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Wirksamkeit einer krankheitsbedingten Kündigung

Eine Erörterung zur Wirksamkeit krankheitsbedingter Kündigungen

Das vorliegende Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln (Az.: 8 Sa 393/21) vom 1. September 2022 wirft ein helles Licht auf den oft diskutierten, doch selten klaren Bereich der krankheitsbedingten Kündigungen. Kern des Falls ist die Frage, ob eine langjährige Mitarbeiterin eines Paketdienstes aufgrund wiederholter, krankheitsbedingter Fehlzeiten entlassen werden darf. Es entfaltet sich ein konfliktgeladener Schlagabtausch zwischen der Arbeitgeberin und ihrer Angestellten, einer alleinerziehenden Mutter von zwei erwachsenen Kindern.

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Fehlzeiten als Kündigungsgrund

Die Mitarbeiterin, geboren 1973 und seit 1991 beim Unternehmen angestellt, weist seit 2014 auffällig viele krankheitsbedingte Fehlzeiten auf. Diese reichen von 23 Arbeitstagen im Jahr 2019 bis hin zu 79 Arbeitstagen im Jahr 2017. Obwohl eine ärztliche Untersuchung im Jahr 2020 keine gesundheitlichen Bedenken ergab, bestand das Problem der wiederholten Abwesenheiten weiterhin.

Betriebliches Eingliederungsmanagement als Lösungsversuch

In der Hoffnung auf eine Lösung lud der Arbeitgeber die Mitarbeiterin im Juli 2020 zu einem betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) Gespräch ein. In diesem Gespräch betonte die Mitarbeiterin, dass keine arbeitsplatzbezogenen Ursachen für ihre Erkrankungen bestünden und der Arbeitgeber nichts veranlassen könne, um zukünftige krankheitsbedingte Ausfälle zu verhindern.

Die endgültige Entscheidung

Trotz des BEM-Gesprächs hörte der Arbeitgeber den Betriebsrat zur beabsichtigten krankheitsbedingten Kündigung an. Schließlich entschied das Landesarbeitsgericht Köln in der Berufungsinstanz zugunsten der Beklagten. Das Urteil, das das vorherige Urteil des Arbeitsgerichts Köln bestätigte, wurde final und eine Revision wurde nicht zugelassen. Die Kosten des Berufungsverfahrens hatte die Beklagte zu tragen.

Mit diesem Urteil wurde ein weiterer wichtiger Präzedenzfall im Bereich der krankheitsbedingten Kündigungen geschaffen, der die Richtung für zukünftige ähnliche Fälle vorgibt. Es zeigt deutlich, dass die Bewertung der Wirksamkeit einer krankheitsbedingten Kündigung von verschiedenen Faktoren abhängt, darunter die Dauer und Häufigkeit der Fehlzeiten, die Prognose für zukünftige Fehlzeiten und die Auswirkungen auf den Betriebsablauf.


Das vorliegende Urteil

Landesarbeitsgericht Köln – Az.: 8 Sa 393/21 – Urteil vom 01.09.2022

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 24.06.2021 – 10 Ca 7069/20 – wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer krankheitsbedingten Kündigung.

Die am 1973 geborene, alleinerziehende Mutter von zwei erwachsenen Kindern, ist seit dem 28.09.1991 bei der Beklagten als Verladerin im Paketzentrum E mit einem Arbeitszeitumfang von 27 Stunden pro Woche beschäftigt. Ihre durchschnittliche monatliche Bruttovergütung betrug zuletzt nach eigenen Angaben 3.250,00 Euro.

Jedenfalls seit dem Jahr 2014 wies die Klägerin zahlreiche krankheitsbedingte Fehlzeiten auf. Im Jahr 2014 fehlte die Klägerin an 47 Arbeitstagen, im Jahr 2015 an 34 Arbeitstagen, im Jahr 2016 an 46 Arbeitstagen, im Jahr 2017 an 79 Arbeitstagen, im Jahr 2018 an 60 Arbeitstagen, im Jahr 2019 an 23 Arbeitstagen sowie im Jahr 2020 an 45 Arbeitstagen. Währende der gesamten Fehlzeiten der Jahre 2014 bis 2019 leistete die Beklagte an die Klägerin Entgeltfortzahlung. Im Jahr 2020 erhielt die Klägerin für 40 der 45 insgesamt angefallenen Krankheitstage Entgeltfortzahlung.

