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Verhaltensbedingte Kündigung wegen Verweigerung einer Gesundheitsuntersuchung

LAG Berlin-Brandenburg – Az.: 18 Sa 592/11 – Urteil vom 25.07.2011

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 08. Februar 2011 – 38 Ca 15552/10 – abgeändert:

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers durch die Kündigung der Beklagten vom 23. September 2010 nicht aufgelöst worden ist.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger

23.329,91 EUR (dreiundzwanzigtausenddreihundertneunundzwanzig 91/100) brutto

abzüglich 1.635,66 EUR (eintausendsechshundertfünfunddreißig 66/100) netto

nebst fünf Prozent Zinsen über den jeweiligen Basiszinssatz aus dem sich ergebenden Nettobetrag seit dem 08. Februar 2011 zu zahlen.

3. Die Beklagte hat 95 Prozent und der Kläger hat fünf Prozent der Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

II. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob eine dem Kläger gegenüber ausgesprochene fristgemäße Kündigung wirksam ist und ob der Kläger gegen die Beklagte Anspruch auf Vergütung für die Zeit vom 01. Oktober 2009 bis 31. Januar 2011 hat.

Der am … 1974 geborene verheiratete Kläger, der mit einem Grad der Behinderung von 70 schwerbehindert ist, ist bei der Beklagten, die regelmäßig mehr als 10 Arbeitnehmer vollzeitig beschäftigt, seit dem 31. Juli 2000 als Busfahrer mit einer monatlichen Bruttovergütung von zuletzt 2.100,00 EUR tätig.

Verhaltensbedingte Kündigung wegen Verweigerung einer Gesundheitsuntersuchung
Symbolfoto: Von Rocketclips, Inc./Shutterstock.com

Der Kläger war seit 2001 in erheblichem Umfang arbeitsunfähig erkrankt. Seit dem 08. November 2007 war der Kläger durchgehend arbeitsunfähig erkrankt. Wegen der Arbeitsunfähigkeit erklärte die Beklagte nach Zustimmung des Integrationsamtes mit Schreiben vom 27. März 2009 die Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 30. Juni 2009. Mit rechtskräftigem Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 15. Januar 2010 zum Aktenzeichen 25 Ca 7701/09 wurde festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 27. März 2009 nicht aufgelöst worden ist.

Danach forderte die Beklagte den Kläger zur Feststellung der Fahrtauglichkeit mit Schreiben vom 16. März 2010 auf, einer Untersuchung bei der Betriebsärztin der BVB Frau Dr. med. H. am 19. März 2010 nachzukommen. Nachdem der Kläger den Termin nicht wahrgenommen hat, sondern in einem Personalgespräch darauf verwies, dass seine Tauglichkeit bereits am 11. Dezember 2009 fachärztlich festgestellt sei durch Frau Dr. He., stellte die Beklagte die Zahlung der Vergütung ein, erteilte mit Schreiben vom 24. März 2010 dem Kläger eine Abmahnung und forderte ihn zur Feststellung der Tauglichkeit zu einem Termin beim betriebsärztlichen Dienst am 30. März 2010 auf. Nachdem der Kläger auch diesen Termin nicht wahrnahm, erteilte die Beklagte ihm mit Schreiben vom 08. April 2010 eine „letztmalige Abmahnung“ und forderte ihn zur Wahrnehmung eines Termins bei dem betriebsärztlichen Dienst am 13. April 2010 auf. Nachdem der Kläger auch diesen Termin nicht wahrgenommen hat, erklärte die Beklagte mit Schreiben vom 20. April 2010 die Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Nachdem der Kläger im Kündigungsschutzverfahren zum Aktenzeichen 24 Ca 7119/10 im Gütetermin im 01. Juni 2010 seine weiter bestehende Schwerbehinderteneigenschaft nachgewiesen hatte, erklärte die Beklagte die „Rücknahme“ dieser Kündigung und beantragte mit Schreiben vom 15. Juni 2010 bei dem Integrationsamt die Zustimmung zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Das Integrationsamt erteilte mit Bescheid vom 09. September 2010 die Zustimmung. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein. Mit Schreiben 15. Juni 2010 hörte die Beklagte den Betriebsrat zur beabsichtigten Kündigung an. Der Betriebsrat erklärte die Zustimmung zur Kündigung.

Die Beklagte erklärte daraufhin mit Schreiben vom 23. September 2010 die Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 31. Januar 2011.

