Übersicht:
- Das Wichtigste: Kurz & knapp
- BAG-Urteil: Gesetzlicher Mindesturlaub bleibt auch im Gerichtsvergleich tabu
- Der Paukenschlag aus Erfurt: Mindesturlaub ist unverkäuflich – auch nicht vor Gericht!
- Ein Betriebsleiter, eine Krankheit und ein folgenreicher Vergleich: Der Fall des Herrn K.
- Das Gesetz als Schutzschild: Warum das BAG den Urlaubsverzicht kippte
- Die Argumente des Arbeitgebers auf dem Prüfstand – und warum sie nicht zogen
- Was dieses Urteil für Ihren Arbeitsalltag und Ihre Rechte bedeutet
- Nach dem Urteil ist vor der Praxis: So gehen Sie mit Urlaubsansprüchen richtig um
- Häufig gestellte Fragen zum Thema Unverzichtbarkeit des Mindesturlaubs im gerichtlichen Vergleich
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Was ist die wichtigste Botschaft dieses BAG-Urteils für mich als Arbeitnehmer?
- Ich stehe kurz davor, einen Aufhebungsvertrag oder gerichtlichen Vergleich zu unterschreiben. Was muss ich bezüglich meines Resturlaubs nach diesem Urteil besonders beachten?
- Mein Arbeitgeber bietet mir eine hohe Abfindung an, wenn ich im Gegenzug auf alle Ansprüche verzichte, auch auf meinen Resturlaub. Ist das nach dem Urteil noch möglich?
- Gilt diese strenge Regelung nur für den gesetzlichen Mindesturlaub oder auch für meinen zusätzlichen, vertraglich vereinbarten Urlaub?
- Im Artikel steht, der Arbeitgeber konnte sich nicht auf „Treu und Glauben“ berufen, als Herr K. trotz des Vergleichs seine Urlaubsabgeltung forderte. Was bedeutet das praktisch für mich, wenn ich einem Vergleich mit einer ungültigen Urlaubsklausel zugestimmt habe?
- Mindesturlaub: Selbst im Gerichtssaal unverhandelbar

Das Wichtigste: Kurz & knapp
- Das BAG-Urteil (Az. 9 AZR 104/24) hat entschieden, dass der gesetzliche Mindesturlaub nicht im gerichtlichen Vergleich abbedungen oder ausgeschlossen werden kann.
- Dieser Anspruch ist ein unveräußerliches Grundrecht (§ 13 Abs. 1 S. 3 BUrlG), das dem Arbeitnehmerschutz dient und europarechtlich geschützt ist.
- Dies gilt auch, wenn der Arbeitnehmer den Urlaub krankheitsbedingt nicht nehmen konnte und das Arbeitsverhältnis beendet wird.
- Klauseln in Vergleichen oder Aufhebungsverträgen, die einen Verzicht auf gesetzlichen Mindesturlaub vorsehen, sind nichtig und unwirksam.
- Arbeitnehmer behalten ihren Anspruch auf finanzielle Abgeltung des nicht genommenen Mindesturlaubs bei Vertragsende.
- Das Urteil betrifft ausschließlich den gesetzlichen Mindesturlaub; Arbeitgeber sollten diesen explizit abgelten, um Nachforderungen zu vermeiden.
BAG-Urteil: Gesetzlicher Mindesturlaub bleibt auch im Gerichtsvergleich tabu
Herr K. hatte es nicht leicht. Seit dem 1. Januar 2019 war er als Betriebsleiter für sein Unternehmen tätig, doch das Jahr 2023 begann für ihn mit einer Hiobsbotschaft: eine langwierige Krankheit fesselte ihn ans Krankenbett. Von Jahresbeginn an war er durchgehend arbeitsunfähig und konnte keinen einzigen Tag seines Jahresurlaubs nehmen.
Mitten in dieser gesundheitlich angespannten Phase stand auch noch die berufliche Zukunft auf dem Spiel. Am 31. März 2023 einigten sich Herr K. und sein Arbeitgeber vor Gericht auf einen Vergleich: Das Arbeitsverhältnis sollte zum 30. April 2023 enden, und Herr K. eine Abfindung von 10.000,00 Euro erhalten. Ein scheinbar sauberer Schnitt. Doch eine kleine Klausel im Vergleich, Ziffer 7, sollte noch für erheblichen Streit sorgen.
