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Verhaltensbedingte Mitarbeiterkündigung bei Beleidigung eines Kollegen

Landesarbeitsgericht Köln – Az.: 6 Sa 53/21 – Urteil vom 02.06.2021

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 10.12.2020 – 3 Ca 2531/20 – wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten der Berufung hat der Kläger zu tragen.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Nachdem das Arbeitsgericht rechtskräftig festgestellt hat, dass eine fristlose Kündigung wegen des Verhaltens des Klägers unverhältnismäßig gewesen sei, streiten die Parteien in der Berufungsinstanz nur noch über die Frage, ob es richtig war, dass das das Arbeitsgericht die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung als wirksam erachtet hat.

Verhaltensbedingte Mitarbeiterkündigung bei Beleidigung eines Kollegen
(Symbolfoto: Frank Gaertner/Shutterstock.com)

Der Kläger ist 57 Jahre alt, ledig und hat keine Unterhaltspflichten. Bei der Beklagten ist er seit dem 01.08.2013 als Lagerist beschäftigt. Hierfür erhielt er zuletzt vereinbarungsgemäß ein Bruttomonatsentgelt in Höhe von 2.435,00 EUR brutto.

Die Beklagte betreibt ein Logistikcenter und beschäftigt dort mehr als zehn Arbeitnehmer. Ein Betriebsrat existiert nicht.

Am 16.06.2020 spielten der Kläger und zwei andere Mitarbeiter der Beklagten am Computer im Lager das Kartenspiel Solitär. Dabei wurden sie von einem Kollegen mit dem Mobiltelefon fotografiert. Dieses Foto erhielt am nächsten Tag der für den Lagerbereich verantwortliche Angestellte, der Zeuge L . Dieser Zeuge stellte das Bild seinerseits der Prokuristin der Beklagten, der Zeugin N , zur Verfügung. Diese führte sodann mit den drei fotografierten Solitärspielern ein zurechtweisendes Gespräch. Alle drei sahen ihre Pflichtverletzung ein. Dieser Sachverhalt, also das Solitärspielen als solches, ist nicht Gegenstand des Sachverhalts, den die Beklagte zum Anlass der streitgegenständlichen Kündigung nahm. Relevant ist vielmehr der Groll, den der Kläger gegen den (vermeintlichen) Fotografen, also gegen den Denunzianten, hegte und wie er sich in diesem Zusammenhang verhielt.

Schon während des Gesprächs mit der Prokuristin fragte der Kläger mehrmals nach, wer denn die Fotos gemacht habe, ohne jedoch eine Antwort zu erhalten. Auf dem Weg vom besagten Gespräch mit der Prokuristin zurück zum Arbeitsplatz traf der Kläger seinen Kollegen M . Der Kläger hielt diesen Kollegen für den Fotografen. Er stürmte auf den Kollegen zu und überzog ihn mit Beschimpfungen. Einzelheiten sind streitig. Der Kläger hat inzwischen eingeräumt, dass er die Worte „Ich schneid dir die Eier ab, du Schwein“ gerufen habe. Kurze Zeit danach trafen die Parteien erneut aufeinander. Einzelheiten sind auch hier streitig. Jedenfalls hat der Kläger den Zeugen am Ende mit beiden Händen weggestoßen. Zu einem dabeistehenden Kollegen, der die Szene miterlebt hatte, sagte der Kläger dann noch: „Damit du Bescheid weißt: Du hast nichts gesehen.“ Bei einem späteren Zusammentreffen des Zeugen M mit dem Kläger forderte der Zeuge den Kläger auf, er solle sich entschuldigen, dann sei alles in Ordnung. Der Kläger war aber nicht bereit, sich zu entschuldigen.

Mit Schreiben vom 30.06.2020 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos und hilfsweise ordentlich zum 31.08.2020.

Nach Erhalt der Kündigung sprach der Kläger einen anderen Kollegen an und bat diesen, die Adresse des Zeugen M mitzuteilen.

