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Vorerkrankung keine Fortsetzungserkrankung bei bestehender Arbeitsunfähigkeit

LAG Berlin-Brandenburg, Az.: 6 Sa 2098/14, Urteil vom 17.04.2015

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 21.10.2014 – 8 Ca 11633/13 – wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte hat die Kosten der Berufung zu tragen.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten im Zusammenhang mit dem von der Klägerin geltend gemachten Anspruch auf Entgeltfortzahlung für den Zeitraum ihrer Arbeitsunfähigkeit vom 4. April 2013 bis zum 16. Mai 2013 darüber, ob es sich bei der Erkrankung der Klägerin in diesem Zeitraum um eine Fortsetzungserkrankung handelt.

Die Klägerin ist seit dem 17. Dezember 2007 bei der Beklagten als Krankenschwester zu einem Stundenbruttolohn in Höhe von 12,89 € mit 38,5 Wochenstunden beschäftigt.

Die Klägerin erlitt am 9. August 2012 einen Wegeunfall, aufgrund dessen sie seit dem 10. August 2012 arbeitsunfähig war. Die Bescheinigung der T. Krankenkasse, der Krankenkasse der Klägerin, vom 22. Mai 2013 weist eine Arbeitsunfähigkeit vom 10. August 2012 bis zum 7. März 2013 aus. Als Diagnose weist die Bescheinigung eine Verstauchung und Zerrung der Lenden- sowie der Halswirbelsäule, einen Tinnitus aurium und sonstige „näher bezeichnete“ Hypothyreose aus. Weiter ist in der Diagnose festgehalten: „Erstmanifestation einer multiplen Sklerose“. Weiter weist die Bescheinigung einen Arbeitsunfähigkeitszeitraum vom 8. März 2013 bis zum 28. März 2013 mit der Diagnose „Verstauchung und Zerrung der Halswirbelsäule“ aus.

Seit November 2012 befindet sich die Klägerin wegen ihrer Multiplen Sklerose in der Behandlung des Arztes für Neurologie und Psychiatrie, Herrn R. H.. Im September 2012 teilte die Klägerin dem Geschäftsführer der Beklagten die Diagnose „Multiple Sklerose“ mit. Im Rahmen eines Wiedereingliederungsgespräches am 3. Dezember 2012 äußerte die Klägerin, dass sie zur Führung eines Kraftfahrzeuges nicht in der Lage sei. In einer SMS vom 27. März 2013 an eine Mitarbeiterin der Beklagten teilte die Klägerin mit, „die volle Dosis erreicht“ zu haben und ab demselben Tag Physiotherapie zu erhalten.

In der Zeit vom 29. März bis zum 3. April 2013 war die Klägerin weder arbeitsunfähig geschrieben, noch ging sie ihrer Arbeit nach, sondern fehlte stattdessen unentschuldigt an zwei Tagen. Anschließend war die Klägerin erneut für den streitgegenständlichen Zeitraum vom 4. April 2013 bis zum 28. Mai 2013 arbeitsunfähig krankgeschrieben, diesmal wegen der Multiplen Sklerose mit vorherrschend schubförmigem Verlauf. Ausgestellt wurde die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung von dem die Klägerin wegen ihrer Multiplen Sklerose behandelnden Arzt, R. H.. Am 7. Mai 2013 forderte die Beklagte die Klägerin auf, für den Zeitraum vom 28. März bis zum 3. April 2013 eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung beizubringen, was erfolglos blieb, wie die Klägerin der Beklagten am 8. Mai 2013 mitteilte.