In einer am 18.08.2020 durchgeführten p Eignungsuntersuchung wurde festgestellt, dass ärztlicherseits keine gesundheitlichen Bedenken bestehen und die Klägerin vollständig einsatzfähig ist.

Mit Schreiben der Beklagten vom 15.07.2020 wurde die Klägerin zu einem BEM-Gespräch eingeladen. Wegen der Einzelheiten des Schreibens wird auf Bl. 39, 40 der Akte Bezug genommen. Nachdem die Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 28.08.2020 an die Einladung erinnert hatte, stimmte die Klägerin am 10.09.2020 der Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements zu. Am 15.09.2020 fand ein Gespräch statt. Ausweislich des von diesem Termin erstellten Protokolls erklärte die Klägerin, dass sie die geschuldete Arbeitsleistung als Verlader darin verrichten könne, es gebe keine arbeitsplatzbezogenen Ursachen für ihre Erkrankungen und der Arbeitgeber könne nichts veranlassen, um zukünftige krankheitsbedingte Ausfälle zu verhindern.

Mit Schreiben vom 01.10.2020 hörte die Beklagte den bei ihr bestehenden Betriebsrat zur beabsichtigten krankheitsbedingten Kündigung der Klägerin. Wegen der Einzelheiten der Anhörung wird auf das von der Beklagten als Anl. B1 vorgelegte Schreiben vom 1.10.2020 Bezug genommen. Der Betriebsrat erklärte mit Schreiben vom 12.10.2020, der beabsichtigten Kündigung der Klägerin nicht zuzustimmen, da für ihn nicht erkennbar sei, dass eine dauerhaft negative Krankheitsprognose vorliege.

Mit Schreiben vom 19.10.2020 kündigte die Beklagte das mit der Klägerin bestehende Arbeitsverhältnis fristgerecht zum 31.05.2021. Gegen diese Kündigung hat sich die Klägerin mit ihrer am 29.10.2020 beim Arbeitsgericht Köln eingegangenen Klage gewandt. Sie hat gemeint, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt, insbesondere sei eine negative Zukunftsprognose nicht gegeben. In dem maßgeblichen Referenzzeitraum von drei Jahren fehle es jedenfalls im Kalenderjahr 2019, an denen sie lediglich an 23 Arbeitstagen krankheitsbedingt gefehlt habe, an den für die negative Zukunftsprognose erforderlichen Krankheitszeiten. Im Jahr 2018 habe sie im Frühjahr zehn Tage aufgrund eines grippalen Infektes bzw. einer Bronchitis gefehlt sowie 17 Tage aufgrund von Schulter- und Rückenbeschwerden. 28 weitere krankheitsbedingte Fehltage seien auf einen Fersensport zurückzuführen, der operativ behandelt worden und somit ausgeheilt sei. Im Jahr 2020 habe sie im Februar an zwölf Tagen wegen eines grippalen Infektes sowie aufgrund eines Schulterarmsyndroms gefehlt. Weitere 33 Fehltage seien auf eine Erkrankung in der Ziehen zurückzuführen, die operativ behandelt worden und insgesamt ausgeheilt seien. Diese Fehlzeiten könnten somit für die negative Zukunftsprognose nicht herangezogen werden.

Die Klägerin hat weiter die Auffassung vertreten, das betriebliche Eingliederungsmanagement sei nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden.

