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Weihnachtsgratifikation – Freiwilligkeits- und Widerrufsvorbehalt – gegenläufige betriebliche Übung

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz – Az.: 4 Sa 433/17 – Urteil vom 08.08.2018

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 12.09.2017 , Az. 8 Ca 624/17, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Höhe eines dem Kläger zustehenden Anspruchs auf Zahlung einer jährlichen Weihnachtsgratifikation für das Kalenderjahr 2016.

Der Kläger ist seit 1984 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin beschäftigt. Sein Bruttomonatsgehalt belief sich zuletzt auf 2.580,42 €. Der Arbeitsvertrag der Parteien enthält in § 4, Ziffer 6 folgende Bestimmung:

„6. Weihnachts- und Urlaubsgeld

Der Arbeitnehmer erhält eine jährliche Weihnachtsgratifikation in Höhe eines Monatslohnes, bezogen auf dem aus der 40-Stunden-Woche sich ergebenden Monatslohn. Diese Gratifikation ist jeweils zusammen mit dem Lohn für den Monat November eines Kalenderjahres zahlbar.

Dem Arbeitnehmer wird ein Urlaubsgeld in Höhe von DM 42,00 (in Worten: zweiundvierzig) pro Urlaubstag gezahlt.

Das Urlaubsgeld wird mit der Lohnabrechnung für den Monat Juni ausgezahlt.

Die Zahlung von Gratifikationen, Prämien oder sonstigen Vergütungen erfolgt freiwillig und unter Vorbehalt des jederzeitigen Widerrufes. Auch durch mehrmalige Zahlungen wird ein Rechtsanspruch für die Zukunft nicht begründet.“

Der Kläger erhielt letztmals im Jahr 2004 eine Weihnachtsgratifikation in Höhe eines vollen Monatsgehalts. Seit 2005 orientiert sich die Beklagte bei der Zahlung der Weihnachtsgratifikation an der wirtschaftlichen Situation des Unternehmens. In den Jahren 2005 bis 2016 haben der Kläger und alle mit ihm vergleichbaren Arbeitnehmer der Beklagten nur eine anteilige Weihnachtsgratifikation erhalten. Der Anteil lag im Zeitraum 2005 bis 2016 zwischen 50 % und 90 % eines Monatsgehalts. Im Einzelnen stellen sich die Zahlungen der Weihnachtsgratifikationen an den Kläger wie folgt dar:

………………..

Mit seiner am 24.02.2017 beim Arbeitsgericht eingereichten Klage hat der Kläger die Beklagte auf Zahlung einer restlichen Weihnachtsgratifikation für das Jahr 2016 in Höhe der Differenz zwischen seinem Monatslohn(2.580,42 €) und dem ihm diesbezüglich ausgezahlten Betrag (1.300,00 €) in Anspruch genommen.

Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes sowie des erstinstanzlichen streitigen Parteivorbringens wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen. Insoweit wird Bezug genommen auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Koblenz vom 12.09.2017 (Bl. 52-56 d. A.).

Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, 1.280,42 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.12.2016 an ihn zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 12.09.2017 stattgegeben. Zur Darstellung der maßgeblichen Entscheidungsgründe wird auf die Seiten 6 bis 9 dieses Urteils (= Bl. 56-59 d. A.) verwiesen.

Gegen das ihr am 25.09.2017 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 09.10.2017 Berufung eingelegt und diese am 24.11.2017 begründet.

Weihnachtsgratifikation
(Symbolfoto: 1599686sv/Shutterstock.com)

Die Beklagte macht im Wesentlichen geltend, sie – die Beklagte – habe aufgrund „widerspruchsfreier Handhabungshistorie“ davon ausgehen können und dürfen, dass der Kläger eine Prämie in Höhe von 50 % seines Monatslohnes, die ihm für 2016 gezahlt worden sei, in gleicher Weise akzeptiere wie er dies bereits in den Jahren 2006, 2007 und 2008 getan habe und wie er z. B. im Jahr 2010 auch ein Weihnachtsgeld von weniger als 50 % seines damaligen Monatslohns widerspruchslos akzeptiert habe. Die seit dem Jahr 2005 praktizierte Regelung sei eine sogenannte „gegenläufige betriebliche Übung“ im Sinne der früheren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Da das BAG erst im Jahr 2009 von dieser Rechtsprechung abgerückt sei, sei die in den Vorjahren vom Kläger widerspruchslos hingenommene Handhabung bezüglich seines Weihnachtsgeldes nach den Grundsätzen gegenläufiger betrieblicher Übung zum Inhalt seines Vertrags geworden. Die Ansicht des Arbeitsgerichts, eine gegenläufige betriebliche Übung stehe dem Anspruch des Klägers deshalb nicht entgegen, weil eine im Arbeitsvertrag getroffene Regelung betroffen sei, sei unrichtig. Das Arbeitsgericht vertrete damit augenscheinlich die Auffassung, dass es vertragliche Ansprüche „erster Klasse“ gebe (wenn die Regelung sich explizit im Arbeitsvertrag finde) und vertragliche Ansprüche „zweiter Klasse“, wenn sie auf betriebliche Übung gestützt würden. Eine solche Unterscheidung könne jedoch nicht vorgenommen werden. Ein Anspruch aus betrieblicher Übung sei nämlich kein Anspruch „minderer Qualität“. Es komme mithin nicht darauf an, ob eine gegenläufige betriebliche Übung konkrete Regelungen eines unterschriebenen Arbeitsvertrages oder eine bestehende betriebliche Übung verändere.

