Unangemessenes Verhalten und Vertretungszweifel: Ein Fall von Arbeitsrecht
In einem vorliegenden Fall von Arbeitsrecht aus Siegen geht es um die Zurückweisung einer Arbeitnehmerkündigung wegen fehlender Vollmachtsurkunde und Vorwürfe der sexuellen Belästigung. Die Hauptproblematik liegt in der Frage, ob das Verhalten des Arbeitnehmers eine grobe Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten darstellt und ob eine fristlose Kündigung gerechtfertigt war. Zudem spielt das Thema Vertretungsregelung und Vollmachtsurkunde eine zentrale Rolle.
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Übersicht:
Vorgeschichte und Vorwürfe
Der Arbeitnehmer, der Kläger, soll einen anderen Mitarbeiter sexuell belästigt haben, indem er diesem die Hose herunterzog. Dieser Vorfall, so der Vorwurf, stellt eine grobe Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten dar und verletzte das Recht des Betroffenen auf sexuelle Selbstbestimmung. Der Kläger entgegnet, dass die Vorkommnisse lediglich Teil eines wechselseitigen Neckens waren und nicht in einem sicherheitsrelevanten Bereich stattfanden.
Bedeutung der Vollmachtsurkunde
In dieser Auseinandersetzung wurde die Kündigung des Klägers zurückgewiesen, da eine erforderliche Vollmachtsurkunde fehlte. Hierzu wurde das Gesetz nach § 174 BGB aufgegriffen, das festhält, dass bei einer Vertretung durch mehrere Personen, jede einzelne Person eine entsprechende Vollmachtsurkunde vorlegen muss. Diese Anforderung war in diesem Fall nicht erfüllt.
Abwägung der Umstände und das Urteil
In einem solchen Fall bedarf es einer sorgfältigen Abwägung der Umstände. Das Gericht musste prüfen, ob der vorgeworfene Sachverhalt als Kündigungsgrund ausreicht und ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist. Berücksichtigt wurden Faktoren wie das Gewicht der Vertragspflichtverletzung, das Verschulden des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer und der Verlauf des Arbeitsverhältnisses.
Das Gericht urteilte, dass das unangemessene Verhalten des Klägers zwar arbeitsrechtliche Konsequenzen hatte und ein Mitarbeiter durch dieses belästigt wurde, aber die fristlose Kündigung wurde nicht als gerechtfertigt angesehen. Stattdessen wurde festgestellt, dass die Arbeitgeberin mit einer Abmahnung hätte reagieren können. Der Kläger wurde daher bis zum Abschluss des Rechtsstreits weiterbeschäftigt.
Zum Schluss dieses Artikels ist es wichtig zu erwähnen, dass die Entscheidungen im Arbeitsrecht stark von den spezifischen Umständen des Einzelfalls abhängen. Die Analyse und Interpretation solcher Fälle erfordern ein gründliches Verständnis des Arbeitsrechts sowie eine sorgfältige Abwägung der Umstände und Interessen aller Beteiligten. […]
Das vorliegende Urteil
Sächsisches Landesarbeitsgericht – Az.: 5 Sa 128/20 – Urteil vom 25.11.2020
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Leipzig vom 05.12.2019 – 6 Ca 1500/19 – wird z u r ü c k g e w i e s e n .
2. Die Beklagte trägt die Kosten der Berufung.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung vom 21.05.2019 sowie die Wirksamkeit der vorsorglich erklärten außerordentlichen Kündigungen vom 05.06.2019 und 19.08.2019.
Der am …1975 geborene Kläger, der verheiratet und gegenüber einem Kind unterhaltsverpflichtet ist, ist bei der Beklagten, die die Herstellung von Automobilen betreibt, seit 01.04.2014 zuletzt als sog. Fertiger B im Bereich Technik beschäftigt. Die einzelnen Arbeitsbedingungen vereinbarten die Parteien mit dem Arbeitsvertrag vom 10.03.2014 (Bl. 5 ff. d. A.). Danach galt für den Kläger eine regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von 36 Stunden. Der Verdienst betrug zuletzt 3.671,63 € brutto monatlich.
In der Nachtschicht vom 01./02.05.2019 kam es zu einem Vorkommnis, welches weitgehend unstreitig ist. Der Kläger näherte sich dem Mitarbeiter …, der zu diesem Zeitpunkt am sog. Ritzpräger tätig war und zog diesem unvermittelt mit beiden Händen die Hose herunter. Ob dabei auch die Unterhose heruntergezogen worden ist, wird vom Kläger „mit Nichtwissen“ bestritten.
