Kündigung wegen Kurzerkrankungen unwirksam – Gericht urteilt für Arbeitnehmer
Das Landesarbeitsgericht Hamm entschied, dass die Kündigung eines Arbeitnehmers aufgrund häufiger Kurzerkrankungen nicht wirksam war, da keine negative Gesundheitsprognose vorlag und das Arbeitsverhältnis somit nicht aufgelöst wurde. Der Fall betrifft die Überprüfung einer ordentlichen Kündigung, die auf wiederholten Kurzerkrankungen des Klägers basierte, wobei dieser im Verfahrensjahr signifikant weniger Fehltage aufwies.
Übersicht:
- Kündigung wegen Kurzerkrankungen unwirksam – Gericht urteilt für Arbeitnehmer
- ➜ Der Fall im Detail
- ✔ Häufige Fragen – FAQ
- Welche Voraussetzungen müssen für eine wirksame Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen vorliegen?
- Wie wird die gesundheitliche Prognose im Kontext von Kündigungen bewertet?
- Welche Rolle spielt der Betriebsrat bei einer Kündigung wegen Krankheit?
- Was sind die Folgen einer unrechtmäßigen Kündigung für den Arbeitgeber?
- § Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils
- Das vorliegende Urteil
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✔ Das Wichtigste in Kürze
- Der Arbeitnehmer wurde aufgrund wiederholter Kurzerkrankungen gekündigt, widersprach jedoch der Kündigung, da sich seine Gesundheit verbessert hatte.
- Trotz früherer zahlreicher Fehltage zeigte das Jahr vor der Kündigung eine deutliche Reduzierung der Krankheitstage.
- Der Kläger argumentierte, dass keine negative Gesundheitsprognose vorliegt und seine Arbeitsfähigkeit im entscheidenden Jahr belegt ist.
- Das Arbeitsgericht wies die Klage zunächst ab, weil es von einer weiterhin negativen Gesundheitsprognose ausging.
- Das Landesarbeitsgericht hob jedoch dieses Urteil auf und stellte fest, dass die Kündigung ungültig ist, da keine ausreichenden Beweise für eine anhaltend negative Gesundheitsprognose vorlagen.
- Es wurde auch erwogen, dass keine erheblichen betrieblichen Beeinträchtigungen durch die Fehlzeiten nachgewiesen wurden.
- Der Betriebsrat wurde vor der Kündigung angehört, gab jedoch keine Stellungnahme ab.
- Die Berufungskammer forderte medizinische Auskünfte ein, die die verbesserte Gesundheit des Klägers unterstützten.
- Der Kläger hatte die behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbunden, um seine Argumentation zu stärken.
- Das Gericht berücksichtigte schließlich auch persönliche Umstände des Klägers wie sein Alter und familiäre Verpflichtungen.
Häufige Kurzerkrankungen von Mitarbeitern – ein heikles Thema
Krankheitsbedingte Fehlzeiten von Arbeitnehmern stellen Unternehmen regelmäßig vor Herausforderungen. Gerade bei wiederholten Kurzerkrankungen müssen Arbeitgeber eine Vielzahl rechtlicher Aspekte berücksichtigen. Denn einerseits haben sie ein Interesse an einer verlässlichen und reibungslosen Arbeitsleistung. Andererseits genießen Arbeitnehmer weitreichenden Kündigungsschutz, insbesondere bei krankheitsbedingten Fehlzeiten.
Die Frage, wann häufige Kurzerkrankungen eine verhaltensbegründete Kündigung rechtfertigen, ist komplex. Es bedarf einer sorgfältigen Bewertung der konkreten Umstände des Einzelfalls. Nur wenn gewisse Voraussetzungen erfüllt sind, liegt eine Störung des Arbeitsverhältnisses vor, die eine Kündigung erlaubt.
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➜ Der Fall im Detail
Streit um Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen
Der Fall dreht sich um die Wirksamkeit einer Kündigung, die einem langjährigen Mitarbeiter eines Unternehmens aufgrund wiederholter Kurzerkrankungen ausgesprochen wurde.
Der Kläger, seit 1996 als Maschinenbediener tätig, hatte in den Jahren 2007 bis 2011 erhebliche Fehlzeiten aufgrund von Gesundheitsproblemen, die jedoch im Jahr 2012 signifikant abnahmen. Trotz dieser Verbesserung kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis fristgerecht zum 30. November 2012, woraufhin der Kläger rechtliche Schritte einleitete. Er argumentierte, dass seine gesundheitliche Prognose positiv sei und die früheren Krankheitszeiten durch die Implantation eines Netzes zur Behebung eines Leistenbruchs entscheidend verbessert wurden.
Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm
Das Landesarbeitsgericht Hamm entschied zugunsten des Klägers und hob das vorherige Urteil des Arbeitsgerichts Detmold auf. Es wurde festgestellt, dass die Kündigung rechtlich nicht haltbar sei, da keine negativen gesundheitlichen Prognosen mehr vorlagen und die Kündigung damit nicht gerechtfertigt war. Diese Entscheidung stellt einen wichtigen Aspekt im Arbeitsrecht dar, da sie die Anforderungen an die Beweisführung bei krankheitsbedingten Kündigungen verdeutlicht. Das Gericht wies auch darauf hin, dass der Kläger im Jahr der Kündigung eine normale Fehlzeitquote aufwies, die nicht auf eine weiterhin schlechte Gesundheitsprognose schließen ließ.
Juristische Bewertung der Fehlzeiten und Gesundheitsprognose
In der Urteilsbegründung wurden die umfangreichen krankheitsbedingten Fehlzeiten des Klägers in den Vorjahren sowie die deutliche Verbesserung im Jahr 2012 hervorgehoben. Das Gericht betrachtete diese Verbesserung als ausreichenden Beleg dafür, dass keine weiteren erheblichen Fehlzeiten zu erwarten seien. Die Kündigung basierte maßgeblich auf der Annahme, dass der Kläger auch zukünftig erhebliche Fehlzeiten verursachen würde, eine Annahme, die das Gericht mit Verweis auf die aktuelle Gesundheitsentwicklung und die medizinischen Auskünfte als unbegründet sah.
