Skip to content

Vertraglicher Freiwilligkeitsvorbehalt für Jahressonderzahlung – AGB-Kontrolle

LAG Baden-Württemberg – Az.: 9 Sa 66/21 – Urteil vom 10.1.2022

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Villingen-Schwenningen vom 23.09.2021 – 1 Ca 234/21 – abgeändert:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 3.062,50 EUR brutto nebst Zinsen i. H. v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 1.522,50 EUR brutto seit dem 01.07.2020 und aus 1.540,00 EUR brutto seit dem 01.12.2020 zu bezahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, nach Zahlung der mit Klageantrag Ziff. 1 geltend gemachten Forderung dem Kläger eine Lohnabrechnung zu erteilen.

3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtstreits.

II. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über Urlaubs- und Weihnachtsgeld.

Der Kläger ist seit dem 18. Juli 2014 als Prozessbegleiter bei der Beklagten aufgrund schriftlichen Arbeitsvertrages vom 12. Januar 2015, beschäftigt.

Dort ist geregelt:

3. Vergütung

a) Der Arbeitnehmer erhält einen Stundenlohn von 10,00 EUR netto

e) Die Zahlung von Sonderzuwendungen insbesondere von Weihnachts- und/ oder Urlaubsgeld liegt im freien Ermessen des Arbeitgebers und begründet keinen Rechtsanspruch für die Zukunft, auch wenn die Zahlung mehrfach und ohne ausdrücklichen Vorbehalt der Freiwilligkeit erfolgt.

Scheidet der Arbeitnehmer innerhalb von 3 Monaten nach Zahlung der Sonderzuwendung aufgrund eigener Kündigung oder einer Kündigung des Arbeitgebers aus dem Betrieb aus, ist der Arbeitnehmer zu Rückzahlung der erhaltenen Sonderzahlung in voller Höhe verpflichtet. Dies gilt nicht im Falle einer betriebsbedingten Kündigung des Arbeitgebers.

10. Nebenabreden und Vertragsänderung:

Mündliche Nebenabreden bestehen nicht. Änderung und Ergänzungen dieses Vertrages bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform.

Die Zahlung eines Weihnachts-oder Urlaubsgeldes Regel der Arbeitsvertrag im Übrigen nicht.

Die Beklagte hat vom Kalenderjahr 2015 an bis 2019 jeweils mit dem Lohnlauf Juni ein Urlaubsgeld zuletzt in Höhe von 1.522,50 EUR brutto und mit Lohnlauf November ein Weihnachtsgeld in Höhe von zuletzt 1.540,00 EUR brutto ohne Vorbehalt an den Kläger bezahlt.

Mit seiner am 04. Juni 2021 beim Arbeitsgericht Villingen-Schwenningen erhobenen Klage verlangt der Kläger Urlaubsgeld und Weihnachtsgeld für das Kalenderjahr 2020 nebst entsprechender Abrechnung und macht geltend, die Beklagte habe seit 2015 über die gesamte Beschäftigungsdauer hinweg ohne jede Erklärung und ohne Vorbehalt immer mit dem Lohnlauf Juni des laufenden Kalenderjahres ein Urlaubsgeld mit dem Lohnlauf November ohne weitere Erklärungen und ohne Vorbehalt ein Weihnachtsgeld bezahlt. Die Freiwilligkeitsklausel in 3 e) des Arbeitsvertrages sei unwirksam, was der Kläger näher ausführt. Sie sei zu unbestimmt, weil sie nicht erkennen lasse, was unter einer Sonderzuwendung zu verstehen sei. Zudem sei sie überraschend, da sie sich unter der Überschrift „Vergütung“ verberge.

Der Kläger hat vor dem Arbeitsgericht beantragt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 3.062,50 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz aus 1.522,50 EUR brutto seit dem 01.07.2020 und aus 1.540,00 EUR brutto seit dem 01.12.2020 zu bezahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, nach Zahlung der mit Klageantrag Ziffer 1 geltend gemachten Forderung dem Kläger eine Lohnabrechnung zu erteilen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor, der Kläger habe keinen Anspruch auf die Zahlungen. Richtig sei zwar, dass dem Kläger seit 2015 jährlich Urlaubsgeld und auch Weihnachtsgeld in der angegebenen Höhe bezahlt wurde, dabei handele es sich aber um eine freiwillige Sonderzuwendung, welche die Beklagte nach freiem Ermessen zahlen könne oder auch nicht.

