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Vorbeschäftigung bei sachgrundloser Befristung – Gesetzesauslegung

ArbG Kiel, Az.: 2 Ca 32 b/14, Urteil vom 25.04.2014

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Der Streitwert wird auf EUR 12.667,56 festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses durch Fristablauf zum 31. Dezember 2013 sowie über die Weiterbeschäftigung der Klägerin.

Die Klägerin ist bei der Beklagten, einer Gebietskörperschaft, seit dem 1. August 2012 als Diplom-Sozialpädagogen für Bruttomonatsgehalt i. H. v. EUR 3.166,89 beschäftigt. Der unter dem 15. Juni 2012 geschlossene Arbeitsvertrag sieht eine Befristung bis zum 31. Dezember 2013 vor.

Die Klägerin war bei der Beklagten anlässlich ihrer Ausbildung zur Erzieherin vom 1. September 1984 bis zum 31. August 1985 im Rahmen eines bezahlten Praktikums beschäftigt. Das Praktikum ist der zweite Ausbildungsabschnitt gemäß allgemeiner Prüfungsordnung berufsbildender Schulen vom 30. Januar 1980 nach dem Bestehen der ersten Teilprüfung.

Ferner war die Klägerin beim Land Schleswig-Holstein, vertreten durch das Schulamt der Beklagten, vom 9. März 2009 bis zum 3. April 2009 als tarifliche Aushilfslehrkraft in Teilzeit zur Vertretung einer namentlich benannten Lehrkraft angestellt.

Die Klägerin ist mit der am 7. Januar 2014 bei Gericht eingegangenen Klage der Auffassung, dass die Befristung unwirksam sei, da die Praktikumszeit und die Vertragslaufzeit des Arbeitsvertrags zusammengenommen den Zwei-Jahres-Zeitraum überschritten. Der Arbeitsvertrag vom 15. Juni 2012 könne nicht sachgrundlos befristet werden, da die Beschäftigung in den Jahren 1984 und 1985 eine die sachgrundlose Befristung ausschließende iSv. § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG darstelle. Die zeitliche Beschränkung der Vorbeschäftigung auf drei Jahre iSd. Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts widerspreche Wortlaut, Systematik und Entstehungsgeschichte. In ihrer Praktikumszeit habe die Klägerin monatlich in etwa DM 1.300,00 bis DM 1.500,00 erhalten und habe für das Entgelt unterrichtet und damit regelmäßig unselbstständige Dienste für die Beklagte erbracht. Die Vertragsgestaltung hinsichtlich des Arbeitsvertrags aus März 2009 sei rechtsmissbräuchlich und geeignet, die Vorschriften des TzBfG zu umgehen.

Die Klägerin beantragt,

1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund der mit Arbeitsvertrag vom 15. Juni 2012 vereinbarten Befristung in der Fassung vom 16. Mai 2013 am 31. Dezember 2013 nicht beendet ist;

2. die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin über den 31. Dezember 2013 hinaus zu unveränderten Bedingungen als Dipl.-Sozialpäda-gogin mit der vollen tariflichen Arbeitszeit weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hält die Befristung für wirksam gemäß § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG. Eine Vorbeschäftigung der Klägerin der Beklagten im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses existiere nicht. Das in den Jahren 1984/1985 absolvierte Praktikum sei als praktischer Ausbildungsabschnitt kein Arbeitsverhältnis iSv. § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG gewesen. Die Klägerin habe eine reine Ausbildungsvergütung bezogen. Im März 2009 habe die Klägerin ein Arbeitsverhältnis mit dem Land Schleswig-Holstein abgeschlossen. Dieses verwalte über die jeweiligen örtlichen Schulämter die in den Schulen eingesetzten und beim Land angestellten Lehrkräfte.

Im Übrigen wird hinsichtlich der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes auf die Schriftsätze, Unterlagen und Protokolle verwiesen.

Entscheidungsgründe

A. Die zulässige Klage ist unbegründet. Das Arbeitsverhältnis endete durch die im Arbeitsvertrag vom 15. Juni 2012 vereinbarte Befristung. Die Befristung ist gemäß § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG zulässig (I). Aufgrund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Fristablauf hat die Klägerin keinen Anspruch auf Weiterbeschäftigung bei der Beklagten (II).

