe die Klägerin nicht reagiert. Sie habe mit ihrem Verhalten, die Elternzeit eigenmächtig zu verlängern, zum Ausdruck gebracht, dass sie nicht gewillt sei, die Arbeit wieder aufzunehmen. Dass mache die Weiterbeschäftigung auch nur bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist unzumutbar. Die Beklagte habe nur mit dem Ausspruch der fristlosen Kündigung reagieren können.

Zur Ergänzung des Berufungsvorbringens der Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalt der in der Berufungsinstanz zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufungen beider Parteien sind nach §§ 8 Abs.2, 64 Abs. 1, 2 c ArbGG statthaft. Sie sind auch im Übrigen zulässig, insbesondere sind sie form- und fristgerecht eingelegt und rechtzeitig begründet worden (§§ 66 Abs. 1 ArbGG, 517, 519, 520 Abs. 1, 3 ZPO).

In der Sache selbst hat jedoch weder die Berufung der Klägerin, noch die der Beklagten Erfolg; denn beide Berufungen sind unbegründet. Wie das Arbeitsgericht zu Recht festgestellt hat, war die fristlose Kündigung der Beklagten vom 29.07.2010 mangels eines wichtigen Grundes gemäß § 626 Abs. 1 BGB unwirksam, die ordentliche Kündigung vom 29.07.2010 hingegen war aufgrund ihrer sozialen Rechtfertigung (§ 1 Abs. 2 KSchG) wirksam und hat das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 31.12.2010 beendet.

1. Die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 29.07.2010 ist unwirksam, da es ihr an einem wichtigen Grund i.S.d. § 626 Abs.1 BGB fehlt.

Die Prüfung des wichtigen Grundes vollzieht sich in zwei voneinander zu tren-nenden Schritten. Zunächst muss ein bestimmter Sachverhalt festgestellt werden, der an sich geeignet ist, einen wichtigen Grund abzugeben. Dann ist wertend zu untersuchen, ob unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die konkrete Kündigung gerechtfertigt ist, weil dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist nicht mehr zugemutet werden kann (ständige Rechtsprechung, z.B. BAG 17.5.1984 in EzA zu § 626 BGB Nr.90; 28.08.2008 – 2 AZR 15/07, juris). Aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folgt zudem, dass bei jeder Kündigung, die auf ein steuerbares Verhalten des Arbeitnehmers gestützt wird, das Abmahnungserfordernis zu prüfen ist, solange eine Wiederherstellung des Vertrauens erwartet werden kann (BAG 4.6.1997 EzA zu § 626 BGB Nr. 168; 10.2.1999 EzA zu § 15 KSchG n.F. Nr. 47; 10.06.2010 – 2 AZR 541709, juris)). Mit der Abmahnung sind konkrete Leistungs- oder Verhaltensmängel zu beanstanden und mit dem Hinweis zu verbinden, dass im Wiederholungsfall der Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdet ist.

Nach ständiger Rechtsprechung der Arbeitsgerichte (Nachweise in KR-Fischermeier § 626 BGB Rz. 409; KR-Griebeling § 1 KSchG Rz. 438 440; ErfK/Müller-Glöge 9. Aufl. § 626 BGB Rz. 70) ist die nachhaltige und erhebliche Verletzung der Arbeitspflicht durch unentschuldigtes Fernbleiben von der Arbeit über einen längeren Zeitraum nach vorheriger Abmahnung an sich geeignet, einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung darzustellen.

Die Klägerin ist in der Zeit vom 13.07.2010 bis zum Zugang der Kündigung am 29.10.2010 unentschuldigt der Arbeit ferngeblieben. Die Beklagte hat am Ende des zweiten unentschuldigten Fehltages gegenüber der Klägerin eine formwirksame Abmahnung ausgesprochen. Abmahnung und Kündigung sind der Klägerin an der von ihr der Beklagten benannten Postanschrift durch Übergabe an ihre dort lebende Mutter jeweils wirksam zugegangen. Das Verhalten der Klägerin, das zu insgesamt dreizehn, nach ausgesprochener Abmahnung noch zu elf unentschuldigten Fehltagen führte, ist als wichtiger Grund an sich geeignet.