Mit seiner am 13. Oktober 2010 bei Gericht eingegangenen Klage wendet sich der Kläger gegen die Wirksamkeit der Kündigung und macht Vergütungsansprüche geltend.

Er hat auf das fachärztliche Gutachten von Frau Dr. He. vom 11. Dezember 2009 verwiesen und meint danach bestünden keine Zweifel an seiner Fahrdiensttauglichkeit. Er habe Bedenken sich durch die Betriebsärzte der BVG untersuchen zu lassen, da diese im Lager der Beklagten stünden. Er behauptet, im Gütetermin am 01. Juni 2010 habe er sich dennoch bereit erklärt sich vom Betriebsarzt untersuchen zu lassen.

Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung vom 23. September 2010 nicht beendet worden ist;

2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 23.329,91 EUR brutto zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei wirksam. Sie verweist zur Begründung der Kündigung auf die tarifvertraglichen Bestimmungen, wonach gemäß § 3 Abs. 4 Tarifvertrag Nahverkehr Berlin der Arbeitgeber bei gegebener Veranlassung berechtigt ist, den Arbeitnehmer durch den Betriebsrat oder den Vertrauensarzt eingehend untersuchen zu lassen, ob er zur Leistung der Arbeit vertraglich geschuldeten Tätigkeit in der Lage ist.

Der Kläger sei seiner Mitwirkungspflicht schuldhaft trotz mehrfacher Abmahnung nicht nachgekommen, es bestünden berechtigte Zweifel, dass er zur Leistung der arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit in der Lage sei.

Wegen der Einzelheiten des diesem Streit zugrunde liegenden unstreitigen Sachverhaltes und des streitigen Vorbringens der Parteien in der ersten Instanz wird auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils (Bl. 118 – 120 d. A.) sowie auf die zwischen den Parteien in der Eingangsinstanz gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Durch Urteil vom 08. Februar 2011 hat das Arbeitsgericht Berlin die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die ordentliche Kündigung sei berechtigt, da der Kläger sich trotz zweier Abmahnungen weiterhin beharrlich geweigert habe sich von der von der Beklagten bestimmten Ärztin auf seine Fahrdiensttauglichkeit hin untersuchen zu lassen. Der Vergütungsanspruch sei vom Kläger dem Grunde und der Höhe noch nicht schlüssig dargelegt worden. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung der Entscheidung wird auf die dortigen Gründe (Bl. 120 – 124 d. A.) verwiesen.

Gegen dieses ihm am 17. Februar 2011 zugestellte Urteil hat der Kläger mit am 14. März 2011 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit am Montag, dem 18. April 2011 eingegangenem Schriftsatz begründet.

Der Kläger ist weiter der Auffassung, die ausgesprochene Kündigung sei unwirksam, denn er habe der Aufforderung zur Untersuchung nicht Folge leisten müssen, da die Arbeitgeberin nur bei gegebener Veranlassung berechtigt sei die Untersuchung zu fordern. Hieran fehle es vorliegend, da er sich bereits am 11. Dezember 2009 einer entsprechenden Untersuchung durch Frau Dr. He. unterzogen habe. Er behauptet, bei Frau Dr. He. handele es sich um eine ehemalige Betriebsärztin der BVG. Auch sei sie unstreitig als zuständige Ärztin beim Landesamt für Bürger – und Ordnungsangelegenheiten gelistet und damit geeignet eine Fahrdiensttauglichkeitsuntersuchung durchzuführen. Das Gutachten von Frau Dr. He. sei zurzeit der ersten Aufforderung durch die Arbeitgeberin noch aktuell gewesen.

Der Kläger bestreitet, dass es sich bei der Ärztin Frau Dr. H., die die angeordnete Untersuchung habe durchführen sollen, um die Betriebsärztin der Beklagten handele. Mit den Aufgaben des Betriebsarztes sei vielmehr bei der Beklagten zum damaligen Zeitpunkt der Arbeitsmedizinische Dienst (AMD) des TÜV beauftragt gewesen. Außerdem habe er berechtigte Zweifel an der Neutralität von Frau Dr. H., die Betriebsärztin der Muttergesellschaft der Beklagten der BVG sei, diese Zweifel habe er auch stets geäußert und angeboten sich von einem neutralen Arbeitsmediziner untersuchen zu lassen.

