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Zustimmung zur ordentlichen Kündigung eines Arbeitsverhältnisses

VG Köln – Az.: 7 K 6925/12 – Urteil vom 06.10.2020

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Leistung einer Sicherheit in Höhe von 110 % des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der am 00.00.1967 geborene Kläger ist ausgebildeter Maschinenbautechniker und war seit dem 01.04.1989 (unter Berücksichtigung seiner Wehrdienstzeit seit dem 01.04.1988) bei der Beigeladenen als Arbeitnehmer beschäftigt, zuletzt aufgrund eines Arbeitsvertrages vom 01.12.2000 als „Kaufmännische Fachkraft I“. Der Kläger war zunächst im Kraftwerk F.  , später in den KKW L.  und D.  tätig. Ab dem 01.07.2004 erfolgte die Beschäftigung als Sicherheitstechniker in der Zentrale der Beigeladenen in M.  (Abteilung Arbeitssicherung), seit November 2005 als Sicherheitsfachkraft mit Fachkundenachweis. Im Jahre 2006 erfolgte eine vorübergehende Beschäftigung im KKW O.  -N.  .

Mit Schreiben vom 06.09.2007 entpflichtete die Beigeladene den Kläger von der Funktion als Fachkraft für Arbeitssicherheit.

Mit Wirkung vom 07.12.2007 ist der Kläger als Schwerbehinderter mit dem Grad einer Behinderung von 50 anerkannt. Als Gründe nennt der Bescheid: Persönlichkeitsstörung, Refluxkrankheit, Wirbelsäulensyndrom, Allergisches Asthma bronchiale, Veränderung des Vestibularisorgans.

Im Zeitraum vom 20.10.2008 bis zum 23.03.2009 suspendierte die Beigeladene den Kläger vom Dienst. Mit Datum vom 27.10.2008 beantragte die Beigeladene erstmals die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses.

In der Zeit vom 24.03.2009 bis zum 25.05.2009 erfolgte eine teilstationäre Behandlung des Klägers in der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Beklagten mit der Diagnose „rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode, kombinierte Persönlichkeitsstörung, Störung der Impulskontrolle“, an die sich eine Behandlung durch den Facharzt für Psychiatrie Dr. A.  anschloss. Nach sozialmedizinischem Gutachten vom 30.09.2009 des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) Nordrhein (Dr. med. X.  ) lauteten die Diagnosen: „F 60.3 Persönlichkeitsakzentuierung, PS mit emotional instabilen und impulsiven Verhaltensweisen; F 33.8 überwiegend remittierte depressive Störung.“ Der Gutachter empfahl eine stufenweise Wiedereingliederung, wobei die Beschäftigung in einem möglichst konfliktfreien Klima, möglichst in einer anderen Abteilung und mit anderen Vorgesetzen erfolgen sollte.

In der Zeit von Oktober bis Dezember 2009 erfolgte eine stufenweise Wiedereingliederung am alten Arbeitsplatz. Das zwischenzeitlich wegen einer Reha-Maßnahme ausgesetzte Zustimmungsverfahren endete nach Rücknahme des Antrags durch die Beigeladene im Oktober 2010. Seit dem 04.11.2010 war der Kläger durchgehend arbeitsunfähig erkrankt.

Unter dem 17.02.2011 beantragte die Beigeladende beim Integrationsamt des Beklagten erneut die Zustimmung zur fristgerechten Kündigung des Klägers nach §§ 85 ff. SGB IX. Sie verwies auf weit überdurchschnittliche krankheitsbedingte Ausfallzeiten, die für die betroffene Abteilung nicht mehr hinnehmbar seien. Personelle und aufgabenbezogene Planungen und Dispositionen seien durch die häufigen Fehlzeiten nur schwer möglich. Die Beigeladene errechnete unter Zugrundelegung der effektiv möglichen Arbeitstage (exkl. Urlaub und Suspendierung) folgende Werte:

2006  97   Ausfalltage

2007  183 Ausfalltage

2008  55   Ausfalltage

2009  188 Ausfalltage

2010  65   Ausfalltage

und verwies zudem auf die weitere Krankschreibung ab dem 04.11.2010. Die Fehlzeiten führten zu erheblichen zusätzlichen Belastungen der anderen Mitarbeiter und hätten seit Mitte 2010 die befristete Einstellung eines zusätzlichen Mitarbeiters nach sich gezogen. Nur ein Teil der Aufgaben des Klägers könne auf diese Weise jedoch aufgefangen werden, da die Stelle neben dem Fachwissen Erfahrungen und Kenntnisse der komplexen organisatorischen Abläufe in den sehr unterschiedlich geprägten Betrieben und Fachbereichen des Unternehmens erfordere. Eingliederungsmaßnahmen seien erfolglos geblieben. Die Klägerin verwies in diesem Zusammenhang auf BEM-Gespräche am 29.08.2007, 25.07.2008, 22.12.2009. Bei dem Gespräch am 22.12.2009 habe der Kläger angegeben, dass er keine weiteren Maßnahmen wünsche. Auf ein Gesprächsangebot vom 24.11.2010 habe der Kläger nicht reagiert. Es habe mehrere Gesprächskreise mit Vertretern des Integrationsfachdienstes und der örtlichen Fürsorgestelle der Stadt M.  gegeben. Diese seien ebenso erfolglos geblieben wie Gespräche des Leiters der Abteilung Arbeitssicherheit, Herr Y.  , mit dem Integrationsfachdienst. Seit Oktober begleite neben dem Betriebsrat auch die Schwerbehindertenvertretung die Integrationsbemühungen. Seit mindestens zehn Jahren stehe der Kläger auch in Kontakt zur hauptberuflichen Sozialberaterin; in den letzten Jahren auch zu einem der ehrenamtlichen Sozialberater. Aus Sicht des Unternehmens sei die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses jetzt nicht mehr vertretbar.

