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Zeitpunkt Kündigungszugang – Zugangsvereitelung

LAG Rheinland-Pfalz – Az.: 3 Sa 118/17 – Urteil vom 09.10.2017

1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 16.02.2017, Az.: 3 Ca 2146/16 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien des vorliegen Rechtsstreits streiten über die Rechtswirksamkeit einer ordentlichen Arbeitgeberkündigung und in diesem Zusammenhang (im Berufungsverfahren nur noch) über den Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung und demzufolge das Beendigungsdatum des Arbeitsverhältnisses.

Der Kläger war seit 1988 als Dachdecker bei dem Beklagten zu einem Bruttomonatsentgelt von zuletzt 2.124,30 Euro beschäftigt.

Im Betrieb des Beklagten wurden neben dem Kläger noch 3 weitere Dachdecker beschäftigt und zusätzlich – jedenfalls bis zum 30.11.2013 – auch die Ehefrau des Beklagten als Arbeitnehmerin. Diese Arbeitnehmer waren seit mindestens 2003 im Betrieb beschäftigt.

Nachdem im Betrieb des Beklagten Gerüchte über eine Betriebsschließung laut wurden, fand am 30.06.2016 eine Besprechung aller Arbeitnehmer mit dem Beklagten statt, deren Einzelheiten von den Parteien unterschiedlich dargestellt werden.

Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis jedenfalls mit Schreiben vom 30.06.2016 ordentlich zum 31.01.2017. Dieses Schreiben ging dem Kläger am 01.07.2016 per Post zu. Darüber, ob sich der Kläger nach den Grundsätzen der Zugangsvereitelung so behandeln lassen muss, als hätte er die Kündigung bereits am 30.06.2017 rechtswirksam erhalten, streiten die Parteien. Im Nachgang fanden Verhandlungen zwischen dem Beklagten und den Arbeitnehmern statt, in denen u.a. über die Möglichkeit einer Fortführung des Betriebs ohne den Beklagten gesprochen wurde. Eine Einigung kam nicht zustande.

Der Kläger hat vorgetragen, dass Kündigungsschutzgesetz finde Anwendung, weil die Ehefrau des Beklagten noch weiterhin in seinem Betrieb tätig sei. Selbst wenn das Kündigungsschutzgesetz aber keine Anwendung finde, sei die Kündigung wegen Verstoßes gegen Treu und Glauben unwirksam. Im Hinblick auf die Besprechung am 30.06.2016 trägt der Kläger vor, es sei dort lediglich um Fragen der Arbeitsbeschaffung und –ausführung gegangen. Ansonsten habe der Beklagte nur mitgeteilt, dass er ggf. eine Betriebsschließung in Betracht ziehe. Über Kündigungen sei gar nicht gesprochen worden. Nachdem das Gespräch persönlich geworden sei, seien der Kläger und weitere Arbeitnehmer gegangen. Der Beklagte habe nicht versucht, irgendwelche Schriftstücke zu übergeben.

Der Kläger hat beantragt,

1. festzustellen, dass die Kündigung des Beklagten vom 30.06.2016 sozial unwirksam ist;

2. festzustellen, dass das bestehende Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht zum 31.01.2017 durch die Kündigungserklärung beendet wurde, sondern vielmehr weiter fortbesteht.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat vorgetragen, die für die Anwendung des Kündigungsschutzes erforderliche Arbeitnehmerzahl sei nicht gegeben. Im Hinblick auf die Besprechung vom 30.06.2016 trägt der Beklagte vor, er habe zunächst mündlich über die geplante Betriebsschließung und die Kündigungen informiert. Er habe sodann das Kündigungsschreiben vom 30.06.2016 dem Kläger bei dieser Gelegenheit nach der Besprechung übergeben wollen, worauf dieser und zwei weitere Arbeitnehmer die Annahme verweigert hätten unter Hinweis darauf, dass der Beklagte die Kündigungsschreiben jeweils postalisch an diese versenden solle. Er habe bereits während der Besprechung die Arbeitnehmer, insbesondere auch den Kläger, gebeten, die Kündigung anzunehmen. Er sei schließlich mit den Kündigungsschreiben hinter den übrigen Arbeitnehmern mit Ausnahme des Zeugen B., insbesondere aber auch dem Kläger, hergelaufen und habe versucht die Kündigungen zu übergeben, was diese verweigert hätten.