Dort stand: „Urlaubsansprüche sind in natura gewährt.“ Das klang eindeutig, widersprach aber der Tatsache, dass Herr K. 2023 gar keinen Urlaub hatte nehmen können. Seine Anwältin hatte zwar Bedenken geäußert, dass man auf gesetzlichen Mindesturlaub nicht verzichten könne, dem Vergleich dann aber doch zugestimmt. Herr K. sah das anders und forderte nach seinem Ausscheiden die Abgeltung für sieben Tage Mindesturlaub aus 2023, immerhin 1.615,11 Euro plus Zinsen. Die Kernfrage, die bald die höchsten deutschen Arbeitsrichter beschäftigen sollte: Kann ein Arbeitnehmer im Rahmen eines gerichtlichen Vergleichs wirksam auf seinen gesetzlichen Mindesturlaub verzichten, wenn er ihn krankheitsbedingt ohnehin nicht nehmen konnte?
Der Paukenschlag aus Erfurt: Mindesturlaub ist unverkäuflich – auch nicht vor Gericht!
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt hat mit seiner Entscheidung vom 3. Juni 2025 (Az. 9 AZR 104/24) eine für Arbeitnehmer und Arbeitgeber gleichermaßen bedeutsame Klarstellung getroffen:
Der gesetzliche Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub ist so fundamental, dass er auch nicht durch einen gerichtlichen Vergleich während eines bestehenden Arbeitsverhältnisses „wegverhandelt“ werden kann.
Selbst wenn beide Parteien zustimmen und ein Richter den Vergleich protokolliert – der Mindesturlaub bleibt geschützt. Diese Entscheidung stärkt den Arbeitnehmerschutz erheblich und setzt klare Grenzen für die Vertragsfreiheit bei Beendigungsverhandlungen. Für Sie als Arbeitnehmer bedeutet das eine wichtige Sicherheit: Ihr Recht auf Erholung oder dessen finanzielle Abgeltung bei Vertragsende kann Ihnen nicht einfach entzogen werden.
Stellen Sie sich den Mindesturlaub wie eine Art gesetzlich vorgeschriebene Sicherheitsausrüstung vor, beispielsweise den Airbag in Ihrem Auto. Sie können nicht einfach per Vertrag mit dem Autohändler darauf verzichten, weil er Ihnen dafür einen Rabatt anbietet. Genauso verhält es sich mit dem Mindesturlaub: Er dient Ihrer Gesundheit und Erholung und ist daher nicht frei verhandelbar, solange Sie im Job sind.
Ein Betriebsleiter, eine Krankheit und ein folgenreicher Vergleich: Der Fall des Herrn K.
Um die Tragweite des BAG-Urteils wirklich zu verstehen, lohnt ein genauer Blick auf den Fall, der dieser Grundsatzentscheidung vorausging. Er zeigt exemplarisch, wie schnell eine vermeintlich klare Regelung in einem Vergleich zu rechtlichen Fallstricken führen kann.
Die Ausgangslage: Krankheit trifft auf Vertragsende
Herr K. war, wie eingangs geschildert, seit Anfang 2023 bis zur Beendigung seines Arbeitsverhältnisses am 30. April 2023 ununterbrochen krankgeschrieben. Es war ihm faktisch unmöglich, seinen für das Jahr 2023 zustehenden Urlaub anzutreten. Diese Situation ist vielen Arbeitnehmern leidlich bekannt: Eine längere Krankheit wirft nicht nur private Pläne über den Haufen, sondern kann auch komplizierte arbeitsrechtliche Fragen aufwerfen, besonders wenn das Arbeitsverhältnis endet. Für Herrn K. war klar: Die sieben Tage Mindesturlaub für die ersten vier Monate des Jahres 2023 standen ihm rechnerisch zu. Da er sie nicht nehmen konnte, ging er von einer finanziellen Abgeltung aus.
Der strittige Satz im Vergleich: „Urlaubsansprüche sind in natura gewährt“
Der am 31. März 2023 geschlossene gerichtliche Vergleich sollte eigentlich alle Streitigkeiten zwischen Herrn K. und seinem Arbeitgeber beilegen. Neben der Beendigung des Arbeitsverhältnisses und der Abfindungszahlung enthielt er jedoch in Ziffer 7 die Formulierung: „Urlaubsansprüche sind in natura gewährt.“ Auf dem Papier schien damit das Thema Urlaub erledigt.
Doch diese Formulierung war faktisch falsch, denn Herr K. hatte ja keinen Urlaub erhalten können. Seine Prozessbevollmächtigte hatte vor dem Vergleichsabschluss sogar explizit darauf hingewiesen, dass ein Verzicht auf den gesetzlichen Mindesturlaub rechtlich nicht haltbar sei. Trotz dieser geäußerten Bedenken stimmte sie dem Vergleich im Namen von Herrn K. zu. Ein Vorgehen, das später noch eine Rolle spielen sollte. Für Herrn K. bedeutete diese Klausel zunächst, dass sein Arbeitgeber davon ausging, keinen Urlaub mehr bezahlen zu müssen.
