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Entzug von Beihilfeleistungen für ehemalige Mitarbeiter

ArbG Bochum – Az.: 5 Ca 98/21 – Urteil vom 04.06.2021

1. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger Zuschüsse zu verbleibenden Krankheitskosten über den 01.01.2021 hinaus zu gewähren.

2. Die Parteien tragen die Kosten des Rechtsstreits jeweils zur Hälfte.

3. Streitwert wird auf 10.000,00 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten über Zuschüsse zu Krankheitskosten.

Der Kläger war seit dem 01.01.1986 als Diplom-Psychologe beim A e.V. tätig.

Das Arbeitsverhältnis des Klägers ist während seiner aktiven Zeit auf die Beklagte übergegangen. Das Arbeitsverhältnis endete zum 30.09.2017.

Auf das Arbeitsverhältnis fanden gemäß Ziffer 9 des Arbeitsvertrages (vgl. Bl. 5 bis 7 der Akte) die Bestimmungen zur Vereinsordnung vom 15.12.1978 in der jeweiligen Fassung sowie die Festlegungen des Manteltarifvertrages vom 20.12.1979 in seiner jeweiligen Fassung und die jeweiligen Betriebsvereinbarungen Anwendung.

Die Vereinsordnung vom 15.12.1978 (vgl. Bl. 10 bis 13 der Akte), die zwischen dem Vorstand des Vereins und dem Gesamtbetriebsrat als Betriebsvereinbarung abgeschlossen wurde, hat unter anderem folgenden Inhalt:

Teil IV: Beihilfen

34. Beihilfe im Krankheitsfall

34.1 Der Verein gewährt den Mitarbeitern im Falle von Krankheit Beihilfen zu den Kosten der ambulanten Arztbehandlung und zu den Aufwendungen für ärztlich verordnete Heilmittel (einschl. Zahnbehandlung und Zahnersatz).

(…)

34.2 Voraussetzungen für eine Beihilfegewährung sind:

a) dass der Mitarbeiter unter den Geltungsbereich der Vereinsordnung fällt,

b) dass der Mitarbeiter zum Zeitpunkt der Antragstellung ein Jahr dem Verein angehört hat und dass er mindestens 15 Std./Woche tätig ist,

c) (…)

d) dass der Mitarbeiter zu der Zeit, in welcher Aufwendungen entstanden sind, laufende oder Krankenbezüge im Rahmen des mit dem Verein bestehenden Dienstverhältnisses erhalten hat. Hierzu zählt auch die Zeit für welche ein Mitarbeiter in den einstweiligen Ruhestand versetzt wird,

(…)

Auch Mitarbeiter, die aus Altersgründen aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden sind, erhielten bisher Beihilfe-Leistungen. So auch der Kläger.

Die Beklagte legte beispielhaft mehrere Schreiben an den Kläger betreffend die Beihilfeabrechnung vor. Das Schreiben vom 25.06.2018 (vgl. Bl. 34 der Akte) hat unter anderem folgenden Inhalt:

Freiwilliger Zuschuss zu verbleibenden Krankheitskosten

Sehr geehrter Herr B,

aufgrund Ihres Antrages erhalten Sie ohne Anerkennung eines Rechtsanspruches einen freiwilligen Zuschuss in Höhe von 494,67 EUR, dessen Berechnung sich aus der beigefügten Aufstellung ergibt.

(….)

Auch die von der Beklagten vorgelegten Schreiben vom 09.08.2018, 26.03.2019 und 21.08.2019 (vgl. Bl. 35 bis 37 der Akte) enthalten die vorgenannten Formulierungen.

Die Beklagte teilte dem Kläger mit Schreiben vom 19.11.2020 mit, dass sie die Leistungen insgesamt zum 31.12.2020 einstelle. Der Kläger hat gegen die Einstellung Widerspruch erhoben.

Mit einem am 19.01.2021 bei Arbeitsgericht Bochum eingegangenen Schriftsatz hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben. Er begehrt die Feststellung, dass die Beklagte auch weiterhin verpflichtet ist, ihm Zuschüsse zu verbleibenden Krankheitskosten zu gewähren.

Der Kläger ist der Auffassung, dass es sich nicht um eine freiwillige Leistung der Beklagten handele. Vielmehr habe die Beklagte entsprechende Leistungen stets auch gegenüber allen Rentnern gewährt. Außerdem sei eine Einschränkung der Betriebsvereinbarung auf aktive Mitarbeiter nicht vorgenommen und auch nicht gelebt worden. Die Vereinsordnung unterscheide nicht zwischen aktiven und passiven Mitarbeitern.

