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Zeugenbeweis für Zugang eines Kündigungsschreibens

Kündigungszugang und Zeugenbeweis: Gericht entscheidet zugunsten der schwangeren Arbeitnehmerin

In einem kürzlich ergangenen Urteil hat das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz entschieden, dass das Arbeitsverhältnis einer schwangeren Arbeitnehmerin nicht durch die Kündigung des Arbeitgebers beendet wurde. Der Fall drehte sich um den Zugang eines Kündigungsschreibens und die Frage, ob die Kündigung der Arbeitnehmerin tatsächlich zugegangen ist. Das Gericht hat die Klage der Arbeitnehmerin stattgegeben und das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz abgeändert.

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Streit um Kündigungszugang

Die Klägerin war seit dem 01.08.2019 als Sachbearbeiterin bei der Beklagten beschäftigt. Während einer krankheitsbedingten Abwesenheit der Klägerin wurde ihre Schwangerschaft festgestellt. In dieser Zeit erstellte die Beklagte ein Kündigungsschreiben und gab dieses als Einschreiben mit Rückschein zur Post, das jedoch nicht an die Klägerin ausgehändigt wurde und zurückgesendet wurde. Darüber hinaus war strittig, ob ein weiteres Kündigungsschreiben erstellt und in den Hausbriefkasten der Klägerin eingeworfen wurde.

Erstinstanzliches Urteil und Berufung

Die Klägerin beantragte vor dem Arbeitsgericht Koblenz, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung der Beklagten aufgelöst wurde und verlangte ihre Weiterbeschäftigung. Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klage und berief sich darauf, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung innerhalb der Probezeit beendet wurde. Das Arbeitsgericht Koblenz gab der Klage statt, woraufhin die Beklagte Berufung beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz einlegte.

Entscheidung des Landesarbeitsgerichts

Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz entschied zugunsten der Klägerin und änderte das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz ab. Das Gericht stellte fest, dass das Arbeitsverhältnis weder durch die Kündigung vom 09.09.2019 (im Hinblick auf § 17 MuSchG) noch durch die Kündigung vom 02.09.2019 beendet wurde. Es konnte nicht festgestellt werden, ob die Kündigung vom 02.09.2019 der Klägerin tatsächlich zugegangen ist. Die Beweiswürdigung bezüglich des Einwurfs in den Briefkasten konnte dahinstehen, da es der Beklagten nicht gelang, zu beweisen, dass der Umschlag, den die Zeugen angeblich eingeworfen haben, tatsächlich das Kündigungsschreiben enthalten hat.

Fazit und Auswirkungen des Urteils

Das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz zeigt die Bedeutung des Zugangs von Kündigungsschreiben im Arbeitsrecht und unterstreicht die Notwendigkeit für Arbeitgeber, bei der Zustellung von Kündigungen sorgfältig vorzugehen. In diesem Fall konnte die Beklagte nicht ausreichend beweisen, dass das Kündigungsschreiben der Klägerin tatsächlich zugegangen ist, wodurch das Arbeitsverhältnis weiterhin fortbesteht.

Darüber hinaus verdeutlicht das Urteil die besonderen Schutzvorschriften für schwangere Arbeitnehmerinnen, wie sie im Mutterschutzgesetz (MuSchG) verankert sind. Die Kündigung einer schwangeren Arbeitnehmerin ist grundsätzlich unzulässig, es sei denn, es liegen besondere Gründe vor, die eine Kündigung auch während der Schwangerschaft rechtfertigen. In diesem Fall hatte die Beklagte die Schwangerschaft der Klägerin nicht hinreichend berücksichtigt, wodurch die Kündigung unwirksam war.

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Das vorliegende Urteil

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz – Az.: 8 Sa 11/21 – Urteil vom 18.01.2022

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 03.12.2020, Az. 5 Ca 2886/19, abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund arbeitgeberseitiger Kündigung, dabei in erster Linie um den Zugang eines Kündigungsschreibens.

Die Klägerin war ab dem 01.08.2019 als Sachbearbeiterin bei der Beklagten beschäftigt. Vom 19.08.2019 bis zum 06.09.2019 war sie arbeitsunfähig erkrankt. Innerhalb dieser Zeit wurde eine Schwangerschaft der Klägerin festgestellt.

