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Wirksamkeit verhaltensbedingte Kündigung – Erfordernis der Abmahnung

Landesarbeitsgericht Köln – Az.: 6 Sa 790/20 – Urteil vom 22.04.2021

1.  Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 12.08.2020 – 9 Ca 57/20 – wird zurückgewiesen.

2.  Die Kosten der Berufung hat die Beklagte zu tragen.

3.  Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer Kündigung, um die Erteilung eines Zeugnisses, um Zahlungsansprüche und um die von der Klägerin geforderte Weiterbeschäftigung.

Die Klägerin ist 47 Jahre alt und ledig. Sie ist schwerbehindert mit einem GdB von 60. Seit dem 01.08.2006 ist sie bei der Beklagten im Customer Service Center beschäftigt. Vereinbarungsgemäß erhielt sie zuletzt ein Bruttomonatsentgelt in Höhe von 4.943,00 EUR. Auf das Arbeitsverhältnis finden die Tarifverträge der chemischen Industrie Anwendung.

Am 15.09.2014 erhielt die Klägerin von der Beklagten eine schriftliche Abmahnung mit dem Vorwurf, sie habe angedroht, „krankzufeiern“. Mit Schreiben vom 22.09.2014 erhielt die Klägerin eine weitere Abmahnung. Mit dieser Abmahnung wurde ihr vorgeworfen, sie habe sich über die Kleidung eines Arbeitskollegen abfällig geäußert. Eine weitere Abmahnung erfolgte unter dem Datum 10.05.2016 mit dem Vorwurf, die Klägerin sei gegenüber einem Kunden aggressiv und forsch aufgetreten. Im Jahre 2016 wurde ein Inklusionsverfahren nach § 167 SGB IX durchgeführt. Einzelheiten hierzu sind zwischen den Parteien streitig.

Am 27.08.2018 und in der Zeit vom 22.02.2019 bis zum 08.08.2019 kam es zu insgesamt 13 Vorfällen, die im Einzelnen streitig sind. Auch bei diesen Vorfällen geht es um den Vorwurf der Beklagten, die Klägerin sei Kunden und Kollegen gegenüber aggressiv und unangemessen aufgetreten.

Mit Schreiben vom 10.09.2019 beantragte die Beklagte beim Integrationsamt zu einer von ihr beabsichtigten verhaltensbedingten Kündigung die Zustimmung. Am 13.09.2019 hörte sie den Betriebsrat zu einer solchen beabsichtigten verhaltensbedingten Kündigung in Gestalt einer Tatkündigung und einer Verdachtskündigung an. Das Integrationsamt hat antragsgemäß mit Beschluss vom 05.12.2019, der Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 10.12.2019 zugegangen, der beabsichtigten Kündigung zugestimmt. Auf die vorsorglich erneut durchgeführte Anhörung des Betriebsrats hat dieser mit Schreiben vom 19.12.2019 der beabsichtigten Kündigung zugestimmt. Ebenfalls am 19.12.2019 hat die Schwerbehindertenvertretung auf die ebenfalls erneut vorsorglich durchgeführte Anhörung ausdrücklich mitgeteilt, dass sie einer Kündigung nicht widersprechen wolle.

Mit Schreiben vom 20.12.2019, der Klägerin am 25.12.2019 zugegangen, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 31.05.2020.

Im Januar 2020 zog die Beklagte der Klägerin 2.200,88 EUR netto vom Lohn ab. Eine tarifvertraglich vorgesehene Einmalzahlung in Höhe von 296,58 EUR hat die Beklagte nicht an die Klägerin ausgezahlt. Auch eine tarifvertraglich für das Jahr 2019 vorgesehene Bonuszahlung in Höhe von 8.795,23 EUR hat die Beklagte nicht an die Klägerin geleistet.

Mit der seit dem 06.01.2020 beim Arbeitsgericht Köln anhängigen Klage hat sich die Klägerin gegen die ihr gegenüber ausgesprochene Kündigung gewandt sowie die Weiterbeschäftigung und die Erteilung eines Zeugnisses verlangt. Die vorbezeichneten streitigen Entgelteinbehalte und -ansprüche sind Gegenstand einer Klageerweiterung gewesen.

