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Versetzung zur Vermeidung von betriebsbedingter Kündigung

ArbG Aachen – Az.: 9 Ca 3023/11 – Urteil vom 29.09.2011

1. Es wird festgestellt, dass die Versetzung durch die Beklagte zum 01.09.2011 zur B. L. unwirksam ist.

2. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin in Aachen weiter zu beschäftigen.

3. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

4. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

5. Der Streitwert wird festgesetzt auf 10.045,24 EUR.

6. Die Berufung wird auch gesondert zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer Versetzung.

Die am ……..1966 geborene Klägerin ist seit dem 24.07.2006 zu einem durchschnittlichen Bruttomonatsgehalt von 2.511,31 EUR als Fachassistentin bei der Beklagten in deren Dienststelle in Aachen beschäftigt. Beklagte ist die bundesweit tätige C..

Die arbeitsvertraglichen Bestimmungen verweisen auf die tarifvertraglichen Bestimmungen der C.. Nach § 4 TV-BA ist eine Versetzung bei Vorliegen eines dienstlichen Grundes möglich.

Die Klägerin ist zunächst für die Beklagte aufgrund diverser befristeter Arbeitsverträge tätig geworden.

Mit Urteil vom 09.03.2011 hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass die allein auf Haushaltsbefristung gestützten Befristungen bei der C. unwirksam sind, da nicht zulässig ist, dass sich die C. ihren Befristungstitel als Haushaltsgesetzgeber selber schafft (BAG, Urteil vom 09.03.2011, 7 AZR 728/09).

Vor diesem Hintergrund kam es zu einer Vielzahl von Entfristungen von bisher befristeten Arbeitsverhältnissen bei der Beklagten und insofern zu einem erheblichen Personalüberhang. Unter anderem das Arbeitsverhältnis der hiesigen Parteien wurde auf die Entfristungsklage der Klägerin im Rechtsstreit zu Aktenzeichen 5 Ca 2082/11 durch gerichtlichen Vergleich vom 28.06.2011 im Nachgang zur Entscheidung des BAG vom 09.03.2011 ebenfalls entfristet.

Zur Minderung des Personalüberhangs bot die Beklagte allen bislang durch Haushaltsbefristung beschäftigten Mitarbeitern in der B. im Nachgang zur Entscheidung BAG 09.03.2011 an, entweder das Arbeitsverhältnis in der Dienststelle B. fortzusetzen, dann aber sollte das Arbeitsverhältnis mit der vorgesehenen Befristung enden. Alternativ sei eine unbefristete Tätigkeit in einer anderen Dienststelle vorgesehen, wobei der Klägerin eine unbefristete Tätigkeit in L. angeboten wurde (Protokoll des Parallelprozesses 9 Ga 43/11 vom 30.08.2011, Bl. 81 der dortigen Akte).

Die Klägerin lehnte beide Angebote ab und bestand auf einer unbefristeten Beschäftigung in B..

In der Dienststelle B. wurden für dieselbe Tätigkeit der Klägerin noch im Frühjahr 2011 und zuletzt im August 2011 insgesamt vier weitere Mitarbeiterinnen eingestellt.

Mit Versetzungsschreiben vom 04.08.2011 sprach die Beklagte durch einen Herrn M. die Versetzung der Klägerin mit Wirkung zum 01.09.2011 von der B. in die B. a. L. aus.

Die Fahrtstrecke der Klägerin von ihrem Wohnsitz in B. zur B. nach L. nimmt mit öffentlichen Verkehrsmitteln einen Zeitaufwand von etwas mehr als 90 Minuten für die einfache Fahrt in Anspruch.

Die Klägerin ist verheiratet und gegenüber Kindern unterhaltsverpflichtet.