Der Mitarbeiter … war bei der Beklagten als Leiharbeitnehmer tätig. Er war bei der … GmbH beschäftigt. Der Mitarbeiter beschwerte sich bei seinem Arbeitgeber über die Vorkommnisse in der Nachtschicht am 01 ./02.05.2019. Er blieb in der folgenden Nachtschicht von der Arbeit fern.
In der Folge fanden Personalgespräche statt am 03.05.2019 (Schichtleiter … und Kläger), am 06.05.2019 (Herr …, Herr … und weitere im Personalbereich der Beklagten tätige Personen), am 07.05.2019 (Kläger, Herr … und weitere im Personalbereich der Beklagten tätige Personen) und am 14.05.2019 (Herr …, Fertigungsleiter Herr … und weitere im Personalbereich der Beklagten tätige Personen).
Am 15.05.2019 bat der Kläger um ein Gespräch, an dem die Personalreferentin Frau …, ein Mitglied des Betriebsrats sowie weitere bei der Beklagten im Personalbereich tätige Personen teilnahmen. Der Kläger gab eine mündliche Stellungnahme ab und entschuldigte sich für den Vorfall. Der Kläger teilte hierbei mit, dass er einen Antrag auf Anerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft gestellt habe, eine Entscheidung bislang allerdings nicht erfolgt sei.
Der Kläger hat in der Zeit zwischen dem 01. und 07.04.2019 die Anerkennung als Schwerbehinderter beantragt.
Mit Schreiben vom 21.05.2019 beantragte die Beklagte vorsorglich beim Integrationsamt die Zustimmung zu einer weiteren außerordentlichen Kündigung. Mit Bescheid vom 28.05.2019 (Bl. 94 ff. d. A.) erteilte das Integrationsamt die Zustimmung zu einer außerordentlichen Kündigung.
Mit Schreiben vom 21.05.2019 (Bl. 18 d. A.) kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos mit sofortiger Wirkung. Der Kläger erhielt das Kündigungsschreiben am 21.05.2019 durch einen Boten ausgehändigt.
Mit den weiteren Schreiben vom 05.06.2019 (Bl. 30 d. A.) und vom 19.08.2019 (Bl. 43 d. A.) kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis vorsorglich erneut außerordentlich fristlos mit sofortiger Wirkung. Das Kündigungsschreiben wurde am 05.06.2019 vor 12:00 Uhr durch einen Boten in den Hausbriefkasten der Wohnung des Klägers eingeworfen.
Sämtliche drei Kündigungsschreiben waren jeweils von zwei Personen unterzeichnet. Die Unterzeichnungen erfolgten dabei in folgender Weise:
Kündigung vom 21.05.2019:
„i. V. Dr. …
Leiter Personal
i. V. …
Leiterin Personalmanagement“
Kündigung vom 05.06.2019:
„i. v. Dr. …
Leiter Personal
i. V. …
Personalmanagement“
Kündigung vom 19.08.2019:
„i. V. Dr. …
Leiter Personal
i. V. …
Leiterin Personalreferat“
Herrn Dr. … wurde zum 01.09.2017 die Funktion „Leiter Personal“ übertragen.Die Unterzeichnung von Kündigungsschreiben erfolgt bei der Beklagten regelmäßig durch zwei Personen. Diese Praxis beruht auf einer bei der Beklagten bestehenden Unterschriftenliste.
Die Personalleitung ist die übergeordnete Abteilung für weitere Personalbereiche.
Mit Schreiben vom 23.05.2019 (Bl. 19 d. A.) wies der Kläger die Kündigung vom 21.05.2019 wegen des Fehlens einer Originalvollmacht in Bezug auf die die Kündigung unterzeichnenden Personen zurück.
Mit Schreiben vom 12.06.2019 wies der Kläger die Kündigung vom 05.06.2019 wegen des Fehlens der Originalvollmacht in Bezug auf die die Kündigung unterzeichnenden Personen zurück.
Mit Schreiben vom 20.08.2019 wies der Kläger die Kündigung vom 19.08.2019 wegen des Fehlens der Originalvollmacht der unterzeichnenden Personen zurück.
Am 14.11.2018 erfolgte die Wahl der Schwerbehindertenvertretung. Der Kläger bewarb sich. Das Wahlergebnis wurde am 16.11.2018 bekanntgemacht.
In der vorausgegangenen Amtsperiode war der Kläger Vertreter der Vertrauensperson der Schwerbehindertenvertretung. Der Kläger vertrat die Vertrauensperson zuletzt am 29.10.2018.