Die Klägerin hat beantragt, festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 19.10.2020 nicht aufgelöst worden ist.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat die Ansicht vertreten, die Kündigung sei krankheitsbedingt gerechtfertigt und geltend gemacht, das Arbeitsverhältnis sei jedenfalls seit dem Jahr 2014 aufgrund hoher krankheitsbedingter Fehlzeiten der Klägerin massiv beeinträchtigt. Sie habe seit 2014 durchschnittlich an 47,72 Arbeitstagen pro Kalenderjahr krankheitsbedingt gefehlt. Aufgrund dieser Fehlzeiten sei von einer negativen Zukunftsprognose auszugehen. Dieser stehe auch nicht entgegen, dass die Klägerin im Jahr 2019 geringere Fehlzeiten als in den übrigen Jahren aufgewiesen habe. Denn ein einzelnes „Ausreißerjahr“, in dem auch immerhin noch 23 Fehltage angefallen seien, lasse keine Rückschlüsse auf eine die Kündigung gegebenenfalls ausschließende positive Entwicklung des Gesundheitszustandes der Klägerin bei Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu. Auch seien in dem Jahr 2019 atypische Verhältnisse zu berücksichtigen. Denn die Klägerin habe im Jahr 2019, was unstreitig ist, 39 Tage Erholungsurlaub in Anspruch genommen und somit erheblich mehr als in den übrigen Jahren. Insoweit sei die Prognose berechtigt, dass alleine die erhöhte Anzahl von Urlaubstagen und die damit verbundene Erholung der Klägerin weitere Zeiträume der Arbeitsunfähigkeit verhindert haben. Im Übrigen hat die Beklagte bestritten, dass im Jahr 2020 eine Operation an den Füßen bzw. Zehen der Klägerin stattgefunden habe, durch die bestehende gesundheitliche Probleme als ausgeheilt zu betrachten seien.

Die Beklagte hat weiter geltend gemacht, die Fehlzeiten der Klägerin hätten zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen geführt. Diese bestünden zum einen in der erheblichen wirtschaftlichen Belastung durch Entgeltfortzahlungskosten. Zum anderem seien durch ständige Vertretungen für die Klägerin durch Kolleginnen und Kollegen und die damit verbundenen Belastungen für diese erhebliche Störungen des Arbeitsablaufes eingetreten. Da auch nach dem Ergebnis der betriebsärztlichen Untersuchung sowie dem ordnungsgemäß durchgeführten betrieblichen Eingliederungsmanagement keine anderweitigen arbeitsplatzbezogenen Maßnahmen möglich gewesen seien, sei die Kündigung verhältnismäßig.

Mit Urteil vom 24.06.2021 hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben und festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 19.10.2020 nicht aufgelöst worden ist. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass bei Betrachtung eines prognoserelevanten Zeitraums von drei Jahren vor Zugang der Kündigung nicht von einer negativen Zukunftsprognose ausgegangen werden könne. Zudem sei durch die ärztliche Untersuchung vom 19.08.2020 bestätigt worden, dass die Klägerin aus ärztlicher Sicht für ihre Tätigkeit als Verlader geeignet sei. Zudem bestünden Bedenken gegen die Wirksamkeit des durchgeführten betrieblichen Eingliederungsmanagements, da die Hinweise der Beklagten im Einladungsschreiben im Hinblick auf die Belehrung zum Datenschutz unzureichend seien. Gegen das ihr am 11.08.2021 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 05.07.2021 Berufung eingelegt, die sie, nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 11.11.2021, am 10.11.2021 begründet hat.

Die Beklagte meint, das Arbeitsgericht habe bei der Frage der negativen Zukunftsprognose zu Unrecht nur auf den Zeitraum von drei Jahren vor Zugang der Kündigung abgestellt. Vielmehr seien die letzten sieben Jahre, d. h. der Zeitraum seit 2014, zu berücksichtigen. In all diesen Jahren seien enorme Krankheitsausfallzeiten aufgetreten, die ein der Gesamtheit des Krankenbildes darlege, welches auf eine persönliche konstitutionelle Schwächung und damit eine besondere Krankheitsanfälligkeit der Klägerin schließen lasse. Daher sei auch nicht entscheidend, ob individuelle Einzelerkrankungen ausgeheilt gewesen seien. Insgesamt seien im Schnitt der letzten sieben Jahre deutlich längere Krankheitsausfallzeiten zu verzeichnen gewesen als die für eine negative Zukunftsprognose „notwendigen“ sechs Wochen. Zudem habe das Arbeitsgericht im Hinblick auf das Jahr 2019 nicht hinreichend berücksichtigt, dass aufgrund der von der Klägerin in Anspruch genommenen hohen Anzahl an Urlaubstagen nur eine erheblich verringerte Arbeitsbelastung der Klägerin bestanden habe. Die geringere Anzahl von lediglich 23 krankheitsbedingten Abwesenheitstagen stehe daher der negativen Indizwirkung der krankheitsbedingten Fehlzeiten in den übrigen Jahren nicht entgegen.