Der Gang durch die Instanzen: Warum Herr K. weiterkämpfte
Herr K. ließ sich von der Klausel im Vergleich nicht beirren. Er klagte auf Abgeltung seiner sieben Urlaubstage. Sowohl das zuständige Arbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht Köln gaben ihm Recht. Sie sahen den Verzicht auf den gesetzlichen Mindesturlaub als unwirksam an. Der Arbeitgeber wollte diese Niederlagen nicht akzeptieren und zog vor das Bundesarbeitsgericht. Er hoffte, die obersten Arbeitsrichter würden die Verbindlichkeit des gerichtlichen Vergleichs höher bewerten. Für Herrn K. und viele andere Arbeitnehmer in ähnlicher Situation hing viel von dieser Entscheidung ab: Ist ein einmal geschlossener gerichtlicher Vergleich unumstößlich, selbst wenn er gegen zwingende Arbeitnehmerrechte verstößt?
Das Gesetz als Schutzschild: Warum das BAG den Urlaubsverzicht kippte
Die Richter des Neunten Senats des Bundesarbeitsgerichts erteilten der Hoffnung des Arbeitgebers eine klare Absage und bestätigten die Urteile der Vorinstanzen. Ihre Begründung ist ein Lehrstück darüber, wie zwingendes Arbeitnehmerschutzrecht funktioniert und wo die Grenzen der Vertragsautonomie liegen.
Das Herzstück des Urlaubsrechts: Die Unabdingbarkeit nach § 13 BUrlG
Den Dreh- und Angelpunkt der Entscheidung bildet das Bundesurlaubsgesetz (BUrlG). Das Gericht stellte klar: Der Kläger, also Herr K., hat einen Anspruch auf Abgeltung seines nicht erfüllten gesetzlichen Mindesturlaubs aus dem Jahr 2023 gemäß § 7 Absatz 4 BUrlG. Diese Vorschrift besagt, dass Urlaub, der wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr genommen werden kann, finanziell abzugelten ist. Dies ist die rechtliche Basis für die „Auszahlung“ von Resturlaub.
Entscheidend war dann aber, dass dieser Anspruch durch die Klausel im Prozessvergleich nicht untergegangen ist. Die Vereinbarung „Urlaubsansprüche sind in natura gewährt“ wurde vom BAG als unwirksam eingestuft – und zwar gemäß § 134 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Dieser Paragraph legt fest, dass ein Rechtsgeschäft nichtig ist, wenn es gegen ein gesetzliches Verbot verstößt. Das Verbot fand das Gericht in § 13 Absatz 1 Satz 3 BUrlG. Diese Norm ist das Fundament des Schutzes von Urlaubsansprüchen. Sie besagt, dass von den Regelungen des Bundesurlaubsgesetzes nicht zuungunsten des Arbeitnehmers abgewichen werden darf.
Ein Verzicht auf den gesetzlichen Mindesturlaub ist eine solche unzulässige Abweichung. Für Herrn K. und alle Arbeitnehmer bedeutet dies, dass der gesetzliche Mindesturlaub eine Art unveräußerliches Recht ist, solange das Arbeitsverhältnis besteht. Man kann ihn nicht einfach „verkaufen“ oder darauf verzichten, selbst wenn man dafür andere Vorteile (wie eine höhere Abfindung) erhält.
Was bedeutet „unabdingbar“?
„Unabdingbar“ bedeutet im juristischen Kontext, dass eine gesetzliche Regelung nicht durch vertragliche Vereinbarungen geändert oder ausgeschlossen werden kann, zumindest nicht zum Nachteil der geschützten Partei (hier des Arbeitnehmers). Der Gesetzgeber sieht bestimmte Rechte als so wichtig an, dass er sie dem freien Spiel der Verhandlungen entzieht, um die schwächere Vertragspartei zu schützen. Der gesetzliche Mindesturlaub ist ein solches unabdingbares Recht.
Keine Ausnahme für Vergleiche: Die klare Ansage der Richter
Das BAG betonte, dass dieser Schutz des Mindesturlaubs sehr weitreichend ist: Weder der gesetzliche Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub noch ein erst künftig – mit der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses – entstehender Anspruch auf Abgeltung gesetzlichen Mindesturlaubs darf im Voraus ausgeschlossen oder beschränkt werden.
