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Wann hat Arbeitnehmer Anspruch auf unbezahlten Sonderurlaub

Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern – Az.: 5 Sa 83/21 – Urteil vom 17.06.2021

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stralsund vom 09.03.2021 – 1 Ca 276/20 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Gewährung von unbezahltem Sonderurlaub zwecks Mitarbeit im Familienbetrieb.

Die im Juni 1977 geborene Klägerin ist seit dem 20.09.2006 bei der Beklagten beschäftigt. Sie war zuletzt im Jobcenter A-Stadt als Sachbearbeiterin Unterhaltsheranziehung eingesetzt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Tarifvertrag der Bundesagentur für Arbeit (TV-BA) Anwendung. Die Klägerin ist Volljuristin und in der Tätigkeitsebene IV des TV-BA eingruppiert, was zuletzt einem monatlichen Gehalt von € 4.789,96 brutto entsprach.

Wann hat Arbeitnehmer Anspruch auf unbezahlten Sonderurlaub
(Symbolfoto: Pretty Vectors/Shutterstock.com)

Mit Schreiben vom 07.08.2019 beantragte die Klägerin unbezahlten Sonderurlaub für den Zeitraum vom 01.10.2019 bis zum 30.09.2020, um in dem Unternehmen ihres Ehemanns, einem in A-Stadt ansässigen Bestattungshaus, mitzuarbeiten und den akuten Personalmangel im Betrieb aufzufangen. Zur Begründung verwies sie auf die gegenseitige Verantwortung innerhalb der ehelichen Lebensgemeinschaft (§ 1353 Abs. 1 Satz 2 BGB) sowie die Sicherung des Familienunterhalts. Die Beklagte bewilligte der Klägerin daraufhin am 05.09.2019 unbezahlten Sonderurlaub für die Dauer eines Jahres vom 01.12.2019 bis zum 30.11.2020. Die Klägerin schloss sodann einen Arbeitsvertrag mit ihrem Ehemann und übernahm in dem Bestattungshaus Buchhaltungstätigkeiten, die Büroorganisation, die Betreuung der Angehörigen einschließlich der Trauergespräche und der Erstellung von Trauerreden, die Kontrolle der Arbeitsabläufe sowie die verwaltungsmäßige Abarbeitung der Sterbefälle nebst Erledigung aller Formalitäten.

Mit Schreiben vom 23.08.2020 beantragte die Klägerin die Verlängerung des unbezahlten Sonderurlaubs um ein weiteres Jahr bis zum 30.11.2021. Sie begründete den Antrag mit den bislang erfolglos gebliebenen Bemühungen zur Einstellung weiterer Arbeitskräfte und der deshalb weiterhin erforderlichen Mitarbeit im Bestattungshaus. Die Beklagte führte daraufhin mit der Klägerin am 08.09.2020 ein Gespräch, in dem sie ihr eine letztmalige Freistellung bis zum 30.06.2021 anbot. Die Klägerin erbat sich eine Bedenkzeit und lehnte nach Rücksprache mit ihrem Ehemann den Vorschlag der Beklagten mit Schreiben vom 11.09.2020 ab. Zugleich erweiterte sie ihren Antrag auf den Zeitraum bis zum 31.12.2022, um der Beklagten ggf. mehr Planungssicherheit zu geben. Die Beklagte versagte sodann unter dem 24.09.2020 eine Bewilligung von unbezahltem Sonderurlaub und forderte die Klägerin auf, den Dienst am 01.12.2020 wieder anzutreten.

Am 22.10.2020 beantragte die Klägerin beim Arbeitsgericht Stralsund (1 Ga 3/20) den Erlass einer einstweiligen Verfügung auf Gewährung von Sonderurlaub vom 01.12.2020 bis zum 31.12.2022, hilfsweise zu verschiedenen vorherigen Terminen. Am 11.11.2020 hat sie das Hauptsacheverfahren anhängig gemacht.

In dem Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung (1 Ga 3/20) haben die Parteien beim Arbeitsrecht Stralsund am 01.12.2020 den folgenden Vergleich geschlossen:

„…

1. Die Parteien sind sich ohne Präjudiz für die Sach- und Rechtslage darüber einig, dass der Sonderurlaub der Klägerin ohne Bezüge bis zum 30.06.2021 fortgesetzt wird.

