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Verhaltensbedingte Kündigung und Nachschieben von Kündigungsgründen

ArbG Köln – Az.: 6 Ca 2162/19 – Urteil vom 16.01.2020

1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 28.03.2019 aufgelöst worden ist.

2. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 10.09.2019 aufgelöst werden wird.

3. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern über den 31.03.2020 hinaus fortbesteht.

4. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzprozesses zu den bisherigen Bedingungen als Niederlassungsleiter der Service-Niederlassung Köln weiterzubeschäftigen.

5. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger ein qualifiziertes Zwischenzeugnis zu erteilen.

6. Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.

7. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 78.120,00 EUR festgesetzt.

8. Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer fristlosen, hilfsweise fristgerechten sowie einer weiteren fristgerechten Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen.

Die Beklagte betreibt im …-Konzern im Geschäftsbereich … der deutschen Aufzugsgruppe die Herstellung, den Vertrieb, den Verkauf, die Montage und die Wartung von Fahrzügen und Fahrtreppen sowie anderen Fördermitteln für Personen und Lasten. Die Beklagte beschäftigt mehr als 10 Arbeitnehmer. Es sind ein Betriebsrat und ein Sprecherausschuss gebildet.

Der Kläger ist seit dem 03.11.2007 bei der Beklagten beschäftigt. Er ist seit dem 01.02.2016 Niederlassungsleiter der Service-Niederlassung Köln. Sein Jahresbruttogehalt beträgt 125.000,00 Euro zzgl. Dienstwagenüberlassung.

Mit Schreiben jeweils vom 28.03.2019 – zugegangen am selben Tag – kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien fristlos und hilfsweise fristgerecht zum 30.09.2019.

Mit weiterem Schreiben vom 10.09.2019 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis vorsorglich erneut fristgerecht zum 31.03.2020.

Mit seiner am 04.04.2019 eingegangenen und am 13.09.2019 erweiterten Klage wendet sich der Kläger gegen die Kündigungen. Er vertritt den Standpunkt, dass ein wichtiger Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht vorläge. Er sei zudem entgegen der Auffassung der Beklagten kein Leitender Angestellter, so dass der Betriebsrat und nicht der Sprecherausschuss vor den Kündigungen anzuhören gewesen sei. Er bestreitet – zuletzt mit Schriftsatz vom 04.11.2019 -, dass eines der beiden Gremien ordnungsgemäß angehört worden sei.

Der Kläger beantragt,

1. festzustellen, dass die Kündigung der Beklagten vom 28.03.2019 das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst hat,

2. festzustellen, dass die Kündigung der Beklagten vom 10.09.2019 das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst hat,

3. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern über den 31.03.2020 hinaus fortbesteht,

4. hilfsweise, die Beklagt zu verurteilen, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzprozesses zu den bisherigen Bedingungen als Niederlassungsleiter der Service-Niederlassung Köln weiterzubeschäftigen,

5. die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger ein qualifiziertes Zwischenzeugnis zu erteilen, das sich auf Art und Dauer des Arbeitsverhältnisses sowie Führung und Leistung erstreckt,

hilfsweise, für den Fall des Unterliegens mit dem Feststellungsantrag zu Ziffer 1, die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger ein Endzeugnis zu erteilen, das sich auf Art und Dauer des Arbeitsverhältnisses sowie Führung und Leistung erstreckt.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte behauptet, der Kläger habe seine vertraglichen Pflichten verletzt und der Beklagten durch falsches und anweisungswidriges Vorgehen bei der Projektplanung und -Durchführung einen erheblichen finanziellen Schaden zugefügt.

Sie vertritt die Auffassung, dass der Kläger als Leitender Angestellter vom Sprecherausschuss vertreten werde. Vor den Kündigungen am 28.03.2019 seien indes beide Gremien beteiligt worden. Zur Anhörung am 19.03.2019 habe der Sprecherausschuss keine Stellungnahme abgegeben. Der Betriebsrat habe in einer Stellungnahme vom 25.03.2019 mitgeteilt, dass er für den Kläger als Leitenden Angestellten nicht zuständig sei. Zu weiteren, bei Ausspruch der Kündigung unbekannten Kündigungsgründen, seien am 29.08.2019 vorsorglich nochmals der Sprecherausschuss, höchst vorsorglich der Betriebsrat angehört worden. Es handele sich um ein zulässiges Nachschieben von Kündigungsgründen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung geworden sind, sowie die Sitzungsprotokolle ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I. Die insgesamt zulässige Klage ist begründet.

