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Verkürzung Arbeitszeit – Festlegung Arbeitszeit – unzulässige Rechtsausübung

Streit um Arbeitszeiten: Verkürzung und Festlegung im Blickpunkt

Im Zentrum dieses rechtlichen Konflikts steht eine Mutter, die bei einem Textilhandelsunternehmen beschäftigt ist. Seit 2009 ist sie in der Firma tätig und hat 2017 ihre wöchentliche Arbeitszeit von 130 Stunden auf 86 Stunden reduziert. Nun streiten die beiden Parteien über eine weitere Verkürzung und Neuverteilung der Arbeitszeit, die von der Mutter mit der Notwendigkeit der Betreuung ihres Kindes begründet wird.

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Festsetzung der Arbeitszeiten: Eine Mutter im Spagat

Die Klägerin, die auch Mitglied des Betriebsrates ist, hat eine weitere Reduzierung ihrer Arbeitszeit beantragt. Sie fordert eine Arbeitszeit von 85 Stunden im Monat, verteilt auf die Wochentage Montag bis Freitag, von 08:00 Uhr bis 13:00 Uhr. Samstags möchte sie frei haben. Sie begründet ihre Forderung damit, dass ihre Tochter von 07:30 Uhr bis 14:30 Uhr in einer Kindertagesstätte betreut wird und sie diese Zeiten daher einhalten muss.

Interessen des Unternehmens: Personalbedarf und betriebliche Organisation

Die Beklagte, also das Textilhandelsunternehmen, lehnt diesen Antrag ab. Sie argumentiert, dass die Verteilung der Arbeitszeit aus Sicht des Unternehmens außerhalb der betrieblichen Organisation liegt. Darüber hinaus würde eine solche Verkürzung und Neuverteilung der Arbeitszeit den Personalbedarf gefährden und andere Mitarbeiter benachteiligen. Als Kompromiss bietet sie eine Reduzierung auf 65 Stunden im Monat an, mit der Bedingung, dass die Klägerin an einem Samstag im Monat flexibel einsetzbar ist.

Ergebnis des Verfahrens: Klage abgewiesen, Kosten trägt die Klägerin

Im Rahmen des Rechtsstreits entscheidet das Landesarbeitsgericht Köln zugunsten des Unternehmens. Das ursprüngliche Urteil des Arbeitsgerichts Köln wird abgeändert und die Klage wird abgewiesen. Die Kosten des Rechtsstreites trägt die Klägerin. Eine Revision gegen das Urteil wird nicht zugelassen. Damit ist das Urteil bindend und kann nicht weiter angefochten werden.

Zusammengefasst zeigt dieser Fall auf, wie individuelle Bedürfnisse und unternehmerische Interessen aufeinandertreffen. Es wird deutlich, dass bei der Festlegung von Arbeitszeiten sowohl die persönlichen Lebensumstände als auch die betrieblichen Erfordernisse zu berücksichtigen sind. Bei der Suche nach einem Gleichgewicht sind Kompromisse oft unvermeidbar.


Das vorliegende Urteil

Landesarbeitsgericht Köln – Az.: 11 Sa 254/20 – Urteil vom 12.05.2021

Unter Stattgabe des Wiedereinsetzungsantrags vom 16.06.2020 wird auf die Berufung der Beklagten das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 15.10.2019 – 16 Ca2609/19 – abgeändert und die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreites trägt die Klägerin.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Verkürzung der Arbeitszeit und die Festlegung der Arbeitszeiten.