Das Arbeitsgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen B.. Hinsichtlich des Inhalts des Beweisbeschlusses wird auf die Sitzungsniederschrift des Arbeitsgerichts vom 16.02.2017 (Bl. 51 d.A.) sowie hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme auf Bl. 51, 52 d. A. Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht Koblenz hat daraufhin durch Urteil vom 16.02.2017 – 7 Ca 2146/16 – festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 30.06.2016 erst zum 28.02.2017 aufgelöst wird und im Übrigen die Klage abgewiesen. Hinsichtlich des Inhalts von Tatbestand und Entscheidungsgründen wird auf Bl. 62 – 71 d. A. Bezug genommen.

Gegen das ihm am 02.03.2017 zugestellte Urteil hat der Beklagte durch am 16.03.2017 beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt. Er hat die Berufung durch am 24.05.2017 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz begründet, nachdem zuvor auf seinen begründeten Antrag hin durch Beschluss vom 02.05.2017 die Frist zur Einreichung der Berufungsbegründung bis zum 02.06.2017 einschließlich verlängert worden war.

Der Beklagte wiederholt sein erstinstanzliches Vorbringen und hebt insbesondere hervor, bei der Besprechung am 30.06.2016 hätten die Kündigungsschreiben bereits auf dem Tisch gelegen und zwar während der Besprechung des Beklagten mit dem Kläger und seinen Arbeitskollegen seien sie in Richtung der gegenüberliegenden Personen, also der Arbeitnehmer herübergeschoben worden mit der Bemerkung seitens des Beklagten: „Nehmt bitte eure Kündigungen“. Nachdem dies nicht geschehen sei, sei er mit den Kündigungsschreiben, nachdem der Kläger sowie die weiteren Kollegen aus dem Raum hinaus gelaufen seien, hinter dem Kläger hergelaufen und er habe versucht, das Kündigungsschreiben zu übergeben. Dabei habe er dem Kläger mitgeteilt, dass er das Kündigungsschreiben doch annehmen solle. Gleiches gelte für die Arbeitskollegen. Diese hätten dies aber abgelehnt. Der Zeuge E. habe wörtlich gesagt: „Schick die Kündigung nach Hause, wenn du dir noch eine Marke leisten kannst.“

Insgesamt sei folglich davon auszugehen, dass die Kündigung am 30.06.2016 zugegangen und das Arbeitsverhältnis folglich am 31.01.2017 beendet worden sei.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens des Beklagten im Berufungsverfahren wird auf die Berufungsbegründungsschrift vom 24.05.2017 (Bl. 124 – 128 d. A.) Bezug genommen.

Der Beklagte beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 16.02.2017 (7 Ca 2146/16) abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung seines erstinstanzlichen Vorbringens und hebt insbesondere hervor, dass tatsächliche Vorbringen des Beklagten zum Geschehensablauf werde bestritten. Von einer Zugangsvereitelung könne keine Rede sein. Zwar habe eine Besprechung zum fraglichen Zeitpunkt am Betriebssitz stattgefunden. Dort sei es aber allein um Fragen der Arbeitsbeschaffung und Arbeitsausführung gegangen. Zugleich habe der Beklagte mitgeteilt, dass er ggfs. eine Betriebsschließung in Erwägung ziehe. Einen feststehenden Beschluss dazu habe er allerdings nicht geschildert. Erst Recht habe er nicht erklärt, dass er Kündigungserklärungen vorbereiten und diese aushändigen wolle.