2. Die Parteien sind sich darüber einig, dass es der Klägerin nachgelassen bleibt, über diesen Zeitpunkt hinausgehende Ansprüche im Rahmen des Hauptsacheverfahrens weiter zu verfolgen.

3. Damit ist der Rechtsstreit beendet.

…“

Die Klägerin hat erstinstanzlich die Ansicht vertreten, dass ein wichtiger Grund im Sinne des Tarifvertrages für eine Verlängerung des unbezahlten Sonderurlaubs vorliege. Durch die Personalausfälle im Unternehmen des Ehemanns sei eine existenzgefährdende Situation eingetreten, die eine weitere Mitarbeit der Klägerin zwingend erfordere. Der Ehemann beschäftige in dem Unternehmen regelmäßig zwei Vollzeitkräfte im Außendienst sowie mehrere geringfügig Beschäftigte. Das Arbeitsverhältnis eines der Vollzeitmitarbeiter habe durch Eigenkündigung nach einem Bandscheibenvorfall zum 15.11.2020 geendet. Bei der anderen Vollzeitkraft habe Ende November 2020 ein medizinischer Eingriff angestanden. Trotz stetiger Stellenausschreibungen sei es nicht gelungen, die aktuell stark angespannte Personalsituation zu verbessern. Die Bewerberinnen und Bewerber – im Jahr 2020 insgesamt 16 – seien entweder schon von vornherein nach dem Anforderungsprofil ungeeignet gewesen oder sie seien nicht bereit gewesen, Rufbereitschaft an Wochenenden und Feiertagen zu übernehmen, oder es habe sich deren Nichteignung in der Erprobungsphase herausgestellt. Die Covid-19-Pandemie habe die Situation nochmals verschärft, zum einen wegen der zusätzlich erforderlichen Hygienemaßnahmen und zum anderen wegen der erhöhten Infektionsgefahr für die Beschäftigten. Die Beklagte habe das ihr zustehende Ermessen nicht oder jedenfalls nicht fehlerfrei ausgeübt. Das Interesse der Klägerin an dem Sonderurlaub sei hinreichend gewichtig und schutzwürdig. Auch nach den internen Durchführungsanweisungen zum TV-BA könne sich ein wichtiger Grund für einen Sonderurlaub aus Familienpflichten ergeben, z. B. bei einer befristeten auswärtigen Berufstätigkeit des Ehepartners. Die Situation der Klägerin sei keine andere, da sie ihrem Ehemann in einer betrieblichen Notlage beizustehen habe. Soweit sich die Beklagte auf das rentenbedingte Ausscheiden zweier Mitarbeiter im Bereich SGG (Widerspruchsstelle) berufe, sei schon nicht dargelegt, wann dies der Fall sein solle. Es obliege dem Arbeitgeber, für ausreichend Personal zu sorgen. Die Klägerin bestreitet, dass es für die Beklagte schwierig sei, Ersatzpersonal zu finden. Solche Bemühungen der Beklagten seien ihr jedenfalls nicht bekannt. Es werde auch keine Folgeanträge der Klägerin geben, da bis Ende 2022 eine Besserung der Lage absehbar sei. Die Klägerin strebe keinen Wechsel ihres Arbeitgebers an, sondern nehme nur ihre eheliche Beistandspflicht zur Sicherung des Familienunterhalts wahr. Darüber hinaus verstoße die Beklagte gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, da sie einer anderen Mitarbeiterin einen insgesamt 3-jährigen Sonderurlaub für den Betrieb einer Marina gewährt habe.