Die Beklagte ist weiter der Auffassung, das Ergebnis der zuletzt durchgeführten ärztlichen Untersuchung vom 19.08.2020, nach dem die Klägerin aus ärztlicher Sicht weiterhin für die Tätigkeit als Verlader geeignet sei, bestätige die negative Prognose. Denn das Nichtvorhandensein von aus medizinischer Sicht bestehenden arbeitsplatz- und tätigkeitsbezogenen Ursachen und Risiken spreche zum einen umso mehr für eine erhebliche Krankheitsanfälligkeit der Klägerin und zum anderen dafür, dass die Beklagte als Arbeitgeberin selbst überhaupt keinen Einfluss auf die Ausfallzeiten der Klägerin nehmen könne.

Die Beklagte meint weiter, das betriebliche Eingliederungsänderungsmanagement sei ordnungsgemäß durchgeführt worden. Selbst wenn das Einladungsschreiben unzureichende Hinweise im Hinblick auf die Belehrung zum Datenschutz enthalten habe, sei dieses ohne Relevanz, da die Klägerin von diesen offensichtlich nicht davon abgehalten worden sei, an der Durchführung des BEM-Verfahrens teilzunehmen.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 24.06.2021 – 10 Ca 7069/21 – abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil und vertritt die Auffassung, die Berufung sei bereits unzulässig, da die Berufungsbegründung den Anforderungen des §§ 520 Abs. 3 S. 2 Ziffer. 2 und 3 ZPO nicht genüge. Die Berufung sei auch in der Sache unbegründet. Denn das Arbeitsgericht habe zu Recht das Vorliegen einer negativen Gesundheitsprognose verneint. Entgegen der Auffassung der Beklagten könne weder auf einen Referenzzeitraum von insgesamt sieben Jahren abgestellt werden, noch sei eine Durchschnittsberechnung der Fehlzeiten zulässig. Tatsächlich sei bereits im Jahre 2018 der als Kündigung relevant angesehene Schwellenwert von sechs Wochen nicht überschritten, da der Zeitraum von 28 Tagen, an dem die Klägerin aufgrund eines singulären Ereignisses, das vollständig ausgeheilt sei (Fersensporn), aus den Fehlzeiten des Jahres 2018 herausgerechnet werden müsste. Soweit die Klägerin im Jahr 2019 an Arbeitstagen erkrankt gewesen sei, sei die Schlussfolgerung der Beklagten, dass in dem Fall, dass die Klägerin in geringerem Umfang Urlaub in Anspruch genommen hätte, höhere Fehlzeiten aufgetreten wären, um eine falsche Unterstellung. Vielmehr könne der Urlaub gerade nur dann genommen werden, wenn die Arbeitnehmerin gesund sei. Des Weiteren handele es sich auch bei den Gründen für ihre Erkrankung vom 28.05.2019 bis 07.06.2019 um ein einmaliges Ereignis, d. h. einen persönlichen, familiären Schicksalsschlag, der zu Schlafstörungen und Gliederschmerzen geführt habe und ebenfalls nicht prognoserelevant sei. Für das Jahr 2020 habe das Arbeitsgericht zu Recht darauf hingewiesen, dass die Fehlzeiten, die auf Operationen an beiden Füßen entfallen sein, ebenfalls nicht berücksichtigt werden könnten, um eine negative Zukunftsprognose zu begründen. Insoweit sei auch im Jahr 2020 die Schwelle von sechs Wochen nicht überschritten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der erst und zweitinstanzlich gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, sowie auf die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I. Die Berufung ist zulässig, weil sie statthaft (§§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und 2 Buchstabe c) ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 5 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).