Die Klägerin hat vorgetragen, nach ihrer Auffassung sei die Kündigung sozialwidrig und daher unwirksam. Der Vortrag der Beklagten zur Begründung der Kündigung sei insgesamt unzutreffend. Sie habe nicht zu einem Kollegen gesagt „hast du Alzheimer oder bist du blöd?“ Weder pflege sie einen konfrontativen noch einen negativen Gesprächston. Auch äußere sie sich nicht „aggressiv“, „süffisant“ oder „höhnisch“. Ihr Verhalten gegenüber ihren Kolleginnen und Kollegen sei immer professionell gewesen. Die einzelnen von der Beklagten dargelegten Vorkommnisse aus der Zeit von Juli 2018 bis Juli 2019 hätten im Kern tatsächlich so stattgefunden. In jedem der von der Beklagten geschilderten Fälle sei Organisatorisches (z.B. Urlaub oder Aufgabenübergabe nach dem Urlaub) oder Kommunikatives (z.B. richtiger Email-Verteiler) zu klären gewesen. In keinem der Fälle habe sie sich aber ihren Kolleginnen und Kollegen gegenüber unprofessionell oder gar unangemessen unfreundlich verhalten. Selbst wenn als richtig unterstellt werde, dass sie sich gegenüber ihren Kolleginnen und Kollegen unfreundlich verhalten habe, sei diese bloße Unfreundlichkeit nach ihrer Auffassung nicht ausreichend, um eine Kündigung zu rechtfertigen. Eine wirksame Abmahnung sei vorher nicht ausgesprochen worden. Die Abmahnung vom 10.05.2016 sei unzutreffend gewesen. Sie habe sich gegenüber den Mitarbeitern der Firma A nicht „unverschämt“ verhalten. Die Vorwürfe in den Abmahnungen vom 22.09.2014 und 15.09.2014 weise sie energisch zurück; keines der dort behaupteten Gespräche habe stattgefunden. Eine Klageerweiterung mit Blick auf die Entgeltansprüche sei geboten gewesen, weil die Beklagte nicht berechtigt gewesen sei, im Januar Nettoentgelt einzubehalten. Es gebe keinen Grund, ihr die tarifvertraglichen Ansprüche auf Zahlung einer Sonderzuwendung und auf Zahlung des Bonus vorzuenthalten.

Die Klägerin hat beantragt,

1.  festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die schriftliche Kündigung der Beklagten vom 20.12.2019 nicht aufgelöst worden ist;

2.  festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern zu unveränderten Bedingungen über den 31.05.2020 hinaus fortbesteht;

3.  die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin ein Zwischenzeugnis zu erteilen, das sich auf Führung und Leistung erstreckt;

Hilfsweise für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1:

4.  die Beklagte zu verurteilen, sie zu den im Arbeitsvertrag vom 19.05.2008 geregelten Arbeitsbedingungen als Mitarbeiterin des Customer Service Center bis zu einer rechtskräftig Regelung über das Kündigungsschutzverfahren weiter zu beschäftigen;

hilfsweise für den Fall, dass der Klageantrag zu 1 abgewiesen wird,

5.  die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin ein endgültiges Zeugnis zu erteilen, das sich auf Verhalten und Leistung erstreckt.

Des Weiteren hat die Klägerin beantragt,

6.  die Beklagte zu verurteilen, an sie netto 2.220,88 EUR nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.02.2020 zu zahlen;

7.  die Beklagte zu verurteilen, an sie 296,58 EUR brutto nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.02.2020 zu zahlen;

8.  die Beklagte zu verurteilen, an sie 8.795,23 EUR brutto nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.05.2020 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie vertritt die Auffassung, die Kündigung sei gerechtfertigt, weil die Klägerin durch aggressives und unverschämtes Verhalten den Betriebsfrieden störe. Die Kündigung sei deshalb als verhaltensbedingte Kündigung ausgesprochen worden, die hilfsweise auch als Verdachtskündigung zu betrachten sei. Die Kündigung sei nicht nur durch das Verhalten der Klägerin sozial gerechtfertigt. Vielmehr sei das Verhalten auch als pathologisch zu betrachten. Damit fehle ihr die Eignung für die von ihr eingenommene Position.

