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Wartezeit § 1 KSchG – Berücksichtigung von Vorbeschäftigungszeiten in Gemeinschaftsbetrieb

Landesarbeitsgericht Hamm – Az.: 8 Sa 373/11 – Urteil vom 25.08.2011

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Paderborn vom 14.01.2011 – 3 Ca 559/10 – abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert für den Berufungsrechtszug wird auf 9.551,– € festgesetzt.

Tatbestand

Mit ihrer Klage wendet sich die Klägerin, welche zuletzt aufgrund schriftlichen Arbeitsvertrages (Bl. 19 d. A) seit dem 01.09.2009 bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten, der Fa. A1 GmbH, als „Junior Account-Manager“ im Vertriebsinnendienst beschäftigt war, gegen die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses durch ordentliche arbeitgeberseitige Kündigung vom 26.02.2010 und macht in diesem Zusammenhang geltend, auf das Arbeitsverhältnis finde unter Berücksichtigung von Vorbeschäftigungszeiten bei der Fa. A2 GmbH, welche mit der Fa. A1 GmbH einen Gemeinschaftsbetrieb führe, das Kündigungsschutzgesetz Anwendung.

Das Vorliegen eines Gemeinschaftsbetriebes ergebe sich u. a. aus der engen Verknüpfung der Arbeitsabläufe und der unternehmensübergreifenden Zuständigkeiten der Vorgesetzten, was auf eine einheitliche Leitung schließen lasse. In rechtlicher Hinsicht folge aus der Führung eines Gemeinschaftsbetriebes nicht allein eine Zusammenrechnung der Beschäftigtenzahl gem. § 23 KSchG, vielmehr seien auch die bei der Fa. A2 GmbH aufgrund jeweils befristeter Arbeitsverträge zurückgelegten Beschäftigungszeiten vom 01.09.2007 bis zum 31.08.2009 auf die Wartezeit des § 1 KSchG anzurechnen.

Durch Urteil vom 14.01.2011 (Bl. 242 ff. d.A.), berichtigt durch Beschluss des Arbeitsgerichts vom 29.03.2011 (Bl. 259 a ff. d.A.), auf welches wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivorbringens und der gestellten Anträge Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht antragsgemäß gegenüber der beklagten Fa. A1 GmbH festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zur Klägerin durch die ordentliche Kündigung vom 26.02.2010 nicht beendet worden ist. Weiter ist die Fa. A1 GmbH zur vorläufigen Weiterbeschäftigung der Klägerin über den 31.03.2010 hinaus verurteilt worden. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt, die Fa. A1 GmbH, welche sich mit der Erbringung von Vertriebsdienstleistungen – u. a. für die vormalige Beklagte zu 2), die Fa. A2 GmbH als IT-Distributer – befasse, führe mit diesem Unternehmen einen gemeinsamen Betrieb. Wie die Klägerin im Einzelnen unter Darstellung der Arbeitsabläufe im Vertrieb vorgetragen habe, liege eine einheitliche Betriebsführung sowie eine gemeinschaftliche Verantwortung für die Vertriebsaktivitäten beider Unternehmen durch Vertriebsleiter vor. Dieser Umstand wie auch die enge Verknüpfung der Arbeitsabläufe und die unternehmensübergreifenden Zuständigkeiten rechtfertigen die Annahme eines Gemeinschaftsbetriebes. Wie sich aus den von beiden Unternehmen erteilten Arbeitszeugnissen (Bl 236, 239 d. A.) ergebe, sei die Tätigkeit der Klägerin während ihrer Beschäftigung bei der Fa. A2 GmbH keine andere als bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten gewesen. Unter diesen Umständen seien die im gemeinsamen Betrieb zurückgelegten Beschäftigungszeiten zusammenzurechnen, so dass die bei der Fa. A2 GmbH zurückgelegte Beschäftigungszeit auf die Wartezeit des Kündigungsschutzgesetzes angerechnet werden müsse. Dies entspreche dem Sinn der Wartezeit, welche dem Arbeitgeber Gelegenheit geben solle, einen neuen Mitarbeiter kennenzulernen. Da der Gemeinschaftsbetrieb durch eine gemeinsame Leitung gekennzeichnet sei, seien ohne Weiteres die Erprobungserfahrungen mit sämtlichen Beschäftigten des Betriebes zusammenzuführen und nutzbar zu machen. Konsequenz sei damit ein arbeitgeberübergreifender Kündigungsschutz im Rahmen des Gemeinschaftsbetriebes.

