Skip to content

Fristlose Kündigung bei häufigem Zuspätkommen

Kündigungsschutzklage: Wichtige Fakten und Argumente

In einer aktuellen Auseinandersetzung geht es um die Wirksamkeit dreier Kündigungen, die gegen eine Mitarbeiterin ausgesprochen wurden. Die Klägerin arbeitete als Rental Sales Agent am Düsseldorfer Flughafen und war wiederholt zu spät zur Arbeit erschienen.

Direkt zum Urteil: Az.: 10 Ca 4119/21 springen.

Abmahnung und Kündigungen

Nach einer Abmahnung wegen wiederholtem Zuspätkommen kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zunächst außerordentlich und fristlos, hilfsweise zum nächst zulässigen Termin. Die Klägerin wendet sich nun gegen die Wirksamkeit dieser Kündigungen und begehrt die Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens.

Arbeitsverhinderung und Kündigungsschutz

Gemäß Arbeitsvertrag ist die Klägerin verpflichtet, jede Arbeitsverhinderung und ihre voraussichtliche Dauer unverzüglich anzuzeigen. Bei mehrfachem Zuspätkommen oder unentschuldigtem Fehlen liegt für den Arbeitgeber ein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung vor. Die Klägerin beruft sich auf den besonderen Kündigungsschutz nach § 15 KSchG, was die Beklagte als rechtsmissbräuchlich ansieht.

Urlaubsabgeltung und Entscheidung

Hilfsweise begehrt die Klägerin die Abgeltung weiterer zwölf Urlaubstage mit einem Betrag von 1.463,11 EUR brutto.

Plan der Wahlinitiatorinnen

Die Klägerin und ihre Mitinitiatorinnen verfolgten einen Plan, um sich selbst als Wahlvorstände wählen zu lassen. Sie planten, die Wahlversammlung abzusagen, wenn nicht genug Mitarbeiter erschienen wären, um die erforderliche Mehrheit zu erreichen. Tatsächlich wurde die Versammlung abgesagt, da 15 weitere Mitarbeiter erschienen. Die Initiatorinnen wollten sich daraufhin vom Arbeitsgericht einsetzen lassen. Durch das vorsätzliche rechtswidrige Verhalten entstand ein Vermögensschaden von 1.506,51 EUR für die Beklagte. Die Klägerin versuchte, einen Kollegen von der Teilnahme abzuhalten. […]

Streit um Arbeitsverhältnis

Die Klägerin bestreitet, dass sie unentschuldigt zu spät erschienen sei und gibt an, immer telefonisch Bescheid gegeben zu haben. Sie erklärt, dass der Raum zur Abhaltung der Wahlversammlung vom Gewerkschaftssekretär angemietet wurde und nicht durch sie und ihre Kolleginnen. Am 09.12.2021 seien die Klägerin und Frau Z. in das Backoffice gegangen, um einen Aushang zu tätigen. Sie hätten Kunden nicht verschreckt und keine Aushänge zerstört. Die Klägerin betont, dass sie das Recht habe, die Gründung des Betriebsrats weiterhin zu verfolgen, solange keine der ausgesprochenen Kündigungen rechtskräftig bestätigt worden seien.

Benötigen Sie Hilfe in einem ähnlichen Fall? Jetzt Ersteinschätzung anfragen oder Beratungstermin vereinbaren: 02732 791079.


Das vorliegende Urteil

ArbG Düsseldorf – Az.: 10 Ca 4119/21 – Urteil vom 24.02.2022

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche Kündigung noch die hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 27.08.2021 beendet wird.

2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche Kündigung noch die hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 03.11.2021 beendet wird.

3. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche Kündigung noch die hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 22.12.2021 beendet wird.

4.Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens als Rental Sales Agent weiterzubeschäftigen.

5.Der Antrag die vorläufige Vollstreckbarkeit des Weiterbeschäftigungsantrag aauszuschließen, wird zurückgewiesen.

6. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

7. Streitwert: 14.440,00 EUR

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit dreier außerordentlicher, hilfsweise ordentlicher Kündigungen der Beklagten.

Die Klägerin ist seit Mai 2018 bei der Beklagten als Rental Sales Agent am Düsseldorfer Flughafen zu einem Bruttomonatsverdienst von 1.805,00 EUR beschäftigt. Nach § 6 des schriftlichen Arbeitsvertrages vom 08.01.2019 (Bl. 124 ff. der Akte) ist die Klägerin verpflichtet, der vom Arbeitgeber hierfür vorgesehenen Stelle, ansonsten dem Vorgesetzten, jede Arbeitsverhinderung und ihre voraussichtliche Dauer unverzüglich nach Kenntnis, möglichst vor dem Zeitpunkt der erwarteten Arbeitsaufnahme, telefonisch oder schriftlich anzuzeigen. Nach § 17 Abs. 1 Buchst. f) liegt bei mehrfachem Zuspätkommen oder unentschuldigtem Fehlen für den Arbeitgeber ein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung vor. Im Übrigen sieht § 17 Abs. 1 des Arbeitsvertrages vor, dass für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses die gesetzlichen Kündigungsfristen Anwendung finden.