Ob und inwieweit die Leistung überhaupt kündbar sei, könne dahinstehen, da die Mitteilung des Entschlusses sogenannte freiwillige Beihilfeleistungen endgültig einzustellen ein Eingriff in das aus dem Arbeitsverhältnis stammende Vergütungssystem darstelle. Eine Entscheidung auf Kürzung eines selbst freiwilligen Vergütungsbestandteils gehöre zu den Fragen der betrieblichen Lohngestaltung und sei gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG mitbestimmungspflichtig. Daher sei die Maßnahme zur Einstellung der Beihilfezahlung unwirksam.

Da er, der Kläger, zwischenzeitlich aus dem Dienst ausgeschieden sei, könne die Beklagte die Leistung nicht widerrufen. Es sei aufgrund der betrieblichen Praxis naheliegend, dass Arbeitnehmer und Betriebsrentner sich auf die Praxis einrichten würden und auf den Abschluss einer Zusatzversicherung verzichtet hätten. Er, der Kläger, habe sich in seinen Berufsjahren auf die Beihilfeordnung und die vorhandene Übung eingestellt und entsprechend keinerlei weitere Vorsorge hinsichtlich seiner Krankheitskosten vorgenommen, da er dieses für nicht notwendig gehalten habe. Er habe darauf vertrauen dürfen, dass eine entsprechend einheitliche Leistungsgewährung auch weiterhin erfolgen werde. Außerdem sei es ihm als Betriebsrentner heute nicht mehr zumutbar, zu vernünftigen und wirtschaftlich vertretbaren Aufwand entsprechende Zusatzversicherungen abzuschließen.

Zwar habe die Beklagte die Beihilfe stets als freiwilligen Zuschuss bezeichnet, hierauf komme es aber nicht mehr an, weil ein Anspruch aus betrieblicher Übung bestehe.

Eine Anpassung aufgrund der wirtschaftlichen Situation der Beklagten könnte nach Auffassung des Klägers nur aktive Mitarbeiter betreffen.

Der Kläger beantragt, festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger Zuschüsse zu verbleibenden Krankheitskosten über den 01.01.2021 hinaus zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte trägt vor, dass aus der als Betriebsvereinbarung abgeschlossenen Vereinsordnung aus dem Jahr 1978 nur Mitarbeiter im aktiven Dienstverhältnis anspruchsberechtigt seien, nicht jedoch Betriebsrentner.

Der ursprünglich aufgrund des aktiven Dienstverhältnisses des Klägers aufgrund der Betriebsvereinbarung ursprünglich gegenüber dem A e.V. bestandene Anspruch auf Beihilfe sei durch den Betriebsübergang auf sie, die Beklagte, übergegangen und in eine individualvertragliche Regelung transformiert worden. Diesen individualrechtlichen Anspruch habe sie bis zur Pensionierung des Klägers vertragsgemäß erfüllt. Soweit jedoch bei dem A e.V. gegenüber den Betriebsrentnern eine betriebliche Übung auf Gewährung von Beihilfeleistungen bestanden habe, sei diese betriebliche Übung nicht Gegenstand des Betriebsübergangs geworden. Ansprüche der Betriebsrentner verblieben beim Betriebsübergang bei dem abgebenden Unternehmen. Eine neue betriebliche Übung sei bei ihr, der Beklagten, nicht begründet worden.

Ein Anspruch des Klägers bestehe auch nicht kraft betrieblicher Übung. Soweit dem Kläger auch über Oktober 2017 hinaus Beihilfeleistungen erhalten habe, sei dieses stets und ausschließlich auf rein freiwilliger Basis geschehen. Sämtliche die Beihilfeabrechnung betreffenden Schreiben seien mit der Überschrift „Freiwilliger Zuschuss“ versehen und enthielten im Text den ausdrücklichen Hinweis darauf, dass „ohne Anerkennung einer Rechtspflicht ein freiwilliger Zuschuss“ gewährt werde. Damit habe sie als Arbeitgeberin eindeutig und unmissverständlich zu erkennen gegeben, dass sie sich hinsichtlich der bislang auch nach Rentenbeginn übernommenen Beihilfeleistungen nicht rechtlich habe binden wollen. Damit stehe es ihr frei, den Umfang der freiwillig und ohne Rechtsanspruch gewährten Beihilfe zu bestimmen und gegenüber Beihilfeleistungen, die den aktiven Mitarbeitern gewährt werden, einzuschränken und im Extremfall sogar vollständig einzustellen.

