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Entstehen und Erlöschen von Urlaubsansprüchen bei Sonderurlaub

LAG Berlin-Brandenburg – Az.: 9 Sa 1504/17 – Urteil vom 16.03.2018

I. Auf die Berufung des beklagten Landes wird das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 20. September 2017 – 60 Ca 406/17 – unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen und unter Zurückweisung der Anschlussberufung teilweise abgeändert und zur Klarstellung wie folgt neu gefasst:

1. Das beklagte Land wird verurteilt, an die Klägerin 2.329,80 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20. Januar 2017 zu zahlen.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits I. und II. Instanz haben die Klägerin zu 2/3 und das beklagte Land zu 1/3 zu tragen.

III. Die Revision wird für die Klägerin und das beklagte Land zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über Urlaubsabgeltungsansprüche.

Die Klägerin war bis 31. Dezember 2016 beim beklagten Land gegen ein monatliches Bruttoentgelt von 3.365,75 Euro tätig. Auf das Arbeitsverhältnis fanden aufgrund arbeitsvertraglicher Vereinbarung die für das beklagte Land geltenden Tarifverträge Anwendung. Für die Zeit vom 1. November 2012 bis 30. Oktober 2015 gewährte das beklagte Land der Klägerin auf ihren Antrag Sonderurlaub. Während dieser Zeit war die Klägerin teilweise mit Genehmigung des beklagten Landes als Tagesmutter tätig.

Im November 2015 übergab das beklagte Land der Klägerin eine Urlaubskarte. Hiernach beträgt der Urlaubsanspruch für das laufende Jahr 2015 fünf Urlaubstage. Weiterer Zusatzurlaub oder Resturlaub aus 2014 besteht nach den Angaben in den hierfür vorgesehenen Zeilen nicht (s. Bl. 5 d.A.). Auf Antrag der Klägerin wurden ihr 2015 fünf Tage Urlaub gewährt.

Durch E-Mail vom 1. Juli 2016 und vom 7. Juli 2016 wies die Klägerin auf die Rechtsprechung zu gesetzlichem Mindesturlaub nach unbezahltem Sonderurlaub hin und bat um Übertragung bzw. Gewährung der entsprechenden Tage. Mit Anwaltsschreiben vom 26. Oktober 2016 verlangte die Klägerin die Abgeltung von 20 Tagen für das Jahr 2014 sowie verbleibender 25 Tagen für das Jahr 2015. Dieser Urlaub sei abzugelten, da sie derzeit arbeitsunfähig erkrankt sei und nicht mit einer Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses am 31. Dezember 2016 gerechnet werden könne. Das beklagte Land lehnte dies ab und verwies auf einen Beschluss der Mitgliederversammlung der Tarifgemeinschaft deutscher Länder, keine Folgerungen aus der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zu § 26 Abs. 2 Buchst. c) TV-Charité für § 26 TV-L zu ziehen.

Mit ihrer am 11. Januar 2017 beim Arbeitsgericht eingegangenen, dem beklagten Land am 19. Januar 2017 zugestellten Klage hat die Klägerin diesen Anspruch weiterverfolgt und zur Begründung im Wesentlichen geltend gemacht: Der Urlaubsanspruch sei entstanden und nicht verfallen. Sie habe diesen Urlaub nicht nehmen können, weil das beklagte Land zu keinem Zeitpunkt bereit gewesen sei, diesen zu gewähren. Sie habe den Angaben auf der Urlaubskarte vertrauen dürfen. Soweit Urlaub aufgrund des Verhaltens des Arbeitgebers nicht angetreten werden könne, wandle sich der Anspruch in einen Schadensersatzanspruch um, der hier geltend gemacht werde. Ihr stehe für insgesamt 45 abzugeltende Urlaubstage pro Tag ein Betrag von 155,32 Euro zu.