Der Kläger hat erstinstanzlich behauptet, dass ein wichtiger Grund für die außerordentliche Kündigung vom 21.05.2019 nicht vorliege. Gleiches gelte für die weiteren außerordentlichen Kündigungen der Beklagten vom 05.06.2019 und 19.08.2019. Zum Zeitpunkt des streitigen Vorfalls sei der Mitarbeiter … am Arbeitsplatz „Ritzpräger“ eingesetzt gewesen. Der Mitarbeiter habe gerade gewartet, dass das zu montierende Gestell in den Takt einfährt, um mit der Prägung starten zu können. Während des Herunterziehens der Hose habe sich Herr … in dem Arbeitsvorgang befunden, in dem das Ritzprägegerät bereits abgesetzt war. Er, der Kläger, habe nicht mitbekommen, dass er Herrn … nicht nur die Arbeitshose, sondern auch die Unterhose heruntergezogen haben soll. Der Kläger hat mangels eigener Wahrnehmung bestritten, dass er Herrn … auch die Unterhose heruntergezogen hat. Der Kläger und Herr … hätten sich seit längerer Zeit mehrfach „geneckt“. Auch der Mitarbeiter … habe ca. sechs Monate zuvor die Arbeitshose des Klägers heruntergezogen. Herr … bestreitet dies, da er die Abmeldung als Leiharbeitnehmer befürchte. Herr … habe dem Kläger auch schon einmal einen Schrauber zwischen die Beine geschoben oder in die Genitalien gegriffen. Die dargestellten Verhaltensweisen seien nicht so schwerwiegend, dass damit eine außerordentliche Kündigung gerechtfertigt werden könne. Der Kläger hat jeweils die Einhaltung der Kündigungserklärungsfrist sowie die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats bestritten.
Der Kläger hat erstinstanzlich folgende Klageanträge gestellt:
1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 21.05.2019, dem Kläger zugegangen am 21.05.2019, nicht aufgelöst wurde.
2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Fertiger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreits weiterzubeschäftigen.
3. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die weitere fristlose Kündigung der Beklagten vom 05.06.2019 nicht aufgelöst wurde.
4. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die weitere fristlose Kündigung der Beklagten vom 19.08.2019 nicht aufgelöst wurde.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat vorgetragen, dass ein wichtiger Grund in Bezug auf die außerordentliche Kündigung vom 21.05.2019, jedenfalls für die Kündigung vom 05.06.2019 vorliege. Der Kläger habe in der Nachtschicht vom 01./02.05.2019 unvermittelt dem Leiharbeitnehmer … die Hose und die Unterhose heruntergezogen. Dieser habe daraufhin einige Sekunden entblößt an der Montagelinie gestanden. Er sei hierdurch den Blicken und dem Gelächter der in der Nähe arbeitenden Arbeitnehmer ausgesetzt gewesen. Dies stelle eine sexuelle Belästigung dar. Jedenfalls bestehe der dringende Verdacht. Bei der Tätigkeit am sog. Ritzpräger bedürfe es einer erheblichen Konzentration. Bei misslungenem Arbeitsergebnis drohe erheblicher Schaden. Der Leiharbeitnehmer … habe zwar eingeräumt, vor ca. sechs Monaten am Hosenträger des Klägers gezogen zu haben, allerdings dessen Hose nicht runtergezogen habe. Der Leiharbeitnehmer … habe allerdings bestritten, dem Kläger einen Schrauber zwischen die Beine gesteckt zu haben. Soweit sich der Kläger auf eine Zurückweisung nach § 174 BGB berufe, sei dies ausgeschlossen. Dies folge daraus, dass der Leiter der Personalabteilung Herr Dr. … die Kündigungen unterschrieben habe.
Das Arbeitsgericht hat den Kündigungsschutzklagen sämtlich stattgegeben und zur Begründung ausgeführt, dass ein wichtiger Grund für die außerordentlichen Kündigungen gemäß § 626 Abs. 1 BGB nicht vorliege. Ein Fortsetzen des Arbeitsverhältnisses sei der Beklagten nicht unzumutbar. Zu berücksichtigen sei, dass es in der Vergangenheit offenbar mehrfach auch von Seiten des Herrn … zu Übergriffen gekommen sei. Die Kündigungen stellten sich damit als unverhältnismäßig dar.
