Übersicht:
- Wegweisender Urteil zu Wiedereingliederung und Kündigungsschutz im Arbeitsrecht
- Der Fall vor Gericht
- Die Schlüsselerkenntnisse
- Benötigen Sie Hilfe?
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Welche rechtlichen Voraussetzungen müssen für eine fristlose Kündigung während der Wiedereingliederung erfüllt sein?
- Was bedeutet eine Soziale Auslauffrist bei einer außerordentlichen Kündigung?
- Unter welchen Bedingungen besteht während der Wiedereingliederung ein Anspruch auf Vergütung?
- Welche Anforderungen bestehen an die Darlegung eines leidensgerechten Arbeitsplatzes?
- Welche besonderen Schutzrechte haben Schwerbehinderte bei der Wiedereingliederung?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Das vorliegende Urteil
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Landesarbeitsgericht Köln
- Datum: 25.04.2024
- Aktenzeichen: 7 Sa 521/23
- Verfahrensart: Berufungsverfahren im Kündigungsschutzrecht
- Rechtsbereiche: Arbeitsrecht, Schwerbehindertenrecht
Beteiligte Parteien:
- Kläger: Ein Softwareentwickler, der schwerbehindert ist und nach einem Verkehrsunfall unter mehreren gesundheitlichen Einschränkungen leidet. Er wandte sich gegen eine außerordentliche, Personenbedingte Kündigung seines Arbeitsverhältnisses und begehrte Annahmeverzugslohn.
- Beklagte: Der ehemalige Arbeitgeber des Klägers, der die außerordentliche Kündigung ausgesprochen hat, da der Kläger aus ihrer Sicht arbeitsunfähig war und keine leidensgerechten Arbeitsplätze zur Verfügung standen.
Um was ging es?
- Sachverhalt: Der Kläger war seit dem Jahr 2000 als Softwareentwickler angestellt und seit längerer Zeit behindert. Er nahm an einer Wiedereingliederung teil, die erfolglos beendet wurde. Der Arbeitgeber kündigte außerordentlich, weil er keine leidensgerechte Beschäftigung für den Kläger bereitstellen konnte. Der Kläger bot seine Arbeitskraft an, was der Arbeitgeber ablehnte.
- Kern des Rechtsstreits: Der Kern bestand in der Frage, ob der Kläger einen Anspruch auf Annahmeverzugslohn hatte, obwohl der Arbeitgeber keinen leidensgerechten Arbeitsplatz zur Verfügung stellen konnte und inwiefern der Arbeitgeber verpflichtet war, eine solche Beschäftigung anzubieten.
Was wurde entschieden?
- Entscheidung: Die Berufung des Klägers wurde zurückgewiesen. Die Kündigungsschutzklage hatte bereits in erster Instanz Erfolg, der Anspruch auf Annahmeverzugslohn wurde jedoch abgewiesen.
- Begründung: Der Kläger war aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage, seine vertraglich geschuldete Tätigkeit auszuüben. Der Arbeitgeber befand sich nicht in Annahmeverzug, da keine konkreten Vorstellungen für einen leidensgerechten Arbeitsplatz geäußert wurden. Der Kläger konnte die Indizien für seine Arbeitsunfähigkeit nicht widerlegen und die Berufung enthielt keine hinreichend substantiierten Gründe.
- Folgen: Der Kläger hat keinen Anspruch auf Annahmeverzugslohn. Die Entscheidung zeigt, dass eine ordnungsgemäße Mitteilung des Arbeitnehmerwunsches auf leidensgerechte Arbeitsplatzausführung erforderlich ist. Die Revision wurde nicht zugelassen. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Wegweisender Urteil zu Wiedereingliederung und Kündigungsschutz im Arbeitsrecht

Die Bewältigung von Arbeitsunfähigkeit und die erfolgreiche Rückkehr an den Arbeitsplatz stellen sowohl für Arbeitnehmer als auch für Arbeitgeber eine komplexe Herausforderung dar. Das Wiedereingliederungsmanagement bietet einen rechtlichen Rahmen, der die Teilhabe am Arbeitsleben und die soziale Absicherung von Beschäftigten nach längerer Krankheit sicherstellen soll.
Die betriebliche Eingliederung umfasst verschiedene Aspekte des Arbeitsrechts, die darauf abzielen, einen Nachteilsausgleich zu schaffen und die Integration in den Arbeitsplatz zu ermöglichen. Dabei spielen Kündigungsschutz, Teilzeitregelungen und die Berücksichtigung individueller gesundheitlicher Einschränkungen eine zentrale Rolle bei der Reintegration von Mitarbeitern.