Zur Darstellung aller Einzelheiten des Berufungsvorbringens der Beklagten wird auf deren Berufungsbegründungsschrift vom 24.11.2017 (Bl. 87-90 d. A.) Bezug genommen.

Die Beklagte beantragt, das erstinstanzliche Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil nach Maßgabe seiner Berufungserwiderungsschrift vom 07.12.2017 (Bl. 97 f. d. A.), auf die Bezug genommen wird.

Entscheidungsgründe

I.

Die statthafte Berufung ist sowohl form- als auch fristgerecht eingelegt und begründet worden. Das hiernach insgesamt zulässige Rechtsmittel hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat der Klage sowohl im Ergebnis zu Recht als auch mit zutreffender Begründung stattgegeben.

II.

Die zulässige Klage ist begründet.

Der Kläger hat gegen die Beklagte Anspruch auf Zahlung einer restlichen Weihnachtsgratifikation für das Jahr 2016 in Höhe von 1.280,42 € brutto. Dieser Zahlungsanspruch folgt aus § 4, Ziffer 6 des Arbeitsvertrages der Parteien.

Das Berufungsgericht folgt uneingeschränkt den Ausführungen des Arbeitsgerichts in den Entscheidungsgründen des erstinstanzlichen Urteils und stellt dies gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG fest. Im Hinblick auf das Berufungsvorbringen der Beklagten erscheinen lediglich folgende ergänzenden Klarstellungen angezeigt:

1.

Der in § 4, Ziffer 6 des Arbeitsvertrages enthaltene Freiwilligkeits- und Widerrufsvorbehalt steht dem Anspruch des Klägers nicht entgegen.

Der Freiwilligkeitsvorbehalt ist gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam, weil er gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB verstößt. Es ist nämlich widersprüchlich, wenn ein Arbeitgeber einem Arbeitnehmer – wie im vorliegenden Fall – in einem von ihm vorformulierten Anstellungsvertrag ausdrücklich zusagt, jedes Jahr ein Weihnachtsgeld zu zahlen, die Zahlung des Weihnachtsgeldes jedoch in derselben oder in einer anderen Vertragsklausel an einen Freiwilligkeitsvorbehalt bindet (BAAG v. 10.12.2008 – 10 AZR 1/08 – AP Nr. 40 zu § 307 BGB).

Darüber hinaus verstößt auch die im Streitfall formulierte Kombination von Freiwilligkeits- und Widerrufsvorbehalt gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB, was nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB zur Unwirksamkeit des Freiwilligkeitsvorbehalts führt (BAG v. 14.09.2011 – 10 AZR 526/10 -, AP Nr. 56 zu § 307 BGB).

Der im Arbeitsvertrag der Parteien enthaltene Widerrufsvorbehalt ist – für sich betrachtet – auch unwirksam, weil er den formellen Anforderungen des § 308 Nr. 4 BGB nicht gerecht wird. Bei den Widerrufsgründen muss zumindest die Richtung angegeben werden, aus der der Widerruf möglich sein soll, z. B. wirtschaftliche Gründe, Leistung oder Verhalten des Arbeitnehmers (BAG v. 24.01.2017 – 1 AZR 774/14 -, AP Nr. 10 zu § 308 BGB, m. w. N.). Diesem Transparenzgebot genügt die im Arbeitsvertrag der Parteien enthaltene Widerrufsklausel nicht, da Gründe, wegen derer ein Widerruf möglich sein soll, nicht ansatzweise genannt sind.

2.

Die dem Anspruch des Klägers begründende vertragliche Regelung ist auch nicht dadurch abgeändert worden, dass die Beklagte dem Kläger ab dem Jahr 2005 keine Weihnachtsgratifikation in Höhe eines vollen Monatslohnes mehr gezahlt hat und der Kläger dieser Handhabung – unter Zugrundelegung des Sachvortrages der Beklagten – nicht widersprochen hat.