Mit ihrer rechtzeitig eingelegten und begründeten Berufung wendet sich die nunmehrige Beklagte Fa. A3 GmbH als Rechtsnachfolgerin der Fa. A1 GmbH gegen das arbeitsgerichtliche Urteil und führt aus, weder rechtfertige der zum Teil unrichtige Vortrag der Klägerin die Annahme eines Gemeinschaftsbetriebes, noch führe die Annahme eines Gemeinschaftsbetriebes dazu, dass die bei der Fa. A2 GmbH zurückgelegte Vorbeschäftigungszeit auf die Wartezeit des § 1 KSchG angerechnet werde. Anders als bei der Bestimmung der Betriebsgröße gemäß § 23 KSchG und der Zusammenrechnung der im Gemeinschaftsbetrieb beschäftigten Arbeitnehmerzahl komme es für die Berechnung der Wartezeit auf den rechtlichen Bestand des Arbeitsverhältnisses zum Vertragsarbeitgeber an, so dass für eine Anrechnung der früheren Beschäftigungszeiten bei einem anderen Arbeitgeber kein Raum sei. Zu Unrecht habe das Arbeitsgericht im Übrigen angenommen, es liege ein Gemeinschaftsbetrieb der nach Gesellschaftern und Geschäftsführung getrennten Unternehmen vor. Ebenso wenig habe die Klägerin bei der Fa. A2 GmbH dieselben Arbeitsaufgaben wie bei der Fa. A1 GmbH wahrgenommen. Wie sich vielmehr aus den in den Arbeitsverträgen in Bezug genommenen Stellenbeschreibungen ergebe, seien verschiedene Aufgaben zu erledigen gewesen. Während die Klägerin bei der Fa. A2 als Account Admin im Wesentlichen mit internen Aufgaben befasst gewesen sei, sei sie bei der Fa. A1 GmbH als Junior-Account-Manager eingestellt worden und mit der selbständigen Betreuung von Kunden tätig gewesen. Auch im Übrigen stehe die Darstellung der Arbeitsabläufe bei der Zusammenarbeit zwischen den rechtlich und organisatorisch eigenständigen Unternehmen A2 GmbH und A1 GmbH mit den Tatsachen nicht in Einklang.

Hilfsweise begehrt die Beklagte die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung mit der Begründung, eine weitere gedeihliche Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit der Klägerin sei nicht zu erwarten. Die Ausführungen der Klägerin, beide Unternehmen wirkten beim Einsatz ihrer Mitarbeiter kollusiv zusammen, um so die Regelungen des Teilzeit– und Befristungsgesetzes auszuhebeln und den Wirkungen des Kündigungsschutzgesetzes zu entgehen, seien jedenfalls in dieser Pauschalität nicht von der Wahrnehmung berechtigter Interessen gedeckt. Gleiches gelte für die Äußerung der Klägerin, bei der Firma A1 GmbH handele es sich um ein „fake-Unternehmen“, was soviel wie „Täuschung“ bedeute. Schließlich habe die Klägerin über das Ausscheiden des früheren Geschäftsführers G1 geäußert, dies sei „nicht im wechselseitigen Einvernehmen“ erfolgt. Der Beklagten sei nicht zuzumuten, eine Arbeitnehmerin zu beschäftigen, welche meine, sie müsse ein sie selbst nicht betreffendes Beschäftigungsverhältnis und dessen Verlauf diskutieren.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Paderborn vom 14.01.2011 (3 Ca 559/10) abzuändern und die Klage abzuweisen; hilfsweise das Arbeitsverhältnis zwischen der Klägerin und der Beklagten gegen Zahlung einer angemessenen Abfindung aufzulösen