Versetzungen im Zusammenhang mit dem hier relevanten Personalüberhang aufgrund der Entscheidung BAG 09.03.2011 wurden durch die Beklagte im Bereich der B. ausschließlich gegenüber denjenigen Mitarbeitern ausgesprochen, welche zuvor aufgrund Haushaltsbefristung befristet tätig gewesen sind. Mitarbeiter, die bereits zuvor einen unbefristeten Arbeitsvertrag und sind in die Versetzungsentscheidung unstreitig nicht mit einbezogen worden.

Die Klägerin hat am 18.08.2011 die vorliegende Klage erhoben. Sie hält die ausgesprochene Versetzung für unwirksam. Sie hält die Versetzung bereits für willkürlich, weil die Auswahlentscheidung sämtliche bisher unbefristet tätigen Mitarbeiter unberücksichtigt ließ. Nach Sozialauswahlkriterien sei jedoch die Klägerin nicht zur Kündigung anstehend gewesen und insofern auch nicht zu versetzen gewesen.

Jedenfalls hält die Klägerin die Fahrtstrecke nach L. aufgrund Überschreitung der 90-minütigen-Zumutbarkeitsgrenze nach den sozialrechtlichen Vorschriften für unzumutbar.

Letztlich verweist die Klägerin noch darauf, dass jedenfalls bis Jahresende 2011 ein Beschäftigungsbedarf in B. bestehen müsse, da ihr ursprüngliches Arbeitsverhältnis bis 31.12.2011 befristet worden sei. Es stelle eine unzulässige Maßregelung dar, wenn ihr beklagtenseitig nunmehr im Nachgang zur Entscheidung des BAG vom 09.03.2011 und nach Abschluss des entsprechenden Vergleiches im Vorprozess der Parteien vor der 5. Kammer zwar notgedrungen eine unbefristete Tätigkeit angeboten wird, ihr jedoch lediglich die Möglichkeit eröffnet wird, die unbefristete Tätigkeit in L. ausüben zu können und ihr als Alternative aufgezeigt wird, entsprechend der bisherigen Befristung bis 31.12.2011 in B. arbeiten zu können, dann jedoch aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden zu sollen.

Die Klägerin beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin gemäß Arbeitsvertrag vom 27.09.2010 in Aachen weiter zu beschäftigen,

2. festzustellen, dass die Versetzung durch die Beklagte zum 01.09.2011 zur B. unwirksam ist.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hält die ausgesprochene Kündigung für gerechtfertigt und verweist darauf, dass die tarifvertraglichen Vorschriften der B. eine bundesweite Versetzungsmöglichkeit vorsehen. Aufgrund der Entscheidung des BAG vom 09.03.2011 sei es zu einem Personalüberhang gekommen. Zur Vermeidung betriebsbedingter Kündigungen müsse dieser Personalüberhang auf die vorhandenen Dienststellen aufgeteilt werden. Die bisher unbefristet tätigen Mitarbeiter könnten in die Versetzungsentscheidung nicht mit einbezogen werden, da diese haushaltsrechtlich auf entsprechenden Planstellen beschäftigt würden und für die Klägerin haushaltsrechtlich nun einmal keine Planstelle vorgesehen sei. Insofern seien Mitarbeiter mit Planstelle und Mitarbeiter ohne Planstellen haushaltsrechtlich nicht vergleichbar. Bei den neu eingestellten Mitarbeitern handele es sich jeweils um befristet tätige Mitarbeiter auf entsprechenden Planstellen.

Die Klägerseite repliziert, das Vorhandensein von Planstellen müsse sich der geltenden Rechtslage anpassen und nicht umgekehrt die Rechtslage dem Vorhandensein von Planstellen anpassen.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Akteninhalt und insbesondere die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien und deren Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage war ganz überwiegend zulässig und begründet.

I.

Der Feststellungsantrag war zulässig und begründet.

Der Feststellungsantrag war zulässig, insbesondere war das erforderliche Feststellungsinteresse vorliegend gegeben. Denn im öffentlich-rechtlichen Arbeitsverhältnis wird auch durch einen nicht vollstreckbaren Feststellungstitel abschließend durch den hiesigen Klageantrag die Rechtswirksamkeit der streitgegenständlichen Versetzung geklärt, eines vollstreckbaren Leistungsantrages bedarf es hierfür nicht (vgl. z. B. BAG, Urteil vom 25.08.2010, 10 AZR 275/09, NZA 2010, S. 1355).

