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Vorsorgliche betriebsbedingte Kündigung

ArbG Köln – Az.: 8 Ca 4564/19 – Urteil vom 14.11.2019

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die  Kündigung der Beklagten vom 27.06.2019 aufgelöst wird.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt  die Beklagte.

3. Der Streitwert wird festgesetzt auf 16.250,01 Euro.

4. Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer betriebsbedingt begründeten Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses.

Die Beklagte betreibt ein …

Gemeinsam mit der …, die ihre Hauptverwaltung und ihren Sitz in … hat, ist die Beklagte die letzte verbliebene große … in Deutschland.

Die am 03.08.1970 geborene Klägerin, die keine Unterhaltsverpflichtungen hat, ist bei der Beklagten seit dem 01.09.1990 beschäftigt und zuletzt als Produktmanagerin im Bereich Brandmanagement auf Abteilungsleiterebene der Hauptverwaltung der Beklagten tätig. Sie erhält eine regelmäßige Bruttomonatsvergütung von 4.900 Euro und erzielt eine durchschnittliche Bruttojahresvergütung von insgesamt ca. 65.000.- Euro.

Auf das Arbeitsverhältnis finden die Tarifverträge für den Einzelhandel NRW kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme Anwendung. Die Beklagte ist auch Mitglied im Arbeitgeberverband (Handelsverband Deutschland HDE e. V.), ist dort jedoch nach eigenen Angaben Anfang des Jahres 2019 in eine OT-Mitgliedschaft gewechselt.

Maßgeblicher Gesellschafter der Beklagten war in den letzten Jahren das kanadische Unternehmen … Im Jahr 2018 veröffentlichte die Beklagte gemeinsam mit dem bisherigen Hauptkonkurrenten … in der Presse, dass die beiden Unternehmen sich künftig zusammenschließen wollen. Es wurde hierzu eine gemeinsame Holding-Gesellschaft mit Sitz in Luxemburg gegründet, an welcher die österreichische …, maßgebliche Gesellschafterin von …, zunächst 50,01 Prozent der Anteile hielt und … 49,99 Prozent. Im Sommer 2019 wurde eine vollständige Übernahme der Anteile durch … bekannt gegeben.

Im Januar 2019 gab die Beklagte ihren Mitarbeitern und der Öffentlichkeit bekannt, dass die Gesellschafter der Beklagten beschlossen hätten, im Zuge des Zusammenschlusses von … und … den Großteil der Service- und Verwaltungsaufgaben der Hauptverwaltung künftig konzernintern bei der … in Essen anzusiedeln. Vor diesem Hintergrund habe die Geschäftsführung der Beklagten die unternehmerische Entscheidung getroffen, den Betrieb der Hauptverwaltung in Köln weitestgehend – mit Ausnahme der Bereiche/Abteilungen „GPS“ („… Personalservice“), „Product Management“, „Digital Analytics“, „Performance Marketing“ und „Dynamic Sales“ – zu schließen. Infolge dessen sollen künftig in der Hauptverwaltung der Beklagten in Köln lediglich noch ca. 180 der zuvor ca. 1450 Arbeitsplätze erhalten bleiben. Die Teilbetriebsschließung der Hauptverwaltung solle grundsätzlich zum 31.12.2019 erfolgen; abweichend hiervon sollen jedoch einige Bereiche/Abteilungen erst zu einem späteren Zeitpunkt geschlossen werden. Hierbei handele es sich um den Bereich „Bilanzen/Rechnungswesen/Treasury“, den Bereich „HR – Abteilung Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz“ und den Bereich „Bau & Facility Management – gewerbliche Mitarbeiter (Handwerker Servicecenter). In den Bereichen/Abteilungen, die bereits zum 31.12.2019 geschlossen werden, werden auch nach dem 31.12.2019 noch jedenfalls Arbeiten zur „Übergabe und Abwicklung“ sowie zur „Aufrechterhaltung der Betriebssicherheit“ anfallen.

Nach erstmaliger Information des Gesamtbetriebsrats am 25.01.2019 und in der Folgezeit durchgeführten weiteren Informationsterminen fanden ab dem 15.03.2019 Verhandlungen zu einem Interessenausgleich und Sozialplan statt zwischen der Beklagten und ihrem Gesamtbetriebsrat statt. Im Zuge dieser Verhandlungen wurden dem Gesamtbetriebsrat Informationen und Präsentationen zur Verfügung gestellt.

Jeweils unter dem 15.05.2019 wurde zwischen der Beklagten und dem Gesamtbetriebsrat ein Interessenausgleich und Sozialplan geschlossen. Wegen der Einzelheiten wird auf den als Anlage B1 und B2 beklagtenseitig jeweils im Volltext zur Gerichtsakte gereichten Interessensausgleich und Sozialplan Bezug genommen.

Zunächst wird in der Präambel der hohe Wettbewerbsdruck im Warenhauseinzelhandel aufgrund verändertem Konsumverhalten der Kunden im Zuge der Digitalisierung ausgeführt. Alsdann enthält der Interessenausgleich, der ausweislich seiner Regelung zum Geltungsbereich (§ 1) für alle Betriebe der Beklagten gilt, umfangreiche Regelungen für die Bereiche Vertrieb (§ 3), Facility Management (§ 4) sowie Lebensmittel(§ 5).

Es folgen alsdann in § 6 des Interessenausgleichs Regelungen für die „Hauptverwaltung“.

Hier lautet § 6 des Interessenausgleichs auszugsweise:

„I. Beschreibung der Maßnahmen

1.

Der Betrieb der Hauptverwaltung wird mit Ausnahme der Betriebsteile

–  … Personalservice (GPS)

–  Product Management

–  Digital Analytics

–  Performance marketing

–  Dynamic Sales

geschlossen.

(…)

II. Durchführung der Maßnahmen

1.

(…)

2.

Infolge der Einstellung des Geschäftsbetriebs der „Rest-Hauptverwaltung“ wird für die dort beschäftigten Mitarbeiter der Beschäftigungsbedarf sowie die Beschäftigungsmöglichkeit dauerhaft entfallen.

Der erforderliche Personalabbau wird nach Prüfung ggf. bestehender Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten sowie durch Ausspruch betriebsbedingter Kündigungen unter Beachtung der individuellen Kündigungsfristen und vorbehaltlich eines ggf. bestehenden Sonderkündigungsschutzes erfolgen.