Die Klägerin hat behauptet, in dem Zeitraum vom 10. August 2012 bis zum 28. März 2013 nicht aufgrund ihrer Multiplen Sklerose arbeitsunfähig erkrankt gewesen zu sein. Für den Zeitraum bis zum 7. März 2013 sei die Multiple Sklerose lediglich als Erstmanifestation diagnostiziert worden, ohne dass zur Arbeitsunfähigkeit selbst führende Krankheitsschübe aufgrund der Multiplen Sklerose vorgelegen hätten. Dies folge zum einen aus den unterschiedlichen Diagnoseschlüsseln G350 für die Erstmanifestation und G3510 für die zur Arbeitsunfähigkeit führende Erkrankung der Multiplen Sklerose und zum anderen daraus, dass die Diagnose für den Zeitraum vom 8. März 2013 bis zum 28. März 2013 nicht auf die Multiple Sklerose verweise. Die erstmalige Diagnose der Multiplen Sklerose sei im November 2012 als Gelegenheitsbefund anlässlich des Wegeunfalles vom 9. August 2012 erfolgt. Sie habe bis zum 3. April 2013 nicht zu einer Arbeitsunfähigkeit geführt. Sie könne und dürfe bis heute ein Kfz führen, wozu sie sich lediglich Ende November/Anfang Dezember 2012 aus psychischen Gründen nicht in der Lage gesehen habe, was sie dem Geschäftsführer der Beklagten mitgeteilt habe. Im Zeitraum 29. März 2013 bis zum 3. April 2013 sei sie arbeitsfähig gewesen. Es handele sich daher bei der Erkrankung für den streitgegenständlichen Zeitraum nicht um eine Folgeerkrankung, so dass ihr für diesen Zeitraum für sechs Wochen vom 4. April 2013 bis zum 16. Mai 2013 der der Höhe nach zwischen den Parteien unstreitige Entgeltfortzahlungsanspruch zustehe.

Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie 2.977,59 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.06.2013 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat behauptet, die Klägerin sei seit dem 10. August 2012 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Arbeitsunfähig sei sie auch in der Zeit vom 29. März 2013 bis zum 3. April 2013 gewesen. Tatsachen dafür, dass sie in diesem Zeitraum ihre Arbeitsfähigkeit wiedererlangt habe, habe die Klägerin nicht vorgetragen. Bereits die diagnostizierte Erstmanifestation der Multiplen Sklerose habe einen Krankheitswert gehabt, der zur Arbeitsunfähigkeit geführt habe. Die Multiple Sklerose habe spätestens im Dezember 2012 dazu geführt, dass die Klägerin kein Kraftfahrzeug mehr habe führen können, was zu ihren vertraglich geschuldeten Tätigkeiten gehöre. Selbst davon ausgehend, dass die Klägerin nicht durchgehend arbeitsunfähig gewesen sei, beruhe die Arbeitsunfähigkeit ab dem 4. April 2013 auf demselben Grundleiden, der Multiplen Sklerose.

Das Arbeitsgericht Berlin hat die Beklagte mit Urteil vom 21. Oktober 2014 nach Beweiserhebung durch Vernehmung des Zeugen H. zur Zahlung von 2.977,59 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18. Juni 2013 verurteilt. Den darüber hinausgehenden Zinsantrag hat das Arbeitsgericht zurückgewiesen. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht ausgeführt, dass die Klägerin zwar ausweislich der Bescheinigung der Krankenkasse vom 22. Mai 2013 bereits im Zeitraum August 2012 bis März 2013 an Multipler Sklerose erkrankt gewesen sei, jedoch sei die Erkrankung nicht mit der Arbeitsunfähigkeit gleichzusetzen. Der Zeuge H. habe glaubhaft bekundet, dass die Klägerin erstmals am 8. November 2011 in seiner Behandlung gewesen sei und zwar Symptome der Multiplen Sklerose aufgewiesen habe, diese jedoch innerhalb weniger Tage aufgrund einer von dem Zeugen verabreichten Kortisonstosstherapie abgeklungen seien. Allenfalls hinsichtlich dieser Tage könne eine Arbeitsunfähigkeit infolge der Multiplen Sklerose angenommen werden. für den weiteren Zeitraum bis einschließlich März 2013 habe der Zeuge eine Arbeitsunfähigkeit der Klägerin aufgrund deren Multipler Sklerose nicht bekundet. Aufgrund des Endes der Krankschreibung mit dem 28. März 2013 könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin auch im Zeitraum vom 29. März bis zum 3. April 2013 arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei. Bei der dann anschließenden Erkrankung aufgrund der multiplen Sklerose ab dem 4. April 2014 handele es sich daher um eine Neuerkrankung, die den Entgeltfortzahlungsanspruch der Klägerin ausgelöst habe. Hinsichtlich der weiteren Ausführungen des Arbeitsgerichts wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils, Bl. 126 ff. d. A., verwiesen.