Am 02.09.2019 erstellte die Beklagte ein Kündigungsschreiben und gab dieses als an die Klägerin gerichtetes Einschreiben mit Rückschein zur Post. Dieses wurde, nachdem eine Aushändigung an die Klägerin nicht möglich war und eine Abholung nicht erfolgte, an die Beklagte zurückgesendet.

Ob auch ein weiteres Kündigungsschreiben vom 02.09.2019 an diesem Tage erstellt und in den Hausbriefkasten der Klägerin eingeworfen wurde, steht zwischen den Parteien im Streit.

Am Montag, dem 09.09.2019 erschien die Klägerin wieder zur Arbeit. Als die Klägerin im Betrieb eintraf, war der Schreibtisch, an dem sie bislang gearbeitet hatte, leergeräumt. Ihr wurde, nach etwa 30 Minuten, ein auf den 09.09.2019 unterzeichnetes Kündigungsschreiben überreicht. Außerdem teilte der Geschäftsführer ihr mit, ein weiteres, noch auf dem Postweg befindliches Kündigungsschreiben müsse sie nun nicht mehr abholen.

Mit Schreiben vom 18.09.2019 setzte die Klägerin die Beklagte über die bestehende Schwangerschaft (zu diesem Zeitpunkt 13. Woche) in Kenntnis. Das Schreiben ging der Beklagten am Folgetag zu.

Die Klägerin hat erstinstanzlich vorgetragen, sie habe außer der Kündigung vom 09.09.2019 keine weitere Kündigung erhalten. Weder am 02.09.2019 noch an einem darauffolgenden Tag habe sich in ihrem Hausbriefkasten ein Kündigungsschreiben befunden. Sie sei an diesem Tag aufgrund ihrer Erkrankung zu Hause gewesen und habe keine Person auf dem Grundstück bemerkt.

Erstinstanzlich hat die Klägerin beantragt,

1. festzustellen, dass das zwischen ihr und der Beklagten bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 09.09.2019, der Klägerin am gleichen Tag zugegangen, zum 23.09.2019 oder einem sonstigen Zeitpunkt aufgelöst worden ist,

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern zu unveränderten Bedingungen über den 23.09.2019 hinaus fortbesteht,

3. die Beklagte zu verurteilen, sie als Sachbearbeiterin weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt, die Klage abzuweisen.

Hierzu hat die Beklagte erstinstanzlich vorgetragen, am Vormittag des 02.09.2019 habe der Vater des Geschäftsführers, Herr G., gemeinsam mit der Mitarbeiterin Frau F. ein Kündigungsschreiben zum Haus der Klägerin gebracht und dort in den Briefkasten eingeworfen. Daher sei das Arbeitsverhältnis bereits aufgrund dieser Kündigung innerhalb der Probezeit beendet worden.

Das Arbeitsgericht hat in der mündlichen Verhandlung vom 12.03.2020 die Zeugen E., F., G., H. und I. vernommen. Mit Urteil vom 03.12.2020 hat das Arbeitsgericht Koblenz der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat das Gericht -zusammengefasst- ausgeführt, das Arbeitsverhältnis sei weder durch die Kündigung vom 09.09.2019 (dies im Hinblick auf § 17 MuSchG) noch durch die Kündigung vom 02.09.2019 beendet worden. Ein Zugang dieser Kündigung sei nicht festzustellen. Die Beweiswürdigung bezüglich des Einwurfs in den Briefkasten könne dahinstehen, da es der Beklagten nicht gelungen sei, zu beweisen, dass der Umschlag, welchen die Zeugen F. und E. an der Wohnadresse der Klägerin eingeworfen haben wollen, tatsächlich das Kündigungsschreiben vom 02.09.2019 enthalten habe. Hierzu habe die Beklagte dargelegt, dass die Zeugin J. das durch den Geschäftsführer unterschriebene Schriftstück kuvertiert und ihm sodann den verschlossenen Umschlag wieder ausgehändigt habe. Dieser habe im Anschluss die in dem verschlossenen Umschlag befindliche Kündigungserklärung an die Zeugen F. und E. übergeben. Der Geschäftsführer habe sich hieran jedoch nicht erinnern können. Die Zeugin F. habe allein bezeugt, dass sie einen verschlossenen Umschlag erhalten und diesen an die Wohnadresse der Klägerin überbracht habe, den Inhalt habe sie jedoch nicht zur Kenntnis genommen. Ein weiteres Beweisangebot habe die Beklagte nicht angebracht. Aus dem nachgereichten Schriftsatz vom 17.03.2020 ergebe sich ein solches nicht. Die hierin als Zeugin benannte Mitarbeiterin J. habe nicht angehört werden müssen, da die Behauptung, der Geschäftsführer habe den von der Zeugin J. zuvor mit der Kündigung befüllten Umschlag an Frau F. weitergegeben, nicht eine eigene Handlung der Zeugin J. darstelle oder eine solche, die sie wahrgenommen hätte. Daher sei mangels Beweisangebots nicht feststellbar gewesen, ob der von den Zeugen F. und E. entgegengenommene Umschlag tatsächlich eine Kündigung enthielt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlich gehaltenen Sachvortrags, des Ergebnisses der Beweisaufnahme und der Urteilsbegründung wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.

