Skip to content

Verhaltensbedingte Kündigung ohne Abmahnung: Wann greift der Kündigungsschutz?

Ein technischer Leiter in der Molkerei-Industrie erhielt eine verhaltensbedingte Kündigung ohne Abmahnung, nachdem ihm schwere Versäumnisse bei Wartung und Eichfristen vorgeworfen wurden. Das Landesarbeitsgericht musste entscheiden, wie schwer die Pflichtverletzungen wiegen mussten, um das mildere Mittel der Abmahnung zu umgehen.

Zum vorliegenden Urteil Az.: 2 Sa 56/19 | Schlüsselerkenntnis | FAQ  | Glossar  | Kontakt

Das Wichtigste in Kürze

  • Gericht: Landesarbeitsgericht Mecklenburg‑Vorpommern
  • Datum: 04.11.2019
  • Aktenzeichen: 2 Sa 56/19
  • Verfahren: Berufung
  • Rechtsbereiche: Kündigungsschutzrecht, Arbeitsrecht

  • Das Problem: Ein technischer Leiter wurde wegen angeblicher Organisations- und Wartungsmängel ordentlich gekündigt. Ihm wurden unter anderem Fehler an einem Dampfkessel, versäumte Eichfristen von Waagen und Unordnung vorgeworfen.
  • Die Rechtsfrage: Durfte der Arbeitgeber den Leiter wegen angeblicher Pflichtverletzungen ohne vorherige Abmahnung kündigen?
  • Die Antwort: Nein. Die Kündigung ist nicht sozial gerechtfertigt. Das Gericht sah die Vorwürfe als nicht ausreichend konkret bewiesen oder substantiiert an. Für die meisten Fehler wäre zuerst eine Abmahnung erforderlich gewesen.
  • Die Bedeutung: Arbeitgeber tragen die volle Beweislast für Kündigungsgründe und müssen sie detailliert darlegen. Bei minderen oder ersten Pflichtverletzungen ist eine Kündigung ohne Abmahnung in der Regel unwirksam. Obsiegt ein Arbeitnehmer in erster Instanz, muss er während des Verfahrens weiterbeschäftigt werden.

Der Fall vor Gericht


Warum war eine lange Mängelliste kein Kündigungsgrund?

Ein defekter Dampfkessel. Drei Waagen mit abgelaufener Eichfrist. Ein Not-Aus-Schalter, der ungenutzt auf dem Schreibtisch liegt. Die Kündigungsgründe, die ein Molkerei-Unternehmen gegen seinen technischen Leiter ins Feld führte, lasen sich wie das Sündenregister eines ganzen Jahres. Doch vor dem Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern zählte nicht die Länge der Liste – sondern die Substanz jedes einzelnen Vorwurfs.

Das Gericht musste klären, ob die Kündigung sozial gerechtfertigt war, wie es das Kündigungsschutzgesetz (§ 1 KSchG) verlangt. Der Arbeitgeber trug die volle Darlegungs- und Beweislast. Er musste jeden einzelnen Fehler nicht nur behaupten, sondern lückenlos beweisen und darlegen, warum dieser eine schwere Pflichtverletzung darstellte. Genau hier lag das Problem. Die Vorwürfe des Unternehmens erwiesen sich bei genauerer Betrachtung als eine Kette aus Vermutungen, unvollständigen Fakten und verschobener Verantwortung. Der technische Leiter konnte zu fast jedem Punkt eine plausible Erklärung liefern – und das Unternehmen konnte diese Erklärungen nicht widerlegen. Die Richter machten klar: Eine Kündigung stützt sich nicht auf die schiere Menge an Vorwürfen, sondern auf die bewiesene Schwere der Verstöße.

Wie bewertete das Gericht die Probleme mit dem alten Dampfkessel?

Der Dampfkessel war das Herzstück der Anklage. Die Anlage aus dem Jahr 1992 war alt und hatte Mängel, die sogar der TÜV beanstandet hatte. Das Unternehmen warf dem technischen Leiter vor, eine Reparatur im November 2017 mangelhaft überwacht zu haben, weil dieselben Fehler kurz darauf wieder auftraten.