Am 31.07.2019 habe der Kollege der Klägerin, den sie in dessen Urlaubsabwesenheit zu vertreten habe, die Klägerin wegen eines geplanten Urlaubes angemailt und dabei eine andere Kollegin in „cc“ gesetzt. Die Klägerin sei daraufhin in das Büro des Kollegen gekommen und habe diesen aufgebracht und in einem unangemessenen Ton beleidigt. Unter anderem habe sie zweimal gesagt: „Hast du Alzheimer, oder was? Bist du blöd?“ In einem daraufhin einberufenen Meeting unter Beteiligung der Personalabteilung und des Betriebsrats hätten die Kolleginnen und Kollegen aus der Abteilung Customer Service mitgeteilt, die Klägerin spreche sie regelmäßig in unangebrachtem Ton an. Die Zusammenarbeit mit der Klägerin sei immer unangenehm. Im Rahmen dieses Gesprächs hätten sowohl männliche wie auch weibliche Beteiligte ihre Tränen nicht zurückhalten können. Insgesamt habe sich so für die Personalabteilung eine Situation dargestellt, die von Angst und psychischem Druck verursacht durch die Klägerin geprägt sei. Im Rahmen des besagten Gesprächs und weiterer Ermittlungen seien die folgenden Begebenheiten beschrieben worden:

Am 27.07.2018: Die Klägerin habe auf dem Parkplatz einen Blechschaden verursacht und dies einem Mitarbeiter des Werkschutzes mitgeteilt, der sie um die Vorlage ihres Werksausweises gebeten habe, um den Unfallbericht fertigen zu können. Sie habe daraufhin gesagt: „Sie sind keine Polizei, den Werksausweis gebe ich Ihnen nicht. Sie sind ein Rassist.“

Am 22.02.2019: Die Klägerin habe eine Kollegin bei der Besprechung eines konkreten Vorgangs als Lügnerin bezeichnet.

Am 27.02.2019: Die Klägerin habe mit einem großen Verteiler per Email um die Freigabe eines Vorgangs gebeten. Da der unmittelbar angesprochene Kollege nicht im Büro gewesen sei, habe sich ein anderer Kollege um die Angelegenheit gekümmert. Die Klägerin habe diesen daraufhin angebrüllt, er solle ihre Aufträge nicht anfassen.

Am 27.04.2019: Ein ganz normaler Vorgang, der damit zu tun gehabt habe, dass eine Urlaubsvertreterin der Klägerin eine Email an einen Manager weitergeleitet habe und diese Email daher noch als unerledigt gegolten habe, habe nach Urlaubsrückkehr zu dem folgenden Kommentar der Klägerin geführt: „Wenn du dich nicht darum kümmern willst, versuche es wenigstens nicht zu vertuschen.“

Am 15.07.2019: Die Klägerin habe giftig zu einer Zeugin gesagt „Na, geht doch!“ Und am Nachmittag desselben Tages ebenfalls in giftigem Ton: „Ich bin jetzt weg, du übernimmst“.

Am 22.07.2019: In Bezug auf eine in französisch zu erledigende Aufgabe habe die Klägerin einem Kollegen, der die französische Sprache fließend in Wort und Schrift beherrscht, den Rat gegeben, sich doch an eine andere Kollegin zu wenden, wenn sein Französisch nicht ausreiche.

Am 29.07.2019: Nach einer längeren krankheitsbedingten Abwesenheit der Zeugin D sei die Klägerin zu ihr ins Büro gekommen. Dort habe sie einen Vorgang auf den Schreibtisch geworfen und gesagt: „Da, ich habe nicht alles gemacht. Ich habe dir zwei Mails geschrieben. Wenn du Fragen hast, melden!“ Die Zeugin: „Danke, werde ich machen“; die Klägerin: „Lass mich gefälligst ausreden“; die Zeugin: „Bitte?“; Die Klägerin: „Ich habe dir zwei Mails geschrieben. Wenn du Fragen hast, melden!“ Die Zeugin: „Ja, danke, werde ich machen.“ Darauf habe die Klägerin das Gespräch beendet mit den Worten „Na also, geht doch.“

Am 30.07.2019: Im Rahmen einer versuchten Absprache, wer von den Kollegen wann zu einem Training gehen könne, habe die Klägerin zu einem Kollegen gesagt, sie wolle selbst entscheiden, wann sie zu dem Training gehe. Ihn gehe das nichts an.