Der Beklagte holte im Juli 2011 eine Stellungnahme des Integrationsfachdienstes (IFD-P.  ) ein (Bl. 43 ff. BA 1). Ferner liegt eine arbeitsmedizinische Stellungnahme Dr. med. K.  vom 26.07.2011 vor (Bl. 113 f. BA 1). Am 21.09.2011 fand auftrags des Beklagten durch die örtliche Fürsorgestelle der Stadt M.  eine Kündigungsschutzverhandlung statt (Bl. 177 ff. BA 2). Eine gütliche Einigung kam nicht zustande.

Mit Bescheid vom 12.10.2011 erteilte das Integrationsamt des Beklagten die Zustimmung zur Kündigung gemäß § 85 SGB IX. Nach einer Gesamtabwägung des Einzelfalls überwiege das Interesse der Beigeladenen an einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses das Interesse des Klägers an dessen Aufrechterhaltung. Zwar seien die Grenzen dessen, was der Arbeitgeber hinnehmen müsse, hoch anzusetzen, wenn die Kündigung auf Gründe gestützt sei, die ihre Ursache in der Behinderung selbst fänden. Die angefallenen Krankheitszeiten rechtfertigten jedoch die Kündigung. Hierbei seien auch solche Zeiten berücksichtigungsfähig, die bereits im ersten Zustimmungsantrag angegeben worden seien. Allein der später zurückgenommene Zustimmungsantrag führe nicht zum Verbrauch des Kündigungsgrundes, da keine Kündigung ausgesprochen und arbeitsrechtlich abschließend festgestellt worden sei. Die Gesundheitsprognose sei negativ. Nach den Feststellungen des IFD sei mit erheblichen krankheitsbedingten Ausfallzeiten zu rechnen, da der Kläger nach therapiebedingten leichten Fortschritten immer wieder in alte Verhaltensweisen  zurückfalle. Es liege eine erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Belange der Beigeladenen vor, weil andere Mitarbeiter die Arbeit bis an die Belastungsgrenze übernehmen müssten und 2010 ein Mitarbeiter über die Soll-Stärke hinaus habe befristet eingestellt werden müssen. Auch eine innerbetriebliche Umsetzung des Klägers lasse keine Verbesserung erwarten.

Die Beigeladene kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger unter dem 24.10.2011 fristgerecht zum 30.06.2012.

Der Kläger erhob gegen den Bescheid des Beklagten am 31.10.2011 Widerspruch.

Zur Begründung des Widerspruchs führte er u.a. aus: Die Entscheidung berücksichtige einseitig die Interessen der Beigeladenen und beruhe auf einer unvollständigen Ermittlung des Sachverhalts. Eine negative Gesundheitsprognose sei nicht gerechtfertigt. Der Beklagte stütze sich einseitig auf die Stellungnahmen der Sozialbetreuerin, des IFD und des Betriebsrates. Auch sei zu bestreiten, dass es durch die Ausfallzeiten zu personellen Engpässen bei der Beigeladenen gekommen sei. Auch bestritt der Kläger die von der Beigeladenen geltend gemachten arbeitsrechtlichen Verfehlungen. Formell fehle es an der vorherigen Durchführung eines Wiedereingliederungsmanagements. Eine stufenweise Wiedereingliederung sei auch im Gutachten Dr. X.  angezeigt, wobei die Arbeitsumgebung möglichst konfliktfrei sein sollte. Die Entscheidung des Beklagten erkläre nicht, weshalb ein Arbeitsplatzwechsel nicht in Betracht komme. Im Unternehmen bestünden zahlreiche andere Beschäftigungsmöglichkeiten. Der Kläger verwies in diesem Zusammenhang auf Stellenanzeigen der Beigeladenen und entsprechende Bewerbungen seinerseits. Angesichts der Erfahrungen aus vorangegangen Eingliederungsgesprächen habe der Kläger die neuerliche Einladung per Formbrief unbeachtet lassen können.

Im Widerspruchsverfahren holte der Beklagte ein Gutachten des Facharztes für Psychotherapeutische Medizin Dr. Dr. C. S.  vom 06.06.2012 (Bl. 349 ff. BA 2) ein. Der Kläger und die Beigeladene äußerten sich zum Ergebnis der Begutachtung schriftsätzlich.