Die Kündigungen können ab Juni 2019 unter Beachtung der individuellen Kündigungsfristen und vorbehaltlich eines ggf. bestehenden Sonderkündigungsschutzes frühestens mit Wirkung zum 30.09.2019 ausgesprochen werden; soweit für einzelne Bereiche / Abteilungen hiervon abweichende früheste (sic) Beendigungstermine gelten sollen, ergeben sich diese aus der Anlage HV 1. … wird spätestens drei Wochen, bevor er Kündigungen von Mitarbeitern in einem Arbeitsbereich ausspricht, den Betriebsrat und die Mitarbeiter dieses Bereichs über die anstehenden Kündigungen informieren.“

Alsdann folgen in § 7 des Interessenausgleichs Sonderregelungen für Auszubildende.

Sodann regelt § 8 Ziffer 3 des Interessenausgleichs unter der Überschrift „Allgemeine Bestimmungen zur Durchführung der Maßnahmen“:

Soweit zur Durchführung der Maßnahmen eine Sozialauswahl erforderlich ist, vereinbaren die Parteien hierzu eine Auswahlrichtlinie im Sinne der § 95 BetrVG und § 1 Abs. 4 KSchG, das die sozialen Gesichtspunkte nach § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG im Verhältnis zueinander gemäß folgendem Punkteschema bewertet:

Betriebszugehörigkeit

Bis 10 Dienstjahre je Dienstjahr        1 Punkt

Danach je Dienstjahr          2 Punkte

(Maximalpunktzahl 70)

Lebensalter

Jedes vollendete Lebensjahr        1 Punkt

(Maximalpunktzahl 60)

Gesetzliche Unterhaltspflichten

Für Ehegatten / eingetr. Lebenspartner      4 Punkte

Je Kind (unterhaltsber.)          5 Punkte

Schwerbehinderung

Grad der Behinderung ab 30 je 10 Grad      1 Punkt

Die Zulässigkeit der Herausnahme von Arbeitnehmern aus der Sozialauswahl gemäß § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG bleibt unberührt.“

Sodann regelt im Anschluss § 9 des Interessenausgleichs unter der Überschrift“Beteiligungsrechte der Betriebsräte“:

1.

Die Parteien sind sich darüber einig, dass die Verhandlungen über einen Interessenausgleich (…) beendet sind.

2.

Da der Ablauf der Maßnahmen aus betrieblicher Veranlassung noch Veränderungen unterliegen kann, sind sich die Parteien darüber einig, dass eventuelle zeitliche Verzögerungen oder Abweichungen in der Personalkapazität aufgrund natürlicher Personalfluktuation keine Abweichung von diesem Interessenausgleich darstellen. DER GBR wird über etwaige Änderungen rechtzeitig unter Vorlage der entsprechenden Unterlagen informiert.

3.

(…) (Mitarbeiterlisten)

4.

Der GBR ist im Rahmen der Information und Präsentation der geplanten und hier beschriebenen Maßnahme und im Zuge dieser Interessenausgleichsverhandlungen vollständig und ordnungsgemäß im Sinne des § 17 Abs. 2 KSchG über die geplanten Maßnahmen unterrichtet worden und haben (sic) sämtliche Informationen zu den geplanten Maßnahmen sowie eine vollständige Personalliste, aus der sich die Berufsgruppen der beschäftigten und der betroffenen Mitarbeiter ergeben haben, auch schriftlich vor Abschluss dieses Interessenausgleichs erhalten. Das Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG ist somit abgeschlossen. Dieser Interessenausgleich gilt gleichzeitig als Stellungnahme gegenüber der Bundesagentur für Arbeit i. S. d. § 17 Abs. 3 KSchG. Der GBR sieht über die erfolgten Beratungen und Bestimmungen zu diesem Interessenausgleich hinaus keine weiteren Möglichkeiten, die geplanten Maßnahmen zu vermeiden.

5.

Weitere Beteiligungsrechte des örtlichen Betriebsrates, insbesondere nach den §§ 99, 102 BetrVG bleiben von dieser Vereinbarung unberührt.“

Der örtliche Betriebsrat der Hauptverwaltung unterzeichnete den Interessenausgleich und Sozialplan nicht. Die Vorsitzende des örtlichen Betriebsrats der Hauptverwaltung hatte zuvor in ihrer Eigenschaft als Mitglied des Gesamtbetriebsrats an den Verhandlungen teilgenommen.

Eine Namensliste i. S. des § 1 Abs. 5 KSchG enthält der Interessenausgleich nicht.

Der zeitgleich abgeschlossene Sozialplan sieht einen Abfindungsfaktor von grundsätzlich 0,5 Bruttomonatsgehältern pro Beschäftigungsjahr vor, gedeckelt auf maximal 18 Gehälter. Für rentennahe Jahrgänge ist eine Sonderregelung mit einer reduzierten Abfindung, gemessen am tatsächlichen Einkommensverlust bis zur erstmaligen ungekürzten Bezugnahmemöglichkeit von Altersrente, vorgesehen.

Am 06.06.2019 informierte die Beklagte durch Herr ihren Personalleiter Herrn … … den Betriebsrat – sowie nach Angaben der Beklagten im Kammertermin auch die Mitarbeiter der jeweiligen Bereiche – über die anstehenden Kündigungen.

Mit an den Gesamtbetriebsrat gerichtetem Schreiben vom 11.06.2019 sowie entsprechendem Schreiben an den örtlichen Betriebsrat der Hauptverwaltung ebenfalls vom 11.06.2019 leitete die Beklagte vorsorglich nochmals ein Konsultationsverfahren gegenüber beiden Gremien ein.

Aufgrund aufgetretener Schwierigkeiten bei der Terminsfindung – der örtliche Betriebsrat konnte einen Gesprächstermin erstmalig am 28.06.2019 anbieten – brach die Beklagte das vorsorglich nochmals eingeleitete Konsultationsverfahren auch gegenüber dem örtlichen Betriebsrat der Hauptverwaltung ab und berief sich darauf, dass aufgrund der Regelung in § 9 des Interessenausgleichs mit dem GBR das Konsultationsverfahren abgeschlossen sei.