I. Die rechtzeitig erhobene Entfristungsklage ist unbegründet, weil das Arbeitsverhältnis durch die Befristung gemäß § 1 des Arbeitsvertrags vom 15. Juni 2012 zum 31. Dezember 2013 gemäß § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG wirksam ist.

1. Die Voraussetzung des § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG liegen vor. Die kalendermäßige Befristung des Arbeitsverhältnisses der Parteien erfolgte schriftlich im Arbeitsvertrag vom 15. Juni 2012 – unstreitig ohne sachlichen Grund – und nur für die Dauer von einem Jahr und sieben Monate. Eine Verlängerung gab es nicht.

2. Die Zulässigkeit der Befristung entfällt auch nicht dadurch, dass mit demselben Arbeitgeber bereits zuvor ein befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis bestanden hat – § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG. § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG ist dahingehend zu verstehen, dass nur solche Vorbeschäftigungen eine sachgrundlose Befristung iSv. § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG ausschließen, die nicht länger als 3 Jahre vor Abschluss des neuen befristeten Vertrags zurückliegen (a). Jedenfalls sind Vertragsverhältnisse, die praktischer Teil einer Ausbildung sind, keine Arbeitsverhältnisse iSd. § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG (b). Das von der Klägerin herangezogene und als Praktikum bezeichnete Vertragsverhältnis für die Jahre 1984 und 1985 erfüllt damit in doppelter Hinsicht nicht die Voraussetzungen für ein „bereits zuvor“ bestehendes Arbeitsverhältnis iSd. § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG (c). Auch der Abschluss eines Vertragsverhältnisses als Lehrkraft mit dem Land Schleswig-Holstein, vertreten durch das Schulamt der Beklagten, stellt keine rechtsmissbräuchliche Vertragsgestaltung mit der Folge des Ausschlusses einer sachgrundlosen Befristung iSd. § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG dar (d).

a) Das Gericht folgt der Rechtsprechung des 7. Senats des Bundesarbeitsgerichts zu § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG (vgl. BAG 6. April 2011 – 7 AZR 716/09 – sowie 21. September 2011 – 7 AZR 375/10, jeweils zit. nach juris). Die zum Teil polemischen Einwände der Literatur (vergl. statt vieler zB. Junker EuZA 2013, 3,14 ff.; Wiedemann Anmerkung zu AP TzBfG § 14 Nr. 82; Wendeling-Schröder AuR 2012, 92 f.; Wank RdA 2012, 361) und die äußerst knapp begründete Entscheidung des LAG Baden-Württemberg (26. September 2013 – 6 Sa 28/13 -, zitiert nach juris) überzeugen das Gericht nicht. Insbesondere die verfassungs-, unionsrechts- und normzweckorientierte Auslegung gebieten aus Sicht des Gerichts das vom 7. Senat gefundene Verständnis. Der vorliegende Fall bestätigt geradezu die Notwendigkeit dieser Auslegung: Andernfalls wäre die Wirksamkeit der Befristung im Arbeitsvertrag vom 15. Juni 2012 von einem Vertragsverhältnis abhängig, welches annähernd 30 Jahre zurückliegt. Gegebenenfalls müsste das Arbeitsgericht rechtshistorisch zur Rechtsqualität eines entsprechend lang zurückliegenden Vertragsverhältnisses ermitteln.