Die nachfolgende Analyse beleuchtet einen wegweisenden Gerichtsentscheid, der die rechtlichen Grenzen und Möglichkeiten bei einer personenbedingten Kündigung mit sozialer Auslauffrist präzise auslotet.
Der Fall vor Gericht
Unwirksame Kündigung eines schwerbehinderten Softwareentwicklers bei strittigem Anspruch auf Annahmeverzugslohn
Folgen eines Unfalls prägen die Arbeitsfähigkeit
Ein 60-jähriger schwerbehinderter Softwareentwickler mit einem GdB von 60 arbeitete seit April 2000 bei einem Unternehmen. Sein Bruttomonatsgehalt betrug 7.871,07 EUR. Die gesundheitlichen Einschränkungen des Mitarbeiters gehen auf einen schweren Verkehrsunfall im Jahr 1991 zurück, bei dem er ein Schädel-Hirn-Trauma erlitt. In der Folge musste ein Auge durch einen Glaskörper ersetzt werden. Bis heute leidet er unter eingeschränkter Sehkraft, extremer Tagesmüdigkeit, schweren Störungen der Merkfähigkeit sowie Konzentrationsschwierigkeiten und einem chronischen Erschöpfungszustand.
Gescheiterte Wiedereingliederung und Kündigung
Nach längerer Krankheit versuchte der Arbeitgeber zunächst ein Betriebliches Eingliederungsmanagement, zu dessen Terminen der Mitarbeiter jedoch nicht erschien. Eine im Dezember 2022 begonnene stufenweise Wiedereingliederung musste vorzeitig abgebrochen werden, da der Mitarbeiter die gestellten Aufgaben nicht in der vorgegebenen Zeit bewältigen konnte. Als er im Februar 2023 seine Arbeit wieder aufnehmen wollte, verlangte der Arbeitgeber ein ärztliches Arbeitsfähigkeitsattest. Der behandelnde Arzt bescheinigte die Arbeitsfähigkeit nur unter der Bedingung eines leidensgerechten Arbeitsplatzes. Der Arbeitgeber kündigte daraufhin außerordentlich mit sozialer Auslauffrist zum 31. Oktober 2023.
Rechtliche Auseinandersetzung um Vergütungsansprüche
Das Arbeitsgericht Bonn erklärte die Kündigung für unwirksam, wies aber die Zahlungsklage des Mitarbeiters über rund 29.000 EUR brutto für den Zeitraum Februar bis Mai 2023 ab. Das Landesarbeitsgericht Köln bestätigte diese Entscheidung. Der Arbeitnehmer konnte keinen Anspruch auf Annahmeverzugslohn durchsetzen, da er zum Zeitpunkt seines Arbeitsangebots nicht leistungsfähig war. Dies zeige sich am noch laufenden Wiedereingliederungsplan und der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Auch ein Schadensersatzanspruch wegen Verletzung der Rücksichtnahmepflicht wurde verneint, da der Mitarbeiter keine konkreten Vorstellungen zu einer leidensgerechten Beschäftigung geäußert hatte. Die bloße Forderung nach einem „leidensgerechten“ Arbeitsplatz reichte dafür nicht aus. Selbst die besonderen Schutzrechte für Schwerbehinderte nach dem SGB IX begründeten keinen Vergütungsanspruch, da der Mitarbeiter nicht dargelegt hatte, wie eine behinderungsgerechte Beschäftigung im Einzelnen aussehen sollte.
Die Schlüsselerkenntnisse
Das Urteil verdeutlicht, dass auch bei schwerbehinderten Arbeitnehmern eine krankheitsbedingte Kündigung möglich ist, wenn die dauerhafte Arbeitsunfähigkeit feststeht und zumutbare Anpassungen des Arbeitsplatzes keine Besserung versprechen. Entscheidend ist dabei, dass der Arbeitgeber zunächst alle Möglichkeiten der Wiedereingliederung und Anpassung ausschöpft. Die gescheiterte Wiedereingliederung und die fehlende Perspektive auf Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit können eine außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist rechtfertigen.“
Was bedeutet das Urteil für Sie?