Der örtliche Betriebsrat der Hauptverwaltung wurde am 19.06.2019 gemäß § 102 BetrVG zu den beabsichtigten Kündigungen angehört. Insofern wurde der Betriebsratsanhörung eine Mitarbeiterliste beigefügt, welche nach Angaben der Beklagten der hisigen Anlage B3 entsprechen soll, welche in der Ausfertigung für das Gericht und die Klägerseite – unstreitig – nur sehr schwer lesbar ist aufgrund der äußerst geringen Schriftgröße.

Hierzu ist in der schriftlichen Betriebsratsanhörung ausgeführt:

„Die Anlage (Stand: 18. Juni 2019) enthält eine Aufstellung sämtlicher Mitarbeiter der Hauptverwaltung und deren Sozialdaten.

Die Mitarbeiter, deren Arbeitsverhältnis im Juni 2019 (bzw. am nächstmöglichen Termin nach Vorliegen etwaig erforderlicher behördlicher Zustimmungen) gekündigt werden sollen und zu deren Kündigung der Betriebsrat mit dem vorliegenden Schreiben angehört werden soll, sind in der Spalte „Kündigung“ mit einem „X“ markiert.

Mitarbeiter, deren Arbeitsverhältnisse nicht oder erst zu einem späteren Zeitpunkt gekündigt werden sollen, sind in der Spalte „Kündigung“ nicht mit einem „X“ markiert. Hierzu gehören insbesondere (…)

–  Mitarbeiter, deren Arbeitsplatz nach derzeitiger Planung nicht oder erst zu einem späteren Zeitpunkt wegfällt (…)

Auch Mitarbeiter, die in der Spalte „Kündigung“ mit einem „X“ markiert sind, werden im Monat Juni 2019 keine Kündigung erhalten, sofern sie spätestens am 26.06.2019 einen Arbeitsvertrag mit der … … … unterzeichnet haben und dies … bekannt gegeben wurde.

(…)“

Unter der Überschrift „Sozialauswahl“ ist zu Punkt 3 der Betriebsratsanhörung alsdann festgehalten:

„Eine Sozialauswahl zwischen den mit „X“ markierten Mitarbeitern und den nicht mit „X“ markierten Mitarbeitern wird nicht vorgenommen“.

Weiter heißt es hier:

„Mitarbeiter, die wie oben erläutert mit Übergabe- und Abwicklungsarbeiten betraut sein werden und deren Arbeitsverhältnisse zunächst über den 31.12.2019 fortbestehen, werden ebenfalls nicht in eine Sozialauswahl einbezogen. Soweit überhaupt eine Vergleichbarkeit mit anderen Mitarbeitern anzunehmen sein sollte, liegt die Weiterbeschäftigung der mit Übergabe- und Abwicklungsarbeiten betrauten Mitarbeiter jedenfalls im berechtigten betrieblichen Interesse, da nur so sichergestellt werden kann, dass die Übergabe- und Abwicklungsarbeiten ordnungsgemäß durchgeführt werden. Es handelt sich um Mitarbeiter mit besonderen Fähigkeiten und Kenntnissen in den betreffenden Bereichen, die für die Übergabe- und Abwicklungsarbeiten erforderlich sind; wir verweisen insoweit auf die Erläuterungen in der Anlage“.

In der Anlage (= hiesige äußerst schlecht lesbare Anlage B3) ist bei zahlreichen Mitarbeitern, die nicht mit einem „X“ gekennzeichnet sind und die daher nicht gekündigt wurden, zur Begründung schlicht angeführt, es handele sich um „leitende Angestellte“ und es sei ein „Aufhebungsvertrag in Verhandlung“.

Wegen der Einzelheiten wird auf die zur Gerichtsakte gereichte schriftliche Betriebsratsanhörung und – soweit lesbar – die Anlage B3 Bezug genommen.

Mit Schreiben vom 26.06.2019 widersprach der örtliche Betriebsrat der Hauptverwaltung der Kündigung der Klägerseite. Zur Begründung führt der örtliche Betriebsrat unter anderem aus, er sehe die Drei-Wochen-Frist nach § 6 Abs. 2 Interessenausgleich zur vorherigen Unterrichtung des Betriebsrats als nicht gewahrt an. Im übrigen bestünden freie Arbeitsplätze zur Weiterbeschäftigung der Klägerseite.

Am 26.06.2019 – insofern wurde der Eingang von der Agentur für Arbeit der Beklagten schriftlich bestätigt – erstattete die Beklagte eine Massenentlassungsanzeige hinsichtlich der wegen der Teilschließung der Hautverwaltung auszusprechenden Kündigungen bei der Agentur für Arbeit. Hierbei berief sich die Beklagte darauf, dass das Konsulationsverfahren nach ausdrücklicher Regelung im Interessenausgleich abgeschlossen sei. Die Zahl der im Betrieb der Hauptverwaltung der Beklagten tätigen Mitarbeiter gab die Beklagte mit 1.498 Arbeitnehmern (inklusive leitenden Angestellten und Geschäftsführern) an. Die Zahl der zu entlassenden Arbeitnehmer gab die Beklagte mit 1.345 an. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die als Anlage B7 beklagtenseitig zur Gerichtsakte gereichte Anlage Bezug genommen.

Mit Kündigungsschreiben vom 27.06.2019 erklärte die Beklagte gegenüber der Klägerseite die Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien zum 31.12.2019.

Die Klägerseite hat hiergegeben am 17.07.2019 Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht Köln erhoben.

Die klägerische Partei behauptet hierzu, dass die Kündigung der Beklagten bereits am 27.06.2019 zugegangen sei. Sie ist der Auffassung, dass die Kündigung aufgrund dieses verfrühten Kündigungszugangs rechtsunwirksam sei, da die Beklagte nach § 6 Abs. 2 Nr. 2 des Interessenausgleiches verpflichtet gewesen sei, spätestens drei Wochen bevor sie Kündigungen von Mitarbeitern ausspricht, den Betriebsrat und die Mitarbeiter dieses Bereichs über die anstehenden Kündigungen zu informieren. Die Nichtbefolgung dieser Verpflichtung aus dem Interessenausgleich führe zur Rechtsunwirksamkeit der Kündigung.

Ferner schließt sich die Klägerseite auch den weiteren Widerspruchsgründen des Betriebsrats an.