Der Kläger meint weiter, dass ihm auch die Vergütung zustehe, denn er sei im betreffenden Zeitraum fahrdiensttauglich gewesen und habe seine Arbeitskraft mehrfach angeboten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens des Klägers in der Berufungsinstanz wird auf den Berufungsbegründungsschriftsatz vom 18. April 2011 und die Schriftsätze vom 08. Juni und 24. Juli 2011 nebst Anlagen verwiesen.

Der Kläger und Berufungskläger beantragt, das Urteil erster Instanz abzuändern und

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung vom 23. September 2010 nicht endet;

2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 23.329,91 EUR brutto abzüglich 1.635,26 EUR netto nebst fünf Prozent Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz aus dem sich ergebenden Nettobetrag zu zahlen.

Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung und tritt den Ausführungen des Klägers in der Berufungsinstanz entgegen. Insbesondere vertritt sie die Auffassung, sie habe das Wahlrecht, das ihr gemäß § 3 Abs. 4 Tarifvertrag Nahverkehr Berlin (TV-N Berlin) zustehe in nicht zu beanstandender Weise ausgeübt, indem sie sich für eine Untersuchung durch die Betriebsärztin Frau Dr. H. entschieden habe. Bei Frau Dr. H. handele es sich um die ordnungsgemäß bestellte Betriebsärztin der BVG. Seit Gründung der Beklagten würden die betriebsärztlichen Aufgaben durch den betriebsärztlichen Dienst der BVG wahrgenommen zusätzlich habe sie den AMD des TÜV mit der Wahrnehmung der betriebsärztlichen Aufgaben beauftragt. Dieser führe die Regeluntersuchungen der Mitarbeiter nach dem Arbeitssicherheitsgesetz durch, während der betriebsärztliche Dienst der BVG die Einstellungs- und Tauglichkeitsuntersuchungen vornehme. § 3 Abs. 4 TV-N Berlin beschränke den Begriff des Betriebsarztes nicht auf den Begriff des Arbeitssicherheitsgesetzes. Hilfsweise beruft sich die Beklagte darauf, dass Frau Dr. H. als Vertrauensarzt im Sinn des § 3 Abs. 4 Ziffer TV-N Berlin anzusehen sei. Dies zumal der Betriebsleiter nach der BO – Kraft berechtigt sei jeden fachlich geeigneten Arzt damit zu beauftragen die Eignung festzustellen.

Die Beklagte meint, der Vergütungsanspruch bestehe nicht, da sie sich nicht in Annahmeverzug befinde.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beklagten in der Berufungsinstanz wird auf den Berufungsbeantwortungsschriftsatz vom 26. Mai 2011 und den Schriftsatz vom 05. Juli 2011 nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.

Die Berufung ist zulässig.

Sie ist gemäß den §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und 2 b, c ArbGG statthaft und frist- und formgerecht i.S.d. §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 ZPO eingelegt und begründet worden.

II.

Die Berufung des Klägers hat in der Sache auch Erfolg.

Das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis ist durch die Kündigung der Beklagten vom 23. September 2010 nicht mit Wirkung vom 31. Januar 2011 aufgelöst worden, denn die Kündigung ist unwirksam. Die Kündigung ist nicht sozialgerechtfertigt, sie ist nicht durch Gründe im Verhalten des Klägers bedingt, § 1 Abs. 1 KSchG. (1.)

Der Kläger hat gegen die Beklagte auch Anspruch auf Vergütung für die Zeit vom 01. Oktober 2009 bis 31 Januar 2011 in einer Gesamthöhe von 23.329,91 EUR brutto abzüglich 1.635,66 EUR netto nebst Zinsen gemäß § 615 BGB, denn die Beklagte befand sich in diesem Zeitraum in Verzug mit der Annahme der Arbeitsleistung des Klägers. (2.)

1. Die ausgesprochene ordentliche Kündigung ist nicht durch Gründe im Verhalten des Klägers bedingt, denn der Kläger war nach Auffassung der erkennenden Berufungskammer nicht verpflichtet den Aufforderungen zur Untersuchung durch Frau Dr. H. Folge zu leisten. Eine beharrliche Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten ist daher nicht gegeben.

Bei Frau Dr. H. handelt es sich nämlich nicht um die Betriebsärztin der Beklagten und sie ist auch nicht als Vertrauensärztin i.S.d. § 3 Abs. 4 TV-N Berlin anzusehen.