Das Urteil des Arbeitsgerichts Leipzig vom 05.12.2019 wurde der Beklagten am 08.05.2020 zugestellt. Die Beklagte hat mit am gleichen Tag eingehendem Schriftsatz vom 06.05.2020 Berufung eingelegt und diese mit ebenfalls am gleichen Tag eingehendem Schriftsatz vom 26.06.2020 begründet.
Die Beklagte nimmt auf ihr erstinstanzliches Vorbringen Bezug und trägt zur Begründung der Berufung vor, dass ein wichtiger Grund für die ausgesprochenen Kündigungen gegeben sei. Der Kläger habe dem Leiharbeitnehmer … absichtlich dessen Hose und Unterhose heruntergezogen. Dieser habe für einige Sekunden entblößt in der Montagelinie gestanden. Mit diesem Verhalten habe der Kläger den Tatbestand der sexuellen Belästigung verwirklicht. Dies stelle eine grobe Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten dar. Durch das absichtliche Entblößen habe der Kläger in das Recht der sexuellen Selbstbestimmung des Betroffenen eingegriffen. Die vom Kläger aufgestellten Behauptungen in Bezug auf ein wechselseitiges Necken seien weitgehend unzutreffend. Der Leiharbeitnehmer … habe lediglich vor ca. sechs Monaten an der Latzhose des Klägers im Schulterbereich am Hosenträger gezogen, die Hose allerdings nicht runtergezogen. Es sei zwar auch zu einem wechselseitigen Kneifen in die Brust gekommen, allerdings habe er noch nie in die Genitalien des Klägers gegriffen. Weitere Unwirksamkeitsgründe lägen ebenfalls nicht vor. Der Betriebsrat sei ordnungsgemäß angehört worden. Die Zurückweisung der Kündigung durch den Kläger sei unbeachtlich.
Die Beklagte stellt folgenden Antrag:
Das Urteil des Arbeitsgerichts Leipzig vom 05.12.2019 – 6 Ca 1500/19 – wird abgeändert:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger beantragt, Zurückweisung der Berufung.
Der Kläger nimmt ebenfalls auf sein erstinstanzliches Vorbringen Bezug und trägt weiter vor, dass die außerordentlichen Kündigungen der Beklagten unwirksam seien. Ein wichtiger Grund liege nicht vor. Es treffe nicht zu, dass sich der Vorfall in einem sicherheitsrelevanten Bereich mit sicherheitsrelevanten Tätigkeiten ereignet habe. Der Mitarbeiter … sei im Zeitpunkt des Vorfalls gerade nicht mit Arbeiten aktiv beschäftigt gewesen. Er habe gerade darauf gewartet, dass das Gestell in den Takt einfährt, um mit der Prägung durch den Ritzpräger starten zu können. Er, der Kläger, habe nicht mitbekommen, dass der Leiharbeiter … entblößt im Takt gestanden habe. Der Kläger habe von Anfang an Reue gezeigt und seinen „kindischen Streich“ ausdrücklich bereut und sich hierfür entschuldigt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der beiderseits vorgelegten Schriftsätze, insbesondere vom 26.06., 03.08. und 15.09.2020 sowie auf die Erklärungen der Parteien in der Berufungsverhandlung vom 21.10.2020 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
A.
Die Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet.
I.
Die Berufung ist zulässig.
Die Berufung ist an sich statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG). Die Berufung ist auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1 Satz 1 und 2, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO).
II.
Die Berufung ist nicht begründet.
Das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis ist weder durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 21.05.2019 noch durch die weiteren außerordentlichen Kündigungen der Beklagten vom 05.06.2019 und 19.08.2019 beendet worden. Die Beklagte ist verpflichtet, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreits zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Fertiger weiterzubeschäftigen.
1. Das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis ist nicht durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 21.05.2019 beendet worden.
a) Die Kündigung ist gemäß § 174 Satz 1 BGB unwirksam. Nach § 174 Satz 1 BGB ist ein einseitiges Rechtsgeschäft, das ein Bevollmächtigter einem anderen gegenüber vornimmt, unabhängig vom Bestehen einer Vollmacht und ohne die Möglichkeit einer Heilung oder Genehmigung unwirksam, wenn der Bevollmächtigte weder eine Vollmachtsurkunde vorlegt noch die Bevollmächtigung dem Erklärungsempfänger vom Vollmachtgeber zuvor bekanntgegeben worden ist, und der Erklärungsempfänger das Rechtsgeschäft aus diesem Grund unverzüglich zurückweist.