aa) Der Wortlaut von § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG ist hinsichtlich der Formulierung: „bereits zuvor“ nicht eindeutig. Der Begriff: „bereits zuvor“ kann sprachlich verstanden werden als „jemals zuvor“, „irgendwann zuvor“, „unmittelbar zuvor“ oder „mit dem Bezugsereignis oder der Bezugssituation in einem zeitlichen und/oder sachlichen Zusammenhang stehend“ (BAG 6. April 2011 – 7 AZR 716/09 – Rn 17, aaO). Aus dem vom Bundesarbeitsgericht angeführten Beispiel ist auch praktisch ersichtlich, dass der Begriff „bereits zuvor“ rein sprachlich unterschiedlich verstanden werden kann. Die Herabwürdigung dieser Argumentation durch Begriffe wie „Wortklauberei“ oder „semantisch bemerkenswert“ ersetzt keine inhaltliche Auseinandersetzung. Mit der Behauptung eines bestimmten, anderen Auslegungsmethoden nicht mehr zugänglichen sprachlichen Verständnisses einer Norm ersetzt diese Behauptung die argumentative Auseinandersetzung und verengt die Auslegung auf ein einziges Kriterium (kritisch zur Überbetonung der Wortlautauslegung auch Wank RdA 2012, 361) Damit steht aus Sicht des Gerichts allerdings lediglich fest, dass der Wortlaut als Auslegungskriterium für das Verständnis von „bereits zuvor“ iSd. § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG allein nicht ausreicht.

bb) Systematisch ergibt sich im Verhältnis zu § 14 Abs. 3 TzBfG lediglich aus der dort verwandten Formulierung „unmittelbar vor Beginn“ das „bereits zuvor“ nicht im Sinne von „unmittelbar zuvor“ verstanden werden kann. Ansonsten wäre die abweichende Formulierung in § 14 Abs. 3 TzBfG nicht notwendig gewesen.

cc) Aus Sicht des Gerichts schließt die verfassungsorientierte Auslegung ein Verständnis von § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG dahingehend aus, dass „bereits zuvor“ verstanden wird als „jemals zuvor“.

(1) Art. 12 GG und Art. 14 GG gebieten weder sachgrundlose Befristungen noch schließen sie diese aus. Die Begrenzung der Befristungsmöglichkeit bzw. die Bindung der Befristung an sachliche Gründe stellen einen durch Art. 12 GG gedeckten Schutz der Arbeitnehmer dar (so statt vieler: Wendeling-Schröder, AuR 2012, 92, 93).

(2) Entscheidend ist aus Sicht des Gerichts jedoch der Vergleich von einem Arbeitnehmer, der niemals beim potenziellen Arbeitgeber tätig gewesen ist, und einem solchen, der bereits aufgrund eines Vertragsverhältnisses irgendwann in der Vergangenheit beim potenziellen Arbeitgeber beschäftigt war: Dieser hat im Verhältnis zu jenem weniger Beschäftigungsmöglichkeiten, ohne dass dies durch den Arbeitnehmerschutzgedanken begründet wäre.

 

So verstanden wäre § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG im Hinblick auf die Vermeidung von befristeten Arbeitsverhältnissen und damit als Arbeitnehmerschutzvorschrift untauglich, weil es gerade nicht der generellen Vermeidung solcher Vertragsbeziehungen dient, sondern lediglich dem Ausschluss bestimmter Arbeitnehmergruppen von der Möglichkeit einer – befristeten – Beschäftigung.

Dabei geht es nicht um die äußerst umstrittene arbeitsmarktpolitische These: „Erhöhte Arbeitnehmerschutzstandards verhindern Beschäftigung“. Angesichts des Umstands, dass sich der Gesetzgeber generell für eine Lockerung des Arbeitnehmerschutzstandards durch die Einführung sachgrundloser Befristungen entschieden hat, bedeutet die willkürliche Herausnahme bestimmter Arbeitnehmergruppen von der Möglichkeit sachgrundloser Befristungen nicht deren erhöhter Schutz, sondern die Ausgrenzung von einer ohnehin bestehenden Zugangsmöglichkeit zum Arbeitsmarkt. Dies wird deutlich, wenn § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG lauten würde: „Eine Befristung nach S. 1 ist nicht zulässig, wenn es sich um Arbeitnehmerinnen handelt“. Man kann aus Sicht des Gerichts nicht ernsthaft behaupten, dass der in diesem Fall für Frauen bestehende erhöhte Schutz vor befristeten Arbeitsverhältnissen Teil der positiven Förderungspflicht zur Durchsetzung der Gleichberechtigung iSv. Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG wäre.

Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, durch Art. 12 GG legitimierte Arbeitnehmerschutzgesetze im Hinblick auf das Übermaßverbot zu kontrollieren: Ein Arbeitnehmerschutzgesetz ist dann mit Art. 12 Abs. 1 GG nicht vereinbar, wenn es aus willkürlichen, nicht mit dem Arbeitnehmerschutz in Zusammenhang stehenden Gründen, quasi über das Ziel hinaus schießend, Arbeitnehmern den Zugang zum Arbeitsmarkt verschließt, ohne damit einen generell auf die Arbeitnehmer bezogenen höheren Schutzstandard zu erreichen. Es geht nicht darum, dass der Gesetzgeber bei der Einführung von (Arbeitnehmerschutz-) Gesetzen keinen Spielraum hat und die Gerichte stattdessen im Rahmen einer allgemeinen Gesetzesangemessenheitsüberprüfung gesetzgeberische Aufgabe übernehmen, sondern allein um durch die Verfassung gezogene Grenzen gesetzgeberischen Handelns und zwar – soweit Fachgerichte betroffen sind – im Rahmen einer verfassungsorientierten Auslegung (aA Wiedemann Anm. zu AP TzBfG § 14 Nr. 280).

(3) Ausgehend vom Normzweck des § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG, Befristungsketten ohne Erfordernis eines Sachgrundes auszuschließen (BAG 6. April 2011 Rn. 22 f. unter Bezugnahme auf die Gesetzesbegründung; Wank RdA 2012 361, 363) ist ein Verständnis von „bereits zuvor“ als „jemals zuvor“ mit Art. 12 Abs. 1 GG nicht in Einklang zu bringen. Von einer Befristungskette kann jedenfalls dann nicht mehr gesprochen werden, wenn die einzelnen Glieder der Kette weder eine zeitliche noch eine inhaltliche Verbindung aufweisen. Auch die Klarheit eines solchen Verständnisses rechtfertigt die Beschränkung der sachgrundlosen Befristungen in diesem Falle nicht. Angesichts der fehlenden zeitlichen Begrenzung im Verständnis von „jemals zuvor“ würde eine erneute Beschäftigung auf Basis einer sachgrundlosen Befristung selbst dann ausscheiden, wenn aufgrund des langen Zeitablaufs weder beim Arbeitnehmer noch beim Arbeitgeber hinreichende Erinnerung bzw. Unterlagen vorliegen. Es müsste gegebenenfalls Jahrzehnte später die Rechtsqualität der Vorbeschäftigung geklärt werden. Dies spricht nicht für, sondern gegen die Praktikabilität dieser Auslegung.

(4) Mit der Möglichkeit, mit Sachgrund zu befristen, kann die Verfassungskonformität einer bestimmten Auslegung nicht begründet werden (so aber LAG Baden-Württemberg, aaO): Der Arbeitgeber hat in der konkreten Auswahlentscheidung gar nicht vor, das Arbeitsverhältnis mit Sachgrund zu befristen. Er wird sich daher in der Auswahlentscheidung für denjenigen Arbeitnehmer entscheiden, der sachgrundlos beschäftigt werden kann.

dd) Aus Sicht des Gerichts schließt auch die unionsrechtskonforme Auslegung ein Verständnis von § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG iSv. „jemals zuvor“ aus. Ein solches Verständnis würde ältere Mitarbeiter mittelbar unverhältnismäßig diskriminieren und verstößt damit gegen Art. 1, 2 und 6 der Richtlinie 2000/78.

(1) Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 der Richtlinie 2000/78 gebieten, dass es keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung unter anderem wegen des Alters geben darf. Eine mittelbare Diskriminierung wegen des Alters iSd. Richtlinie liegt gemäß Art. 2 Abs. 2 b vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen eines bestimmten Alters gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, diese Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Zweckes angemessen und erforderlich (EuGH 7. Juni 2012 – C – 132/11 – [Tyrolean Airways Tiroler Luftfahrtgesellschaft] Rn. 28, zit. nach juris).