Am 31.07.2019: Die Klägerin habe das Büro der Zeugin D betreten und die Zeugin angesprochen mit den Worten: „wenn du so viel Zeit hast, bearbeite gefälligst die Mail, die ich dir geschickt habe“. Darauf habe die Zeugin geantwortet, sie habe keine Mail erhalten. Darauf die Klägerin: „doch, habe ich dir heute Morgen geschickt“. Als die Zeugin darauf ihre inbox geöffnet habe, habe sie dort keine Email gefunden und dies habe sie der Klägerin mitgeteilt. Daraufhin habe die Klägerin in barschen Ton erwidert „du bist Prozessspezialist“.

Am 01.08.2019: Die Klägerin habe eine Aufgabe, die eigentlich von ihr zu erfüllen gewesen wäre, an einen Kollegen abgeschoben.

Am 05.08.2019: An jenem Tag habe die Klägerin ein Büro betreten und zu dem dort anwesenden Zeugen gesagt, „ich komme morgen etwas später, nur dass du Bescheid weißt und dich nicht beschwerst, wie vor 10 Jahren.“ Der Tonfall sei süffisante und höhnisch gewesen.

Am 08.08.2019: Ein Kollege der Klägerin habe dieser am Telefon mitgeteilt, dass er jetzt nach Hause gehe und deshalb das Telefon auf die Klägerin umgestellt habe. Die Klägerin habe am Telefon gar nicht reagiert. Der Zeuge habe sie aber atmen gehört und habe dann aufgelegt. Am selben Tag habe sich die Klägerin wieder aufgeregt, als ihr Name bei einer Email ins „cc“ genommen worden sei.

Ein Zeuge aus einer Schwestergesellschaft, der daraufhin befragt worden sei habe per mail mitgeteilt, dass die Kommunikation mit der Klägerin so unangenehm sei, dass er stets versuche, die notwendigen Informationen aus anderen Quellen zu erhalten.

In einem Gespräch am 27.08.2019 sei die Klägerin zur Rede gestellt worden, insbesondere zu dem Vorfall, bei dem die Worte gefallen seien: Hast du Alzheimer, oder was? …“ Die Klägerin habe hierzu jede Aussage abgelehnt. Die anderen Vorfälle seien ihr nicht erinnerlich.   Die Klägerin störe mit ihrer latenten Aggressivität und ihren schroffen Umgangsformen den Betrieb. Dieses Verhalten mache eine Zusammenarbeit mit ihr unmöglich. Schon vor ca. 10 Jahren sei die Klägerin in ein eigenes Büro gesetzt worden, um das Konfliktpotential geringer zu halten. Das Problem sei also nicht neu.

Die geltend gemachten Zahlungsansprüche stünden der Klägerin nicht zu, weil für sie ein ungekündigtes Arbeitsverhältnis Voraussetzung sei. Der Einbehalt im Januar rechtfertige sich aus einer Verrechnung mit zurückzuzahlenden Sonderzahlungen aus dem Vorjahr. Ein Zwischenzeugnis stehe der Klägerin nicht zu, da sie ja schon ein Endzeugnis erhalten habe.

Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 12.08.2020 stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Kündigung sei unverhältnismäßig, weil die Beklagte eine Abmahnung habe aussprechen müssen, bevor sie zum letzten Mittel, nämlich der Kündigung, habe greifen dürfen. Die „Störung des Betriebsfriedens“ komme als Kündigungsgrund nicht in Betracht, selbst wenn der Vortrag der Beklagten zum Verhalten der Klägerin als wahr unterstellt werde. Der Spruch „Hast du Alzheimer, oder was? Bist du blöd?“ sei auch nach der mitgeteilten Auffassung der Beklagten ein einmaliger Ausrutscher gewesen. Eine einschlägige Abmahnung gebe es nur aus dem Jahre 2014, mit der der Klägerin vorgehalten worden sei, sie habe sich über die Kleidung eines Kollegen lustig gemacht. Diese Abmahnung sei durch Zeitablauf wirkungslos geworden. Die Behauptung der Beklagten, das Verhalten der Klägerin sei Ausdruck eines pathologischen Zustandes sei nicht hinreichend konkret. Jedenfalls würde aber eine fehlerhafte Interessenabwägung zur Unwirksamkeit der Kündigung führen. Der Anspruch auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses sei durch die Erteilung eines Endzeugnisses nicht ausgeschlossen. Der Weiterbeschäftigungsantrag sei begründet, weil nach Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung keine überwiegenden Interessen der Beklagten festzustellen seien. Wegen des Fortbestandes des Arbeitsverhältnisses seien auch die Zahlungsansprüche begründet.

