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Verstoß gegen Beschäftigungspflicht – Schadensersatz

ArbG Bonn – Az.: 3 Ca 1085/17 – Urteil vom 21.12.2017

1. Die Beklagte zahlt an den Kläger 1.906,52 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.5.2017.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

3. Streitwert: 1.906,52 EUR.

4. Eine gesonderte Zulassung der Berufung gem. § 64 Abs. 3 ArbGG erfolgt nicht.

Tatbestand

Der Kläger ist seit 1982 bei der Beklagten beschäftigt. Grundlage der arbeitsrechtlichen Beziehungen der Parteien ist der schriftliche Arbeitsvertrag vom 24.3.2005 Dort ist in Zif. 3.1 festgelegt, dass der Kläger „als Senior Servicemanager in Bonn“ beschäftigt wird. Zuletzt war der Kläger als Projektmanager eingesetzt. Zif. 3.2. regelt folgendes:

„Die Gesellschaft ist berechtigt, Ihnen auch eine andere, Ihren Kenntnissen und Fähigkeiten entsprechende Tätigkeit, ggf. auch unter Veränderung des Arbeitsortes zu übertragen … „.

Im Jahre 2014 kam es bei der Beklagten zu einer Umstrukturierung, von der der Arbeitsplatz des Klägers ab betroffen war. Die Beklagte teilte dem Kläger unter Bezug auf diese Maßnahme mit Schreiben vom 17.7.2015 mit, dass er vom 01.12.2015 an durch ein professionelles Veränderungsmanagement betreut und unterstützt werde. Dieser Bereich wird bei der Beklagten „Jobservice und Placement“ (JSP) genannt.

Mit der bei Gericht am 29.5.2017 eingegangenen Klage begehrt der Kläger die Zahlung eines Restbetrags der Zielerreichungsprämie 2016.

Der Kläger ist seit dem 01.12.2015 von der Beklagten nicht beschäftigt worden.

Grundlage der personellen Maßnahme gegenüber dem Kläger ist die Rahmenvereinbarung … .. Darin ist unter § 9 zu „Jobservice und Placement“ in Abs. 2 folgendes geregelt:

„Der Beschäftigte, dessen Arbeitsplatz nach Durchlaufen des in § 7 und § 9 beschriebenen Verfahrens durch eine betriebsändernde Maßnahme weggefallen ist, wird FTE-Posten wirksam weiterhin bei der bisherigen Organisationseinheit mit dem Zusatz „JSP“ geführt. Bis zur Weitervermittlung auf einen anderen Arbeitsplatz erfolgt die Betreuung des Beschäftigten künftig durch „Jobservice und Placement“.

Die Rahmenvereinbarung unterscheidet dabei sogenannten vollbetroffenen Arbeitnehmern, die ausschließlich Aufgaben wahrgenommen haben, die entfallen sind, und teilbetroffenen Arbeitnehmern, die nur teilweise entfallene Aufgaben wahrgenommen haben. Der Kläger zählt dabei zu den teilbetroffenen Arbeitnehmern, nachdem durch den Neuzuschnitt der Arbeitsplätze ein Arbeitsplatz von 2,59 Arbeitsplätzen entfallen war.

Die Pflichten des Beschäftigten in JSP definiert § 9 Abs. 3:

„Die Beschäftigten beteiligen sich aktiv an der Arbeitsplatz-Vermittlung. Im Fall von Arbeitsplatzangeboten beim bisherigen Arbeitgeber, die gleichwertig sind, ist der Beschäftigte verpflichtet, sich auf diese Beschäftigungsangebote zu bewerben unter Berücksichtigung der für den Beschäftigten geltend individuellen kollektivrechtlichen Regelung ein entsprechendes Arbeitsplatzangebot beim bisherigen Arbeitgeber anzunehmen.“