Rolle des Betriebsrats und interne Unternehmensprozesse
Interessant ist auch die Rolle des Betriebsrats im Vorfeld der Kündigung. Trotz Anhörung gab der Betriebsrat keine Stellungnahme zu der geplanten Kündigung ab, was das Verfahren zusätzlich komplizierte. Die interne Kommunikation und die Prozesse im Unternehmen wurden kritisch beleuchtet, insbesondere die Art und Weise, wie Entscheidungen über die Kündigung vorbereitet und kommuniziert wurden.
Zukünftige Bedeutung dieses Urteils für ähnliche Fälle
Dieses Urteil könnte für zukünftige Fälle ähnlicher Natur als Referenz dienen, insbesondere im Hinblick darauf, wie Arbeitgeber und Gerichte mit der Thematik umgehen, dass verbesserte Gesundheitszustände von Arbeitnehmern deren Risiko für zukünftige Fehlzeiten signifikant verändern können. Es verdeutlicht die Notwendigkeit einer sorgfältigen Prüfung der individuellen Umstände und der medizinischen Fakten, bevor eine Entscheidung über eine krankheitsbedingte Kündigung getroffen wird.
✔ Häufige Fragen – FAQ
Welche Voraussetzungen müssen für eine wirksame Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen vorliegen?
Für eine wirksame Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen müssen nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein:
- Es muss eine negative Gesundheitsprognose vorliegen. Das bedeutet, aufgrund der bisherigen Krankheitszeiten muss davon ausgegangen werden, dass der Arbeitnehmer auch zukünftig in erheblichem Umfang ausfallen wird. Indizien dafür sind Fehlzeiten von mehr als sechs Wochen pro Jahr über einen Zeitraum von zwei bis drei Jahren. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Krankheiten ausgeheilt sind oder auf unterschiedlichen Ursachen beruhen.
- Durch die zu erwartenden Fehlzeiten müssen die betrieblichen oder wirtschaftlichen Interessen des Arbeitgebers erheblich beeinträchtigt werden. Dies ist der Fall, wenn die Entgeltfortzahlungskosten für den Arbeitgeber unzumutbar hoch sind oder der Betriebsablauf gestört wird.
- Im Rahmen einer umfassenden Interessenabwägung müssen die Interessen des Arbeitgebers an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses die Interessen des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand überwiegen. Dabei sind insbesondere Dauer der Betriebszugehörigkeit, Alter, Unterhaltspflichten und Schwerbehinderung des Arbeitnehmers sowie die Möglichkeit einer anderweitigen Beschäftigung zu berücksichtigen.
Nur wenn alle drei Voraussetzungen erfüllt sind, ist eine krankheitsbedingte Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen sozial gerechtfertigt und damit wirksam. Fehlt es auch nur an einer Voraussetzung, ist die Kündigung unwirksam und der Arbeitnehmer kann dagegen mit einer Kündigungsschutzklage vorgehen. Der Arbeitgeber trägt für das Vorliegen der Kündigungsvoraussetzungen die Darlegungs- und Beweislast.
Wie wird die gesundheitliche Prognose im Kontext von Kündigungen bewertet?
Für die Wirksamkeit einer krankheitsbedingten Kündigung ist eine negative Gesundheitsprognose eine zentrale Voraussetzung. Diese fällt negativ aus, wenn zum Zeitpunkt der Kündigung objektive Tatsachen vorliegen, aufgrund derer damit zu rechnen ist, dass der Arbeitnehmer auch zukünftig krankheitsbedingt häufig oder lange ausfallen wird.
Indizien für eine negative Prognose können insbesondere die bisherigen krankheitsbedingten Fehlzeiten des Arbeitnehmers sein. Dabei gibt es aber keine starren Grenzwerte. Grundsätzlich ist ein Arbeitnehmer noch auf der sicheren Seite, wenn seine Fehltage pro Jahr insgesamt nicht mehr als 6 Wochen betragen. Liegen die Fehlzeiten über einen Zeitraum von 2-3 Jahren jedoch bei mehr als 30 Arbeitstagen pro Jahr, kann dies für eine negative Prognose ausreichen. Relevant sind dabei neben der Häufigkeit auch die Regelmäßigkeit und die Tendenz der Erkrankungen.
Allerdings führen auch lang andauernde Erkrankungen in der Vergangenheit nicht zwangsläufig zu einer negativen Prognose, wenn der Arbeitnehmer z.B. eine erfolgreiche Behandlung oder Reha-Maßnahme abgeschlossen hat. Auch Fehlzeiten aufgrund einmaliger Ereignisse oder ausgeheilter Leiden lassen keine Rückschlüsse auf die zukünftige Entwicklung zu.
Der Arbeitnehmer kann die Indizwirkung bisheriger Fehlzeiten erschüttern, indem er darlegt, dass seine behandelnden Ärzte die künftige gesundheitliche Entwicklung positiv beurteilen. Dazu muss er die Ärzte in der Regel von der Schweigepflicht entbinden. Gelingt ihm dies, muss der Arbeitgeber den vollen Beweis für die negative Prognose erbringen, wozu oft Ärzte vernommen oder Gutachten eingeholt werden.
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Prognose ist stets der Zugang der Kündigung. Spätere Entwicklungen bleiben unberücksichtigt. Steht zu diesem Zeitpunkt fest, dass der Arbeitnehmer dauerhaft arbeitsunfähig ist, liegt die negative Prognose vor. Ist die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit dagegen nur ungewiss, reicht dies für eine Kündigung nur aus, wenn in den nächsten 24 Monaten nicht mit einer Genesung zu rechnen ist.
Welche Rolle spielt der Betriebsrat bei einer Kündigung wegen Krankheit?
Der Betriebsrat spielt bei krankheitsbedingten Kündigungen eine wichtige Rolle, auch wenn er die Kündigung nicht verhindern kann:
Der Arbeitgeber muss den Betriebsrat vor jeder Kündigung anhören, also auch vor einer krankheitsbedingten Kündigung. Dabei muss er dem Betriebsrat die Gründe für die beabsichtigte Kündigung mitteilen. Bei einer krankheitsbedingten Kündigung gehören dazu insbesondere die bisherigen Fehlzeiten des Arbeitnehmers und eine Prognose über künftig zu erwartende Ausfälle. Unterlässt der Arbeitgeber die ordnungsgemäße Anhörung, ist die Kündigung unwirksam.