Mit Widerspruchsbescheid vom 31.10.2012 wies der Beklagte – Widerspruchsausschuss – den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. Es bestehe ein Zusammenhang zwischen den Fehlzeiten sowie den immer wieder auftretenden Konflikten am Arbeitsplatz und der festgestellten Behinderung. Auch mit Blick auf die hiernach hohen Anforderungen an die Voraussetzungen einer Zustimmung sei die Entscheidung des Ausgangsbescheides jedoch zu bestätigen. Die hohen krankheitsbedingten Ausfallzeiten hätten Indizwirkung für die erforderliche Prognose. Nach der Rechtsprechung des BAG obliege es in einem solchen Fall dem Arbeitnehmer darzulegen, dass sich die zukünftige gesundheitliche Entwicklung positiv darstelle. Den vorliegenden Gutachten sei nichts in dieser Hinsicht zu entnehmen. Die Behinderung des Klägers, eine spezifische Persönlichkeitsstörung im Sinne des Kapitels V der ICD 10 GM, lasse erwarten, dass auch in Zukunft Konflikte am Arbeitsplatz nicht ausgeschlossen werden könnten. Die Beigeladene sei ihren Verpflichtungen aus Fürsorgegesichtspunkten gegenüber dem Kläger nachgekommen, indem sie in den vergangenen Jahren Maßnahmen der Wiedereingliederung durchgeführt bzw. angeboten habe. Dies sei von Personalgesprächen, auch unter Beteiligung des Betriebsrates und der Schwerbehindertenvertretung, begleitet worden. Schließlich habe es einen Versuch der Wiedereingliederung unter längerfristiger Beteiligung des IFD gegeben. Vor diesem Hintergrund könne dahinstehen, ob die Beigeladene ihrer Verpflichtung aus § 84 Abs. 2 SGB IX vollständig nachgekommen sei, da aufgrund des gesamten Sachverhalts davon auszugehen sei, dass auch dies keinen Erfolg gehabt hätte. Die Beigeladene habe dargelegt, dass der weitere Einsatz des Arbeitsnehmers auf dem bisherigen Arbeitsplatz ebensowenig möglich sei wie dessen leidensgerechte Veränderung und dass der Arbeitnehmer auch nicht auf einem anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit eingesetzt werden könne.

Die Zustellung des Widerspruchsbescheides erfolgte am 05.11.2012.

Zuvor erhob der Kläger am 14.11.2011 beim Arbeitsgericht M.  Kündigungsschutzklage (00 XX 0000/00). Mit Urteil vom 02.09.2014 wies das Arbeitsgericht M.  die Kündigungsschutzklage ab. Es ging davon aus, dass der Kläger an einer nicht mehr therapierbaren Persönlichkeitsstörung leide und nicht mehr in der Lage sei, seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Eine leidensgerechte andere Beschäftigungsmöglichkeit bestehe nicht. Es stützte sich hierbei auf ein gerichtliches psychiatrisch-psychosomatisches Gutachten der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie H.  I.  vom 11.01.2013, das zu folgender Zusammenfassung gelangt:

„Der 45-jährige Herr X.  X.  leidet an einer Persönlichkeitsstörung, die nach psychodynamischem Theorieverständnis als eine defizitäre intrapsychische Struktur aufgefasst und diagnostisch am ehesten als progressiv-aggressive Persönlichkeitsstörung, ICD-10 F 60.81, klassifiziert werden kann. Die strukturellen Defizite führen im Konfliktfall neben der akuten impulsiven Erregung immer wieder zu einer chronischen physiologischen Stressbelastung mit Krankheitsfolgen an verschiedenen Körperorganen und Organsystemen, aber auch zu wechselnden psychischen Störungen wie rezidivierenden Depressionen, ICD-10 F 33.1. Die Störung stellt ein tief in der Kindheit verwurzeltes Verhaltensmuster dar, das sich in starren Reaktionen auf unterschiedliche persönliche und soziale Lebenslagen zeigt, prognostisch ist nur mit kleinen therapeutischen Teilerfolgen zu rechnen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird der Betroffene in der bisher ausgeübten Tätigkeit mit der Qualifikation als Fachkraft für Arbeitssicherheit/kaufmännische Fachkraft bzw. staatlich geprüfter Techniker (allgemeiner Maschinenbau) auch weiterhin im Konfliktfall so reagieren, wie in den Jahren zuvor, nämlich mit unterschiedlichen stressbedingten Krankheiten, Depressionen und anderen Krankheiten, unabhängig vom konkreten Arbeitsbereich. Aus psychiatrischer Sicht ist er (ihm) aufgrund seiner gesundheitlichen Verfassung abgestellt auf den Kündigungszeitpunkt 24.10.11 und der bisher ausgeübten Tätigkeit kein Einsatz mehr bei seinem Arbeitgeber X.  X.  AG möglich.“

Auf die Berufung des Klägers änderte das LAG M.  das Urteil der Vorinstanz und stellte fest, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung vom 24.10.2011 beendet worden ist. Auf den Auflösungsantrag der Beigeladenen löste es das Arbeitsverhältnis zum 30.06.2012 gegen Zahlung einer Abfindung von 30.000,00 Euro auf. Die andauernde Leistungsunfähigkeit des Klägers unter Bezugnahme auf das erstinstanzliche Sachverständigengutachten habe die Beigeladene dem Betriebsrat erstmals am 18.08.2015 mitgeteilt. Mangels vorheriger Kenntnisnahme des Betriebsrates hätten sie im arbeitsgerichtlichen Verfahren nicht nachgeschoben werden können. Sie könnten bei der Überprüfung der sozialen Rechtfertigung der Kündigung vom 24.10.2011 nicht berücksichtigt werden. In Bezug auf das Aufhebungsbegehren stellte das LAG indes fest:

„Zur Überzeugung der Berufungskammer steht zum einen fest, dass der Kläger wiederholt versucht hat, auf sein Arbeitsumfeld und in einem Fall auf Dritte zur Durchsetzung seiner persönlichen Interessen mit der Androhung eines Suizides einzuwirken. Zum anderen hat der Kläger bewusst hartnäckig und wahrheitswidrig sein Fehlverhalten prozessual verleugnet. Beide Gründe sind für sich genommen und erst recht in ihrer Kombination geeignet, die Prognose zu rechtfertigen, dass künftig eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Parteien nicht zu erwarten ist.“

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision verwarf das BAG mit Beschluss vom 16.10.2019 als unzulässig.