Das Gericht durchleuchtete diesen Vorwurf akribisch. Der technische Leiter argumentierte, er habe nach der Reparatur durch eine Fremdfirma eine Funktionsprüfung durchgeführt. Alles schien in Ordnung. Das Gericht folgte seiner Logik: Das Unternehmen hatte keinen Beweis vorgelegt, dass der Manager die fehlerhafte Arbeit der Fremdfirma hätte erkennen müssen. Nur weil ein Fehler wieder auftritt, ist nicht automatisch die Abnahme schuld.

Ein weiterer Punkt war ein neues Überdruckventil. Es lag seit Anfang März ungenutzt auf dem Schreibtisch des Managers. Ein Versäumnis? Der Manager erklärte, er habe es nicht selbst einbauen können und bereits eine Fachfirma kontaktiert. Auch hier fehlte dem Gericht der konkrete Vortrag des Arbeitgebers: Wann genau hätte der Einbau erfolgen müssen? Wer war dafür zuständig? Pauschale Vorwürfe reichten nicht. Selbst die fehlende Betriebsgenehmigung für die Gasbefeuerung der Anlage konnte dem Manager nicht angelastet werden. Das Gericht fand, die Korrespondenz mit Behörden sei eine Aufgabe, die man nicht ohne Weiteres dem einzigen Techniker vor Ort allein überlassen könne – eine geteilte Verantwortung mit der Geschäftsführung wäre naheliegend.

Wann ist eine Abmahnung vor einer Kündigung entbehrlich?

Das Unternehmen argumentierte, die Summe der Pflichtverstöße sei so gravierend, dass eine vorherige Abmahnung überflüssig gewesen sei. Das Gericht sah das anders. Eine verhaltensbedingte Kündigung ist keine Strafe für die Vergangenheit. Sie ist eine Prognose für die Zukunft. Sie soll das Arbeitsverhältnis nur beenden, wenn keine Besserung zu erwarten ist.

LAG: Kündigung unwirksam, weil Arbeitgeber Mängel nicht lückenlos bewies und Abmahnung fehlte. | Symbolbild: KI

Der Fall der überzogenen Eichfristen bei drei Waagen machte dieses Prinzip deutlich. Das war unstrittig ein Pflichtverstoß. Die Fristen waren um gut einen Monat überschritten. Das Gericht wertete dies zwar als ernstzunehmendes Versäumnis. Es sah aber keine Anzeichen dafür, dass der Manager sich beharrlich weigern würde, seine Pflichten zu erfüllen. Eine klare Anweisung oder ein Kalendereintrag – also einfache organisatorische Maßnahmen – hätten das Problem für die Zukunft vermutlich gelöst. Eine Abmahnung wäre das passende Mittel gewesen, um dem Manager den Ernst der Lage zu verdeutlichen und ihm die Chance zur Besserung zu geben. Ohne diesen Schritt fehlte der Kündigung die notwendige Negative Prognose. Die Kündigung war unverhältnismäßig.

Reicht die Vernachlässigung von Prüfungen und allgemeine Unordnung aus?

Neben den großen technischen Themen führte das Unternehmen eine Reihe kleinerer Punkte an. Die jährlich vorgeschriebene Prüfung von Rolltoren und Hochregalen war 2017 ausgefallen. Fotos sollten die Unordnung am Arbeitsplatz des Managers belegen. Auch diese Vorwürfe zerfielen unter der richterlichen Lupe.

Bei der Prüfung der Rolltore legte der Manager dar, dass er ein Angebot einer technischen Prüforganisation eingeholt und an den Geschäftsführer zur Freigabe weitergeleitet hatte. Die Freigabe kam nie. Die finanzielle Letztentscheidung lag bei der Geschäftsführung. Ein Versäumnis des Managements kann nicht einfach dem Angestellten zur Last gelegt werden, der seinen Teil des Prozesses erledigt hat.