Am 16.01.2021 erteilte die Beklagte der Klägerin eine Abmahnung, weil sie am 19.12.2020 statt um 8:00 Uhr erst um 8:15 Uhr, am 22.12.2020 statt um 8:00 Uhr erst um 8:14 Uhr und am 06.01.2021 statt um 8:00 Uhr erst um 9:45 Uhr zum Dienst erschienen sei. Wegen der Einzelheiten der Abmahnung wird auf Bl. 141 f. Bezug genommen.

Am 09.08.2021 stempelte sich die Klägerin statt um 14:30 Uhr erst um 14:42 Uhr zur Arbeit ein, am 11.08.2021 statt um 12:00 Uhr erst um 12:04 Uhr, am 14.08.2021 statt um 14:30 Uhr erst um 14:45 Uhr und am 17.08.2021 statt um 6:30 Uhr erst um 6:52 Uhr.

Die Klägerin lud gemeinsam mit Frau Z. und Frau M. mit Schreiben vom 20.08.2021 (Bl. 41 ff. d.A.) die Beschäftigten zu einer Versammlung am 21.09.2021 um 10:00 Uhr zur Wahl eines Wahlvorstands ein. Als Ort der Wahlversammlung gaben die Wahlinitiatorinnen in der Einladung „Raum „(…)“, B.-Straße, Y.“ an. „(…)“ ist ein Anbieter von Räumlichkeiten von H. über sog. Boardrooms bis hin zu großen Tagungsräumen.

Mit Schreiben vom 27.08.2021 (Bl. 5 d.A.) kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich und fristlos, hilfsweise zum nächst zulässigen Termin.

Zu einem Zeitpunkt vor dem 19.09.2021 schrieb die Klägerin in die WhatsApp-Gruppe der Beschäftigten der Beklagten am Düsseldorfer Flughafen folgende Nachricht:

„Hallo liebe Kolleginnen und Kollegen, ihr denkt evtl. dass die Wahl nicht stattfindet. Ich würde ohne Grund gekündigt, was aber nicht rechtskräftig ist. Wir bereiten schon die Wahlen vor und würden uns sehr über euer erscheinen freuen. Am 21.09. um 10 h erwarten wir euch am Eingang zu den „(…)“ Konferenzräumen. Bis dahin und bleibt stark!

Ich werde natürlich auch an der Wahl dabei sein und auch zur Wahl stehen. Ihr habt nichts zu befürchten! Ich freue mich auf euch!“

Am 19.09.2021 verschickte die Klägerin an ihren Kollegen, Herrn T., eine WhatsApp-Nachricht mit folgendem Inhalt:

„Das Problem ist halt einfach, wenn Ihr kommt, wir geben denen ja auch eine Liste mit den Leuten, die gekommen sind … so … und ich bin mir nicht sicher, ob die nen Spitzel schicken werden .. die sehen wer kommt, verstehste was ich meine? Und dann steht Ihr auch auf der Abschussliste. […] Und für uns ist das halt auch besser, wenn Ihr alle nicht kommt und wir uns durch das Gericht einklagen lassen. […]. Wenn wir nicht gewählt werden, wählt das Arbeitsgericht uns zum Wahlvorstand. Und wenn Ihr dann kommt und wir denen die Wählerliste dann übergeben mit wer gekommen ist und wer für uns gestimmt hat, das muss man nämlich irgendwie übergeben, dann steht Ihr auf der Abschussliste und dann können die Euch kündigen und Ihr wisst nicht warum und Ihr habt keinen Kündigungsschutz und wir haben ja Kündigungsschutz.“

Zu der Wahlversammlung am 21.09.2021 erschienenen insgesamt rund 15 weitere Beschäftigte. Eine Mitarbeiterin des „(…)“ erklärte daraufhin, dass der Raum für eine derart große Anzahl von Teilnehmern aufgrund der Coronaschutzvorschriften zu klein sei und die Veranstaltung nicht durchgeführt werden könne. Daraufhin fragte der Filialleiter Herr K. bei dem in der Nähe befindlichen Maritim Hotel nach, ob sie einen für ca. 20 Personen geeigneten Raum sofort zur Verfügung stellen könnten. Dies wurde ihm seitens des Hotels bestätigt und ihm mitgeteilt, dass dies Kosten i.H.v. 6.000,00 EUR auslösen würde. Nach einer kurzen Rückversicherung bezüglich der Kostenübernahme bei der Beklagten teilte Herr K. den Wahlinitiatorinnen und dem Gewerkschaftssekretär Herrn A. mit, dass ein geeigneter Raum in unmittelbarer Nähe ab sofort zur Verfügung stehen würde und die Wahlversammlung dort abgehalten werden könnte. Dennoch wurde die Versammlung durch die Wahlinitiatorinnen anschließend abgesagt.

Mit Schreiben vom 03.11.2021 (Bl. 54 d.A.) kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis erneut außerordentlich und fristlos, hilfsweise ordentlich zum nächst zulässigen Termin.

Am 09.12.2021 hingen die Klägerin und Frau Z. im Backoffice an die Pinnwand ein neuerliches Einladungsschreiben zu einer Wahlversammlung zur Wahl eines Wahlvorstandes. Die einzelnen Abläufe hierzu sind zwischen den Parteien streitig.