Die Berufungsbegründung genügt auch den Anforderungen des § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 ZPO. § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO erfordert eine hinreichende Darstellung der Gründe, aus denen sich die Rechtsfehlerhaftigkeit der angefochtenen Entscheidung ergeben soll. Der Berufungsführer hat die Beurteilung des Streitfalls durch den Erstrichter zu überprüfen und darauf hinzuweisen, in welchen Punkten und mit welchem Grund er das angefochtene Urteil für unrichtig hält. Er muss sich mit den rechtlichen oder tatsächlichen Argumenten des Urteils befassen, wenn er dieses bekämpfen will. Formelhafte Wendungen und die bloße Bezugnahme oder Wiederholung des erstinstanzlichen Vorbringens genügt nicht (LAG Köln, Urteil vom 31.08.2016 – 11 Sa 829/15 – Rn.14, juris; LAG Köln, Urteil vom 18. Januar 2022 – 4 Sa 312/21 -, Rn. 63, juris). Diesen Anforderungen wird die Berufungsbegründung der Beklagten gerecht. Denn sie hat in ihrer Berufungsbegründung einzelne Punkte aufgezeigt, an denen das Arbeitsgericht – ihrer Auffassung nach – den Sachverhalt bzw. die Rechtslage falsch bewertet hat und ihre Bewertung der jeweiligen Fragen dargelegt. Dass sie darüber hinaus auch ihren erstinstanzlichen Vortrag wiederholt hat, führt nicht zur Unzulässigkeit der Berufung.

II. Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage zu Recht und mit zutreffender Begründung stattgegeben.

Das zwischen den Parteien begründete Arbeitsverhältnis ist nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 19.10.2020 aufgelöst worden. Die Kündigung ist gem. § 1 Abs. 1, Abs. 2 KSchG rechtsunwirksam, da sie sozial ungerechtfertigt ist. Sie ist insbesondere nicht durch Gründe, die in der Person der Klägerin liegen, bedingt.

a) Die Wirksamkeit einer auf häufige Kurzerkrankungen gestützten ordentlichen Kündigung setzt zunächst eine negative Gesundheitsprognose voraus. Im Kündigungszeitpunkt müssen objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang befürchten lassen. Häufige Kurzerkrankungen in der Vergangenheit können indiziell für eine entsprechende künftige Entwicklung sprechen (erste Stufe). Die prognostizierten Fehlzeiten sind nur dann geeignet, eine krankheitsbedingte Kündigung zu rechtfertigen, wenn sie zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen. Dabei können neben Betriebsablaufstörungen auch wirtschaftliche Belastungen, etwa durch zu erwartende, einen Zeitraum von mehr als sechs Wochen pro Jahr übersteigende Entgeltfortzahlungskosten, zu einer solchen Beeinträchtigung führen (zweite Stufe). Ist dies der Fall, ist im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung zu prüfen, ob die Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber billigerweise nicht mehr hingenommen werden müssen (dritte Stufe) (BAG 23. Januar 2014 – 2 AZR 582/13 – Rn. 27, BAGE 147, 162; BAG, Urteil vom 25. April 2018 – 2 AZR 6/18 -, BAGE 162, 327-339, Rn. 19).

b) Eine negative Zukunftsprognose hinsichtlich der krankheitsbedingten Fehlzeiten der Klägerin liegt nicht vor.