Der Betriebsrat kann auf die beabsichtigte Kündigung mit Zustimmung, Bedenken, Widerspruch oder Schweigen reagieren. Äußert er innerhalb einer Woche keine Bedenken, gilt seine Zustimmung als erteilt. Bei Bedenken muss er diese gegenüber dem Arbeitgeber unter Angabe von Gründen schriftlich darlegen.
Widerspricht der Betriebsrat der Kündigung, verbessert dies die Position des Arbeitnehmers erheblich. Zwar wird die Kündigung dadurch nicht automatisch unwirksam. Der Arbeitnehmer hat dann aber einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung zu unveränderten Bedingungen bis zum rechtskräftigen Abschluss eines Kündigungsschutzprozesses. Zudem muss der Arbeitgeber dem Kündigungsschreiben die Stellungnahme des Betriebsrats beifügen.
Klagt der Arbeitnehmer gegen die Kündigung, darf sich der Arbeitgeber vor Gericht nur auf die Gründe berufen, die er dem Betriebsrat in der Anhörung mitgeteilt hat. Der Betriebsrat kann den Arbeitnehmer im Kündigungsschutzprozess beraten und unterstützen, die Klage muss der Arbeitnehmer aber selbst erheben.
Bei Kündigungen von Betriebsratsmitgliedern selbst gelten Sonderregeln. Ordentliche Kündigungen sind nur in engen Ausnahmefällen wie einer Betriebsstilllegung möglich. Außerordentliche Kündigungen von Betriebsratsmitgliedern setzen die Zustimmung des Betriebsrats oder deren gerichtliche Ersetzung voraus.
Was sind die Folgen einer unrechtmäßigen Kündigung für den Arbeitgeber?
Wenn ein Arbeitsgericht eine Kündigung für unwirksam erklärt, kann dies für den Arbeitgeber erhebliche rechtliche und finanzielle Folgen haben:
- Weiterbeschäftigungspflicht: Der Arbeitgeber muss den Arbeitnehmer grundsätzlich zu den bisherigen Bedingungen weiterbeschäftigen, als hätte es die Kündigung nie gegeben. Das Arbeitsverhältnis besteht unverändert fort.
- Lohnnachzahlung: Für die Zeit zwischen dem unwirksamen Kündigungstermin und der rechtskräftigen Feststellung der Unwirksamkeit muss der Arbeitgeber in der Regel den Lohn nachzahlen, auch wenn der Arbeitnehmer in dieser Zeit nicht gearbeitet hat. Davon können Beträge wie Arbeitslosengeld abgezogen werden, die der Arbeitnehmer zwischenzeitlich erhalten hat.
- Prozesskosten: Verliert der Arbeitgeber den Kündigungsschutzprozess, muss er meist die Gerichts- und Anwaltskosten des Arbeitnehmers übernehmen. Diese können je nach Streitwert und Verfahrensdauer erheblich sein.
- Abfindung: Ist dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung nicht zumutbar, kann er in manchen Fällen die gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung beantragen. Die Abfindung beträgt meist zwischen einem halben und einem Bruttomonatsgehalt pro Beschäftigungsjahr.
- Schadensersatz: Hat der Arbeitgeber die Unwirksamkeit der Kündigung grob fahrlässig oder vorsätzlich herbeigeführt und dem Arbeitnehmer dadurch Schäden zugefügt, kann er zu Schadensersatz verpflichtet sein. Das kann z.B. Umzugs- oder höhere Pendelkosten des Arbeitnehmers umfassen.
- Rufschädigung: Eine unrechtmäßige und möglicherweise öffentlich gewordene Kündigung kann zudem dem Ruf und der Arbeitgebermarke des Unternehmens schaden. Das erschwert die Gewinnung von Fachkräften und Kunden.
Um diese Risiken zu minimieren, sollten Arbeitgeber eine beabsichtigte Kündigung immer sorgfältig prüfen und die formalen wie materiellen Wirksamkeitsvoraussetzungen penibel einhalten. Im Zweifelsfall empfiehlt sich eine vorherige anwaltliche Beratung. Alternativ kann eine einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Aufhebungsvertrag in Betracht gezogen werden.
§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils
§ 1 KSchG (Kündigungsschutzgesetz) – Sozial ungerechtfertigte Kündigungen
Regelt die Voraussetzungen, unter denen eine Kündigung als sozial ungerechtfertigt gilt. Im vorliegenden Fall wurde die Wirksamkeit der Kündigung im Hinblick auf ihre soziale Rechtfertigung, basierend auf der Gesundheitsprognose und den Fehlzeiten des Klägers, beurteilt.
§ 23 KSchG – Anwendungsbereich
Bestimmt, für welche Betriebe und Arbeitnehmer das KSchG gilt. In diesem Fall sind die Voraussetzungen für das Eingreifen des allgemeinen gesetzlichen Kündigungsschutzes erfüllt, was bedeutet, dass der Arbeitgeber beim Kündigen bestimmte Schutzvorschriften beachten muss.
§ 626 BGB – Außerordentliche Kündigung
Obwohl hier nicht direkt zitiert, ist diese Vorschrift relevant für Fälle, in denen eine ordentliche Kündigung wegen Krankheit erfolgt. Sie setzt einen wichtigen rechtlichen Rahmen für die Beurteilung, ob Krankheit als Grund für eine außerordentliche Kündigung ausreicht.
§ 3 EntgFG (Entgeltfortzahlungsgesetz) – Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall
Dieser Paragraph ist zentral, da im Fall die Entgeltfortzahlungen während der Krankheitstage eine wesentliche Rolle spielten. Er regelt die Pflichten des Arbeitgebers zur Fortzahlung des Gehalts im Krankheitsfall.
§ 102 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz) – Mitwirkung und Mitbestimmung des Betriebsrats bei Kündigungen
In dem vorliegenden Fall war die Anhörung des Betriebsrats vor der Kündigung ein Verfahrensschritt, der erwähnt wurde und wesentlich für die Gültigkeit der Kündigung ist.
§ 241 BGB – Nebenpflichten aus dem Schuldverhältnis
Obwohl nicht direkt angesprochen, betrifft dieser Paragraph die Pflichten im Rahmen des Arbeitsverhältnisses, wie die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers, die besonders bei krankheitsbedingten Kündigungen von Relevanz sein kann.
Das vorliegende Urteil
Landesarbeitsgericht Hamm (Westfalen) – Az.: 11 Sa 520/13 – Urteil vom 20.02.2014
Das Urteil des Arbeitsgerichts Detmold vom 06.03.2013 – 2 Ca 614/12 – wird abgeändert.