Schließlich kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis nochmals mit Schreiben vom 22.12.2021 (Bl. 185 d.A.) außerordentlich und fristlos, hilfsweise zum nächst zulässigen Termin.

Mit ihrer Klage wendet sich die Klägerin gegen die Wirksamkeit der ausgesprochenen Kündigungen, die sie für unwirksam hält und begehrt die Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens.

Hilfsweise begehrt die Klägerin die Abgeltung weiterer zwölf Urlaubstage mit einem Betrag von 1.463,11 EUR brutto. Wegen der Berechnung im Einzelnen wird auf den klägerischen Schriftsatz vom 25.11.2021 Bezug genommen.

Die Klägerin beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche Kündigung noch die hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 27.08.2021 beendet wird;

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche noch die hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 03.11.2021 beendet wird;

3. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche Kündigung noch die hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 22.12.2021 beendet wird;

4. hilfsweise für den Fall des Obsiegens mit den Anträgen zu 1. bis 3. die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens als Rental Sales Agent weiter zu beschäftigen;

5. hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit den Anträgen zu 1. bis 3. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.463,11 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13.01.2022 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

1. die Klage abzuweisen;

2. hilfsweise, die vorläufige Vollstreckbarkeit des Weiterbeschäftigungsantrags auszuschließen.

Die fristlose Kündigung vom 27.08.2021 sei ausgesprochen worden, weil die Klägerin trotz vorheriger Abmahnung wiederholt verspätet ihre Arbeit aufgenommen habe. Jede Verspätung von Mitarbeitern führe zu Verzögerungen in der Vorbereitung der jeweiligen Schicht. Wenn Reservierungen erst spät geprüft werden könnten, erhalte der Kunde möglicherweise ein falsches Fahrzeug. Die Besetzung der Counter könne nicht gewährleistet werden, was wiederum zu Wartezeiten für die Kunden führe. Die Klägerin sei auch nach Erhalt der Abmahnung im Januar 2021 regelmäßig zu spät zur Arbeit erschienen. Das gehäufte Zuspätkommen im August 2021 habe sodann „das Fass zum Überlaufen gebracht“. Zudem bestehe bei der Beklagten die mehrfach ausdrücklich kommunizierte Weisung, die Nutzung von privaten Mobiltelefonen während des Arbeitseinsatzes zu unterlassen. Gegen diese Weisung habe die Klägerin am 24.08.2021 in der Zeit zwischen 16:00 bis 19:00 Uhr mehrfach verstoßen.

Jedenfalls werde das Arbeitsverhältnis aufgrund der hilfsweisen ordentlichen Kündigung vom 27.08.2021 beendet. Die Berufung auf den besonderen Kündigungsschutz nach § 15 KSchG sei rechtsmissbräuchlich. Dies ergebe sich aus folgendem: Die Wahlinitiatorinnen hätten einen Raum angemietet, der aufgrund der bei der Anmietung und der geplanten Abhaltung der Versammlung am 21.09.2021 geltenden Infektionsschutzregelungen maximal sechs Personen gefasst habe. Dies sei diesen auch bei der Anmietung des Raums ausdrücklich mitgeteilt worden. Davon habe der Filialleiter des Betriebs der Klägerin am Flughafen Düsseldorf, Herr Jürgen K., allerdings erst am Morgen des 26.10.2021 erfahren, als er mit der Conference Managerin der „(…)“, Frau G., telefoniert habe. Die Wahlinitiatorinnen, so auch die Klägerin, hätten die Raumgröße mit Bedacht gewählt. Zum einen hätten sie in dem Einladungsschreiben vom 20.08.2021 alle Mitarbeiter des Betriebs Filiale Flughafen Düsseldorf eingeladen und um ein „vollzähliges Erscheinen“, nicht aber um eine Rückmeldung gebeten. Zum anderen hätten sie zusätzlich zu den Mitarbeitern des Betriebs Filiale Flughafen Düsseldorf – aus für die Beklagte nicht nachvollziehbaren Gründen – auch die Mitarbeiter des Betriebs Filiale Hauptbahnhof Düsseldorf zu der Wahlversammlung eingeladen. Insgesamt hätten sie die Einladung an 36 Mitarbeiter versandt. Insgesamt sei daher zu erwarten gewesen, dass an der Versammlung am 21.09.2021 bis zu 39 Mitarbeiter der Beklagten inklusive der Wahlinitiatorinnen zuzüglich etwaiger Gewerkschaftsvertreter teilnehmen würden. Dass die Wahlinitiatorinnen die geringe Größe des Raumes aus Kalkül wählten, ergebe sich aus dem Folgendem: zum einen hätten die Wahlinitiatorinnen von Anfang an geplant, an der Wahlversammlung gemeinsam mit einem Vertreter der Gewerkschaft W., Herrn Gewerkschaftssekretär A. teilzunehmen, der auch tatsächlich am 21.09.2021 vor Ort gewesen sei. Insgesamt sei also geplant gewesen, seitens der Wahlinitiatorinnen zu viert an der Wahlversammlung teilzunehmen. Zusätzlich sei noch ein beratender Rechtsanwalt vor Ort gewesen.