Die am .1981 geborene Klägerin, Mutter einer am .2014 geborenen Tochter, ist seit dem 06.03.2009 bei der Beklagten, die ein Textilhandelsunternehmen betreibt, als Verkaufshilfe tätig. Die Einstellung erfolgte gemäß Arbeitsvertrag vom 27.02.2009 mit einer Arbeitszeit von 130 Stunden im Monat in der Filiale A Straße (Filiale 4). Für das Arbeitsverhältnis gelten die Tarifverträge für den Hamburger Einzelhandel in ihrer jeweils gültigen Fassung, soweit im Arbeitsvertrag nichts anderes vereinbart ist, Ziffer 2. des Anstellungsvertrages. Wegen der weiteren Einzelheiten des Arbeitsvertrages wird auf Bl. 147 f. d. A. verwiesen. Mit Vereinbarung vom 03.01.2017 vereinbarten die Parteien ab dem 01.02.2017 befristet bis zum 06.07.2017 eine Reduzierung der Arbeitszeit auf 86 Stunden die Woche bei fünf Arbeitstagen die Woche in der Zeit von montags bis samstags (Bl. 11 d. A.). Mit Vertragsänderung vom 19.06.2017 (Bl. 12 d. A.) haben die Parteien die Arbeitszeitänderung entfristet.

Die Klägerin ist Mitglied des Betriebsrates und verrichtet regelmäßig dienstags und freitags ihre Betriebsratsarbeit.

Mit Schreiben vom 05.03.2019 begehrte die Klägerin von der Beklagten die Reduzierung der Arbeitszeit von 86 auf 85 Stunden im Monat, montags bis freitags von 08:00 Uhr bis 13:00 Uhr, samstags frei, ab dem 01.07.2019. Zur Begründung führte sie die Gewährleistung der Betreuung ihres Kindes an, die Tochter werde in der Kindertagesstätte von 07:30 Uhr bis 14:30 Uhr betreut. Wegen der weiteren Einzelheiten des Schreibens vom 05.03.2019 wird auf Bl. 17 d. A. verwiesen. Die Beklagte antwortete mit Schreiben vom 07.03.2019, dass sie dem Begehren nicht zustimmen könne, denn die Verteilung der Arbeitszeit liege außerhalb der betrieblichen Organisation der Arbeitszeit. Die Sicherung des Personalbedarfs werde gefährdet und andere Mitarbeiter benachteiligt. Als Kompromiss schlug die Beklagte zwar eine Reduzierung der Arbeitszeit auf 65 Stunden im Monat, mithin 15 Stunden in der Woche, vor, aber von montags bis freitags von 08:00 Uhr bis 13:00 Uhr sowie an einem Samstag im Monat mit flexiblem Einsatz.

Das Arbeitsgericht Köln hat mit Urteil vom 15.10.2019 (Bl. 88 ff. d. A.) die Beklagte verurteilt, der Verringerung der Arbeitszeit der Klägerin von 86 Stunden auf 85 Stunden im Monat bei einer Arbeitszeiteinteilung montags bis freitags von 08:00 Uhr bis 13:00 Uhr und frei von Samstagsarbeit mit Wirkung ab dem 01.07.2019 zuzustimmen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Beklagte habe nicht hinreichend vorgetragen, dass betriebliche Gründe dem Änderungsverlangen der Klägerin entgegenstehen. Das Teilzeitbegehren der Klägerin sei auch nicht rechtsmissbräuchlich, denn die Klägerin verfolge mit dem Reduzierungsverlangen den Zweck Beruf und Familie besser vereinbaren zu können. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens und der Antragstellung der Parteien erster Instanz wird auf den Tatbestand, wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung des Arbeitsgerichtes wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Gegen das ihr am 06.04.2020 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 03.04.2020 Berufung eingelegt und diese am 02.06.2020 begründet. Nach Hinweis des Landesarbeitsgerichts mit Schreiben vom 05.06.2020, dass die Berufung nicht rechtzeitig begründet worden sei, hat die Beklagte am 16.06.2020 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.

Unter dem 04.03.2020/09.06.2020 haben die Beklagte und der Betriebsrat der Filiale 4 eine „Freiwillige Betriebsvereinbarung zum Thema Vereinbarkeit von Familie & Beruf“ geschlossen. Hiernach können u. a. die zeitlichen Verfügbarkeiten im Einvernehmen des Arbeitnehmers und des Filialdirektors unter Einbeziehung der HR-Abteilung für die Dauer von maximal zwei Jahren befristet bei Vorliegen von dringenden persönlichen Gründen festgelegt werden. Wegen der weiteren Einzelheiten dieser Betriebsvereinbarung wird auf Bl. 285 f. d. A. verwiesen.