Die Klägerin hat beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 6.989,33 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Zur Begründung hat das beklagte Land geltend gemacht, die Urlaubsansprüche seien gem. § 26 Abs. 2 Buchst. c) TV-L für jeden Monat des Sonderurlaubs um ein Zwölftel zu kürzen. Unabhängig hiervon seien etwaige Urlaubsansprüche für die Jahre 2014 und 2015 zum Zeitpunkt der Geltendmachung im Juli 2016 bereits gem. § 7 Abs. 3 BurlG erloschen gewesen. Übertragungsgründe – erst Recht über den 31. März 2015 bzw. 2016 hinaus – lägen nicht vor. Die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs seien nicht gegeben, da die Klägerin den Urlaub weder im Urlaubs- noch im Übertragungszeitraum verlangt habe. Eine Urlaubserteilung ohne Antrag der Arbeitnehmerin sei nach der bisherigen Rechtsprechung nicht erforderlich. Unabhängig hiervon seien etwaige Urlaubsansprüche auch für das Jahr 2015 auf den gesetzlichen Mindesturlaub beschränkt. Zudem stehe § 6 BurlG im Falle anderweitiger Urlaubsansprüche aufgrund der Tätigkeit der Klägerin als Tagesmutter Urlaubsansprüchen für die Zeit des Sonderurlaubs entgegen.

Das Arbeitsgericht Berlin hat das beklagte Land durch Urteil vom 20. September 2017 zur Zahlung von 5.746,84 Euro brutto nebst Zinsen verurteilt und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Für die Jahre 2014 und 2015 sei trotz Ruhens des Arbeitsverhältnisses nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu inhaltsgleichen tarifvertraglichen Regelungen der volle Mindesturlaub von 20 Tagen entstanden. Der tarifliche Mehrurlaub sei nur anteilig in Höhe von 2/12 für das Jahr 2015 entstanden. Von dem sich ergebenden Anspruch von 42 Tagen verblieben nach der erfolgten Gewährung von fünf Urlaubstagen 37 abzugeltende Urlaubstage, anzusetzen mit dem vom beklagten Land nicht weiter bestrittenen Betrag. Zwar seien diese Urlaubsansprüche nach § 7 Abs. 3 BurlG mit Ablauf des 31. März 2016 erloschen. Gleichwohl bestehe ein Anspruch. Hierbei könne dahingestellt bleiben, ob die Klägerin durch die unzutreffenden Angaben in der Urlaubskarte davon abgehalten worden sei, den Anspruch noch rechtzeitig im Jahr 2015 geltend zu machen. Selbst wenn die Klägerin diesen noch im Jahr 2015 beantragt hätte, hätte das beklagte Land diesen ausweislich des unter Bezugnahme des Beschlusses der Mitgliederversammlung der Tarifgemeinschaft deutscher Länder vertretenen unzutreffenden Rechtstandpunktes abgelehnt. Unter diesen Umständen könne es der Klägerin nicht zum Nachteil gereichen, den Urlaub nicht beantragt zu haben.

Gegen dieses ihm am 24. Oktober 2017 zugestellte Urteil hat das beklagte Land am 14. November 2017 Berufung eingelegt und diese nach entsprechender Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist am 18. Januar 2017 im Wesentlichen wie folgt begründet: § 26 Abs. 2 Buchst. c) TV-L sehe für Zeiten des Ruhens des Arbeitsverhältnisses eine Minderung des Urlaubs um ein Zwölftel vor. Die vom Arbeitsgericht zitierte Rechtsprechung zum TV-Charité könne nicht ohne weiteres übertragen werden. Dies gelte erst Recht bei einer fortgesetzten Erwerbstätigkeit wie im vorliegenden Fall einer Tätigkeit der Klägerin als Tagesmutter unter vom Jugendamt vermittelter Betreuung von Kindern und den hier üblichen Schließzeiten zwecks Urlaub. Nach der Wertung des § 6 BurlG seien gerade keine doppelten Urlaubsansprüche vorgesehen. Unabhängig hiervon seien etwaige Urlaubsansprüche mit Ablauf des 31. Dezember 2014 bzw. des 31. Dezember 2015 verfallen. Ein Übertragungstatbestand liege nicht vor, insoweit werde auf die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 16. Juni 2017, 3 Sa 128/17 verwiesen. Ein Schadensersatzanspruch setze eine vorherige Geltendmachung voraus, die vor Verfall gerade nicht erfolgt sei. Auch aus Art. 7 Abs. 1 EGRL 88/2003 oder Art. 31 Abs. 2 GRC ergebe sich für den vorliegenden Fall keine Verpflichtung des Arbeitgebers, einseitig Urlaub zuzuweisen. Selbst wenn man dem nicht folge, könne allenfalls ein Anspruch auf zunächst 20, d.h. nach Erteilung von fünf Urlaubstagen verbleibend 15 Urlaubstagen für das Jahr 2015 bestehen.