Die Fotos vom unordentlichen Schreibtisch und unaufgeräumten Betriebsräumen beeindruckten das Gericht ebenfalls nicht. Es stellte fest, dass die Bilder allein keine erhebliche Pflichtverletzung belegen. Für manche der abgebildeten Bereiche – etwa den Serverraum – waren ohnehin andere Mitarbeiter zuständig. Das Unternehmen hatte es versäumt, klare Verantwortungsbereiche und Schnittstellen zu definieren und nachzuweisen. Ein Vorwurf verpufft, wenn unklar bleibt, wer genau verantwortlich war.

Warum musste das Unternehmen den Manager weiterbeschäftigen?

Nachdem das Arbeitsgericht Stralsund in der ersten Instanz die Kündigung für unwirksam erklärt hatte, musste der Fall vor dem Landesarbeitsgericht neu verhandelt werden. Der Manager beantragte, für die Dauer dieses Verfahrens weiterarbeiten zu dürfen. Das Gericht gab ihm recht.

Die Richter folgten einem anerkannten Grundsatz im Arbeitsrecht: Gewinnt ein Arbeitnehmer den Kündigungsschutzprozess in der ersten Instanz, besteht sein Arbeitsverhältnis erst einmal fort. Er hat dann einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung, bis eine endgültige Entscheidung gefallen ist. Ausnahmen gibt es nur in seltenen Fällen, etwa wenn die Weiterbeschäftigung für den Arbeitgeber eine unzumutbare wirtschaftliche Belastung darstellen würde. Solche Gründe hatte das Unternehmen aber nicht vorgetragen. Die Berufung wurde zurückgewiesen, die Firma musste die Kosten des Verfahrens tragen und den technischen Leiter weiter beschäftigen. Die Revision zum Bundesarbeitsgericht ließ das Gericht nicht zu.

Die Urteilslogik

Der Arbeitgeber muss eine Kündigungsschutzklage nur gewinnen, wenn er jeden einzelnen Pflichtverstoß klar beweisen und dessen konkrete Verantwortlichkeit lückenlos darlegen kann.

  • Beweislast des Arbeitgebers: Der Arbeitgeber trägt die volle Darlegungs- und Beweislast und muss jeden vorgeworfenen Pflichtverstoß präzise substanziieren sowie dessen Schwere und die individuelle Schuld lückenlos belegen.
  • Qualität über Quantität der Vorwürfe: Die soziale Rechtfertigung einer Kündigung bemisst sich an der bewiesenen Schwere der Verfehlungen, denn die bloße Anhäufung von Vermutungen oder geringfügigen Vorwürfen ersetzt nicht die notwendige Substanz.
  • Zukunftsgerichtete Prognose: Eine verhaltensbedingte Kündigung setzt eine negative Zukunftsprognose voraus und ist unverhältnismäßig, wenn einfache organisatorische Maßnahmen oder eine vorherige Abmahnung das Problem voraussichtlich lösen können.

Pauschale Vorwürfe und unklare Verantwortlichkeiten entlasten den Arbeitnehmer und untergraben die soziale Rechtfertigung einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses.


Benötigen Sie Hilfe?


Wurden Ihnen Pflichtverletzungen vorgeworfen, ohne dass Sie eine Abmahnung erhielten? Nutzen Sie die Möglichkeit für eine vertrauliche erste rechtliche Einschätzung Ihres Sachverhalts.


Experten Kommentar

Viele Arbeitgeber glauben, wenn man genug kleine Fehler auflistet, ergibt das in Summe einen Kündigungsgrund. Dieses Urteil ist eine klare Ansage: Das Arbeitsrecht funktioniert nicht nach dem Motto „Kleinvieh macht auch Mist“. Die Richter verlangen bei der verhaltensbedingten Kündigung höchste Präzision in der Darlegung der individuellen Schuld. Der Arbeitgeber scheiterte, weil er zwar Mängel auflistete, aber nicht stichfest beweisen konnte, dass die Verantwortung allein beim technischen Leiter lag und nicht etwa bei der Geschäftsführung, die notwendige Freigaben verweigerte. Wer eine Kündigungsschutzklage gewinnen will, muss eine lückenlose Kausalkette der individuellen und schweren Pflichtverletzung belegen, nicht nur eine lange Liste von Vermutungen.