Wegen der weiteren Einzelheiten des arbeitsgerichtlichen Verfahrens einschließlich seiner Fortsetzung vor dem Landesarbeitsgericht und dem Bundesarbeitsgericht wird auf den Inhalt der beigezogenen Verfahrensakten des ArbG M.  (BA 6-13) Bezug genommen.

Die vorliegende Klage hat der Kläger am 05.12.2012 erhoben.

Er ist der Ansicht, dass ein Rechtsschutzinteresse auch nach der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts fortbestehe, weil eine stattgebende verwaltungsgerichtliche Entscheidung Grundlage einer arbeitsrechtlichen Restitutionsklage sein könne.

Die Zustimmung zur Kündigung sei auf der Grundlage des maßgeblichen seinerzeitigen Sachstandes ermessensfehlerhaft. Der Beklagte habe keine zureichende Begründung für die ungünstige Zukunftsprognose in Bezug auf krankheitsbedingte Fehlzeiten geliefert. Vielmehr seien schlicht arbeitsrechtliche Grundsätze übernommen worden. Deren Prüfung obliege dem Beklagten jedoch nicht. Die arbeitsrechtliche Zulässigkeit einer Kündigung spiele nur dann eine Rolle, wenn die Kündigung offensichtlich rechtswidrig sei. Die Gesundheitsprognose leite der Beklagte aus häufigen Kurzerkrankungen in der Vergangenheit her, die i.Ü. auch arbeitsrechtlich nicht ohne weiteres zur Kündigung berechtigten. Der Beklagte berücksichtige nicht, dass die Prognose in einem veränderten Arbeitsumfeld positiv gewesen sei. Der Kläger bezieht sich in diesem Zusammenhang auf die Stellungnahmen des behandelnden Arztes Dr. A.  und des Gutachters Dr. K.  . Der Beklagte stütze sich einseitig auf die Angaben des IFD und von Frau X.  als Sozialarbeiterin. Mit den Ausführungen der Fachgutachter habe sich der Beklagte nicht weiter auseinandergesetzt. Der Beklagte habe seine Verpflichtung zur Sachverhaltsaufklärung verletzt. Es werde nur davon ausgegangen, dass es auch weiterhin zu Konflikten am Arbeitsplatz kommen werde. Die Entscheidung des Beklagten verkenne den Behindertenschutz. Der Betroffene habe einen Anspruch darauf, das Arbeitsverhältnis mit einer leidensgerechten und behindertengerechten Beschäftigung fortzuführen. Das Arbeitsverhältnis solle, soweit zumutbar möglich, erhalten werden. Dies sei bei der Beigeladenen in technisch geprägten Arbeitsfeldern möglich, die keine überwiegenden Anforderungen an die soziale Kompetenz stellten. Auf derartige Tätigkeiten habe er sich auch intern beworben. Die Beeinträchtigung betrieblicher Belange sei nicht konkret dargelegt; auch insoweit fehle es an einer Zukunftsprognose. Die für den Kläger sprechenden Gesichtspunkte seien nur pauschal in die Abwägung eingestellt worden.

Da die Kündigung des Arbeitsverhältnisses auf Gründe gestützt sei, die in der Behinderung selbst ihre Ursache hätten, seien die Anforderungen an die Zustimmungsentscheidung besonders hoch anzusetzen. Dem werde die Entscheidung nicht gerecht. Es sei unberücksichtigt geblieben, dass er vor dem Wechsel in die fragliche Abteilung 2006 keinen nennenswerten Fehlzeiten gehabt habe und dass die krankheitsbedingten Fehlzeiten in der nachfolgenden Zeit stark geschwankt hätten. Eine positive Prognose sei durch den Umstand nachträglich bestätigt worden, dass er nach dem 31.08.2011 keine Krankheitszeiten mehr aufgewiesen habe. Unberücksichtigt geblieben sei auch, dass die Beigeladene die Regelungen des BEM nicht eingehalten habe und im Konzern über ein umfangreiches Regelungssystem mit Betriebsvereinbarungen zum Eingliederungsmanagement verfüge. Der Beklagte habe sich auf eine Schlüssigkeitsprüfung beschränkt und auch nicht berücksichtigt, dass die in 2010 nach längerer Pause aufgetretene Ausfallzeit auf eine möglicherweise unangemessene Reaktion eines Vorgesetzten auf seine – des Klägers – Kandidatur zur Schwerbehindertenvertretung gewesen sein könnte.

Als milderes Mittel sei es zumindest geboten gewesen, ihn auf einen anderen Arbeitsplatz zu versetzen.

Auch sei ein Präventionsverfahren auf betrieblicher Ebene nach § 84 Abs. 1 SGB IX nicht durchgeführt worden. Zudem habe ein BEM nicht stattgefunden, sondern nur Eingliederungsgespräche und eine Eingliederung nach dem Hamburger Modell.

Der Kläger beantragt, den Bescheid des Beklagten vom 12.10.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.10.2012 aufzuheben und den Antrag der Beigeladenen auf Zustimmung zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses zurückzuweisen.