Seit dem 28.08.2020 ist die Klägerin geschieden. Die Tochter der Klägerin wurde zum Schuljahr 2020/2021 eingeschult. Für sie hat die Klägerin einen Betreuungsvertrag in der offenen Ganztagsschule (OGS) geschlossen. Nach Unterrichtsende kann das Kind dort als Tochter einer Alleinerziehenden bis 16:00 Uhr betreut werden.

Die Beklagte führt zum Wiedereinsetzungsantrag aus, die Berufungsbegründungsfrist sei ursprünglich auf den 15.05.2020 notiert gewesen und sodann von der zuständigen Fristensachbearbeiterin P eigenmächtig, versehentlich auf den 02.06.2020 zugetragen worden. Sie habe damit gegen die allgemeine Weisung in der Kanzlei gehandelt, wonach die Löschung und Umtragung einer Frist der Freigabe eines Rechtsanwalts bedürfe. Die gewissenhafte, zuverlässige Anwaltsgehilfin sei seit 18 Jahre mit dem Fristenmanagement betraut und werde ständig fortgebildet und regelmäßig stichprobenartig kontrolliert.

Die Beklagte behauptet, ein dauerhafter Einsatz der Klägerin ausschließlich zu festen Arbeitszeiten sei der Beklagten unter Berücksichtigung des Personalbedarfs an den einzelnen Öffnungstagen unter Berücksichtigung der Schichtplanung nicht möglich, bereits jetzt bestehe etwa dienstgas und mittwochs in der Spätschicht und samstags eine personelle Unterdeckung. Die Beklagte wende bundesweit ein Teilzeitkonzept an, welches nur Teilzeitverträge mit 65 Monatsstunden (15 Wochenstunden), 86 Monatsstunden (20 Wochenstunden), 108,5 Monatsstunden (25 Wochenstunden) und 130 Monatsstunden (30 Wochenstunden) vorsehe. Die Beklagte reduziere die Anzahl der tarifvertraglichen Spätschichten zu Gunsten der Elternteile mit betreuungspflichtigen Kindern. Mitarbeiter mit einer Arbeitszeit von weniger als 108,5 Monatsstunden würden nur zu einer Spätschicht die Woche eingeplant. Zudem würden alle Teilzeitmitarbeiter auch für Samstageinsätze eingeplant. Verkäufer der Filiale 4 würden von Montag bis Samstag in einem Zweischichtsystem eingesetzt. Das Kundenaufkommen sei erst am späten Nachtmittag und in den Abendstunden besonders hoch. Die generelle Herausnahme der Klägerin aus der Spätschicht und samstags führe zu einer unzureichenden Besetzung des Verkaufs. Die Betreuungssituation der Klägerin rechtfertige nicht die beantragten festen Arbeitszeiten. Der Antrag der Klägerin sei rechtsmissbräuchlich. Sie habe kein Interesse an der beantragten dauerhaften Reduzierung der Arbeitszeit zum Zwecke der Kindesbetreuung, sondern sie wolle nur die von ihr gewünschte Arbeitszeit durch Ausnutzung einer formalen Rechtsposition zu Lasten der ebenfalls schutzwürdigen Belange der Kollegen und der betrieblichen Interessen durchsetzen.

Die Beklagte beantragt,

1. das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 15. Oktober 2019 (16 Ca 2609/19) abzuändern und die Klage abzuweisen.

2. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Die Klägerin beantragt,

1. die Berufung der Berufungsklägerin vom 02.06.2020 gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 15.10.2019 – Az. 16 Ca 2609/19 – zurückzuweisen;

