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Klage auf Unterlassung von Streikmaßnahmen

ArbG Berlin, Az.: 29 Ca 12686/17

Urteil vom 09.05.2018

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

III. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 20.000,00 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten nunmehr im Hauptsacheverfahren insbesondere über die Unterlassung von einzelnen Streikmaßnahmen.

Die Klägerin ist ein zur -Gruppe gehörendes Unternehmen mit Sitz in Bad Hersfeld, wo sie u. a. unter der Bezeichnung … ( straße …) ein sog. Logistikzentrum betreibt. Die Klägerin ist nicht tarifgebunden. Die Beklagte ist die größte Gewerkschaft in Deutschland für Dienstleistungsbranchen.

Klage auf Unterlassung von Streikmaßnahmen
Symbolfoto: hadriani/bigstock

Nachdem die Beklagte die Klägerin bereits seit längerer Zeit erfolglos aufgefordert hatte, mit ihr in Verhandlungen über den Abschluss eines Anerkennungstarifvertrages hinsichtlich der Tarifverträge des Einzel- und Versandhandels in Hessen einzutreten, fanden und finden bereits seit 2013 immer wieder Streiks statt, von denen u. a. die Klägerin wiederum seit dem 10. Juli 2017 in der Form betroffen war, dass streikende Mitglieder der Beklagten sich auf der (öffentlichen) Zufahrtsstraße ( straße) unmittelbar vor dem Zufahrtstor zum Betriebsgelände der Klägerin versammelten, so auch am 12. Juli 2017 zwischen 09:00 Uhr und 10:00 Uhr und gegen 16:00 Uhr.

Mit der daraufhin am 13. Juli 2017 beim Arbeitsgericht Fulda eingereichten Antragsschrift beantragte die Klägerin den Erlass einer einstweiligen Verfügung zwecks Untersagung von Betriebsblockaden. Das Arbeitsgericht Fulda und das von der Klägerin mit der Berufung angerufene Hessische Landesarbeitsgericht wiesen den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurück (Arbeitsgericht Fulda vom 19.07.2020 17, 3 Ga 4/17; Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 16. Oktober 2017 – 16 SaGa 1175/17 –, juris).

Mit der am Arbeitsgericht Berlin am 16.10.2017 eingereichten und der Beklagten am 18.10.2017 zugestellten Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren nunmehr im Hauptsacheverfahren weiter.

Die Klägerin behauptet, im vorgenannten Zeitraum hätten erneut unzulässige Blockaden der einzigen LKW-Zufahrt stattgefunden. Ferner hätten bereits zuvor Betriebsblockaden am 03.06.2013 und am 02.07.2014 stattgefunden. Es sei angesichts der noch laufenden Streiks auch zu erwarten, dass im Rahmen einer der nächsten Streikmaßnahmen wiederum LKW-Fahrer daran gehindert würden, die einzige LKW-Einfahrt zum Betriebsgelände der Klägerin – und auch die daneben bestehende und ebenfalls blockierte einzige reine LKW-Ausfahrt – zu nutzen. Dadurch seien auch wiederum erhebliche Nachteile bei der fristgerechten Warenauslieferung zu erwarten, insbesondere im Rahmen des bereits zuvor stattgefundenen sog. Prime Days und in den Folgetagen.

Entscheidend komme hinzu, dass die straße die einzige Zufahrt für Rettungsfahrzeuge sei. So sei am 17.10.2017 ein Lkw auf der Zufahrt wegen eines technischen Defekts liegen geblieben. Dadurch habe sich ein erheblicher Rückstau an LKWs und PKWs gebildet. Die Auflösung dieses Staus habe eineinhalb Stunden gedauert.

Die Klägerin beantragt,

1. der Beklagten zu untersagen, die Zu- und Ausfahrtstraße zu und aus dem Logistikzentrum … der Klägerin in Bad Hersfeld an der straße … (jeweils mit einem roten Kreis auf der rechten Seite in der Anlage K 8 markiert) und/oder eine andere Stelle des Straßenverlaufs von dem Kreisverkehr an der Ecke … in Bad Hersfeld, über die B 27, die Straße … und die straße (vgl. gelbe Markierung in der Anlage K 9) bis zu den in der Anlage K 8 jeweils mit einem roten Kreis auf der rechten Seite markierten Zu- und Ausfahrten durch Streikmaßnahmen der Arbeitnehmer des Logistikzentrums … der Klägerin und/oder betriebsfremder Personen, zu denen die Beklagte aufgerufen hat, zur Verhinderung des Zutritts und Ausgangs von Lieferanten und/oder sonstigen zutrittswilligen Personen zu blockieren oder blockieren zu lassen oder hierzu aufzurufen, insbesondere indem Streikende oder Streikposten LKW an der Ein-, Aus- oder Durchfahrt hindern, indem sie sich alleine oder mit weiteren Personen vor diesen Fahrzeugen positionieren;