Symbolbild zum Arbeitsrecht-FAQ: Schriftzug 'FAQ' vor einer dynamischen Büroszene mit Bewegungsunschärfe in Blau- und Rottönen.

Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Kann mich mein Chef wegen vieler kleiner Fehler ohne Abmahnung kündigen?

Nein, die schiere Masse an Vorwürfen reicht für eine Kündigung in der Regel nicht aus. Die Gerichte prüfen nicht die Anzahl der vermeintlichen Fehler, sondern die bewiesene Schwere und die Substanz jedes einzelnen Verstoßes. Kleine, leicht behebbare organisatorische Versäumnisse – wie vergessene Kalendereinträge oder leichte Unordnung – erfordern fast immer eine vorherige Abmahnung durch den Arbeitgeber.

Eine verhaltensbedingte Kündigung ist keine Strafe für Fehler aus der Vergangenheit, sondern eine Prognoseentscheidung für die Zukunft. Sie muss sozial gerechtfertigt sein, wie es das Kündigungsschutzgesetz verlangt. Falls die Pflichtverletzungen durch einfache organisatorische Maßnahmen abstellbar sind, fehlt die Grundlage für eine Entlassung. Der Arbeitgeber muss dem Mitarbeiter stets die Chance geben, sein Verhalten zu bessern und die festgestellten Mängel zukünftig zu vermeiden.

Auch wenn der Arbeitgeber eine lange „Sündenliste“ präsentiert, muss er beweisen, dass die Summe der Versäumnisse die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar macht. Fehlt bei behebbaren Fehlern die Abmahnung, fehlt der Kündigung die notwendige negative Prognose. Der Arbeitgeber kann dann nicht davon ausgehen, dass Sie sich beharrlich weigern würden, Ihre Pflichten zu erfüllen, da er Ihnen den Ernst der Lage nie offiziell klargemacht hat.

Identifizieren Sie die Ihnen vorgeworfenen kleinen Fehler und verfassen Sie sofort einen Vermerk, wie jeder dieser Mängel durch einfache organisatorische Vorkehrungen wie Checklisten oder Kalendereinträge zukünftig sofort vermeidbar ist.


zurück zur FAQ Übersicht

Muss ich als Arbeitnehmer meine Unschuld bei einer verhaltensbedingten Kündigung beweisen?

Nein, Sie müssen Ihre Unschuld bei einer verhaltensbedingten Kündigung nicht beweisen. Die gesamte Beweislast liegt im Kündigungsschutzprozess vollständig beim Arbeitgeber. Dieser muss nicht nur die Pflichtverletzung behaupten, sondern jeden einzelnen Vorwurf lückenlos belegen. Ihre strategische Aufgabe ist es lediglich, eine plausible Erklärung für die beanstandeten Sachverhalte zu liefern.

Der Arbeitgeber trägt die volle Darlegungs- und Beweislast für die soziale Rechtfertigung der Kündigung gemäß § 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG). Er muss dem Gericht somit konkrete, nachweisbare Fakten vorlegen, die beweisen, dass Ihr Fehlverhalten eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar macht. Kann der Arbeitgeber seine Vorwürfe nicht mit harten Beweisen untermauern, geht dies im Zweifel zu seinen Lasten – man spricht hier vom Non-liquet.

Konkret müssen Sie die Vorwürfe nicht aktiv widerlegen, sondern nur die Plausibilität Ihrer damaligen Handlungen darlegen. Nehmen wir den Fall an, Ihnen wird vorgeworfen, eine Reparatur mangelhaft abgenommen zu haben. Es genügt, wenn Sie belegen, dass Sie nach Abschluss der Arbeiten durch die Fremdfirma eine Funktionsprüfung durchgeführt haben und zu diesem Zeitpunkt keine Fehler feststellbar waren. Wenn der Arbeitgeber anschließend keine Beweise liefert, dass Sie den Fehler hätten erkennen müssen, ist der Kündigungsgrund nicht bewiesen.