Der Zeuge H. hatte zuvor auf schriftliche Befragung des Gerichts auf Grundlage des Arztberichts des Unfallkrankenhaus Berlin vom 12. Oktober 2012, Bl. 90 ff d. A., angegeben, dass die den Verdacht einer bestehenden Multiplen Sklerose begründenden Veränderungen nebenbefundlich entdeckt worden seien.

Gegen das der Beklagten am 31. Oktober 2014 zugestellte Urteile richtet sich die am 17. November 2014 beim Landesarbeitsgericht eingegangene und mit am 30. Dezember 2014 eingegangenen Schriftsatz begründete Berufung.

Mit der Berufung macht die Beklagte geltend, dass die Arbeitsunfähigkeit zwar zunächst auf einem Unfall beruht habe aber noch während dieser unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit die Klägerin an Multipler Sklerose erkrankt sei, was für sich genommen wiederum zur Arbeitsunfähigkeit geführt habe. Diese Arbeitsunfähigkeit habe auch im Zeitraum 29. März bis 3. April 2014 bestanden. Die Ansicht des Arbeitsgerichts, dass die Arbeitsunfähigkeit mit Ablauf der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit geendet habe, sei unter keinem Gesichtspunkt vertretbar. Die Klägerin hätte für diesen Zeitraum ihre Arbeitsfähigkeit darlegen müssen. Dafür, dass die Klägerin bereits während der ersten Arbeitsunfähigkeit aufgrund von Multipler Sklerose erkrankt sei, hätte das Arbeitsgericht auch die weiteren von ihr benannten Zeugen hören müssen.

Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 21.10.2014 – 8 Ca 11633/13 – abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin und Berufungsbeklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin wiederholt ihr Vorbringen, dass die Arbeitsunfähigkeit vom 9. August 2012 bis einschließlich 28. März 2013 allein auf dem Wegeunfall beruhe. Bei der Erkrankung vom 4. April 2013 handele es sich um eine Neuerkrankung, was auch aus dem Diagnoseschlüssel G3510 folge, der bei den vorangegangenen Arbeitsunfähigkeiten nicht verwandt worden sei. Da die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin allein bis zum 28. März 2013 attestiert worden ist, habe die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin auch mit dem Ende der attestierten Arbeitsunfähigkeit geendet.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in zweiter Instanz wird auf den vorgetragenen Inhalt der im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig.

Die Berufung ist gem. §§ 8Abs. 2, 64 Abs. 1 und 2 b ArbGG statthaft und form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 519, 520 Abs. 1 und 3 ZPO, § 66 Abs. 1 Satz 1 und 2 ArbGG).

II.

Die Berufung hat jedoch in der Sache keinen Erfolg, da das Arbeitsgericht im Ergebnis zu Recht den Anspruch der Klägerin auf Entgeltfortzahlung für den streitgegenständlichen Zeitraum in zwischen den Parteien rechnerisch unstreitiger Höhe bejaht hat.

1. Die Klägerin hat gegen die Beklagte Anspruch auf Zahlung der der Höhe nach unstreitigen Entgeltfortzahlung aus § 3Abs.1 Satz 1 in Verbindung mit § 4 Abs. 1 EFZG.

1.1 Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG hat ein Arbeitnehmer, der durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert wird, ohne dass ihn ein Verschulden trifft, Anspruch auf Entgeltfortzahlung für die Dauer von bis zu sechs Wochen.

Dass die Klägerin für den streitgegenständlichen Zeitraum, beginnend mit dem 4. April 2013, ohne ihr Verschulden infolge der Erkrankung an Multipler Sklerose arbeitsunfähig erkrankt war, ist zwischen den Parteien unstreitig, so dass der Klägerin für diesen Zeitraum für die Dauer von sechs Wochen grundsätzlich ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung zusteht.