Die Klägerin hat unter Berücksichtigung des bereits durch Prozessvergleich bis zum 30.06.2021 gewährten Sonderurlaubs erstinstanzlich zuletzt beantragt, die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Sonderurlaub vom 01.07.2021 bis zum 31.12.2022, hilfsweise bis zum 30.11.2021, zu gewähren.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Es fehle schon an einem wichtigen Grund für die Gewährung von Sonderurlaub. Allgemeine Risiken von selbstständig tätigen Ehepartnern der Beschäftigten seien nicht dazu geeignet, Sonderurlaub zu rechtfertigen. Die Beklagte bestreitet, dass der Sonderurlaub für die Existenzsicherung des Bestattungshauses erforderlich sei. Der Beklagten sei es nicht zuzumuten, einen unbefristeten Arbeitsplatz über mehrere Jahre hinweg freizuhalten, um Mitarbeitern eine Tätigkeit in anderen Unternehmen zu ermöglichen. Die Beklagte habe ebenfalls Schwierigkeiten, Personal zu finden, erst recht wenn sie nur eine wenig attraktive befristete Stelle ausschreiben könne. Im Bereich SGG scheide eine Mitarbeiterin zum 01.06.2021 aus, eine weitere Mitarbeiterin zum 01.10.2021. Diese Stellen seien nachzubesetzen. Die Einarbeitung externer Mitarbeiter sei in diesem Bereich langwierig, da im Widerspruchsverfahren sowohl der Leistungsbereich als auch der Bereich Markt & Integration geprüft werde. Die Einarbeitung nehme mindestens 6 Monate in Anspruch und binde in dieser Zeit andere Beschäftigte. Die Klägerin sei schon bei ihrem ersten Sonderurlaubsantrag davon ausgegangen, dass sich die Personalsituation binnen eines Jahres ändern werde. Nach ihrem Vorbringen habe sich die Situation jetzt sogar noch verschärft. Es sei überhaupt nicht erkennbar, dass und weshalb sich daran in der nächsten Zeit etwas ändern sollte, wenn dies schon nicht in den zurückliegenden eineinhalb Jahren gelungen sei. Letztlich verlange die Klägerin von der Beklagten, Personal als Ersatz für sie einzustellen, weil dies – aus welchen Gründen auch immer – im Unternehmen des Ehemanns nicht gelinge. Im Übrigen suche das Bestattungshaus in den Stellenanzeigen Mitarbeiter für ganz andere Aufgaben als sie die Klägerin wahrnehme. Soweit sich die Klägerin auf die Sicherung des Familienunterhalts berufe, könne sie diesen jedenfalls mit dem bei der Beklagten bezogenen Gehalt bestreiten. Die Beklagte habe den Interessen der Klägerin durch eine Freistellung von mittlerweile 1 Jahr und 7 Monaten hinreichend Rechnung getragen. Der Gleichbehandlungsgrundsatz sei nicht verletzt. Die Beklagte habe zwar einer anderen Mitarbeiterin Sonderurlaub gewährt. Es handele sich jedoch um einen nicht vergleichbaren Einzelfall. Damals habe es infolge der Umstrukturierung der Jobcenter einen Personalüberhang gegeben. Das Arbeitsverhältnis mit dieser Mitarbeiterin sei am 01.05.2019 beendet worden.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass die Beklagte ermessensfehlerfrei über den Sonderurlaubsantrag der Klägerin entschieden habe. Ein Arbeitsvertrag verpflichte den Arbeitnehmer, die vereinbarte Arbeitsleistung zu erbringen. Gerade deshalb sei der Vertrag geschlossen worden. Eine Freistellung von der Arbeitsleistung komme nur ausnahmsweise in Betracht. Die Beklagte habe der Klägerin bereits über einen Zeitraum von 1 Jahr und 7 Monaten Sonderurlaub gewährt. Wenn der Ehemann schon über einen derart langen Zeitraum kein neues Personal gefunden habe, stelle sich die Frage, weshalb dies nunmehr gelingen solle. Zudem habe die Klägerin nicht dargelegt, dass das Bestattungshaus ohne ihre Mitarbeit schließen müsse. Es müsse möglicherweise seinen Geschäftsbetrieb einschränken, solange es keine geeigneten Mitarbeiter finde. Die Familie der Klägerin sei jedenfalls nicht in ihrer Existenz gefährdet, da das Einkommen der Klägerin bei der Beklagten für einen angemessenen Lebensunterhalt ausreiche.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer frist- und formgerecht eingelegten und begründeten Berufung. Das Arbeitsgericht habe nicht berücksichtigt, dass es sich nur um einen vorübergehenden Personalengpass im Betrieb des Ehemanns handele, der eben auch mit dem erhöhten Erkrankungsrisiko für Bestatter während der Corona-Pandemie zusammenhänge. Mit der zunehmenden Immunisierung der Bevölkerung werde das Erkrankungsrisiko jedoch abnehmen, sodass es demnächst leichter sein werde, Personal zu finden. Ohne die Mitarbeit der Klägerin müsse das Bestattungshaus voraussichtlich gänzlich schließen. Die anderen Mitarbeiter seien nicht in der Lage, die Aufgaben der Klägerin zu übernehmen. Für die Tätigkeit einer Bestattungsfachkraft sei eine 3-jährige Ausbildung nötig. Bei Mitarbeitern ohne eine solche Ausbildung sei eine langfristige und umfangreiche Einarbeitung erforderlich. Die Klägerin sei familienrechtlich zur Mitarbeit verpflichtet, wenn dies zur Sicherung des Familienunterhalts geboten sei. Ehe und Familie stünden unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung (Art. 6 Abs. 1 GG). Die Beklagte könne hingegen noch eine gewisse Zeit auf die Arbeitsleistung der Klägerin verzichten, da die Anzahl der Verfahren in der Widerspruchsstelle stark rückläufig sei.