2. den Antrag vom 16.06.2020 auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts. Hinreichende betriebliche Gründe für die Ablehnung des Teilzeitantrags seien nicht vorgetragen. Die Klägerin könne nicht darauf verwiesen werden, die Betreuung der Tochter Dritten zu überlassen. Sie erstrebe die Verringerung und die beantragte Lage der Arbeitszeit an, um ihre Arbeit besser mit den Betreuungszeiten der Tochter in der Kindertagesstätte vereinbaren zu können. Der Wiedereinsetzungsantrag sei unbegründet, da die Mitarbeiterin P durch Löschung und Umtragung der Frist gegen eine ausdrückliche Anweisung der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten der Beklagten gehandelt habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze der Parteien vom 02.06.2020, 16.06.2020, 31.08.2020, 26.10.2020, 22.02.2021 und 03.04.2021, die Sitzungsniederschrift vom 12.05.2021 sowie den übrigen Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I. Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Die Berufung ist gemäß § 64 Abs. 2b) ArbGG statthaft und wurde ordnungsgemäß und fristgerecht im Sinne des § 66 Abs. 1 ArbGG eingelegt. Hinsichtlich der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist ist der Beklagten antragsgemäß Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand gemäß § 233 Satz 1 ZPO zu gewähren, da die Versäumung dieser Frist nicht auf ein der Beklagten gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbares Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten beruht.

1. Die Fristen zur Einlegung der Berufung und zur Begründung der Berufung beginnen spätestens fünf Monate nach Verkündung des arbeitsgerichtlichen Urteils, soweit die nicht in vollständig abgefasster Form zugestellt wurde (§ 66 Abs. 1 Satz 2 ArbGG9. Mithin endet die Berufungsfrist in diesem Fall mit Ablauf von sechs Monaten, die Berufungsbegründungfrist mit Ablauf von sieben Monaten nach Verkündung (vgl.: BAG, Urt. v. 24.10.2006 – 9 AZR 709/05 -). Die Berufungsbegründungsfrist lief hiernach für die Beklagte am 15.05.2020 ab, ihre Berufungsbegründung ging jedoch erst am 02.06.2020 beim Landesarbeitsgericht Köln ein.

2. Der Beklagten war jedoch mangels zurechenbaren Verschuldens ihrer Prozessbevollmächtigten nach § 233 Satz 1 ZPO Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist zu gewähren.

a) Der Wiedereinsetzungsantrag betreffend die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist ist rechtzeitig gemäß § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO eingegangen, die versäumte Prozesshandlung wurde innerhalb der Antragsfrist (§ 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO) nachgeholt.

b) Nach § 233 ZPO ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unter anderem zu gewähren, wenn eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert war, die Berufungsbegründungsfrist einzuhalten. Das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten ist der Partei zuzurechnen (§ 85 Abs. 2 ZPO), nicht hingegen das Versehen des Büropersonals des Prozessbevollmächtigten mangels einer § 278 BGB entsprechenden Zurechnungsnorm (vgl. u. a.: Greger in: Zöller, Zivilprozessordnung, 33. Aufl. 2020, § 233 ZPO, Rn. 23.13 m. w. N.). Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann nicht gewährt werden, wenn nach den seitens der Partei glaubhaft gemachten Tatsachen (§ 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO) zumindest die Möglichkeit besteht, dass die Fristversäumnis von der Partei beziehungsweise ihrem Prozessbevollmächtigten verschuldet war. Ein Rechtsanwalt hat durch organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig gefertigt und innerhalb der laufenden Frist beim zuständigen Gericht eingeht. Hierzu hat er grundsätzlich sein Möglichstes zu tun, um Fehlerquellen bei der Eintragung und Behandlung von Rechtsmittelfristen auszuschließen (BGH, Beschl. v. 11.05.2021 – VIII ZB 9/20 – m. w. N.). Die Sicherstellung der Fristwahrung kann im Rahmen der Büroorganisation auch durch geeignete allgemeine, eindeutige Arbeitsanweisungen geschehen (vgl.: BGH, Beschl. v. 28.01.2021 – III ZB 86/19 – m. w. N.). Unverzichtbar sind auch die Festlegung klarer Zuständigkeiten und die mindestens stichprobenartige Kontrolle des Personals (BGH, Beschl. v. 05.02.2003 – VIII ZB 115/02 – m. w. N.). Einmaliges Fehlverhalten einer bislang stets zuverlässig arbeitenden Kraft kann nicht als Verschulden von Prozessbevollmächtigten gewertet werden (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 25.08.2015 – 1 BvR 1528/14 – m. w. N.). Eigenverantwortliches Tätigwerden des Anwalts ist jedo ch immer dann geboten, wenn im Rahmen zulässiger Delegation Anlass zur Überprüfung besteht oder Zweifel auftauchen (MüKoZPO/Stackmann, 6. Aufl. 2020, ZPO § 233 Rn. 181 m. w. N.).