Der Antrag war auch begründet. Die streitgegenständliche Versetzung ist unwirksam. Zwar sehen die tarifvertraglichen Bestimmungen im Bereich der B. ein weitgehendes Direktionsrecht vor mit einer grundsätzlichen Versetzungsmöglichkeit auch an andere Dienstorte. Jede Versetzung als Ausübung des arbeitgeberseitigen Direktionsrechts muss jedoch billigem Ermessen entsprechen, § 106 der Gewerbeordnung. Erfolgt eine Versetzung wie im vorliegenden Fall ausschließlich aus betrieblichen Gründen zur Vermeidung von betriebsbedingten Kündigungen, so hat sie auch die Frage, welcher Mitarbeiter versetzt wird und wer nicht, zur Wahrung billigen Ermessens an den Sozialauswahlkriterien für eine – hier ja durch die Versetzungen zu vermeidende – betriebsbedingte Kündigung zu orientieren.

Denn der Arbeitgeber ist gehalten, bei Vorliegen eines Personalüberhangs und eines sich daraus gegebenenfalls ergebenden dringenden betrieblichen Erfordernisses zum Ausspruch von Kündigungen vor Ausspruch einer solchen betriebsbedingten Kündigung zunächst dem Arbeitnehmer anderweitige freie Arbeitsplätze anzubieten. Wenn es entsprechende freie Arbeitsplätze in der Dienststelle L. gibt, so ist der Arbeitgeber gehalten, diese zunächst den ansonsten von einer Kündigung bedrohten Mitarbeitern anzubieten. Dies ergibt sich aus dem kündigungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, § 1 KSchG.

Sieht das Direktionsrecht schon eine entsprechende Versetzungsmöglichkeit vor, ist anstelle einer ansonsten erforderlichen Änderungskündigung eine entsprechende Versetzung auszusprechen.

Vorliegend war jedoch die Klägerin unstreitig nach Sozialauswahlkriterien nicht von einer betriebsbedingten Kündigung bedroht, da es andere, sozial weniger schützenswerte Mitarbeiter im Bereich der C. für B. gibt, insbesondere die vier im konkreten Tätigkeitsbereich der Klägerin zuletzt noch neu eingestellten Mitarbeiterinnen – z. T. sogar noch im August 2011, d. h. im Monat der Versetzung der Klägerin.

Diese sind mit der Klägerin vergleichbar. Denn die Frage der Vergleichbarkeit richtet sich kündigungsrechtlich nach dem arbeitsvertraglichen Direktionsrecht und nicht nach haushaltsrechtlichen Erwägungen wie dem Vorhandensein von Planstellen. Die Beklagte übersieht in ihrer Argumentation, dass es sich bei der Klägerin ebenfalls um eine unbefristet beschäftigte Mitarbeiterin auf einem Dauerarbeitsplatz handelt aufgrund der Entscheidung des BAG vom 09.03.2011. Insofern besteht kein sachlicher Gesichtspunkt, die Klägerin anders zu behandeln als andere unbefristet auf einem Dauerarbeitsplatz tätige Mitarbeiter der B..

Dass die Klägerin unbefristet auf einem Dauerarbeitsplatz tätig ist, ergibt sich aus der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 09.03.2011 zur Unwirksamkeit entsprechender Befristungen und dem hieraus resultierend zwischen den Parteien vor der 5. Kammer geschlossenen Vergleich.

Mithin ist es für die Beklagte nicht zulässig, sich darauf zu berufen, dass haushaltsrechtlich keine entsprechende Planstelle für die Klägerin in der B. zur Verfügung stehe. Denn zutreffend verweist die Klägerseite darauf, dass sich insofern das Vorhandensein von Planstellen nach der geltenden Rechtslage auszurichten hat und nicht umgekehrt die Rechtslage nach dem Vorhandensein von Planstellen.