Die Klägerin ist der Ansicht, die Kündigung sei auch wegen fehlerhafter Massenentlassungsanzeige rechtsunwirksam. Sie ist der Ansicht, dass der örtliche Betriebsrat der Hauptverwaltung zur Durchführung des Konsulationsverfahrens zuständig gewesen sei. Dieses Konsultationsverfahren sei jedoch noch nicht abgeschlossen; damit lägen Voraussetzungen des § 17 Abs. 3 S. 3 KSchG derzeit noch nicht vor. Es seien nicht alle Auskünfte erteilt worden, so dass die zweiwöchige Frist des § 17 Abs. 3 S. 3 KSchG nicht abgelaufen sei.

Die Klägerin bestreitet das Vorliegen eines dringenden betrieblichen Erfordernisses. Der Beschäftigungsbedarf für die Tätigkeit der Klägerin falle nicht zum 31.12.2019 weg.

Ferner sei eine Weiterbeschäftigung der Klägerin über den 31.12.2019 hinaus jedenfalls auf einem anderen Arbeitsplatz in demselben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens möglich. Ausweislich des im Intranet veröffentlichten Aushangs gäbe es im Unternehmen der Beklagten diverse Stellen, die der Klägerin zugeteilt werden könnten. Diese Arbeitsplätze ständen zu großen Teilen auch über den 31.12.2019 hinaus zur Verfügung.

Weiter rügt die Klägerin die durchgeführte Sozialauswahl. Die Klägerin ist der Ansicht, die Beklagte hätte zwingend eine Sozialauswahl mit den über den 31.12.2019 hinaus weiterbeschäftigten Mitarbeitern durchführen müssen. Die Klägerin ist der Ansicht, in den Bereichen, in denen auch nach dem 31.12.2019 noch Aufgaben in der Hauptverwaltung Köln anfallen, weiterbeschäftigt werden zu können.

Die klagende Partei beantragt,  festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung  der Beklagten vom 27.06.2019 aufgelöst wird.

Die Beklagte beantragt,  die Klage abzuweisen.

Sie hält die ausgesprochene Kündigung für rechtmäßig.

Sie behauptet, das Kündigungsschreiben sei der Klägerin erst am 28.06.2019 zugegangen.

Die Beklagte trägt vor, ihre Gesellschafter hätten am 14.01.2019 die unternehmerische Entscheidung getroffen, den Großteil der Service- und Verwaltungsaufgaben der Hauptverwaltung künftig konzernintern bei der … in Essen anzusiedeln. Aufgrund dieser unternehmerischen Entscheidung entfalle der künftige Beschäftigungsbedarf für die Klägerseite. Der Tätigkeitsbereich der Klägerseite zähle nicht zu den Teilbereichen, die nicht geschlossen werden.

Entgegen der Auffassung der Klägerseite sei keine Sozialauswahl durchzuführen gewesen, da die Arbeitsverhältnisse sämtlicher Mitarbeiter, die mit der Klägerin vergleichbar seien, beendet werden würden.

Die über den 31.12.2019 hinaus für Abwicklungsarbeiten weiterbeschäftigten Mitarbeiter seien aufgrund ihrer „besonderen Fähigkeiten und Kenntnisse“ hierfür ausgewählt worden. Eine Sozialauswahl sei insofern nicht durchzuführen gewesen. Mit diesen Mitarbeitern habe man auch bereits Aufhebungsverträge geschlossen, die einen Beendigungstermin „nach dem 31.12.2019“ vorsähen. Die Beklagte beruft sich insofern auf die Anlage B3.

Eine Weiterbeschäftigung der Klägerin in den aufgeführten dauerhaft fortbestehenden Abteilungen/Bereichen scheide aus, da die Klägerin nicht über die hierfür erforderlichen Kenntnisse verfüge. Eine Einarbeitung beziehungsweise Umschulung der Klägerin wäre nur mit einer unzumutbaren Einarbeitungszeit zu bewerkstelligen. Die Beschäftigung der Klägerin in einem anderen Betrieb der Beklagten käme aus Mangel an vakanten Stellen in den einzelnen Filialen nicht in Betracht.

Die Beklagte behauptet, das Kündigungsschreiben sei der Klägerin erst am 28.06.2019 zugegangen. Sie ist der Auffassung, dass somit die § 6 Abs. 2 des Interessensausgleichs formulierte Drei-Wochen-Frist ohnehin gewahrt sei. Unabhängig davon führe dennoch selbst eine nicht erfolgte Einhaltung der Drei-Wochen-Frist nicht zur Rechtsfolge der Rechtsunwirksamkeit der Kündigung. Dem Wortlaut der Regelung im Interessenausgleich könne eine derartige Rechtsfolge gerade nicht entnommen werden.

Weiter ist die Beklagte der Ansicht, der Gesamtbetriebsrat und nicht die örtlichen Betriebsräte sei für das Konsulationsverfahren zuständig gewesen. Sie trägt hierzu vor, die – ganz überwiegende – Schließung der Hauptverwaltung sei untrennbar mit der Restrukturierung der Filialen verzahnt. Die Restrukturierungsmaßnahmen seien nicht getrennt voneinander beschlossen worden und hätten auch nicht getrennt voneinander beschlossen werden können, sondern erforderten eine überbetriebliche Koordinierung. Die Teilschließung der Hauptverwaltung sei Teil einer unternehmensweiten einheitlichen Maßnahme, gemeinsam mit einer umfassenden Restrukturierung der … der Beklagten mit einem einheitlich zur Verfügung gestellten Sozialplanvolumen. Aus diesem Grund habe die Beklagte mit dem zuständigen Gesamtbetriebsrat über einen Interessenausgleich und Sozialplan verhandelt. Der Gesamtbetriebsrat sei deshalb auch gemäß § 50 Abs. 1 BetrVG für die Konsultation zuständig gewesen

In der mündlichen Erörterung im Kammertermin am 14.11.2019 hat die Beklagte ergänzend ausgeführt, dass nunmehr Anfang November 2019 beschlossen worden sei, dass es bis Ende Januar 2020 zu einer Verschmelzung zwischen der Beklagten und der … kommen solle. Dies habe zum Kündigungszeitpunkt noch nicht festgestanden. Zum Kündigungszeitpunkt habe es noch verschiedene Optionen gegeben, etwa eine Betriebsübergangslösung oder Dienstleistungsverträge zwischen den beiden Gesellschaften. Nunmehr habe man sich für die Verschmelzungslösung entschieden.