Der Beklagte beantragt,  die Klage abzuweisen.

Er bezieht sich auf die Begründung des Widerspruchsbescheides und verteidigt das Gutachten I.  .

Die Beigeladene beantragt ebenfalls,  die Klage abzuweisen.

Sie tritt dem Vorbringen des Klägers entgegen und setzt sich u.a. mit den Einwänden des Klägers gegen das Gutachten I.  auseinander.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte nebst Anlagen, die beigezogenen Verwaltungsvorgänge (3 Bände) und die beigezogenen Gerichtsakten des Arbeitsgerichts M.  (8 Bände) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist weiterhin zulässig, obwohl durch das inzwischen rechtskräftige Urteil des Landesarbeitsgerichts vom 23.11.2018 das Arbeitsverhältnis zum 30.06.2012 gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von 30.000,00 Euro aufgelöst ist. Dem liegt die Möglichkeit des Arbeitgebers zugrunde, in einem Kündigungsschutzprozess nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG die Auflösung des Arbeitsverhältnisses hilfsweise für den Fall zu beantragen, dass das Gericht nicht feststellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung aufgelöst ist. Voraussetzung ist, dass „eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht (zu) erwarten (ist)“. Dies hat das Landesarbeitsgericht bejaht, da der Kläger durch wiederholte Suizidandrohungen versucht habe, Vorgesetzte unter Druck zu setzen und ebenso wiederholt gelogen habe.

Dem Rechtsschutzinteresse im vorliegenden Verfahren steht dies nicht entgegen. Denn ein rechtlich schützenswertes Interesse an der Fortführung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens besteht dann, wenn die spätere Aufhebung der Zustimmung des Integrationsamtes nach § 85 SGB IX (heute wortgleich § 168 SGB IX) zur Grundlage eines arbeitsgerichtlichen Restitutionsverfahrens nach § 79 Satz 1 ArbGG i.V.m. § 580 Nr. 6 ZPO gemacht werden kann. Vorliegend besteht allerdings die Besonderheit, dass eine Kündigung gar nicht mehr für unwirksam erklärt werden kann, weil dies bereits durch das Landesarbeitsgericht aus arbeitsrechtlichen Gründen geschehen ist. Die dem zugrunde liegende Gestaltungsmacht des § 9 KSchG knüpft indes an die Kündigung und den Kündigungsrechtsstreit an. Aus Sicht des Arbeitgebers ist sie ein weniger belastendes Minus gegenüber der Stattgabe der Kündigungsschutzklage. Ein arbeitsgerichtliches Restitutionsverfahren nach Aufhebung einer Zustimmung des Integrationsamtes kann folglich auch diesen gestaltenden Teil des arbeitsgerichtlichen Urteils erfassen, vgl. BayVGH, Urteil vom 27.11.2006 – 9 BV 05.2467 -; VG Stade, Urteil vom 12.12.2017 – 4 A 2438/16 .

Die Klage ist jedoch nicht begründet.

Der Bescheid des Beklagten vom 12.10.2011 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 31.10.2012 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Nach dem im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung,  vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 10.11.2008 – 5 B 79.08 -,

anzuwendenden § 85 SGB IX bedarf die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes. Die Entscheidung über die Zustimmung trifft das Integrationsamt im Grundsatz nach freiem, pflichtgemäßem Ermessen. Ihr liegt eine Abwägung zwischen dem Interesse des Arbeitgebers am Erhalt seiner wirtschaftlichen Gestaltungsmöglichkeiten und dem des schwerbehinderten Arbeitnehmers am Erhalt seines Arbeitsplatzes zugrunde. Auf Seiten des Arbeitnehmers sind hierbei namentlich Sinn und Zweck des Schwerbehindertenschutzes zu berücksichtigen. Der Schwerbehinderte soll vor den besonderen Gefahren, denen er auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gerade wegen seiner Behinderung ausgesetzt ist, bewahrt werden. Da das Zustimmungserfordernis neben den allgemeinen Schutz des Arbeitsverhältnisses durch die arbeitsrechtliche Regelungen und die Arbeitsgerichte tritt, dürfen – sofern nicht arbeitsrechtlich evident unzulässige Kündigungen in Rede stehen – bei der Entscheidung, ob die Zustimmung versagt oder erteilt wird, nur Erwägungen eine Rolle spielen, die sich speziell aus dem Schwerbehindertenschutz herleiten. Aus der schwerbehindertenrechtlichen Zweckbindung der Entscheidung folgt auch, dass zu Lasten des Arbeitgebers an die Unzumutbarkeit der Fortsetzung eines Arbeitsverhältnisses dann hohe Anforderungen zu stellen sind, wenn die Kündigung auf Gründe gestützt ist, die in der Schwerbehinderung selbst ihre Ursache haben.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 02.07.1992 – 5 C 51.90 -, BVerwGE 90, 287; Urteil vom 19.10.1995 – 5 C 24.93 -, NZA-RR 1996, 288; Kreitner in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB IX, 3. Auflage (Stand 30.07.2020), § 171 SGB IX, Rn. 12-13.

Die Ermessensentscheidung des Integrationsamtes kann gemäß § 114 Satz 1 VwGO durch das Verwaltungsgericht nur dahin überprüft werden, ob die angefochtene Entscheidung ohne Verletzung von Verfahrensvorschriften zustande gekommen ist, die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist.