Das Entstehen einer betrieblichen Übung sowie eines individuellen Anspruchs werde bereits durch die Klausel in § 3e des Arbeitsvertrages verhindert. Die Klausel sei auch hinreichend klar und unmissverständlich frei von Widersprüchen.

Wegen des weiteren erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien wird auf den Tatbestand des arbeitsgerichtlichen Urteils Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Kläger habe bereits nicht dargelegt, dass durch gleichförmiges Verhalten der Beklagten eine betriebliche Übung entstanden sei. Er habe aber auch keinen individualrechtlichen Anspruch durch eine konkludente Vereinbarung durch die mehrmalige Zahlung von Urlaubs-und Weihnachtsgeld erhalten, denn die Beklagte habe dieses unter einem wirksamen Freiwilligkeitsvorbehalt gestellt. Die Freiwilligkeitsklausel in Nr. 3e des Arbeitsvertrages sei wirksam und insbesondere nicht intransparent. Der verwendete Begriff der Sonderzuwendung sei hinreichend klar und das Weihnachts-und Urlaubsgeld würden nachvollziehbar nur als Beispiele dargestellt. Auch sei die Klausel nicht überraschend, denn Sonderzuwendungen stünden im Zusammenhang mit der Vergütung.

Das arbeitsgerichtliche Urteil wurde dem Klägervertreter am 19.10.2021 zugestellt. Die Berufung hiergegen ging fristgerecht am 19.11.2021 beim Landesarbeitsgericht per beA mit qualifizierter elektronischer Signatur ein und wurde zugleich begründet.

Zur Begründung seiner Berufung trägt der Kläger vor, er stütze den Anspruch zum einen auf das Entstehen einer betrieblichen Übung und darüber hinaus aber auch auf eine individuelle vertragliche Vereinbarung mit der Beklagten. Alle anderen Mitarbeiter der Rechtsvorgängerin der Beklagten, der Z. AG bzw. der Beklagten selbst hätten in diesem Zeitraum ebenfalls Urlaubs-und Weihnachtsgeldzahlungen erhalten. Anders als vom Arbeitsgericht angenommen handele es sich dabei nicht um eine Belohnung der Betriebstreue, sondern Honorierung geleistete Arbeit. Entgelt für geleistete Arbeit dürfe dem Arbeitnehmer jedoch nicht nachträglich durch Freiwilligkeitsklauseln entzogen werden. Selbst wenn die Freiwilligkeitsklausel des Arbeitsvertrages wirksam sein sollte, wäre sie durch die durchgängig vorbehaltslose Urlaubs-und Weihnachtsgeldzahlung bis in das Jahr 2019 hinein hinfällig geworden. Durch die erfolgten Zahlungen sei der Freiwilligkeitsvorbehalt selbst konkludent aufgehoben worden. Da der Freiwilligkeit nach Nr. 3e des Arbeitsvertrages unter der Überschrift „Vergütung“ geregelt sei entstehe für den Arbeitnehmer der Eindruck, dass ein Anspruch auf Zahlung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld begründet werden soll. Regelung sei daher intransparent. Auch die Formulierung „die Zahlung“ erwecke den Eindruck, dass ein Rechtsanspruch begründet werden solle. Ferner sei durch die Formulierung, die sich auf „Sonderzuwendungen, insbesondere von Weihnachts- und/oder Urlaubsgeld“ beziehen nicht klar zu erkennen, auf was sich der Freiwilligkeitsvorbehalt konkret beziehe. Auch die Anknüpfung des Anspruchs an das „freie Ermessen“ des Arbeitgebers stehe im Widerspruch zur gesetzlichen Regelung des § 315 BGB. Dieser kenne nur ein billiges Ermessen. Hier werde von der gesetzlichen Regelung in zu weitem Maße abgewichen, sodass die Klausel auch unter diesem Gesichtspunkt unwirksam sei. Hinsichtlich der Höhe orientiere sich der Kläger an der Auszahlung von Urlaubs-und Weihnachtsgeld im Kalenderjahr 2019. Selbst wenn dieses von der Beklagten nach billigem Ermessen festzulegen sei, habe diese ihr Ermessen nicht ausgeübt, sodass das Gericht die Zahlung festzulegen habe.

