Skip to content

Benachteiligung wegen Schwerbehinderung – Entschädigungsanspruch

Diskriminierung schwerbehinderter Bewerber im Arbeitsrecht

Im Kern geht es in dem vorliegenden Rechtsstreit um die Frage, ob ein Arbeitgeber einen schwerbehinderten Bewerber diskriminiert hat, indem er ihn nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen hat, und ob der Bewerber in der Folge einen Entschädigungsanspruch nach § 15 AGG geltend machen kann. Der Kläger, ein schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung von 50, hatte sich auf eine Stelle als Facharbeiter bei einer Stadt in der mittleren Oberpfalz beworben. Nachdem seine Bewerbung abgelehnt wurde, klagte er auf Entschädigung wegen Benachteiligung aufgrund seiner Schwerbehinderung. Der Fall wurde vor dem Arbeitsgericht Weiden verhandelt, welches in seinem Urteil eine Reihe von rechtlichen und faktischen Aspekten zu bewerten hatte.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 1 Ca 1282/16  >>>

Das Wichtigste in Kürze


Das Arbeitsgericht Weiden hat die Klage eines schwerbehinderten Bewerbers auf Entschädigung wegen Diskriminierung im Bewerbungsprozess abgewiesen, da sein Handeln als rechtsmissbräuchlich eingestuft wurde.

Die zentralen Punkte aus dem Urteil:

  1. Der schwerbehinderte Kläger wurde nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen, obwohl er die Anforderungen der Stellenausschreibung erfüllte.
  2. Die Nicht-Einladung stellt nach AGG eine Benachteiligung aufgrund der Schwerbehinderung dar.
  3. Die Beklagte konnte nicht nachweisen, dass keine Benachteiligung vorlag; somit wurde die Benachteiligung rechtlich angenommen.
  4. Der Kläger handelte jedoch rechtsmissbräuchlich, da er nicht wirklich an der Stelle interessiert war, sondern einen Entschädigungsanspruch verfolgte.
  5. Der Kläger hatte kein Interesse an der Arbeitsstelle gezeigt und bereits kurz nach Absage eine Prozessvollmacht für eine Entschädigungsklage erteilt.
  6. Der Kläger machte widersprüchliche Angaben zu seinem Beschäftigungsstatus und seinen Absichten.
  7. Die tatsächlichen Lebensumstände des Klägers unterstützten die Einschätzung des Gerichts, dass kein echtes Interesse an der Stelle bestand.
  8. Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt, und die Höhe des Streitwerts wird auf drei Bruttomonatsgehälter festgelegt.

Rechtsmissbrauch bei Geltendmachung des Entschädigungsanspruchs

Die rechtliche Auseinandersetzung wurde durch die Nichtberücksichtigung des Klägers im Bewerbungsprozess entfacht. Nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ist eine solche Nichtberücksichtigung als Benachteiligung anzusehen, sofern der Bewerber die grundsätzlichen Anforderungen der Stellenbeschreibung erfüllt. Der Kläger erfüllte diese Kriterien und war zudem schwerbehindert, was ihm laut § 82 SGB IX ein Recht auf ein Vorstellungsgespräch eingeräumt hätte. Die Beklagte, eine Stadtverwaltung, wies jedoch darauf hin, dass der Kläger für die Stelle offensichtlich ungeeignet sei, da er im Fleischerhandwerk ausgebildet sei und somit nicht die gesuchte Qualifikation als Facharbeiter im Baugewerbe oder in einem Baunebengewerbe vorweisen könne.

Gerichtliche Bewertung persönlicher und beruflicher Hintergründe

Die rechtliche Herausforderung in diesem Fall bestand darin zu beurteilen, ob die Absage an den Kläger auf seiner Schwerbehinderung basierte und ob die Klage des Klägers als rechtsmissbräuchlich anzusehen ist. Das Gericht musste sich mit derFrage auseinandersetzen, ob der Kläger sich tatsächlich mit dem Ziel beworben hatte, die Stelle zu erhalten, oder ob er lediglich auf eine Entschädigungszahlung aus war. Dies führte zu einer Gesamtbetrachtung der Umstände, einschließlich der persönlichen und beruflichen Hintergründe des Klägers.