Selbst wenn man jedoch von einer betrieblichen Übung ausgehen würden, so wäre die durch die betriebliche Übung entstandene Verpflichtung betriebsvereinbarungsoffen. Eine Ablösung sei damit ohne Rücksicht auf die Einstufung als „betriebliche Sozialleistung“ durch eine Betriebsvereinbarung, aber auch durch eine neue vertragliche Einheitsregelung bzw. eine Gesamtzusage möglich. Diese Möglichkeit habe sie, die Beklagte, genutzt und die bislang gewährte Beihilferegelung im Rahmen einer ablösenden Gesamtzusage abgeschafft.

Die Beklagte meint, dass die Einstellung der Beihilfeleistungen – soweit dies die Betriebsrentner betrifft – auch nicht mitbestimmungspflichtig sei. Der Betriebsrat habe nur in Angelegenheiten ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG, die aktive Arbeitsverhältnisse betreffen. Für Betriebsrentner habe der Betriebsrat keine Regelungskompetenz mehr.

Die Beklagte behauptet, dass die Einstellung der Beihilfeleistungen vor dem Hintergrund der aktuellen wirtschaftlichen Situation erfolgt sei. Zum Bilanzstichtag am 31.12.2020 habe ein negatives Eigenkapital in Höhe von 30 Mio EUR bestanden. Dieses werde bis zum Jahresende auf 35,5 Mio EUR ansteigen. Damit sei das ursprünglich gezeichnete Eigenkapital von 19.5 Mio EUR mehr als ausgezehrt. Diese Umstände würden sie zur Verweigerung der Anpassung von Betriebsrenten berechtigen. Daher müsse sie erst recht berechtigt sein, andere Sozialleistungen einzustellen.

Die Beklagte trägt vor, dass die Beihilferegelung für aktive Mitarbeiter zwischenzeitlich zum 30.06.2021 gekündigt worden sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der von den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Der Kläger hat die Klage in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer am 04.06.2021 gegenüber der ursprünglich mitverklagten Beklagten zu 1) zurückgenommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet.

I.

1.

Die Klage war als Feststellungsklage zulässig.

Nach § 256 Abs. 1 ZPO kann Klage auf Feststellung des Bestehens oder des Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse an der begehrten Feststellung hat.

Der Kläger kann nicht auf den Vorrang der Leistungsklage verwiesen werden. Zwar ist das rechtliche Interesse an der Erhebung einer Feststellungsklage in der Regel zu verneinen, wenn eine Leistungsklage möglich ist. Allerdings kann auch in diesem Fall ein Feststellungsinteresse gegeben sein, wenn das angestrebte Urteil mit seiner lediglich ideellen, der Vollstreckung nicht zugänglichen Wirkung geeignet ist, den Konflikt der Parteien endgültig zu lösen und weitere Prozesse zwischen ihnen zu verhindern (vgl. BAG, Urteil vom 21.05.1992 – 6 AZR 187/91 – Juris). Dieses ist vorliegend der Fall. Es ist davon auszugehen, dass mit der Feststellungsklage der Konflikt der Parteien – nämlich ob dem Kläger auch zukünftig ein Anspruch auf Beihilfe zusteht – endgültig gelöst wird. Der Kläger war daher nicht darauf zu verweisen zunächst eine ablehnende Entscheidung der Beklagten abzuwarten und entstandene Krankheitskosten im Rahmen einer Leistungsklage geltend zu machen.

2.

Die Klage ist auch begründet.

Die Beklagte hat dem Kläger Zuschüsse zu verbleibenden Krankheitskosten über den 01.01.2021 hinaus zu gewähren.

a)

Der Anspruch des Klägers ergibt sich zwar nicht unmittelbar aus Ziffer 34 der Vereinsordnung vom 15.12.1978, da dort nur ein Beihilfeanspruch für aktive Mitarbeiter vorgesehen ist, allerdings ergibt sich der Anspruch des Klägers aus den Gesichtspunkten der betrieblichen Übung.

Unter einer betrieblichen Übung ist die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers zu verstehen, aus denen die Arbeitnehmer schließen können, ihnen solle eine Leistung oder eine Vergünstigung auf Dauer eingeräumt werden. Dieses als Vertragsangebot zu wertende Verhalten des Arbeitgebers wird von den Arbeitnehmern durch widerspruchslose Inanspruchnahme der Leistung angenommen. Der Zugang der Annahmeerklärung ist gem. § 151 Satz 1 BGB entbehrlich. Durch die betriebliche Übung erwachsen vertragliche Ansprüche auf die üblich gewordenen Leistungen. Eine betriebliche Übung ist für jeden Gegenstand vorstellbar, der arbeitsvertraglich in einer so allgemeinen Form geregelt werden kann. Entscheidend für die Entstehung eines Anspruchs ist jedoch nicht der Verpflichtungswille, sondern wie der Erklärungsempfänger die Erklärung oder das Verhalten des Arbeitgebers nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung aller Begleitumstände (§§ 133, 157 BGB) verstehen musste und durfte (vgl. BAG, Urteil vom 20.05.2008 – 9 AZR 382/07 – Juris).