Und das gilt selbst dann, wenn – wie im Fall von Herrn K. – bei Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs, der eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses regelt, bereits feststeht, dass der Arbeitnehmer den Urlaub wegen Krankheit ohnehin nicht mehr nehmen kann.
Ein gerichtlicher Vergleich ist zwar ein wichtiges Instrument zur Streitbeilegung und hat normalerweise hohe Bindungswirkung – man könnte ihn mit einem Friedensvertrag nach einer Auseinandersetzung vergleichen, an den sich beide Seiten halten müssen. Doch selbst dieser „Friedensvertrag“ kann grundlegende, unverzichtbare Rechte nicht aushebeln.
Das Gericht macht hier deutlich: Der Schutz des Arbeitnehmers wiegt schwerer als das Interesse an einer unbedingten Wirksamkeit jeder Vergleichsklausel. Diese Feststellung ist für Sie als Arbeitnehmer entscheidend, wenn Sie vor der Unterzeichnung eines Aufhebungsvertrags oder Vergleichs stehen: Nicht alles, was dort vereinbart wird, ist automatisch gültig, wenn es gegen zwingendes Recht verstößt.
Europarecht im Rücken: Die Rolle der Arbeitszeitrichtlinie
Die Erfurter Richter stützten ihre Argumentation auch auf europäisches Recht. Sie verwiesen auf Artikel 7 Absatz 2 der Richtlinie 2003/88/EG (Arbeitszeitrichtlinie). Diese EU-Vorgabe besagt, dass der bezahlte Mindestjahresurlaub nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden darf, außer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Der Grundgedanke ist, dass Urlaub der tatsächlichen Erholung dienen soll. Im bestehenden Arbeitsverhältnis darf der Arbeitnehmer somit nicht gegen und erst recht nicht ohne finanziellen Ausgleich auf den gesetzlichen Mindesturlaub „verzichten“. Diese europarechtliche Verankerung gibt dem Urteil zusätzliches Gewicht und zeigt, dass der Schutz des Erholungsurlaubs ein europaweit anerkanntes Prinzip ist. Für Herrn K. und andere Betroffene bedeutet diese europarechtliche Dimension eine zusätzliche Absicherung ihrer Ansprüche, da nationales Recht im Einklang mit EU-Vorgaben auszulegen ist.
Die Argumente des Arbeitgebers auf dem Prüfstand – und warum sie nicht zogen
Der Arbeitgeber von Herrn K. hatte im Verfahren natürlich versucht, die Wirksamkeit der Vergleichsklausel zu verteidigen. Doch seine Argumente konnten das Bundesarbeitsgericht nicht überzeugen.
Die Illusion eines „Tatsachenvergleichs“: Wenn Fakten nicht verhandelbar sind
Ein zentrales Argument der Beklagten war, Ziffer 7 des Vergleichs sei ein sogenannter Tatsachenvergleich. Damit ist gemeint, dass sich Parteien über unsichere oder strittige Tatsachen einigen und diese Ungewissheit durch gegenseitiges Nachgeben beseitigen. Wäre die Klausel als Tatsachenvergleich anzusehen gewesen, hätte § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG möglicherweise keine Anwendung gefunden.
Das BAG wies dies jedoch zurück. Ein Tatsachenvergleich setzt eine tatsächliche Unsicherheit über die Fakten voraus, die einem Anspruch zugrunde liegen. Man kann das vergleichen mit zwei Nachbarn, die sich über den exakten Grenzverlauf ihrer Grundstücke streiten, weil alte Pläne ungenau sind. Wenn sie sich dann auf eine Mittellinie einigen, ist das ein Tatsachenvergleich über den unklaren Grenzverlauf.
Im Fall von Herrn K. gab es aber keine solche Unsicherheit: Es war unstreitig, dass er seit Anfang 2023 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt war. Damit gab es keinen Raum für Zweifel, dass er seinen Urlaub nicht hatte nehmen können und die Behauptung im Vergleich, der Urlaub sei „in natura gewährt“, schlicht falsch war.
Die Richter stellten klar: Angesichts der seit Anfang des Jahres 2023 durchgehend bestehenden Arbeitsunfähigkeit des Klägers bestand vorliegend kein Raum für eine Unsicherheit über die tatsächlichen Voraussetzungen des Urlaubsanspruchs. Für Sie bedeutet das: Eine offensichtlich falsche Tatsachenbehauptung in einem Vergleich wird nicht dadurch richtig oder wirksam, dass sie von beiden Seiten unterschrieben wird, wenn es um den Schutz gesetzlicher Ansprüche geht.