Wenn Sie aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen Probleme am Arbeitsplatz haben, sollten Sie aktiv am betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) und Wiedereingliederungsmaßnahmen mitwirken. Eine Verweigerung der Teilnahme oder das Scheitern solcher Maßnahmen kann Ihre Position bei einer späteren Kündigung deutlich schwächen. Achten Sie darauf, dass Ihre Arbeitsfähigkeit durch einen Arzt klar dokumentiert wird – vage Atteste wie „arbeitsfähig bei leidensgerechtem Arbeitsplatz“ reichen meist nicht aus. Besonders wichtig ist es, frühzeitig mit Ihrem Arbeitgeber nach konkreten Lösungen zu suchen und sich bei Bedarf von der Schwerbehindertenvertretung beraten zu lassen.
Benötigen Sie Hilfe?
Kündigungsschutz und Wiedereingliederung: Sichern Sie Ihre Rechte!
Das Urteil zeigt, wie wichtig eine sorgfältige Vorgehensweise bei krankheitsbedingten Kündigungen ist – sowohl für Arbeitgeber als auch für Arbeitnehmer. Gerade bei Schwerbehinderten sind die rechtlichen Anforderungen komplex und erfordern besondere Aufmerksamkeit. Wir beraten Sie umfassend zu allen Fragen rund um Kündigungsschutz, Wiedereingliederung und BEM. Dabei entwickeln wir gemeinsam mit Ihnen individuelle Strategien, um Ihre Rechte bestmöglich zu wahren und Ihre Interessen durchzusetzen. Sprechen Sie uns an, um Ihre Situation vertraulich zu besprechen und rechtliche Klarheit zu gewinnen.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Welche rechtlichen Voraussetzungen müssen für eine fristlose Kündigung während der Wiedereingliederung erfüllt sein?
Eine fristlose Kündigung während der Wiedereingliederung ist nur unter sehr strengen Voraussetzungen möglich, da Sie in dieser Phase besonderen rechtlichen Schutz genießen.
Grundvoraussetzungen für die fristlose Kündigung
Ein wichtiger Grund muss vorliegen, der es dem Arbeitgeber unzumutbar macht, das Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist fortzusetzen. Dies können sein:
- Schwere Pflichtverletzungen wie Diebstahl oder Betrug
- Gravierende Verstöße gegen betriebliche Anweisungen
- Erhebliche Verletzungen der Arbeitspflicht
Besonderheiten während der Wiedereingliederung
Während der Wiedereingliederungsphase gelten verschärfte Anforderungen. Der Arbeitgeber muss nachweisen:
- Dass alle Möglichkeiten zur Weiterbeschäftigung ausgeschöpft wurden
- Eine negative Gesundheitsprognose vorliegt
- Das betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) ordnungsgemäß durchgeführt wurde
Formelle Anforderungen
Bei einer fristlosen Kündigung während der Wiedereingliederung müssen folgende formelle Voraussetzungen erfüllt sein:
Die Kündigung muss innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis der kündigungsrelevanten Tatsachen ausgesprochen werden. Bei Vorhandensein eines Betriebsrats muss dieser vor Ausspruch der Kündigung angehört werden. Bei schwerbehinderten Arbeitnehmern ist zusätzlich die vorherige Zustimmung des Integrationsamtes erforderlich.
Ihr Verhalten während der Wiedereingliederung wird dabei nur als außerbetriebliches Verhalten gewertet, wodurch die Anforderungen an eine verhaltensbedingte Kündigung besonders hoch sind.
Was bedeutet eine Soziale Auslauffrist bei einer außerordentlichen Kündigung?
Eine soziale Auslauffrist ist eine besondere Form der Kündigungsfrist, die bei einer außerordentlichen Kündigung von ordentlich unkündbaren Arbeitnehmern zum Tragen kommt.
Grundsätzliche Bedeutung
Die soziale Auslauffrist kommt zum Einsatz, wenn ein Arbeitnehmer aufgrund tariflicher, vertraglicher oder gesetzlicher Vorschriften ordentlich nicht kündbar ist. In solchen Fällen kann der Arbeitgeber zwar eine außerordentliche Kündigung aussprechen, muss aber dennoch eine Kündigungsfrist einhalten.
Dauer der Auslauffrist
Die Länge der sozialen Auslauffrist entspricht der Kündigungsfrist, die gelten würde, wenn der Arbeitnehmer ordentlich kündbar wäre. Wenn beispielsweise ein unkündbarer Arbeitnehmer nach 25 Jahren Betriebszugehörigkeit außerordentlich gekündigt wird, beträgt die soziale Auslauffrist sieben Monate zum Ende des Kalendermonats.