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die arbeitsgerichtliche Entscheidung unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens zum Vorliegen eines Gemeinschaftsbetriebes und zur Zusammenrechnung der Beschäftigungszeiten als zutreffend. Wegen der weiteren Einzelheiten der tatsächlichen und rechtlichen Ausführungen wird auf die Berufungserwiderung vom 10.06.2011 (Bl. 435 ff. d.A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Beklagten ist begründet. Sie führt unter Abänderung des arbeitsgerichtlichen Urteils zur Abweisung des verfolgten Klagebegehrens.

I. Abweichend vom Standpunkt des arbeitsgerichtlichen Urteils ist das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 26.02.2010 mit Ablauf des 31.03.2010 wirksam beendet worden.

1. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist erst mit Wirkung ab dem 01.09.2009 begründet worden. Dementsprechend war die sechsmonatige Wartezeit des § 1 KSchG im Zeitpunkt des Kündigungszugangs noch nicht abgelaufen. Auf die Sozialwidrigkeit der Kündigung kann sich die Klägerin aus diesem Grunde nicht berufen. Sonstige Unwirksamkeitsgründe sind nicht ersichtlich.

Soweit demgegenüber das Arbeitsgericht den Standpunkt eingenommen hat, die Rechtsvorgängerin der Beklagten, die Fa. A1 GmbH, habe mit der früheren Arbeitgeberin der Klägerin, der Fa. A2 GmbH, einen Gemeinschaftsbetrieb geführt, woraus sich ein einheitlicher Lauf der Wartezeit des § 1 KSchG ab dem 01.09.2007 bzw. eine Anrechnung der Wartezeit aus der Beschäftigung bei der Fa. A2 GmbH ergebe, vermag die Kammer dem nicht zu folgen. Auch wenn zugunsten der Klägerin angenommen wird, dass u. a. die enge Verknüpfung der Arbeitsabläufe und Vorgesetztenstruktur bei der Fa. A1 GmbH und der Fa. A2 GmbH in tatsächlicher Hinsicht deutlich für das Vorliegen eines Gemeinschaftsbetriebes spricht, folgt hieraus in rechtlicher Hinsicht keine Zusammenrechnung der Beschäftigungszeiten bei der Berechnung der Wartezeit im Verhältnis zum jeweiligen Vertragsarbeitgeber.

a) Die in § 1 Abs. 1 KSchG enthaltene Formulierung, nach welcher Kündigungsschutz besteht, wenn das Arbeitsverhältnis „in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat“, stellt auf das Rechtsverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber ab, wobei als Arbeitgeber eine natürliche Person oder ein Unternehmen in Betracht kommt. Gleich ob das Unternehmen nur über einen oder über mehrere Betriebe verfügt, besteht die Rechtsbeziehung des Arbeitnehmers zum Unternehmen als Vertragsarbeitgeber. Dementsprechend kommt der gesetzlichen Formulierung allein klarstellende Bedeutung insoweit zu, als es für die Berechnung der Wartezeit bei einem Unternehmen mit mehreren Betrieben auf die Unternehmenszugehörigkeit und nicht auf die Beschäftigung im einen oder anderen unternehmenszugehörigen Betrieb ankommt. Ohnehin besteht ein Arbeitsverhältnis nicht „in“ dem Betrieb oder Unternehmen, der Betrieb kennzeichnet allein den Beschäftigungsort, das Rechtsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ist in jedem Falle auf das Unternehmen bezogen.