c) Die absolute Berufungsbegründungsfrist war ordnungsgemäß im Fristenkalender auf den 15.05.2020 notiert. Mit der Berufungseinlegung am 03.04.2020 hat die zuständige Fristensachbearbeiterin Frau P entgegen der allgemeinen, klaren Weisung in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten der Beklagten eigenmächtig, ohne Rücksprache mit einem Anwalt mittags versehentlich auch die Berufungsbegründungsfrist gelöscht und auf den 02.06.2020 eingetragen. Im Verlaufe der weiteren Aktenbearbeitung hatten die Prozessbevollmächtigten keinen Anlass anzunehmen, dass die am Morgen des 03.04.2020 noch korrekt eingetragene und die vom sachbearbeitenden Anwalt geprüfte absolute Berufungsbegründungsfrist (15.05.2020) nicht mehr im Fristenkalender notiert war. Die zuständige Fristensachbearbeiterin ist eine ausgebildete Anwaltsgehilfin, die seit 18 Jahre mit dem Fristenmanagement betraut war und ständig fortgebildet und regelmäßig stichenprobenartig kontrolliert wird, begründete Zweifel an ihrer Gewissenhaftigkeit Zuverlässigkeit bestanden nicht. Vor diesem durch eidesstattliche Versicherungen der Fristensachbearbeiterin P vom 15.06.2020 (Bl. 169 ff. d. A.) und des Rechtsanwalts M vom 16.06.2020 (Bl. 172 ff. d. A.) im Einzelnen glaubhaft gemachten Sachverhalts war der Beklagten mangels zurechenbaren Verschuldens Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren.

II. Die Berufung der Beklagten ist begründet. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, der Verringerung der Arbeitszeit der Klägerin von 86 Stunden auf 85 Stunden im Monat bei einer Arbeitszeiteinteilung montags bis freitags von 8.00 Uhr bis 13.00 Uhr und frei von Samstagsarbeit mit Wirkung ab dem 01.07.2019 zuzustimmen.

Entgegen der Ansicht der Klägerin und des Arbeitsgerichts wertet die Berufungskammer das auf § 8 Abs. 4 Satz 1 TzBfG gestützte Klagebegehren aufgrund der besonderen Umstände des vorliegenden Falles als unzulässige Rechtsausübung (§ 242 BGB). Die Klägerin versucht eine formale Rechtsposition als Vorwand für die Erreichung sonst nicht durchsetzbarer Zwecke auszunutzen, auf die kein eigenständiger Anspruch besteht.

1. Eine Rechtsausübung kann rechtsmissbräuchlich sein, wenn ihr kein schutzwürdiges Eigeninteresse zugrunde liegt und sie nur als Vorwand zur Erreichung vertragsfremder Zwecke dient. Die Vorschrift des § 8 TzBfG begründet nicht nur für die Verringerung der Arbeitszeit, sondern auch für ihre Verteilung einen Rechtsanspruch bis zu den Grenzen des Rechtsmissbrauchs. Der Anspruch des Arbeitnehmers auf Verringerung und Neuverteilung der Arbeitszeit dient der Schaffung von Teilzeitstellen und vor allem der besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Die Regelung des § 8 TzBfG keine Vorgaben hinsichtlich des Umfangs der Vertragsänderung und knüpft den Anspruch auf Verringerung der Arbeitszeit nicht an ein Mindestmaß der Arbeitszeitreduzierung. Dies bewirkt, dass ein Arbeitnehmer grundsätzlich auch Anspruch auf eine verhältnismäßig geringfügige Verringerung seiner Arbeitszeit haben kann. Verlangt ein Arbeitnehmer, dass seine Arbeitszeit nur geringfügig reduziert wird, indiziert dies nicht per se einen Rechtsmissbrauch. Liegen allerdings im Einzelfall besondere Umstände vor, die darauf schließen lassen, der Arbeitnehmer wolle die ihm gemäß § 8 TzBfG zustehenden Rechte zweckwidrig dazu nutzen, unter Inkaufnahme einer unwesentlichen Verringerung der Arbeitszeit und der Arbeitsvergütung eine bestimmte Verteilung der Arbeitszeit zu erreichen, auf die er ohne die Arbeitszeitreduzierung keinen Anspruch hätte, kann dies die Annahme eines gemäß § 242 BGB rechtsmissbräuchlichen Verringerungsverlangens rechtfertigen (BAG, Urt. v. 11.06.2013 – 9 AZR 786/11 – m. w. N.) Für die den Ausnahmefall des Rechtsmissbrauchs begründenden Tatsachen ist der Arbeitgeber darlegungs- und beweisbelastet ist (BAG, Urt. v. 18.08.2009 – 9 AZR 517/08 -).