Gegen dieses ihr am 27.08.2020 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 17.09.2020 Berufung eingelegt und sie hat diese am 27.10.2020 begründet.

Die Beklagte trägt nunmehr vor, das Urteil des Arbeitsgerichts werde mit der Berufung „voll umfänglich zur Überprüfung gestellt“. Der Zweck der streitgegenständlichen Kündigung sei vor allem gewesen, die Kolleginnen und Kollegen der Klägerin vor weiteren Ausfällen der Klägerin zu schützen. Der Betriebsrat und die Schwerbehindertenvertretung seien hier der gleichen Meinung gewesen. Daher sei die erstinstanzliche Entscheidung im Betrieb auf großes Unverständnis gestoßen. Die Kündigung sei gerechtfertigt durch das dauerhaft rücksichts- und respektlose Verhalten der Klägerin, durch ihre rüden und beleidigenden Umgangsformen gegenüber Kollegen, Kunden und Vorgesetzten. Es handele sich um ein „Dauerthema“ das das Arbeitsverhältnis seit Jahren belaste. Die Klägerin sei hinreichend gewarnt gewesen. Die Abmahnungen aus den Jahren 2014 und 2016 seien hierfür ausreichend. Die Abmahnungen seien auch allesamt einschlägig gewesen. Eine weitere Abmahnung sei als milderes Mittel nicht in Betracht gekommen. Schon im Rahmen des Inklusionsverfahrens sei die Problematik angesprochen worden. Die Klägerin habe aber keinerlei Einsicht gezeigt. Sie habe vielmehr die Schuld bei allen anderen Personen gesucht. Im Rahmen des vorliegenden Verfahrens lasse sie durch ihren Anwalt offensichtlich wahre Tatsachen bestreiten, sie bezichtige Kolleginnen und Kollegen der Lüge, sie habe im Rahmen der wochenlangen Aufarbeitung des Kündigungssachverhaltes nicht ein einziges Mal den Kontakt zur Personalabteilung oder zum Betriebsrat gesucht. Sie habe sich vielmehr jeglicher Aufarbeitung und jeglicher Kommunikation verweigert. Im Rahmen der Bemühungen zur Vermeidung der Zwangsvollstreckung aus dem erstinstanzlichen Urteil die Klägerin weiter zu beschäftigen, hätten sich die Kolleginnen und Kollegen geäußert, sie hätten Angst vor der Situation und vor der nun wieder drohenden psychischen Belastung. Die Vorgesetzte der Klägerin habe erklärt, sie befürchte in ihrem Team Arbeitsunfähigkeiten, die auf die psychische Belastung zurückzuführen seien. Das Arbeitsverhältnis der Parteien sei bereits seit dem Jahre 2011 aktenkundig belastet. Zu diesem Zeitpunkt habe sie die Klägerin erstmals räumlich von den anderen Kollegen getrennt. Im Anschluss an die Abmahnungen in den Jahren 2014 bis 2016 sei dann ein Präventionsverfahren gemäß § 167 SGB IX durchgeführt worden, um die Klägerin zu einer Verhaltensänderung für die Zukunft zu bewegen. Im Jahre 2018 sei dann das neue Verwaltungsgebäude errichtet worden, das ausschließlich Großraumbüros vorsehe.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 12.08.2020 – 9 Ca57/20 – abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts Köln und vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag. Ihr angeblich aggressives Verhalten gegenüber den Kolleginnen und Kollegen sei übrigens nicht Gegenstand des Präventionsverfahrens im Jahre 2016 gewesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die nur teilweise zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet.