Hinsichtlich der Sozialauswahl hat die Beklagte im Kammertermin auf gerichtliche Nachfrage nochmals ausdrücklich klargestellt, dass eine Sozialauswahl, insbesondere nach dem Punkteschema nach § 8 des Interessenausgleichs, vorliegend nicht durchgeführt worden ist. Die Beklagte verweist jedoch darauf, dass auch dann, wenn man eine Sozialauswahl durchgeführt hätte, nach Ansicht der Beklagten die hiesige Klägerseite zur Kündigung angestanden hätte. Daher könne sie sich nach Ansicht der Beklagten nicht auf eine fehlerhafte Sozialauswahl berufen.

Letztlich ist die Beklagte der Ansicht, ein Betriebsübergang gemäß § 613a BGB auf die … läge nicht vor. Da bei der … bereits zuvor eine feste Organisationsstruktur bestanden habe, könne nicht von einer Wahrung der betrieblichen Identität ausgegangen werden.

Wegen der Einzelheiten des Sach-und Streitstandes wird auf den Akteninhalt und insbesondere die Sitzungsprotokolle sowie die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien und deren Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Kündigungsschutzklage war begründet.

I.

Die streitgegenständliche ordentliche Kündigung hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst.

Sie ist rechtsunwirksam mangels sozialer Rechtfertigung nach § 1 KSchG.

Aufgrund der Beschäftigungsdauer der Klägerseite (über sechs Monate, § 1 Abs. 1 KSchG) sowie der Beschäftigtenzahl der Beklagten (ersichtlich kein Kleinbetrieb i. S. des § 23 KSchG) findet das Kündigungsschutzgesetz unzweifelhaft Anwendung.

Mithin bedurfte die streitgegenständliche Kündigung für ihre Rechtswirksamkeit einer sozialen Rechtfertigung in Form eines Kündigungsgrundes gemäß § 1 KSchG.

Die Beklagte beruft sich vorliegend auf dringende betriebliche Erfordernisse als Kündigungsgrund.

Entgegen der Rechtsansicht der Beklagten sind die Voraussetzungen einer rechtswirksamen betriebsbedingten Kündigung vorliegend jedoch nicht gegeben.

Nach § 1 KSchG setzt eine rechtswirksame betriebsbedingte Kündigung voraus, dass dringende betriebliche Erfordernisse gegeben sind, die einer Weiterbeschäftigung im Betrieb entgegen stehen (§ 1 Abs. 1 KSchG) und der Arbeitgeber die Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG ordnungsgemäß durchgeführt hat.

Vorliegend hat die Beklagte weder dargelegt, dass dringende betriebliche Erfordernisse gegeben sind, die einer Weiterbeschäftigung der Klägerseite nach Ablauf der Kündigungsfrist entgegen stehen, noch hat die Beklagte die Sozialauswahl entsprechend den Anforderungen des § 1 Abs. 3 KSchG ordnungsgemäß durchgeführt.

1.)

Es fehlt bereits an der Darlegung dringender betrieblicher Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung der Klägerseite nach Ablauf der Kündigungsfrist entgegen stehen.

Zwar kann eine unternehmerische Entscheidung, nach der in Form eines „konzerninternen Outsourcings“ Aufgaben auf ein anderes Unternehmen innerhalb eines Konzerns übertragen werden, grundsätzlich geeignet sein, ein dringendes betriebliches Erfordernis zum Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung darzustellen. Auch ist es nicht Aufgabe der Gerichte für Arbeitssachen, eine unternehmerische Entscheidung auf ihre Zweckmäßigkeit zu überprüfen. Aufgabe der Gerichte für Arbeitssachen ist es jedoch, eine ausgesprochene betriebsbedingte Kündigung auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen. Hierzu zählt die Prüfung, ob aufgrund einer arbeitgeberseitig vorgetragenen unternehmerischen Entscheidung der Beschäftigungsbedarf für den gekündigten Arbeitnehmer tatsächlich spätestens mit Ablauf der Kündigungsfrist entfällt. Die Gerichte für Arbeitssachen haben hierbei insbesondere zu prüfen, ob eine unternehmerische Entscheidung tatsächlich vorliegt und deren Umsetzung jedenfalls bereits „greifbare Formen angenommen“ hat zum Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs und ob aufgrund der Umsetzung dieser unternehmerischen Entscheidung tatsächlich der Beschäftigungsbedarf entfällt (z. B. BAG, Urteil vom 15.12.2011, 8 AZR 692/10, juris, Rn 40). Wenn eine Aufgabe künftig nicht entfällt, sondern lediglich anderweitig verteilt werden soll, trifft den Arbeitgeber insofern im Kündigungsschutzprozess eine gesteigerte Darlegungslast, konkret darzulegen, wie die bisher vom gekündigten Arbeitnehmer ausgeführten Arbeitsaufgaben künftig anderweitig verteilt werden sollen, ohne dass es zu überobligatorischer Mehrbelastung für andere Arbeitnehmer kommen soll. Regelmäßig ist insofern arbeitgeberseitig eine konkrete Aufstellung der Tätigkeiten und Aufgaben des gekündigten Arbeitnehmers – ggf. unter Darstellung prozentualer Anteile – erforderlich und eine ebenso konkrete Darstellung, wie und auf welche anderen Personen künftig diese Aufgaben verteilt werden sollen. Eine derartige Prognose muss der kündigende Arbeitgeber bereits zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs aufstellen können. Es ist demgegenüber gerade nicht ausreichend, wenn der Arbeitgeber zunächst Kündigungen ausspricht und erst später im Nachgang entscheidet, wie er die Arbeit künftig anderweitig verteilen möchte. Eine derartige Kündigung ist als sogenannte „Vorratskündigung“ rechtsunwirksam (z. B. BAG, Urteil vom 12.04.2002, 2 AZR 256/01, DB 2002, S. 2553 ff.)

Hiervon ausgehend hat die Beklagte nicht konkret dargelegt, dass bereits zum entscheidungserheblichen Kündigungszeitpunkt eine hinreichend konkrete Prognose aufgestellt werden konnte, dass nach Ablauf der Kündigungsfrist der künftige Beschäftigungsbedarf für die Klägerseite entfallen wird, weil die Aufgaben der Klägerseite künftig aufgrund konkreter bereits getroffener unternehmerischer Entscheidung anderweitig verteilt werden.