Treu und Glauben? Kein Vertrauensschutz bei rechtswidrigen Klauseln!
Ein weiteres Argument des Arbeitgebers war der Verstoß gegen Treu und Glauben (juristisch: § 242 BGB). Er meinte, Herr K. verhalte sich widersprüchlich, wenn er erst dem Vergleich mit der Urlaubsklausel zustimme (auch wenn seine Anwältin Bedenken äußerte) und dann später doch die Abgeltung fordere. Das Prinzip von Treu und Glauben soll verhindern, dass jemand widersprüchlich handelt oder Rechtsmissbrauch betreibt. Es ist wie ein ungeschriebenes Gesetz des fairen Miteinanders.
Auch hier folgte das BAG dem Arbeitgeber nicht. Die Richter stellten fest: Die Beklagte durfte nicht auf den Bestand einer offensichtlich rechtswidrigen Regelung vertrauen. Wenn eine Vertragsklausel klar gegen ein gesetzliches Verbot verstößt – wie hier der Verzicht auf Mindesturlaub gegen § 13 BUrlG – dann kann sich die Partei, die von dieser unwirksamen Klausel profitieren würde, nicht darauf berufen, die andere Seite müsse sich daran festhalten lassen.
Dies ist ein wichtiger Punkt: Die Unwirksamkeit zwingender Schutzvorschriften kann nicht einfach durch Berufung auf Treu und Glauben „geheilt“ werden. Für Herrn K. bedeutete das, dass sein späteres Fordern der Urlaubsabgeltung trotz des Vergleichs nicht als unfair oder treuwidrig angesehen wurde, da die Klausel selbst von Anfang an nicht haltbar war.
Die folgende Liste fasst die zentralen Gesetzesnormen zusammen, die das Gericht seiner Entscheidung zugrunde legte:
- § 7 Abs. 4 BUrlG: Regelt den Anspruch auf finanzielle Abgeltung von Urlaub bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
- § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG: Statuiert die Unabdingbarkeit der meisten Vorschriften des Bundesurlaubsgesetzes zuungunsten des Arbeitnehmers.
- § 134 BGB: Bestimmt die Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt.
- Art. 7 Abs. 2 Richtlinie 2003/88/EG: Europarechtliche Vorgabe zum Mindesturlaub und dessen Abgeltung.
Was dieses Urteil für Ihren Arbeitsalltag und Ihre Rechte bedeutet
Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts hat handfeste Konsequenzen für Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Sie sorgt für mehr Klarheit und stärkt den Schutz des gesetzlichen Mindesturlaubs.
Für Arbeitnehmer: Ein starkes Recht, das bleibt
Für Sie als Arbeitnehmer ist die Botschaft des Urteils eindeutig positiv: Ihr Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub ist ein starkes Recht. Sie können darauf auch dann nicht wirksam verzichten, wenn Sie einen gerichtlichen Vergleich oder einen Aufhebungsvertrag unterschreiben, der eine solche Verzichtsklausel enthält, solange Ihr Arbeitsverhältnis noch besteht. Das gilt selbst dann, wenn Sie zum Zeitpunkt des Vergleichsschlusses bereits wissen, dass Sie den Urlaub krankheitsbedingt nicht mehr nehmen können. Wenn Sie also in einer Situation wie Herr K. sind – das Arbeitsverhältnis endet, Sie haben noch offenen Mindesturlaub, der nicht genommen werden konnte – dann haben Sie in der Regel einen Anspruch auf finanzielle Abgeltung dieses Urlaubs. Lassen Sie sich nicht durch pauschale Erledigungsklauseln in Vergleichen verunsichern.
Wenn Ihnen ein Aufhebungsvertrag angeboten wird, der regelt, dass „sämtliche Ansprüche abgegolten“ sind, sollten Sie besonders aufmerksam sein, ob Ihr Mindesturlaub korrekt berücksichtigt oder explizit und korrekt abgegolten wird. Im Zweifel ist es immer ratsam, vor Unterzeichnung einer solchen Vereinbarung Rechtsrat einzuholen. Auch wenn eine Abfindung verlockend klingt, darf sie nicht dazu dienen, Ihnen Ihre unverzichtbaren Urlaubsansprüche zu nehmen.