Die Klägerin beantragt, unter Abänderung des am 09.03.2021 verkündeten Urteils des Arbeitsgerichtes Stralsund, Az.: 1 Ca 276/20, die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Sonderurlaub vom 01.07.2021 bis zum 31.12.2022, hilfsweise bis zum 30.11.2021, zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Sie verteidigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts. Eine langjährige Freistellung widerspreche dem Sinn und Zweck eines Arbeitsverhältnisses, das auf den Austausch von Arbeitsleistung gegen Vergütung gerichtet sei. Die Klägerin habe bis heute nicht nachvollziehbar und schlüssig vorgetragen, warum ausschließlich ihr weiterer Einsatz im Bestattungshaus notwendig sei, um dessen gewerbliche Existenz sowie die wirtschaftliche Existenz der Familie zu sichern. Ebenso wenig sei erkennbar, warum es ihrem Ehemann in mehr als eineinhalb Jahren nicht gelungen sei, seinen Gewerbebetrieb unter Berücksichtigung der seit langem bekannten Personalprobleme neu zu organisieren und zu strukturieren. Die Beklagte habe jedenfalls den Ehemann der Klägerin bei der Personalsuche umfangreich unterstützt. Sie habe in den zurückliegenden Jahren mehrere Stellenangebote für ihn bearbeitet und sogar einen Eingliederungszuschuss für 9 Monate bewilligt. Soweit die Klägerin pandemiebedingte Ängste von Stellenbewerbern anführe, gelte dies jedenfalls nicht für die Arbeitsaufgaben der Klägerin im Innendienst.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen, die Sitzungsprotokolle sowie das angegriffene arbeitsgerichtliche Urteil verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Klägerin ist zulässig, aber nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht und mit der zutreffenden Begründung abgewiesen. Das Berufungsgericht macht sich die Ausführungen des Arbeitsgerichts zu eigen.

Die Klägerin hat keinen Anspruch aus § 31 TV-BA auf einen weiteren (unbezahlten) Sonderurlaub, und zwar weder bis zum 31.12.2022 noch bis zu einem früheren Datum. Ebenso wenig ergibt sich ein Anspruch dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz.

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der TV-BA Anwendung. Die maßgebliche Tarifnorm hat folgenden Wortlaut:

㤠31

Sonderurlaub

Beschäftigte können bei Vorliegen eines wichtigen Grundes unter Verzicht auf die

Fortzahlung des Gehalts Sonderurlaub erhalten.“

Voraussetzung ist zunächst, dass ein wichtiger Grund vorliegt. Besteht ein wichtiger Grund, hat der Arbeitgeber gemäß § 315 Abs. 1 BGB nach billigem Ermessen über die Gewährung von Sonderurlaub zu entscheiden. Die Entscheidung ist für den Arbeitnehmer nur verbindlich, wenn sie der Billigkeit entspricht. Entspricht sie nicht der Billigkeit, so wird die Bestimmung durch Urteil getroffen (§ 315 Abs. 3 BGB).

Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags folgt den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Bei nicht eindeutigem Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist ferner auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefern und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an die Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags, gegebenenfalls auch die praktische Tarifübung, ergänzend heranziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (z. B. BAG, Urteil vom 21. Januar 2020 – 3 AZR 225/19 – Rn. 32, juris = NZA 2020, 1717).

Nach dem Tarifwortlaut muss es für den beantragten Sonderurlaub einen wichtigen Grund geben. Ein sachlicher, nachvollziehbarer Grund allein genügt noch nicht. Vielmehr muss der Grund gewichtig sein. Dabei kommt es nicht darauf an, welches Gewicht der Beschäftigte ihm beimisst. Maßgeblich ist eine objektive Betrachtungsweise (BAG, Urteil vom 08. Mai 2001 – 9 AZR 179/00 – Rn. 25, juris = ZTR 2002, 33; BAG, Urteil vom 25. Januar 1994 – 9 AZR 540/91 – Rn. 19, juris = NZA 1994, 546).

Da der Tarifvertrag verschiedene gesetzlich geregelte Fälle einer Arbeitsbefreiung ohne Fortzahlung der Bezüge ergänzt, können diese als Maßstab für die geforderte Wichtigkeit des Grundes herangezogen werden. Eine vollständige oder teilweise Freistellung ohne Fortzahlung der Vergütung kann beispielsweise zum Zwecke der Betreuung und Erziehung von Kindern oder der Pflege naher Angehöriger beansprucht werden (§ 15 BEEG, § 3 PflegeZG). Auch die Übernahme von bestimmten Tätigkeiten im öffentlichen Interesse führt zum Ruhen der Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis, wie z. B. die Übernahme eines Bundestagsmandats (§ 5 Abs. 1 Satz 1, § 8 Abs. 3 AbgG).

Durch den Abschluss eines Arbeitsvertrages verpflichtet sich der Arbeitnehmer zur Erbringung der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung (§ 611a Abs. 1 Satz 1 BGB). Dieser Pflicht hat der Arbeitnehmer nachzukommen, solange er nicht wegen Arbeitsunfähigkeit oder aus anderen Gründen daran gehindert ist. Der Arbeitgeber schließt den Arbeitsvertrag, weil er Bedarf einer bestimmten Arbeitsleistung hat. Ein vorübergehendes Außerkraftsetzen der wechselseitigen Hauptpflichten widerspricht grundsätzlich dem Sinn und Zweck eines Arbeitsverhältnisses. Da der Arbeitnehmer nach einer Freistellung wiederum eine vertragsgemäße Beschäftigung beanspruchen kann, ist es für den Arbeitgeber nicht möglich, den Arbeitsplatz endgültig und dauerhaft nachzubesetzen. Der Arbeitgeber muss den Arbeitsplatz freihalten. Liegt eine unbezahlte Freistellung im beiderseitigen Interesse der Vertragsparteien, können sie sich im Rahmen ihrer Vertragsfreiheit auf eine kurz- oder längerfristige Beurlaubung verständigen. Ansonsten ist es beiden Vertragsparteien grundsätzlich verwehrt, einseitig die beiderseitigen Hauptpflichten aus dem Arbeitsverhältnis zeitweise auszusetzen. Für Ausnahmen bedarf es einer Rechtsgrundlage.

Sinn und Zweck des § 31 TV-BA ist es, über die gesetzlich geregelten Freistellungsansprüche oder -möglichkeiten hinaus einer besonderen persönlichen Situation eines Beschäftigten Rechnung tragen zu können, die zum einen zeitlich begrenzt ist und zum anderen den Arbeitnehmer wegen vorrangiger, schutzwürdiger Interessen an der vertragsgemäßen Erbringung der Arbeitsleistung hindert. Schutzwürdig ist das Interesse eines Beschäftigten an einer anderweitigen Verwertung seiner Arbeitskraft insbesondere dann, wenn eine Beurlaubung auch öffentlichen Belangen dient, wie z. B. bei der Übernahme des Amtes eines Bürgermeisters (BAG, Urteil vom 08. Mai 2001 – 9 AZR 179/00 – Rn. 25, juris = ZTR 2002, 33). Die Regelung zur Gewährung von unbezahltem Sonderurlaub dient jedoch nicht dazu, Arbeitnehmern zeitweise eine anderweitige Verwertung ihrer Arbeitskraft, ggf. mit einem höheren Verdienst oder einer als interessanter empfundenen Tätigkeit, zu ermöglichen, sei es im Rahmen eines anderen Arbeitsverhältnisses, einer selbstständigen Tätigkeit oder auf einer sonstigen Rechtsgrundlage. Zwar steht es jedem Arbeitnehmer frei, seine Arbeitskraft anderweitig zu verwerten. Voraussetzung hierfür ist jedoch grundsätzlich eine Beendigung des bisherigen Vertragsverhältnisses.