Ein Vertrag kommt durch ein Angebot und dessen Annahme zustande. Schweigen stellt, wie aus § 147 BGB hervorgeht, in der Regel keine Willenserklärung dar. Wer auf ein Angebot nicht reagiert, stimmt diesem nicht zu. Vor allem dann, wenn eine Partei eine bestehende Vertragssituation nachteilig verändern möchte, kann sie nicht ohne weiteres unterstellen, dass die andere Vertragspartei damit einverstanden ist (BAG v. 26.03.1997 – 10 AZR 612/96 -, AP Nr. 50 zu § 242 BGB Betriebliche Übung). Von diesem Grundsatz gibt es jedoch Ausnahmen. Nach § 151 Satz 1 BGB kommt ein Vertrag durch die Annahme des Antrags zustande, ohne dass diese Annahme dem Antragenden gegenüber erklärt zu werden braucht, wenn eine solche Erklärung nach der Verkehrssitte nicht zu erwarten ist oder der Antragende auf sie verzichtet hat. Dies betrifft in erster Linie für den Annehmenden günstige Angebote. Einen Fall der nach der Verkehrssitte nicht zu erwartenden ausdrücklichen Erklärung hat das BAG auch darin gesehen, dass ein Änderungsangebot des Arbeitgebers durch widerspruchslose Fortsetzung der Tätigkeit angenommen werden kann, wenn die Vertragsänderung sich unmittelbar im Arbeitsverhältnis auswirkt, nicht hingegen, solange deren Folgen nicht hervortreten (BAG v. 01.08.2001 – 4 AZR 129/00 – AP Nr. 20 zu § 157 BGB). Dabei sind jedoch alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen (BAG v. 24.11.2004 – 10 AZR 202/04 – AP Nr. 70 zu § 242 BGB Betriebliche Übung).

Zwar hat sich die veränderte Handhabung der Beklagten bei der Auszahlung des Weihnachtsgeldes ab dem Jahr 2005 unmittelbar auf das Arbeitsverhältnis des Klägers ausgewirkt. Gleichwohl konnte die Beklagte nicht annehmen, dass der Kläger, indem er der Reduzierung der Weihnachtsgratifikation nicht widersprach, einer Vertragsänderung zustimmt bzw. auch in Zukunft auf seinen vertraglichen Anspruch (teilweise) verzichten wollte. Dies gilt bereits deshalb, weil die Parteien in ihrem Arbeitsvertrag die Schriftform für Vertragsänderungen vorgesehen haben. Zwar ist ein konkludenter Zugangsverzicht auch bei Rechtsgeschäften, die der Schriftform unterliegen, möglich, sofern nicht gerade der mit dem Schriftformerfordernis verfolgte Zweck einen Zugang der Annahmeerklärung verlangt. Dies kann insbesondere bei solchen Vertragsänderungen angenommen werden, die für den Erklärungsgegner ausschließlich vorteilhaft sind. Der Zweck der Schriftform besteht in der Regel darin, leichter Beweis führen zu können über die vorhandenen vertraglichen Regelungen und darin, vor leichtfertigen mündlichen Erklärungen zu schützen. Bietet der Arbeitgeber ausschließlich für den Arbeitnehmer günstige Leistungen unter Verzicht auf die Schriftform an, geht er davon aus, dass es keiner ausdrücklichen Annahmeerklärung bedurfte. Insoweit macht er auch deutlich, dass er auf die Einhaltung der Schriftform keinen Wert legt. Dies gilt aber nicht für eine für den Empfänger nachteilige angestrebte Regelung. Dann muss der Erklärende erwarten, dass sein Erklärungsgegner sich darauf verlässt, dass er nachteilige Vertragsänderungen nur hinnehmen muss, wenn diese schriftlich zustande kommen (BAG v. 24.11.2004 – 10 AZR 202/04 -, AP Nr. 70 zu § 242 BGB Betriebliche Übung).

Die Parteien haben den Arbeitsvertrag auch nicht nach den Grundsätzen der sog. gegenläufigen betrieblichen Übung abgeändert. Dies bereits deshalb, weil ein im Arbeitsvertrag vereinbarter Anspruch des Arbeitnehmers auf eine Gratifikation nur durch Kündigung oder vertragliche Abrede verschlechtert oder beseitigt werden kann, nicht aber durch eine gegenläufige betriebliche Übung (BAG v. 18.03.2009 – 10 AZR 281/08 -, Rz. 13, zitiert nach juris).

III.

Die Berufung der Beklagten war daher mit der sich aus § 97 Abs. 1 ZPO ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen.

Für die Zulassung der Revision bestand keine Veranlassung. Auf die Möglichkeit, die Nichtzulassung der Revision selbständig durch Beschwerde anzufechten (§ 72a ArbGG), wird hingewiesen.

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