Das beklagte Land beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 20. September 2017 – Az. 60 Ca 406/17 – teilweise abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen, sowie im Wege der nach Zustellung der Berufungsbegründung am 23. Januar 2018 am 24. Januar 2018 eingelegten Anschlussberufung, das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 20. September 2017 – Az. 60 Ca 406/17 – teilweise abzuändern und das beklagte Land zu verurteilen, an die Klägerin weitere 1.242,49 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit der Klage zu zahlen.

Das beklagte Land beantragt, die Anschlussberufung zurückzuweisen.

Die Klägerin tritt den Ausführungen des beklagten Landes entgegen. Der Übertragungstatbestand des § 7 Abs. 3 BurlG erfasse auch Gründe der rechtlichen Unmöglichkeit. Für das Jahr 2015 sei der den gesetzlichen Urlaubsanspruch von 20 Tagen überschreitende Urlaubsanspruch von insgesamt 30 Tagen entstanden, in das Jahr 2016 zu übertragen und entsprechend abzugelten.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Rechtsvortrages wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

A.

Die Berufung des beklagten Landes ist zulässig. Sie ist gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und 2 b) ArbGG statthaft und wurde form- und fristgerecht eingelegt und begründet (§§ 519, 520 Abs. 1 und 3 ZPO, § 66 Abs. 1 S. 1 und 2 ArbGG).

Die Anschlussberufung der Klägerin ist zulässig. Sie ist nach § 524 Abs. 2 S. 1 ZPO i.V.m. § 64 Abs. 6 ArbGG statthaft und wurde form- und fristgereicht eingelegt und begründet (§§ 524 Abs. 2 S. 2, Abs. 3, 519 Abs. 2, 520 Abs. 3 ZPO, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG).

B.

Die Berufung ist teilweise begründet, die Anschlussberufung ist nicht begründet.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Abgeltung von zwanzig Urlaubstagen für das Jahr 2014, weil dieser Anspruch zwar entstanden, aber gem. § 7 Abs. 3 BurlG erloschen ist. Für das Jahr 2015 hat die Klägerin Anspruch auf Abgeltung von 15 Urlaubstagen, aber keine darüber hinausgehenden Ansprüche.

I. Es besteht kein Anspruch auf Abgeltung von Urlaub für das Jahr 2014.

1. Für das Jahr 2014 ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ein Urlaubsanspruch von zwanzig Tagen entstanden. Hiernach ist für das Entstehen des Urlaubsanspruchs nach dem Bundesurlaubsgesetz allein das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses Voraussetzung. Der Urlaubsanspruch nach den §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG steht nicht unter der Bedingung, dass die Arbeitnehmerin im Bezugszeitraum eine Arbeitsleistung erbracht hat (BAG 7. August 2012 – 9 AZR 353/10 – Rn. 8 mwN zur st. Rspr., BAGE 142, 371). Dies gilt auch, wenn die Arbeitsvertragsparteien das Ruhen des Arbeitsverhältnisses wegen eines von der Arbeitnehmerin beantragten Sonderurlaubs vereinbaren (BAG, Urteil vom 06. Mai 2014 – 9 AZR 678/12 –, BAGE 148, 115-122, Rn. 12). Da nach § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG in Tarifverträgen nicht von den §§ 1, 2 und 3 Abs. 1 BUrlG abgewichen werden kann, hat sich trotz des Ruhens des Arbeitsverhältnisses der Parteien im Jahr 2014 der gesetzliche Urlaubsanspruch der Klägerin für das Jahr 2014 nicht gemäß § 26 Abs. 2 Buchst. c) TV-L vermindert (BAG, Urteil vom 06. Mai 2014 – 9 AZR 678/12 –, BAGE 148, 115-122, Rn. 18). Eine Reduzierung dieses Urlaubsanspruchs ergibt sich auch nicht aus sonstigen Vorgaben (vgl. BAG, Urteil vom 06. Mai 2014 – 9 AZR 678/12 –, BAGE 148, 115-122, Rn. 20). Zu Recht hat das Arbeitsgericht diese Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zum TV-Charité auch für den insoweit gleichlautenden TV-L herangezogen (vgl. i.Ü. BAG 7. August 2012 – 9 AZR 353/10 – Rn. 16, BAGE 142, 371 zum TVöD).