Der Kläger beantragt daher:

1. Das Urteil des Arbeitsgerichts Villingen-Schwenningen vom 23.09.2021 (Az: 1 Ca 234/21) wird abgeändert.

2. Die Beklagte/Berufungsbeklagte wird verurteilt, an den Kläger/Berufungskläger 3.062,50 EUR brutto nebst Zinsen i. H. v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 1.522,50 EUR brutto seit dem 01.07.2020 und aus 1.540,00 EUR brutto seit dem 01.12.2020 zu bezahlen.

3. Die Beklagte/Berufungsbeklagte wird verurteilt, nach Zahlung der mit Klageantrag Ziff. 1 geltend gemachten Forderung dem Kläger/Berufungskläger eine Lohnabrechnung zu erteilen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil als richtig. Der Kläger könne seinen Anspruch nicht auf eine betriebliche Übung stützen, denn er habe bereits nicht dargelegt, dass eine solche überhaupt entstanden sei. Auch der weitere in der Berufungsinstanz erstmalig gehaltene Vortrag, dass neben ihm auch andere Mitarbeiter der Z. AG bzw. nachfolgend der Beklagten ebenfalls entsprechende Urlaubs- und Weihnachtsgeldzahlungen erhalten hätten, könne eine betriebliche Übung nicht begründen, denn allein die Nennung zwei oder drei weiteren Mitarbeitern sei nicht ausreichend, um ein kollektives Element darzulegen. Der gesamten Belegschaft sei aber weder Urlaubs-noch Weihnachtsgeld bezahlt worden, das werde bestritten. Darüber hinaus habe das Arbeitsgericht zutreffend erkannt, dass der Anspruch des Klägers nicht auf eine konkludente Abrede über die Zahlung von Urlaubs-und Weihnachtsgeld gestützt werden könne, denn die Sonderzahlungen seien unter einem wirksamen Freiwilligkeitsvorbehalt gestellt. Anders als von dem Kläger angenommen, sei die Klausel nicht intransparent, insbesondere erwecke sie nicht den Eindruck, dem Kläger würde ein Weihnachts-oder Urlaubsgeld versprochen. Auf die Rechtsausführungen auf den Seiten 4-9 der Berufungsbegründung wird Bezug genommen.

Wegen der weiteren Ausführungen der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die zulässige Berufung ist begründet und führt zur Abänderung des arbeitsgerichtlichen Urteils und zur Entscheidung nach den Klageanträgen.

I. Die nach § 64 Abs. 2 ArbGG an sich statthafte Berufung ist innerhalb der Fristen des § 66 Abs. 1 ArbGG fristgerecht eingelegt und zugleich begründet worden. Berufung und Berufungsbegründung sind formgerecht nach §§ 519, 520 Abs. 1 und 2, 136a Abs. 3 ZPO erfolgt.

Die Berufung genügt den Anforderungen des § 520 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zulässig.

II.

Die Berufung ist auch begründet und führt daher zur Abänderung des arbeitsgerichtlichen Urteils.

1. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Zahlung des Urlaubs-und Weihnachtsgeldes für das Jahr 2020 in der geltend gemachten Höhe zu. Der Anspruch ergibt sich aus § 611a Abs. 2 BGB und beruht auf einer konkludenten Zusage der Beklagten durch ein gleichförmiges Verhalten, aus dem der Kläger den Schluss ziehen durfte, dass die Beklagte sich ihm gegenüber binden wollte, ihm auch zukünftig jährlich ein Urlaubs-und Weihnachtsgeld zu zahlen.

a) Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Voraussetzungen für das Entstehen einer betrieblichen Übung vorliegen. Der Kläger hat vorgetragen, dass es eine solche gebe und beispielhaft einige Arbeitnehmer benannt, die auch über einen längeren Zeitraum hinweg Urlaubs-und Weihnachtsgeld erhalten haben sollen. Die Beklagte hat das lediglich pauschal bestritten. Ob das genügt, kann offenbleiben. Gegen die Zulässigkeit eines pauschalen Bestreitens spricht, dass der Kläger keine Kenntnis darüber haben kann, ob die Beklagte in einem solchen Umfang ihren Arbeitnehmern Urlaubs-und Weihnachtsgeld gezahlt hat, dass ein kollektiver Bezug einer solchen Leistung angenommen werden kann. Es ist vielmehr daran zu denken, dass im Wege einer abgestuften Darlegungslast die Beklagten substantiiert vortragen muss, ob und welchen Arbeitnehmern sie einen Urlaubs-und Weihnachtsgeld, gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen gezahlt hat.

b) Die Frage kann jedoch offenbleiben, weil jedenfalls eine konkludente Vertragsänderung zwischen den Parteien nach § 133, § 157 BGB zustande gekommen ist. Diese hat den Inhalt, dass sich die Beklagte verpflichtet, dem Kläger jährlich ein Urlaubs- und Weihnachtsgeld zu zahlen. Zugunsten der Beklagten kann davon ausgegangen werden, dass sie die Festsetzung nach billigem Ermessen vornehmen darf.

c) Auch mit eine solchen Begründung fällt die entsprechende konkludente Vereinbarung zur Entscheidung des Gerichts an. Der Anspruch aufgrund einer konkludenten Vertragsänderung stellt keinen eigenen Streitgegenstand dar. Ob zwischen einer derartigen „individuellen Übung“ und einer betrieblichen Übung mit Ausnahme des kollektiven Elementes und anderen Regelungen für eine kollektive Änderung überhaupt substantielle Unterschiede bestehen, kann offenbleiben. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts handelt es sich bei dem Anspruch auf die Zahlung eines dem billigen Ermessen entsprechenden Bonus, nicht um einen gegenüber dem auf betriebliche Übung gestützten Zahlungsanspruches gesonderten Streitgegenstand. Der Streitgegenstand im Zivilprozess betrifft weder umfassend eine bestimmte Rechtsfolge, noch lediglich einen bestimmten materiell-rechtlichen Anspruch. Nach § 322 Abs. 1 ZPO ergibt sich der als Rechtsschutzbegehren aufgefasste prozessuale Anspruch durch den Klageantrag und den dazugehörigen Lebenssachverhalt, aus dem der Kläger die begehrte Rechtsfolge herleitet (BAG, Urteil vom 21. April 2010 – 10 AZR 163/09 –, Rn. 23, juris). So nimmt das Bundesarbeitsgericht auch in der Entscheidung vom 14.09.2011 (10 AZR 52 /10) keine Differenzierung hinsichtlich des Streitgegenstandes vor.

d) Ein Anspruch auf einen Jahresbonus aufgrund einer individuellen arbeitsvertraglichen konkludenten Abrede, kann sich aus den jährlichen Zahlungen eines Bonus in Verbindung mit dem tatsächlichen Verhalten des Arbeitgebers ergeben. Eine konkludente Zusage künftiger Bonuszahlungen ist nicht bereits deshalb zu verneinen, weil die Zahlung nicht in einer bestimmten Höhe zugesagt worden ist (BAG, Urteil vom 21. April 2010 – 10 AZR 163/09 –, juris). Entsprechendes gilt für die Begründung eines Anspruches auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Es macht keinen Unterschied, ob das tatsächliche Verhalten des Arbeitgebers den Rückschluss zulässt, dass der Arbeitgeber sich verpflichten will – gegebenenfalls nach billigem Ermessen – einen Bonus zu zahlen oder ob er sich verpflichtet, ein jährliches Weihnachtsgeld bzw. Urlaubsgeld zu gewähren. Auch hier gilt, dass ein Anspruch durch konkludente Vertragsänderung zustande gekommen ist. Diese stützt sich darauf, dass der Arbeitnehmer das Verhalten des Arbeitgebers, über Jahre hinweg vorbehaltslos eine bestimmte Leistung zu erbringen, als ein Angebot auf eine entsprechende Vertragsänderung verstehen darf, die der Arbeitnehmer nach § 151 BGB annimmt (BAG, Urteil vom 14. September 2011,10 AZR 526 / 10, Rn. 12, 15,16).