Weiter bestimmt § 9 Abs. 4, dass die Betreuungszeit durch JSP und die Weitervermittlung auf einen anderen Arbeitsplatz im Durchschnitt sechs Monate nicht übersteigen sollte. Bei der Betreuung „können auch einsatzfreie Zeiten auftreten.“

Der Kläger hatte in den Jahren 2013, bis 11/2015 einen durchschnittlichen Zielerreichungsgrad von 122,28 % erreicht. Aufgrund seiner Zuordnung zu JSP hat die Beklagte für 2016 demgegenüber einen Zielerreichungsgrad von 105 % angerechnet, was zu einer Reduzierung der Prämie in Höhe des Klagebetrags geführt hat. Ein Zielerreichungsgrad von 105 % während einer Zuordnung zu JSP entspricht einer „Protokollnotiz zur Protokollnotiz Nr. 1 zu § 9 der Rahmenvereinbarung Transformation U.“ („PN JSP-Durchführungsregelungen“).

Der Kläger ist der Auffassung, dass die Beklagte nicht berechtigt sei, ihn dem Bereich JSP zu zuordnen, da dies keine Zuweisung einer anderweitigen Tätigkeit darstelle. Daher sei der Inhalt der vertraglich geschuldeten Leistung des Klägers arbeitsvertraglich abweichend geregelt, so dass die Beklagte zur Weiterbeschäftigung zu unveränderten Arbeitsbedingungen verpflichtet gewesen sei.

Wegen der Rechtswidrigkeit der Maßnahme sei die Beklagte verpflichtet, den Kläger hinsichtlich der Prämie so zu stellen, als wäre er unverändert beschäftigt worden.

Der Kläger beantragt: Die Beklagte wird verurteilt an den Kläger einen Betrag i.H.v. 1.906,52 EUR brutto nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.5.2017 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie beruft sich auf die Gesamtbetriebsvereinbarung, die ausdrücklich die Umsetzung der Arbeitnehmer in JSP vorsehe. Sie bestreitet außerdem, dass der Kläger den geltend gemachten Zielerreichungsgrad erreicht hätte.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze, deren Anlagen und die Sitzungsprotokolle verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und begründet.

Der Kläger kann die Differenz der Prämienzahlung beanspruchen aufgrund eines Schadensersatzanspruches gegen die Beklagte wegen Vertragsverletzung gemäß § 280 Abs. 1 BGB.

Die Beklagte hat gegen ihre vertragliche Beschäftigungspflicht verstoßen, indem sie dem Kläger unter Zuordnung zu JSP seine bisherigen Aufgaben entzogen hat (vgl. auch ArbG Bonn, 21.12.2017, 3 Ca 2574/16, n.rkr).

1. Die Beklagte ist im Rahmen ihres Direktionsrechtes nach § 106 S. 1 GewO i.V.m. § 315 Abs. 3 BGB nicht berechtigt, dem Kläger die vertraglich vereinbarte Tätigkeit als Projektmanager zu entziehen.

Eine dauerhafte Nichtbeschäftigung des Klägers als Projektmanager entspricht nicht der Vereinbarung der Parteien in Zif. 3.2. des Arbeitsvertrages.

2. Zu diesem Entzug der Tätigkeit des Klägers ist die Beklagte auch nicht gemäß Zif. 3.2. des Arbeitsvertrages berechtigt, da dieser lediglich die Zuweisung einer anderen Tätigkeit beinhaltet, nicht aber den der vertraglich vereinbarten Tätigkeit oder der dauerhafte Entzug jeglicher Beschäftigungsmöglichkeit.

3. Die Beklagte ist für den Entzug der Beschäftigung des Klägers auch nicht durch die GBV Transformation U. 2015 + berechtigt.

Auch wenn diese Betriebsvereinbarung nach § 77 Abs. 4 BetrVG normativ und zwingend für die Arbeitsverhältnisse der unter den persönlichen Geltungsbereich der Betriebsvereinbarung fallenden Arbeitnehmer gilt, geht die arbeitsvertragliche Regelung der Betriebsvereinbarung als günstigere Abrede vor.