2. Dieser Urlaubsanspruch konnte im Urlaubsjahr nicht gewährt und genommen werden. Unabhängig davon, ob man eine Pflicht des Arbeitgebers zur Zuweisung von Urlaub auch ohne arbeitnehmerseitigen Urlaubsantrag annimmt, war im Jahr 2014 und im Übrigen auch bis 31. März 2015 aufgrund des gewährten Sonderurlaubs keine Urlaubsgewährung möglich. Während der Zeitdauer eines vereinbarten unbezahlten Sonderurlaubs kann mangels Verpflichtung zur Arbeitsleistung kein weiterer Urlaub gewährt werden (s. auch LArbG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16. Juni 2017 – 3 Sa 128/17 –, Rn. 36, juris).

3. Dieser Urlaubsanspruch ist gem. § 7 Abs. 3 BurlG erloschen.

a) Gem. § 7 Abs. 3 S. 1 BUrlG erlischt der Urlaubsanspruch mit Ablauf des Urlaubsjahres, d.h. der Urlaub für 2014 am 31. Dezember 2014. Eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr ist gem. § 7 Abs. 3 S. 2 BurlG nur statthaft, wenn dringende betriebliche oder in der Person der Arbeitnehmerin liegende Gründe dies rechtfertigen. Die Voraussetzungen dieser Ausnahme sind nicht gegeben. Betriebliche Gründe lagen nicht vor. Die Tatsache, dass der Klägerin auf ihren Antrag Sonderurlaub gewährt wurde, stellt keinen betrieblichen Grund dar. Dass dieser Sonderurlaub ihr nicht allein auf ihren Wunsch und Antrag hin gewährt wurde, sondern auf einem arbeitgeberseitig geäußerten Wunsch beruhe, macht auch die Klägerin nicht geltend. Auch in der Person der Klägerin liegende Gründe in diesem Sinne liegen nicht vor. Dass der Klägerin im Jahr 2014 kein Urlaub gewährt werden konnte, beruht auf keinem „in ihrer Person“ liegenden Grund, wie dies bei Krankheit der Fall ist, sondern auf der auf Wunsch der Klägerin getroffenen Vereinbarung von Sonderurlaub (s. auch LArbG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16. Juni 2017 – 3 Sa 128/17 –, Rn. 36, juris). Insoweit handelt es sich um einen nicht in der Person, sondern dem der freien Bestimmung unterliegenden Verhalten der Klägerin liegenden Grund.

b) Unabhängig hiervon wäre der Urlaub selbst bei Annahme eines Übertragungstatbestandes nach § 7 Abs. 3 S. 3 BurlG mit Ablauf des 31. März 2015 erloschen.