Das Urteil wurde der Beklagten am 08.12.2020 zugestellt. Sie hat hiergegen mit Schriftsatz vom 04.01.2021, bei dem LAG Rheinland-Pfalz am 08.01.2021 eingegangen, Berufung eingelegt. Die Berufungsbegründungsfrist wurde durch Beschluss vom 08.02.2021 bis zum 22.02.2021 verlängert. Mit Schriftsatz vom 22.02.2021, an diesem Tage eingegangen, hat die Beklagte die Berufung begründet.

Zur Begründung ihrer Berufung hat die Beklagte vorgetragen, das Arbeitsgericht habe zu Unrecht angenommen, die Beklagte sei hinsichtlich des Zugangs der Kündigung vom 02.09.2019 beweisfällig geblieben. Die Tatsache, dass sich in dem von den Zeugen E. und F. eingeworfenen Umschlag das Kündigungsschreiben befunden habe, habe die Klägerin nicht explizit bestritten, sondern nur den Einwurf und damit den Zugang der Kündigung. Jedenfalls hätte das Gericht Beweis erheben müssen durch die Vernehmung der Zeugin J.. Diese habe das Weitergeben des von ihr mit der Kündigung befüllten Umschlags beobachtet, was auch schriftsätzlich ausgeführt und unter Beweis gestellt worden sei.

Zweitinstanzlich hat die Beklagte beantragt, unter Aufhebung des Urteils des Arbeitsgerichts Koblenz vom 03.12.2020 die Klage abzuweisen.

Die Klägerin hat zweitinstanzlich beantragt, die Berufung der Beklagten und Berufungsklägerin zurückzuweisen.

Sie trägt hierzu vor, ein Zugang der Kündigung habe nicht stattgefunden. Die Beklagte hätte beweisen müssen, dass es am 02.09.2019 ein durch den Geschäftsführer unterschriebenes und an die Klägerin adressiertes Kündigungsschreiben gegeben habe, das in einen Umschlag kuvertiert worden sei und dass eben jener Umschlag mit dem Kündigungsschreiben dann durch die Zeugin F. samt Inhalt in den Briefkasten der Klägerin eingeworfen worden sei. Dies sei der Beklagten nicht gelungen. Das Arbeitsgericht habe rechtsfehlerfrei keine Vernehmung der Zeugin J. durchgeführt. Aus dem Schriftsatz der Beklagten ergebe sich nicht, ob Frau J. die Übergabe des Umschlags von Herrn E. an Frau F. aus eigener Wahrnehmung bezeugen könne.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.

I.

Die nach § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung der Klägerin ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG in Verbindung mit §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie erweist sich auch sonst als zulässig.

II.

Die Berufung ist begründet.

Der Klage konnte nicht stattgegeben werden, da das Arbeitsverhältnis aufgrund der ordentlichen arbeitgeberseitigen Kündigung vom 02.09.2019 zum 18.09.2019 sein Ende gefunden hat. Nach Durchführung der Beweisaufnahme vor dem Berufungsgericht stand zur Überzeugung der Kammer fest, dass diese Kündigung der Klägerin rechtswirksam zugegangen ist.