Zur weiteren Darstellung des Vorbringens des Klägers im Berufungsverfahren wird auf die Berufungserwiderungsschrift vom 03.07.2017 (Bl. 137 – 142 d. A.) Bezug genommen.

Die 3. Kammer des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz hat aufgrund Beweisbeschlusses vom 10.07.2017, hinsichtlich dessen Inhalts auf Bl. 153 d. A. Bezug genommen wird, im Termin vom 09.10.2017 Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen D. und E.. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 09.10.2017 (Bl. 183 – 185 d. A. Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der Schriftsätze der Parteien, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, sowie die zu den Akten gereichten Schriftstücke verwiesen.

Schließlich wird Bezug genommen auf die Sitzungsprotokolle vom 10.07.2017 und 09.10.2017.

Entscheidungsgründe

I.

Das Rechtsmittel der Berufung ist nach §§ 64 Abs. 1, 2 ArbGG statthaft. Die Berufung ist auch gem. §§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG in Verbindung mit §§ 518, 519 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

II.

Das Rechtsmittel der Berufung hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

Denn das Arbeitsgericht ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass die streitgegenständliche ordentliche Arbeitgeberkündigung dem Kläger erst am 01.07.2016 zugegangen ist mit der Maßgabe, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht bereits zum 31.01.2017, sondern erst zum 28.02.2017 sein Ende gefunden hat.

Die Kündigung ist nicht nach § 1 Abs. 1 KSchG unwirksam, denn das Kündigungsschutzgesetz ist auf das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht anwendbar. Auch andere Unwirksamkeitsgründe sind nicht ersichtlich. Insoweit wird auf S. 6, 7 der angefochtenen Entscheidung (= Bl. 65, 66 d. A.) Bezug genommen. Der Kläger hat das Urteil des Arbeitsgerichts nicht angefochten; weitere Ausführungen sind insoweit folglich nicht veranlasst.

Die Kündigung ist dem Kläger aber erst am 01.07.2016 zugegangen, woraus sich bei einer Kündigungsfrist von 7 Monaten nach § 622 Abs. 2 S. 1 Nr. 7 BGB bei einer Beschäftigungszeit von mehr als 20 Jahren ein Ende des Arbeitsverhältnisses zum 28.02.2017 ergibt. Entgegen der Auffassung des Beklagten ist die Kündigung dem Kläger nicht bereits am 30.06.2016 zugegangen. Dies behauptet auch der Beklagte nicht. Entgegen der Auffassung des Beklagten muss sich der Kläger aber auch nicht so behandeln lassen, als sei ihm die Kündigung bereits am 30.06.2016 zugegangen.

Verhindert der Empfänger durch eigenes Verhalten den Zugang einer Willenserklärung, muss er sich so behandeln lassen, als sei ihm die Erklärung bereits zum Zeitpunkt des Übermittlungsversuchs zugegangen. Nach Treu und Glauben ist es ihm verwehrt, sich auf den späteren tatsächlichen Zugang zu berufen, wenn er selbst für die Verspätung die alleinige Ursache gesetzt hat. Sein Verhalten muss sich dafür als Verstoß gegen bestehende Pflichten zu Sorgfalt oder Rücksichtnahme darstellen. Lehnt er grundlos die Entgegennahme eines Schreibens ab, muss er sich nach § 242 BGB jedenfalls dann so behandeln lassen, als sei es ihm im Zeitpunkt der Ablehnung zugegangen, wenn er im Rahmen vertraglicher Beziehungen mit der Abgabe rechtserheblicher Erklärungen durch den Absender rechnen musste, wobei Arbeitnehmer regelmäßig damit rechnen müssen, dass ihnen anlässlich einer im Betrieb stattfindenden Besprechung mit dem Arbeitgeber rechtserhebliche Erklärungen betreffend ihrer Arbeitsverhältnisse übermittelt werden. Der Betrieb ist typischerweise der Ort, an dem das Arbeitsverhältnis berührende Fragen besprochen und geregelt werden (BAG 26.03.2015 EzA § 130 BGB 2002 Nr. 7 = NZA 2015, 1183; DLW/Dörner/Luczak/Wildschütz/Baeck/Hoß, Handbuch des Arbeitsrechts, 14. Aufl. 2017, Kap. 4 Rdnr. 93 f.).