2. der Beklagten für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die vorstehende Unterlassungspflicht ein Ordnungsgeld bis zur Höhe von 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollziehen an dem Vorsitzenden ihres Bundesvorstandes, anzudrohen;

3. die Beklagte zu verpflichten, auf streikende Arbeitnehmer dahingehend einzuwirken, dass diese Betriebsblockaden nach Maßgabe der vorstehenden Ziff. 1. aufheben.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hält diese schon für unzulässig, jedenfalls für unbegründet und bestreitet, unzulässige Blockaden vorgenommen oder geduldet zu haben; eine sog. Betriebsblockade habe zu keiner Zeit ansatzweise stattgefunden. Der Vortrag der Klägerin sei auch unzureichend, da diese die Vorgänge werte, statt sie zu beschreiben. Das von der Klägerin geschilderte Gefahrenszenario sei hypothetisch und irreal. Sie bestreitet, dass im Jahre 2013 oder in den Jahren 2014 oder 2017 irgendwelche Streikaktionen stattgefunden hätten, die auch nur ansatzweise eine solche Wirkung hätten zeigen können, wie der von der Klägerin angeführte Vorfall vom 17.10.2017.

Wegen der weitergehenden Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie die Sitzungsniederschriften nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Der Unterlassungsantrag ist zulässig, insbesondere hinreichend bestimmt im Sinne des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Die Klägerin begehrt die Untersagung jeglicher Behinderungen der Zufahrt zu dem Logistikzentrum durch Streikende oder Streikposten. Mit „hindern” ist gemeint, durch physische oder psychische Gewalt LKW-Fahrern die Ein-, Aus- oder Durchfahrt zum Betriebsgelände unmöglich zu machen. Mangels entsprechender Einschränkung in zeitlicher Hinsicht soll jede, auch nur kurzfristige Zufahrtsbehinderung erfasst werden.

Der so verstandene Globalantrag ist unbegründet.

Der Anspruch auf Unterlassung einer Streikmaßnahme folgt grundsätzlich aus den §§ 1004, 823 BGB i. V. m. Art. 14 Grundgesetz. Nicht rechtswidrig sind Eingriffe in den Gewerbebetrieb, wenn sie als Arbeitskampfmaßnahmen zulässig sind. Ein Anspruch auf Unterlassung einer Arbeitskampfmaßnahme besteht daher nur dann, wenn diese rechtswidrig, gegebenenfalls sogar greifbar oder offensichtlich rechtswidrig ist (Hess. LAG 7. November 2014 -9 SaGa 1496/14- S. 34 ff; Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg 3. August 2016 -4 SaGa 2/16- S. 11).

Nicht jede, auch nur vorübergehende Zugangsbehinderung stellt eine rechtswidrige Blockade des Betriebs dar. Das von Art. 9 Abs. 3 gewährleistete Streikrecht umfasst auch das Recht der am Streik beteiligten Arbeitnehmer und Gewerkschaftsfunktionäre, Arbeitswillige zur Solidarität überreden zu dürfen (LAG Baden-Württemberg 24. Februar 2016 -2 SaGa 1/15- Rn. 54). Als zulässige Beeinflussung gilt (nur) gütliches Zureden und der Appell an die Solidarität (Erfurter Kommentar-Linsenmaier, 17. Aufl., Rn. 177). Die Herstellung einer Öffentlichkeitswirkung ist für die Durchführung eines erfolgreichen Streiks unumgänglich. Aus diesem Grund ist es etwa auch zulässig, bei Kunden um Verständnis für den Arbeitskampf zu werben und diese zu informieren; entsprechendes gilt auch in Bezug auf Lieferanten. Letztere nennt das Landesarbeitsgericht Hamburg in seiner Entscheidung vom 6. Februar 2013 -5 SaGa 1/12- Rn. 38 ausdrücklich. Auch Lieferanten sind Teil der Öffentlichkeit, die einerseits vom Streik betroffen ist und deshalb ein Informationsinteresse hat, andererseits durch ihre Solidarität (und sei es nur durch das zum-Ausdruck-bringen von Verständnis für die Situation der Streikenden) zum Gelingen des Arbeitskampfes beitragen kann. Diesen kommunikativen Charakter der Grundrechtsausübung des Streikrechts (siehe hierzu auch: Däubler (Hrsg.)-Wolter, Arbeitskampfrecht, 3. Auflage, Kapitel 16 Rn. 44) berücksichtigt das Landesarbeitsgericht Berlin Brandenburg (16. Juni 2016 – 23 SaGa 968/16- Rn. 36, 38) nicht hinreichend, wenn es auch eine nur vorübergehende Blockierung der Zufahrt als nicht vom Verhältnismäßigkeitsgrundsatz abgedeckt ansieht. In Bezug auf Streikmaßnahmen auf dem Firmenparkplatz trägt die 24. Kammer des Landesarbeitsgerichts Berlin Brandenburg dem kommunikativen Charakter des Streikrechts (weitergehend als die Kammer 23 desselben Gerichts) dahin Rechnung, dass es die Ansprache Arbeitswilliger und Aufforderung an dem Arbeitskampf teilzunehmen als von Art. 9 Absatz 3 GG gewährleistet ansieht (29. März 2017 – 24 Sa 979/16- OS 2; Revision eingelegt unter 1 AZR 189/17).