Es erschließt sich aus dem Vortrag der Beklagten nicht, wie die bisherigen Aufgaben der Klägerseite künftig verteilt werden sollen. Die Beklagtenseite beschränkt sich auf den pauschalen Vortrag, dass die Aufgaben, welche die Klägerseite bisher in der Hauptverwaltung der Beklagten in Köln ausgeübt hat, künftig im Rahmen des Zusammenschlusses mit der … von Mitarbeitern der … ausgeübt werden sollen. Der diesbezügliche Vortrag wird jedoch in keiner Weise konkretisiert.

Vielmehr trägt die Beklagtenseite selbst im Kammertermin vor, dass man sich nunmehr – erst im November 2019 – entsprechend der kurz vor dem Kammertermin erfolgten Presseveröffentlichung dazu entschieden habe, dass es spätestens bis Ende Januar 2020 zu einer Verschmelzung zwischen der Beklagten und der … kommen solle. Zuvor – zum Kündigungszeitpunkt – habe dies noch nicht festgestanden, sondern es habe noch diverse Überlegungen bezüglich etwaiger Betriebsübergangslösungen, Dienstleistungsverträge oder einer Verschmelzung gegeben, wobei man sich später – Monate nach Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung erst im November 2019 – für die Verschmelzung entschieden habe.

Damit zeigt der Beklagtenvortrag, dass es zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs Ende Juni 2019 gerade noch keine hinreichend konkrete unternehmerische Entscheidung gab, die bereits „greifbare Formen“ angenommen hätte. Es wurden vorliegend erst die Kündigungen ausgesprochen und erst danach wurde die unternehmerische Entscheidung konkretisiert. Der Gesetzgeber verlangt in § 1 KSchG jedoch genau die umgekehrte Reihenfolge: Ein Arbeitgeber muss zunächst eine konkrete unternehmerische Entscheidung treffen, aufgrund derer künftig Beschäftigungsbedarf entfällt. Dann darf er in Umsetzung dieser unternehmerischen Entscheidung grundsätzlich betriebsbedingte Kündigungen aussprechen. Nicht zulässig ist demgegenüber die entgegengesetzte Reihenfolge, zunächst „vorsorglich“ zur Wahrung der Kündigungsfristen Kündigungen auszusprechen und erst später während der laufenden Kündigungsfrist die konkrete unternehmerische Entscheidung zu treffen, wie der Beschäftigungsbedarf künftig verteilt werden soll. Derartige Kündigungen – wie die vorliegende – sind als sogenannte „Vorratskündigung“ rechtsunwirksam.

Die Beklagte trägt gerade nicht vor, dass man etwa bereits zum Kündigungszeitpunkt durch konkrete Dienstleistungsverträge mit der Karstadt Warenhaus GmbH sichergestellt hätte, dass diese nach Ablauf der Kündigungsfrist durch eigenes Personal die bisher von der Klägerseite erledigten Hauptverwaltungs-Aufgaben, die auch nach Ablauf der Kündigungsfrist unzweifelhaft und unstreitig weiter anfallen, künftig erledigt.

Auch soweit nunmehr im Kammertermin dargestellt wurde, dass es nunmehr „spätestens zum 31.01.2020“ zu einer Verschmelzung der Beklagten mit der … kommen soll, stellt sich die Frage, was zumindest für den Monat Januar 2020 hinsichtlich der bisherigen Aufgaben der Klägerseite geschehen soll. Diese Aufgaben fallen auch im Januar 2020 – vor der Verschmelzung – weiter an. Gekündigt wurde jedoch bereits zum 31.12.2019.

Wer die konkrete Aufgabe der Klägerin als „Produktmanager Brandmarketing“ – die unstreitig und unzweifelhaft auch nach dem 01.01.2020 anfällt – ab dem 01.01.2020 ausführen soll bzw. die diese Aufgabe künftig verteilt werden soll, trägt die Beklagte nicht ansatzweise konkret vor. Der pauschale Vortrag, die Aufgabe werde künftig „von Karstadt übernommen“ ist zur Begründung eines dringenden betrieblichen Erfordernisses nicht ausreichend.

2.)

Die Kündigung ist auch wegen fehlerhafter Sozialauswahl gemäß § 1 Abs. 3 KSchG rechtsunwirksam.

Die – unstreitige – Nichtdurchführung einer Sozialauswahl seitens der Beklagten war rechtsfehlerhaft.

Die Beklagte hätte jedenfalls hinsichtlich derjenigen Mitarbeiter, welche über den 31.12.2019 hinaus wegen angeblicher „Abwicklungs- und Übergabearbeiten“ weiterbeschäftigt werden, eine Sozialauswahl mit der Klägerseite durchführen müssen.

Führt ein Arbeitgeber eine Betriebsstillegung in Etappen durch, muss er für jede Einzelne dieser Etappen eine gesonderte Sozialauswahl durchführen (BAG, Urteil vom 16.09.1982, 2 AZR 211/80, AP Nr. 4 zu § 22 KO; LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 11.01.2013, 9 Sa 421/12, juris). Auch die Auswahlentscheidung, wer länger beschäftigt wird und erst zu einem späteren Zeitpunkt vom Verlust seines Arbeitsplatzes betroffen sein soll, hat grundsätzlich nach sozialen Auswahlkriterien gemäß § 1 Abs. 3 KSchG zu erfolgen. Der Arbeitgeber muss bei seiner Auswahlentscheidung soziale Gesichtspunkte auch dann berücksichtigen, wenn nur noch einige Arbeitnehmer mit Abwicklungsarbeiten beschäftigt werden sollen (BAG 16.09.1982, a. a. O.; LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 13.12.2018, 5 Sa 1257/18, juris).

Dies ist vorliegend unstreitig nicht erfolgt.

Die Beklagte trägt selbst vor, sie habe die Auswahlentscheidung, wer über den 31.12.2019 hinaus beschäftigt wird für vermeintliche – nicht näher bezeichnete – „Übergabe- und Abwicklungsarbeiten“, nicht nach sozialen Kriterien, sondern allein nach „Leistungskriterien“ durchgeführt. Eine Sozialauswahl – insbesondere eine Sozialauswahl unter Berücksichtigung des mit dem GBR in § 8 des Interessenausgleichs vom 15.05.2019 vereinbarten Punkteschemas und der dortigen Auswahlrichtlinie – ist unstreitig gerade nicht erfolgt, dies hat die Beklagte auf Befragen im Kammertermin nochmals ausdrücklich klargestellt.