Die Klägerin ist ab dem 13.07.2010 objektiv unentschuldigt der Arbeit ferngeblieben; denn sie war aufgrund des am 12.07.2010 eingetretenen Endes der Elternzeit ab dem 13.07.2010 zur Wiederaufnahme der Arbeit verpflichtet. § 16 Abs. 3 BEEG regelt in erfreulicher Klarheit, dass, wenn die Mutter die Elternzeit innerhalb eines Zweijahreszeitraums im Anschluss an die Mutterschutzfrist nimmt, die Zeit der Mutterschutzfrist nach § 6 Abs. 1 MSchG (nach der Entbindung) auf den Zeitraum der Elternzeit angerechnet wird. Das bedeutet, dass die zwei Jahre der Elternzeit ab dem Zeitpunkt der Geburt des Kindes zu rechen sind. Die Anrechnung der Mutterschutzfristen gilt demnach auch nicht nur für die sofortige Inanspruchnahme der Höchstdauer der Elternzeit (ErfK/Dörner 9. Aufl. § 16 BEEG Rn. 4). Soweit Dörner in der Kommentierung davon spricht, dass die Vorschrift gesetzestechnisch nicht geglückt sei, meint er damit lediglich die Vorschriften über die Anzeige des Arbeitnehmers, nicht aber die Vorschrift zur Anrechnung der Mutterschutzfrist auf die Dauer der Elternzeit. Die Anrechnung kommt hier auch zum Tragen; denn die Klägerin hat, ohne einen konkreten Zeitraum anzugeben, in ihrem Schreiben vom 21.07.2008 zwei Jahre Elternzeit unmittelbar im Anschluss an die Mutterschutzfrist verlangt. Das führt nach § 16 Abs. 3 BEEG zwingend zur Anrechnung der Mutterschutzfrist auf die Elternzeit. Ihr Schreiben vom 21.07.2008, das sich auf den Satz beschränkt, dass sie zunächst Elternzeit von zwei Jahren beantrage, kann nach seinem Inhalt nicht dahin ausgelegt werden, dass sie tatsächlich zwei Jahre und 8 Wochen Elternzeit verlangen wollte.

Die Klägerin hat nicht nur objektiv, sondern auch rechtswidrig und schuldhaft, nämlich auf jeden Fall grob fahrlässig, ihre Arbeitspflicht verletzt. Es ist zwar nicht mit Sicherheit zu sagen, dass die Klägerin wusste, dass die zwei Jahre Elternzeit am 12.07.2010 endeten und sie bewusst ihre Arbeitsverpflichtung ignoriert hat. Gegen diese Annahme spricht der Inhalt der von ihr im Termin vorgelegten E-Mail vom 2.08.2010 an ihren Prozessbevollmächtigten. Nach deren Inhalt ist eher davon auszugehen, dass sie die Regelung des § 16 BEEG, insbesondere dessen Abs. 3, nie im Detail zur Kenntnis genommen, sondern ungeprüft einfach angenommen hat, der Beginn der Elternzeit rechne ab dem Ende der Mutterschutzfrist. Insbesondere in den Absätzen 3 und 4 der E-Mail offenbart sie gegenüber ihrem Anwalt die völlige Unkenntnis der gesetzlichen Regelung.

Es lässt sich nach den Umständen jedoch sagen, dass sie mehrfach Veranlassung hatte, zu überprüfen, ob sie mit ihrer – tatsächlich fehlerhaften – Ansicht richtig lag und ihre Ansicht dringend einer Überprüfung zu unterziehen. Das gilt zunächst für den Zeitpunkt des Erhalts des Schreibens der Beklagten vom 12.08.2008, in dem die Beklagte auf den 13.07.2010 als ersten Arbeitstag nach dem Ende der Elternzeit hinweist. Statt sich darüber zur Vermeidung künftiger Probleme mit der Beklagten in Verbindung zu setzen, hat sie auf das Schreiben nicht reagiert. Sie war auch auf Befragen des Vorsitzenden in der mündlichen Verhandlung nicht in der Lage, für das Ignorieren dieses Hinweises der Beklagten eine Erklärung zu geben. Die nächste dringende Veranlassung zu einer Reaktion war der Zeitpunkt des Zugangs der Abmahnung am 14.07.2010. Hier geht die Berufungskammer mangels gegenteiligen Vortrags davon aus, dass die Mutter der Klägerin diese vom Zugang der Abmahnung an ihrem Urlaubsort unterrichtet hat. Warum nicht spätestens hier zumindest eine Kontaktaufnahme seitens der Klägerin mit der Beklagten erfolgte, ist nicht nachvollziehbar. Das Gleiche gilt für den Umstand, dass die Klägerin selbst nach ihrer Rückkehr aus dem Urlaub in Italien keinen Versuch unternommen hat, im Kontakt mit der Beklagten noch zu retten, was vielleicht noch zu retten war. Insgesamt stellt sich der ignorante Umgang der Klägerin mit dem Zeitpunkt der von ihr geschuldeten Wiederaufnahme der Arbeit so als zumindest grob fahrlässig dar. Von ihr als Volljuristin konnte erwartet werden, sich mit dem Problem aktiv auseinanderzusetzen statt auf unbegründeten Annahmen zu beharren.