Ein solcher Fall einer Zugangsvereitelung liegt nach Maßgabe der vor dem Arbeitsgericht und sodann weiterhin vor dem Landesarbeitsgericht durchgeführten Beweisaufnahme für den hier zu entscheidenden konkreten Lebenssachverhalt nicht vor. Es besteht keine volle Überzeugung der Kammer davon, dass eine Übergabe des Kündigungsschreibens durch den Beklagten in einer Weise versucht worden ist, dass der Kläger verpflichtet gewesen wäre, dieses entgegen zu nehmen.

Das Arbeitsgericht hat insoweit hinsichtlich der Vernehmung des Zeugen B. ausgeführt:

“ aa) Sofern der Beklagte schriftsätzlich behauptet hat, dass er das Kündigungsschreiben vom 30.06.2016 dem Kläger am 30.06.2016 nach der Besprechung übergeben wollte, worauf dieser (sowie zwei weitere Arbeitnehmer) die Annahme verweigert hätten unter Hinweis darauf, dass der Beklagte die Kündigungsschreiben jeweils postalisch an diese versenden solle, und dies unter Beweis gestellt hat durch Vernehmung des Zeugen B., ist das Gericht auch nach der Beweisaufnahme nicht davon überzeugt, dass ein Fall einer Zugangsvereitelung vorliegt. Denn der Zeuge B. hat insoweit unergiebig ausgesagt. Er hat lediglich bekundet, dass ihm die Kündigung übergeben worden sei, nicht aber, dass dies auch bei den übrigen Arbeitnehmern, insbesondere dem Kläger, versucht worden sei. Im Gegenteil hat er bekundet, dass ihm die Kündigung erst übergeben wurde, nachdem die anderen Arbeitnehmer bereits gegangen seien. Die Zeugenaussage schließt zwar nicht aus, dass tatsächlich versucht wurde dem Kläger die Kündigung zu übergeben (insbesondere in der Zeit, in der der Beklagte nach der Bekundung des Zeugen den Raum, in dem er sich befand, verließ um den übrigen Arbeitnehmern hinterherzulaufen), trägt aber auch nichts zu deren Beweis bei.“

Bereits diese Zeugenaussage begründet keineswegs den vollen Beweis der Kammer i. S. d. § 286 ZPO davon, dass der Klägerin die Entgegennahme der schriftlichen Kündigungserklärung durch den Beklagten treuwidrig am 30.06.2016 vereitelt hat.

Gemäß § 286 Abs. 1 ZPO hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten ist. Insofern ist das tatsächliche Vorbringen der Beklagten, dass die Klägerin zulässigerweise bestritten hat, nach Maßgabe der vor dem Arbeitsgericht durchgeführten Beweisaufnahme als wahr anzusehen.

Auf der Basis der abgeschlossenen Beweisaufnahme stellt die richterliche Würdigung einen internen Vorgang in der Person der Richter zur Prüfung der Frage dar, ob ein Beweis gelungen ist. Im Rahmen dieses internen Vorgangs verweist § 286 ZPO ganz bewusst auf das subjektive Kriterium der freien Überzeugung des Richters und schließt damit objektive Kriterien – insbesondere die naturwissenschaftliche Wahrheit als Zielpunkt – aus. Die gesetzliche Regelung befreit den Richter bzw. das richterliche Kollegium von jedem Zwang bei seiner Würdigung und schließt es damit auch aus, dass das Gesetz dem Richter vorschreibt, wie er Beweise einzuschätzen und zu bewerten hat. Dabei ist Bezugspunkt der richterlichen Würdigung nicht nur das Ergebnis der Beweisaufnahme, sondern der gesamte Inhalt der mündlichen Verhandlung (vgl. Münchner Kommentar zur ZPO – Prütting, 4. Auflage 2013, § 286 Rn. 1 ff.).