Ein solcher Anspruch ist durch das Verhalten der Beklagten in den letzten Jahren konkludent zwischen den Parteien zustande gekommen. Die Beklagte hat dem Kläger jedenfalls seit dem Jahr 2015 jedes Jahr – und damit dreimal hintereinander – vorbehaltlos ein Weihnachts-und Urlaubsgeld gezahlt. Der Kläger hat allerdings nichts zur jeweiligen Höhe, in der die Zahlungen erfolgten vorgetragen. Daher ist davon auszugehen, dass angesichts schwankender Zahlungen der Kläger aus dem Verhalten der Beklagten nicht den Schluss ziehen konnte, dass diese ihm immer in gleichbleibender Höhe Zahlungen erbringen wird, sondern sich deren Festsetzung nach billigem Ermessen vorbehalten will.

2. Die (einfache) Schriftformklausel in Nr. 10 S. 2 des Arbeitsvertrages steht dem nicht entgegen, da sie abweichende Individualabreden aufgrund des Vorrangs der Individualabrede nach § 305b BGB nicht verhindern kann und insoweit unwirksam ist (BAG, Urteil vom 14. September 2011,10 AZR 526 / 10, Rn. 17). Die Schriftformklausel kann durch die Parteien durch abweichende individuelle Vereinbarungen ggf. auch konkludent aufgehoben werden.

3. Anders als vom Arbeitsgericht angenommen handelt es sich bei der erfolgten vorbehaltlosen Zahlung von Weihnachts-und Urlaubsgeld auch nicht um eine freiwillige Leistung, bezüglich derer ein Rechtsanspruch durch eine konkludente Vertragsänderung nicht entstehen kann. Zwar stellte die Zahlung von Weihnachts-und Urlaubsgeld zunächst eine freiwillige Leistung der Beklagten dar, denn für sie gab es keine rechtliche Grundlage im Arbeitsvertrag. Durch die wiederholte vorbehaltslose Zahlung ist jedoch, wie oben dargestellt, ein Anspruch durch konkludente Vertragsänderung entstanden. Der Kläger durfte das Verhalten der Beklagten als Angebot auf Abschluss eines geänderten Arbeitsvertrages verstehen. Dem steht auch nicht Nr. 3e des Arbeitsvertrages entgegen. Diese sogenannte Freiwilligkeitsklausel ist unwirksam nach § 307 Abs. 1 S. 2 BGB, da sie intransparent ist, denn sie stellt die Rechtslage falsch dar und hält den Kläger daher möglicherweise von der Geltendmachung seiner Rechte ab.

a) Bei der Klausel handelt es sich unstreitig um allgemeine Geschäftsbedingungen, die der Kontrolle nach § 305 ff. BGB unterliegen. Dass sie zur mehrfachen Verwendung bestimmt sind, ist zwischen den Parteien unstreitig und ergibt sich auch daraus, dass diese Klausel von der Beklagten in Arbeitsverträgen in mehreren parallel Rechtsstreitigkeiten gleichlautend verwendet worden ist.

aa) Allerdings ergibt sich ihre Unwirksamkeit nicht bereits -entgegen der Annahme des Klägers – daraus, dass die Klausel nicht hinreichend und für den Kläger erkennbar deutlich macht, dass gerade die Zahlung von Weihnachts- und Urlaubsgeld eine freiwillige Leistung sein soll, die auch bei wiederholter Zahlung kein Rechtsanspruch für die Zukunft begründet.