Vor diesem Hintergrund begegnet die Zustimmungsentscheidung des Beklagten zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses des schwerbehinderten Klägers keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

Die Kammer geht hierbei davon aus, dass kein Fall eines arbeitsrechtlich evident unzulässigen Kündigungsverlangens vorliegt, dessen Berücksichtigung bei der verwaltungsgerichtlichen Prüfung überwiegend bejaht wird. Diese Evidenz besteht nur, wenn die Rechtswidrigkeit ohne jeden vernünftigen Zweifel und ohne Beweiserhebung in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht zutage tritt und sich jedem Kundigen aufdrängt, vgl. OVG NRW, Beschluss vom 29.01.2015 – 12 A 412/14 -, Beschluss vom 22.01.2008 – 12 A 2094/08 -, Beschluss vom 31.10.2006 – 12 A 3554/06 -; kritisch: Düwell in: LPK-SGB IX, 4. Auflage 2014, § 89 Rn. 7.

Hiervon kann bei der mit krankheitsbedingten Fehlzeiten begründeten Kündigung des Klägers keine Rede sein. Die dargestellten und auch von Klägerseite nicht bestrittenen Fehlzeiten überschritten in den Jahren 2006 bis 2010 die in arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung angenommenen Zumutbarkeitsgrenzen deutlich und wurden auch seitens des Arbeitsgerichts im Urteil vom 02.09.2014 zugrunde gelegt. Die abweichende Entscheidung des Landesarbeitsgerichts beruht demgegenüber auf einer unzureichenden Beteiligung des Betriebsrates nach § 102 Abs. 1 BetrVG. Diese ist ebensowenig offenkundig wie die ebenfalls problematisierte erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen der Beigeladenen. Auch die Frage, ob im Vorfeld der Kündigung die Vorgaben des betrieblichen Eingliederungsmanagements vollständig erfüllt wurden, ist hiernach ohne Bedeutung.

Die Entscheidung des Integrationsamtes leidet nicht an Ermessensfehlern. Sie beruht auf einer nachvollziehbaren Abwägung der wechselseitigen Interessen und berücksichtigt den Schutzgedanken des SGB IX in hinreichendem Umfang. Bereits die Begründung des Ausgangsbescheides ging in nachvollziehbarer Weise bei einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses von weiteren krankheitsbedingten Fehlzeiten aus. Die dem zugrunde liegende negative Gesundheitsprognose hat der Beklagte im Widerspruchsbescheid bekräftigt und vertiefend begründet. Die getroffene Bewertung beruht auf einer sorgfältigen Erfassung des Sachverhalts, die in zeitlicher Hinsicht rückschauend das gesamte Arbeitsverhältnis erfasst. Der Beklagte war dabei nicht an die Einschränkungen gebunden, die das Arbeitsrecht dem Arbeitgeber bei der Berücksichtigung zurückliegender Tatsachen im Kündigungsfall auferlegt. Denn die Frage, ob die Fortsetzung eines Arbeitsverhältnisses mit einem schwerbehinderten Arbeitnehmer in Zukunft zumutbar ist, kann notwendigerweise nur auf der Grundlage einer Bewertung aller im Zeitpunkt der Entscheidung bekannter Umstände getroffen werden. Die Abwägung der widerstreitenden Interessen im Schwerbehindertenrecht gebietet insoweit keine Einschränkungen. Vorgegeben ist insoweit nur die Verpflichtung des Integrationsamtes zu einer vollständigen Sachverhaltsermittlung.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22.03.2012 – 12 A 1871/11 -; BVerwG, Beschluss vom 10.11.2008 – 5 B 79.08 -.

 

Der Beklagte hat seine Bewertung maßgeblich darauf gestützt, dass es bereits seit 2001 nach dem Wechsel des Klägers vom Versuchskraftwerk L.  in das KKW D.  zu Konflikten mit den dortigen Vorgesetzten kam, nachdem die Arbeitsmoral nicht seinen Vorstellungen entsprochen habe und sich diese Konflikte nach der Versetzung in die Zentrale nach M.  fortsetzten und verschärften. Eine Änderung ergab sich hiernach auch im Rahmen der Ausbildung des Klägers zur Sicherheitsfachkraft in externen Seminaren nicht. Vielmehr zeigte der Kläger auch dort ein vergleichbares Verhalten. Die erheblichen Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit mit Kollegen und Vorgesetzten setzten sich auch danach fort. Sinnfällig wird dies in der auch von Klägerseite nicht substantiiert bestrittenen Darstellung, in M.  habe der Kläger nur zu einem einzigen Mitarbeiter der Beigeladenen ein halbwegs kollegiales Verhältnis zu pflegen vermocht. Auch dieser habe aber mehrfach entnervt den Arbeitsplatz verlassen.