Für Arbeitgeber: Vorsicht bei Vertragsklauseln und Abfindungen
Arbeitgeber müssen dieses Urteil als klare Warnung verstehen. Die weit verbreitete Praxis, in Aufhebungsverträgen oder gerichtlichen Vergleichen pauschal Urlaubsansprüche „miterledigen“ zu wollen, ist in Bezug auf den gesetzlichen Mindesturlaub rechtlich nicht haltbar. Klauseln, die einen Verzicht auf den gesetzlichen Mindesturlaub oder dessen Abgeltung vorsehen, sind nichtig. Das bedeutet, sie entfalten keine rechtliche Wirkung. Arbeitgeber können sich also nicht darauf verlassen, dass mit der Unterschrift des Arbeitnehmers unter einen solchen Vergleich das Thema Urlaub endgültig vom Tisch ist. Es drohen Nachforderungen, wie im Fall von Herrn K.
Für Arbeitgeber bedeutet dies, dass sie bei der Gestaltung von Beendigungsvereinbarungen größte Sorgfalt walten lassen müssen. Es ist dringend zu empfehlen, den gesetzlichen Mindesturlaub entweder tatsächlich bis zum Vertragsende gewähren zu lassen (sofern möglich) oder ihn korrekt zu berechnen und die entsprechende Urlaubsabgeltung explizit und nachvollziehbar als Teil der Gesamtregelung auszuweisen und auszuzahlen. Ein typischer Fehler wäre es, eine Abfindungssumme zu vereinbaren und stillschweigend davon auszugehen, damit sei auch der Urlaub erledigt. Das funktioniert so nicht. Eine klare Trennung von Abfindung und Urlaubsabgeltung schafft Rechtssicherheit.
Klarheit geschaffen, aber was ist mit Mehrurlaub?
Das Urteil des BAG bezieht sich ausdrücklich auf den gesetzlichen Mindesturlaub. Dieser beträgt nach § 3 BUrlG jährlich mindestens 24 Werktage bei einer Sechs-Tage-Woche, was bei einer Fünf-Tage-Woche 20 Urlaubstagen entspricht. Viele Arbeits- oder Tarifverträge sehen jedoch zusätzlichen Urlaub vor, den sogenannten vertraglichen oder tarifvertraglichen Mehrurlaub.
Ob auf diesen Mehrurlaub wirksam verzichtet werden kann, hat das BAG in dieser Entscheidung nicht explizit entschieden. Hier ist die Rechtslage komplexer. Grundsätzlich ist ein Verzicht auf vertraglichen Mehrurlaub eher möglich, es sei denn, im Arbeits- oder Tarifvertrag ist die Unabdingbarkeit auch für den Mehrurlaub festgelegt oder die Regelungen sind so miteinander verwoben, dass eine Trennung nicht ohne Weiteres möglich ist. Arbeitgeber, die sichergehen wollen, sollten auch hier auf klare und rechtssichere Formulierungen achten und im Zweifel davon ausgehen, dass zumindest eine klare Differenzierung zwischen gesetzlichem und vertraglichem Urlaub notwendig ist, wenn über letzteren verfügt werden soll. Für Sie als Arbeitnehmer ist es wichtig zu wissen, dass der Schutz des BAG-Urteils primär den gesetzlichen Sockel Ihres Urlaubsanspruchs betrifft.
Nach dem Urteil ist vor der Praxis: So gehen Sie mit Urlaubsansprüchen richtig um
Die Entscheidung des BAG hat direkte Auswirkungen darauf, wie Urlaubsansprüche, insbesondere am Ende eines Arbeitsverhältnisses, gehandhabt werden sollten. Sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber sind gut beraten, die Grundsätze dieses Urteils zu verinnerlichen.
Für Sie als Arbeitnehmer ist es wichtig, Ihre Rechte zu kennen. Wenn Ihr Arbeitsverhältnis endet und Sie noch offenen gesetzlichen Mindesturlaub haben, den Sie beispielsweise wegen Krankheit oder aus betrieblichen Gründen nicht nehmen konnten, haben Sie Anspruch auf eine finanzielle Abgeltung. Lassen Sie sich nicht von Formulierungen in einem Aufhebungsvertrag oder Vergleich einschüchtern, die pauschal alle Urlaubsansprüche für erledigt erklären. Solche Klauseln sind in Bezug auf den Mindesturlaub unwirksam. Sie sollten stets prüfen, ob der Ihnen zustehende Resturlaub korrekt berechnet und die Abgeltungssumme gesondert ausgewiesen und gezahlt wird. Es ist Ihr gutes Recht, dies einzufordern, auch wenn bereits eine Abfindung vereinbart wurde. Ein häufiger Fall ist, dass Arbeitnehmer in der emotionalen Stresssituation einer Kündigung oder bei Verhandlungen über einen Aufhebungsvertrag Details wie den Resturlaub übersehen oder als weniger wichtig erachten. Hier schützt Sie das Gesetz.