Zwar ist der Arbeitgeber grundsätzlich nach § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG berechtigt, einzelne Arbeitnehmer aus der Sozialauswahl als sogenannte „Leistungsträger“ aus der Sozialauswahl herauszunehmen, wenn „deren Weiterbeschäftigung, insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebs, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt“. Insofern ermöglicht § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG jedoch lediglich die ausnahmsweise Herausnahme einzelner Leistungsträger aus der Sozialauswahl. § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG ermöglicht demgegenüber dem Arbeitgeber gerade nicht, das gesetzliche Regel-Ausnahme-Verhältnis komplett umzukehren und seine Auswahlentscheidung ausschließlich auf Leistungsgesichtspunkte und nicht auf soziale Gesichtspunkte zu stützen.Genau dies ist vorliegend jedoch geschehen.

Auch hat der Arbeitgeber, der sich auf die Leistungsträgerklausel des § 1 Abs. 3Satz 2 KSchG berufen möchte, im Kündigungsschutzprozess substantiiert darzulegen, aufgrund welcher konkreten Tatsachen der konkrete Arbeitnehmer, der ausnahmsweise aus der Sozialauswahl herausgenommen werden soll, über – konkret zu bezeichnende – Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen verfügen soll, die für eine künftige Fortführung des Geschäftsbetriebs unverzichtbar für den Arbeitgeber sein sollen. Der vorliegende pauschale Beklagtenvortrag, dass die Weiterbeschäftigung der mit Abwicklungsarbeiten über den 31.12.2019 hinaus beschäftigten Mitarbeiter aufgrund derer – nicht näher bezeichneten – „Fähigkeiten und Kenntnisse“ erfolge, genügt dem ersichtlich nicht ansatzweise.

Auch soweit sich die Beklagte diesbezüglich auf die „Anlage B3“ beruft, genügt sie ihrer Darlegungslast nicht ansatzweise. Zum einen ist grundsätzlich erforderlich, entscheidungserheblichen Sachvortrag bereits im Schriftsatz vorzutragen. Ein pauschales Bezugnehmen auf eine Anlage ist grundsätzlich gerade nicht ausreichend. Dies gilt um so mehr, wenn es sich um umfangreiche Anlagen handelt. Denn im Zivilprozess gilt gerade kein Amtsermittlungsgrundsatz. Es ist gerade nicht Aufgabe des Gerichts, sich etwaige entscheidungserhebliche Tatsachen aus umfangreichen Anlagen quasi von Amts wegen heraus zu suchen, sondern es ist vielmehr Aufgabe der jeweiligen darlegungsbelasteten Partei – d. h. hinsichtlich der Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG der kündigenden Arbeitgeberin -, den entscheidungserheblichen Tatsachenvortrag schriftsätzlich darzustellen.

Dies gilt um so mehr, als die beklagtenseitig vorgelegte Anlage B3 schon aufgrund ihrer extrem geringen Schriftgröße in ihren Einzelheiten gar nicht lesbar ist. Als PDF-Datei war insofern auch eine Vergrößerung ohne Qualitätsverlust der einzelnen Schriftzeichen nicht möglich. Die Beklagtenseite hat im Kammertermin auch unstreitig gestellt, dass die Anlage B3 nicht lesbar ist. Die Vorlage einer nicht lesbaren Anlage ist zivilprozessual gänzlich ungeeignet.

Soweit die Beklagtenseite der Klägerseite auf deren Rüge der Sozialauswahl lediglich eine nicht lesbare Anlage B3 zur Verfügung gestellt hat, ist damit auch der Auskunftsanspruch der Klägerseite nach § 1 Abs. 3 Satz 1 letzter Halbsatz KSchG, nicht erfüllt und die Kündigung auch bereits aus diesem Grunde rechtsunwirksam.

Soweit – unter größeren Anstrengungen – die Anlage B3 jedenfalls teilweise entziffert werden konnte, fiel auf, wie im Kammertermin erörtert, dass z. B. bei einzelnen nicht mit einem „X“ gekennzeichneten und damit nicht zur Kündigung anstehenden Mitarbeitern als Begründung lediglich z. B. „Sonderaufgabe“ schlagwortartig angegeben ist. Insofern erfüllt auch die Anlage B3 – würde man sie als berücksichtigungsfähigen Arbeitgebervortrag ansehen – ersichtlich nicht die gesetzlichen Anforderungen an eine detaillierte Darlegung der Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG seitens des kündigenden Arbeitgebers.

Da die Beklagte insgesamt gar keine Sozialauswahl durchgeführt hat, konnten sich die gekündigten Arbeitnehmer auch auf die fehlerhafte Sozialauswahl berufen. Bei einer vollständig unterbliebenen Sozialauswahl besteht eine Vermutungswirkung dahingehend, dass die Kündigung wegen fehlerhafter Sozialauswahl rechtsunwirksam ist.

Zwar gilt nach der Rechtsprechung des BAG, dass auch dann, wenn der Arbeitgeber eine nach § 1 Abs. 3 KSchG gebotene Sozialauswahl unterlassen hat, die Kündigung dennoch nicht sozial ungerechtfertigt sein kann, wenn mit ihr – zufällig – eine im Ergebnis vertretbare Auswahlentscheidung getroffen wurde (BAG, Urteil vom 27.07.2017, 2 AZR 476/16, juris, Rn 41; BAG Urteil vom 21.05.2015, 8 AZR 409/13, juris, Rn 61). Der Arbeitgeber hat jedoch in solchen Fällen im Kündigungsschutzprozess darzulegen, dass und aus welchen Gründen soziale Gesichtspunkte gegenüber dem klagenden Arbeitnehmer deshalb ausreichend berücksichtigt wurden, weil ihm selbst dann, wenn ein seitens des Arbeitnehmers gerügter Auswahlfehler unterblieben wäre, gekündigt worden wäre.