c) Für eine darüber hinausgehende Übertragung des Urlaubsanspruchs gibt es keine Rechtsgrundlage. Die gesetzliche Regelung sieht nach ihrem Wortlaut keine solche vor. Aus dem Sinn und Zweck der Regelung ergibt sich nichts anderes. Anders als im Fall der Krankheit ist keine unionsrechtskonforme Auslegung des § 7 Abs. 3 Satz 3 BurlG im Sinne eines längeren Übertragungszeitraums geboten. Wesentlich für den unionsrechtlich gebotenen längeren Übertragungszeitraum im Krankheitsfall ist, dass die betroffene Arbeitnehmerin tatsächlich keine Möglichkeit hatte, den zustehenden Urlaub zu nehmen (EuGH 20. Januar 2009 – C-350/06 und C-520/06 – [Schultz-Hoff] Rn. 43, 49, Slg. 2009, I-179; BAG, Urteil vom 07. August 2012 – 9 AZR 353/10 –, BAGE 142, 371-390, Rn. 26). Hierbei kommt es nicht auf eine wie auch immer geartete rechtliche Unmöglichkeit an, sondern wesentlich auf die krankheitsbedingte Unmöglichkeit. Der EuGH weist ausdrücklich auf die Unterschiede zwischen einer krankheitsbedingt nicht möglichen Urlaubsgewährung und einer solchen aufgrund anderer Umstände, z.B. einer kurzarbeitsbedingten Freistellung hin und führt aus, ein Arbeitnehmer, der unter keinen durch eine Erkrankung hervorgerufenen physischen oder psychischen Beschwerden leide, befinde sich in einer anderen Lage, als wenn er aufgrund seines Gesundheitszustands arbeitsunfähig wäre (EuGH, Urteil vom 08. November 2012 – C-229/11 und C-230/11 –, juris). Anders als im Falle der Krankheit stand im vorliegenden Fall der ansonsten tatsächlich möglichen Urlaubsgewährung nur der Wunsch und die Entscheidung der Klägerin nach Sonderurlaub für das gesamte Urlaubsjahr und darüber hinaus entgegen (vgl. LArbG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16. Juni 2017 – 3 Sa 128/17 –, Rn. 45, juris).

Die Klägerin war nicht im Sinne der Rechtsprechung des EuGH „gehindert“ ihren Jahresurlaub zu nehmen (s. EuGH, Urteil vom 22. November 2011 – C-214/10 –, juris), sondern hat durch den Antrag auf Sonderurlaub für das gesamte Jahr und die Vereinbarung desselben eine ansonsten mögliche Urlaubsgewährung „verhindert“ (s. gegen längere Übertragungszeiträume im Falle von Sonderurlaub Schönhöft / Oelze, NZA 2016, 868).

4. Entsprechend wurde auf die Berufung des beklagten Landes die Klage auf Urlaubsabgeltung für Urlaubsansprüche aus dem Jahr 2014 in Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung abgewiesen.

II. Für das Jahr 2015 besteht Anspruch auf Abgeltung von 15 Urlaubstagen.

1. Für das Jahr 2015 ist ebenfalls ein Anspruch von 20 Urlaubstagen entstanden. Ein darüber hinausgehender Anspruch auf tariflichen Mehrurlaub ist entgegen der Auffassung der Klägerin nicht und insoweit entgegen der Entscheidung des Arbeitsgerichts auch nicht teilweise entstanden.

a) Da für das Entstehen des Urlaubsanspruchs nach dem Bundesurlaubsgesetz allein das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses Voraussetzung ist, ist der hier vorgesehene gesetzliche Urlaubsanspruch von zwanzig Tagen für das Jahr 2015 entstanden. Da hiervon auch durch tarifvertragliche Regelung nicht abgewichen werden kann, führt die Regelung in § 26 Abs. 2 Buchst. c) TV-L zu keiner Reduzierung dieses Anspruchs (s.o.).

b) Darüber hinaus besteht zwar nach § 26 Abs. 1 S. 2 TV-L Anspruch auf insgesamt 30 Tage Urlaub pro Jahr. Hierzu sieht jedoch § 26 Abs. 2 Buchst. c) TV-L für ein Ruhen des Arbeitsverhältnisses eine Verringerung der Dauer des Erholungsurlaubs einschließlich eines etwaigen tariflichen Zusatzurlaubs für jeden vollen Kalendermonat um ein Zwölftel vor. Während gewährtem Sonderurlaub ruht das Arbeitsverhältnis. Der Klägerin wurde im Jahr 2015 für die Zeit bis 31. Oktober 2015 Sonderurlaub gewährt. D.h. nach § 26 Abs. 2 Buchst. c) TV-L verringert sich der der Klägerin zustehende Urlaub von 30 Tagen um 10/12 auf 5 Tage. Aus den tarifvertraglichen Regelungen ergibt sich entsprechend kein weitergehender Urlaubsanspruch der Klägerin.