Es wird festgestellt, dass die arbeitgeberseitige Kündigung vom 30.05.2012 das Arbeitsverhältnis nicht zum 30.11.2012 und auch nicht zu einem anderen Zeitpunkt aufgelöst hat.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer wegen häufiger Kurzerkrankungen erklärten Kündigung vom 30.05.2012 zum 30.11.2012.
Der Kläger ist bei der Beklagten seit dem 21.06.1996 als Maschinenbediener beschäftigt. Das monatliche Bruttoeinkommen des Klägers beträgt EUR 2.600,00. Die Beklagte beschäftigt ca. 160 Arbeitnehmer. Bei der Beklagten ist ein Betriebsrat gebildet.
In dem Kalenderjahr 2007 war der Kläger an 43 Arbeitstagen arbeitsunfähig erkrankt, in dem Kalenderjahr 2008 war der Kläger ebenfalls an 43 Arbeitstagen arbeitsunfähig erkrankt, in dem Kalenderjahr 2009 war der Kläger an 42 Arbeitstagen arbeitsunfähig erkrankt, in dem Kalenderjahr 2010 war der Kläger an 32 Arbeitstagen arbeitsunfähig erkrankt, in dem Kalenderjahr 2011 war der Kläger an 49 Arbeitstagen arbeitsunfähig erkrankt und in dem Kalenderjahr 2012 war der Kläger an 10 Arbeitstagen arbeitsunfähig erkrankt. Es handelte sich jeweils um wiederholte Kurzerkrankungen. Wegen der genauen Lage der Arbeitsunfähigkeitszeiträume wird auf die Auflistung auf Bl. 39 – 48 GA Bezug genommen (Anlage B 2 zur Klageerwiderung vom 27.09.2012). Die Beklagte leistete in den Kalenderjahren 2007 bis 2011 für alle krankheitsbedingt versäumten Arbeitstage Entgeltfortzahlung.
Mit Schreiben vom 21.05.2012 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer gegenüber dem Kläger beabsichtigten Kündigung an (Bl. 49-51 GA). Der Betriebsrat gab keine Stellungnahme ab. Mit Schreiben vom 30.05.2012 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich und fristgemäß zum 30.11.2012. Gegen diese Kündigung wendet sich der Kläger mit seiner am 15.06.2012 vor dem Arbeitsgericht Detmold erhobenen Klage.
Der Kläger hat vorgetragen, es treffe zu, dass er in den Jahren 2007 bis 2011 erhebliche krankheitsbedingte Fehlzeiten gehabt habe. Im Kalenderjahr 2012 habe er jedoch nur an zehn Arbeitstagen krankheitsbedingt gefehlt. Dies sei eine Fehlzeitquote, die als normal und durchschnittlich zu bezeichnen sei. Eine negative Gesundheitsprognose sei nicht gegeben. Zu berücksichtigen sei, dass er bis zum Jahre 2010 pro Schicht zwischen 60 und 80 Säcken mit Material zum Befüllen der Maschinen anheben und zu den Maschinen habe tragen müssen. Erst im Kalenderjahr 2010 sei eine technische Lösung gefunden worden, die ein Befüllen der Maschinen mit den 25 – 40 kg schweren Säcken ohne Hebe- und Trageleistung der Arbeitnehmer ermöglicht habe. Er habe daher von 1996 bis 2012 pro Schicht 60 bis 80 Mal Materialsäcke angehoben und getragen, die immerhin 25 – 40 kg schwer gewesen seien. Aufgrund dessen habe er einen Leistenbruch erlitten, der hauptsächlich für die Arbeitsunfähigkeitszeiten verantwortlich sei. Im Kalenderjahr 2012 sei er nicht mehr so häufig arbeitsunfähig erkrankt, weil der Leistenbruch nunmehr ausgeheilt sei. Bereits im Kalenderjahr 2007 habe eine Leistenbruch-OP stattgefunden. Aber erst seit der Implantation eines Netzes in dem Kalenderjahr 2009 seien die Beschwerden an der rechten Leiste verschwunden. Der Kläger hat die ihn behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbunden, damit gegebenenfalls Auskünfte eingeholt werden könnten. Seines Erachtens sei jedoch die Indizwirkung, die durch die Fehlzeiten der Vorjahre hätten entstehen können, durch die geringen Fehlzeiten in dem Kalenderjahr 2012 aufgehoben. Zu berücksichtigen sei auch, dass es in dem Betrieb der Beklagten eine Personalreserve gebe. Mehrarbeit aufgrund der Fehlzeiten sei nicht erfolgt. Auch sei es nach seiner Kenntnis noch nie zu einem Abschalten von Maschinen gekommen. Die bisher entstandenen wirtschaftlichen Belastungen der Beklagten durch Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall seien in einer nicht ganz unerheblichen Größenordnung. Es sei jedoch auch in diesem Zusammenhang von entscheidender Bedeutung, in welchem Umfang in Zukunft Entgeltfortzahlungskosten zu erwarten seien. Die künftig zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten seien ganz geringfügig, denn der Leistenbruch, der hauptsächlich für die Arbeitsunfähigkeitszeiten verantwortlich gewesen sei, sei ausgeheilt. Die Krankenkasse und den Betriebsarzt werde er nicht von der Schweigepflicht befreien, da dies nicht notwendig sei. Ohnehin sei er nur verpflichtet, die behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden. Sodann trage die Beklagte die volle Beweislast.
Der Kläger hat beantragt festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die ordentliche Kündigung vom 30.05.2012 nicht zum 30.11.2012 aufgelöst worden ist.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat vorgetragen, sie habe das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger aus personenbedingten Gründen gekündigt. Grundlage für die Kündigung seien die häufigen Kurzerkrankungen des Klägers. In ihrem Unternehmen fielen keinerlei Abfüllungen von Material in Säcken von mehr als 25 kg an. Der Vortrag des Klägers zu dem Gewicht der von ihm zu transportierenden Säcke sei mit den tatsächlichen Verhältnissen nicht in Einklang zu bringen. Säcke würden grundsätzlich nicht getragen, sondern ohne Hebe- und Trageleistung der Arbeitnehmer zu den Maschinen transportiert. Es treffe nicht zu, dass es aufgrund der Arbeitsleistung des Klägers zu einem Leistenbruch gekommen sei.
Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 06.03.2013 abgewiesen. Die Kündigung vom 30.05.2012 sei sozial gerechtfertigt. Bei Zugang der Kündigung sei eine negative Gesundheitsprognose begründet gewesen. Die Beklagte habe sich zunächst zulässigerweise darauf beschränkt, die Indizwirkung der bisherigen Erkrankungen darzulegen. Der Vortrag des Klägers mit dem Hinweis auf die Implantation eines Netzes wegen des Leistenbruchs sei nicht geeignet, die Indizwirkung der bisherigen Fehlzeiten zu erschüttern. Der Kläger erkläre nicht, warum trotzdem in den Kalenderjahren 2010 und 2011 Arbeitsunfähigkeitszeiten über den Sechswochenzeitraum hinaus aufgetreten seien. Zwar habe der Kläger die ihn behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbunden. Er habe jedoch nicht vorgetragen, die ihn behandelnden Ärzte hätten die gesundheitliche Entwicklung positiv beurteilt. Aufgrund der negativen Gesundheitsprognose seien erhebliche betriebliche Beeinträchtigungen jedenfalls mit den zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten gegeben. Zwar sei der Kläger im Kalenderjahr 2012 nur an 10 Arbeitstagen arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Aufgrund der nahezu gleichbleibenden Anzahl der jährlichen Krankentage in jedem Kalenderjahr seit dem Kalenderjahr 2007 gehe die Kammer aber davon aus, dass es sich bei dem Kalenderjahr 2012 um eine Ausnahme handele, die möglicherweise auch durch den Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung beeinflusst gewesen sei. Die abschließende Interessenabwägung falle zugunsten der Beklagten aus.
Das Urteil ist dem Kläger am 25.03.2013 zugestellt worden. Der Kläger hat am 23.04.2013 Berufung eingelegt und die Berufung am 23.05.2013 begründet.
Der Kläger wendet ein, das Arbeitsgericht habe nicht zureichend gewürdigt, dass er im Jahr 2012 nur an 10 Arbeitstagen arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei. Bei der Interessenabwägung habe das Arbeitsgericht sein Alter von immerhin 50 Jahren und die Unterhaltspflichten für drei Kinder überhaupt nicht berücksichtigt. Das Arbeitsgericht habe verkannt, dass bei häufigen Kurzerkrankungen nach der Rechtsprechung des BAG eine unzumutbare Belastung vorliegen müsse. Erst Entgeltfortzahlungskosten, die den Sechswochenzeitraum um das Doppelte überschritten, seien außergewöhnlich hoch und könnten die weitere Beschäftigung des Arbeitnehmers unzumutbar machen (BAG 05.07.1990 EZA § 1 KSchG Nr. 32). Die von der Beklagten vorgetragenen Entgeltfortzahlungskosten lägen weit unterhalb der Zwölf-Wochen-Grenze. Auch die negative Gesundheitsprognose hätte das Arbeitsgericht nicht einfach unterstellen dürfen. Er habe mehrfach vorgetragen, dass der Leistenbruch ausgeheilt sei. Dem sei unschwer zu entnehmen, dass die behandelnden Ärzte die gesundheitliche Entwicklung positiv beurteilt hätten. Die Ausführungen des Arbeitsgerichts zu den geringen Krankheitszeiten im Jahr 2012 seien eine Unterstellung, die nicht durch Tatsachen gerechtfertigt sei, sondern an der Unparteilichkeit des Gerichts Zweifel aufkommen ließen. Rein vorsorglich werde nunmehr auch ausdrücklich die bereits durch Auslegung zu ermittelnde Behauptung wiederholt, dass die behandelnden von der Schweigepflicht entbundenen Ärzte die gesundheitliche Entwicklung des Klägers durchweg positiv beurteilt hätten. Die 10 Arbeitsunfähigkeitstage im Jahr 2012 entsprächen einem Durchschnittswert aller Arbeitnehmer. Das Jahr 2012 beseitige eine Indizwirkung der Vorjahre. Zudem sei er in dem gegenwärtigen Prozessrechtsarbeitsverhältnis im Jahr 2013 überhaupt noch nicht arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Auch die Krankenkasse C werde von der Schweigepflicht entbunden. Zu den im Berufungsverfahren eingeholten Auskünften der Krankenkasse und der behandelnden Ärzte trägt der Kläger vor, diese führten nicht zu der notwendigen negativen Gesundheitsprognose. Nur der Bericht der ehemaligen Hausärztin Dr. V könne für eine negative Gesundheitsprognose sprechen. Frau Dr. V habe ihn allerdings seit Jahren nicht mehr untersucht. Demgegenüber stelle der jetzige Hausarzt Dr. I fest, dass die Gefahr, dass die Erkrankungen wieder aufträten, als gering zu bewerten sei. Auch verbleibe es dabei, dass die Interessenabwägung zu seinen Gunsten ausfallen müsse.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Arbeitsgericht Detmold vom 06.03.2013 aufzuheben und festzustellen, dass die arbeitgeberseitige Kündigung vom 30.05.2012 das Arbeitsverhältnis nicht zum 30.11.2012 und auch nicht zu einem anderen Zeitpunkt aufgelöst hat.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts. Zutreffend habe das Arbeitsgericht eine negative Zukunftsprognose festgestellt. Die Indizwirkung der vergangenen Jahre beruhe auf einem Zeitraum von immerhin vier Jahren. Das Arbeitsgericht habe den Kläger ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht, dass weiterer Sachvortrag zu den Arbeitsunfähigkeitszeiten in den Jahren 2010 und 2011 erforderlich sei. Trotzdem habe der Kläger dazu in keiner Weise vorgetragen. Es fehle ein konkreter Sachvortrag des Klägers über eine positive Gesundheitsprognose seitens der behandelnden Ärzte. Der Hinweis auf eine Ausheilung des Leistenbruches führe nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung. Gerade auch nach Einbringung des Netzes in die Leiste seien weitere Arbeitsunfähigkeitszeiten des Klägers zu verzeichnen gewesen. Zu den Arbeitsunfähigkeitszeiten und wegen der Betriebsablaufstörungen könne auf den erstinstanzlichen Prozessvortrag verwiesen werden. Die vom Arbeitsgericht durchgeführte Interessenabwägung sei zutreffend. Auch die inzwischen eingeholten ärztlichen Auskünfte und die Auskunft der zuständigen Krankenkasse führten zu keiner anderen rechtlichen Beurteilung. Aus der Auskunft der Krankenkasse ergebe sich deutlich, dass es unterschiedliche Krankheitsdiagnosen gewesen seien, die zu den maßgeblichen Arbeitsunfähigkeitszeiten geführt hätten. Diese hätten keinerlei betriebliche Ursachen gehabt. Aus der Auskunft ergebe sich nicht, dass die von dem Kläger behauptete Operation und die Einbringung des Netzes in den Operationsbereich maßgeblich für die Häufigkeit der Arbeitsunfähigkeitszeiten gewesen seien. Auch aus den Arztberichten werde der Vortrag des Klägers nicht gestützt. Wegen der weiteren diesbezüglichen Ausführungen der Beklagten wird auf Seite 2 und 3 ihres Schriftsatzes vom 31.01.2014 verwiesen (Bl. 261, 262 GA).
