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Verzicht auf Kündigungsschutz – Zugang Kündigungserklärung

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz – Az.: 4 Sa 243/17 – Urteil vom 29.03.2018

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 29.3.2017, Az. 4 Ca 933/16, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.

Der Kläger war bei der Beklagten seit dem 01.08.2015 als kaufmännischer Mitarbeiter beschäftigt. Zu seinen Aufgaben gehörten u. a. Tätigkeiten in der Finanzbuchhaltung, der Personalbuchhaltung sowie in der Lohnvorbereitung.

Unter dem 15.04.2016 erteilte die Beklagte dem Kläger eine Abmahnung, in der sie ihm verschiedene Pflichtenverstöße vorwarf; hinsichtlich des Inhalts dieser Abmahnung im Einzelnen wird auf Bl. 23 d. A. Bezug genommen.

Am 27.05.2016 fand ein Gespräch statt zwischen der Geschäftsführerin der Beklagten und dem Kläger. Im Rahmen dieses Gesprächs wurde über eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses gesprochen, auch über den Beendigungstermin. Die Einzelheiten des betreffenden Gesprächs sind zwischen den Parteien streitig, insbesondere auch, ob dem Kläger zum damaligen Zeitpunkt bereits eine am 27.05.2016 verfasste ordentliche Kündigung zum 30.06.2016 zugegangen war. Unstreitig bat der Kläger in diesem Gespräch darum, dass sein Arbeitsverhältnis nicht – wie beabsichtigt – zum 30.06.2016, sondern erst zum 31.07.2016 beendet werden solle, damit er im Anschluss Arbeitslosengeld beziehen könne. Die Beklagte erklärte sich hiermit einverstanden und die Parteien kamen überein, dass das Arbeitsverhältnis nicht bereits zum 30.06.2016 enden werde, sondern dass die Beklagte eine (weitere) Kündigung zu einem späteren Beendigungstermin (31.07.2016) aussprechen solle.

Mit Schreiben vom 05.07.2016 erteilte die Beklagte dem Kläger eine weitere Abmahnung, hinsichtlich deren Inhalts auf Bl. 92 d. A. Bezug genommen wird.

Am 06.07.2016 fand der Kläger auf seinem Schreibtisch ein Kündigungsschreiben vor, in welchem die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31.07.2016 kündigte. Das betreffende Schreiben datiert vom 30.05.2016.

Gegen diese Kündigung richtet sich die vom Kläger am 25.07.2016 beim Arbeitsgericht eingereichte Kündigungsschutzklage.

Der Kläger hat beantragt, festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 30.05.2016, zugegangen am 06.07.2016, nicht aufgelöst worden ist und weiter fortbesteht.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Verzicht auf Kündigungsschutz - Zugang Kündigungserklärung
(Symbolfoto: Antonio Guillem/Shutterstock.com)

Die Beklagte hat erstinstanzlich u. a. geltend gemacht, das Arbeitsverhältnis habe bereits deshalb zum 31.07.2016 sein Ende gefunden, da dem Kläger bereits am 30.05.2016 eine schriftliche Kündigung zu diesem Beendigungstermin übergeben worden sei. Da der Kläger hiergegen nicht innerhalb von drei Wochen Kündigungsschutzklage erhoben habe, sei diese Kündigung rechtswirksam geworden. Selbst dann, wenn man nicht von einem Zugang der Kündigung am 30.05.2016 ausgehe, sei das Arbeitsverhältnis jedenfalls aufgrund des dem Kläger am 06.07.2016 unstreitig zugegangenen Kündigungsschreibens aufgelöst worden. Der Kläger habe zahlreiche Pflichtverletzungen begangen, die eine weitere Zusammenarbeit mit ihm nicht zumutbar erscheinen ließen.

Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes sowie des erstinstanzlichen streitigen Parteivorbringens wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen. Insoweit wird Bezug genommen auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Trier vom 29.03.2017 (Bl. 105-108 d. A.).

Das Arbeitsgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen K. und der Zeugin H.. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschriften vom 26.10.2016 (Bl. 33 ff. d. A.) und vom 16.12.2016 (Bl. 53 ff. d. A.) verwiesen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 29.03.2017 stattgegeben. Zur Darstellung der maßgeblichen Entscheidungsgründe wird auf die Seiten 5 bis 16 dieses Urteils (= Bl. 108-119 d. A.) verwiesen.

Gegen das ihr am 10.04.2017 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 09.05.2017 Berufung eingelegt und diese innerhalb der ihr mit Beschluss vom 12.06.2017 verlängerten Berufungsbegründungsfrist am 12.07.2017 begründet.