Das gilt entsprechend für die Mitarbeit in einem Familienbetrieb, dessen Inhaber der Ehepartner des Beschäftigten ist. Die Ehegatten sind zwar nach § 1360 Satz 1 BGB einander verpflichtet, durch ihre Arbeit und mit ihrem Vermögen die Familie angemessen zu unterhalten. Sie tragen füreinander Verantwortung (§ 1353 Abs. 1 Satz 2 BGB). Eine Verpflichtung zur – vorübergehenden oder dauerhaften – Mitarbeit in dem oder in einem Unternehmen des Ehepartners ergibt sich daraus jedoch grundsätzlich nicht. Nach § 1356 Abs. 2 Satz 1 BGB sind beide Ehegatten berechtigt, erwerbstätig zu sein. Jedem Ehegatten steht es grundsätzlich frei, seine Arbeitskraft nach seinen persönlichen Wünschen einzusetzen (MüKoBGB/Roth, 8. Aufl. 2019, BGB § 1356 Rn. 20). Eine Pflicht zur Mitarbeit im Betrieb des Ehegatten besteht allenfalls in Not- und Zwangssituationen (vgl. VGH Hessen, Urteil vom 05. März 1990 – 8 UE 2564/85 – Rn. 32, juris; MüKoBGB/Roth, 8. Aufl. 2019, BGB § 1356 Rn. 20). Eine solche Notlage kann beispielsweise im Falle einer Erkrankung des Ehepartners vorliegen, die ihm ein Tätigwerden für den Betrieb vorübergehend unmöglich macht, andere Kräfte nicht zur Verfügung stehen und seine Erwerbsgrundlage ohne ein Einspringen des anderen Ehepartners aller Voraussicht nach dauerhaft entfallen würde.

Die Klägerin hat sich im Jahr 2006 entschieden, bei der Beklagten eine Beschäftigung aufzunehmen und dadurch zu einem angemessenen Familienunterhalt beizutragen. Sie ist weder auf Dauer noch vorübergehend zur Mitarbeit im Bestattungshaus ihres Ehemanns verpflichtet. Der Ehemann befindet sich nicht in einer Notlage, die seine wirtschaftliche Existenz und damit seine Möglichkeit, zum Familienunterhalt beizutragen, gefährdet. Wie für viele andere Unternehmen mag es auch für ihn schwierig sein, geeignete, insbesondere einschlägig ausgebildete, Fachkräfte am Arbeitsmarkt zu akquirieren. Fehlendes Fachpersonal kann durchaus die weitere Entwicklung eines Betriebs behindern oder ggf. sogar zu einem Umsatzrückgang führen, da in der zur Verfügung stehenden Zeit nur ein begrenztes Auftragsvolumen zu bewältigen ist. Seine Existenzgrundlage verliert der Ehemann deshalb aber nicht. Er kann seine Arbeitskraft mit den vorhandenen Beschäftigten weiterhin verwerten und damit zu einem angemessenen Unterhalt der Familie beitragen. Möglicherweise wird sich der Umsatz des Bestattungshauses ohne die Mitarbeit der Klägerin – oder einer in gleicher Weise qualifizierten Kraft – nicht in der gewünschten Richtung weiterentwickeln. Daraus ergibt sich aber nicht, dass andernfalls eine Insolvenz droht oder eine Betriebsstilllegung unausweichlich ist. Nicht jede negative Entwicklung des Betriebsergebnisses, selbst wenn es ohne die Mitarbeit der Klägerin dazu käme, führt zu einer Notlage, die wiederum eine eheliche Beistandspflicht auslöst, auf die auch Dritte wie die Beklagte als Arbeitgeberin der Klägerin ggf. durch eine Freistellung von der Arbeitsleistung Rücksicht nehmen müssen. Zunächst sind die unternehmerischen Gestaltungsspielräume auszuschöpfen. Dem Ehemann der Klägerin steht es als Inhaber des Bestattungshauses frei, den Betrieb nach seinen unternehmerischen Vorstellungen zu organisieren, also unter Berücksichtigung seines Unternehmergewinns Preise für seine Leistung festzulegen, Arbeitnehmer einzustellen, die jeweiligen Löhne und Gehälter auszuhandeln, Leistungen extern zu vergeben usw. Welche unternehmerischen Ziele sich der Ehemann gesteckt hat, kann dahinstehen. Die Klägerin kann er jedenfalls nicht als Vollzeitkraft einplanen, solange diese noch ein Vollzeitarbeitsverhältnis bei der Beklagten hat. Bei der Organisation eines Betriebes können nur solche personellen und materiellen Ressourcen eingeplant werden, die verfügbar sind.