Die abschließende Abwägung der beiderseitigen Interessen führt unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalles dennoch zu dem Ergebnis, dass hier das Interesse der Klägerin am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses zumindest bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist gegenüber dem der Beklagten an seiner sofortigen Beendigung überwiegt. Zugunsten der Klägerin gaben hier ihre lange Betriebszugehörigkeit von fast 11 Jahren, ferner, dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass sie bewusst die Arbeitsaufnahme verweigert hat sowie der Umstand, dass ihr Ausbleiben sich auf den betrieblichen Ablauf nicht negativ ausgewirkt hat, den Ausschlag. Die Beklagte hat zu Letzterem nichts vorgetragen. Sie hat nicht einmal angegeben, welche Arbeitsaufgaben der Klägerin nach ihrer zweijährigen Abwesenheit übertragen werden sollten. So hatte die Pflichtverletzung der Klägerin letztlich nicht das Gewicht, dass eine sofortige Trennung von der Klägerin als einzig zumutbare Reaktionsmöglichkeit für die Beklagte verblieben war.

2. Die ordentliche Kündigung vom 29.07.2010 ist hingegen wirksam und hat das Arbeitsverhältnis mit Ablauf der tarifvertraglichen ordentlichen Kündigungsfrist zum 28.02.2010 beendet; denn sie ist durch Gründe im Verhalten der Klägerin gemäß § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (z.B. BAG vom 11.12.2003 EzA § 1 KSchG verhaltensbedingte Kündigung Nr. 62) genügen für eine verhaltensbedingte Kündigung solche im Verhalten des Arbeitnehmers liegende Umstände, die bei verständiger Würdigung in Abwägung der Interessen beider Vertragsparteien und des Betriebes die Kündigung als billigenswert und angemessen erscheinen lassen. Als verhaltensbedingter Grund ist insbesondere eine rechts- oder vertragswidrige Pflichtverletzung aus dem Arbeitsverhältnis geeignet, wobei regelmäßig Verschulden erforderlich ist. Bei jeder Kündigung sind zudem der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und das Übermaßverbot zu berücksichtigen. Daraus folgt u. a., dass eine wegen vertragswidrigen Verhaltens ausgesprochene Kündigung nur sozial gerechtfertigt ist, wenn der Arbeitnehmer vorher vergeblich abgemahnt worden ist (BAG AP Nr. 137 zu § 626 BGB; AP Nr. 34 zu § 1 KSchG 1969; KR-Griebeling 8. Aufl. § 1 KSchG Rz. 214; 404 – 409).

In Anwendung dieser Grundsätze erweist sich die ordentliche Kündigung vom 29.07.2010 als wirksam. Die Klägerin hat durch ihr andauerndes unentschuldigtes Fehlen ab dem 15.07.2010 nach vorheriger Abmahnung vom 14.07. 2010 ihre arbeitsvertraglichen Pflichten schuldhaft verletzt. Zur näheren Begründung wird auf die Ausführungen zum Vorliegen eines wichtigen Grundes an sich unter Ziff. 1 der Entscheidungsgründe verwiesen.

Aufgrund der erheblichen Anzahl der unentschuldigten Fehltage und der – nur durch die in der mündlichen Verhandlung von der Klägerin geschilderte konfliktgeladene Situation im Arbeitsverhältnis der Parteien schon vor der Geburt ihres Sohnes – erklärbaren beharrlichen Verweigerung einer Beschäftigung mit der Rückkehr an ihren Arbeitsplatz, überwiegt hier das Interesse der Beklagten an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber dem der Klägerin an seiner dauerhaften Fortsetzung. So wie die Klägerin sich hier ihrer Arbeitspflicht durch Beharrung auf einer durch nichts gestützte rechtliche Position ohne jede Prüfung entzogen hat, muss die Beklagte auch in Zukunft damit rechnen, dass ähnliche Konflikte wieder auftreten und das Arbeitsverhältnis weiter belasten könnten. Das erscheint auf längere Sicht nicht mehr zumutbar. Demgegenüber schafft die zugunsten der Klägerin zu berücksichtigende langjährige Betriebszugehörigkeit von fast elf Jahren bei Ausspruch der Kündigung kein ausreichendes Gegengewicht, um ihrem Interesse am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses über den Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist hinaus noch den Vorrang einzuräumen.

Die Parteien haben die Kosten ihrer jeweiligen erfolglosen Berufungen zu tragen (§§ 64 Abs.6 ArbGG, 97 ZPO).

Gründe für die Zulassung der Revision gem. § 72 Abs.2 ArbGG waren nicht ersichtlich.

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