Mit der seit dem 17.07.2020 beim Arbeitsgericht Aachen anhängigen Kündigungsschutzklage hat sich der Kläger mit zwei Feststellungsanträgen gegen die fristlose Kündigung und gegen die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung gewandt. Zur Begründung der Klage und zu Erklärung des ihm vorgeworfenen Verhaltens hat er vorgetragen, der Zeuge M habe ihn angegrinst, als er aus dem Personalgespräch mit der Prokuristin gekommen sei. Da habe er sein Temperament nicht im Griff gehabt. Der Zeuge M habe auch „verbal contra“ gegeben. Das habe ihn weiter verärgert. Nach wie vor gehe er davon aus, dass es der Zeuge M gewesen sei, der ihn fotografiert habe. Nach der Adresse des Zeugen habe er gefragt, weil er ihn habe veranlassen wollen, der Beklagten gegenüber mitzuteilen, dass für ihn der Sachverhalt nicht so dramatisch gewesen sei, wie das die Beklagte vermute. Auch habe die Beklagte selbst den Sachverhalt offensichtlich als nicht so dramatisch angesehen, weil sie ihn noch einige Zeit weiter beschäftigt habe. Die Kündigung sei nach seiner Auffassung eine nicht gerechtfertigte Überreaktion.

Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrages vorgetragen, es sei ihr nach den besagten Geschehnissen nicht zumutbar, den Kläger auch nur bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist weiter zu beschäftigen. Der Kläger habe den Kollegen nicht nur angebrüllt, bedroht und körperlich angegriffen. Der Kläger habe bei dem zweiten Zusammentreffen den Zeugen M außerdem angeschrien „Ich fick deine Mutter“. Bis zuletzt habe der Kläger kein Einsehen gezeigt, sondern nur versucht, seine Verfehlungen zu verharmlosen. Jedenfalls die ordentliche Kündigung sei deshalb durch Gründe bedingt, die im Verhalten des Klägers gelegen hätten.

Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage gegen die fristlose Kündigung stattgegeben und die Klage gegen die ordentliche Kündigung abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die fristlose Kündigung sei unverhältnismäßig gewesen. Demgegenüber sei eine ordentliche Kündigung auf das Verhalten des Klägers die angemessene und rechtmäßige Reaktion. Eine Abmahnung sei nicht erforderlich gewesen. Das Nachtatverhalten des Klägers zeige seine Uneinsichtigkeit.

Gegen dieses ihm am 22.12.2020 zugestellte Urteil hat der Kläger am 22.01.2021 Berufung eingelegt und er hat diese am 22.02.2021 begründet. Zur Begründung der Berufung trägt der Kläger vor, das Arbeitsgericht habe sein Verhalten falsch bewertet. Die Äußerungen seien zwar roh gewesen. Es fehle ihnen jedoch an der Ernsthaftigkeit. Er sei nun einmal temperamentvoll. Eine Kündigung, auch eine ordentliche, sei daher als Reaktion überzogen und mithin unverhältnismäßig. Ohne eine zuvor ausgesprochene ernsthafte Abmahnung könne eine solche Kündigung nach seiner Auffassung keine Wirksamkeit entfalten.

Der Kläger beantragt nunmehr, das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 10.12.2020 – 3 Ca 2531/20 – abzuändern, soweit die Klage abgewiesen worden ist, und insgesamt wie folgt zu erkennen:

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen der Beklagten und dem Kläger durch die fristlose Kündigung vom 30.06.2020 nicht aufgelöst worden ist;

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen der Beklagten und dem Kläger durch die hilfsweise fristgerechte Kündigung vom30.06.2020 nicht aufgelöst worden ist.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts, soweit es die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung erkannt hatte und vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

I. Die Berufung des Klägers ist zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).

II. Das Rechtsmittel bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die Kündigungsschutzklage gegen die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen. Auf diese Begründung kann Bezug genommen werden, denn der Vortrag des Klägers in der Berufungsbegründung rechtfertigt hiervon keine Abweichung.

Die Kündigung ist durch Gründe, die im Verhalten des Klägers liegen, im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt. Die Kündigung ist daher nicht gemäß § 1 Abs. 1 KSchG unwirksam.