Insbesondere erweckt die Klausel nicht ansatzweise den Eindruck, der Kläger könne möglicherweise einen Anspruch auf derartige Sonderzahlungen haben. In denen der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts beanstandeten Freiwilligkeitsklauseln war regelmäßig zunächst die Rede davon, dass der Arbeitnehmer eine Sonderzahlung „erhält“, die dann erst in einem weiteren Satz unter einen Freiwilligkeitsvorbehalt gestellt wurde oder gar als „freiwillige, jederzeit widerrufliche Leistung“ bezeichnet wurde und sich bereits hieraus die Intransparenz der Klausel ergab. Auch die Einwände des Klägers, ihm werde durch die Freiwilligkeitsklausel bereits verdientes Entgelt rückwirkend wieder entzogen, geht fehl. Wenn die Leistung des Arbeitgebers eine freiwillige Leistung ist, hat der Arbeitnehmer bereits keinen Anspruch auf sie, sodass sie ihm auch nicht rückwirkend wieder entzogen werden kann. Ob der Arbeitgeber berechtigt ist, im Falle eines Ausscheidens vor dem 31.3. des Folgejahres die Zahlung entsprechend Nr. 3e UAbs. 2 des Arbeitsvertrages zurückzuverlangen, braucht hier nicht entschieden zu werden. Die Vereinbarung einer Rückzahlungspflicht stellt jedenfalls nicht infrage, dass die Leistung zunächst eine freiwillige Leistung ist. Im Übrigen würde eine Unwirksamkeit von Nr. 3e UAbs. 2 des Arbeitsvertrages nicht die Wirksamkeit des im vorherigen Absatzes gesondert vereinbarten Freiwilligkeitsvorbehalt betreffen, weil es sich um zwei inhaltlich und räumlich unterschiedene Regelungen handelt. Im Übrigen hat die 11. Kammer des Landesarbeitsgerichtes in ihrer Entscheidung vom Oktober 2021 (11 Sa 33/21) unter II.2.b und c der Gründe überzeugend dargelegt, dass die Klausel klar und verständlich ist. Diesen Ausführungen schließt sich die erkennende Kammer an.

Auch erfasst die Klausel keine monatlichen Zahlungen, für die ein Freiwilligkeitsvorbehalt unzulässig ist, sondern sie stellt nur Sonderzuwendungen, die einmalige Zahlungen darstellen, wie der Verweis auf Weihnachts-und Urlaubsgeld deutlich macht unter den Freiwilligkeitsvorbehalt.

bb) Gleichwohl hält die erkennende Kammer die Freiwilligkeitsklausel für unwirksam, da sie intransparent im Sinne von § 307 Abs. 1 S. 2 BGB ist, weil sie den Kläger unangemessen benachteiligt. Sie auch nachträglich vereinbarte Sonderzahlungen unter einen Freiwilligkeitsvorbehalt. Die Klausel macht nicht deutlich, dass auf Sonderzuwendungen jedenfalls dann ein Rechtsanspruch besteht, wenn diese zuvor zwischen den Parteien vereinbart worden sind. So hat das Bundesarbeitsgericht für einen allgemeinen Freiwilligkeitsvorbehalt ausgeführt: Eine unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers liegt auch darin, dass der vertragliche Vorbehalt spätere Individualabreden iSv. § 305b BGB erfasst. Nach § 305b BGB haben individuelle Vertragsabreden Vorrang vor Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Individualabreden können grundsätzlich alle Abreden zwischen den Vertragsparteien außerhalb der einseitig vom Verwender vorgegebenen Geschäftsbedingungen sein. Sie können sowohl ausdrücklich als auch konkludent getroffen werden (vgl. zu § 4 AGBG: BGH 6. März 1986 – III ZR 234/84 – zu II 2 a der Gründe, NJW 1986, 1807). Auch nachträglich getroffene Individualabreden haben Vorrang vor kollidierenden Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Es kommt nicht darauf an, ob die Parteien eine Änderung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen beabsichtigt haben oder sich der Kollision mit den Allgemeinen Geschäftsbedingungen bewusstgeworden sind (BGH 21. September 2005 – XII ZR 312/02 – zu 2 a der Gründe, BGHZ 164, 133). Mit diesem Vorrang der Individualabrede ist ein Freiwilligkeitsvorbehalt nicht zu vereinbaren, der so ausgelegt werden kann, dass er Rechtsansprüche aus späteren Individualabreden ausschließt (vgl. auch zur doppelten Schriftformklausel: BAG 20. Mai 2008 – 9 AZR 382/07 – Rn. 39, BAGE 126, 364). Darüber hinaus weicht eine solche Regelung von dem allgemeinen Grundsatz „pacta sunt servanda“ (Verträge sind einzuhalten) ab (§ 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB). Jeder Vertrag und die sich aus ihm ergebenden Verpflichtungen sind für jede Seite bindend (BAG 7. Dezember 2005 – 5 AZR 535/04 – Rn. 34, BAGE 116, 267; 12. Januar 2005 – 5 AZR 364/04 – zu B I 4 a der Gründe, BAGE 113, 140). Dies gilt auch für nach Abschluss des ursprünglichen Vertrags im laufenden Arbeitsverhältnis eingegangene Verpflichtungen. Von diesen kann nicht unter Hinweis auf einen vertraglichen Freiwilligkeitsvorbehalt wieder Abstand genommen werden. (BAG, Urteil vom 14. September 2011 – 10 AZR 526/10, Rn. 38 – 40).