aa) § 174 BGB dient dazu, bei einseitigen Rechtsgeschäften klare Verhältnisse zu schaffen. Der Erklärungsempfänger ist zur Zurückweisung der Kündigung berechtigt, wenn er keine Gewissheit darüber hat, dass der Erklärende tatsächlich bevollmächtigt ist und sich der Arbeitgeber dessen Erklärung deshalb zurechnen lassen muss. Der Empfänger einer einseitigen Willenserklärung soll nicht nachforschen müssen, welche Stellung der Erklärende hat und ob damit das Recht zur Kündigung verbunden ist oder üblicherweise verbunden zu sein pflegt. Er soll vor der Ungewissheit geschützt werden, ob eine bestimmte Person bevollmächtigt ist, das Rechtsgeschäft vorzunehmen. Gewissheit könne eine Vollmachtsurkunde oder ein Inkenntnissetzen schaffen. Das Inkenntnissetzen nach § 174 Satz 2 BGB muss ein gleichwertiger Ersatz für die Vorlage einer Vollmachtsurkunde sein (BAG, Urteil vom 25.09.2014 – 2 AZR 567/13 – AP Nr. 23 zu § 174 BGB).
bb) Diese Interessenlage gilt auch dann, wenn der Arbeitgeber durch zwei Personen nach außen gemeinsam vertreten wird. In diesem Fall gilt § 174 BGB in Bezug auf jede der vertretenden Personen. Beinhaltet die Vertretungsregelung des Arbeitgebers eine gemeinschaftliche Vertretung durch zwei Personen, bedarf es für den Erklärungsempfänger einer Gewissheit darüber, dass beide Vertreterpersonen gemeinsam bevollmächtigt sind. In diesem Fall genügt es nicht, wenn nur eine der beiden vertretenen Personen entweder eine Vollmachtsurkunde nach § 174 Satz 2 BGB vorlegt oder ein Inkenntnissetzen des Arbeitgebers gemäß § 174 Satz 2 BGB erfolgt ist (LAG Berlin, Urteil vom 28.06.2006 – 15 Sa 632/06 – NZA-RR 2007, 15).
cc) Ein Inkenntnissetzen liegt auch dann vor, wenn der Arbeitgeber bestimmte Mitarbeiter in eine Stellung berufen hat, mit der üblicherweise ein Kündigungsrecht verbunden ist (z. B. Leiter der Personalabteilung). Dabei reicht die interne Übertragung einer solchen Funktion nicht aus. Erforderlich ist, dass sie nach außen im Betrieb ersichtlich ist oder eine sonstige Bekanntmachung erfolgt. Der Erklärungsempfänger muss davon in Kenntnis gesetzt werden, dass der Erklärende die Stellung tatsächlich innehat (BAG, Urteil vom 14.04.2011 – 6 AZR 727/09 – AP Nr. 21 zu § 174 BGB).
dd) Die Zurückweisung gemäß § 174 Satz 1 BGB hat unverzüglich zu erfolgen. Es gelten die zu § 121 BGB aufgestellten Grundsätze. Die Zurückweisung muss nicht sofort erfolgen. Dem Erklärungsempfänger ist vielmehr eine gewisse Zeit der Überlegung und zur Einholung des Rats eines Rechtskundigen einzuräumen. Innerhalb welcher Zeitspanne der Erklärungsempfänger das Rechtsgeschäft zurückweisen muss, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Die Zurückweisung einer Kündigungserklärung ist allerdings nach eine Zeitspanne von mehr als einer Woche ohne Vorliegen besonderer Umstände des Einzelfalls nicht mehr unverzüglich i. S. d. § 174 Satz 1 BGB (BAG, Urteil vom 05.12.2019 – 2 AZR 147/19 – AP Nr. 25 zu § 174 BGB).
b) Danach ist die Kündigung vom 21.05.2019 unwirksam, weil die Voraussetzungen des § 174 BGB nicht gewahrt sind.
aa) Das Kündigungsschreiben vom 21.05.2019 war nicht nur durch den Leiter Personal Herrn Dr. …, sondern auch von der Leiterin Personalmanagement Frau … unterzeichnet worden. Daher genügt es nicht, dass – zugunsten der Beklagten unterstellt – allein der Leiter Personal über eine Legitimation nach § 174 Satz 2 BGB verfügt. Für die Beklagte wurde in der Berufungsverhandlung vom 21.10.2020 ausgeführt, dass bei Kündigungen regelmäßig zwei Personen die Kündigung unterzeichnen würden. Dies würde immer so gehandhabt. Die insoweit berechtigten Personen seien in einer Unterschriftsliste erfasst.