1.2 Bei der ab dem 4. April 2013 vorliegenden Arbeitsunfähigkeit der Klägerin handelt es sich entgegen der Behauptung der Beklagten nicht um eine den Entgeltfortzahlungsanspruch der Klägerin ausschließende Fortsetzungserkrankung.

1.2.1 Ist dieselbe Krankheit Ursache für die erneute Arbeitsunfähigkeit, liegt eine Fortsetzungserkrankung vor. In diesem Fall entsteht die Leistungspflicht des Arbeitgebers nicht mit jeder einzelnen Erkrankung von neuem. Nach § 3 Abs. 1 Satz 2 EFZG besteht bei Fortsetzungserkrankungen ein neuer Entgeltfortsetzungsanspruchs nur, wenn der Arbeitnehmer vor der erneuten Arbeitsunfähigkeit mindestens sechs Monate infolge derselben Krankheit arbeitsunfähig war (Nr. 1) oder seit Beginn der ersten Arbeitsunfähigkeit infolge derselben Krankheit eine Frist von 12 Monaten abgelaufen ist (Nr. 2), was vorliegend unstreitig nicht der Fall ist.

Eine Fortsetzungserkrankung liegt vor, wenn die Krankheit, auf der die frühere Arbeitsunfähigkeit beruhte, in der Zeit zwischen dem Ende der vorausgegangenen und dem Beginn der neuen Arbeitsunfähigkeit medizinisch nicht vollständig ausgeheilt war, sondern als Grundleiden latent weiter bestanden hat, so dass die neue Erkrankung nur eine Fortsetzung der früheren Erkrankung darstellt. Die wiederholte Arbeitsunfähigkeit muss auf demselben, nicht behobenen Grundleiden, beruhen (BAG vom 13.07.2005 – 5 AZR 389/04, AP Nr. 25 zu § 3 EZFG).

Ist der Arbeitnehmer innerhalb der Zeiträume des § 3 Abs. 1 Satz 2 EFZG länger als sechs Wochen arbeitsunfähig, muss er vorbringen, dass keine Fortsetzungserkrankung vorgelegen hat. Wird dies vom Arbeitgeber bestritten, obliegt dem Arbeitnehmer die Darlegung der Tatsachen, die den Schluss erlauben, es habe keine Fortsetzungserkrankung vorgelegen. Der Arbeitnehmer hat dabei die ihn behandelnden Ärzte und seine Krankenkasse von der Schweigepflicht zu entbinden. Sodann ist es Sache des Arbeitgebers, konkret zu erwidern und den Nachweis der Fortsetzungserkrankung zu führen, da er die objektive Beweislast für das Vorliegen einer Fortsetzungserkrankung zu tragen hat. Den Arbeitgeber treffen die Folgen der Nichterweislichkeit einer Fortsetzungserkrankung (BAG vom 13.07.2005 a. a. O.; Hessisches LAG vom 24.10.2012 – 2 Sa 70/10, juris m. w. N.).

Für die Annahme einer Folgeerkrankung im Sinne von § 3 Abs. 1 EFZG in dem streitgegenständlichen Zeitraum ist daher erforderlich, dass die vorangegangene Arbeitsunfähigkeit der Klägerin in den Zeitraum 10. August 2012 bis zum 28. März 2013 ebenfalls auf deren Multiplen Sklerose beruht.