1. Der Klageantrag zu 1), gerichtet auf Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung vom 09.09.2019, ist unbegründet.

a. Zwar verstößt diese Kündigung aufgrund der innerhalb von zwei Wochen nach ihrem Zugang bekanntgegebenen Schwangerschaft der Klägerin gegen § 17 Abs. 1 MuSchG.

b. Jedoch ist Voraussetzung einer klagstattgebenden Entscheidung über den Kündigungsschutzantrag, dass das Arbeitsverhältnis auch zu dem in der Kündigung benannten Beendigungstermin noch bestanden hat (erweiterter punktueller Streitgegenstandsbegriff).

aa. Von einem Antrag nach § 4 Satz 1 KSchG ist regelmäßig auch das Begehren umfasst, festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis bis zum vorgesehenen Auflösungszeitpunkt noch bestanden hat (BAG, Urteil vom 18. Dezember 2014 – 2 AZR 163/14, Rn. 22, zitiert nach juris, ebenso im Folgenden; Urteil vom 20. März 2014 – 2 AZR 1071/12 – Rn. 17; Urteil vom 12. Mai 2011 – 2 AZR 479/09 – Rn. 18). Zwar ist Gegenstand und Ziel einer Kündigungsschutzklage nach § 4 Satz 1 KSchG die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis durch die bestimmte, mit der Klage angegriffene Kündigung zu dem vom Arbeitgeber vorgesehenen Termin nicht aufgelöst worden ist. Falls der Klage stattgegeben wird, steht aber zugleich fest, dass das Arbeitsverhältnis vor oder bis zu diesem Termin auch nicht aufgrund irgendeines anderen Umstands sein Ende gefunden hat (BAG, Urteil vom 18. Dezember 2014 – 2 AZR 163/14, Rn. 28). Durch den Antrag nach § 4 KSchG ist somit das Begehren auf Feststellung mit umfasst, dass das Arbeitsverhältnis bis zum vorgesehenen Auflösungszeitpunkt noch bestanden hat (Germelmann/Matthes/Prütting, Arbeitsgerichtsgesetz, 9. Auflage 2017, Einleitung Rn. 199; Ascheid/Preis/Schmidt/Hesse, 6. Aufl. 2021, KSchG § 4 Rn. 134).

bb.  Diese Voraussetzung ist vorliegend nicht erfüllt. Zu dem in der Kündigung vom 09.09.2019 genannten Beendigungszeitpunkt, dem 23.09.2019, war das Arbeitsverhältnis bereits beendet.

Denn das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis wurde aufgrund der ordentlichen Kündigung der Beklagten vom 02.09.2019 innerhalb der in § 2 des Arbeitsvertrags geregelten Probezeit beendet.

(1)  Diese Kündigung vom 02.09.2019 ist der Klägerin an diesem Tag durch Einwurf in den Hausbriefkasten zugegangen. Dies gilt unabhängig davon, ob die Klägerin das Schreiben tatsächlich zur Kenntnis genommen hat.

a.  Nach § 130 Abs. 1 BGB wird eine unter Abwesenden abgegebene Willenserklärung in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie dem Empfänger zugeht. Eine schriftliche Willenserklärung ist zugegangen, sobald sie in verkehrsüblicher Weise in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers oder eines anderen, der ihn nach der Verkehrsanschauung in der Empfangnahme von Briefen vertreten konnte, gelangt ist und für den Empfänger unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit besteht, von dem Schreiben Kenntnis zu nehmen. Zum Bereich des Empfängers gehören von ihm vorgehaltene Empfangseinrichtungen wie ein Briefkasten. Ob die Möglichkeit der Kenntnisnahme bestand, ist nach den „gewöhnlichen Verhältnissen“ und den „Gepflogenheiten des Verkehrs“ zu beurteilen. So bewirkt der Einwurf in einen Briefkasten den Zugang, sobald nach der Verkehrsanschauung mit der nächsten Entnahme zu rechnen ist (BAG, Urteil vom 22. August 2019 – 2 AZR 111/19 –, Rn. 12; Urteil vom 25. April 2018 – 2 AZR 493/17 –, Rn. 16; grundlegend Urteil vom 08. Dezember 1983 – 2 AZR 337/82 –, Rn. 11). Jedenfalls dann, wenn eine Schreiben vormittags in den Hausbriefkasten eingeworfen wird, ist – im Allgemeinen- damit zu rechnen, dass noch am gleichen Tag der Briefkasten geleert und das Schreiben dort vom Adressat gefunden wird (BAG, Versäumnisurteil vom 26. März 2015 – 2 AZR 483/14 –, Rn. 38; LAG München, Urteil vom 17. Dezember 2019 – 6 Sa 543/18 –, Rn. 148; LAG Nürnberg, Urteil vom 05. Januar 2004, 9 Ta 162/03; LAG Köln, Urteil vom 17. September 2010 – 4 Sa 721/10 –, Rn. 27; Ascheid/Preis/Schmidt/Linck, 6. Aufl. 2021, BGB § 622 Rn. 24).