Für einen anteiligen Mehrurlaubsanspruch gibt es keine Rechtsgrundlage. Aufgrund der unabdingbaren gesetzlichen Regelung besteht Anspruch auf den Mindesturlaub, der Tarifvertrag sieht keine weitergehenden, sondern geringere Urlaubsansprüche vor.

2. Von diesem Anspruch wurden fünf Tage gewährt, d.h. der Anspruch ist insoweit gem. § 362 BGB erfüllt. Eine darüber hinausgehende Erfüllung von Urlaubsansprüchen in diesem Jahr kann nicht festgestellt werden. Die Voraussetzungen einer Anrechnung nach § 6 BUrlG liegen nicht vor. Hierbei kann dahingestellt bleiben, ob ein „früherer Arbeitgeber“ im Sinne dieser Vorschrift auch ein zwischenzeitlicher zweiter Arbeitgeber während eines Ruhens des einen Arbeitsverhältnisses sein kann. Die Tätigkeit als Tagesmutter, d.h. die entgeltliche Betreuung von Kindern auf Vermittlung des Jugendamtes erfolgt nicht im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses. Auch wenn regelmäßig freie Zeiten unter Fortzahlung der maßgeblichen Vergütung vorgesehen sind, handelt es sich um keinen von einem Arbeitgeber gewährten Urlaub. Sonstige Rechtsgrundlagen für eine Anrechnung sind nicht ersichtlich.

3. Bezüglich der verbleibenden 15 Urlaubstage kann sich das beklagte Land nicht auf ein Erlöschen dieser Urlaubstage berufen bzw. es besteht insoweit ein Schadenersatzanspruch.

a) Dieser Urlaubsanspruch hätte im Jahr 2015 nach Ende des Sonderurlaubes am 31. Oktober 2015 bis zum Ende des Urlaubsjahres gewährt werden können. Es bestand ein ausreichender Zeitraum für eine entsprechende tatsächliche Urlaubsgewährung.

b) Nimmt man an, ein Arbeitgeber sei entgegen der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts verpflichtet, Urlaub auch ohne vorherige Aufforderung gegebenenfalls durch einseitige Zuweisung rechtzeitig zu gewähren (s. hierzu ausführlich LArbG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12. Juni 2014 – 21 Sa 221/14 –, Rn. 33ff, juris; vgl. zur bisherigen Rechtsprechung und diesbezüglicher Fragen vor dem Hintergrund unionsrechtlicher Vorgaben BAG, EuGH-Vorlage vom 13. Dezember 2016 – 9 AZR 541/15 (A) –, Rn. 13, juris), so hätte das beklagte Land diese Pflicht verletzt. Ausgehend hiervon wäre aufgrund der unterbliebenen Gewährung zunächst ein Anspruch auf Schadensersatz in Form eines Ersatzurlaubs nach § 280 Abs. 1 und 3, § 283 BGB i. V. m. § 249 Abs. 1 BGB entstanden, der sich mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach § 251 Abs. 1 BGB in einen Abgeltungsanspruch umgewandelt hat. Dass das beklagte Land die Nichterfüllung des Urlaubsanspruchs i. S. d. § 280 Satz 2 BGB nicht zu vertreten hätte, kann nicht festgestellt werden. Insbesondere gibt es keine Anhaltspunkte, dass die Klägerin auch im Falle einer entsprechenden Zuweisung nicht bereit gewesen wäre, diesen zu nehmen (vgl. Staudinger-Richardi/Fischinger, § 611 BGB Rn. 1154).