Die Klägerin und ihre Mitinitiatorinnen hätten damit folgenden Plan verfolgt: Wenn nicht mehr als ein weiterer Mitarbeiter zur Wahlversammlung erschienen wäre, hätten sie die nötige Mehrheit, um sich selbst zu Wahlvorständen zu wählen. Falls mehrere Mitarbeiter erscheinen sollten, hätte die Gefahr bestanden, dass die Klägerin nicht die erforderliche Mehrheit der Stimmen erhalte. Deshalb hätten die drei Wahlinitiatorinnen den Plan gehabt, bei Erscheinen zahlreicher weiterer Mitarbeiter die Versammlung abzusagen und sodann ihre Einsetzung zu Wahlvorständen beim Arbeitsgericht zu beantragen. Mit der Wahl des zu kleinen Raums hätten sie erreichen wollen, dass sie unter allen erdenklichen Umständen zu Wahlvorständen gewählt bzw. eingesetzt werden. Nach der Absage, die dann auch tatsächlich erfolgt sei, weil insgesamt 15 weitere Mitarbeiter des Betriebs Filiale Flughafen Düsseldorf zur Wahlversammlung erschienen seien, hätten sie – so der weitere Plan der Wahlinitiatorinnen – sich vom Arbeitsgericht als Wahlvorstand einsetzen lassen wollen. Hierfür spreche auch, dass die Klägerin den Kollegen T. in der WhatsApp Nachricht vom 19.09.2021 versucht habe, von einer Teilnahme abzuhalten. Dass diese Nachricht nicht an andere Mitarbeiter der Filiale verschickt worden sei, werde mit Nichtwissen bestritten. Auch die kurzfristig angebotene Möglichkeit die Wahlversammlung im nahe gelegenen Maritim Hotel abzuhalten, sei abgelehnt worden.

Durch dieses vorsätzliche rechtswidrige Verhalten der Wahlinitiatorinnen, die es von vornherein darauf angelegt hätten, die Wahlversammlung abzubrechen, wenn nicht sicher gewesen sei, dass sie sich selbst zu Wahlvorständen hätten wählen können, sei der Beklagten ein Vermögensschaden in Höhe von 1.506,51 EUR entstanden. Den zur Wahlversammlung erschienenen Beschäftigten habe die geschuldete Vergütung fortgezahlt werden müssen (739,90 EUR). Ferner seien die Prozessbevollmächtigten der Beklagten gebührenpflichtig beauftragt worden, am 21.09.2021 vor Ort für Rückfragen zur Verfügung zu stehen (586,60 EUR). Schließlich habe die Raummiete 180,00 EUR betragen. Wegen dieses Sachverhalts sei die fristlose, hilfsweise fristgerechte Kündigung vom 03.11.2021 ausgesprochen worden.

Jedenfalls werde das Arbeitsverhältnis aufgrund der fristlosen Kündigung vom 22.12.2021 beendet, die die Beklagte mit Schriftsatz vom 12.01.2022 wie folgt begründet: Die Klägerin sei am 09.12.2021 gegen 16:45 Uhr zusammen mit Frau Z., einer der weiteren Wahlinitiatorinnen, widerrechtlich in das geschlossene Backoffice eingedrungen, um einen Aushang für eine weitere Wahlversammlung zur Wahl eines Wahlvorstandes auszuhängen. Dazu seien sie durch den Kundenbereich gestürmt und hätten dabei anwesende Kunden massiv verschreckt. Um zu dem Backoffice zu gelangen, hätten sie den Kundenbereich durchqueren und sich Zutritt zu dem stets geschlossenen Raum verschaffen müssen. Die Türe sei geschlossen, aber nicht abgeschlossen gewesen. Erst als Herr T. nach ca. 1 Minute seinen Kunden um Entschuldigung gebeten habe und das Gespräch mit diesem habe unterbrechen können, habe er der Klägerin in das Backoffice nachgehen können. Dort habe er die Klägerin und Frau Z. vorgefunden, die dabei gewesen seien, von der Pinnwand Aushänge (z.B. Arbeitsschutzvorschriften) zu entfernen, auf den Boden zu werfen und die Einladung zur Wahlversammlung anzubringen. Sie hätten Herrn T. ignoriert, obwohl dieser die Klägerin und Frau Z. direkt auf ihr widerrechtliches Eindringen angesprochen habe. Danach seien die Klägerin und Frau Z. ohne ein Wort mit Herrn T. zu wechseln verschwunden. Zudem hätten sie der Beklagten nicht die Möglichkeit gegeben, zu überprüfen, ob die 3G-Voraussetzungen für einen Kontakt mit Kunden und Stationsmitarbeitern erfüllt seien. Da die beiden nicht mehr bei der Beklagten beschäftigt seien, hätte ihnen klar sein müssen, dass sie weder das Recht gehabt hätten, in den geschlossenen Raum einzudringen, noch das Recht, den Betrieb zu stören.