Es wird zugunsten des Klägers unterstellt, dass sein Verhalten in den Jahren ab 2001, das hier nicht erneut im Einzelnen dargestellt werden muss, vollständig auf die von ihm nicht zu verantwortende Persönlichkeitsstörung zurückzuführen ist, die nunmehr attestiert ist und maßgeblich zur Anerkennung als Schwerbehinderter im Jahre 2007 geführt hat. Eine Zustimmung zur Kündigung unterliegt daher gesteigerten Voraussetzungen. Das Integrationsamt hat bei seiner Entscheidung indes berücksichtigt, dass die Beigeladene nach dem ersten Zustimmungsantrag im Herbst 2008, der mit einer Suspendierung des Klägers vom Dienst einherging, durchaus Bemühungen zum Erhalt des Arbeitsverhältnisses entfaltete. Angesprochen sind damit nicht nur der Versuch einer stufenweisen Wiedereingliederung am alten Arbeitsplatz ab Oktober 2009 nach einer teilstationären Behandlung des Klägers in einer Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Beklagten, sondern auch die BEM-Gespräche 2007 bis 2009 – das Gesprächsangebot vom 24.11.2010 wurde vom Kläger nicht mehr wahrgenommen, nachdem der Kläger bereits 2009 zu verstehen gegeben hatte, weitere Gesprächsangebote abzulehnen – und die gemeinsamen Gespräche bei der örtlichen Fürsorgestelle der Stadt M.  sowie die Betreuung durch den Integrationsfachdienst des Beklagten. Sämtliche Bemühungen blieben jedoch erfolglos und mündeten in zwei weiteren Abmahnungen im Oktober und im Dezember 2010.

Hinsichtlich der Fehlzeiten ist in der Gesamtschau der Jahre 2006 bis 2010 eine positive Entwicklung nicht zu erkennen. Die Ausfalltage schwanken durchgängig auf einem weit überdurchschnittlichen Niveau.

Vor diesem Hintergrund ist die negative Zukunftsprognose aus der zeitlich maßgeblichen Sicht der Widerspruchsentscheidung nicht zu beanstanden. Sie wird durch sachkundige Stellungnahmen gestützt. So hat der Integrationsfachdienst (IFD) die Persönlichkeitsstörung des Klägers umfassend im Hinblick auf das bestehende Arbeitsverhältnis gewürdigt. Das Verhalten des Klägers schwanke krankheitsbedingt zwischen Überanpassung und absoluter Kompromisslosigkeit. Zwar verfüge der Kläger infolge der durchgeführten Therapie und der hohen Toleranzgrenze des unmittelbaren Vorgesetzten über eine verbesserte Impulskontrolle. Es sei jedoch nicht erwarten, dass die Therapie so durchschlagenden Erfolg habe, dass sich eine vollständige Verhaltensänderung einstelle. Der IFD beschrieb die Behandlung als einen Prozess, der weitergeführt werden müsse und Höhen und Tiefen durchlaufe und hielt eine Rückkehr an den bisherigen Arbeitsplatz nicht mehr für möglich. In diese Bewertung fügt sich die ebenfalls herangezogene Stellungnahme des M.  Zentrums für Arbeitsmedizin vom 26.07.2011, die den Kläger als besonders konfliktanfällig beschreibt. Letztlich bestätigen diese Befunde die Diagnose schon in dem sozialmedizinischen Gutachten vom 30.09.2009 des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherungen Nordrhein gestellte Diagnose „Persönlichkeitsakzentuierung, PS mit emotional instabilen und impulsiven Verhaltensweisen“, womit auch die Einwände des Klägers gegen die Fachkompetenz der beteiligten Stellen ins Leere gehen.

Eine positive Zukunftsprognose hat der Beklagte auch mit Blick auf Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten an einem anderen Arbeitsplatz im Betrieb der Beigeladenen ermessensfehlerfrei verneint. Zwar mutet es der Schwerbehindertenschutz dem Arbeitgeber in geeigneten Fällen zu, einen schwerbehinderten Arbeitnehmer in Ausnahmefällen auch dann weiter zu beschäftigten, wenn dies betrieblichen Belangen widerspricht,  BVerwG, Beschluss vom 16.06.1990 – 5 B 127.89 -.