I.  Die Berufung der Beklagten ist nur teilweise zulässig.

1.  Die Berufung ist unzulässig, soweit sie sich gegen den Tenor zu 2, 4, 5 und 6 des arbeitsgerichtlichen Urteils wendet.   In der Berufungsbegründung heißt es zwar unter „A“, das Urteil des Arbeitsgerichts werde mit der Berufung „voll umfänglich zur Überprüfung gestellt“. Dann folgt aber nur eine Auseinandersetzung mit der Kündigung und kein Wort zu den anspruchsbegründenden und anspruchsausschließenden Tatsachen für den übertariflichen Bonus, die Einmalzahlung, den Nettoabzug in der Januarabrechnung und für das Zwischenzeugnis. Mangels einer Berufungsbegründung zu diesen Streitgegenständen ist die Berufung der Beklagten insoweit unzulässig (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).

2.  Im Übrigen ist die Berufung der Beklagten zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).

II.  Das Rechtsmittel bleibt jedoch auch mit Blick auf den zulässigen Teil der Berufung in der Sache ohne Erfolg. Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage und dem Antrag auf Weiterbeschäftigung zu Recht und mit zutreffender Begründung stattgegeben. Auf diese Begründung wird Bezug genommen und dort insbesondere auf die mitgeteilten und zitierten Rechtsgrundsätze aus der Rechtsprechung und der Literatur. Die nachfolgenden Ausführungen erfolgen lediglich zur Vertiefung, soweit die Berufungsbegründung hierfür Anlass gab.

1.  Zu Recht hat das Arbeitsgericht der Kündigungsschutzklage stattgegeben. Die Kündigung ist gemäß § 1 Abs. 1 KSchG unwirksam, denn sie ist nicht gemäß § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt. Weder ist die Kündigung durch Tatsachen bedingt, die im Verhalten der Klägerin liegen, noch ist sie durch Gründe bedingt, die in der Person der Klägerin zu finden sind.

a.  Die Kündigung ist nicht durch Gründe bedingt, die im Verhalten der Klägerin liegen. Wie das Arbeitsgericht richtig erkannt hat, gilt das auch für den Fall, dass der Vortrag der Beklagten zu den Vorkommnissen zwischen Juli 2018 und August 2019 als unstreitig unterstellt wird, dass also angenommen wird, die Klägerin habe in diesem Zeitraum tatsächlich den Betriebsfrieden beeinträchtigt durch (1.) „Hast du Alzheimer, oder was? Bist du blöd?“; (2.) „Sie sind keine Polizei, den Werksausweis gebe ich Ihnen nicht. Sie sind ein Rassist.“; (3) „Lügnerin“; (4.) „Fass meine Aufträge nicht an“; (5.) „Wenn du dich nicht darum kümmern willst, versuche es wenigstens nicht zu vertuschen.“; (6.) in giftigem Ton: „Ich bin jetzt weg, du übernimmst!“; (7.) „… wenn dein Französisch nicht ausreicht …“; (8.) „Wenn du Fragen hast, melden!“ und „na also, geht doch“; (9.) „Dich geht es nichts an, wann ich zum Training gehe.“; (10.) „Du bist Prozessspezialist!“; (11.) Aufgabe an Kollegen abgeschoben; (12.) süffisant und höhnisch: „nur dass du Bescheid weißt und dich nicht beschwerst, wie vor 10 Jahren.“; (13.) am Telefon nur atmen aber nicht sprechen; (14.) ein Mitarbeiter aus einer Schwestergesellschaft mag nicht bei der Klägerin anrufen.

Wird all dies als unstreitig angenommen, dann stellt sich die Klägerin als eine Mitarbeiterin dar, die mit ihrer Kommunikationsform dem Betriebsfrieden mitunter nicht förderlich ist und die ihre Kolleginnen und Kollegen mit ihrer schroffen Art verärgert. Der Beklagten kann darüber hinaus zugestanden werden, dass die Art, wie Dinge gesagt werden, in der betrieblichen Realität gröber, verletzender, und „toxischer“ wirken kann, als das wörtliche Zitat in einem Schriftsatz. Zweifellos stellt sich deshalb die von der Beklagten dargestellte Situation im Team als eine Herausforderung dar. Im Interesse der anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, aber auch im schlichten betriebswirtschaftlich-unternehmerischen Interesse, muss die Abstellung oder zumindest die signifikante Eindämmung des Konflikts das Ziel sein. Um dieses Ziel zu erreichen hat die Beklagte zur ultima ratio gegriffen, nämlich zur Beendigung der mit der „störenden“ Klägerin bestehenden Rechtsbeziehung. Diese ultima ratio kann nur dann verhältnismäßig sein, wenn mildere zur Zielerreichung geeignete Mittel nicht mehr zur Verfügung stehen.