Arbeitgeber sollten proaktiv handeln, um spätere Streitigkeiten zu vermeiden. Dokumentieren Sie die Urlaubsgewährung während des laufenden Arbeitsverhältnisses sorgfältig. Steht eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses bevor, klären Sie frühzeitig den Stand der offenen Urlaubsansprüche. Ermöglichen Sie dem Arbeitnehmer, den Resturlaub möglichst noch in natura zu nehmen. Ist dies nicht möglich, berechnen Sie die Urlaubsabgeltung für den gesetzlichen Mindesturlaub korrekt und zahlen Sie diese aus. Weisen Sie die Urlaubsabgeltung in der Endabrechnung und gegebenenfalls im Vergleich oder Aufhebungsvertrag transparent und getrennt von einer etwaigen Abfindung aus. Vermeiden Sie unbedingt Formulierungen, die einen Verzicht auf den gesetzlichen Mindesturlaub suggerieren könnten. Ein typischer Fehler ist, zu glauben, eine hohe Abfindung „erledige“ automatisch auch alle anderen Ansprüche. Das BAG-Urteil zeigt, dass dies für den Mindesturlaub nicht zutrifft. Es ist auch nicht ratsam, darauf zu spekulieren, dass der Arbeitnehmer seine Rechte nicht kennt oder nicht geltend macht.
Sollten Sie als Arbeitnehmer unsicher sein, ob Ihr Urlaubsanspruch in einer Beendigungsvereinbarung korrekt berücksichtigt wurde, suchen Sie rechtzeitig anwaltliche Beratung. Dies gilt insbesondere, wenn Sie lange krank waren oder der Arbeitgeber versucht, Sie zur schnellen Unterzeichnung einer Vereinbarung zu drängen. Denken Sie daran: Der gesetzliche Mindesturlaub dient Ihrer Erholung und Gesundheit. Dieses Recht ist stark geschützt – auch wenn es um die Beendigung Ihres Arbeitsverhältnisses geht. Das Urteil des BAG unterstreicht dies eindrücklich und gibt Ihnen Rückendeckung. Achten Sie bei jeder Vereinbarung zur Beendigung Ihres Arbeitsverhältnisses darauf, dass Ihr Urlaubsanspruch fair und gesetzeskonform behandelt wird. Ihr Anspruch auf Urlaub oder dessen Abgeltung ist kein Almosen des Arbeitgebers, sondern ein hart erarbeitetes Recht.
Häufig gestellte Fragen zum Thema Unverzichtbarkeit des Mindesturlaubs im gerichtlichen Vergleich
Nachfolgend beantworten wir die häufigsten Fragen zu unserem Artikel über das wichtige BAG-Urteil zum Schutz Ihres Mindesturlaubs und dessen Auswirkungen auf gerichtliche Vergleiche.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Was ist die wichtigste Botschaft dieses BAG-Urteils für mich als Arbeitnehmer?
Die absolut zentrale Botschaft dieses Urteils ist: Ihr gesetzlicher Mindesturlaub ist ein besonders stark geschütztes Recht. Sie können darauf nicht wirksam verzichten, auch nicht im Rahmen eines gerichtlichen Vergleichs, der Ihr Arbeitsverhältnis beendet – solange dieses noch besteht. Selbst wenn, wie im Fall von Herrn K., klar ist, dass Sie den Urlaub krankheitsbedingt gar nicht mehr nehmen können, bleibt Ihr Anspruch auf diesen Mindesturlaub oder dessen finanzielle Abgeltung bestehen. Klauseln in Vergleichen, die besagen, der Urlaub sei „in natura gewährt“ (obwohl das nicht stimmt) oder auf ihn werde verzichtet, sind in Bezug auf den Mindesturlaub unwirksam.
Ich stehe kurz davor, einen Aufhebungsvertrag oder gerichtlichen Vergleich zu unterschreiben. Was muss ich bezüglich meines Resturlaubs nach diesem Urteil besonders beachten?
Wenn Sie vor der Unterzeichnung einer solchen Vereinbarung stehen, sollten Sie besonders wachsam sein, wie Ihr Resturlaub behandelt wird. Achten Sie darauf, dass Ihr gesetzlicher Mindesturlaub korrekt berechnet und entweder bis zum Vertragsende tatsächlich gewährt oder Ihnen finanziell abgegolten wird. Eine pauschale Klausel, wonach „alle Ansprüche erledigt“ seien, oder eine falsche Behauptung, der Urlaub sei bereits genommen, reicht nicht aus, um Ihren Anspruch auf Mindesturlaub wirksam auszuschließen. Im Zweifel, und bevor Sie unterschreiben, ist es immer eine gute Idee, die Regelungen zum Urlaub von einer fachkundigen Stelle prüfen zu lassen, um sicherzustellen, dass Ihre Rechte gewahrt bleiben.