Die Beklagte rügt in ihrer Berufungsbegründung eingehend die Beweiswürdigung des Arbeitsgerichts und macht geltend, das Arbeitsgericht hätte bei zutreffender Würdigung der Zeugenaussagen zu dem Ergebnis gelangen müssen, dass dem Kläger bereits am 30.05.2016 eine Kündigung zum 31.07.2016 zugegangen sei. Darüber hinaus habe der Kläger – entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts – im Rahmen des Gesprächs vom 27.05.2016 zumindest konkludent auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage verzichtet, indem er den Wunsch geäußert habe, ihm nicht bereits zum 30.06.2016, sondern erst zum 31.07.2016 zu kündigen, und sie – die Beklagte – diesem Wunsch entsprochen habe. Der Klage fehle daher das Rechtsschutzbedürfnis.

Wegen aller Einzelheiten des Vorbringens der Beklagten im Berufungsverfahren wird auf deren Berufungsbegründungsschrift vom 11.07.2017 (Bl. 154-160 d. A.) Bezug genommen.

Die Beklagte beantragt, das erstinstanzliche Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil nach Maßgabe seiner Berufungserwiderungsschrift vom 11.08.2017 (Bl. 173-175 d. A.), auf die Bezug genommen wird.

Entscheidungsgründe

I.

Die statthafte Berufung ist sowohl form- als auch fristgerecht eingelegt und begründet worden. Das somit insgesamt zulässige Rechtsmittel hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat der Klage vielmehr sowohl im Ergebnis zu Recht als auch mit zutreffender Begründung stattgegeben.

II.

Die Kündigungsschutzklage ist begründet.

Das Berufungsgericht folgt den ausführlichen und sorgfältig dargestellten Entscheidungsgründen des erstinstanzlichen Urteils und stellt dies gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG fest. Von der Darstellung eigener vollständiger Entscheidungsgründe wird daher abgesehen. Im Hinblick auf das Berufungsvorbringen der Beklagten erscheinen lediglich folgende Klarstellungen angezeigt:

1.

Der Kläger hat nicht wirksam auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage verzichtet, indem er mit der Beklagten vereinbart hat, das Arbeitsverhältnis solle nicht – wie zunächst beabsichtigt – zum 30.06.2016, sondern erst zum 31.07.2016 gekündigt werden.

Zwar kann ein Arbeitnehmer trotz des zwingenden Charakters des allgemeinen Kündigungsschutzes nachträglich, d. h. nach Zugang der Kündigung, durch Individualvereinbarung auf seine Ansprüche aus dem Kündigungsschutzgesetz verzichten (KR-Griebeling/Rachor, 11. Auflage, § 1 KSchG Rz. 36 m. N. a. d. R.). Es ist jedoch allgemein anerkannt, dass auf den Kündigungsschutz nicht im Voraus, also schon vor dem Ausspruch einer Kündigung wirksam verzichtet werden kann. Für eine künftige Kündigung ist ein derartiger Verzicht nicht möglich (BAG v. 19.12.1974 – 2 AZR 565/73 – AP Nr. 3 zu § 620 BGB, m. w. N.; KR-Friedrich/Klose, 11. Aufl., § 4 KSchG Rz. 361 m. N. a. d. R.).

Danach konnte der Kläger im Rahmen des mit der Geschäftsführerin der Beklagten geführten Gesprächs vom 27.05.2016 nicht wirksam auf seinen Kündigungsschutz bzgl. der erst danach ausgesprochenen Kündigung verzichten. Es kann daher offen bleiben, ob in der Bitte des Klägers, das Arbeitsverhältnis nicht zum 30.06.2016, sondern erst zum 31.07.2016 zu kündigen, überhaupt der Wille zum Ausdruck kam, sich gegen eine solche Kündigung nicht gerichtlich zur Wehr zu setzen.

2.

Die Kündigungsschutzklage ist auch nicht bereits deshalb unbegründet, weil der Kläger gegen eine ihm schon am 30.05.2016 zugegangene, zum 31.07.2016 ausgesprochene Kündigung nicht innerhalb der Dreiwochenfrist des § 4 Satz 1 KSchG Kündigungsschutzklage erhoben hat, mit der Folge, dass das Arbeitsverhältnis aufgrund dieser Kündigung ohnehin zum 31.07.2016 geendet hätte.