Unerheblich ist, ob der Empfänger von dem Schreiben tatsächlich Kenntnis nimmt (LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 17. September 2019 – 8 Sa 57/19 –, Rn. 42; LAG Düsseldorf 19.9.2000 – 16 Sa 925/00, LAGE § 130 BGB Nr. 21; (Ascheid/Preis/Schmidt/Linck, 6. Aufl. 2021, BGB § 622 Rn. 23). Im vorliegenden Fall kann es sich durchaus zugetragen haben, dass der Klägerin die Kündigung vom 02.09.2019 nicht bekannt war. Dies macht es erklärbar, dass sie am 09.09.2019 überhaupt noch im Betrieb erschien und dass sie an diesem Tag erstaunt war über die Beendigungsabsicht der Beklagten, was sämtliche Zeugen und auch die Parteien einheitlich beschrieben haben. Für die Frage des Zugangs ist dies jedoch rechtlich nicht erheblich.

b. Der Arbeitgeber hat den Vollbeweis des Zugangs einer Kündigung unter Abwesenden zu führen. Dies ist der Beklagten im Streitfall gelungen. Die Kammer ging gemäß § 286 ZPO nach Durchführung der Beweisaufnahme davon aus, dass am Vormittag des 02.09.2019 ein durch den Geschäftsführer unterzeichnetes Kündigungsschreiben in einen Briefumschlag kuvertiert wurde (1) und eben dieser Briefumschlag in den Hausbriefkasten der Klägerin eingeworfen wurde (2).

(1)  Die Klägerin hat, jedenfalls zweitinstanzlich, bestritten, dass überhaupt im Vorfeld des (ebenfalls von ihr bestrittenen) Einwurfs des Kuverts in ihren Briefkasten, ein auf den 02.09.2019 datierendes Kündigungsschreiben in das Kuvert eingelegt wurde. Die sachnähere Beklagte hat zu diesem Punkt schriftsätzlich vorgetragen, der zuständige Mitarbeiter, Herr H., habe dem Geschäftsführer das zum Einwurf vorgesehene Kündigungsschreiben zur Unterschrift auf dessen Schreibtisch vorgelegt. Nach der Unterzeichnung habe die Mitarbeiterin Frau J. das Schreiben kuvertiert und sodann an den Geschäftsführer zurückgegeben, der es dann wiederum an Frau F. übergeben habe.

(1.1) Hierzu hat die Beklagte Beweis angetreten durch Vernehmung der Zeugin J.. Nach substantiierter schriftsätzlicher Darstellung des Geschehensablaufs durch die Beklagte war dem Beweisangebot auch nachzugehen. Die Zurückweisung einer beantragten Zeugenvernehmung kommt nur ausnahmsweise in Betracht, wenn es völlig ausgeschlossen erscheint, dass diese Vernehmung sachdienliche Erkenntnisse erbringen kann. Ob die Zeugin das Einlegen in den Umschlag und die Weitergabe eben dieses Umschlags tatsächlich aus eigener Wahrnehmung beobachten konnte, war (erst) bei der Beweiswürdigung zu berücksichtigen (Greger in: Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022, Vorbemerkungen zu § 284 Grundzüge des Beweisverfahrens, Rn. 8; Musielak/Voit/Huber, 18. Aufl. 2021, ZPO § 373 Rn. 11). Das Arbeitsgericht hat diesbezüglich zutreffend festgestellt, dass notwendiger Inhalt eines Beweisantrags die spezifizierte Bezeichnung der Tatsachen, welche bewiesen werden sollen, ist. Wie konkret die jeweiligen Tatsachenbehauptungen sein müssen, muss dabei unter Berücksichtigung der Wahrheits- und Vollständigkeitspflicht (§ 138 Abs. 1 ZPO) anhand der Umstände des Einzelfalls, insbesondere der Einlassung des Gegners, beurteilt werden (BGH, Versäumnisurteil vom 15. Januar 2004 – I ZR 196/01 –, Rn. 25). Jedenfalls anhand des Vortrags der Beklagten im Berufungsverfahren ergab sich klar, dass die Zeugin J. beobachtet haben soll, wie das von ihr selbst mit einem Umschlag versehene und an den Geschäftsführer übergebene Kündigungsschreiben von diesem an die Zeugin F. überreicht worden sei. Daher war der Beweis im Berufungsverfahren zu erheben.