In der Konsequenz bedeutet das, dass ein vertraglicher Freiwilligkeitsvorbehalt nur dann wirksam ist, wenn der ausdrücklich darauf hinweist, dass spätere Individualabreden über vertraglich nicht geregelte Gegenstände oder wie hier über Sonderzuwendungen nicht vom Freiwilligkeitsvorbehalt erfasst werden (Schaub/Linck Arbeitsrechtshandbuch § 35 Rn. 101; Preis/Sagan, Der Freiwilligkeitsvorbehalt im Fadenkreuz der Rechtsgeschäftslehre – Chronik eines angekündigten Todes, NZA 2012, S. 697, 704). Unter Anlegung dieses Maßstabes ist die vorliegende Klausel ebenfalls aus diesem Grunde unwirksam. Eine hinreichend eindeutige Auslegung dahingehend, dass sie Rechtsansprüche aus späteren Individualabreden nicht ausschließen will ist nicht möglich (anders LAG Baden – Württemberg, Urteil vom 12.10.2021 11 Sa 33/21, S. 17 der Gründe). Die vertragliche Freiwilligkeitsklausel in Nr. 3e des Arbeitsvertrages äußert sich zur Frage des Vorrangs von späteren Individualvereinbarungen nicht. Sie regelt lediglich, dass die Zahlung von Sonderzuwendungen, auch wenn die Zahlung mehrfach und ohne ausdrücklichen Vorbehalt der Freiwilligkeit erfolgt keinen Rechtsanspruch für die Zukunft begründet. Der Zweck einer solchen Klausel besteht regelmäßig darin, das Entstehen einer betrieblichen Übung oder auch einer – wie hier – „individuellen Übung“ zu verhindern. Gleichwohl schließt das nicht aus, dass außerhalb möglicher betrieblicher Übungen abweichende Individualvereinbarungen auch nach Vertragsabschluss geschlossen werden, die dem Arbeitnehmer einen Rechtsanspruch einräumen. Dazu steht die Klausel jedoch im Widerspruch, weil sie abschließend regelt, dass die Zahlung von Sonderzuwendungen im freien Ermessen des Arbeitgebers liegt und hierauf keinen Rechtsanspruch besteht. Die Klausel ist zumindest mehrdeutig im Sinne von § 305c Abs. 2 BGB. Diese Mehrdeutigkeit wird noch dadurch unterstrichen, dass in Nr. 10 des Arbeitsvertrages ausdrücklich geregelt ist, dass abweichende Regelungen nicht bestehen und der Schriftform bedürfen. Die Parteien haben hier für abweichende Regelungen noch eine zusätzliche Hürde aufgebaut, nämlich die Schriftform, so dass für den Arbeitnehmer der Eindruck entsteht, dass selbst dann, wenn er mit dem Arbeitgeber mündlich, aber ausdrücklich einen Rechtsanspruch auf eine Sonderzuwendung vereinbart, dieser in zweifacher Hinsicht unwirksam ist, nämlich wegen Verletzung der Schriftformklausel und weil Sonderzuwendungen immer im freien Ermessen des Arbeitgebers stehen. Jedenfalls ist eine eindeutige Auslegung der Klausel dahingehend, dass Sie individuelle Vereinbarungen über Sonderzuwendungen nicht erfasst, nicht möglich. Daher benachteiligt die Klausel den Arbeitnehmer unangemessen, weil sie den Eindruck erweckt, dass individuelle Vereinbarungen für die Beklagte als Verwenderin der Klausel unverbindlich sein. Da die Klausel unwirksam ist, kann sie folglich das Entstehen eines Rechtsanspruches durch konkludentes Verhalten nicht verhindern.

