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Zeugnisverweigerung – unmittelbarer vermögensrechtlicher Schaden

LAG Berlin-Brandenburg – Az.: 9 Ta 46/17 – Beschluss vom 07.03.2017

Auf die sofortige Beschwerde des Beklagten wird das Zwischenurteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 19. Dezember 2016 – 41 Ca 11067/15 – abgeändert.

Es besteht kein Zeugnisverweigerungsrecht des Zeugen Ho. gemäß § 384 Nr. 1 ZPO hinsichtlich der Frage, ob er Herrn H. in das Mitgliederverzeichnis des Beklagten aufgenommen hat.

Die Rechtsbeschwerde wird für  den drittbeteiligten Zeugen zugelassen.

Gründe

I.

Streitig ist das Bestehen eines Zeugnisverweigerungsrechts gem. § 384 Nr. 1 ZPO.

Die Klägerin wendet sich mit ihrer Klage gegen eine außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses zum Beklagten. Der Beklagte begründet die Kündigung mit dem Vorwurf, die Klägerin habe am 21. April 2015 unzutreffend Herrn H. als Vereinsmitglied unter Angabe einer seit 2004 bestehenden Vereinsmitgliedschaft in das elektronische Mitgliederverzeichnis im PC aufgenommen und damit dessen Kandidatur als Vorstandsmitglied bei der Vorstandswahl am 22. April 2016 möglich gemacht. Von einer solchen Handlung der Klägerin sei auszugehen, weil die Änderung unter ihrem Benutzernamen vorgenommen worden sei. Für diesen Zugriff unter dem Benutzernamen sei neben dem Benutzernamen ein Passwort erforderlich. Zugang zum Büro zur fraglichen Zeit sei der Klägerin von dem Zeugen Ho. ermöglicht worden.

Das Arbeitsgericht hat am 19. Dezember 2016 über die Vorgänge zur Vorstandswahl und Mitgliedererfassung beim Beklagten Beweis erhoben und hierzu u.a. den Zeugen Ho. befragt. Der Zeuge erklärte in der Beweisaufnahme, er habe aufgrund des Trubels in seinem Arbeitszimmer am Vorabend der Vorstandswahl im Hinblick auf anstehende Arbeiten mit der Klägerin ein anderes Zimmer aufgesucht. Er habe sich die Passwörter der Mitarbeiter notiert, weil es häufiger vorgekommen sei, dass diese Passwörter vergessen hätten.

Auf die Frage, ob er Herrn H. in das Mitgliederverzeichnis aufgenommen habe, erklärte der Zeuge, er verweigere diesbezüglich die Aussage. Zur Begründung führte der Zeuge aus, er werde den Beklagten auf Honorar verklagen, das dieser ihm vorenthalte. Der Beklagte habe seinen Vertrag im Juli 2015 fristlos gekündigt. Falls diese Kündigung nur als ordentliche Kündigung wirksam sei, stehe ihm noch Geld zu.

Das Arbeitsgericht Berlin hat durch Zwischenurteil vom 19. Dezember 2016 festgestellt, der Zeuge sei wegen der Gefahr eines unmittelbaren Vermögensschadens im Sinne des § 384 Nr. 1 ZPO nicht verpflichtet, Zeugnis darüber zu geben, ob er Herrn H. in das Mitgliederverzeichnis aufgenommen habe und dies im Wesentlichen wie folgt begründet: Der Zeuge beabsichtige, den Beklagten auf Zahlung von Annahmeverzugsvergütung zu verklagen. Dieser Anspruch hänge von der Wirksamkeit der gegenüber dem Zeugen ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung ab. Würde der Zeuge sich selbst der Manipulation des Mitgliederverzeichnisses bezichtigen, dürfte hierin ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung liegen. Da zwischen der Beklagten und dem Zeugen kein Arbeitsverhältnis bestanden habe, könnten die Unwirksamkeit der Kündigung bzw. hierauf beruhende Zahlungsansprüche trotz des Zeitablaufs noch geltend gemacht werden.