Die Berufungskammer hat bei der Krankenkasse des Klägers eine Auskunft zu den Erkrankungen eingeholt und antragsgemäß die vom Kläger benannten Ärzte zu den aufgetretenen Erkrankungen und zur Gesundheitsprognose befragt. Auf die entsprechenden Auskünfte wird Bezug genommen:
– Gesamtauskunft Arbeitsunfähigkeitsfälle der C vom 08.10.2013, Bl. 167 – 171 GA
– Arztauskunft A, Bl. 173 GA
– Arztauskunft Dr. I, Bl. 176, 177 GA
– Arztauskunft Dr. S, Bl. 179 GA
– Arztauskunft Dr. V, Bl. 191, 192 GA
– Arztauskunft Dr. N, Bl. 195 – 205 GAGA
– Arztauskunft C1, Bl. 223 GA.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des Klägers ist statthaft und zulässig gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1, Abs. 2 c) ArbGG. Der Kläger hat die Berufung form- und fristgerecht entsprechend den Anforderungen der §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519, 520 ZPO eingelegt und begründet. Auf die Berufung des Klägers war das Urteil des Arbeitsgerichts abzuändern. Es war festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die angegriffene Kündigung vom 29.03.2010 aufgelöst worden ist.
I.
Die Kündigung vom 30.05.2012 ist nach § 1 Abs. 1, Abs. 2 KSchG unwirksam.
1. Die Kündigung ist an den Vorschriften des KSchG zu messen. Die Voraussetzungen der §§ 1 Abs.1, 23 Abs.1 KSchG für das Eingreifen des allgemeinen gesetzlichen Kündigungsschutzes sind unstrittig erfüllt. Das Arbeitsverhältnis der Parteien bestand im Zeitpunkt der Kündigung länger als 6 Monate. Die Beklagte beschäftigt regelmäßig (weit) mehr als zehn Arbeitnehmer. Der Kläger hat den allgemeinen gesetzlichen Kündigungsschutz mit seiner Klage vom 09.04.2010 fristgerecht und zulässig innerhalb der dreiwöchigen Klagefrist des § 4 KSchG gerichtlich geltend gemacht.
2. Die Kündigung ist entgegen der Entscheidung des Arbeitsgerichts nicht wegen häufiger Erkrankungen des Klägers gerechtfertigt. Die Voraussetzungen, die nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts an die soziale Rechtfertigung einer krankheitsbedingt ausgesprochenen Kündigung zu stellen sind, sind nicht erfüllt.
a) Die soziale Rechtfertigung einer Kündigung wegen wiederholter Erkrankungen ist nach der ständigen Rechtsprechung des BAG in drei Stufen zu prüfen (zu diesen Grundsätzen: BAG 08.11.2007 AP KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung Nr. 29; BAG 07.11.2002 AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 40; BAG 20.01.2000 AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 38 Krankheit; ErfK-Oetker, 14.Aufl. 2014, § 1 KSchG Rn. 138-151; APS-Dörner/Vossen, 4.Aufl. 2012, § 1 KSchG Rn. 138 ff; KR-Griebeling, 10.Aufl. 2013, § 1 KSchG Rn. 319 ff, insb. 325 ff).
aa) Die drei Prüfungsstufen sind:
(1) Zunächst ist eine negative Gesundheitsprognose erforderlich. Aufgrund bislang aufgetretener Krankheitszeiten muss davon auszugehen sein, dass der Arbeitnehmer auch zukünftig über erhebliche Zeiträume krankheitsbedingt ausfallen wird. Aus Häufigkeit und Dauer der Erkrankungen des Arbeitnehmers mit jeweils gleichartigen Krankheitsursachen in vorausgegangenen Jahren kann auf eine entsprechende Prognose für die Zukunft zu schließen sein. Das gilt nicht, wenn die Krankheiten nur einmalig aufgetreten oder ausgeheilt sind. Ebenfalls aus der Betrachtung auszunehmen sind Ausfallzeiten, die auf unfallbedingt eingetretene Gesundheitsbeeinträchtigungen zurückzuführen sind; auch diese sind nicht prognoserelevant. Als erheblich im Sinne einer negativen Gesundheitsprognose kommen wiederholte Fehlzeiten in Betracht, die jährlich den Sechswochenzeitraum für die Entgeltfortzahlung nach dem EFZG übersteigen.
(2) In der zweiten Stufe ist zu prüfen, ob die bisherigen und nach der Prognose zu erwartenden krankheitsbedingten Fehlzeiten die betrieblichen Interessen des Arbeitgebers erheblich beeinträchtigen. Erhebliche Beeinträchtigungen können dabei durch schwerwiegende Störungen im Produktionsprozess (Betriebsablaufstörungen) oder durch wirtschaftliche Belastungen hervorgerufen werden. Eine erhebliche wirtschaftliche Belastung des Arbeitgebers kann insbesondere auch in vergangenen und zukünftig zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten liegen, die vom Arbeitgeber jährlich jeweils für einen Zeitraum von mehr als 6 Wochen aufzuwenden sind.