b) Ausgehend von diesen Grundsätzen bleibt auch bei Vorliegen eines Gemeinschaftsbetriebes zu beachten, dass die beschäftigten Arbeitnehmer – vom Sonderfall der unternehmensrechtlichen Verselbständigung des Gemeinschaftsbetriebes als Außengesellschaft und der Einstellung von Arbeitnehmern durch diese abgesehen – jeweils in einer Rechtsbeziehung zu ihrem Vertragsarbeitgeber stehen, der am Gemeinschaftsbetrieb zwar beteiligt, jedoch eigenständig für die Begründung und Beendigung der von ihm – dem Unternehmen – eingesetzten Arbeitnehmer zuständig ist. Jedenfalls bei formaler Betrachtung kann danach die Wartezeit des § 1 KSchG allein auf das Unternehmen als Vertragsarbeitgeber bezogen werden, auch wenn die Beschäftigung des Arbeitnehmers in einem Gemeinschaftsbetrieb erfolgt.

c) Nach dem Standpunkt des arbeitsgerichtlichen Urteils soll allerdings eine Anrechnung solcher Beschäftigungszeiten auf die Wartezeit des § 1 KSchG erfolgen, welche der durchgehend im Gemeinschaftsbetrieb beschäftigte Arbeitnehmer bei einem weiteren, am Gemeinschaftsbetrieb beteiligten Arbeitgeber, zurückgelegt hat. Auch in diesem Fall liege eine ununterbrochene Beschäftigung in demselben Betrieb vor. Anknüpfend an Sinn und Zweck der Wartezeit, dem Arbeitgeber Gelegenheit zu geben, einen neuen Mitarbeiter kennenzulernen, bevor der gesetzliche Kündigungsschutz eingreift, kämen die „Erprobungserfahrungen“ beiden am Gemeinschaftsbetrieb beteiligten Arbeitgebern gleichermaßen zugute und seien aus diesem Grunde zusammenhängend und arbeitgeberübergreifend zu berücksichtigen.

d) Richtig ist zwar, dass bei einem Gemeinschaftsbetrieb nicht allein der Vertragsarbeitgeber, sondern auch der andere am Gemeinschaftsbetrieb beteiligte Unternehmer typischerweise Zugang zu denjenigen Informationen besitzt oder erlangen kann, welche die Beurteilung erlauben, ob sich der Arbeitnehmer innerhalb der ersten sechs Monate der Beschäftigung im Betrieb „bewährt“ hat. Gleichwohl bleibt zu beachten, dass sowohl die originären vertraglichen Gläubigerrechte aus dem Arbeitsverhältnis als auch die Rechtsmacht zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses beim Vertragsarbeitgeber liegen. Allein der Umstand, dass rein tatsächlich auch Verhalten und Leistung (rechtlich) „fremder“ Arbeitnehmer beurteilt werden können, vermag hieran nichts zu ändern. Käme es allein auf die tatsächliche Beurteilungsmöglichkeit ohne Rücksicht auf das Vorliegen einer eigenen vertraglichen Verbundenheit an, so müsste mit derselben Erwägung auch eine Anrechnung der Wartezeit bei vorangehendem Einsatz als Leiharbeitnehmer oder als Arbeitnehmer aufgrund werkvertraglichen Einsatzes in Erwägung gezogen werden.