Dies zeigt, dass die Beklagte bei Kündigungen regelmäßig von zwei Personen vertreten wird. Dies ist auch die Sicht des Kündigungsempfängers. Daher bedarf es für den Kündigungsempfänger einer Gewissheit darüber, dass sich der Arbeitgeber nur die gemeinsame Vertretung durch zwei Personen zurechnen lassen muss. Damit bedurfte es auch einer Legitimation der mit unterzeichnenden Frau … entweder nach § 174 Satz 2 BGB oder durch Vorlage einer Vollmachtsurkunde nach § 174 Satz 1 BGB.
bb) Die Zurückweisung der Kündigung durch den Kläger erfolgte unverzüglich.
Die Kündigung vom 21.05.2019 wurde dem Kläger am 21.05.2019 ausgehändigt. Mit Schreiben vom 23.05.2019, also zwei Tage später, erfolgte die Zurückweisung gegenüber der Beklagten mittels eines Einwurfeinschreibens. Unter Berücksichtigung der regelmäßigen Postlaufzeiten ergibt sich ein Eingang der Zurückweisung innerhalb einer Woche seit Zugang der Kündigung vom 21.05.2019.
Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist daher nicht durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 21.05.2019 beendet worden. Ob die Kündigung aus anderen Gründen unwirksam ist, bedarf damit keiner Feststellung.
2. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist nicht aufgrund der außerordentlichen Kündigung der Beklagten vom 05.06.2019 beendet worden.
Ein wichtiger Grund für die Kündigung i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB ist nicht gegeben.
a) Die Kündigung vom 05.06.2019 ist nicht schon gemäß § 174 Satz 1 BGB unwirksam, weil auch in diesem Fall keine Legitimation für beide das Kündigungsschreiben unterzeichnenden Vertreterpersonen gegeben ist. Es ist nicht festzustellen, dass der Kläger die Zurückweisung der Kündigung unverzüglich erklärt hat.
Die Kündigung vom 05.06.2019 ging dem Kläger am 05.06.2019 zu. Die Beklagte hat unwidersprochen ausgeführt, dass die Kündigung am 05.06.2019 vor 12:00 Uhr durch Boten in den Hausbriefkasten des Klägers eingeworfen worden sei. Der Kläger hat zur Zurückweisung erklärt, dass dies mit Schreiben vom 12.06.2019 erfolgt sei. Das Schreiben sei mittels Einwurfeinschreibens – also postalisch – übermittelt worden. Der 12.06.2019 ist der siebte Tag nach Zugang der Kündigung. Unter diesen Umständen kann nicht ohne weiteres festgestellt werden, dass das Schreiben vom 12.06.2019 bei der Beklagten innerhalb einer Woche eingegangen ist. Umstände, die eine längere Zeit als eine Woche bis zum Eingang der Zurückweisung rechtfertigen, hat der Kläger nicht dargelegt.
b) Die außerordentliche Kündigung vom 05.06.2019 ist allerdings unwirksam, weil ein wichtiger Grund i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB nicht festzustellen ist.
aa) Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung der Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.
Im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB ist dabei zunächst zu prüfen, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalls als wichtiger Kündigungsgrund an sich geeignet ist. Liegt ein solcher Sachverhalt vor, bedarf es der weiteren Prüfung, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile zumutbar ist oder nicht.
bb) Einen die fristlose Kündigung an sich rechtfertigenden Grund stellen u. a. grobe Beleidigungen auch von Arbeitskollegen dar, die nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung des Betroffenen bedeuten (BAG, Urteil vom 27.09.2012- 2 AZR 646/11 – AP Nr. 240 zu § 626 BGB). Bei der rechtlichen Würdigung sind die Umstände zu berücksichtigen, unter denen die diffamierenden oder ehrverletzenden Äußerungen über Kollegen gefallen sind (BAG, Urteil vom 10.12.2009- 2 AZR 534/08 – AP Nr. 226 zu § 626 BGB).
Auch eine sexuelle Belästigung i. S. v. § 3 Abs. 4 AGG stellt nach § 7 Abs. 3 AGG eine Verletzung vertraglicher Pflichten dar und ist „an sich“ als wichtiger Grund i. S. von § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Eine sexuelle Belästigung liegt vor, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein etwa von Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird. Auch einmalige sexuell bestimmte Verhaltensweisen können den Tatbestand einer sexuellen Belästigung erfüllen (BAG, Urteil vom 20.11.2014 – 2 AZR 651/13 – AP Nr. 249 zu § 626 BGB).
cc) Das Verhalten des Klägers ist an sich als ein wichtiger Grund i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB geeignet.
aaa) Der Kläger hat dem Mitarbeiter … in der Nachtschicht vom 01./02.05.2019 unvermittelt dessen Hose und auch Unterhose heruntergezogen, so dass der Mitarbeiter … für mehrere Sekunden entblößt im sog. Takt gestanden hat. Dies ist weitgehend unstreitig.