aa) Treten während der letzten Jahre jährlich mehrere (Kurz-)Erkrankungen auf, spricht dies für eine entsprechende künftige Entwicklung des Krankheitsbildes, es sei denn, die Krankheiten sind ausgeheilt (BAG 20.11.2014 – 2 AZR 755/13 -, juris Rn. 17; BAG 01.03.2007 – 2 AZR 217/06 -, juris Rn. 17; BAG 10.11.2005 – 2 AZR 44/05 -, juris Rn. 20). Der Arbeitgeber darf sich deshalb auf der ersten Prüfungsstufe zunächst darauf beschränken, die Fehlzeiten der Vergangenheit darzustellen und zu behaupten, in Zukunft seien Krankheitszeiten in entsprechendem Umfang zu erwarten (BAG 20.11.2014 – 2 AZR 755/13 -, juris Rn. 17; BAG 10.11.2005 – 2 AZR 44/05 -, juris Rn. 24; LAG Köln 12.03.2021 – 10 Sa 804/20 -, juris Rn. 34 mwN.). Alsdann ist es Sache des Arbeitnehmers, gemäß § 138 Abs. 2 ZPO darzulegen, weshalb im Kündigungszeitpunkt mit einer baldigen Genesung zu rechnen war. Er genügt dieser prozessualen Mitwirkungspflicht schon dann, wenn er vorträgt, die behandelnden Ärzte hätten seine gesundheitliche Entwicklung positiv beurteilt, und wenn er diese von ihrer Schweigepflicht entbindet. Je nach Erheblichkeit des Vortrags ist es dann Sache des Arbeitgebers, den Beweis für die Berechtigung einer negativen Gesundheitsprognose zu führen (BAG 20.11.2014 – 2 AZR 755/13 -, juris Rn. 17; BAG 10.11.2005 – 2 AZR 44/05 -, juris Rn. 24; LAG Köln 12.03.2021 – 10 Sa 804/20 -, juris Rn. 37 mwN; LAG Düsseldorf, Urteil vom 17. Mai 2022 – 14 Sa 825/21 -, Rn. 49, juris).

bb) Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist die Annahme der Beklagten, die Klägerin werde zukünftig auch weiterhin krankheitsbedingt an durchschnittlich über 47 Arbeitstagen pro Kalenderjahr fehlen bzw. jedenfalls in erheblichem Ausmaß krankheitsbedingte Fehlzeiten aufweisen, nicht begründet.

(1) Vorbehaltlich besonderer Umstände des Einzelfalls, bei deren Vorliegen auch frühere Zeiträume einbezogen werden können (vgl. BAG 10. November 2005 – 2 AZR 44/05 – Rn. 24; BAG, Urteil vom 20. November 2014 – 2 AZR 755/13 -, BAGE 150, 117-131, Rn. 19), ist für die Erstellung der Gesundheitsprognose ein Referenzzeitraum von drei Jahren maßgeblich (vgl. BAG 23. Januar 2014 – 2 AZR 582/13 – Rn. 32, BAGE 147, 162). Ist eine Arbeitnehmervertretung gebildet, ist auf die letzten drei Jahre vor Einleitung des Beteiligungsverfahrens abzustellen (BAG, Urteil vom 25. April 2018 – 2 AZR 6/18 -, BAGE 162, 327-339, Rn. 23).

(2) Es mag dahinstehen, ob man im Falle der Klägerin auf den regelmäßig maßgeblichen Referenzzeitraum von drei Jahren abstellt, oder – wie es die Beklagte annimmt – die Fehlzeiten der letzten sieben Jahre für die Erstellung einer Gesundheitsprognose heranzieht. Denn einer negativen Gesundheitsprognose steht unabhängig von der Betrachtungsweise entgegen, dass die Klägerin jedenfalls im letzten Jahr vor Ausspruch der Kündigung bzw. vor Beteiligung des Betriebsrat deutlich geringere Fehlzeiten aufwies bzw. ihre Fehlzeiten in wesentlichem Umfang auf Erkrankungen zurückzuführen waren, die ausgeheilt sind bzw. keine weiteren Fehlzeiten erwarten lassen; entgegen der Auffassung der Beklagten liegt im Jahr 2019 auch nicht nur ein „Ausreißerjahr“ vor, nach dem sich Fehlzeiten wieder im vorherigen Umfang eingestellt hätten.