Der Günstigkeitsvergleich ergibt insbesondere für einen längeren Entzug der Beschäftigung, dass eine fortdauernde Beschäftigung gemäß der arbeitsvertraglichen Vereinbarungen günstiger für den Kläger ist, als die einer Freistellung gleichkommende Zuordnung zu JSP unter gleichzeitigem Entzug der Beschäftigungsmöglichkeit.

Es ist anerkannt, dass der Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers, der dem Arbeitgeber aus Art. 1 und Art. 2 des Grundgesetzes obliegenden Verpflichtung entspricht, alles zu unterlassen, was die Würde des Arbeitnehmers und die freie Entfaltung der Persönlichkeit beeinträchtigen kann. Eine solche Beeinträchtigung beider Grundrechtspositionen bedeutete es aber, wenn einem Arbeitnehmer zugemutet werde, nicht nur vorübergehend, sondern unter Umständen jahrelang sein Gehalt in Empfang zu nehmen, ohne sich in seinem bisherigen Beruf betätigen zu können (vgl. BAG, Großer Senat, 27.02.1985, GS 1/84).

Aufgrund dieser grundsätzlichen Interessen des Arbeitnehmers stellt sich jedenfalls jede längere Freistellung und Zuordnung zu JSP ohne tatsächliche Beschäftigung als ungünstiger gegenüber dem vertraglich vereinbarten Beschäftigungsanspruch des Klägers als Test-Managerin dar.

Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Entzug der vertraglich vereinbarten Beschäftigung unter Zuordnung zu JSP nicht nur vorübergehend erfolgt. Für die Frage, was noch als vorübergehend angesehen werden könnte, kann auf den Willen der die Rahmenvereinbarung Transformation U. 2015+ schließenden Betriebsparteien in § 9 Abs. 4 S. 1 zurückgegriffen werden, nach dem die Betreuung durch JSP und die Weitervermittlung im Durchschnitt sechs Monate nicht übersteigen soll. Zwar ist dies im Einzelfall durch die Verwendung der Worte „soll“ und „im Durchschnitt“ nicht zwingend und verbindlich. Gleichwohl dokumentiert es, dass die Betriebsparteien davon ausgegangen sind, dass regelmäßig ein beschäftigungsloser Zustand sechs Monate nicht überschreiten soll.

Demgegenüber ist der Kläger bereits seit dem 01.12.2015 und somit seit mehr als zwei Jahre lang ohne Beschäftigung in JSP. Er ist damit in erheblichem Umfang von beruflichen Kenntnissen und Weiterentwicklungen sowie von beruflicher Wertschätzung und persönlicher Weiterentwicklung abgeschnitten.

Dies ist gegenüber der vertraglichen Bestimmung dem Arbeitsvertrag der Parteien nicht zulässig.

4. Mit der unzulässigen Umsetzung des Klägers nach JSP hatte die Beklagte gegen ihre arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen. Sie ist daher verpflichtet, den Kläger so zu stellen, wie er bei vertragsgemäßer Beschäftigung und damit vertragsgemäßer Erfüllung des Arbeitsverhältnisses auch im Dezember 2015 gestanden hätte.

Nach diesen Grundsätzen ermittelt sich der Prämienanspruch des Klägers aufgrund des Durchschnitts des zuvor erreichten Zielerreichungsgrades. Unter Zugrundelegung dieses Zielerreichungsgrades steht dem Kläger die geltend gemachte Differenz bei der Zielerreichungsprämie zu.

Daher war der Klage stattzugeben.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.

Der Streitwert wurde festgesetzt gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG i.V.m. §§ 3 ff. ZPO.

Aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls kommt eine gesonderte Zulassung der Berufung gemäß § 64 Abs. 3 ArbGG nicht in Betracht.

 

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