Gemäß § 3 Abs. 4 TV-N Berlin in der Arbeitgeber bei gegebener Veranlassung berechtigt, den Arbeitnehmer durch den Betriebsarzt oder Vertrauensarzt dahingehend untersuchen zu lassen, ob er zur Leistung der arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit in der Lage ist.

a) Frau Dr. H., die unstreitig nicht Betriebsärztin der Beklagten i.S.d Arbeitssicherheitsgesetzes ist, ist nicht als Betriebsärztin im Sinne des § 3 Abs. 4 TV-N Berlin anzusehen.

Nach Auffassung der erkennenden Berufungskammer handelt es sich bei dem von den Tarifvertragsparteien verwendeten Begriff des Betriebsarztes um einen feststehenden Begriff, um den Betriebsarzt im Sinne des Arbeitssicherheitsgesetzes. Das Arbeitssicherheitsgesetz enthält u.a. klare Regelungen, wer als Betriebsarzt anzusehen ist und welche Aufgaben dieser hat. Verwenden Tarifvertragsparteien daher den gesetzlichen Begriff „Betriebsarzt“ ist nach Auffassung der erkennenden Berufungskammer grundsätzlich davon auszugehen, dass diese den Betriebsarzt i.S.d. Arbeitssicherheitsgesetzes gemeint haben. Anhaltspunkte im Text des Tarifvertrages, dass ausnahmsweise nicht sehr Betriebsarzt im Sinne des Arbeitssicherheitsgesetzes gemeint ist, sind nicht ersichtlich.

b) Frau Dr. H. ist vorliegend nach Auffassung der erkennenden Berufungskammer auch nicht als Vertrauensärztin im Sinne des § 3 Abs. 4 TV-N Berlin anzusehen gewesen.

Das Bundesarbeitsgericht hat in seiner Entscheidung vom 07. November 2002 – 2 AZR 475/02 – zum Begriff des Vertrauensarztes i.S.d. § 7 Abs. 2 BAT, der mit § 3 Abs. 4 TV-N Berlin vergleichbar ist, ausgeführt:

„Der Begriff „Vertrauensarzt“ ist gesetzlich nicht allgemeingültig festgelegt (Lorenzen/Schmitt/Etzel/Gerhold/Schlatmann/Rehak BPersVG § 75 Rn. 170). Wenn die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes schon seit 1924 eine Begutachtung des Gesundheitszustandes des Arbeitnehmers durch einen „Vertrauensarzt“ zulassen (vgl. § 22 Reichsangestellten-Tarifvertrag (RAT) Reichsbesoldungsblatt 1924, 113, 115), so meint dies jedenfalls nicht den Vertrauensarzt der Krankenkassen (vgl. § 368 Abs. 2 RVO idF der Verordnung des Reichspräsidenten zur Behebung finanzieller, wirtschaftlicher und sozialer Notstände vom 26. Juli 1930 RGBl. I 311, 325; jetzt „Medizinischer Dienst der Krankenversicherung“, § 275 Abs. 1 Nr. 3 b SGB V). Der Vertrauensarzt der Krankenkassen hatte die Aufgabe, im Auftrag der Kasse als „anderer Arzt“ ärztliche Bescheinigungen des behandelnden Arztes nachzuprüfen. Der Vertrauensarzt iSv. § 7 Abs. 2 BAT begutachtet demgegenüber im Auftrag des Arbeitgebers in eigener Zuständigkeit den Gesundheitszustand des Arbeitnehmers und stützt sich dabei lediglich, soweit dies erforderlich ist, auf Vorbefunde der behandelnden Ärzte (ebenso LAG Berlin 17. Januar 1983 – 9 Sa 95/82 – AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 9).