Vorliegend behauptet die Klägerin, dass ihre Arbeitsunfähigkeit während des Zeitraums vom 10. August 2012 bis zum 28. März 2013 Folge des von ihr am 9. August 2012 erlittenen Wegeunfalls ist. Zumindest für den Beginn der Arbeitsunfähigkeit hat die Beklagte dies mit ihrer Berufungsbegründung, dort Seite 3 Rn. 4, unstreitig gestellt. Dies folgt im Weiteren auch aus der Bescheinigung der Krankenkasse vom 22. Mai 2013, in der als Diagnose für die Arbeitsunfähigkeit die Verstauchung und Zerrung der Lenden- und Halswirbelsäule sowie der Tinnitus aurium angegeben sind. Soweit die Bescheinigung darüber hinaus mit dem Diagnoseschlüssel „G350“ die Erstmanifestation einer multiplen Sklerose beinhaltet, handelt es sich dabei allein um die Diagnose der Erkrankungen einer Multiplen Sklerose, ohne dass hierauf die Arbeitsunfähigkeit beruht, was bereits, worauf die Klägerin zutreffend hingewiesen hat, daraus folgt, dass die unstreitig zur Arbeitsunfähigkeit führende schubweise Multiple Sklerose vom 4. April 2013 bis zum 28. Mai 2013 mit dem Diagnoseschlüssel „G3510“ versehen ist. Das nicht die Multiple Sklerose Grund der Arbeitsunfähigkeit der Klägerin bis zum 28. März 2013 war folgt auch aus den der weiterhin der Arbeitsunfähigkeit für den Zeitraum vom 8. März 2013 bis zum 28. März 2013 zugrunde liegenden Diagnose, die allein die Verstauchung und Zerrung der Halswirbelsäule anführt. Entsprechend hat auch der von dem Arbeitsgericht zunächst schriftlich befragte Zeuge, der die Klägerin behandelnde Neurologe Herr R. H., auf Grundlage des Arztberichtes des Unfallkrankenhauses Berlin vom 12. Oktober 2012, Bl. 90 ff. d. A., angegeben, dass die Multiple Sklerose während der stationäre Behandlung der Klägerin in dem Zeitraum vom 14. September 2012 bis zum 23. September 2012 infolge des Unfalls allein nebenbefundlich entdeckt worden ist.

Allein der Umstand, dass die Klägerin bereits während ihrer ersten Arbeitsunfähigkeit (auch) an Multipler Sklerose erkrankt war, begründet nicht die Annahme einer Fortsetzungserkrankung. Krankheit im medizinischen Sinne ist jeder regelwidrige körperliche oder geistige Zustand. Die Krankheit ist, worauf das Arbeitsgericht zutreffend hingewiesen hat, nicht gleichzusetzen mit der Arbeitsunfähigkeit. Arbeitsunfähig infolge Krankheit ist der Arbeitnehmer dann, wenn ein Krankheitsgeschehen ihn außer Stand setzt, die ihm nach dem Arbeitsvertrag obliegende Arbeit zu verrichten, oder wenn er die Arbeit nur unter der Gefahr fortsetzen könnte, in absehbar naher Zeit seinen Zustand zu verschlimmern (BAG vom 07.08.1991 – 5 AZR 410/90, NZA 1992, 69). Entgegen der Ansicht der Beklagten begründet allein die Diagnose der Multiplen Sklerose, einer chronischen Erkrankung, genauso wenig die Annahme einer darauf beruhenden Arbeitsunfähigkeit wie die Diagnose anderer chronischen Erkrankungen.

Stellt die Beklagte selber unstreitig, dass die durchgehende Arbeitsunfähigkeit der Klägerin im Zeitraum vom 10. August 2013 bis zum 28. März 2013 zumindest anfangs auf den Unfallfolgen beruhte und wird dieses durch obige Erwägungen bestätigt, steht dies der Annahme einer Folgeerkrankung im streitgegenständlichen Zeitraum entgegen.

1.2.2 Dahingestellt bleiben kann, ob die Klägerin in der Zeit bis zum 28. März 2013 entsprechend der Behauptung der Beklagten neben der bereits bestehenden Arbeitsunfähigkeit infolge des Wegeunfalls auch arbeitsunfähig an ihrer Multiplen Sklerose erkrankt ist.

Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG ist auch dann auf die Dauer von sechs Wochen seit Beginn der Arbeitsunfähigkeit begrenzt, wenn während einer bestehender Arbeitsunfähigkeit eine neue Krankheit auftritt, die ebenfalls zur Arbeitsunfähigkeit führt. In diesem Fall kann der Arbeitnehmer bei entsprechender Dauer der durch beide Erkrankungen verursachten Arbeitsverhinderung die Sechswochenfrist nur einmal in Anspruch nehmen (Grundsatz der Einheit des Verhinderungsfalls). Tritt eine Krankheit, die sich später als Fortsetzungserkrankung herausstellt, zu einer bereits bestehenden, zur Arbeitsunfähigkeit führenden Krankheit hinzu und dauert sie über deren Ende hinaus an, ist sie für die Zeit, in der sie die alleinige Ursache der Arbeitsunfähigkeit war, als Teil der späteren Fortsetzungserkrankung zu werten (BAG vom 13.07.2005, a. a. O.). Eine Vorerkrankung kann jedoch dann nicht als Teil einer Fortsetzungserkrankung angesehen werden, wenn sie lediglich zu einer bereits bestehenden, ihrerseits zur Arbeitsunfähigkeit führenden Krankheit hinzugetreten ist, ohne einen eigenen Anspruch auf Lohnfortzahlung auszulösen (BAG vom 19.06.1991 – 5 AZR 304/90 zu dem insoweit identischen § 1 LFZG a.F., NZA 1991, 894). Die Begrenzung des Entgeltfortzahlungsanspruchs auf 6 Wochen für die auf derselben Krankheit beruhenden Arbeitsunfähigkeit innerhalb der Jahresfrist des § 3 Abs. 1 Satz 2 EFZG beruht auf einer besonderen Zumutbarkeitserwägung des Gesetzgebers und soll den Arbeitgeber entlasten. Dieses Schutzes bedarf es dann nicht, wenn die Vorerkrankung keinen Entgeltfortzahlungsanspruch begründet hat. In diesem Fall stellt sich die spätere auf demselben Grundleiden beruhende Arbeitsunfähigkeit als auf einer selbständigen Krankheit beruhend dar, die einen neuen Lohnfortzahlungsanspruch des Versicherten ausgelöst hat (BAG, a. a. O).

War die Klägerin seit dem 10. August 2013 aufgrund der Folgen des Wegeunfalls arbeitsunfähig erkrankt, endete der sechswöchige Entgeltfortzahlungszeitraum am 20.09.2013 ohne das die Klägerin Entgeltfortzahlung infolge einer etwa auf ihrer Multiplen Sklerose beruhenden Arbeitsunfähigkeit erhalten hat. Das die den Entgeltfortzahlungsanspruch auslösende Arbeitsunfähigkeit auf den Folgen des Wegeunfalls beruht, ist zwischen den Parteien unstreitig, s. o. unter Pkt. 1.2.1.

Dass die auf diesen Erkrankungen beruhende Arbeitsunfähigkeit innerhalb des Sechswochenzeitraums endete und die Klägerin noch innerhalb dieses Zeitraumes arbeitsunfähig auf Grund ihrer Multiplen Sklerose erkrankte, behauptet die Beklagte nicht. Ihre Behauptung beschränkt sich darauf, dass während der Arbeitsunfähigkeit der Klägerin die bei ihr diagnostizierte Multiple Sklerose ebenfalls zur Arbeitsunfähigkeit geführt habe. Soweit sie hierzu konkretere Tatsachen vorträgt, wie die Äußerung der Klägerin im Wiedereingliederungsgespräch am 3. Dezember 2012 über ihre Fahrtüchtigkeit und ihre SMS vom 27. März 2013, liegen diese alle nach dem Ende der 6-wöchigen Entgeltfortzahlungszeitraum.

Es kann daher offen bleiben, ob die Klägerin nach Ablauf der Entgeltfortzahlung am 20. September 2013 infolge ihrer Multiplen Sklerose arbeitsunfähig erkrankte, da dies bis zur erneuten Erkrankung am 4. April 2013 keinen darauf gestützten Entgeltfortzahlungsanspruch ausgelöst hat. Es bedurfte daher auch keiner Beweiserhebung durch die die Klägerin behandelnden Ärzte.

2. Aufgrund ihres Unterliegens mit der Berufung hat die Beklagte gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Berufung zu tragen.

Gründe für die Zulassung der Revision gem. § 72 Abs. 2 ArbGG gegen die am Einzelfall orientierte und unter Beachtung der höchstrichterlichen Rechtsprechung ergangene Entscheidung ohne grundsätzliche Bedeutung bestand rechtlich kein begründeter Anlass.

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