Erstellen Sie zu jedem Kündigungspunkt sofort eine detaillierte und chronologische Gegendarstellung, gestützt durch Notizen, E-Mails oder Zeugen.


zurück zur FAQ Übersicht

Welche Fehler gelten als schwere Pflichtverletzung und machen eine Abmahnung entbehrlich?

Eine Abmahnung ist nur in absoluten Ausnahmefällen entbehrlich, wenn die Pflichtverletzung das gegenseitige Vertrauensverhältnis irreparabel zerstört. Schwere Verfehlungen, bei denen keine Besserung zu erwarten ist, führen direkt zur Kündigung. Dies sind meist Handlungen, deren extreme Gefährdung des Arbeitsverhältnisses dem Arbeitnehmer von vornherein klar sein musste.

Die verhaltensbedingte Kündigung dient dem Gesetz nach nicht als Strafe für Fehler der Vergangenheit. Stattdessen bewerten Gerichte die Kündigung als Prognoseentscheidung für die Zukunft des Arbeitsverhältnisses. Nur wenn der Arbeitgeber begründet annehmen kann, dass sich die Pflichtverletzung trotz einer Warnung wiederholt, ist die Kündigung verhältnismäßig. Ist die Wiederholungsgefahr durch einfache organisatorische Maßnahmen abwendbar, muss zwingend eine Abmahnung erfolgen.

Schwere Verstöße, die sofort eine Kündigung rechtfertigen, fallen typischerweise in den Bereich des vorsätzlichen Handelns. Dazu gehören Straftaten wie Diebstahl, Spesenbetrug oder die beharrliche Weigerung, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Im Gegensatz dazu erfordern Versäumnisse, die auf Organisationsmängeln oder Fahrlässigkeit beruhen, in der Regel eine Abmahnung. Selbst ein ernstzunehmendes Versäumnis, wie überzogene Eichfristen, führt nicht direkt zur Entlassung, solange kein irreparabler Vertrauensbruch vorliegt.

Liegt Ihnen ein Fehler vor, erstellen Sie umgehend ein dokumentiertes Besserungskonzept, um die Pflichtverletzung zukünftig sicher auszuschließen.


zurück zur FAQ Übersicht

Habe ich Anspruch auf Weiterbeschäftigung, wenn das Arbeitsgericht die Kündigung kippt?

Ja, wenn das Arbeitsgericht in erster Instanz die Kündigung für unwirksam erklärt, haben Sie grundsätzlich einen sofortigen Anspruch auf Weiterbeschäftigung. Ihr Arbeitsverhältnis gilt in diesem Moment als fortbestehend. Dieses Recht ermöglicht Ihnen die Wiederaufnahme Ihrer Tätigkeit, bis eine rechtskräftige, endgültige Entscheidung des Landesarbeitsgerichts oder einer höheren Instanz vorliegt.

Dieser Anspruch leitet sich aus dem Grundsatz ab, dass das Arbeitsverhältnis durch den erstinstanzlichen Erfolg als nicht beendet betrachtet wird. Der Arbeitgeber muss Sie weiter beschäftigen, selbst wenn er bereits Berufung gegen das Urteil eingelegt hat. Ausnahmen von der Pflicht zur Weiterbeschäftigung sind sehr eng begrenzt. Das Unternehmen müsste beweisen, dass die Wiedereingliederung eine extreme, unzumutbare wirtschaftliche Belastung darstellen würde – ein Nachweis, der Arbeitgebern in der Praxis nur selten gelingt.