Dem hält die Klägerin folgendes entgegen:

Es solle nicht bestritten werden, dass sich die Klägerin an den streitgegenständlichen Tagen im August zu spät eingestempelt habe. Nicht richtig sei jedoch, dass sie stets unentschuldigt zu spät erschienen sei. Sie habe in jedem Fall telefonisch am Counter Bescheid gegeben. Ein Einstempeln sei entweder am PC im Backoffice oder an den Rechnern im Bereich der Kundenbetreuung möglich. Hierbei komme es häufig vor, dass sämtliche Rechner bereits besetzt seien. Im Backoffice dürfe sich pandemiebedingt derzeit nur eine Person aufhalten. Daher komme es nicht selten vor, dass die Mitarbeiter der Beklagten zwar pünktlich am Arbeitsplatz erschienen, dies aber noch nicht durch die Zeiterfassung erfasst werden könne.

Der Raum zur Abhaltung der Wahlversammlung sei nicht durch die Klägerin und ihre beiden Kolleginnen angemietet worden, sondern durch den Gewerkschaftssekretär Herrn A.. Der Klägerin und ihren beiden Kolleginnen sei vorher nicht bekannt gewesen, dass der angemietete Raum von höchstens zehn (nicht: sechs) Personen betreten werden dürfe. Es sei stets beabsichtigt gewesen, die Versammlung auch abzuhalten. Der Hintergrund, dass man die Versammlung dann nicht im Maritim Hotel abgehalten habe, seien Zweifel gewesen, ob eine derart kurzfristige Änderung des im Einladungsschreiben genannten Wahlversammlungsortes überhaupt zulässig sei. Die Wahlinitiatorinnen hätten aus nachvollziehbaren Gründen nicht gewollt, dass die Wahl eines Wahlvorstandes im Rahmen der Wahlversammlung aufgrund dieses fragwürdigen Fehlers angefochten werden könne.

Am 09.12.2021 seien die Klägerin und Frau Z. ganz normal in das Backoffice gegangen, um den Aushang zu tätigen. Von einem Stürmen durch den Kundenbereich könne keine Rede sein. Verschreckte Kunden habe die Klägerin beim besten Willen nicht wahrgenommen. Auch seien keine bestehenden offenen Aushänge zerstört, dauerhaft entfernt oder sonst schlecht behandelt worden. Selbstverständlich habe die Klägerin das Recht gehabt, die Gründung des Betriebsrats weiterhin zu verfolgen und die hierfür notwendigen rechtlichen Schritte durchzuführen, solange keine der bislang ausgesprochenen außerordentlichen Kündigungen rechtskräftig bestätigt worden seien. Herr T. habe zu keinem Zeitpunkt deutlich gemacht, dass das Betreten des Raumes nicht dem Willen der Beklagten entspreche.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Ergebnis der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist begründet. Die seitens der Beklagten ausgesprochenen Kündigungen sind unwirksam.

I.

Das Arbeitsverhältnis wurde nicht durch die außerordentliche, fristlose Kündigung der Beklagten vom 27.08.2021 aufgelöst. Es fehlt an einem wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB.

1. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Zunächst ist zu untersuchen, ob ein „wichtiger Grund an sich“ vorliegt, mithin ein Sachverhalt, der typischerweise und losgelöst vom konkreten Fall geeignet ist, die sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu begründen. Bejahendenfalls bedarf es der weiteren Prüfung, ob es dem Kündigenden unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls sowie des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes unter Abwägung der Interessen zumutbar ist, das Arbeitsverhältnis zumindest bis zum Ablauf einer Kündigungsfrist fortzusetzen oder nicht (st. Rspr., BAG 13.12.2018 – 2 AZR 370/18 – Rn. 15; BAG 14.12.2017 – 2 AZR 86/17 – Rn. 27; BAG 29.06.2017 – 2 AZR 302/16 – Rn. 11; BAG 20.10.2016 – 6 AZR 471/15 – Rn. 14; BAG 17.03.2016 – 2 AZR 110/15 – Rn. 17; BAG 19.01.2016 – 2 AZR 449/15 – Rn. 28).

2. In Anwendung dieser Grundsätze fehlt es an einem wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB.

a) Wenn ein Arbeitnehmer häufig zu spät zur Arbeit erscheint und damit seine Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis verletzt, kann der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis in der Regel nur durch eine ordentliche Kündigung lösen. Eine außerordentliche Kündigung aus diesem Grunde kommt ausnahmsweise nur dann in Betracht, wenn die Unpünktlichkeit des Arbeitnehmers den Grad und die Auswirkung einer beharrlichen Verletzung (Verweigerung) seiner Arbeitspflicht erreicht hat (BAG 17.03.1988 – 2 AZR 576/87 – Rn. 66).