Im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung zwischen dem durch Art. 9 Abs. 3 gewährleisteten Streikrecht und dem Recht des Arbeitgebers am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb sowie seines Hausrechts (Art. 14 GG) kommt es entscheidend darauf an, ob es sich um kurzzeitige Zugangsbehinderungen handelt, die ihre Ursache in einem argumentativen Einwirken auf Dritte (Arbeitswillige, Kunden, Lieferanten) haben und der Wille eines Angesprochenen, den Betrieb betreten zu wollen, respektiert wird.

Wo die zeitliche Grenze einer noch hinnehmbaren kurzzeitigen Zugangsbehinderung infolge argumentativen Einwirkens auf Dritte liegt, bedarf hier keiner Entscheidung, da sich der Unterlassungsantrag auf jede (noch so kurze) Zugangsbehinderung bezieht. Aus diesem Grund ist der zu weit gefasste Globalantrag unbegründet. Daher kann dahinstehen, ob die Grenze bei 15 Minuten (so das Landesarbeitsgericht Hamburg 6. Februar 2013 -5 SaGa 1/12- Rn. 49) liegt (Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 16. Oktober 2017 – 16 SaGa 1175/17 –, juris).

Unabhängig davon ist der Unterlassungsantrag auch deshalb unbegründet, weil nicht ersichtlich ist, dass LKW-Fahrer gegen ihren Willen an der Zufahrt auf das Betriebsgelände gehindert wurden. Dies haben bereits das Arbeitsgericht Fulda und das Hessische LAG so erkannt, dem sich die hier zur Entscheidung berufene Kammer anschließt. Die Klägerin hat keinen einzigen Fall konkret benannt, in dem ein LKW-Fahrer trotz seines ausdrücklich gegenüber den Streikenden oder Streikposten geäußerten Willens, auf das Betriebsgelände einfahren zu dürfen, hieran gehindert worden wäre. Auch der Vortrag der Klägerin zu den behaupteten Verzögerungen bei der Einfahrt ist ohne Substanz. Die von ihr angegebene check in- Zeit (Seite 14 der Klageschrift, Bl. 41-42 der Akten) ist diejenige Zeit, zu der der betreffende Lkw nach der Planung der Klägerin bei dieser auf das Betriebsgelände einfahren soll, damit eine fristgerechte Abfertigung erfolgen kann. Ob das betreffende Fahrzeug zu der angegebenen Zeit tatsächlich an der Einfahrt vor dem Werkstor stand, ergibt sich daraus nicht.

Ohne ausschlaggebende Bedeutung ist auch der Vortrag der Klägerin, es sei die einzige Rettungszufahrt zum Betrieb blockiert worden. Es ist nicht ersichtlich, dass im Falle eines Rettungseinsatzes die Streikenden eine Öffnung des Tores blockiert hätten. Auch hat die Klägerin nicht im Einzelnen dargelegt, dass sich aufgrund des Verhaltens der Streikenden ein derartiger Rückstau von LKWs vor dem Betriebsgelände gebildet hätte, dass die Zufahrt eines Rettungsfahrzeugs zu einer erheblichen zeitlichen Verzögerung geführt hätte. Zwar hat die Klägerin einen Vorfall am 17.10.2017 geschildert, dabei aber nicht darlegen können, dass seitens der Beklagten Streikaktionen stattgefunden hätten, die auch nur ansatzweise eine solche Wirkung gezeigt haben, wie dieser angeführte Vorfall.

Nach alledem war die Klage abzuweisen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die unterlegene Klägerin (§§ 46 Abs. 2 Arbeitsgerichtsgesetz, 91 Abs. 1 ZPO). Der Wert des Streitgegenstandes ist nach § 61 Abs. 1 ArbGG auf den 5 fachen Hilfswert festgesetzt worden.

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