c) Auch wenn man mit der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts keine Verpflichtung des Arbeitgebers annimmt, Urlaub auch ohne Antrag rechtzeitig einseitig zuzuweisen, kann sich das beklagte Land nicht auf einen Verfall des Urlaubsanspruchs berufen. Aus der europarechtlich erheblichen Bedeutung des Urlaubsanspruchs und den sich hieraus ergebenden Grenzen für einen Verfall folgt zumindest eine Verpflichtung des Arbeitgebers, bei Angaben zu bestehenden Urlaubsansprüchen und der hierin liegenden Aufforderung zur zeitlichen Festlegung durch die Arbeitnehmer zutreffende Angaben zu machen. Macht der Arbeitgeber falsche Angaben zu bestehenden Urlaubsansprüchen und verhindert so eine rechtzeitige arbeitnehmerseitige zeitliche Festlegung des Urlaubs, kann sich der Arbeitgeber bezüglich des gesetzlichen Mindesturlaubs nicht auf einen Verfall von Urlaubsansprüchen berufen.

aa) Zwar besteht im Arbeitsverhältnis keine generelle Aufklärungspflicht über bestehende Ansprüche, auch eine unzutreffende Auskunft enthebt Arbeitnehmer nicht von der Verpflichtung, Rechte ggf. zur Vermeidung eines Verfalls geltend zu machen. Dies wird ausgehend von einem Urlaubsanspruch, der arbeitnehmerseitig geltend zu machen ist, auch für Urlaub angenommen (z.B. Hohmeister/Oppermann, BUrlG, 3. Aufl., § 7 Rn. 8), mit der Frage ob dies ausgehend von der Rechtsprechung des EuGH noch haltbar ist (s. Schaub ArbR-HdB, 17. Aufl, § 104. Urlaub Rn. 74-75, beck-online).

bb) Mit der erheblichen Bedeutung des Anspruchs auf den gesetzlichen Mindesturlaub ist es jedenfalls nicht vereinbar, wenn ein Arbeitgeber, der im Rahmen des Verfahrens zur Urlaubserteilung falsche Angaben zu den Urlaubstagen macht, deren zeitliche Lage arbeitnehmerseitig bestimmt werden soll, sich dann mangels weitergehenden Urlaubsantrags auf einen Verfall der Ansprüche berufen kann. Der EuGH verweist durchgehend auf die erhebliche Bedeutung des Jahresurlaubs und die praktische Wirksamkeit (effet utile) dieses Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub aus Art. 31 Abs. 2 der Charta und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88, die sicherzustellen ist (EuGH, Urteil vom 12. Juni 2014 – C-118/13 –, Rn. 22, juris). Dieses Verständnis steht einer restriktiven Auslegung von Bestimmungen zur Urlaubsgewährung entgegen, wobei der EuGH auch in zusätzlichen Voraussetzungen wie einem erforderlichen Antrag eine zu vermeidende Restriktion gesehen hat (EuGH, Urteil vom 12. Juni 2014 – C-118/13 –, Rn. 24, juris; vgl. auch EuGH, Urteil vom 20.07.2016, C-341/15, Celex-Nr. 62015CJ0341, zit nach juris). Auch wenn man ein Antragserfordernis weiterhin für vertretbar hält, stehen jedenfalls aktive Handlungen, die dazu führen, dass Urlaub nicht im bestehenden Umfang beantragt wird, der Vorgabe der praktischen Wirksamkeit der Verwirklichung des Urlaubsanspruchs entgegen. Eine solche aktive Handlung liegt in der Angabe eines nur in bestimmter Höhe bestehenden Anspruchs im Rahmen eines formalisierten Verfahrens zur Urlaubserteilung. Wenn ein Arbeitgeber im Rahmen eines solchen Verfahrens mitteilt, es bestehe ein Urlaubsanspruch für ein bestimmtes Jahr nur in einem bestimmten Umfang, führt dies zumindest in der Regel zu einem Urlaubsantrag nur in diesem Umfang. Jedenfalls ist eine solche Angabe praktisch geeignet, darüber hinausgehende Urlaubsanträge oder einen zeitlich nicht weiter beschränkten allgemeinen Antrag im Sinne einer Bitte, zustehenden Urlaub zu gewähren, zu verhindern. Führt dann der verhinderte weitergehende Antrag zu einem Verfall, stellt dies eine Einschränkung der praktischen Wirksamkeit der Verwirklichung des Urlaubsanspruchs dar.