Dies kann namentlich dann geboten sein, wenn die Kündigung letztlich auf die Schwerbehinderung zurückzuführen ist. In einem solchen Fall kann auch die Umsetzung auf einen anderen leidensgerechten Arbeitsplatz geboten sein. Es ist jedoch folgerichtig, dass der Beklagte die Möglichkeit eines solchen Arbeitsplatzwechsels verworfen hat. Auch aus den fachlichen Stellungnahmen, die der Kläger für sich in Anspruch nimmt, lässt sich eine solche Alternative nicht realistisch entnehmen. Soweit der behandelnde Arzt Dr. A.  und Dr. X.  (MDK Nordrhein) auf eine Wiedereingliederung in einer anderen Abteilung resp. mit einem anderen Vorgesetzten verweisen, ist es für die Kammer nicht nachvollziehbar, wie dies im Unternehmen der Beigeladenen realisierbar gewesen wäre. Der IFD hat sich in seiner Stellungnahme vom 05.07.2011 nicht in der Lage gesehen, eine langfristig positive Prognose zu den Fehlzeiten abzugeben. Insbesondere nachvollziehbar ist die Aussage des IFD, dass es auch in einem großen Unternehmen keinen Arbeitsplatz gibt, der in dem geforderten Maß konfliktfrei ist. Diese auch von der Kammer geteilte Aussage relativiert auch das Ergebnis des Gutachtens Dr. Dr. S.  vom 06.06.2012, wonach es als wahrscheinlich erwartet werden könne, dass bei einem neuen Arbeitsumfeld mit neuen unvorbelasteten Vorgesetzen und Kollegen ein konzentriertes und störungsfreieres Zusammenarbeiten und Kommunizieren erfolge, insbesondere wenn sich der Kläger auf technische Arbeiten konzentriere. Derartige Anforderungen an die Arbeitsplatzgestaltung überstiegen die Anforderungen des Schwerbehindertenschutzes. Er gebietet einen leidensgerechten Arbeitsplatz; dies aber nur unter den betrieblichen Bedingungen des Unternehmens. Eine Umgestaltung des Arbeitsplatzes kann nur im Rahmen des Zumutbaren gefordert werden. Nach der jahrelangen Vorgeschichte der Zustimmungsentscheidung drängte sich für den Beklagten hingegen das Bild eines Arbeitgebers auf, der im Rahmen des Möglichen zahlreiche Versuche der Eingliederung des Klägers erfolglos unternommen hatte. Eine erfolgreiche Weiterbeschäftigung an einem anderen Arbeitsplatz lag eher fern. Dies entsprach auch der seinerzeitigen Bewertung des Betriebsrates im Einvernehmen mit der Schwerbehindertenvertretung. Es ist zudem nicht schlüssig, wenn der Gutachter die Persönlichkeitsstörung auf das Verhalten der Vorgesetzten und Kollegen sowie auf „nicht professionell reflektierte Verhaltensmuster“ auf der Vorgesetztenebene zurückführt, gleichzeitig aber eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit im gleichen Betrieb sieht. Ungeachtet des Umstandes, dass der Sachverhalt keine Anhaltspunkte für eine „psycho-sozial unreflektierte Vorgesetztenstruktur“ (Seite 15 des Gutachtens) bietet, wird auch an kaum einem anderen, gerade auch technisch geprägten, Arbeitsplatz ein Vorgesetzter zur Verfügung stehen, der diesen Anforderungen genügt. Eine umfassende Betreuung kann nicht gefordert werden. Die Bewertung des Integrationsamtes, es könne nicht nachvollziehen, weshalb die Versetzung des Klägers an einen neuen Arbeitsplatz etwas an dem behinderungsbedingten Verhalten ändern sollte, ist damit nicht zu beanstanden.

Sie wird rückblickend bestätigt durch das gerichtliche psychiatrisch-psychosomatische Gutachten I.  vom 11.01.2013, das eine passiv-aggressive Persönlichkeitsstörung attestiert, die sich in starren Reaktionen auf unterschiedliche persönliche und soziale Lebenslagen zeige und nur kleine therapeutische Teilerfolge für möglich hält. Hinsichtlich der Frage nach einem leidensgerechten alternativen Arbeitsplatz äußert sich die Gutachterin in ihrer ergänzenden Stellungnahme an das Arbeitsgericht vom 16.12.2013 wie folgt:

„Ein leidensgerechter Arbeitsplatz für einen Menschen mit einem solchen Störungsprofil müsste sehr klare und starre Strukturen haben, ohne alternative Wahlmöglichkeiten und Einflussnahme, es dürfte kein Zeitdruck geben, der Proband dürfte keine Verantwortung übernehmen, er sollte sich jederzeit vergewissern können, ob sein Vorgehen korrekt ist, er dürfte aber nicht kritisiert werden. Da der Proband über eine gute Intelligenz verfügt, ist damit zu rechnen, dass ihm die Arbeitsbereiche, die ihm genügend Sicherheit geben könnten und keine flexiblen Entscheidungen erforderten, rasch als zu anspruchslos erscheinen und deshalb wieder zu Spannungen führen würden. Gerade weil der Proband schon in sehr vielen Bereichen des Konzerns eingesetzt wurde und bekannt ist, ist damit zu rechnen, dass er jeden neuen Einsatzbereich ohne Verantwortung als Kränkung empfinden würde. Die emotionale Kränkung würde ein erhöhtes vegetatives Erregungsniveau mit sich bringen und im weiteren Verlauf zu verschiedenen Krankheiten führen. Diese ungünstige prognostische Einschätzung beruht auf einer sorgfältigen Zusammenfassung aller Einzelheiten, die persönlich in der Untersuchung festgestellt werden konnten und die aus den einzelnen Berichten in den Gerichtsakten zusammengetragen werden konnten.“

Insgesamt bot sich damit das Bild eines Arbeitnehmers, dessen Weiterbeschäftigung im Betrieb der Beigeladenen behinderungsbedingt weder am bestehenden, noch an einem anderen Arbeitsplatz realistisch war. Ein weiteres „Durchschleppen“ des Arbeitnehmers am bestehenden Arbeitsplatz,  vgl. BVerwG, Beschluss vom 16.06.1990 – 5 B 127.89 -, war der Beigeladenen angesichts der zuvor gescheiterten Bemühungen um den Erhalt des Arbeitsverhältnisses und der geringen Heilungschancen nicht zumutbar. Diese schuldet eine Weiterbeschäftigung auch bei einer behinderungsbedingten Kündigung eben nur im Rahmen der betrieblichen Möglichkeiten. Dass diese nicht bestanden, wird an der Stellungnahme des Betriebsrates deutlich, der einer Weiterbeschäftigung des Klägers mit Blick auf den notwendigen Schutz der übrigen Beschäftigten der Beigeladenen widersprach.

Angesichts dessen ist das Abwägungsergebnis zu Lasten des Klägers rechtlich nicht zu beanstanden.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 und 3, 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, dem Kläger die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, weil diese einen Antrag gestellt und sich damit einem Kostenrisiko ausgesetzt hat. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 188 Satz 2 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

 

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