In den letzten drei Jahren vor der Anhörung des bei der Beklagten bestehenden Betriebsrats zur streitgegenständlichen Kündigung, d.h. im Zeitraum vom 01.10.2017 bis 30.09.2020 wies die Klägerin in jedem Jahr krankheitsbedingte Fehlzeiten von mehr als 30 Arbeitstagen auf. Konkret fehlte sie im Zeitraum vom 01.10.2017 bis 30.09.2018 an 37 Arbeitstagen, im Zeitraum vom 01.10.2018 bis 30.09.2019 an 41 Arbeitstagen und im Zeitraum vom 01.10.2019 bis 30.09.2020 an 60 Arbeitstagen krankheitsbedingt. Soweit die Klägerin einzelne von der Beklagten aufgelistete Fehltage bestritten hat, hat die Beklagte zu diesen mit Schriftsatz vom 11.08.2022 Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen der Klägerin vorgelegt, deren Echtheit von der Klägerin nicht mehr in Zweifel gezogen worden ist.

Allerdings sind die angefallenen krankheitsbedingten Ausfallzeiten der Klägerin nicht vollumfänglich prognoserelevant. Zwar weist die Beklagte zu Recht darauf hin, dass im Falle einer allgemeinen Krankheitsanfälligkeit die Ausheilung einzelner Erkrankungen einer negativen Prognose nicht entgegensteht, weil die generelle Krankheitsanfälligkeit hiervon unberührt bleibt (BAG 20. November 2014 – 2 AZR 755/13 – Rn. 20 mwN.). Hiergegen sind aber Fehlzeiten, die auf einem einmaligen Ereignis beruhen (BAG 7. Dezember 1989 – 2 AZR 225/89 – Rn. 38, juris; vgl. auch BAG 14. Januar 1993 – 2 AZR 343/92 – Rn. 22, juris, zu auf Betriebsunfällen beruhenden krankheitsbedingten Fehlzeiten), und sonstige offenkundig einmaligen Gesundheitsschäden (BAG 7. Dezember 1989 – 2 AZR 225/89 – Rn. 38 mwN., juris) ebenso wenig geeignet, eine Prognose für die zukünftige Entwicklung zu begründen wie Erkrankungen, gegen die erfolgreich besondere Therapiemaßnahmen (zB. eine Operation, vgl. BAG 17. Juni 1999 – 2 AZR 639/98 – Rn. 32, juris, zu einem ausgeheilten Knochenbruch und einer Zahnextraktion) ergriffen wurden (BAG 20. November 2014 – 2 AZR 755/13 – Rn. 20 mwN.). Ihnen ist ihrer Natur nach oder auf Grund ihrer Entstehung keine Wiederholungsgefahr beizumessen (Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 1. September 2021 – 7 Sa 248/20 -, Rn. 71 – 72, juris).

Von diesen Grundsätzen ausgehend sind jedenfalls aus dem letzten Jahr vor Ausspruch der Kündigung (Zeitraum vom 01.10.2019 bis 30.09.2020) insgesamt 33 krankheitsbedingte Fehltage (zwischen dem 27.05.2020 und 14.07.2020) nicht als prognoserelevant zu berücksichtigen. Die Klägerin hat insoweit unter Vorlage entsprechender Arztberichte vorgetragen, dass die betroffenen Fehlzeiten durch zwei Operationen an den Füßen begründet waren. So habe sie zunächst am 27.05.2020 an der 5. Zehe des rechten Fußes, und sodann am 23.06.2020 an der 5. Zehe des linken Fußes operiert werden müssen, wobei es sich ausweislich der vorlegten Arztberichte jeweils um Clavusexzisionen handelte. Seit Abschluss der Nachbehandlung und Remobilisierung sei die Erkrankung vollständig ausgeheilt. Diesen Darlegungen ist die Beklagte nicht substantiiert entgegengetreten, mit der Folge, dass diese als zugestanden anzusehen sind (§ 138 Abs. 3 ZPO). Angesichts des konkreten Sachvortrags der Klägerin sowie den vorgelegten Arztberichten zur Krankheitsursache ist das pauschale Bestreiten der Beklagten nicht ausreichend, vielmehr hätte es der Darlegung konkret begründeter Zweifel an der von der Klägerin vorgetragenen Krankengeschichte und den diese belegenden Arztberichten bedurft.