Demgegenüber kommt nach Auffassung der Kammer im vorliegenden Zusammenhang dem Umstand entscheidende Bedeutung zu, dass die konkreten Rechtsfolgen, welche sich aus der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses über die Wartezeit hinaus ergeben, allein den Vertragsarbeitgeber treffen. Die Beurteilung, ob der im Gemeinschaftsbetrieb tätige Arbeitnehmer auf Dauer weiterbeschäftigt werden soll, hat damit für den Vertragsarbeitgeber unmittelbare rechtliche Relevanz, wohingegen für andere am Gemeinschaftsbetrieb beteiligte Unternehmen die Bedeutung der erfolgreichen Erprobung zurücktritt. Nur der als Vertragsarbeitgeber am Gemeinschaftsbetrieb beteiligte Unternehmer muss im Streitfall die Voraussetzungen einer sozial gerechtfertigten Kündigung darlegen und beweisen und ist mit den hiermit verbunden wirtschaftlichen Risiken belastet, ohne im Zweifel bei den übrigen beteiligten Unternehmen Rückgriff nehmen zu können. Folgt man dem Standpunkt des Arbeitsgerichts, erwirbt im Fall des Arbeitgeberwechsels im Gemeinschaftsbetrieb der Arbeitnehmer sogleich ab Beginn des Vertragsabschlusses mit dem neuen Unternehmen Kündigungsschutz. Demgemäß bleibt für den übernahmewilligen Arbeitgeber allein die Alternative, von einer Einstellung bereits im Gemeinschaftsbetrieb tätiger Arbeitnehmer abzusehen, wenn er sich in der Vergangenheit von dessen Person kein abschließendes Bild gemacht hat und sich nicht auf Vorgesetztenbeurteilungen verlassen will, oder die sofortige Geltung der Regeln des Kündigungsschutzgesetzes hinzunehmen. Dies gilt erst recht für den Fall, dass der im Gemeinschaftsbetrieb beschäftigte Arbeitnehmer beim Wechsel des Vertragsarbeitgebers keine identische, sondern nur ähnliche oder andersartige Tätigkeit als beim vormaligen Vertragsarbeitgeber ausüben soll oder sich die Vertragsbedingungen in anderer Hinsicht unterscheiden. Anders als bei einer vereinbarten Anrechnung der Vorbeschäftigungszeit führt die vom Arbeitsgericht vertretene automatische Anrechnung damit zu einer starren und im Ergebnis nicht überzeugenden Rechtsbindung, welche für die Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls keinen ausreichenden Spielraum lässt.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Tatsache, dass die Anzahl der in einem Gemeinschaftsbetrieb beschäftigten Arbeitnehmer gemäß § 23 KSchG zusammengezählt wird (BAG, 12.11.98, 2 AZR 459/97, NZA 99,590). Anknüpfungspunkt für diese Zusammenrechnung ist der Umstand, dass die „persönliche Verbundenheit“ zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, wie sie für den vom Kündigungsschutzgesetz ausgenommenen Kleinbetrieb maßgeblich sein soll, bei entsprechender Größe des Gemeinschaftsbetriebes fehlt, ohne dass es hierfür auf die Beteiligung unterschiedlicher Arbeitgeber am Gemeinschaftsbetrieb ankommt. Demgegenüber knüpft die Regelung über die gesetzliche Wartezeit in § 1 KSchG an das rechtliche Bestehen des Arbeitsverhältnisses an, weshalb sich eine Parallele bei der rechtlichen Beurteilung verbietet.

Soweit ersichtlich wird auch im arbeitsrechtlichen Schrifttum eine Anrechnung von Beschäftigungszeiten im Gemeinschaftsbetrieb auf die gesetzliche Wartezeit des § 1 KSchG nicht vertreten. Die vom Arbeitsgericht zitierten Entscheidungen der Landesarbeitsgerichte (Hess. LAG, 05.08.2004, 5 Sa 1938/03; LAG Rheinland-Pfalz, 08.07.1999, 6 Sa 365/99, BB 1999,2677) geben zwar diesbezügliche Überlegungen wieder, ohne jedoch entscheidungserheblich darauf abzustellen (vgl. auch LAG Köln, 10.03.2000, 11 Sa 1464/09, NZA-RR 2001,32). Aus den dargestellten Gründen scheidet nach dem Standpunkt der Kammer die in den zitierten Entscheidungen in Erwägung gezogene Anrechnung von Beschäftigungszeiten aus.