Hinsichtlich der Anforderungen an die richterliche Überzeugung ist von Folgendem auszugehen: Die richterliche Überzeugung ist nicht gleichzusetzen mit persönlicher Gewissheit. Der Begriff der Gewissheit stellt nämlich absolute Anforderungen an eine Person. Er lässt für – auch nur geringe – Zweifel keinen Raum. Dies wird gesetzlich aber nicht verlangt; die gesetzliche Regelung geht vielmehr davon aus, das Gericht müsse etwas für wahr „erachten“. Bei dem Begriff der richterlichen Überzeugung geht es also nicht um ein rein personales Element der subjektiven Gewissheit eines Menschen, sondern darum, dass der Richter in seiner prozessordnungsgemäßen Stellung bzw. das Gericht in seiner Funktion als Streit entscheidendes Kollegialorgan eine prozessual ausreichende Überzeugung durch Würdigung und Abstimmung erzielt. Daraus folgt, dass es der richterlichen Überzeugung keinesfalls im Weg steht, wenn dem Gericht aufgrund gewisser Umstände Unsicherheiten in der Tatsachengrundlage bewusst sind. Unerheblich für die Beweiswürdigung und die Überzeugungsbildung ist auch die Frage der Beweislast. Richterliche Überzeugung ist vielmehr die prozessordnungsgemäß gewonnene Erkenntnis des einzelnen Richters oder der Mehrheit des Kollegiums, dass die vorhandenen Eigen- und Fremdwahrnehmungen sowie Schlüsse ausreichen, die Erfüllung des vom Gesetz vorgesehenen Beweismaßes zu bejahen. Es darf also weder der besonders leichtgläubige Richter noch der generelle Skeptiker ein rein subjektives Empfinden als Maß der Überzeugung setzen, sondern jeder Richter muss sich bemühen, unter Beachtung der Prozessgesetze, Ausschöpfung der gegebenen Erkenntnisquellen und Würdigung aller Verfahrensergebnisse in gewissenhafter und vernünftigerweise einer Entscheidung nach seiner Lebenserfahrung darüber zu treffen, ob im Urteil von der Wahrheit einer Tatsachenbehauptung auszugehen ist. Dabei muss sich das Gericht allerdings der Gefahren für jede Wahrheitsfindung bewusst sein.

Dabei ist letzten Endes ausschlaggebend, dass das Gesetz eine von allen Zweifeln freie Überzeugung nicht voraussetzt. Vielmehr kommt es auf die eigene Überzeugung des entscheidenden Richters an, auch wenn andere zweifeln oder eine andere Auffassung erlangt haben würden. Der Richter darf und muss sich aber in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (BGHZ 53, 245 = NJW 1970, 946; vgl. Münchner Kommentar zur ZPO – Prütting a. a. O., Rn. 28 ff). Vom Richter wird letztlich verlangt, dass er die volle Überzeugung erlangt, dass er eine streitige Tatsachenbehauptung für wahr erachtet. Diese Überzeugung kann und darf er nicht gewinnen, wenn für die streitige Behauptung nur die überwiegende Wahrscheinlichkeit spricht, vielmehr muss für die behauptete Tatsache eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit sprechen, damit der Richter die Tatsache für wahr erachtet.

Nichts anderes gilt für die Beweiserhebung durch die Kammer im Berufungsverfahren.