b) Selbst wenn man zugunsten der Beklagten unterstellt, dass die vier Verspätungen der Klägerin im August 2021 von ihr verschuldet waren, kann von einer beharrlichen Arbeitsverweigerung der Klägerin keine Rede sein. Der Sachverhalt ist nicht vergleichbar mit dem Sachverhalt, der der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 17.03.1988 zugrunde lag. Denn während es im Streitfall um vier Verspätungen nach einer einschlägigen Abmahnung geht, ging es in dem vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall um 104 Verspätungen nach sechs mündlichen/schriftlichen Abmahnungen. Soweit die Beklagte vorträgt, dass die Klägerin auch nach Erhalt der Abmahnung im Januar 2021 regelmäßig zu spät zur Arbeit erschienen sei, stellt sich der Kammer die Frage, warum die Beklagte diese Verspätungen noch nicht einmal für abmahnungswürdig hielt und warum dann die Verspätungen im August 2021 sofort eine fristlose Kündigung – als das schärfste Schwert arbeitsrechtlicher Maßnahmen – rechtfertigen soll. Bei den insgesamt vier Verspätungen im August ist nicht erkennbar, wieso der Beklagten die Einhaltung der Kündigungsfrist nicht zumutbar sein soll. Auch aus den seitens der Beklagten angezogenen Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts vom 13.03.1987 (7 AZR 601/85), vom 17.01.1991 (2 AZR 375/90) und vom 27.02.1997 (2 AZR 302/96) ergibt sich nichts Gegenteiliges. In den dortigen Fällen ging es nämlich gar nicht um eine außerordentliche Kündigung, sondern jeweils um die Frage der Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung. Schließlich führt auch die Tatsache, dass die Parteien in § 17 des Arbeitsvertrages vereinbart haben, dass bei mehrfachem Zuspätkommen oder unentschuldigtem Fehlen für den Arbeitgeber ein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung vorliegt, zu keiner anderen rechtlichen Bewertung. Denn die Vereinbarung von absoluten wichtigen Kündigungsgründen in einem Arbeits- bzw. Tarifvertrag ist unwirksam. Die gesetzliche Ausgestaltung des § 626 Abs. 1 BGB verbietet die Anerkennung sog. absoluter Kündigungsgründe. Einzelvertragliche oder kollektivrechtliche Regelungen, nach denen bestimmte Gründe eine Kündigung stets rechtfertigen sollen, sind für die Arbeitsgerichte nicht bindend. Sie würden entgegen der gesetzlichen Regel zu einer Kündigung ohne Rücksicht auf die Umstände des Einzelfalls führen (vgl. BAG 06.03.2003 – 2 AZR 232/02 – Rn. 41 mwN).

c) Aus den bereits dargelegten Gründen rechtfertigt auch die an einem Arbeitstag erfolgte private Nutzung des Mobiltelefons während der Arbeitszeit – hier sogar ohne den vorherigen Ausspruch einer einschlägigen Abmahnung – nicht den Ausspruch einer fristlosen Kündigung.

II.

Das Arbeitsverhältnis wurde auch nicht durch die hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 27.08.2021 zum 30.09.2021 aufgelöst.

1. Die Klägerin genießt als Wahlinitiatorin den besonderen Kündigungsschutz des § 15 Abs. 3a S. 1 KSchG, wonach die ordentliche Kündigung vom Zeitpunkt der Einladung an ausgeschlossen ist.

2. Das Berufen auf den besonderen Kündigungsschutz durch die Klägerin ist auch nicht rechtsmissbräuchlich. Soweit die Beklagte vorträgt, dass die Wahlinitiatorinnen zwar zu einer Wahlversammlung eingeladen hätten, jedoch von vornherein die Absicht bestanden habe, die Wahl nicht an diesem Tag durchführen zu lassen, sondern sich vom Arbeitsgericht einsetzen zu lassen, was sich insbesondere daran zeige, dass sie bewusst einen zu kleinen Raum angemietet hätten, ist das tatsächliche Vorbringen der Beklagten, welches für eine solche Absicht sprechen könnte, unsubstantiiert. Die Klägerin hat behauptet, dass die Anmietung des Raumes durch den Gewerkschaftssekretär Herrn A. erfolgt sei. Dem ist die Beklagte nur pauschal und unsubstantiiert entgegengetreten, indem sie vortragen lässt, dass die Anmietung durch „DIE“ Wahlinitiatorinnen erfolgt sei (Seite 7 des SS vom 12.01.2022, Bl.211 d.A.). Damit ist für die Kammer weder klar, ob die Anmietung durch alle drei gemeinschaftlich, durch zwei von drei Wahlinitiatorinnen oder durch eine alleine erfolgt ist und ob die Klägerin an der Anmietung beteiligt war. Ferner lässt sich dem Vorbringen weder entnehmen, ob die Anmietung schriftlich, telefonisch, per E-Mail oder persönlich vor Ort erfolgte. Wenn die Beklagte sodann weiter vortragen lässt, dass „diesen“ auch bei der Anmietung des Raumes ausdrücklich mitgeteilt worden sei, dass der Raum max. sechs Personen fasse, erschließt sich erneut nicht, ob die Mitteilung gegenüber einer, zwei oder allen drei Wahlinitiatorinnen gemeinschaftlich gegenüber erfolgt ist. Aus dem Vorbringen der Beklagten lässt sich im Ergebnis somit nicht entnehmen, dass der Klägerin bereits bei der Einladung zur Wahlversammlung bewusst oder bekannt war, dass sich in dem Raum max. sechs Personen aufhalten dürfen. Da das deutsche Kündigungsschutzrecht keine „Sippenhaft“ kennt, kommt es im Ergebnis auch nicht darauf an, ob einer der beiden anderen Wahlinitiatorinnen dies bekannt war.