Es besteht insbesondere auch kein sachliches Differenzierungskriterium für die Beklagte, nach Mitarbeitern zu differenzieren, die aufgrund ihres eigenen Willens unbefristet tätig sind, als „Mitarbeiter erster Klasse“, und solchen, die nicht aufgrund des Willens der B. unbefristet tätig sind, sondern nur aufgrund des Unterliegens der B. in der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 09.03.2011 als „Mitarbeiter zweiter Klasse“. Eine derartige Vorgehensweise stellt einen eklatanten Verstoß gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB dar und wird von der Klägerin zu Recht als „willkürlich“ bezeichnet.

Insofern hätte die Beklagte ihre Auswahlentscheidung, welche Mitarbeiter gegebenenfalls aus der B. zur Vermeidung des Personalüberhangs in die B. L. versetzt werden, unter Einbeziehung sämtlicher aufgrund des Direktionsrechtes vergleichbarer Mitarbeiter der B. treffen müssen. Die Beschränkung der Auswahlentscheidung auf die nach ursprünglicher Planung der Beklagten aufgrund – unzulässiger – Haushaltsbefristung befristet tätigen Mitarbeiter ist evident unzulässig.

Bezeichnend lässt sich die Beklagte auch nicht weiter dahingehend ein, was denn Gegenstand der konkreten Auswahlkriterien für sie gewesen sein soll.

In der Klageerwiderung wird lediglich pauschal vorgetragen, man habe vor der Versetzungsentscheidung Interessen der Parteien miteinander abgewogen, wobei dies nicht auch nur ansatzweise näher erläutert wird.

II.

Auch der Antrag auf tatsächliche Beschäftigung in B. war überwiegend begründet. Als Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts hat der Arbeitnehmer auch einen Anspruch auf entsprechende tatsächliche Beschäftigung (BAG, Großer Senat, Beschluss vom 27.02.1985, GS 1/84).

Der Antrag war jedoch insofern teilweise abzuweisen, als in der ursprünglichen Antragsfassung eine Beschäftigung „gemäß Arbeitsvertrag vom 27.09.2010“ in B. verlangt wurde. Insofern war der Klageantrag in seiner Formulierung einzuschränken, da sich aus dem Arbeitsvertrag vom 27.09.2010 gerade kein Anspruch der Klägerin auf eine Beschäftigung ausschließlich in B. ergibt, sondern grundsätzlich aufgrund der Bezugnahme auf die tarifvertraglichen Versetzungsmöglichkeiten durchaus bei Vorliegen der erforderlichen Voraussetzungen, insbesondere der Wahrung billigen Ermessens, auch ein Einsatz der Klägerin außerhalb von B. möglich wäre. Der Arbeitsvertrag enthält keine zwingende Beschränkung der Tätigkeit der Klägerin ausschließlich auf das Stadtgebiet der Stadt B..

Weiter ist der dortige Arbeitsvertrag vom 27.09.2010 auch insofern bereits gegenstandslos, als er noch eine Befristung zum 31.12.2011 vorsieht, welche ebenfalls zwischenzeitlich durch den Vergleich der Parteien zu Aktenzeichen 5 Ca 2082/11 obsolet geworden ist.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 42 Abs. 2 ArbGG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO. Hiernach hatte die Beklagte als vollumfänglich unterlegene Partei die gesamten Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Der gemäß § 61 ArbGG im Urteil festzusetzende Streitwert wurde auf insgesamt drei Bruttomonatsgehälter festgesetzt, hiervon entfielen zwei Bruttomonatsgehälter auf den Feststellungsantrag bezüglich der Versetzung sowie ein weiteres Bruttomonatsgehalt auf den Antrag auf tatsächliche Beschäftigung.

Die Berufung war vorliegend aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung gemäß § 64 Abs. 3, Abs. 3a ArbGG auch gesondert zuzulassen.

 

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