Das Arbeitsgericht ist nach eingehender Würdigung der Zeugenaussagen zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass dem Kläger am 30.05.2016 ein Kündigungsschreiben zugegangen ist. Entgegen der Ansicht der Beklagten bestehen keine konkreten Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Beweiswürdigung des Arbeitsgerichts. Diesbezüglich ist hervorzuheben, dass die von der Beklagten in erster Instanz erhobene Behauptung, dem Kläger sei am 30.05.2016 ein Kündigungsschreiben übergeben worden, durch die Beweisaufnahme ohnehin nicht bestätigt wurde. Der Zeuge K. hat bei seiner Vernehmung vielmehr ausgesagt, er habe das Kündigungsschreiben ohne Umschlag, also unverschlossen, am Vormittag des 30.05.2016 zwischen 6.00 Uhr und 8.00 Uhr, möglicherweise jedoch auch schon am Vorabend auf die auf dem Schreibtisch des Klägers befindliche Tastatur gelegt. Hierdurch allein konnte jedoch ein Zugang der Kündigungserklärung gemäß § 130 Abs. 1 BGB nicht bewirkt werden. Der Schreibtisch eines Arbeitnehmers ist keine von ihm bestimmte Empfangseinrichtung für rechtsgeschäftliche Erklärungen. Dies schon deshalb, weil ein Schriftstück mit dem Ablegen auf den in einem Drei-Personen-Büro befindlichen Schreibtisch des Klägers noch nicht dem Zugriff des Absenders, d. h. des Arbeitgebers entzogen ist (vgl. zum Fach eines Dienstzimmers: BAG v. 23.01.2001 – 1 ABR 19/00 – juris). Dass der Kläger nach seinem Eintreffen im Büro das Kündigungsschreiben tatsächlich an sich genommen hat, wodurch der Zugang bewirkt worden wäre, hat der Zeuge K. – unter Zugrundelegung des Inhalts seiner Aussage – nicht wahrgenommen. Es kann schon nicht mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass sich das betreffende Schreiben beim Eintreffen des Klägers noch auf seinem Schreibtisch befand. Zwar hat der Zeuge bekundet, er sperre das Büro ab, wenn er es „längerfristig“ verlasse. Ob er das Büro an dem betreffenden Vormittag jedoch noch nicht einmal kurzfristig, etwa für einen Toilettengang, verlassen hat, ohne abzuschließen, konnte der Zeuge nicht bestätigen. Im Übrigen ist der zutreffenden Beweiswürdigung des Arbeitsgerichts nichts hinzuzufügen. Ein Zugang der Kündigungserklärung am 30.05.2016 kann somit nicht festgestellt werden.

3.

Die streitbefangene, dem Kläger am 06.07.2016 zugegangene Kündigung erweist sich als sozial ungerechtfertigt und damit als rechtsunwirksam (§ 1 Abs. 1 KSchG).

Verhaltensbedingte Gründe i. S. v. § 1 Abs. 2 KSchG, die den Ausspruch der streitbefangenen ordentlichen Kündigung rechtfertigen könnten, sind nicht gegeben. Dabei kann offen bleiben, ob sich der Kläger die von der Beklagten behaupteten Fehl- bzw. Schlechtleistungen hat zu schulden kommen lassen. Bezüglich dieses Fehlverhaltens hat die Beklagte nämlich durch Erteilung der Abmahnung vom 05.07.2016 konkludent auf ihr Kündigungsrecht verzichtet.

Der Arbeitgeber verzichtet konkludent auf sein Kündigungsrecht, wenn er wegen eines abgeschlossenen Fehlverhaltens des Arbeitnehmers lediglich eine Abmahnung ausspricht und ausdrücklich erklärt, bei künftigen gleichartigen Vertragsverletzungen sei der Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdet. Damit bringt er gleichzeitig zum Ausdruck, wegen des gerügten Fehlverhaltens werde noch keine Kündigung erfolgen. Der Arbeitgeber kann deshalb eine spätere Kündigung nicht allein auf die abgemahnten Gründe stützen, sondern hierauf nur unterstützend zurückgreifen, wenn weitere kündigungsrechtlich erhebliche Umstände eintreten oder ihm nachträglich bekannt werden (BAG v. 02.02.2006 – 2 AZR 222/05 – AP Nr. 52 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung, m. w. N.).

Vorliegend ist – wie das Arbeitsgericht in den Entscheidungsgründen des erstinstanzlichen Urteils zutreffend ausgeführt hat – weder vorgetragen noch ersichtlich, dass es zwischen der Erteilung der Abmahnung am 05.07.2016 und dem Kündigungsausspruch am Folgetag zu einem weiteren Fehlverhalten des Klägers gekommen ist oder die Beklagte in diesem Zeitraum von einem solchen Fehlverhalten Kenntnis erlangt hat. Überdies spricht bereits der enge zeitliche Zusammenhang zwischen Abmahnung und Kündigung dafür, dass die Kündigung aus den zuvor abgemahnten Gründen erfolgte (vgl. BAG v. 13.12.2007 – 6 AZR 145/07 – AP Nr. 83 zu § 1 KSchG 1969).

III.

Nach alledem war die Berufung der Beklagten mit der sich aus § 97 Abs. 1 ZPO ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen.

Für die Zulassung der Revision bestand keine Veranlassung. Auf die Möglichkeit, die Nichtzulassung der Revision selbständig durch Beschwerde anzufechten (§ 72a ArbGG), wird hingewiesen.

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