Der Kläger bestreitet zwar „mit Nichtwissen“, dass er auch die Unterhose des Mitarbeiters … heruntergezogen habe. Dem ist allerdings nicht zu folgen. Ein Bestreiten mit Nichtwissen ist vorliegend unzulässig.
Nach § 138 Abs. 4 ZPO können eigene Handlungen oder Wahrnehmungen überhaupt nicht mit Nichtwissen bestritten werden. Das Herunterziehen der Hose und Unterhose beruht auf der eigenen Handlung des Klägers. Schon deshalb ist ein Bestreiten mit Nichtwissen unzulässig. Im Zeitpunkt des Herunterziehens der Hose war der Kläger außerdem max. eine Armlänge vom Mitarbeiter … entfernt. Der Kläger hat nicht näher erklärt, wie ihm insoweit eine entsprechende Wahrnehmung nicht möglich gewesen sein soll.
Schließlich ist davon auszugehen, dass der Kläger die Behauptung der Beklagten in Bezug auf das Herunterziehen auch der Unterhose nicht mehr bestreitet. Der Kläger hat in der Berufungsverhandlung vom 21.10.2020 erklärt, dass er nicht in Abrede stelle, dass die in der Nachtschicht den Vorfall tatsächlich beobachtenden Arbeitskollegen, die eine vollständige Entblößung des Mitarbeiters … bestätigt haben, nicht wahrheitswidrige Angaben machen. Damit geht der Kläger von einem zutreffend geschilderten Sachverhalt aus.
bbb) Ein solches Verhalten ist „an sich“ als wichtiger Grund geeignet.
Der Mitarbeiter … stand mehrere Sekunden am Unterkörper entblößt an seinem Arbeitsplatz. Diese Zeit hat genügt, um die Aufmerksamkeit der in der Nähe tätigen Arbeitskollegen zu erzeugen und deren Gelächter auszulösen. Das unfreiwillig Entblößtwerden hat den Mitarbeiter in seiner Würde und Ehre erheblich verletzt. Durch dieses Handeln hat der Kläger in erheblicher Weise gegen das Rücksichtnahmegebot gemäß § 241 Abs. 2 BGB verstoßen.
dd) Obgleich der Kläger den Mitarbeiter … in erheblicher Weise in seiner Würde und Ehre verletzt hat, ist es der Beklagten zuzumuten, den Kläger weiter zu beschäftigen. Eine Abmahnung hätte als Reaktion ausgereicht.
aaa) Im Rahmen einer Gesamtwürdigung hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Zu berücksichtigen sind regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (BAG, Urteil vom 20.11.2014 – 2 AZR 651/13 – AP Nr. 249 zu § 626 BGB). Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Ordentliche und außerordentliche Kündigungen wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer solchen bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme den Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist (BAG, Urteil vom 23.10.2014 – 2 AZR 865/13 – AP Nr. 248 zu § 626 BGB).
bbb) Vorliegend ist weder von einer Wiederholungsgefahr auszugehen noch handelt es sich um eine solch schwere Pflichtverletzung, dass bereits deren erstmalige Hinnahme der Beklagten nach objektiven Maßstäben unzumutbar war.
(1) Es ist nicht von einer Wiederholungsgefahr auszugehen.
Es ergeben sich zwar Anhaltspunkte dafür, dass die vom Kläger so bezeichnete „Neckerei“ nicht erstmalig stattgefunden hat. Allerdings ist davon auszugehen, dass die Beklagte erstmalig Kenntnis von einem solchen Vorkommnis erlangt und eine umfangreiche Aufklärung mit dem Ziel der Unterbindung derartiger Verhaltensweisen betrieben hat. Dies hat dazu geführt, dass sich der Kläger für sein Verhalten entschuldigt und damit Reue gezeigt hat. Wenn auch dies eher auf einer Sorge um seinen Arbeitsplatz beruht haben dürfte, spricht dies dafür, dass der Kläger sein Verhalten nunmehr anders bewertet. Es ergibt sich kein Anhaltspunkt für die Annahme, dass der Kläger auch künftig ein vergleichbares Verhalten zeigen wird.