Anwendungsfälle
Eine außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist kommt besonders in folgenden Situationen vor:
- Bei betriebsbedingten Kündigungen, etwa bei einer Betriebsstilllegung
- Bei personenbedingten Kündigungen, insbesondere bei Krankheit
- Bei tariflich unkündbaren Arbeitnehmern
Rechtliche Besonderheiten
Der Arbeitgeber muss bei einer außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist dem Betriebsrat eine volle Woche zur Stellungnahme einräumen, nicht nur die üblichen drei Tage wie bei einer regulären außerordentlichen Kündigung. Die Kündigung muss dabei eindeutig als „außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist“ gekennzeichnet sein.
Unter welchen Bedingungen besteht während der Wiedereingliederung ein Anspruch auf Vergütung?
Während der Wiedereingliederung gelten Sie grundsätzlich weiterhin als arbeitsunfähig. Dies hat wichtige Auswirkungen auf Ihre Vergütungsansprüche:
Reguläre Lohnersatzleistungen
Während der Wiedereingliederungsphase haben Sie Anspruch auf folgende Leistungen:
- Krankengeld von der Krankenversicherung
- Übergangsgeld von der Rentenversicherung
- Verletztengeld von der Berufsgenossenschaft
Die konkrete Leistung richtet sich danach, wodurch Ihre Arbeitsunfähigkeit ausgelöst wurde.
Freiwillige Vergütung durch den Arbeitgeber
Der Arbeitgeber ist nicht zur Zahlung von Arbeitsentgelt verpflichtet. Er kann jedoch freiwillig eine Vergütung zahlen. Wichtig für Sie: Eine solche freiwillige Zahlung wird auf Ihre Lohnersatzleistungen angerechnet und kann zu deren Kürzung führen.
Anspruch auf Schadensersatz
Ein Schadensersatzanspruch in Höhe der entgangenen Vergütung kann entstehen, wenn der Arbeitgeber seine Pflichten verletzt. Dies ist insbesondere der Fall, wenn:
- Der Arbeitgeber die Wiedereingliederung pflichtwidrig ablehnt
- Die Ablehnung nicht durch begründete Zweifel an Ihrer Arbeitsfähigkeit gerechtfertigt ist
- Ein konkreter Wiedereingliederungsplan mit ärztlicher Bescheinigung vorliegt
Annahmeverzugslohn
Ein Anspruch auf Annahmeverzugslohn besteht während der Wiedereingliederung nicht. Das Bundesarbeitsgericht hat klargestellt, dass das Angebot einer Tätigkeit im Wiedereingliederungsverhältnis nicht ausreicht, um einen Annahmeverzug zu begründen. Dies liegt daran, dass das Wiedereingliederungsverhältnis ein Rechtsverhältnis eigener Art darstellt und nicht durch den üblichen Austausch von Leistung und Gegenleistung gekennzeichnet ist.
Welche Anforderungen bestehen an die Darlegung eines leidensgerechten Arbeitsplatzes?
Ein Arbeitnehmer muss bei der Darlegung eines leidensgerechten Arbeitsplatzes konkrete und nachvollziehbare Angaben machen. Die bloße Behauptung, dass ein Leidensgerechter Arbeitsplatz möglich sei, reicht nicht aus.
Notwendige Angaben des Arbeitnehmers
Der Arbeitnehmer muss aktiv die Initiative ergreifen und dem Arbeitgeber mitteilen, wie er sich seine weitere Beschäftigung unter Berücksichtigung seiner gesundheitlichen Einschränkungen vorstellt. Dabei sind folgende Punkte darzulegen:
- Die Art und der Umfang der gesundheitlichen Einschränkungen
- Eine konkrete Beschreibung der noch möglichen Tätigkeiten
- Vorschläge für notwendige Anpassungen des Arbeitsplatzes
Nachweispflichten
Der Arbeitnehmer muss seine gesundheitlichen Einschränkungen durch ärztliche Atteste oder Gutachten belegen. Diese Unterlagen müssen:
- Die konkreten gesundheitlichen Einschränkungen beschreiben
- Die Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit darstellen
- Mögliche Tätigkeitsfelder aufzeigen
Grenzen der Darlegungspflicht
Die Darlegungspflicht des Arbeitnehmers ist jedoch nicht grenzenlos. Der Arbeitgeber muss keine neuen Arbeitsplätze schaffen oder bestehende Arbeitsplätze freikündigen. Ein leidensgerechter Arbeitsplatz muss:
- Im Betrieb bereits vorhanden und frei sein
- Von den gesundheitlichen Einschränkungen des Arbeitnehmers her geeignet sein
- Vom Arbeitsvertrag umfasst sein
Bei schwerbehinderten Menschen oder ihnen gleichgestellten Personen gelten besondere Regelungen. Hier ist der Arbeitgeber zu weitergehenden Anpassungen verpflichtet und muss auch prüfen, ob durch zumutbare Umorganisation ein geeigneter Arbeitsplatz geschaffen werden kann.