Gegen dieses ihm am 30. Dezember 2016 zugestellte Zwischenurteil hat der Beklagte am 10. Januar 2017 sofortige Beschwerde eingelegt. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts gehe es um keinen drohenden unmittelbaren vermögensrechtlichen Schaden im Sinne des § 384 Nr. 1 ZPO. Ein solcher drohe, wenn aufgrund der Aussage ein gegen den Zeugen gerichteter Anspruch durchgesetzt werden könne. Dagegen gehe es im vorliegenden Fall nicht um gegen den Zeugen gerichtete Ansprüche, sondern um die Möglichkeit, einen nicht bestehenden Anspruch unter Vorspiegelung falscher Tatsachen vor Gericht geltend zu machen. Hier sehe sich der Zeuge keiner Verfolgung Dritter ausgesetzt, ihm werde lediglich die Möglichkeit genommen, einen Rechtsstreit zu führen, den er bei wahrheitsgemäßem Vortrag ohnehin verlieren würde. Dass der Zeuge seit einem Jahr keine Klage erhoben habe, spreche im Übrigen gegen eine solche Absicht. Zudem bestehe unabhängig von der Frage der Wirksamkeit der fristlosen Kündigung kein Anspruch des Zeugen auf weitere Vergütung, da lediglich eine Aufwandsentschädigung wirksam vereinbart sei.

Die Klägerin wendet in Verteidigung der erstinstanzlichen Entscheidung ein, nach dem Zweck des § 384 Nr. 1 ZPO solle niemand zu schädigenden Handlungen gezwungen werden, der Zeuge müsse seine vermögensrechtlichen Interessen nicht denen der beweisführenden Partei unterordnen. Die Regelung beziehe sich auch auf Ansprüche, die ein Zeuge selbst geltend mache. Im Übrigen sei bei der vom Zeugen beabsichtigten Klage mit Gegenansprüchen, sei es in Form von Zurückbehaltungsrechten oder Aufrechnungslagen zu rechnen.

Der Zeuge schließt sich den Ausführungen der Klägerin an.

II.

1. Die sofortige Beschwerde des Beklagten gegen das Zwischenurteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 19. Dezember 2016 ist gem. §§ 387 Abs. 3, 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO,  § 78 ArbGG statthaft,  wurde form- und fristgerecht eingelegt und ist damit zulässig. Über die sofortige Beschwerde ist  gemäß § 78 Satz 2 ArbGG ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter zu entscheiden.

2. Die sofortige Beschwerde ist begründet.

Grundlage der Prüfung im Weigerungsrechtsstreit ist nur der vom Zeugen geltend gemachte Weigerungsgrund (Berger in: Stein/Jonas ZPO 23. Aufl.§ 386 Rn. 4; Damrau in MüKo ZPO, 5. Aufl., § 387 Rn. 3, Rn. 11). Geltend gemacht und Gegenstand der erstinstanzlichen Entscheidung ist hier ein Zeugnisverweigerungsrecht gem. § 384 Nr. 1 ZPO.

Gem. § 384 Nr. 1 ZPO kann das Zeugnis über Fragen verweigert werden, deren Beantwortung dem Zeugen einen unmittelbaren vermögensrechtlichen Schaden verursachen würde. Im vorliegenden Fall droht dem Zeugen durch die Beantwortung der Frage, ob er Herrn H. unter unzutreffender Angabe einer seit 2004 bestehenden Mitgliedschaft in das elektronische Mitgliederverzeichnis des Beklagten aufgenommen hat, kein unmittelbarer vermögensrechtlicher Schaden in diesem Sinne.

a) Ein unmittelbarer Schaden droht, wenn durch die Beantwortung der Frage die tatsächlichen Voraussetzungen für eine Haftung des Zeugen als Schuldner oder Regressschuldner begründet werden oder die Durchsetzung einer bestehenden Verpflichtung durch das Beweismittel der Aussage erleichtert werden könnte (Berger in: Stein/Jonas ZPO 23. Aufl.§ 384 Rn. 3; BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2006 – III ZB 2/06 –, Rn. 7, juris).

Drohende Regress- oder Schadensersatzansprüche gegen den Zeugen werden nicht geltend gemacht. Der Zeuge macht nicht geltend, es drohten im Falle einer Bejahens oder Verneinens der Frage, ob er Herrn H. in das Mitgliederverzeichnis aufgenommen habe, gegen ihn gerichtete Schadensersatzansprüche der Klägerin oder des Beklagten. Der Zeuge  beruft sich vielmehr auf Ansprüche, die er selbst geltend machen wolle. Soweit die Klägerin ausführt, in diesem vom Zeugen beabsichtigten Klageverfahren drohten die Geltendmachung von Zurückbehaltungsrechten des Beklagten oder Aufrechnungslagen, bleibt offen, auf welche Ansprüche sich dies beziehen soll und weshalb ein Zusammenhang mit der streitgegenständlichen Zeugenaussage bestehen sollte.