(2) Die nationalen Gerichte haben die unionsrechtlichen Vorgaben über das Gebot einer unionsrechtskonformen Auslegung zu berücksichtigen. Der Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung verlangt, dass die nationalen Gerichte unter Berücksichtigung des gesamten nationalen Rechts und unter Anwendung der von diesen anerkannten Auslegungsmethoden alles tun, was in ihrer Zuständigkeit liegt, um die volle Wirkung der betreffenden Richtlinien zu gewährleisten und zu einem Ergebnis zu gelangen, das mit dem von dieser verfolgten Ziel übereinstimmt (zB EuGH 28. Juli 2011 – C – 69/10 – Rn. 60, zit. nach juris).

(3) § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG in der Auslegung „jemals zuvor“ nimmt nicht ausdrücklich auf das Alter der Beschäftigten Bezug. Mittelbar wären bei diesem Verständnis aber ältere Arbeitnehmer mit einem entsprechend langen Beschäftigungsverlauf von der Möglichkeit einer sachgrundlosen Befristung deutlich eher ausgeschlossen als jüngere mit einem kurzen Beschäftigungsverlauf. Ältere Arbeitnehmer weisen eher eine Vorbeschäftigung auf als jüngere. Die statistische Wahrscheinlichkeit, dass ein älterer Mitarbeiter zufällig bereits in weit entfernter Vergangenheit beim gleichen Arbeitgeber beschäftigt war, ist signifikant höher als bei einem jungen Arbeitnehmer, der aufgrund seines Lebensalters noch keine weit entfernte berufliche Vergangenheit aufweisen kann. Ein statistischer Nachweis hierzu ist nicht erforderlich. Die wertende, typisierende Betrachtung reicht aus (vgl. BAG 22. April 2010 – 6 AZR 966/08 – Rn. 20, zit. nach juris).

(4) Eine Rechtfertigung dieser Ungleichbehandlung vermag das Gericht nicht zu sehen. Ausgehend vom Normzweck, Befristungsketten effektiv zu verhindern, macht, wie bereits unter cc) ausgeführt, der Einbezug aller vorherigen Arbeitsverhältnisse auch aus grauer Vorzeit keinen Sinn. Auch unter Berücksichtigung der Praktikabilität ist der Ausschluss der sachgrundlosen Befristung im Fall jedweder Vorbeschäftigung zumindest weder angemessen noch erforderlich iSd. Richtlinie 2000/78, um Befristungsketten zu verhindern.

ee) Es ist zutreffend, dass der historische Gesetzgeber den Begriff „bereits zuvor“ als „jemals zuvor“ verstanden hat, und eine sachgrundlose Befristung bei einer Vorbeschäftigung ausschließen wollte. Dies wird auch vom 7. Senat so gesehen (BAG 6. April 2011 Rn. 19, aaO). Es stellt sich allerdings die Frage, ob auf den Willen des historischen Gesetzgebers oder den des aktuellen Gesetzgebers abzustellen ist (vergl. hierzu Wank RdA 2012, 361, 362 mit Hinweis auf die Entwicklungsgeschichte). Aus Sicht des Gerichts ist entscheidend, dass in jedem Falle der Wille des Gesetzgebers nicht alleiniges Kriterium zur Auslegung sein kann. Gegenstand der Auslegung durch die Gerichte sind die Gesetze selbst und nicht der wie auch immer manifestierte Wille des Gesetzgebers. Es ist nicht maßgeblich, was der Gesetzgeber zu regeln meinte, sondern was er geregelt hat (BVerfG 16. August 2001 – 1 BvL 6/01 -, unter II 2 der Gründe, zit. nach juris).

ee) Wie bereits ausgeführt, gebietet der Normzweck „Verhinderung von Befristungsketten“ einen inhaltlichen oder hinreichenden zeitlichen Bezug zwischen Vorarbeitsverhältnis und erneutem sachgrundlos befristeten Arbeitsverhältnis. Dies spricht gegen eine Auslegung von „bereits zuvor“ als “jemals zuvor“.

ff) Zusammengefasst scheiden bei Auslegung nach den vorerwähnten Kriterien sowohl das Verständnis von „jemals zuvor“ als auch „unmittelbar zuvor“ aus. Das Verständnis der Norm bewegt sich damit zwischen den beiden extremen Polen. Was „bereits zuvor“ tatsächlich handhabbar bedeutet, bedarf der Konkretisierung.