Eine derartige Darlegung ist seitens der Beklagten nicht erfolgt. Zwar beruft sich die Beklagte nunmehr nachträglich schriftsätzlich auf eine „fiktive Sozialauswahl“. Dass die Klägerseite aufgrund eines – von der Beklagten schriftsätzlich behaupteten, aber nicht näher – insbesondere nicht näher im Vergleich zu anderen Arbeitnehmern – dargelegten Punktewertes ohnehin im Ergebnis gekündigt worden wäre, ist nicht ersichtlich. Dies war schon deswegen nicht nachvollziehbar, da die Beklagtenvertreter hierbei offenbar von einer Differenzierung in verschiedene Vergleichsgruppen „Abteilungsleiter, Substitute und Sachbearbeiter“ ausgehen. Eine derartige Vergleichsgruppenbildung wurde jedoch gar nicht vorgenommen bei der Auswahlentscheidung und ergibt sich auch nicht aus der mit dem GBR vereinbarten Auswahlrichtlinie. Sie erscheint auch bereits deswegen fragwürdig, weil eine außergewöhnliche Vielzahl von Mitarbeitern mit Sachbearbeitungsfunktionen (z. B. Einkäufer) der „Abteilungsleiterebene“ zugeordnet werden sollen.

Entscheidend ist, dass die Auswahlentscheidung der Beklagten, wer aus in den grundsätzlich in Köln in der Hauptverwaltung künftig wegfallenden Bereichen dennoch weiterbeschäftigt werden soll, sei es auch nur für „Übergabe- und Abwicklungsarbeiten“ bzw. zur „Aufrechterhaltung der Betriebssicherheit“, ausschließlich wegen vermeintlicher „besonderer Fähigkeiten und Kenntnisse“ erfolgt ist, und gerade nicht unter Berücksichtigung sozialer Kriterien.

Dass sämtliche hiernach als „Leistungsträger“ weiterbeschäftigte Mitarbeiter nach ihren Sozialdaten sozial schützenswerter wären als die hiesige Klägerseite, trägt die Beklagte gerade nicht vor.

Die Sozialauswahl ist vorliegend gerade nicht wegen eines einzelnen „Auswahlfehlers“ der Beklagten fehlerhaft, sondern sie ist vollkommen unterblieben und die Beklagte hat ihre Auswahlentscheidung ausschließlich unter „Leistungsgesichtspunkten“ und gerade nicht unter sozialen Kriterien vorgenommen. Weder die Sozialauswahlkriterien nach § 1 Abs. 3 KSchG noch das in § 8 des Interessenausgleichs vereinbarte Punkteschema haben für die Auswahlentscheidung irgendeine Rolle gespielt.

Zu einer anderweitigen „fiktiven“ Sozialauswahl wurde auch der örtliche Betriebsrat nicht nach § 102 BetrVG angehört. Dem Betriebsrat wurde vielmehr im Gegenteil mitgeteilt, dass eine Sozialauswahl zwischen den mit „X“ gekennzeichneten Mitarbeitern einerseits und den nicht mit „X“ gekennzeichneten Mitarbeitern andererseits gerade nicht durchgeführt wurde.

Dahinstehen kann, ob es sich rechtlich auswirken würde, wenn mit sämtlichen weiterbeschäftigten Arbeitnehmern bereits Aufhebungsverträge geschlossen worden wären. Denn dies hat die Beklagte zwar schriftsätzlich pauschal behauptet, dies entspricht aber ersichtlich nicht den Tatsachen. In der Anlage B3 ist bei einer Vielzahl von weiterbeschäftigten Mitarbeitern lediglich vermerkt, dass mit diesen ein „Aufhebungsvertrag in Verhandlung“ sei. Damit war mit diesen Mitarbeitern jedenfalls zum Kündigungszeitpunkt gerade noch kein Aufhebungsvertrag geschlossen.

Völlig unsubstantiiert ist der Vortrag der Beklagten auch dahingehend, zu welchem Zeitpunkt eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit den Mitarbeitern vereinbart sein soll, mit denen bereits Aufhebungsverträge geschlossen sein sollen. Die Beklagte beschränkt sich auf den Vortrag, dass ein Beendigungsdatum „nach dem 31.12.2019“ vereinbart sein soll. Dies kann sehr kurz nach dem 31.01.2019 sein, aber prinzipiell auch sogar einige Jahre später liegen. Da jedoch bereits dann, wenn einzelne Mitarbeiter nur für Abwicklungsarbeiten einen kurzen Zeitraum weiterbeschäftigt werden, eine Betriebsstillegung lediglich in Etappen vorliegt, hinsichtlich derer für die Auswahlentscheidung, wer für die Abwicklungsarbeiten – ggf. nur einige Wochen oder Monate – weiterbeschäftigt wird, eine Sozialauswahl vorzunehmen ist, kam es hieraus nicht mehr entscheidungserheblich an.

3.)

Der Gesetzgeber ermöglicht dem Arbeitgeber bei einer größeren Betriebsänderung, gemäß § 1 Abs. 5 KSchG mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich mit Namensliste zu vereinbaren. Dann wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist und die Sozialauswahl kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit gerichtlich überprüft werden. Eine Namensliste i. S. des § 1 Abs. 5 KSchG enthält der Interessenausgleich vom 15.05.2019 jedoch unstreitig nicht. Jedenfalls außerhalb einer Kündigung mit Interessenausgleich mit Namensliste ist es jedoch nach der Konzeption des § 1 KSchG ausgeschlossen, eine Auswahlentscheidung bei einer größeren Betriebsänderung mit wie vorliegend ca. 1500 betroffenen Arbeitnehmern lediglich dahingehend durchzuführen, dass in einer Excel-Tabelle diejenigen Mitarbeiter, die gekündigt werden sollen, mit einem  „X“ gekennzeichnet werden und diejenigen Mitarbeiter, die man nicht kündigen möchte, kein „X“ erhalten. Hier wären vielmehr nach § 1 Abs. 3 KSchG zwingend soziale Gesichtspunkte zu berücksichtigen gewesen, was vorliegend vollständig unterblieben ist, so dass die streitgegenständliche Kündigung insofern evident rechtsunwirksam ist.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO i. V. m. § 46 Abs. 2 ArbGG. Hiernach hatte die Beklagte als unterlegene Partei des Rechtsstreits die Kosten zu tragen.

Der gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil festzusetzende Streitwert wurde auf insgesamt drei Bruttomonatsgehälter als Regelstreitwert für den Kündigungsschutzantrag (§ 42 Abs. 2 Satz 1 GKG) festgesetzt.

Gründe, die Berufung gemäß § 64 Abs. 3, Abs. 3 a ArbGG gesondert zuzulassen, waren nicht gegeben.

 

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