2. Unter den vorliegenden Umständen scheidet auch eine konkludente Vereinbarung über die Anrechnung der bei der Fa. A2 GmbH zurückgelegten Beschäftigungszeit auf die im Verhältnis zur Fa. A1 GmbH ab dem 01.09.2009 begonnene Wartezeit aus. Eine derartige, dem Arbeitnehmer günstige ausdrückliche oder sinngemäße Anrechnungsvereinbarung ist zwar zulässig (BAG, 28.02.90, 2 AZR 425/89, NZA 1990, 2609), lässt sich hier aber nicht feststellen. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der „Verlängerungszusage“ gemäß der E-Mail vom 06.03.2009 (Bl. 58 d.A.). Unabhängig von der Frage, ob der Vertriebsleiter G1 für eine vertraglich bindende Zusage zuständig war, ist zum einen zu beachten, dass die betreffende Erklärung ersichtlich im Namen des früheren Arbeitgebers, der Fa. A2 GmbH, nicht hingegen vom neuen Vertragsarbeitgeber, der Fa. A1 GmbH abgegeben worden ist. Zum anderen ist es zu der namens der Fa. A2 GmbH in Aussicht gestellten Verlängerung des Arbeitsvertrages über den 31.08.2009 hinaus nicht gekommen, vielmehr ist ein neuer Arbeitsvertrag mit der Fa. A1 GmbH, und zwar mit geänderter Tätigkeitsbezeichnung abgeschlossen worden. Dementsprechend geht es im vorliegenden Zusammenhang nicht allein um einen „formellen“ Arbeitgeberwechsel, vielmehr verweisen die mit der Fa. A2 GmbH und der Fa. A1 GmbH geschlossenen Arbeitsverträge jeweils auf ein entsprechendes – unterschiedliches – „Stellenbild“. Auch wenn die Klägerin bestreitet, dass ihr die betreffende Stellenbeschreibung ausgehändigt worden ist, bleibt doch zu beachten, dass schon nach den gewählten Tätigkeitsbezeichnungen erkennbar unterschiedliche Arbeitsaufgaben angesprochen sind. Dann versteht es sich aber keinesfalls von selbst, dass die bei der Fa. A2 GmbH zurückgelegte Beschäftigungszeit auf die neu beginnende Wartezeit im Arbeitsverhältnis zur Fa. A1 GmbH angerechnet werden sollte.

Etwas anderes – eine stillschweigende Anrechnungsvereinbarung – ergibt sich auch nicht daraus, dass die Klägerin, wie sich aus dem erteilten Arbeitszeugnis der Fa. A2 GmbH (Bl. 239 d.A.) ergibt, zuletzt nicht mehr in der ursprünglichen Position als Account Admin tätig war, sondern ihr wegen guter Leistungen das Aufgabengebiet des Junior-Account-Managers mit eigener Kundenbetreuung übertragen worden war. Die hiermit verbundene stillschweigende Vertragsänderung im Sinne einer Ausweitung der übertragenen Arbeitsaufgabe ändert nichts daran, dass mit dem Vertragsabschluss mit der Fa. A1 GmbH zum einen eine förmliche Festlegung des Aufgabengebiets nach Maßgabe des in Bezug genommenen „Stellenbildes“ einherging. Zum anderen zeigt die Gegenüberstellung der von beiden Vertragsarbeitgebern erteilten Arbeitszeugnisse (Bl. 236 f., Bl. 239 f.), dass – trotz der erfolgten Übertragung von Aufgaben als Junior Account Manager durch die Fa. A2 GmbH – von einer vollständigen Deckungsgleichheit der übertragenen Aufgaben nicht ausgegangen werden kann. So erwähnt das Arbeitszeugnis der Fa. A1 GmbH als zusätzlich erledigte Arbeitsaufgabe die „Verantwortliche Projektdurchführung“, ferner tritt an die Stelle der „Kommunikation mit den vertriebsunterstützenden Stellen der Hersteller“ nunmehr die „Kommunikation mit den vertriebsunterstützenden Stellen der Auftraggeber und Lieferanten“. Auch wenn also die Klägerin bereits Aufgaben als Junior Account Manager erledigt und sich hierbei bewährt hatte, lag kein bloßer Austausch des Vertragsarbeitgebers vor, welchen die Klägerin im Sinne einer stillschweigenden Anrechnung der Vorbeschäftigungszeit mit dem Ziel der Gewährung sofortigen Kündigungsschutzes verstehen konnte.