(1) Dabei handelt es sich aus Sicht des Gerichts nicht um eine Rechtsfortbildung mit der Voraussetzung einer Gesetzeslücke in Auseinandersetzung mit dem Gewaltenteilungsprinzip (vgl. Wank RdA 2012, 361, 363 f). Es geht vorliegend nicht um die durch die Verfassung gebotene Ergänzung einer bestehenden Lücke im Gesetz nach Maßgabe einer gefundenen Auslegung, sondern um die Konkretisierung eines nach den Auslegungskriterien einzig möglichen Verständnisses der Norm. Die Konkretisierung ist notwendiger Schritt des gefundenen Auslegungsergebnisses. Nähme man in dieser Situation eine unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung bestehende Unmöglichkeit der Konkretisierung an, schaffte man damit ein neues Auslegungskriterium und käme zu einem Verständnis, dass weder durch Wortlaut noch durch gesetzgeberischen Willen zwingend vorgegeben ist und dem Normzweck und den verfassungs- sowie unionsrechtlichen Vorgaben widerspricht.

(2) Die vom 7. Senat gefundene begrenzende Konkretisierung auf einen Drei-Jahres-Zeitraum ist aus dem Gesichtspunkt der Praktikabilität für das Gericht gut nachvollziehbar. Die Festlegung auf eine klare zeitliche Grenze ist sowohl transparent als auch vorteilhaft für die Rechtssicherheit. Ob dies unter Gesichtspunkten der Gewaltenteilung zwingend ist oder ob auf allgemeine Rechtsbegriffe abzustellen ist, kann vorliegend allerdings dahinstehen (vergl. insoweit auch Wank RdA 2012 361, 365). Jedenfalls bei Vertragsverhältnissen, die extrem lange zurückliegen, und auch inhaltlich mit dem aktuellen Arbeitsverhältnis nichts zu tun haben, scheidet eine Vorbeschäftigung iSv. § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG unter dem Gesichtspunkt der konkretisierenden Auslegung aus. Aus der Kritik an der vom 7. Senat gefundenen Konkretisierung kann jedenfalls nicht auf ein anderes Auslegungsergebnis geschlossen werden (so aber LAG Baden-Württemberg, aaO). Allenfalls eine andere Konkretisierung käme in Betracht.

b) § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG scheidet jedenfalls dann aus, wenn es sich bei der Vorbeschäftigung um ein Vertragsverhältnis im Rahmen einer staatlichen Ausbildung handelt. Unabhängig davon, ob in der konkreten Ausgestaltung des Vertragsverhältnisses der Ausbildungszweck oder der Arbeitszweck im Vordergrund gestanden hat, handelt es sich nicht um ein Arbeitsverhältnis iSv. § 14 Abs. 2 Satz 2. TzBfG.

aa) Berufsausbildungsverhältnisse sind nicht generell mit Arbeitsverhältnissen gleichzusetzen. Andernfalls wäre § 10 Abs. 2 BBiG, aber auch § 26 BBiG überflüssig (vergl. BAG 21. September 2011 – 7 AZR 375/10 – Rn 15, aaO).

bb) Der Zweck des Vorbeschäftigungsverbots zur Vermeidung des Missbrauchs sachgrundloser Befristungen zu Befristungsketten gebietet kein Verständnis des Begriffs „Arbeitsverhältnis“ iSe. entgeltlichen Beschäftigung unabhängig vom konkreten Charakter. Bei Vertragsverhältnissen, die notwendiger Bestandteil einer staatlichen Ausbildung sind, steht im Hinblick auf den Normzweck von § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG der Ausbildungszweck im Vordergrund. Das als Praktikum gesetzlich bezeichnete Vertragsverhältnis ist notwendiger Bestandteil zum Abschluss der entsprechenden Ausbildung. Dieser Aspekt fällt nach Erreichen des Ausbildungsziels völlig weg und zwar unabhängig davon, ob rein tatsächlich vor dem Erreichen des Ausbildungsziels das als Praktikum bezeichnete Vertragsverhältnis seinen Schwerpunkt in der Ausbildung oder in der Arbeitsleistung hatte.