(2) Die Pflichtwidrigkeit des Klägers ist nicht von einer Schwere, die es der Beklagten unzumutbar macht, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger fortzusetzen.
Das pflichtwidrige Verhalten des Klägers ist allerdings erheblich. Mit seinem Handeln hat der Kläger Ehre und Würde eines Mitarbeiters bewusst verletzt. Er hat dessen Intimität verletzt und überdies den Mitarbeiter dem Gelächter von Arbeitskollegen ausgesetzt. Dass insbesondere der Mitarbeiter … dieses Verhalten nicht nur als „gegenseitiges Necken“ aufgefasst hat (und auch nicht auffassen musste), zeigen dessen Beschwerde bei Vorgesetzten und sein Fernbleiben von der Arbeit in der folgenden Nachtschicht.
Das Verhalten des Klägers hatte außerdem arbeitszeitliche Folgen. Das Vorkommnis in der Nachtschicht vom 01./02.05.2019 bewirkte, dass eine Mehrzahl von Mitarbeitern von ihrer Arbeit abgehalten worden sind. Vor allem aber hat das Verhalten des Klägers umfangreiche Aufklärungsmaßnahmen der Beklagten veranlasst.
Einer vom Kläger angemerkte Gegenseitigkeit des „Neckens“ kommt nur geringste Bedeutung zu. Der Kläger hielt sich bei der Beklagten auf, um seine arbeitsvertraglichen Pflichten zu erfüllen, nicht hingegen zur eigenen oder anderer Belustigung, dies unter Missachtung der Ehre eines Mitarbeiters. Allerdings mag zutreffen, dass eine Gegenseitigkeit in einem solchen Umgang untereinander eine Hemmschwelle bei der Wahl der Mittel sinken lässt. Entgegen der Behauptung des Klägers ist dabei nicht davon auszugehen, dass der Mitarbeiter … seinerseits zuvor die Hose des Klägers heruntergezogen, in dessen Genitalbereich gegriffen oder ihm einen Schrauber zwischen die Beine gesteckt hat. Immerhin ist allerdings davon auszugehen, dass der Mitarbeiter – wenn auch geringfügiger – seinerseits „Neckereien“ beim Kläger verübt hat (Kneifen in die Brust; Latzhose des Klägers).
Das Vorkommnis stellt eine erstmalige Störung des Arbeitsverhältnisses dar. Mit Ausnahme der im Rahmen des Verfahrens angedeuteten früheren „Neckereien“, die konkret nicht näher dargestellt sind, hat die Beklagte nicht auf weitere Pflicht-Widrigkeiten des Klägers innerhalb des immerhin seit 2014 bestehenden Arbeitsverhältnisses hingewiesen.
Zusammengefasst handelt es sich um ein durch das pflichtwidrige Verhalten des Klägers verursachtes Vorkommnis, auf welches die Beklagte zumutbarerweise noch mit dem Ausspruch einer Abmahnung reagieren kann.
Die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 05.06.2019 hat daher ebenfalls nicht zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses geführt.
3. Das Arbeitsverhältnis ist nicht durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 19.08.2019 beendet worden.
Ein wichtiger Grund i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB ist auch in Bezug auf diese Kündigung nicht festzustellen.
Die Beklagte hat die Kündigung vorsorglich erneut nach Berichtigung des Bescheids des Integrationsamtes erklärt und auf den gleichen Sachverhalt wie die vorausgegangenen Kündigungen gestützt. Ein wichtiger Grund gemäß § 626 Abs. 1 BGB ist allerdings nicht festzustellen. Auf die vorstehenden Ausführungen wird Bezug genommen.
Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist daher auch nicht durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 19.08.2019 beendet worden.
4. Der Kläger ist zu unveränderten Bedingungen bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreits weiterzubeschäftigen. Für diese Dauer besteht ein Beschäftigungsanspruch, wenn der Arbeitnehmer mit einer Kündigungsschutzklage obsiegt hat und besondere Umstände, die ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers an einer Nichtbeschäftigung des Arbeitnehmers begründen könnten, nicht bestehen.
Derartige Umstände sind von der Beklagten nicht dargelegt worden.
Die Berufung der Beklagten bleibt damit ohne Erfolg.
B.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 2 ArbGG, § 97 ZPO, wonach die Beklagte die Kosten der erfolglosen Berufung zu tragen hat.
C.
Die Revision ist für die Beklagte gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen. Die Anwendung des § 174 Satz 1 BGB bei der Beteiligung von zwei Vertreterpersonen ist von grundsätzlicher Bedeutung.