Die Kündigung ist auch nicht unverhältnismäßig. Insbesondere kam eine Abmahnung weder als Voraussetzung der Kündigung in Frage noch als milderes Mittel. Nach dem sinngemäß auch auf die ordentlich Kündigung anwendbaren Satz 3 des § 314 Abs. 2 BGB ist bei einer Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung eine Abmahnung dann entbehrlich, wenn besondere Umstände vorliegen, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die (sofortige) Kündigung rechtfertigen. Von einer solchen Ausnahme ist z.B. auszugehen, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft – trotz Abmahnung – nicht erwartet werden kann oder es sich um eine solch schwere Pflichtverletzung handelt, dass deren Rechtswidrigkeit dem Vertragspartner ohne weiteres erkennbar ist und bei der eine Hinnahme des Verhaltens offensichtlich ausgeschlossen werden kann,

oder wenn ein Kündigungsgrund besonders schwerwiegt, so dass dem Kündigenden selbst nach erfolgreicher Abmahnung die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses unzumutbar ist

oder wenn die Vertrauensgrundlage der Rechtsbeziehung derart erschüttert ist, dass sie auch durch die Abmahnung nicht wiederhergestellt werden kann.

Das Abmahnerfordernis besteht also dann nicht, wenn die Abmahnung von vornherein nicht erfolgversprechend ist und daher eine bloße Förmelei wäre. In solchen Fällen kommt es auf eine Wiederholungsgefahr gar nicht an, da das Vertrauensverhältnis so stark belastet ist, dass sich der Pflichtverstoß selbst als fortdauernde Störung auswirkt (Weth in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Aufl., § 314 BGB, Rn. 35).

Im hier zu entscheidenden Fall wäre der Ausspruch einer Abmahnung, und damit auch das Bestehen auf der Erteilung einer solchen Abmahnung als Voraussetzung der streitgegenständlichen Kündigung, eine bloße Förmelei: Wer zu einem Kollegen auf den Verdacht hin, dieser Kollege habe ihn beim Arbeitgeber wegen Arbeitsbummelei denunziert, brüllt „Ich schneid dir die Eier ab, du Schwein“, wer diesen Kollegen im weiteren Verlauf des Tages mit beiden Händen wegstößt und wer einem Zeugen der Szene sagt: „Damit du Bescheid weißt: Du hast nichts gesehen“, der tut Dinge, von denen er weiß, dass der Arbeitgeber sie im Betrieb nicht dulden kann und die der Arbeitgeber zum Anlass für eine Kündigung nehmen darf: Beleidigung, Androhung von sexualisierter Gewalt, körperliche Übergriffigkeit, Nötigung. Damit handelt es sich vorliegend um einen Fall, in dem die Rechtswidrigkeit dem Arbeitnehmer ohne weiteres erkennbar war und bei dem eine Hinnahme des Verhaltens durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen werden konnte. Die Prognose des Arbeitgebers, auch in Zukunft sei weiterhin mit derartigen Ausfällen zu rechnen, kann somit eine Kündigung rechtfertigen, auch wenn vorher keine einschlägige Abmahnung ausgesprochen wurde. Dies gilt insbesondere, wenn die vom Arbeitgeber angestellte negative Verhaltensprognose vor und nach Ausspruch der Kündigung dadurch bestätigt wird, dass sich der Arbeitnehmer nicht in der Lage sieht, für sein Fehlverhalten um Entschuldigung zu bitten und dies obwohl er hierzu durch den Arbeitgeber und durch das Opfer des Angriffs aufgefordert worden war. Damit gehört der vorliegende Sachverhalt auch zur erstgenannten Fallgruppe, nämlich der, in der eine Verhaltensänderung in Zukunft – trotz Abmahnung – nicht erwartet werden kann.

Ob der Kläger darüber hinaus zu dem besagten Kollegen „Ich fick deine Mutter“ gerufen, also dem Wortlaut nach mit der Vergewaltigung einer dem Kollegen nahestehenden Person gedroht hat, ist dann nicht mehr entscheidungserheblich.

Das alles gilt jedenfalls für eine ordentliche Kündigung. Die fristlose Kündigung war mangels einer Berufung der Beklagten gegen das insoweit teilweise stattgebende arbeitsgerichtliche Urteil nicht mehr Gegenstand des Berufungsverfahrens.

III. Nach allem bleibt es somit hinsichtlich des Antrages zu 2 bei der klageabweisenden erstinstanzlichen Entscheidung. Als unterliegende Partei hat der Kläger gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Berufung zu tragen. Gründe für eine Revisionszulassung sind nicht gegeben, da die Entscheidung auf den Umständen des vorliegenden Einzelfalls beruht.

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