Auch aus der WhatsApp-Nachricht an Herrn T. vom 19.09.2021 ist nicht zu schließen, dass die Klägerin nicht den ernsthaften Willen hatte, eine Wahl durchzuführen. Dort äußerte die Klägerin lediglich – für die Kammer nachvollziehbar – ihre Befürchtungen, dass die Beklagte die Teilnehmer an der Wahlversammlung „auf dem Kieker“ haben wird. Soweit die Beklagte mit Nichtwissen bestreitet, dass diese Nachricht nur an Herrn T. ging, ist ihr Bestreiten mit Nichtwissen angesichts der Tatsache, dass sie für das Vorliegen der den Rechtsmissbrauch begründenden Tatsachen darlegungs- und beweispflichtig ist, unbehelflich. Wenn es der Plan der Klägerin gewesen wäre, die Wahlversammlung von vornherein scheitern zu lassen, würde auch die WhatsApp Nachricht kurz vor dem 19. September, in der die Klägerin ausdrücklich nochmals zur Teilnahme an der Wahlversammlung aufruft und die darüber hinaus auch nicht nur an einen Kollegen, sondern an die gesamte Belegschaft ging, keinen Sinn ergeben. Schließlich kann der Klägerin auch kein Vorwurf dahingehend gemacht werden, dass sie es abgelehnt hat, die Wahlversammlung in größere Räumlichkeiten ins Maritim Hotel zu verlegen. Das Maritim Hotel befindet sich gerichtsbekannt nicht im Hauptgebäude des Flughafens, in dem sich die Konferenzräume des „(…)“ befinden, sondern außerhalb auf dem Flughafengeländes. Ungeachtet der Frage, ob eine kurzfristige Verlegung des Orts der Wahlversammlung in rechtlicher Hinsicht anfechtbar gewesen wäre, ist es nicht zu beanstanden, wenn die Wahlinitiatorinnen als juristische Laien sich hierauf nicht eingelassen haben.

III.

Das Arbeitsverhältnis wurde auch weder durch die fristlose, noch durch die hilfsweise fristgerechte Kündigung vom 03.11.2022 aufgelöst. Wie unter II. 2. bereits dargelegt, vermochte die Beklagte eine Pflichtverletzung der Klägerin im Zusammenhang mit der Anmietung der Räumlichkeiten im „(…)“sowie dem späteren Abbruch der Wahlversammlung nicht darzulegen. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die dortigen Ausführungen Bezug genommen.

IV.

Schließlich wurde das Arbeitsverhältnis auch nicht durch die fristlose, hilfsweise fristgerechte Kündigung vom 22.12.2021 aufgelöst.

1. Die fristlose Kündigung vom 22.12.2021 erweist sich nach den unter I 1) dargelegten Grundsätzen jedenfalls als unverhältnismäßig.

a) Allerdings spricht vieles dafür, dass die Klägerin – das tatsächliche Vorbringen der Beklagten als zutreffend unterstellt – eine Pflichtverletzung begangen hat. Denn nach Ausspruch der fristlosen Kündigung vom 27.08.2021 dürfte die Klägerin nicht mehr berechtigt gewesen sein, die Räumlichkeiten der Beklagten, die ausschließlich für Beschäftigte zugänglich sind (hierzu zählt jedenfalls das Backoffice), zu betreten. Daran ändert auch ihre Absicht, eine Einladung für die Durchführung einer Wahlversammlung zur Wahl eines Wahlvorstandes aufzuhängen, nichts. Denn zu einer Wahlversammlung können nach § 17 Abs. 3 BetrVG nur drei wahlberechtigte Arbeitnehmer einladen. Mit „wahlberechtigt“ ist die Wahlberechtigung nach § 7 BetrVG (mithin die aktive Wahlberechtigung) gemeint. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts setzt das aktive Wahlrecht im Falle einer Kündigung voraus, dass entweder die Kündigungsfrist noch nicht abgelaufen ist oder eine vorläufige Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers erfolgt (vgl. BAG 10.11.2004 – 7 ABR 12/04 – Rn. 15; BAG 15.01.1991 – 1 AZR 105/90). Daher entfällt auch die Antragsberechtigung für ein Verfahren auf Bestellung des Wahlvorstands, wenn der Arbeitnehmer infolge einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses und fehlender Weiterbeschäftigung seine Wahlberechtigung nach § 7 Abs. 1 BetrVG verliert (LAG München 07.12.2011 – 11 TaBV 74/11).