(1.2) Die Zeugin J. hat im Zuge ihrer Vernehmung diesen Vorgang glaubhaft bestätigt.

Nach ihrer eindeutigen Aussage legte sie das unterschriebene Kündigungsschreiben in ein Kuvert und übergab dieses an den Geschäftsführer. Dieser reichte es dann, als Frau F. mit dem Zeugen E. aufbrach, an diese weiter. Die Zeugin hat flüssig und unter Nennung von Details den Ablauf am 02.09.2019 geschildert. Auf Fragen reagierte spontan, und ohne sich in Wiederholungen zu erschöpfen, so dass die Aussage nicht vorbereitet und konstruiert wirkte. Insbesondere erschien ihre Aussage besonders deswegen glaubhaft, weil sie eingestand, sich über die Kündigung gefreut zu haben. Dies lässt nachvollziehen, dass sie sich an das von ihr Geschilderte tatsächlich gut erinnern konnte, und dieses für sie keine alltägliche Situation darstellte. Sie konnte über die Situation detailgenau und widerspruchsfrei berichten. Aus der Aussage zur Rolle des Herrn H. im Rahmen des Geschehens ergibt sich nichts anderes. Die Zeugin hat klargestellt, dass Herr H. eventuell vom Geschäftsführer das weitere Kündigungsschrieben vom 02.09.2019, welches per Einwurf-Einschreiben verschickt wurde, erhalten und den Postausgang veranlasst hat. Ein Widerspruch zu der erstinstanzlichen Aussage des Zeugen H. ergibt sich nicht. Dieser hatte erklärt, er habe die Kündigungen am 02.09.2019 erstellt und unterschreiben lassen, eine davon per Einschreiben an die Post gegeben, die andere bei dem Geschäftsführer gelassen. Seines Wissens nach sei sie dann durch Frau F. und Herrn E. überbracht worden. Dies ist insofern schlüssig und nicht widersprüchlich, da die beiden Kündigungen durch die Hände von – in chronologischer Reihenfolge- Herrn H., dem Geschäftsführer, Frau J., erneut der Geschäftsführer- und ab dann an Frau F. bzw. (zur Übergabe an die Post) erneut Herrn H. gingen.

Auch ist an der Glaubwürdigkeit nicht zu zweifeln. Zwar ist zu beachten, dass die Zeugin aus dem Betrieb der Beklagten stammt und aufgrund von Differenzen mit der Klägerin auch an einer weiteren Zusammenarbeit nicht interessiert gewesen sein dürfte. Dies kann ihre Aussage jedoch nicht per se untauglich machen. Es ist nicht aus diesem Gesichtspunkten heraus von vornherein zu unterstellen, dass die Zeugin der Klägerin durch eine Falschaussage schaden wollte. Ihr Aussageverhalten bot keine Indizien zur der Annahme, sie wolle einen unzutreffenden Geschehensablauf schildern.

(2) Auch der weitere zur Annahme eines Zugangs der Kündigung nötige Schritt, der Einwurf eben dieses Umschlags in den Hausbriefkasten der Klägerin, fand am 02.09.2019 statt. Hiervon war die Kammer ebenfalls im Sinne des § 286 ZPO überzeugt.

Hierzu wurden die Zeugen F. und () G. vernommen.