cc) Gegen dieses Verständnis spricht auch nicht § 14 Abs. 1 S. 1 Ziff. 2 TzBfG. Grundsätzlich ist zwar der Anwendungsbereich der Vorschrift deutlich eingeschränkt, wenn Ausbildung und Studium nicht als Arbeitsverhältnis iSd. § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG gelten. Allerdings ist der Anwendungsbereich des § 14 Abs. 1 Ziff. 2 TzBfG weiter: Er umfasst auch solche Fälle, in denen zuvor ein nicht mit der Ausbildung stehendes Arbeitsverhältnis zeitweilig existiert hat. Er ist im Übrigen nicht begrenzt auf die übrigen Vorgaben des § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG.

c) Danach ist das Vertragsverhältnis der Parteien aus dem Jahre 1984 keine Vorbeschäftigung iSd. § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG. Das Vertragsverhältnis liegt zum einen mit rund 28 Jahre extrem oberhalb der vom 7. Senat gezogenen Drei-Jahres-Grenze und steht inhaltlich in absolut keinem Zusammenhang (Praktikum im Rahmen der Erzieher-Ausbildung einerseits und Anstellung als Diplom-Sozialpädagogen andererseits). Zudem handelt es sich bei dem Vertragsverhältnis unstreitig um den für die Erzieher-Ausbildung notwendigen praktischen Bestandteil. Abgesehen von den praktischen Schwierigkeiten der Aufklärung kommt es deshalb auch nicht auf den Schwerpunkt des Vertragsverhältnisses (Ausbildung oder Arbeitsleistung) an.

d) Die Beschäftigung der Klägerin im Jahre 2009 formal als Lehrerin beim Land Schleswig-Holstein ist keine rechtsmissbräuchliche Umgehung des § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG durch die Beklagte. Selbst den Vortrag der Klägerin im Kammertermin als richtig unterstellt, dass die Klägerin im damaligen sehr kurzen Arbeitsverhältnis nicht mit Lehrer-, sondern mit Sozialpädagogen-Aufgaben betraut wurde, ist nicht im Ansatz erkennbar, dass die gewählte Konstruktion über das Land, das im Übrigen auch die Vergütung zu leisten hatte, zur Umgehung des Verbots von Kettenbefristungen ohne Sachgrund diente. Aus welchen Gründen sollte das Land Verpflichtungen übernehmen, damit die Beklagte als Gebietskörperschaft erleichtert sachgrundlos befristen kann?

II. Der unbedingt gestellte Weiterbeschäftigungsantrag ist unbegründet.

1. Der Antrag ist, wie sich aus der mündlichen Verhandlung ergeben hat, unbedingt gestellt. Ob dies aus Klägerinsicht sinnvoll ist, ist angesichts des klägerischen Verständnisses der Antragstellung nicht zu entscheiden. Insofern unterscheidet sich der Fall von der Konstellation im Verfahren 2 AZR 668/10 (A) (30. August 2011, zit. nach juris).

2. Der Antrag ist unbegründet. Eine – vorläufige – Weiterbeschäftigung der Klägerin setzt den Bestand des Arbeitsverhältnisses voraus. Wie unter I. ausgeführt, endete das Arbeitsverhältnis der Parteien zum 31. Dezember 2013 aufgrund wirksamer Befristung. Aufgrund dieses erstinstanzlich für die Klägerin negativen Urteils überwiegen die Interessen des Arbeitgebers auf Nichtbeschäftigung (vgl. BAG GS 27. Februar 1985 – GS 1/84 – unter C I 3 c der Gründe, zit. nach juris).

B. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Streitwertentscheidung bestimmt sich nach § 42 Abs. 2 S. 1 GKG. Es werden für den Entfristungsantrag drei Bruttomonatsgehälter und für den unbedingt gestellten Weiterbeschäftigungsantrag ein weiteres Gehalt in Ansatz gebracht.

 

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