Der Wortlaut des § 7 Abs. 2 BAT enthält keine Einschränkungen hinsichtlich des Kreises von Ärzten, den der Arbeitgeber mit der Begutachtung betrauen darf. Wörtlich verstanden bedeutet die Vorschrift, dass der öffentliche Arbeitgeber einen Arzt seines Vertrauens mit der Begutachtung beauftragen kann (Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese BAT Stand Oktober 2002 § 7 Erl. 4; Uttlinger/Breier/Kiefer/Hoffmann/Dassau BAT Stand Oktober 2002 § 7 Rn. 4; Böhm/Spiertz/Sponer/Steinherr BAT Stand Oktober 2002 § 7 Rn. 27 jeweils unter Hinweis auf die Tarifgeschichte). Wenn § 7 Abs. 1 BAT bei der Einstellungsuntersuchung kein vertrauensärztliches Gutachten fordert, sondern das Zeugnis „eines vom Arbeitgeber bestimmten Arztes“ ausreichen lässt, so lässt dies allerdings erkennen, dass die Tarifvertragsparteien als Vertrauensarzt iSv. § 7 Abs. 2 BAT nicht den nach Belieben des Arbeitgebers von Fall zu Fall bestellten Arzt ansehen. Vertrauensarzt ist vielmehr – zumindest in größeren Behörden – regelmäßig ein Arzt oder ein ärztlicher Dienst, der vom Arbeitgeber allgemein für derartige Begutachtungsaufgaben bestellt worden ist (vgl. zur Mitbestimmung bei der Bestellung von Vertrauensärzten als Angestellte oder Beamte § 75 Abs. 3 Nr. 10 bzw. § 76 Abs. 2 Nr. 4 BPersVG; § 86 Abs. 1 Nr. 17 HmbgPVG). Wenn im Tarifwortlaut nicht von „dem“, sondern von „einem“ Vertrauensarzt die Rede ist, so trägt dies offenbar dem Umstand Rechnung, dass ein bestellter Vertrauensarzt und selbst ein vertrauensärztlicher Dienst, der mehrere Ärzte beschäftigt, regelmäßig nicht alle ärztlichen Fachrichtungen abdecken kann. Daher kann es im Einzelfall stets erforderlich sein, für einen bestimmten Gutachtenauftrag einen Arzt einer speziellen Fachrichtung zum Vertrauensarzt zu bestellen.

Danach bestehen keine Bedenken, einen von einer größeren Stadt eingerichteten personalärztlichen Dienst als Vertrauensarzt iSv. § 7 Abs. 2 BAT anzusehen, wenn dieser von der Stadt allgemein für die Erstattung derartiger Gutachten bestellt ist und gegen seine Fachkunde und Unvoreingenommenheit von dem betreffenden Arbeitnehmer keine Bedenken geltend gemacht werden.“

Danach bestehen grundsätzlich also keine Bedenken, den betriebsärztlichen Dienst der BVG und damit Frau Dr. H., mit einer Untersuchung nach § 3 Abs. 4 TV-N Berlin zu beauftragen. Vorliegend jedoch hat der Kläger von Anbeginn Bedenken gegen die Unvoreingenommenheit des betriebsärztlichern Dienstes des BVG erhoben und angeboten sich von einem neutralen Arbeitsmediziner untersuchen zu lassen. Diesen Einwand, ob berechtigt oder nicht, hätte die Beklagte nach Auffassung der erkennenden Berufungskammer nicht übergehen dürfen und hätte dem Kläger anbieten müssen die Untersuchung durch einen anderen Arzt durchführen zu lassen.

2. Der Kläger hat auch Anspruch auf Zahlung von Vergütung für die zeit vom 01. Oktober 2009 bis 31. Januar 2010 in unstreitiger Höhe von 23.329,91 EUR brutto abzüglich gezahlter 1.635,66 EUR netto nebst Zinsen, denn der Kläger war in dieser Zeit arbeitsfähig und hat unstreitig mehrfach seine Arbeitsleistung angeboten, so dass sich die Beklagte in Annahmeverzug befand.

Nach Auffassung der erkennenden Berufungskammer reichte die Untersuchung und Bescheinigung von Frau Dr. He. vom 11. Dezember 2009 aus, um die Arbeitsfähigkeit zu belegen, denn diese ist ausreichend spezifisch, um auch Fahrdiensttauglichkeit anzunehmen. Dem Attest sind auch keine Anhaltspunkte zu entnehmen, dass die getroffenen Feststellungen nicht auch bereits für die Zeit vom 01. Oktober 2009 an gelten.

Die Beklagte hat keine ausreichenden Anhaltspunkte dargelegt, die Anlass gaben entgegen des Inhaltes des Attestes von einer Unfähigkeit zur Erbringung der arbeitsvertraglich geschuldeten Leistung auszugehen.

Nach alledem war auf die Berufung des Klägers mit der Kostenfolge des § 91 ZPO wie aus dem Tenor ersichtlich zu entscheiden.

III.

Gegen diese Entscheidung war die Revision im Hinblick auf die Ausführungen unter 1), die Auslegung des § 3 Abs. 4 TV-N Berlin, der wortgleich mit § 4 Abs. 3 TV NRW ist, wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.

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