Es ist unstreitig, dass bisher auch die Betriebsrentner Beihilfeleistungen erhalten haben. Die Beihilfe ist über den Renteneintritt hinaus stets auch an Betriebsrentner ohne Differenzierung weiter bewilligt worden. Durch dieses Verhalten der Vorgängerin der Beklagten ist eine betriebliche Übung entstanden. Durch das gleichförmige und wiederholte Verhalten des vormaligen Arbeitgebers durften die Arbeitnehmer und Betriebsrentner davon ausgehen, ihnen werde eine entsprechende Leistung, also Beihilfe, auch zukünftig gewährt.

b)

Diese betriebliche Übung ist im Rahmen des Betriebsübergangs auf die Beklagte übergegangen.

Gemäß § 613 a Abs. 1 Satz 1 BGB tritt der Betriebserwerber in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnisses ein. In diesem Zusammenhang ist auch der Betriebserwerber an eine im Zeitpunkt des Betriebsübergangs bestehende betriebliche Übung gebunden (vgl. Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 14.12.2011 – 3 Sa 240/11 – Juris; BAG, Urteil vom 03.11.2004 – 5 AZR 73/04 – Juris; ErfK/Preis, 19. Auflage 2019, BGB § 613a Rn. 74).

c)

Den Anspruch des Klägers auf Beihilfe auch nach Renteneintritt verhindert auch der von der Beklagten zumindest seit dem 25.06.2018 in den Bewilligungsschrieben aufgenommene Hinweis, dass sie einen freiwilligen Zuschuss ohne Anerkennung eines Rechtsanspruchs leiste, nicht.

Grundsätzlich ist die von der Beklagten gewählte Formulierung „ohne Anerkennung eines Rechtsanspruchs“ geeignet einen Anspruch aus betrieblicher Übung zu verhindern, weil der Arbeitnehmer bei einer solchen Formulierung dem Verhalten des Arbeitgebers keinen Verpflichtungswillen auch für die Zukunft entnehmen kann (vgl. BAG, Urteil vom 19.05.2005 – 3 AZR 660/03 – Juris, mit weiteren Nachweisen). Hier ist allerdings zu beachten, dass erst die Beklagte diesen Hinweis in die Bewilligungsschreibe aufgenommen hat. Es bestehen keine Anhaltspunkte, dass dieser Hinweis allen Bewilligungsschreiben enthalten war, die jemals an Betriebsrentner erteilt worden sind. Eine nachträgliche einseitige Änderung der einmal entstandenen betrieblichen Übung durch die Einfügung eines Freiwilligkeitsvorbehalts in das Bewilligungsschreiben ist nicht möglich. Die bereits entstandene betriebliche Übung kann nicht dadurch wieder aufgehoben werden, dass der Arbeitgeber nun mitteilt, die Leistung freiwillig und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht zu erbringen und der Arbeitnehmer die Leistung dreimal entgegennimmt ohne sich gegen den Freiwilligkeitsvorbehalt zu wehren (vgl. hierzu ausführlich BAG, Urteil vom 18.03.2009 – 10 AZR 281/08 – Juris).

Dem Anspruch des Klägers auf Beihilfe auch als Rentner steht es auch nicht entgegen, wenn er als Betriebsrentner nie ein Bewilligungsschreiben ohne den Freiwilligkeitsvorbehalt erhalten hat. Die bei der Beklagten bzw. deren Vorgänger bestehende betriebliche Übung galt für alle Arbeitnehmer und war allseits bekannt. Auch wenn der Kläger als aktiver Mitarbeiter zunächst nicht unmittelbar von der betrieblichen Übung profitiert hat, so durfte er dennoch darauf vertrauen, dass auch er als Betriebsrentner von der bestehenden betrieblichen Übung profitieren wird.

d)

Dem Anspruch des Klägers auf Beihilfeleistungen auch als Betriebsrentner steht auch keine abändernde Gesamtzusage entgegen. An dieser Stelle kann dahinstehen, ob die Ablösung der betrieblichen Übung überhaupt durch eine abändernde Gesamtzusage möglich ist (hierzu BAG, Urteil vom 11.12.2018 – 3 AZR 380/17 – Juris). Ebenso kann dahinstehen, ob es sich bei der Mitteilung der Beklagten vom 19.11.2020, dass die Beihilfeleistungen zum 31.12.2020 eingestellt werden, überhaupt um eine Gesamtzusage handelt. Jedenfalls ist eine Gesamtzusage dahingehend, dass zukünftig keine Beihilfeleistungen mehr an Rentner gewährt werden, im Bezug auf den Kläger nicht verhältnismäßig.