Aus den Darlegungen der hierfür beweisbelasteten Beklagten, ergibt sich nicht, dass sie alle geeigneten milderen Mittel zur Konfliktbekämpfung ausgeschöpft hätte. Neben der vom Arbeitsgericht richtiger Weise angesprochenen weiteren Abmahnung, kommen moderierte Teamgespräche, Mediation, Coaching, enge Führung usw. also alle Werkzeuge aus dem „Werkzeugkasten“ des Organisationsentwicklungsmanagements in Betracht. Nach ihren Darlegungen – und auf diese kommt es im Zivilprozess an – hat die Beklagte nichts davon ernsthaft versucht. Offen bleibt bis zuletzt die Frage, wo die über dem hier fraglichen Team stehende Hierarchie in den vergangenen Jahren hingeschaut hat. Wenn die Beklagte zum Beispiel vorträgt, im Anschluss an die Abmahnungen aus den Jahren 2014 bis 2016 sei ein Präventionsverfahren gemäß § 167 SGB IX durchgeführt worden, „um die Klägerin zu einer Verhaltensänderung für die Zukunft zu bewegen,“ scheint die Beklagte ein Verständnis des Inklusionsverfahrens zu haben, dass vom Ziel des Gesetzes abweicht. Die Regelung lautet wörtlich: „Der Arbeitgeber schaltet bei Eintreten von personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Schwierigkeiten im Arbeits- oder sonstigen Beschäftigungsverhältnis, die zur Gefährdung dieses Verhältnisses führen können, möglichst frühzeitig die Schwerbehindertenvertretung und die in § 176 genannten Vertretungen sowie das Integrationsamt ein, um mit ihnen alle Möglichkeiten und alle zur Verfügung stehenden Hilfen zur Beratung und mögliche finanzielle Leistungen zu erörtern, mit denen die Schwierigkeiten beseitigt werden können und das Arbeits- oder sonstige Beschäftigungsverhältnis möglichst dauerhaft fortgesetzt werden kann.“ Das bedeutet mehr, als der Versuch „die Klägerin zu einer Verhaltensänderung für die Zukunft zu bewegen.“ Der Zweck der Regelung ergibt sich ausdrücklich aus dem Wortlaut: Die Vorschrift soll Schwerbehinderte in dem Bestand ihres Arbeitsverhältnisses schützen. Sie soll Kündigungen und auch schon Gefährdungen von Arbeitsverhältnissen verhindern. Hierzu sollen möglichst frühzeitig die Schwierigkeiten erkannt werden, um ihnen dann entgegenzuwirken. Durch die rechtzeitige Einschaltung der Schwerbehindertenvertretung und ggf. der Rehabilitationsträger bzw. des Integrationsamts bei Eintreten von Schwierigkeiten soll der Bestand des Arbeitsverhältnisses durch möglichst frühzeitige Hilfestellung der genannten Einrichtungen nach Möglichkeit gesichert werden (BAG v. 07.12.2006 – 2 AZR 182/06 – BAGE 120, 293; Knittel, SGB IX, 10. Aufl. 2017, § 84 SGB IX Rn. 14). Nach entsprechender Frage in der Berufungsverhandlung hat sich herausgestellt, dass im Rahmen des Präventionsverfahrens ein hochrangig besetztes Gespräch stattgefunden hat. Organisationsentwicklungsmaßnahmen sind aber nicht angestoßen worden; bis auf die Aufforderung an die Klägerin, sie möge ihr Verhalten ändern, scheint nichts veranlasst worden zu sein, bis die Beklagte – nach ihrer Darstellung – durch die Verzweiflung und die Tränen der Kolleginnen und Kollegen Jahre später „überrascht“ worden ist – obwohl das Problem nach der Darstellung der Beklagten „nicht neu“ ist, „ein Dauerthema“ ist und „schon vor ca. 10 Jahren die Klägerin in ein eigenes Büro gesetzt wurde (das es jetzt im Großraumbüro nicht mehr gibt), um das Konfliktpotential geringer zu halten“.