Mein Arbeitgeber bietet mir eine hohe Abfindung an, wenn ich im Gegenzug auf alle Ansprüche verzichte, auch auf meinen Resturlaub. Ist das nach dem Urteil noch möglich?
Nein, zumindest nicht, was Ihren gesetzlichen Mindesturlaub betrifft. Das Bundesarbeitsgericht hat sehr deutlich gemacht, dass der gesetzliche Mindesturlaub „unabdingbar“ ist. Das bedeutet, er kann nicht einfach „verkauft“ oder gegen andere Vorteile, wie eine höhere Abfindung, eingetauscht werden, solange Ihr Arbeitsverhältnis noch besteht. Die Abfindung dient dazu, finanzielle Nachteile durch den Verlust des Arbeitsplatzes auszugleichen, während der Urlaub Ihrer Erholung dient. Diese beiden Dinge müssen getrennt betrachtet werden. Eine Klausel, mit der Sie auf Ihren gesetzlichen Mindesturlaub verzichten, wäre auch bei einer hohen Abfindung unwirksam.
Gilt diese strenge Regelung nur für den gesetzlichen Mindesturlaub oder auch für meinen zusätzlichen, vertraglich vereinbarten Urlaub?
Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts bezieht sich ausdrücklich und primär auf den gesetzlichen Mindesturlaub. Das sind bei einer Fünf-Tage-Woche 20 Urlaubstage pro Jahr. Für zusätzlichen Urlaub, der Ihnen möglicherweise aufgrund Ihres Arbeitsvertrags oder eines Tarifvertrags zusteht (sogenannter Mehrurlaub), ist die Rechtslage nicht ganz so eindeutig streng. Hier könnte ein Verzicht unter Umständen möglich sein, es sei denn, Ihr Vertrag schließt dies explizit aus oder die Regelungen sind so eng miteinander verknüpft, dass eine Trennung schwierig ist. Der besondere Schutz, den das BAG betont, gilt aber vor allem für den gesetzlichen Sockel Ihres Urlaubsanspruchs.
Im Artikel steht, der Arbeitgeber konnte sich nicht auf „Treu und Glauben“ berufen, als Herr K. trotz des Vergleichs seine Urlaubsabgeltung forderte. Was bedeutet das praktisch für mich, wenn ich einem Vergleich mit einer ungültigen Urlaubsklausel zugestimmt habe?
Das bedeutet, dass Sie sich in der Regel auch dann noch auf die Unwirksamkeit einer solchen Klausel berufen und Ihre Urlaubsabgeltung fordern können, selbst wenn Sie dem Vergleich zugestimmt haben. Der Grundsatz von „Treu und Glauben“ besagt vereinfacht, dass man sich fair und nicht widersprüchlich verhalten soll. Im Fall von Herrn K. argumentierte der Arbeitgeber, es sei treuwidrig, erst zuzustimmen und dann doch zu klagen. Das BAG sah das anders: Der Arbeitgeber durfte nicht darauf vertrauen, dass eine Klausel Bestand hat, die offensichtlich gegen ein klares gesetzliches Verbot (den Schutz des Mindesturlaubs nach § 13 BUrlG) verstößt. Ihr Recht auf Mindesturlaub ist so stark, dass es nicht einfach dadurch untergeht, dass Sie einer unwirksamen Vereinbarung zugestimmt haben.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.
Mindesturlaub: Selbst im Gerichtssaal unverhandelbar
Das Erfurter Urteil ist ein klares Signal: Der gesetzliche Mindesturlaub ist keine Verhandlungsmasse, selbst wenn ein Gericht einen Vergleich protokolliert. Es zementiert den Vorrang des Arbeitnehmerschutzes vor pauschalen Erledigungsklauseln und unterstreicht die Unverzichtbarkeit dieses Rechts zur Erholung, dessen finanzielle Kompensation bei Nichtinanspruchnahme gesichert sein muss.
Für Arbeitnehmer bedeutet dies eine wichtige Rückendeckung: Ihr Anspruch auf Mindesturlaub oder dessen Abgeltung bleibt bestehen, selbst bei anderslautenden Klauseln in gerichtlichen Vergleichen. Eine vermeintlich „saubere“ Einigung darf nicht zulasten dieses fundamentalen Rechts gehen, das der Gesundheit und Regeneration dient.