2. Bereits der Umfang der Arbeitszeitverkürzung von einer Stunde pro Monat ist außergewöhnlich geringfügig. Im Falle der Klägerin sind dies etwa 1,2 % der bisherigen Arbeitszeit, etwas weniger als 14 Minuten in der Arbeitswoche bzw. unter 3 Minuten pro Arbeitstag. Durch die beantragte Arbeitszeitreduzierung wird die Möglichkeit der Betreuung der Tochter allenfalls minimal bzw. marginal verbessert. Ein nachvollziehbares Interesse an Steigerung der Betreuungsmöglichkeit in diesem geringfügen Umfang ist weder konkret vorgetragen noch ersichtlich. Weshalb sich die Vereinbarkeit von Beruf und Familie durch diese äußerst geringfügige Arbeitszeitverkürzung merkbar verbessert, bleibt offen. Daher ist die Begründung der Klägerin, sie erstrebe mit ihrem Reduzierungsverlangen eine verbesserte persönliche Betreuung für ihr Kind an, nicht plausibel. Dies gilt im Streitfall umso mehr als die beantragten Arbeitszeiten jedenfalls hinsichtlich des Endes der Arbeitszeit nicht an die Öffnungszeiten der Kindertagesstätte (Stand 01.07.2019) angepasst wurden, erst Recht nicht an die nunmehrigen Betreuungszeiten der OGS. Hieraus wird hinreichend deutlich, dass die Klägerin das Mittel der geringfügigen Reduzierung der Regelarbeitszeit nutzt, um einen anderen Zweck als die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie erreichen. Vielmehr verfolgt sie den Zweck, eine bestimmte Verteilung der Arbeitszeit zu erreichen, auf die sie ohne die Arbeitszeitreduzierung keinen Anspruch hätte. Sie ist arbeitsvertraglich von montags bis samstags innerhalb der Ladenöffnungszeiten zur Dienstleistung verpflichtet, Einsatztage und konkrete Lage der Arbeitszeit unterliegen dem Direktionsrecht des Arbeitgebers, welches wiederum nach billigem Ermessen auszuüben ist, §§ 106 Satz 1 GewO, 315 BGB. Der Anspruch auf Festlegung bestimmter Arbeitszeiten besteht regelmäßig nur als Annex zum Verringerungsbegehren (§ 8 Abs. 4 Satz 1 TzBfG). Rechtsmissbrauch lässt sich auch aus der sog. Zweck-Mittel-Relation schließen, wonach die klagende Partei eine formale Rechtsposition nutzt, um einen Anspruch zu erheben, an dem er isoliert betrachtet kein erkennbares Interesse hat, um diesen wiederum zu nutzen, um unabhängig vom Arbeitszeitvolumen eine in seinem Interesse liegende Arbeitszeitgestaltung zu erreichen, auf die er isoliert betrachtet keinen Anspruch hat (Hessisches Landesarbeitsgericht, Urt. v. 21.09.2017- 11 Sa 1495/16 – m.w.N.).

III. Die Kostenentscheidung beruht auf 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

IV. Die Revision wurde nicht zugelassen, da die gesetzlichen Zulassungsvoraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG nicht vorliegen.

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