Die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit hat das Bundesarbeitsgericht für Versorgungsanwartschaften durch ein dreistufiges Prüfungsschema präzisiert. Den abgestuften Besitzständen der Arbeitnehmer sind entsprechend abgestufte, unterschiedlich gewichtete Eingriffsgründe des Arbeitgebers gegenüberzustellen. Der unter der Geltung der bisherigen Ordnung und in dem Vertrauen auf deren Inhalt bereits erdiente und entsprechend § 2 Abs. 1, Abs. 5 Satz 1 BetrAVG ermittelte Teilbetrag kann hiernach nur in seltenen Ausnahmefällen entzogen werden. Das setzt zwingende Gründe voraus. Zuwächse, die sich – wie etwa bei endgehaltsbezogenen Zusagen – dienstzeitunabhängig aus variablen Berechnungsfaktoren ergeben (erdiente Dynamik), können nur aus triftigen Gründen geschmälert werden. Für Eingriffe in dienstzeitabhängige, noch nicht erdiente Zuwachsraten genügen sachlich-proportionale Gründe (vgl. BAG, Urteil vom 23.02.2016 – 3 AZR 960/13 – Juris).

Zwar handelt es sich bei der streitgegenständlichen Beihilfe nicht um Versorgungsanwartschaften, allerdings verfolgen sie den gleichen Zweck. Sie dienen der Absicherung der Arbeitnehmer bei Krankheitskosten. Daher sind die vorstehenden Grundsätze hier entsprechend anzuwenden. Der Entzug der Beihilfeleistungen für ehemalige Mitarbeiter, die sich bereits in Rente befinden, kann aufgrund des bestehenden Vertrauens nur in seltenen Ausnahmefällen erfolgen. Ein solcher Ausnahmefall ist hier nicht ersichtlich. Auf der einen Seite ist die wirtschaftliche Situation der Beklagten zu berücksichtigen. Auf der anderen Seite wiegen jedoch die Interessen der Rentner schwerer. Gibt es eine langjährige Praxis, wonach Arbeitnehmer und Betriebsrentner solche Zusatzleistungen erhalten, liegt es besonders nahe, dass sich beide Gruppen darauf einrichten, indem sie auf den Abschluss von Zusatzversicherungen verzichten, weil sei darauf vertrauen, dass eine entsprechende einheitlich praktizierte Leistungsgewährung nur nach Abwägung aller maßgeblichen Gesichtspunkte und schonend für alle verschlechtert wird und nicht von einzelnen Gruppen Sonderopfer verlangt werden. Dies gilt insbesondere für Betriebsrentner, für die es mit wirtschaftlich vertretbarem Aufwand in aller Regel nicht möglich ist, nachträglich Zusatzversicherungen abzuschließen (vgl. BAG, Urteil vom 19.05.2005 – 3 AZR 660/03 – Juris). Angesichts dessen konnte der Kläger darauf vertrauen, dass die Beklagte die betriebliche Übung gegenüber Betriebsrentnern auch nach seinem Ausscheiden aus dem Betrieb fortführen wird und er sich nicht selbst um den rechtzeitigen Abschluss von Zusatzversicherungen kümmern muss. Desweiteren ist hier nicht ersichtlich, aus welchen Gründen die Betriebsrentner, die langjährig auf den Bestand der betrieblichen Übung vertraut haben, bereits zum 01.01.2021 auf die Beihilfeleistungen verzichten sollen, wohingegen die aktiven Mitarbeit er, die sich oftmals noch rechtzeitig um Zusatzversicherungen zu wirtschaftlich vertretbaren Konditionen bemühen könne, erst zum 30.06.20201 verzichten sollen.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO, 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen soweit sie unterlegen ist. Der Kläger hat die Kosten der Klagerücknahme gegenüber der vormals mitverklagten Beklagten zu 1) zu tragen. Im Ergebnis tragen der Kläger und die Beklagte die Kosten des Rechtsstreits jeweils zur Hälfte.

Der Streitwert war gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil festzusetzen. Es wurde vom doppelten Hilfswert ausgegangen.

 

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