Die einzige für die Prüfung einer verhaltensbedingten Kündigung relevante Bemerkung der Klägerin ist „hast du Alzheimer oder bist du blöd?“ Alle anderen ihr vorgeworfenen Bemerkungen und Handlungsweisen sind grob, ungehobelt und kommunikativ mangelhaft, also einem Team-Management zuführbar. Solche Verhaltensweisen verlangen vor allem Führung, Personalführung. Der Spruch „hast du Alzheimer oder bist du blöd?“ hebt sich von den anderen Bemerkungen und Verhaltensweisen dadurch ab, dass er, in Frageform gekleidet, eine Schmähkritik („blöd“) unsachlich verbindet mit der Unterstellung einer dramatischen Krankheit („Alzheimer“). Der Klägerin dürfte spätestens durch die nun streitgegenständliche Kündigung deutlich geworden sein, dass solche Kollegenbeleidigungen mit einer Facette, die Kranke oder sogar Schwerbehinderte zu diskriminieren geeignet ist, den Bestand des Arbeitsverhältnisses ernsthaft gefährden können. Da seit den Abmahnungen und dem Inklusionsverfahren aber jahrelang nichts geschehen ist, kann eine solche beleidigende Bemerkung einer schwerbehinderten Arbeitnehmerin einem hierarchisch gleichrangigen(Duz-)Kollegen gegenüber ohne eine vorherige ultimative Warnung mittels einer Abmahnung eine verhaltensbedinge Kündigung nicht rechtfertigen (vgl. LAG Hamm v. 28.02.2007 – 3 Sa 1944/06 – „du dumme Sau“). Erst dann kann von einer beharrlichen Arbeitsvertragsverletzung gesprochen werden, wenn sich die Beharrlichkeit durch eine Wiederholung des Fehlverhaltens trotz einer solchen eindeutigen Warnung manifestiert. Eine solche eindeutige Warnung, die hinreichend aktuell und daher ernst zu nehmen gewesen wäre, ist aber nicht ersichtlich und damit auch keine Beharrlichkeit.

Wegen der folglich zu beklagenden Unverhältnismäßigkeit der Kündigung, kann die Kündigung nicht durch Tatsachen bedingt sein, die im Verhalten der Klägerin lägen.

Soweit die Beklagte zu Beginn ihrer Berufungsbegründung mitteilt, sie stütze die Kündigung auch auf den Verdacht einer schweren Vertragspflichtverletzung, bleibt sie eine Konkretisierung schuldig, hinsichtlich welcher schweren Vertragspflichtverletzung sie die Klägerin verdächtigt.

b.  Die Kündigung ist auch nicht durch Gründe bedingt, die in der Person der Klägerin ihren Grund finden. Die Anhörungen der Schwerbehindertenvertretung und des Betriebsrats sowie der Zustimmungsantrag an das Integrationsamt sind allesamt eindeutig: Sie handeln alle von einem vorwerfbaren Verhalten. Von einem Eignungsmangel oder einer pathologischen Irritation ist dort nirgends die Rede. Eine Tatsache, zu der die Gremien nicht angehört worden sind, eignet sich im Kündigungsschutzverfahren nicht als Kündigungsgrund (so schon BAG v. 01.04.1981 – 7 AZR 1003/78 -).

2.  Zu Recht hat das Arbeitsgericht auch dem Klageantrag auf Weiterbeschäftigung stattgegeben. Der Anspruch folgt aus § 611 a BGB in Verbindung mit Art. 2 GG und § 241 BGB. Den Grundsätzen des Großen Senats folgend (27.02.1985 – GS 1/84) überwiegt das Beschäftigungsbedürfnis der Klägerin das Nichtbeschäftigungsbedürfnis der Beklagten jedenfalls dann, wenn die Klägerin mit ihrer Kündigungsschutzklage Erfolg hatte, wie es hier geschehen ist.

III.  Nach allem bleibt es somit bei der klagestattgebenden erstinstanzlichen Entscheidung. Als unterliegende Partei hat die Beklagte gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Berufung zu tragen. Gründe für eine Revisionszulassung sind nicht gegeben, da die Entscheidung auf den Umständen des vorliegenden Einzelfalls beruht.

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