Welche besonderen Schutzrechte haben Schwerbehinderte bei der Wiedereingliederung?
Schwerbehinderte Menschen haben bei der Wiedereingliederung einen gesetzlich verankerten Rechtsanspruch auf stufenweise Wiedereingliederung nach § 164 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX. Dies unterscheidet sie von nicht schwerbehinderten Arbeitnehmern, bei denen die Durchführung der Wiedereingliederung grundsätzlich von der Zustimmung des Arbeitgebers abhängt.
Grundlegende Schutzrechte
Der Arbeitgeber ist verpflichtet, schwerbehinderte Beschäftigte entsprechend dem vom Arzt erstellten Wiedereingliederungsplan zu beschäftigen. Wenn Sie schwerbehindert sind, muss Ihr Arbeitgeber den Arbeitsplatz und das Arbeitsumfeld behinderungsgerecht gestalten, einschließlich der Arbeitsorganisation und Arbeitszeit.
Besonderer Kündigungsschutz während der Wiedereingliederung
Während der Wiedereingliederung genießen Sie als schwerbehinderter Mensch einen besonderen Kündigungsschutz. Der Arbeitgeber benötigt für eine Kündigung die vorherige Zustimmung des Integrationsamtes. Das Integrationsamt prüft dabei besonders sorgfältig, ob ein Zusammenhang zwischen der geplanten Kündigung und der Behinderung besteht.
Rechte bei Konflikten
Wenn der Arbeitgeber die Wiedereingliederung ablehnt oder es zu Konflikten kommt, haben Sie als schwerbehinderter Mensch folgende Möglichkeiten:
- Sie können die Durchführung der Wiedereingliederung gerichtlich durchsetzen
- Bei ungerechtfertigter Ablehnung können Sie Schadensersatzansprüche geltend machen
- Das Integrationsamt muss bei Ablehnung der Wiedereingliederung eingeschaltet werden und prüft mögliche Hilfen zur Erhaltung des Arbeitsplatzes
Wenn eine Kündigung während der Wiedereingliederung unvermeidbar erscheint, muss der Arbeitgeber bei schwerbehinderten Menschen eine soziale Auslauffrist gewähren. Diese entspricht mindestens der Länge der regulären Kündigungsfrist und soll Ihnen ermöglichen, sich auf die neue Situation einzustellen.
Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung ersetzen kann. Haben Sie konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren – wir beraten Sie gerne.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Annahmeverzugslohn
Ein Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers, wenn der Arbeitgeber die angebotene Arbeitsleistung nicht annimmt, obwohl der Arbeitnehmer arbeitsfähig und arbeitsbereit ist. Geregelt in § 615 BGB. Der Arbeitgeber muss den Lohn weiterzahlen, auch wenn keine Arbeit geleistet wird. Beispiel: Ein Arbeitnehmer erscheint zur Arbeit, aber der Arbeitgeber lässt ihn nicht ins Gebäude, obwohl er arbeitsfähig ist. Wichtig ist die tatsächliche Arbeitsfähigkeit – bei Arbeitsunfähigkeit besteht kein Anspruch.
Betriebliches Eingliederungsmanagement
Ein gesetzlich vorgeschriebenes Verfahren nach § 167 Abs. 2 SGB IX, das Arbeitgeber durchführen müssen, wenn Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig sind. Ziel ist es, die Arbeitsunfähigkeit zu überwinden und den Arbeitsplatz zu erhalten. Dies geschieht durch systematische Planung von Maßnahmen wie etwa stufenweise Wiedereingliederung oder Arbeitsplatzanpassungen.
Personenbedingte Kündigung
Eine Kündigungsart, die auf Gründen in der Person des Arbeitnehmers basiert, ohne dass diesem ein Verschulden vorgeworfen werden kann. Typische Gründe sind längerfristige Krankheit oder der Verlust notwendiger Fähigkeiten. Geregelt im Kündigungsschutzgesetz (KSchG). Anders als bei verhaltensbedingten Kündigungen liegt kein vorwerfbares Verhalten vor. Beispiel: Ein Berufskraftfahrer verliert seinen Führerschein aus gesundheitlichen Gründen.