Entscheidend ist, dass dieser Anspruch nicht automatisch eintritt. Sie sollten nicht untätig abwarten, bis Ihr Arbeitgeber Sie kontaktiert. Stellen Sie stattdessen unmittelbar nach der Verkündung des Urteils durch das Arbeitsgericht einen aktiven, schriftlichen Antrag an die Geschäftsführung, Sie am nächsten Werktag zur Weiterbeschäftigung einzulassen. Versäumen Sie diesen Schritt, riskieren Sie, unnötig lange auf die Wiederaufnahme der Arbeit und damit auf Ihren Lohnanspruch zu warten.

Sorgen Sie dafür, dass Ihr Antrag auf Weiterbeschäftigung schriftlich und nachweisbar (zum Beispiel per Einschreiben oder Übergabe mit Zeugen) bei der Geschäftsleitung eingeht.


zurück zur FAQ Übersicht

Wann hafte ich als Manager nicht für fehlende Genehmigungen oder Budgetfreigaben des Arbeitgebers?

Die Haftung von Führungskräften endet dort, wo die finanzielle oder strategische Letztentscheidung des Arbeitgebers beginnt. Sie sind nicht verantwortlich für Versäumnisse, deren Behebung aktiv durch Ihre Vorgesetzten blockiert wurde. Entscheidend ist, dass Sie alle notwendigen Vorarbeiten pünktlich geleistet und die Entscheidung über Budget oder Genehmigung nachweislich an das Management delegiert haben.

Sobald die Verantwortung für eine notwendige Handlung eine finanzielle Freigabe durch die Geschäftsführung erfordert, kann die Schuld nicht mehr allein dem ausführenden Mitarbeiter angelastet werden. Nehmen wir an, Sie holen ein detailliertes Angebot einer  technischen Prüforganisation für die vorgeschriebene Prüfung von Rolltoren ein und leiten es zur Genehmigung an die oberste Ebene weiter. Wenn das Management die Budgetfreigabe verweigert oder ignoriert, liegt das Versäumnis beim Arbeitgeber. Ein Versäumnis des Managements kann nicht einfach dem Angestellten zur Last gelegt werden, der seinen Teil des Prozesses erledigt hat.

Gerichte betrachten in solchen Fällen oft die geteilte Verantwortung zwischen Manager und Geschäftsführung. Bei komplexen Genehmigungsverfahren, wie beispielsweise der Klärung einer fehlenden Betriebsgenehmigung für eine Gasbefeuerung, urteilten Richter, dass diese Korrespondenz nicht dem einzigen Techniker vor Ort allein überlassen werden darf. Fehlen zudem klare Zuständigkeiten und Schnittstellendefinitionen im Unternehmen, verpufft der Vorwurf, da unklar bleibt, wer genau handeln musste.

Suchen Sie umgehend alle E-Mails, Protokolle oder Angebote heraus, die belegen, dass Sie die Freigabe bei der vorgesetzten Stelle formell angefordert haben.


zurück zur FAQ Übersicht

Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.


Glossar für Fachbegriffe aus dem Arbeitsrecht: Der Schriftzug 'Glossar' vor dem Foto einer belebten Baustelle

Glossar


Juristische Fachbegriffe kurz erklärt

Abmahnung

Eine Abmahnung ist die formelle Rüge des Arbeitgebers an den Arbeitnehmer wegen einer konkreten Pflichtverletzung, die gleichzeitig als eindringliche Warnung für die Zukunft dient. Bevor eine Kündigung wegen Fehlverhaltens ausgesprochen werden kann, muss das Gesetz dem Mitarbeiter in der Regel die Chance zur Besserung geben und ihm den Ernst der Lage verdeutlichen. Nur in extremen Ausnahmefällen ist dieser wichtige Schritt entbehrlich.

Beispiel: Im vorliegenden Fall hielten die Richter die Abmahnung für die verspäteten Eichfristen für notwendig, da der Mangel ein organisatorisches Versäumnis darstellte, welches durch eine klare Warnung leicht hätte behoben werden können.