1. Die Klageanträge zu 1) und zu 2) sind zulässig und begründet.

Die Kündigungsschutzanträge gegen die Kündigungen vom 28.03.2019 und 10.09.2019 sind am 04.04.2019 bzw. 13.09.2019 fristgerecht innerhalb der Klagefrist des § 4 S. 1 KSchG beim Arbeitsgericht eingegangen.

Die Kündigungen vom 28.03.2019 und 10.09.2019 sind gem. § 102 BetrVG bzw. § 31 Abs. 2 SprAuG unwirksam. Es bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung, ob es sich bei dem Kläger um einen Leitenden Angestellten im Sinne des § 5 Abs. 3 BetrVG handelt. Die Beklagte hat weder die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG noch die aus ihrer Sicht erforderliche Anhörung des Sprecherausschusses nach § 31 Abs. 2 SprAuG hinreichend dargelegt.

Eine Kündigung ist nicht nur dann unwirksam, wenn der Arbeitgeber den Betriebsrat/Sprecherausschuss entgegen § 102 BetrVG bzw. § 31 Abs. 2 SprAuG überhaupt nicht angehört hat, sondern auch dann, wenn sie der Anhörung nicht richtig, insbesondere nicht ausführlich genug, oder bewusst irreführend nachgekommen ist.

Hinsichtlich der Darlegungslast für die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrates gilt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgericht (vgl. BAG, Urteil vom 16.03.2000 – 2 AZR 75/99; Urteil vom 23.06.2005 – 2 AZR 193/04 – beide zitiert nach juris) folgendes: Im Prozess hat der Arbeitnehmer zunächst vorzutragen, dass ein Betriebsrat besteht und deshalb nach § 102 BetrVG vor Ausspruch einer Kündigung dessen Anhörung erforderlich war. Auf die entsprechende Behauptung des Arbeitnehmers hin trägt der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass eine ordnungsgemäße Anhörung erfolgt ist (vgl. BAG Urteil vom 24.05.2012 – 2 AZR 62/11; Urteil vom 23.06.2005 – 2 AZR 193/04 – zitiert nach juris): Er hat den Anhörungsprozess detailliert zu schildern, eine etwaig schriftliche Anhörung vorzulegen und die Reaktion des Betriebsrats darzulegen. Er darf sich nicht darauf beschränken, die ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung pauschal zu behaupten. Er hat sich vielmehr nach § 138 Abs. 1 und 3 ZPO vollständig über den vom Arbeitnehmer pauschal bestrittenen Sachverhalt zu erklären und im Einzelnen zu bezeichnen. Dies erfordert einen detaillierten Sachvortrag des Arbeitgebers, der nach konkretem Bestreiten des Arbeitnehmers eine Beweiserhebung durch das Gericht über die tatsächlich streitigen Tatsachen möglich macht (vgl. LAG Hamm, Urteil vom 06.06.2014 – 18 Sa 408/14 – zitiert nach juris). Die dargelegten Grundsätze geltend ebenso für die Anhörung des Sprecherausschusses nach § 31 Abs. 2 SprAuG (vgl. BAG Urteil v. 27.09.2001 – 2 AZR 176/00; ErfK/Oetker, 20. Aufl.2020, SprAuG § 31, Rn. 6).

Der Kläger hat die ordnungsgemäße Anhörung von Betriebsrat und Sprecherausschuss demnach zulässigerweise mit Nichtwissen bestritten. Zu der Kündigung vom 28.03.2019 hat sich die Beklagte auf die Behauptung beschränkt, sie habe die Gremien am 19.03.2019 ordnungsgemäß angehört. Der Betriebsrat habe seine Zuständigkeit verneint und der Sprecherausschuss habe die Frist verstreichen lassen. Sie hat sich weder konkret dazu verhalten und unter Beweis gestellt, dass überhaupt eine Anhörung erfolgte noch hat sie sich zu den Einzelheiten der behaupteten Anhörungen eingelassen. Die pauschale Behauptung Betriebsrat bzw. Sprecherausschuss seien ordnungsgemäß angehört worden, genügt der oben dargestellten Darlegungslast der Beklagten nicht. Es ist für das Gericht schon nicht möglich, der – streitigen – Frage nachzugehen, ob überhaupt eine Anhörung von Betriebsrat/Sprecherausschuss stattgefunden hat.

Hinsichtlich der Kündigung vom 10.09.2019 hat die Beklagt gar keine Beteiligung der Mitbestimmungsgremien behauptet. Sie hat hierzu schriftsätzlich vorgetragen, sie habe Betriebsrat und Sprecherausschuss zu bei Kündigungsausspruch noch unbekannten Gründen vorsorglich ergänzend angehört. Es sei zulässig zum Kündigungszeitpunkt unbekannte Kündigungsgründe nachzuschieben. Bei einem (zulässigen) Nachschieben von Kündigungsgründen im Hinblick auf eine bereits ausgesprochene Kündigung und dem Ausspruch einer erneuten Kündigung handelt es sich jedoch um unterschiedliche Maßnahmen, über die Betriebsrat/Sprecherausschuss entsprechend zu unterrichten bzw. anzuhören sind.