Da es schon an einer Notlage fehlt, kommt es zwar nicht mehr darauf an, ob und wann diese vorüber sein wird, ob also ein Ende abzusehen ist. Dennoch ist eine Behebung des Personalmangels im Bestattungshaus des Ehemanns, auf den sich die Klägerin beruft, in keiner Weise absehbar. Dieser Personalmangel hat seine Ursache nicht in der Corona-Pandemie. Ausweislich des Antrags der Klägerin auf Sonderurlaub vom 07.08.2019 bestand der Personalmangel schon zu einem Zeitpunkt, als sich das Coranavirus in Deutschland noch nicht verbreitet hatte und eine Pandemie noch nicht drohte. Nachdem der Mangel an Fachpersonal trotz zahlreicher Stellengesuche bereits über einen Zeitraum von rund eineinhalb Jahren nicht behoben werden konnte, ist auch in naher Zukunft nicht damit zu rechnen. Zu den bislang gebotenen Bedingungen war es dem Bestattungshaus jedenfalls nicht möglich, geeignete Mitarbeiter als Bestattungsdienstleister zu gewinnen. Der Ehemann der Klägerin sah sich deshalb schon in der Vergangenheit gezwungen, auf anderweitig qualifiziertes Personal zurückzugreifen, wie eben auf die zur Volljuristin ausgebildete Klägerin. Eine kurzfristige Änderung der Situation am Arbeitsmarkt ist nicht zu erwarten.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf den beantragten Sonderurlaub aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz.

Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz findet Anwendung, wenn der Arbeitgeber Leistungen nach einem bestimmten erkennbaren und generalisierenden Prinzip aufgrund einer abstrakten Regelung gewährt, indem er bestimmte Voraussetzungen oder einen bestimmten Zweck festlegt. Der Gleichbehandlungsgrundsatz verpflichtet den Arbeitgeber, seine Arbeitnehmer oder Gruppen seiner Arbeitnehmer, die sich in vergleichbarer Lage befinden, bei Anwendung einer selbst gegebenen Regel gleichzubehandeln. Er verbietet sowohl die willkürliche Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer innerhalb einer Gruppe als auch eine sachfremde Gruppenbildung. Stellt der Arbeitgeber hingegen nur einzelne Arbeitnehmer unabhängig von abstrakten Differenzierungsmerkmalen in Einzelfällen besser oder ist die Anzahl der begünstigten Arbeitnehmer im Verhältnis zur Gesamtzahl der betroffenen Arbeitnehmer sehr gering, kann ein nicht begünstigter Arbeitnehmer aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz nichts herleiten (BAG, Urteil vom 03. Juni 2020 – 3 AZR 730/19 – Rn. 42, juris = NZA 2021, 347).

Die Beklagte mag einer Mitarbeiterin zu einem früheren Zeitpunkt einen mehrjährigen unbezahlten Sonderurlaub gewährt haben. Dabei handelte es sich jedoch um einen Einzelfall, nicht aber um ein generalisierendes Prinzip aufgrund einer abstrakten Regelung. Im Übrigen fehlt es schon aufgrund der unterschiedlichen Zeiträume und Rahmenbedingungen an einer Vergleichbarkeit.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Der Rechtsstreit wirft keine entscheidungserheblichen Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung auf.

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