Entgegen der Auffassung der Beklagten kann aus der Erkrankung der Füße auch nicht auf eine allgemeinen Krankheitsanfälligkeit und eine hieraus folgende negative Zukunftsprognose geschlossen werden. Denn anders als z.B. bei häufigen Erkältungskrankheiten oder sonstigen Virusinfektionen, die auf ein schwaches Immunsystem und eine hieraus begründete allgemeine Krankheitsanfälligkeit hindeuten können, ist hinsichtlich der Fußerkrankung der Klägerin keine Grundlage für die Annahme ersichtlich, dass trotz durchgeführter Operation und Nachbehandlung mit wiederkehrenden, gleichartigen Erkrankungen der Füße bzw. Zehen zu rechnen ist. Hiergegen spricht auch, worauf das Arbeitsgericht zutreffend hingewiesen hat, dass es sich bei den Fehlzeiten wegen einer Clavus-Erkrankung im Jahr 2020 nicht um wiederholte Erkrankungen, sondern um einen Einzelfall gehandelt hat. Weitere Fehlzeiten wegen einer Clavus-Erkrankung sind während des gesamten Bestandes des Arbeitsverhältnisses nicht aufgetreten.

Ob darüber hinaus auch die Fehlzeiten der Klägerin an 28 Arbeitstagen zwischen dem 08.10.2018 und 15.11.2018 als nicht prognoserelevant unberücksichtigt bleiben müssen, weil die Klägerin – nach ihrem von der Beklagten bestrittenen Vortrag – in diesem Zeitraum an einem Fersensporn litt, der operativ behandelt wurde und ebenfalls ausgeheilt ist, mag dahinstehen. Denn auch wenn man mangels näherer Angaben oder Unterlagen zu der von der Klägerin behaupteten Erkrankung zu Gunsten der Beklagten davon ausgeht, dass es sich bei sämtlichen um vorletzten Jahr vor Ausspruch der Kündigung (01.10.2018 – 30.09.2019) aufgetretenen Fehlzeiten von 41 Arbeitstagen um prognoserelevante Zeiträume handelt, ist eine negative Zukunftsprognose auf Grund der – korrigierten – krankheitsbedingten Fehlzeiten im letzten Jahr vor Ausspruch der Kündigung von lediglich 27 Arbeitstagen nicht begründet. Entgegen der Auffassung der Beklagten, kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass es sich hierbei um ein „Ausreißerjahr“ handelt oder höhere Fehlzeiten nur deswegen nicht aufgetreten sind, weil die durch die Arbeit verursachte Belastung der Klägerin auf Grund einer überdurchschnittlich hohen Anzahl genommener Urlaubstage verringert war. Angesichts einer – prognoserelevanten – Zahl von 37, 41 und 27 krankheitsbedingten Fehltagen in den letzten drei Jahren vor Ausspruch der Kündigung sind keine außergewöhnlichen Abweichungen feststellbar, die die Annahme eines „Ausreißerjahres“ begründen könnten. Einer derartigen Annahme steht zudem entgegen, dass es sich bei dem betroffenen Jahr mit den niedrigsten Fehlzeiten um das letzte Jahre vor Ausspruch der Kündigung handelt, so dass eine Aussage darüber, ob hiernach wieder Ausfälle in höherem Ausmaß aufgetreten wären, nicht getroffen werden kann.

Schließlich können auch aus der betriebsärztlichen Eignungsuntersuchung vom 18.08.2020 keine Anhaltspunkte für eine negative Zukunftsprognose abgeleitet werden. Vielmehr ist als Ergebnis derselben festgestellt worden, dass keine gesundheitlichen Bedenken in Hinblick auf die von der Klägerin ausgeübten Tätigkeiten bestehen und diese voll einsatzfähig ist.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. 97 Abs. 1 ZPO.

IV. Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben, da die Entscheidung auf den Umständen des vorliegenden Einzelfalls beruht.

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