(3) In der dritten Stufe, bei der Interessenabwägung, ist zu untersuchen, ob die erheblichen betrieblichen Beeinträchtigungen zu einer billigerweise nicht mehr hinzunehmenden Belastung des Arbeitgebers führen. Die Beeinträchtigung des Arbeitgebers ist dem Interesse des Arbeitnehmers am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses gegenüber zu stellen. Zu berücksichtigen ist einerseits das Ausmaß der Beeinträchtigung des Arbeitgebers, ob etwa nur Betriebsablaufstörungen oder ausschließlich hohe wirtschaftliche Belastungen zu erwarten sind oder ob aus beiden Gesichtspunkten Belastungen zu besorgen sind. Auf der Seite des Arbeitnehmers sind demgegenüber insbesondere die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Alter, der Familienstand und etwaige Unterhaltspflichten von Belang. Daneben kann es beispielsweise darauf ankommen, ob die Erkrankungen u.U. auf betriebliche Ursachen zurückzuführen sind.
bb) Bei der Prüfung der Belastung durch Entgeltfortzahlungskosten sind auf der zweiten und dritten Prüfungsstufe die nachfolgenden weiteren Grundsätze von Belang: Beschränkt sich die erhebliche Beeinträchtigung ganz oder im Wesentlichen auf den Gesichtspunkt der wirtschaftlichen Belastung mit Entgeltfortzahlungskosten, so setzt die soziale Rechtfertigung der krankheitsbedingten Kündigung außergewöhnlich hohe Entgeltfortzahlungskosten voraus, die den gesetzlichen Fortzahlungszeitraum des § 3 EFZG deutlich überschreiten (BAG 08.11.2007 AP KSchG 1969 § 1 Personenbedingte Gründe Nr. 29; BAG 05.07.1990 AP KSchG 1969 Krankheit Nr. 26). Zu unterscheiden ist zwischen der für den zweiten Prüfungsschritt erforderlichen aber auch ausreichenden Erheblichkeit einerseits und der für den dritten Prüfungsschritt in der Interessenabwägung erforderlichen Unzumutbarkeit der wirtschaftlichen Belastung mit Entgeltfortzahlungskosten andererseits. Sind jährliche Entgeltfortzahlungskosten von mehr als 6 Wochen zu prognostizieren, so liegt eine erhebliche wirtschaftliche Beeinträchtigung im Sinne der zweiten Prüfungsstufe vor. Auf der dritten Prüfungsstufe müssen dann nach der Rechtsprechung des BAG die Entgeltfortzahlungskosten außergewöhnlich bzw. extrem hoch sein, um die weitere Beschäftigung wegen der Belastung mit Entgeltfortzahlungskosten nicht hinnehmbar und damit das Auflösungsinteresse des Arbeitgebers überwiegend erscheinen zu lassen (BAG 15.07.1990 – 2 AZR 154/90 – AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 26 unter II 2 a BAG 13.06.1990 – 2 AZR 527/89 – unter III 1; ). So hat das Bundesarbeitsgericht das Interesse des Arbeitgebers an einer Aufkündigung des Arbeitsverhältnisses in einem Fall als vorrangig angesehen, in dem der dortige Kläger jährlich 45 entgeltfortzahlungspflichtige Arbeitstage zu erwarten hatte, erst knapp 25 Jahre alt war und im zweiten Beschäftigungsjahr stand (BAG 06.09.1989 AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr.21). In dem bereits zitierten Urteil vom 05.07.1990 hat das BAG ausgeführt, es sei revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn das Berufungsgericht den Sechs-Wochen-Zeitraum um das Doppelte überschreitende Lohnfortzahlungskosten im Rahmen der Interessenabwägung als außerordentlich hoch angesehen habe (BAG 05.07.1990 AP KSchG 1969 Krankheit Nr. 26). In einem weiteren Urteil vom 20.10.2000, bei dem der – schwerbehinderte – Arbeitnehmer in den letzten drei Kalenderjahren vor Ausspruch der Kündigung 66, 68 und 102 entgeltfortzahlungspflichtige Arbeitstage aufwies, hat das Bundesarbeitsgericht die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts für eine Wirksamkeit der Kündigung aufgehoben und den Rechtsstreit zur abschließenden Entscheidung über die Interessenabwägung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen (BAG 20.01.2000 AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 38). In einem Urteil aus dem Jahr 2002 hat das Bundesarbeitsgericht außergewöhnliche, besonders hohe Belastungen und eine soziale Rechtfertigung der krankheitsbedingten Kündigung in einem Fall bejaht, in dem der Arbeitnehmer über einen Zeitraum von 3 Jahren und knapp 10 Monaten mehr als 60 Wochen Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall erhalten hatte (BAG 07.11.2002 -2 AZR 493/01-). Bram vertritt die Auffassung, zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen zum EFZG seien zu erwartende Entgeltfortzahlungskosten, die den Sechs-Wochen-Zeitraum nicht um mindestens 50% überstiegen, nicht außergewöhnlich hoch und damit nicht erheblich (BBDK-Bram, Kommentar zum KSchG, Stand: April 2010, § 1 KSchG Rn.133). Andere Autoren lehnen es ab, generell auf eine bestimmte Quote von beispielsweise jährlich 15% oder 25% der jährlichen Arbeitstage oder eine Entgeltfortzahlungsquote von 25% über dem Sechswochenzeitraum als Grenze für die Belastbarkeit des Arbeitgebers abzustellen (APS-Dörner, 4.Aufl. 2012, § 1 KSchG Rn. 170; KR-Griebeling, 10.Aufl. 2013, § 1 KSchG Rn.342, 347; v. Hoyningen-Huene-Krause, KSchG, 15.Aufl. 2013, § 1 KSchG Rn. 410,411; Stahlhacke-Preis, 10.Aufl. 2010, Rn.1254-1256).
b) Den unter 1. dargestellten Anforderungen genügt die zu überprüfende Kündigung nicht. Die zu prognostizierenden zukünftigen Beeinträchtigungen der Beklagten sind nicht so erheblich, dass die Beklagte zur Kündigung berechtigt wäre. Die Interessenabwägung auf der dritten Prüfungsstufe fällt zugunsten des Klägers aus.