Angaben zu etwa drohenden gegen ihn gerichteten Ansprüchen hat der Zeuge nicht gemacht.

b) Ein drohender Schaden ergibt sich auch nicht aus einer sich aus der Zeugenaussage ergebenden Schmälerung der Chancen des Zeugen, eigene Ansprüche auf weitere Vergütung geltend zu machen.

Ein Schaden liegt nach der im Grundsatz heranzuziehenden Differenzhypothese in der  Differenz zwischen dem Vermögensstand ohne das schädigende Ereignis und dem tatsächlich gegebenen Vermögensstand (MüKoBGB/Oetker BGB, 7. Aufl, § 249 Rn. 18 m.w.N.).

aa) Ein Anspruch des Zeugen stellt grundsätzlich nur dann einen Vermögenswert des Zeugen dar, wenn dieser nach der tatsächlichen Lage und damit unabhängig von einer Aussage des Zeugen zu dieser Lage besteht. Entsprechend droht keine Verschlechterung der Lage durch eine wahrheitsgemäße Zeugenaussage.

bb) Selbst wenn man annimmt, auch ein Anspruch, der durch die Möglichkeit unterbleibender Angaben durchgesetzt werden könnte, stelle einen Vermögenswert dar, kann dies allenfalls gelten, soweit Angaben berechtigterweise unterbleiben dürfen. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.

(1) Nimmt man mit dem Arbeitsgericht an, Zahlungsansprüche des Zeugen hingen von der  Wirksamkeit der fristlosen Kündigung ab, wofür es darauf ankomme, ob dieser das elektronische Mitgliederverzeichnis durch falsche Angaben geändert habe, müsste der Zeuge zur Anspruchsbegründung hierzu Stellung nehmen. Wenn der Zeuge Ansprüche mit der Begründung klageweise geltend machen will, die ihm gegenüber ausgesprochene fristlose Kündigung sei  unwirksam, muss er in diesem Prozess zum (Nicht-)Vorliegen von Kündigungsgründen gem. § 138 Abs. 1 ZPO wahrheitsgemäß vortragen. Auch wenn ein drohender unmittelbarer Schaden im Sinne des § 384 Nr. 1 ZPO darin liegen kann, dass die Durchsetzung einer bereits bestehenden Schuldverpflichtung des Zeugen nur erleichtert wird, d.h. die Nachweisbarkeit gegen den Zeugen gerichteter Ansprüche betroffen ist (s.o.) ergibt sich hieraus nicht im Umkehrschluss, dass die Begründung ggf. nicht bestehender Ansprüche hiervon ohne Einschränkung gleichermaßen umfasst wäre.

Die damit getroffene Unterscheidung zwischen der drohenden Inanspruchnahme durch Dritte, die durch ein Zeugnisverweigerungsrecht vermieden werden kann, und einer Begründung eigener Ansprüche, welche bei Nichtbestehen nicht durch Zeugnisverweigerungsrechte erleichtert  werden soll, erscheint auch nach dem Sinn und Zweck der Regelung sachgerecht. In der Abwägung zwischen Zeugenpflichten und drohenden Nachteilen soll sich der Zeuge mit einer wahrheitsgemäßen Aussage keinen Nachteilen aussetzen müssen (Musielak ZPO/Huber ZPO, 13. Aufl, § 384 Rn. 1). Der Ausschluss einer sachlich nicht gerechtfertigten möglichen Verbesserung der eigenen Vermögenslage stellt dagegen keine vergleichbare Konfliktsituation dar (vgl. insoweit zum nicht bestehenden Zeugnisverweigerungsrecht des Beamten, der eine mögliche Beförderung geschmälert sieht Berger in: Stein/Jonas ZPO 23. Aufl., § 384 Rn. 4).

(2) Geht man mit dem Beklagten davon aus, es komme für die Frage bestehender Zahlungsansprüche nicht entscheidungserheblich auf die Wirksamkeit der Kündigung an, kann auf der Grundlage der vorliegenden Angaben ohnehin kein drohender Schaden aufgrund einer Aussage, die für die Wirksamkeit der Kündigung des Zeugen relevant ist festgestellt werden.

III.

Die Zulassung der Rechtsbeschwerde beruht auf § 78 S. 2, § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG. Für die Klägerin wird die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen, da diese nicht Beweisführerin ist (s. hierzu Greger in: Zöller, Zivilprozessordnung, 31. Aufl. 2016, § 387 ZPO, Rn. 6).

 

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