(2.1) Frau F. schilderte ebenfalls den Ablauf am 02.09.2019, soweit er noch im Büro stattfand, schlüssig und in Übereinstimmung mit den Angaben der anderen Zeugen sowie der Parteien. Sie erhielt hiernach den Umschlag von dem Geschäftsführer, Frau J. sei hierbei noch anwesend, der Vater ebenfalls schon eingetroffen gewesen. Es gibt keine Anhaltspunkte dazu, dass etwa mehrere Schreiben zu anderen Kontexten besprochen worden wären und von daher mehrere Umschläge oder Schriftstücke im Raum waren, so dass eine Verwechslung des Umschlags hätte stattfinden können. Die Übergabe des Schreibens von Frau J. an den Geschäftsführer und von diesem an Frau F. wurde nachvollziehbar und schlüssig geschildert.

Auch das Geschehnis am Briefkasten schilderte die Zeugin glaubhaft. Sie beschrieb, dass sie einen Zuweg zum Haus hinauf gehen musste und den Brief in einen ihrer Erinnerung nach grünen Hausbriefkasten eingeworfen hat, ohne zu klingeln.

Hinsichtlich der Glaubwürdigkeit der Zeugin galten ähnliche Gesichtspunkte wie bezüglich der Zeugin J.. Beide stammen aus dem Betrieb der Beklagten. Es gab auch hier jedoch keinen konkreten Anhaltspunkt zur der Annahme, die Zeugin habe etwas Unrichtiges vortragen wollen.

Nach dieser Aussage der Zeugin F. stand für die Kammer zur Überzeugung fest, dass diese einen mit der Kündigung bestückten Umschlag in einen Hausbriefkasten eingeworfen hat. Es bestand nach dieser Aussage lediglich noch eine Ungewissheit über den Punkt, ob eine Verwechslung des Briefkastens bzw. des Wohnhauses ausgeschlossen werden konnte. Die Zeugin F. gab an, sich nicht selbst über die richtige Adresse vergewissert zu haben, sondern diesbezüglich dem Zeugen E., der das Fahrzeug zum Zielort geführt hat, vertraut zu haben. Zwar beschrieb die Zeugin bereits, dass sie einen kleinen Anstieg hinauflaufen musste. Auch die Farbe des Briefkastens deckt sich mit der Angabe der Klägerin hierzu. Einen Aufstieg zum Haus könnte aber, wenn die Straße im Hang liegt, bei mehreren Häusern existieren, so dass dies noch kein sicherer Anhaltspunkt dafür war, dass tatsächlich ein Einwurf in den korrekten Hausbriefkasten erfolgte. Zudem überprüfte die Zeugin auch nicht sicher die Namensangabe auf dem Briefkasten, bzw. konnte sich hieran jedenfalls nicht mehr klar genug erinnern. Hierzu erklärte sie nur, sie gehe davon aus, dass auf dem Briefkasten der Name des Lebensgefährten der Klägerin gestanden habe.

(2.2) Diese Unsicherheit wurde jedoch durch die Vernehmung des Zeugen E. ausgeräumt. Dieser schloss aus, dass es sich um ein anderes Wohnhaus und damit um einen fremden Briefkasten gehandelt haben könnte. Er beschrieb die Straße so, dass sich an der betreffenden Stelle nur ein freistehendes Einfamilienhaus, angrenzend nur Mehrfamilienhäuser, befanden. Er erklärte, dass er das Anwesen und die Zufahrt hierzu gekannt habe. Er habe genau vor der Einfahrt angehalten und gesehen, dass Frau F. auch diese hochgegangen sei. Zwar hat der Zeuge auch angegeben, dass er die Hausnummer nicht genau gekannt habe und dass er in der Vergangenheit immer nur an der Einfahrt gewesen sei, nie am Haus selbst. Dies erschien der Kammer jedoch nicht erheblich. Der Zeuge erkannte die Auffahrt, welche nur zu einem einzigen Haus führte. Die Sicherheit, dass es sich um die richtige Einfahrt handelte, hatte der Zeuge anhand der Fahrten dorthin in der Vergangenheit (Autoverkäufe mit seinem Sohn und dem Lebensgefährten der Klägerin) erlangt. Deswegen benötigte er keine Hausnummernangabe. Eine Verwechslung erschien angesichts der besonderen Lage des Hauses ausgeschlossen. Würden sich die Einfahrten und die dazugehörigen Häuser gleichen, wäre eine solche Verwechslung nicht unwahrscheinlich. Der Zeuge konnte das Haus und die Zufahrt aber deswegen identifizieren, weil es sich von den umliegenden Häusern unterschied. Seine Angaben hierzu stehen in Einklang mit den Angaben der Klägerin, die sie persönlich im Kammertermin machte.