cc) Entsprechend ist eine Auslegung des nationalen Rechts geboten, die einer Berufung des Arbeitgebers auf einen Verfall von Urlaubsansprüchen in diesem Fall entgegensteht (vgl. zur gebotenen unionsrechtskonformen Auslegung BAG, Urteil vom 21. März 2017 – 3 AZR 718/15 –, BAGE 158, 244-255, Rn. 30). Dies lässt sich mit dem in § 162 BGB verankerten Rechtsgedanken begründen, wonach niemand aus einem treuwidrigen Verhalten für sich günstige Rechtsfolgen ableiten darf (vgl. BAG, Urteil vom 04. Mai 1999 – 10 AZR 417/98 –, Rn. 52, juris m.w.N.; BAG, Urteil vom 23. September 2014 – 9 AZR 827/12 –, Rn. 32, juris; BAG, Urteil vom 26. Januar 2017 – 2 AZR 61/16 –, Rn. 40, juris). Welches Verhalten in diesem Sinne von einem loyalen Vertragspartner erwartet werden kann, ist auch anhand geltender europarechtlicher Vorgaben zu beurteilen. Eine erkennbar falsche Angabe zu bestehenden Urlaubsansprüchen ist vor dem Hintergrund der Bedeutung der Urlaubsgewährung als zur Vereitelung von Urlaubsansprüchen geeignete Handlung zu bewerten, mit der Folge dass sich der Arbeitgeber nicht auf den für ihn günstigen Verfall von Urlaubsansprüchen mit Ablauf des Kalenderjahres berufen kann.

dd) Hiernach ist es dem beklagten Land verwehrt, sich bezüglich des Urlaubsanspruchs der Klägerin für das Jahr 2015 auf einen Verfall der Ansprüche zu berufen. Das beklagte Land hat mit der Angabe auf der Urlaubskarte, es bestehe für das Jahr 2015 ein Anspruch auf fünf Tage Urlaub eine falsche Angabe zu bestehenden Urlaubsansprüchen gemacht. Diese Angabe war für das beklagte Land erkennbar unzutreffend. Zum Entstehen und der gesetzlich nicht möglichen Reduzierung des gesetzlichen Mindesturlaubs durch tarifvertragliche Regelungen im Falle von Sonderurlaub gab es mit dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 6. Mai 2014 – 9 AZR 678/12 – bereits eine höchstrichterliche Entscheidung. Diese Rechtslage konnte auch durch Beschluss der Tarifgemeinschaft der Länder nicht geändert werden. Diese unzutreffende Angabe war geeignet, einen über fünf Tage hinausgehenden Urlaubsantrag der Klägerin zu verhindern.

d) Ob der hiernach über den 31. Dezember 2015 hinaus fortbestehende Urlaubsanspruch mit Ablauf des 31. Dezember 2016 erloschen wäre, kann dahingestellt bleiben, da dieser im Juli 2016 und damit zu einem Zeitpunkt geltend gemacht wurde, zu dem der Urlaub hätte gewährt werden können.

e) Da der hiernach zustehende Urlaub aufgrund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31. Dezember 2016 nicht mehr gewährt werden kann, ist dieser gem. § 7 Abs. 4 BUrlG mit einem nicht streitigen Betrag von 155,32 Euro pro Tag abzugelten.

f) Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 288 Abs. 1, 291 BGB. Hiernach besteht ein Anspruch auf Verzinsung erst ab dem auf den Zustellungstag folgenden Tag (BAG, Urteil vom 15. November 2000 – 5 AZR 365/99 –, BAGE 96, 228-233, Rn. 23; Staudinger/Manfred Löwisch/Cornelia Feldmann (2014) BGB § 291, Rn. 17).

4. Entsprechend wurde auf die Berufung des beklagten Landes die über die Abgeltung von 15 Urlaubstagen hinausgehende Klage abgewiesen und im Übrigen Berufung und Anschlussberufung zurückgewiesen.

III. Die Entscheidung über die Kosten erster und zweiter Instanz beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.

IV. Die Entscheidung über die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.

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