Zurück zur Glossar Übersicht

Anspruch auf Weiterbeschäftigung

Nach einem Obsiegen des Arbeitnehmers in der ersten Instanz eines Kündigungsschutzprozesses, gewährt das Arbeitsrecht den Anspruch auf Weiterbeschäftigung, bis eine rechtskräftige, endgültige Entscheidung einer höheren Instanz vorliegt. Dieses Recht sichert die Existenz des Arbeitnehmers und stellt klar, dass das Arbeitsverhältnis durch den erstinstanzlichen Erfolg vorläufig als fortbestehend gilt. Das Unternehmen muss den Kläger trotz eingelegter Berufung wieder in den Betrieb eingliedern.

Beispiel: Nachdem das Arbeitsgericht Stralsund die Kündigung für unwirksam erklärte, beantragte der technische Leiter erfolgreich den Anspruch auf Weiterbeschäftigung beim Landesarbeitsgericht.

Zurück zur Glossar Übersicht

Darlegungs- und Beweislast

Im Kündigungsschutzprozess trägt der Arbeitgeber die vollständige Darlegungs- und Beweislast, was bedeutet, er muss die konkreten Fakten liefern, die das Fehlverhalten des Arbeitnehmers beweisen und die Kündigung sozial rechtfertigen. Dieses strenge Prinzip stellt sicher, dass eine Entlassung nicht auf bloßen Vermutungen oder unvollständigen Vorwürfen basiert, sondern auf nachweisbaren Tatsachen.

Beispiel: Das Molkerei-Unternehmen scheiterte vor Gericht, weil es zwar eine lange Mängelliste vorlegte, aber die Darlegungs- und Beweislast für die bewiesene Schwere der Pflichtverletzung des technischen Leiters nicht erbringen konnte.

Zurück zur Glossar Übersicht

Letztentscheidung

Die Letztentscheidung markiert den Punkt im Prozess, an dem die finale, bindende Entscheidung über die finanzielle oder strategische Freigabe bei der Geschäftsführung oder einem anderen Vorgesetzten liegt. Juristen verwenden den Begriff, um Verantwortlichkeiten klar abzugrenzen; ein Mitarbeiter kann nicht für ein Versäumnis haftbar gemacht werden, wenn er alle Vorarbeiten ordnungsgemäß erledigt und die Freigabe rechtzeitig beantragt hat.

Beispiel: Weil die finanzielle Letztentscheidung zur Beauftragung einer technischen Prüforganisation beim Geschäftsführer lag, konnte die fehlende Prüfung der Rolltore nicht dem technischen Leiter angelastet werden.

Zurück zur Glossar Übersicht

Negative Prognose

Die negative Prognose ist das zentrale Element einer verhaltensbedingten Kündigung, bei dem der Arbeitgeber begründet annehmen muss, dass der Arbeitnehmer sein pflichtwidriges Verhalten trotz einer vorherigen Abmahnung in Zukunft wiederholen wird. Die Kündigung soll keine rückwirkende Bestrafung sein, sondern dient als zukunftsgerichtete Maßnahme, um das Arbeitsverhältnis nur dann zu beenden, wenn keine Besserung des Verhaltens zu erwarten ist.

Beispiel: Dem Unternehmen fehlte die notwendige negative Prognose, weil die überzogenen Eichfristen durch einfache organisatorische Maßnahmen leicht abwendbar waren und der Manager nie die Chance zur Besserung per Abmahnung erhalten hatte.

Zurück zur Glossar Übersicht



Das vorliegende Urteil


Landesarbeitsgericht Mecklenburg- – Az.: 2 Sa 56/19 – Urteil vom 04.11.2019


* Der vollständige Urteilstext wurde ausgeblendet, um die Lesbarkeit dieses Artikels zu verbessern. Klicken Sie auf den folgenden Link, um den vollständigen Text einzublenden.

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Unsere Hilfe im Arbeitsrecht

Wir sind Ihr Ansprechpartner in Sachen Arbeitsrecht. Vom Arbeitsvertrag bis zur Kündigung. Nehmen Sie noch heute Kontakt zu uns auf.

Rechtsanwälte Kotz - Kreuztal

Wissenswertes aus dem Arbeitsrecht einfach erklärt

Weitere interessante arbeitsrechtliche Urteile

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!