b) Die fristlose Kündigung erweist sich gleichwohl als unverhältnismäßig, weil die Beklagte unter Berücksichtigung der Gesamtumstände als milderes Mittel eine Abmahnung hätte in Betracht ziehen müssen. Zugunsten der Klägerin war zunächst davon auszugehen, dass die darlegungs- und beweisbelastete Beklagte nicht dargelegt und unter Beweis gestellt hat, dass der Klägerin positiv bekannt war, dass sie aus Rechtsgründen nicht mehr berechtigt ist, zu einer Wahlversammlung zur Wahl eines Wahlvorstandes einzuladen. Hinzu kommt, dass sich dem Vorbringen der Beklagten auch keine gravierenden Auswirkungen auf die Betriebsabläufe entnehmen lassen. Die Türe zum Backoffice war zwar verschlossen aber nicht abgeschlossen. Soweit die Beklagte behauptet, dass die Klägerin und Frau Z. anwesende Kunden massiv verschreckt hätten, ist ihr Vorbringen unsubstantiiert. Die Kammer kann sich hierunter nichts vorstellen. Das Vorbringen ist auch insoweit widersprüchlich, als die Beklagte gleichzeitig vorträgt, dass die Klägerin die Situation, dass alle Mitarbeiter in Kundengesprächen involviert gewesen wären, ausgenutzt hätte. Dies spricht eher für eine Überrumpelungssituation und nicht dafür, dass die Klägerin und Frau Z. im Kundenbereich zuvor für einen größeren Aufruhr gesorgt hätten. Dies wäre für ihren Plan, die Einladung zur Wahlversammlung im Backoffice auszuhängen auch kontraproduktiv gewesen. Darüber hinaus sieht die Rechtsprechung eine Kündigung ohne vorherige Abmahnung bei einer Verletzung des Hausrechts des Arbeitgebers nur dann an als verhältnismäßig an, wenn das Verhalten einen gewissen Grad an Renitenz oder Beharrlichkeit aufweist (vgl. gegen die Verhältnismäßigkeit einer Kündigung: LAG Baden-Württemberg 19.05.2021 – 10 Sa 69/20; für die Wirksamkeit einer Kündigung: LAG Hamm 30.10.2009 – 10 Sa 803/09 [eigenmächtig einen Schlüssel nachgemacht, nachdem dem Arbeitnehmer zuvor die Schlüsselgewalt entzogen worden war]; LAG Rheinland-Pfalz 14.09.2016 – 7 Sa 575/15 [mehrfache ausdrückliche Aufforderung, das Gelände zu verlassen]). Hiervon ist im Streitfall nicht auszugehen. Die Beklagte trägt selbst vor, dass die Klägerin und Frau Z. unmittelbar verschwanden, nachdem Herr T. sie auf ihr widerrechtliches Eindringen angesprochen habe. Zuletzt ist zugunsten der Klägerin die Gesamtsituation im Betrieb der Beklagten zu berücksichtigen. Tatsache ist – ohne dass es der Kammer zusteht, dies im Einzelnen näher zu bewerten – dass sämtliche drei Arbeitnehmerinnen, die versucht haben im Betrieb der Beklagten eine Betriebsratswahl zu initiieren, seitens der Beklagten mittlerweile mehrfach fristlos gekündigt wurden. Das Verhalten der Klägerin ist somit auch vor dem Hintergrund der Wahrnehmung ihrer (vermeintlichen) betriebsverfassungsrechtlichen Rechte zu bewerten.

c) Gleiches gilt, soweit die Klägerin der Beklagten nicht die Möglichkeit gegeben haben soll zu überprüfen, ob die 3G-Voraussetzungen für einen Kontakt mit Kunden und Stationsmitarbeitern erfüllt seien. Auch insoweit hätte die Beklagte nach Auffassung der Kammer als milderes Mittel eine Abmahnung in Betracht ziehen müssen.

2. Aus den gleichen Gründen erweist sich auch die hilfsweise ausgesprochene fristgerechte Kündigung als sozial ungerechtfertigt im Sinne des § 1 Abs. 1, 2 KSchG und damit als unwirksam.

V.

1. Nach den Grundsätzen der Rechtsprechung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts (BAG 27. Februar 1985 GS 1/84 – BAGE 48, 122) hat die Klägerin im Falle des Obsiegens mit den Kündigungsschutzanträgen einen Anspruch bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits zu den bisherigen Bedingungen weiter beschäftigt zu werden.

2. Der Antrag der Beklagten, die vorläufige Vollstreckbarkeit des Weiterbeschäftigungsantrags auszuschließen, war zurückzuweisen. Gemäß § 62 Abs. 1 S. 2 ArbGG hat das Arbeitsgericht auf Antrag die vorläufige Vollstreckbarkeit im Urteil auszuschließen, wenn der Beklagte glaubhaft macht, dass die Vollstreckung ihm einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde. Einen derartigen Nachteil hat die Beklagte weder dargelegt geschweige denn glaubhaft gemacht.

VI.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1 Satz 1, § 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG. Den Streitwert hat das Gericht gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil festgesetzt. Er gilt zugleich als Wertfestsetzung für die Gerichtsgebühren iSd. § 63 Abs. 2 GKG.

 

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Unsere Hilfe im Arbeitsrecht

Wir sind Ihr Ansprechpartner in Sachen Arbeitsrecht. Vom Arbeitsvertrag bis zur Kündigung. Nehmen Sie noch heute Kontakt zu uns auf.

Rechtsanwälte Kotz - Kreuztal

Wissenswertes aus dem Arbeitsrecht einfach erklärt

Weitere interessante arbeitsrechtliche Urteile

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!