4. Da der Kläger nicht vorgetragen hat, dass in den Vorjahren eine Zahlung in jeweils identischer Höhe erfolgt ist, ist zugunsten der Beklagten davon auszugehen, dass der Rechtsanspruch des Klägers darauf gerichtet ist, dass die Beklagte Weihnachts-und Urlaubsgeld nach billigem Ermessen festsetzt. Eine derartige Festsetzung durch die Beklagte ist nicht erfolgt, sodass das Gericht zur Ersetzung der Festsetzung nach § 315 BGB berechtigt ist. Dabei hatte die Festsetzung auf der Grundlage des bisherigen Parteivortrags zu erfolgen.

Die Beklagte hat vorgetragen, sie habe keinem Arbeitnehmer wegen ihrer wirtschaftlichen Situation einen Weihnachts- und Urlaubsgeld im Jahr 2020 gezahlt, ohne allerdings diese wirtschaftliche Situation in irgendeiner Weise näher auszuführen. Daher kann sie mit diesem Einwand nicht gehört werden. Der Kläger hat vorgetragen, dass er sich an den Beträgen des Vorjahres orientiere. Darüber hinaus hat der Kläger auch vorgetragen, welches Urlaubs-und Weihnachtsgeld ein anderer Mitarbeiter in den Vorjahren erhalten hat, dass in etwa in der gleichen Größenordnung liegt wie die Zahlungen, die der Kläger im Jahr 2019 erhalten hat. Mangels anderer Anhaltspunkte ist daher eine Anknüpfung an die Zahlungen des Jahres 2019 angemessen und entspricht billigem Ermessen.

5. Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 286 Abs. 2 Nr. 1 iVm. § 288 Abs. 1 BGB. Bestandteil der konkludenten Vereinbarung der Parteien war auch, dass die Sonderzahlungen Urlaubs und Weihnachtsgeld jeweils zum 1. Juli bzw. 1. Dezember des jeweiligen Jahres erbracht werden. Auch der Fälligkeitstermin ergibt sich aus der konkludenten Vereinbarung der Parteien. Der Kläger darf das Verhalten der Beklagten nicht nur so verstehen, dass er überhaupt ein Weihnachts-bzw. Urlaubsgeld erhält, sondern dass er das auch zu den genannten Zeitpunkten, die im Zusammenhang mit den Urlaubsmonaten bzw. dem Weihnachtsfest stehen bezahlt bekommt.

6. Die Beklagte hat dem Kläger nach § 108 Abs. 1 GewO eine entsprechende Lohnabrechnung zu erteilen.

III.

Die Beklagte hat nach § 91 Abs. 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, da sie vollständig unterlegen ist.

Die Revision war für die Beklagte zuzulassen. Zum einen liegt eine Abweichung von der Entscheidung der 11. Kammer vor. Es ist auch nicht ohne weiteres ersichtlich, welche der beiden Kammern von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts abgewichen ist. In der Entscheidung vom 14. September 2011 (10 AZR 526/10) hat das Bundesarbeitsgericht die dort erkannte Unwirksamkeit des Freiwilligkeitsvorbehalts auf mehrere Gründe gestützt. Der in der vorliegenden Entscheidung herangezogene Grund war nicht ohne weiteres tragend, weil die Klausel in der zitierten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes bereits aus anderen Gründen offensichtlich unwirksam gewesen ist.

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Unsere Hilfe im Arbeitsrecht

Wir sind Ihr Ansprechpartner in Sachen Arbeitsrecht. Vom Arbeitsvertrag bis zur Kündigung. Nehmen Sie noch heute Kontakt zu uns auf.

Rechtsanwälte Kotz - Kreuztal

Wissenswertes aus dem Arbeitsrecht einfach erklärt

Weitere interessante arbeitsrechtliche Urteile

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!