Dass Betriebsrat bzw. Sprecherausschuss zu der Absicht, eine weitere Kündigung auszusprechen, angehört worden seien, behauptet die Beklagte jeodch nicht.

2. Der Klageantrag zu 3) ist zulässig. Für diesen sogenannten „allgemeinen Fortbestandsantrag“ oder „Schleppnetzantrag“ besteht vorliegend gemäß § 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. § 256 Abs. 1 ZPO zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung das erforderliche Feststellungsinteresse.

Das Feststellungsinteresse besteht nicht schon deshalb, weil eine bestimmt bezeichnete Kündigung ausgesprochen wurde und wegen dieser ein Kündigungsrechtsstreit anhängig ist. Es ist vielmehr erforderlich, dass der klagende Arbeitnehmer durch Tatsachenvortrag angeblich weitere Kündigungen oder Beendigungsgründe in den Prozess einführt oder wenigstens deren Möglichkeit glaubhaft macht und damit belegt, warum dieser, die Klage nach § 4 KSchG erweiternde Antrag – noch dazu alsbald – gerechtfertigt sein soll (vgl. BAG v. 27.01.1994 – 2 AZR 484/93; LAG Hamm v. 19.09.2009 – 19 Sa 555/09 – beide zitiert nach juris; ErfK/Kiel, 20. Aufl.2020, KSchG § 4, Rn. 34).

Dem hat der Kläger durch die Einführung einer neuen Kündigung in dieses Verfahren Genüge getan.

3. Der Kläger hat einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung, nach den in der Entscheidung des Großen Senats vom 27.02.1985 aufgestellten Grundsätzen. Danach ist Voraussetzung für eine dem Weiterbeschäftigungsantrag stattgebende Entscheidung ein die Unwirksamkeit der Kündigung feststellendes Instanzurteil (vgl. BAG GS 27. Februar 1985 – GS 1/84 – zitiert nach juris). Im Hinblick darauf, dass der Kläger unstreitig als Niederlassungsleiter der Service-Niederlassung der Beklagten in Köln beschäftigt war, ist der Antrag auch hinreichend bestimmt

4. Der Kläger hat Anspruch auf Erteilung eines qualifizierten Zwischenzeugnisses.

Nach § 109 GewO kann der Arbeitnehmer bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein (Abschluss-)Zeugnis verlangen. Die Voraussetzungen, unter denen ein Arbeitnehmer die Ausstellung eines Zwischenzeugnisses beanspruchen kann, sind gesetzlich nicht geregelt. Soweit tarifliche Regelungen nicht bestehen, kann sich die Verpflichtung zur Erteilung eines Zwischenzeugnisses als vertragliche Nebenpflicht ergeben. Eine solche Verpflichtung setzt voraus, dass der Arbeitnehmer aus einem triftigen Grund auf ein Zwischenzeugnis angewiesen ist. Das ist u.a. dann anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer das Zwischenzeugnis wegen der bevorstehenden Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu Bewerbungszwecken benötigt, der Vorgesetzte wechselt oder die Tätigkeit sich ändert (vgl. etwa ErfK/Müller-Glöge 20. Aufl.2020, GewO § 109 Rn. 50 mwN). Nach Ablauf der Kündigungsfrist bzw. nach Ende der Laufzeit eines befristeten Vertrags kann der Arbeitnehmer grundsätzlich nur ein (Abschluss-) Zeugnis beanspruchen. Streiten die Parteien aber gerichtlich über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses, besteht ein triftiger Grund für die Erteilung eines Zwischenzeugnisses. Dieser Grund entfällt (erst) mit rechtskräftigem Abschluss des Beendigungsrechtsstreits (vgl. BAG, Urteil vom 17.04.2019 – 7 AZR 292/17; Urteil vom 4. November 2015 – 7 AZR 933/13 – beide zitiert nach juris).

II. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 Abs. 2 ArbGG iVm. § 91 Abs. 1 ZPO. Die Beklagte hat als unterliegende Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Der Streitwert beträgt gem. §§ 42 Abs. 2 GKG, 3 ff. ZPO je drei Bruttogehälter für die beiden Kündigungsschutzanträge, ein weiteres Gehalt für den ausgeurteilten Weiterbeschäftigungsantrag und ein halbes Bruttogehalt für die Erteilung eines qualifizierten Zwischenzeugnisses.

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