aa) Die Kammer geht von einer negativen Zukunftsprognose im Sinne der ersten Prüfungsstufe aus. Allerdings ergibt sich auf der Grundlage der nach den Auskünften der Krankenkasse und der Ärzte bisher aufgetretenen Erkrankungen eine negative Gesundheitsprognose nur in einem Umfang von etwa mehr als 30 krankheitsbedingten Ausfalltagen pro Kalenderjahr. Zwar versäumte der Kläger nach der unbestritten gebliebenen Aufstellung der Beklagten zwischen 01.01.2007 und dem 30.05.2012 insgesamt 219 Arbeitstage krankheitsbedingt und damit durchschnittlich 40,5 Arbeitstage pro Kalenderjahr (43+43+42+32+49+10). Aus diesen Werten sind jedoch die verletzungsbedingten Ausfallzeiten als nicht prognoserelevant herauszurechnen (s.o. / sowie bspw. BAG 14.01.1993 – 2 AZR 343/92 – NZA 1994, 309). Es verbleiben dann zwischen dem 01.01.2007 und Mai 2012 noch 186 krankheitsbedingt versäumte Arbeitstage (ohne die Ausfallzeiten wegen Verletzungen bzw. Prellungen vom 15.-17.08 u. 04.-06.12.2007, 01.-12.09.2008, 24.-29.07.2009, 24.-26.01.2011, 19.-30.03.2012 [37+33+38+32+46+0=186]). Daraus resultiert für den Zeitraum von 2007 bis zum Ausspruch der Kündigung am 30.05.2012 ein zu prognostizierender jährlicher Durchschnittswert von 34,34 krankheitsbedingt ausgefallenen Arbeitstagen. Bei dieser Betrachtung hat die Kammer zugunsten der Beklagten die Fehlzeiten im Zusammenhang mit den beiden Leistenbruchoperationen zum Jahreswechsel 2007/2008 und aus Februar 2009 in der Berechnung der prognoserelevanten Fehlzeiten belassen, auch wenn dies zweifelhaft erscheinen könnte, nachdem seit der Operation vom Februar 2009 bis zum Ausspruch der Kündigung am 30.05.2012 über gut drei Jahre keine erneuten Ausfallzeiten wegen einer Leistenerkrankung zu verzeichnen waren. Einer abschließenden Feststellung bedurfte es insoweit nicht, weil sich die Kündigung auch unter Einbeziehung dieser Tage in die Prognose auf der dritten Prüfungsstufe als ungerechtfertigt erweist.
bb) Bei Einbeziehung der Leistenerkrankungen sind auch die Anforderungen der zweiten Prüfungsstufe erfüllt.
(1) Auch der – reduzierte – Prognosewert von 34,34 entgeltfortzahlungspflichtigen krankheitsbedingten Ausfalltagen genügt den Anforderungen der zweiten Prüfungsstufe. Die zu besorgenden wirtschaftlichen Beeinträchtigungen durch zukünftige Entgeltfortzahlungskosten liegen auch dann oberhalb der Erheblichkeitsgrenze einer sechswöchigen Entgeltfortzahlung. Dies gilt auch dann, wenn man den Referenzzeitraum nicht ab dem Jahr 2007 fasst, sondern allein die Zeiten ab 2008, ab 2009 oder ab 2010 betrachtet.
(2) Davon abgesehen ist allerdings festzuhalten, dass die Beklagte in der Vergangenheit eingetretene und zukünftig zu besorgende Betriebsablaufstörungen nicht in einer für die soziale Rechtfertigung einer Kündigung zureichenden Weise aufgezeigt hat. Schwerwiegende Störungen im betrieblichen Ablauf sind nur dann als Kündigungsgrund geeignet, wenn sie nicht durch mögliche Überbrückungsmaßnahmen vermieden werden können. Können und werden Ausfallzeiten durch den Einsatz eines Arbeitnehmers aus einer vorhandenen Personalreserve oder durch Neueinstellung einer Aushilfskraft überbrückt, so liegt bereits objektiv keine Betriebsablaufstörung und damit insoweit kein zur sozialen Rechtfertigung geeigneter Grund vor (BAG 02.11.1989 – 2 AZR 23/89 – unter B.I. 2.a). Ist eine Betriebsablaufstörung mit den geschilderten Mitteln nicht zu vermeiden, so gehört zum Kündigungsgrund, dass die verursachte Störung erheblich ist (BAG aaO unter B.I.2.a ). Im Kündigungsschutzprozess hat der Arbeitgeber im einzelnen substantiiert aufzuzeigen, dass gerade der Ausfall des gekündigten Arbeitnehmers nicht oder nur in unwesentlichem Umfang in der geschilderten Art überbrückt werden konnte. Dies ist jeweils bezogen auf die einzelnen Ausfallzeiten des gekündigten Arbeitnehmers darzulegen (BAG aaO unter B.III; APS-Dörner, 4 .Aufl. 2012, § 1 KSchG Rn. 156). Hier hat die Beklagte nicht aufgezeigt, zu welchen tatsächlichen Beeinträchtigungen im betrieblichen Ablauf es bezogen auf die einzelnen Krankheitszeiten des Klägers jeweils gekommen ist. Konkret eingetretene Störungen wie Maschinenstillstände, Produktionsausfälle, Materialverluste o.ä. hat die Beklagte für die einzelnen Krankheitsperioden nicht dargelegt.
cc) Die Interessenabwägung der dritten Prüfungsstufe fällt zugunsten des Klägers aus. Angesichts des langjährigen Bestandes des Arbeitsverhältnisses seit mehr als 15 Jahren, angesichts des vorgerückten Lebensalters des Klägers und seiner sonstigen sozialen Situation genügen die auf der dargestellten Grundlage zu prognostizierenden zukünftigen Belastungen nicht den Anforderungen der Rechtsprechung. Die zu prognostizierenden Entgeltfortzahlungskosten liegen nur um wenige Tage über dem Sechswochenzeitraum des EFZG. Sie sind nicht außergewöhnlich hoch im Sinne der oben dargestellten Rechtsprechung. Das gilt auch, wenn man berücksichtigt, dass das Arbeitsverhältnis nicht nur in den letzten zwei oder drei Jahren sondern bereits seit 2007 mit überdurchschnittlichen Krankheitszeiten belastet ist.
II.
Die unterlegene Beklagte hat gemäß § 91 Abs. 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Die Revision zum Bundesarbeitsgericht war nicht zuzulassen. Die Rechtssache hat keine über den entschiedenen Einzelfall hinausgehende grundsätzliche Bedeutung i.S.v. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG. Das Urteil der Kammer weicht nicht von einer Entscheidung der in § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG genannten Gerichte ab.