Die Kammer hat die nach dem Vorbringen der Parteien beweiserheblichen Behauptungen im Beweisbeschluss vom 10.07.2017 (Bl. 153 d. A.) wie folgt widergegeben:

„3. In diesem Termin soll Beweis erhoben werden über die Behauptungen des Beklagten:

1. Dass bei der Besprechung am 30.06.2016 die Kündigungsschreiben bereits auf dem Tisch lagen und diese während der Besprechung durch den Beklagten in Richtung der gegenüberliegenden Personen, also der Arbeitnehmer, herübergeschoben wurden mit der Bemerkung seitens des Beklagten: „Nehmt bitte Eure Kündigungen.“

2. Behauptet er, dass der Beklagte mit den Kündigungsschreiben nach dem der Kläger sowie die weiteren Kollegen hinausgelaufen sind, hinter diesem hergelaufen sei und versucht habe, diese zu übergeben und hierbei mit diesem mitgeteilt habe, dass sie ihre Kündigungsschreiben doch annehmen sollten. Dies haben diese abgelehnt. Der Zeuge E. hatte hier wörtlich gesagt: „Schick die Kündigung nach Hause, wenn Du Dir noch eine Marke leisten kannst.

durch Vernehmung des Zeugen E., vom Beklagten benannt sowie durch Vernehmung der Zeugen B., F. und E., gegenbeweislich durch den Kläger benannt.“

Nachdem beide Parteien im Hinblick auf den Gesundheitszustand auf die nochmalige Vernehmung des Zeugen B. verzichtet haben, hat die Kammer die Zeugen F. und E. vernommen.

Der Zeuge E. hat ausgesagt, er habe nach einer riesigen Auseinandersetzung das Büro verlassen, mit allen anderen Beteiligten und dann sei der Beklagte hinter ihm hergekommen und habe gesagt, ihr müsst noch eure Schreiben mitnehmen. Der Zeuge habe darauf hin zu ihm gesagt, du wirst ja wohl noch einen Euro für eine Briefmarke haben. Daraufhin habe er das Betriebsgelände verlassen. Im Büro des Beklagten hätten zwar Schreiben auf dem Tisch gelegen, das habe aber natürlich auch alles Mögliche gewesen sein könne. Es hätten dort immer Briefe auf dem Schreibtisch gelegen. Der Satz „nehmt bitte eure Kündigungen“ sei durch den Beklagten, solange sie sich im Büro aufgehalten hätten, nicht gefallen. Es hätte sich durchaus z. B. auch um ein Arbeitszeugnis handeln können.

Der Zeuge F. hat im gleichen Sinne ausgesagt, das Gespräch habe sich zu einer verbalen Auseinandersetzung zugespitzt, er habe sich das dann nicht mehr anhören können und habe dann das Büro und das Firmengelände verlassen. Er wisse nicht genau, um was es dann gegangen sei, von einem Schreiben wisse er nichts, er habe auch kein Schreiben gesehen. Er habe ziemlich nah an der Ausgangstür gestanden. Irgendwelche ausdrücklichen Erklärungen wegen einer Kündigung, die ihm hätte ausgehändigt werden sollen, habe er nicht gehört.

Beide Zeugen haben ausführlich lebensnah und ohne weiteres nachvollziehbar ausgesagt und bei der Kammer einen voll umfänglich glaubwürdigen Eindruck hinterlassen. Anhaltspunkte am Wahrheitsgehalt der Aussagen zu zweifeln, bestehen nicht. Vor diesem Hintergrund kann keineswegs davon ausgegangen werden, dass die Beweisbehauptungen des Beklagten zur vollen Überzeugung der Kammer gem. § 286 Abs. 1 ZPO nachgewiesen worden sind. Vielmehr spricht wesentlich mehr dagegen als dafür, dass sich das Geschehen tatsächlich so, wie vom Beklagten behauptet, abgespielt haben könnte. Folglich ist der Beklagte beweisfällig geblieben.

Nach alledem war die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Für eine Zulassung der Revision war nach Maßgabe der gesetzlichen Kriterien des § 72 ArbGG keine Veranlassung gegeben.

 

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