Soziale Auslauffrist
Eine verlängerte Kündigungsfrist bei außerordentlichen Kündigungen, die dem Arbeitnehmer einen sozial verträglichen Übergang ermöglichen soll. Sie wird gewährt, wenn zwar Gründe für eine fristlose Kündigung vorliegen, die sofortige Beendigung aber unverhältnismäßig wäre. Die Frist orientiert sich meist an der ordentlichen Kündigungsfrist. Besonders relevant bei langjährigen Arbeitsverhältnissen oder schwerbehinderten Arbeitnehmern.
Leidensgerechter Arbeitsplatz
Ein Arbeitsplatz, der auf die gesundheitlichen Einschränkungen des Arbeitnehmers angepasst ist und ihm trotz seiner Erkrankung oder Behinderung das Arbeiten ermöglicht. Basiert auf § 164 SGB IX und der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers. Der Arbeitgeber muss zumutbare Anpassungen vornehmen, benötigt dafür aber konkrete Angaben zu den erforderlichen Maßnahmen. Beispiel: Höhenverstellbarer Schreibtisch bei Rückenproblemen.
Rücksichtnahmepflicht
Eine gegenseitige Pflicht von Arbeitgeber und Arbeitnehmer, nach § 241 Abs. 2 BGB auf die Interessen des anderen angemessen Rücksicht zu nehmen. Der Arbeitgeber muss dabei besonders die Gesundheit und das Wohlbefinden der Beschäftigten berücksichtigen. Bei Verletzung dieser Pflicht können Schadensersatzansprüche entstehen. Beispiel: Unterlassene Schutzmaßnahmen bei gefährlichen Arbeiten.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX): Das SGB IX regelt die Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am Arbeitsleben. Es legt Maßnahmen fest, die sicherstellen sollen, dass schwerbehinderte Personen gleichberechtigt arbeiten können und unterstützt die Integration in den Arbeitsplatz. Im vorliegenden Fall betrifft dies die Wiedereingliederungsmaßnahmen und die Verpflichtung des Arbeitgebers, angemessene Arbeitsbedingungen zu schaffen.
- Kündigungsschutzgesetz (KSchG): Das KSchG schützt Arbeitnehmer vor sozial ungerechtfertigten Kündigungen, insbesondere nach einer Betriebszugehörigkeit von mehr als sechs Monaten. Es setzt voraus, dass Kündigungen sozial gerechtfertigt sind, etwa durch betriebliche Erfordernisse oder personenbedingte Gründe. Im vorliegenden Fall wird geprüft, ob die Kündigung des schwerbehinderten Klägers unter Berücksichtigung seiner gesundheitlichen Einschränkungen sozial gerechtfertigt war.
- Betriebliches Eingliederungsmanagement (bEM) gemäß SGB IX: Das bEM ist eine Maßnahme zur Unterstützung von erkrankten Arbeitnehmern bei der Rückkehr an den Arbeitsplatz. Es soll individuelle Lösungen finden, um eine erneute Arbeitsunfähigkeit zu vermeiden. Im Fall des Klägers wurde das bEM eingesetzt, um seine Wiedereingliederung zu begleiten, was für die Bewertung der Kündigung relevant ist.
- Teilhabegleichstellungsgesetz (TeilG) im SGB IX: Dieses Gesetz stärkt die Rechte von Menschen mit Behinderungen im Arbeitsleben und verpflichtet Arbeitgeber, angemessene Anpassungen am Arbeitsplatz vorzunehmen. Es dient dem Schutz vor Diskriminierung und unterstützt die Schaffung eines barrierefreien Arbeitsumfelds. Im aktuellen Fall ist relevant, ob der Arbeitgeber den Anforderungen des TeilG nachgekommen ist, indem er dem Kläger einen geeigneten Arbeitsplatz angeboten hat.
- Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG): Das AGG verbietet Diskriminierungen am Arbeitsplatz aufgrund von Behinderung, Geschlecht, Religion und weiteren Merkmalen. Es verpflichtet Arbeitgeber, Gleichbehandlung sicherzustellen und Diskriminierungen zu vermeiden. Im Kontext der Kündigung des Klägers ist zu prüfen, ob die Entscheidung möglicherweise gegen das AGG verstoßen hat, indem die Behinderung des Klägers eine ungerechtfertigte Diskriminierung darstellt.
Das vorliegende Urteil
Landesarbeitsgericht Köln – Az.: 7 Sa 521/23 – Urteil vom 25.04.2024
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