Auch gab der Zeuge an, gesehen zu haben, dass Frau F. sich auf den richtigen Zufahrtsweg begab. Er erklärte auch, es habe an dieser Stelle keinen anderen Zuweg gegeben.

Damit ist glaubhaft geschildert, dass der zuvor Frau F. überreichte Umschlag in den Hausbriefkasten der Klägerin eingeworfen wurde.

Der Zeuge war glaubwürdig trotz seines Näheverhältnisses zur Beklagten. Er sprach sehr offen und gab sofort an, wenn er etwas nicht mehr wusste oder wenn er etwas nicht beobachten konnte, auch wenn dieses für die Beklagte günstig gewesen wäre. Seine Aussage schien sehr spontan, nicht verzerrend, sondern wahrheitsgemäß. Das Aussageverhalten deutete nicht auf eine unwahre Aussage zu Lasten der Klägerin hin.

Mit dieser Zeugenaussage schloss sich für die Kammer die Ereigniskette dergestalt, dass es zur Überzeugung der Kammer feststand, dass der Geschäftsführer die Kündigung am 02.09.2019 unterzeichnete, Frau J. sie mit einem Umschlag versah, diesen Umschlag dem Geschäftsführer überreichte, er ihn Frau F. übergab – und diese ihn in den Hausbriefkasten, der zur Wohnanschrift der Klägerin gehörte, am Vormittag einwarf. Es kann dabei durchaus sein, dass die Klägerin ihn nicht zur Kenntnis nahm, zum Beispiel, weil er in eine Zeitung rutschte.

Die Kammer nahm deswegen im Sinne des § 286 ZPO an, dass Kündigung am 02.09.2019 zugegangen ist.

Eine Klage gegen diese Kündigung reichte die Klägerin nicht ein, erst am 26.09.2020 erhob sie Klage und damit nicht innerhalb der Frist des § 4 KSchG, so dass sie gem. § 7 KSchG als rechtswirksam gilt. Damit endete das Arbeitsverhältnis aufgrund der Kündigung vom 02.09.2019 an dem in der Kündigung genannten Kündigungstermin, dem 18.09.2019. Dieser Termin wahrte die zweiwöchige Kündigungsfrist, die aufgrund der arbeitsvertraglich vereinbarten und noch laufenden Probezeit galt. Somit endete das Arbeitsverhältnis vor dem 23.09.2019, so dass der Kündigungsschutzantrag bezüglich der Kündigung vom 09.09.2019, der Antrag zu 1), abzuweisen war.

2.  Auch der allgemeine Feststellungantrag war abzuweisen. Gegenstand der allgemeinen Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1 ZPO die Frage, ob das Arbeitsverhältnis über den durch eine Kündigung bestimmten Auflösungstermin hinaus bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung fortbestanden hat (BAG, Urteil vom 18. Dezember 2014, 2 AZR 163/14, Rn. 24; Urteil vom 20. März 2014 – 2 AZR 1071/12 – Rn. 18; Urteil vom 26. September 2013 – 2 AZR 682/12 – Rn. 31). Weitere Beendigungstatbestände lagen im Streitfall nicht vor. Die Klägerin hat keine Tatsachen vortragen, aus denen sich vom Arbeitgeber geltend gemachte Beendigungsgründe ergeben, die von dem erweiterten punktuellen Streitgegenstand der anhängigen Kündigungsschutzklage nicht erfasst wären, weswegen der Antrag mangels Feststellungsinteresses unzulässig blieb (Ascheid/Preis/Schmidt/Hesse, 6. Aufl. 2021, KSchG § 4 Rn. 148).

Da nach der zweitinstanzlichen Verhandlung und Beweisaufnahme von einem Zugang der Kündigung auszugehen war, war die Klage abzuweisen und das Urteil der ersten Instanz dementsprechend abzuändern.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Ein Grund, der nach den hierfür maßgeblichen gesetzlichen Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte, besteht nicht.

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