3. Aus denselben Gründen greift auch der Einwand einer rechtsmissbräuchlichen Gestaltung der Rechtsbeziehungen durch bloßen Arbeitgebertausch aus. Nicht anders als im Anwendungsbereich der Vorschrift des § 14 Abs. 2 TzBfG knüpft die gesetzliche Regelung über die Wartezeit in § 1 KSchG an die Identität des Vertragsarbeitgebers an. Dementsprechend sieht die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts keinen Rechtsmissbrauch in einer Vertragsgestaltung, bei welcher der Arbeitnehmer unter Ausschöpfung der zulässigen Befristungsdauer zunächst beim Erstarbeitgeber eingestellt und anschließend etwa im Rahmen einer Arbeitnehmerüberlassung weiter vom Erstarbeitgeber beschäftigt wird (BAG, 09.03.2011, 7 AZR 657/09, ArbR 2011, 353). Allein ein systematischer (wiederholter) Wechsel im Sinne eines sog. Drehtüreffekts stellt danach eine rechtsmissbräuchliche Gestaltung dar. Demgegenüber genügt es für die Annahme eines Rechtsmissbrauchs nicht, dass das Arbeitsverhältnis zum Erstarbeitgeber beendet und ein neues Arbeitsverhältnis mit der Maßgabe begründet wird, dass die Arbeitsleistung dem bisherigen Arbeitgeber im Wege der Arbeitnehmerüberlassung nach dem AÜG oder dem neuen Arbeitgeber im Rahmen einer Beschäftigung im Gemeinschaftsbetrieb „zugute kommt“. Überträgt man die Grundsätze der Rechtsprechung zur Umgehung des Vorbeschäftigungsverbots gem. § 14 Abs. 2 TzBfG auf die hier maßgebliche Frage der Umgehung der Wartezeit gemäß § 1 KSchG, so ist auch hier der Ausgangspunkt zu beachten, dass allein der Gebrauch rechtlich möglicher Gestaltungsformen für sich genommen keinen Rechtsmissbrauch darstellt (BAG a.a.O.). Jedenfalls unter Berücksichtigung der Tatsache, dass es – wie vorstehend unter Ziff. 2 ausgeführt – nicht allein um einen formalen Akt der Auswechslung des Arbeitgebers, sondern um den Neuabschluss eines Arbeitsvertrages mit neu gefasster Aufgabenstellung geht, kann kein Rechtsmissbrauch darin gesehen werden, dass die Klägerin, welche zunächst unmittelbar bei der Vertriebsgesellschaft A2 GmbH als Account Admin eingestellt worden war, von der Fa. A1 GmbH als Dienstleister mit einem neu gefassten Arbeitsvertrag „übernommen“ und hierdurch der erneute Lauf der Wartefrist des § 1 KSchG in Gang gesetzt worden ist. Allein das Vorliegen eines Gemeinschaftsbetriebes hebt weder die rechtliche Trennung zwischen den aufeinander folgenden Arbeitsverhältnissen zu unterschiedlichen Vertragsarbeitgebern auf, noch trifft es zu, dass als ausschließlicher Zweck der gewählten Vertragsgestaltung die Verkürzung der Arbeitnehmerrechte gesehen werden kann.

4. Damit bleibt festzuhalten, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien im Zeitpunkt der Kündigung noch nicht dem Kündigungsschutzgesetz unterlag. Dies muss zur Abweisung der Klageanträge führen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen, da sie unterlegen ist.

III. Die Kammer hat die Revision gegen das Urteil gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG zugelassen.

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