Vielschichtige Auswirkungen des Urteils im Arbeitsrecht

Das Arbeitsgericht Weiden kam zu dem Schluss, dass der Kläger durch das Bewerbungsverfahren zwar benachteiligt wurde, aber die Beklagte konnte überzeugend darlegen, dass das Handeln des Klägers rechtsmissbräuchlich war. Besonders berücksichtigt wurden dabei das Alter des Klägers, seine tiefen Wurzeln in seinem Heimatort und seine ökonomische Situation, die durch Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung geprägt ist. Des Weiteren legte das Gericht dar, dass der Kläger kurz nach der Absage durch die Beklagte eine Prozessvollmacht für die Geltendmachung eines Entschädigungsanspruches erteilte und bereits am Tag nach der Absage telefonischen Kontakt zur Beklagten aufnahm, um Entschädigungsansprüche zu thematisieren. Das Gericht sah darin Indizien für eine von Anfang an geplante Entschädigungsklage und nicht für ein ernsthaftes Interesse an der Stelle.

Die Auswirkungen dieses Urteils sind vielschichtig. Zum einen bestätigt es die Notwendigkeit für Arbeitgeber, die Vorschriften des AGG und des SGB IX zu beachten und schwerbehinderte Bewerber nicht zu benachteiligen. Zum anderen zeigt es, dass das Gericht sehr genau prüft, ob Klagen auf Entschädigung nach dem AGG gerechtfertigt sind oder ob sie möglicherweise rechtsmissbräuchlich motiviert sind.

Das Fazit des Urteils ist, dass die Klage abgewiesen wurde und keine Entschädigung zugesprochen bekam. Das Gericht legte dar, dass der Kläger zwar in der Sache benachteiligt wurde, sein Anspruch auf Entschädigung jedoch wegen Rechtsmissbrauchs nicht durchsetzbar ist. Damit wird deutlich, dass ein Entschädigungsanspruch nach dem AGG nicht dazu dienen darf, sich ohne echtes Beschäftigungsinteresse Vorteile zu verschaffen. Es bestätigt die Bedeutung des AGG für den Schutz vor Diskriminierung im Arbeitsleben, stellt aber auch klar, dass dieses Schutzrecht nicht für unbegründete oder ungerechtfertigte Klagen missbraucht werden darf.

Wichtige Begriffe kurz erklärt


Beschwerderecht schwerbehinderter Bewerber nach § 82 SGB IX

Das Beschwerderecht schwerbehinderter Bewerber nach § 82 SGB IX in Deutschland bezieht sich auf zwei Hauptaspekte: das Diskriminierungsverbot und das Beschwerdeverfahren.

Diskriminierungsverbot

Gemäß dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) dürfen Arbeitgeber Bewerber mit Behinderungen im Bewerbungsprozess nicht diskriminieren. Das bedeutet, dass sie einen schwerbehinderten Bewerber und andere Bewerber nur aus sachlichen Gründen unterschiedlich behandeln dürfen, nicht aber aufgrund der Behinderung. Eine Ablehnung darf also nicht wegen der Schwerbehinderung erfolgen.

Öffentliche Arbeitgeber haben eine besondere Pflicht: Sie müssen gemäß § 165 Satz 2 SGB IX schwerbehinderte Menschen, die sich bei ihnen um einen Arbeitsplatz bewerben, zu einem Vorstellungsgespräch einladen. Eine Ausnahme besteht nur, wenn dem Bewerber offensichtlich die fachliche Eignung für die Stelle fehlt.

Beschwerdeverfahren

Wenn ein Arbeitgeber gegen das Diskriminierungsverbot verstößt, kann der betroffene Bewerber eine Beschwerde einreichen. Wenn der Arbeitgeber sich gegen einen schwerbehinderten Bewerber entscheidet, muss er nach § 164 Abs. 1 Satz 9 SGB IX unverzüglich den betroffenen Bewerber sowie die Schwerbehindertenvertretung und den Betriebs- oder Personalrat unterrichten und ihnen die Gründe für die Ablehnung mitteilen.

Verstößt der Arbeitgeber gegen diese Unterrichtungspflicht, kann daraus im Grundsatz eine Indizwirkung abgeleitet werden, dass der Arbeitgeber den Bewerber wegen der Schwerbehinderung nicht berücksichtigt hat.

Zudem begeht der Arbeitgeber eine Ordnungswidrigkeit, wenn er die Schwerbehindertenvertretung oder die betriebliche Interessenvertretung vorsätzlich oder fahrlässig nicht, falsch oder zu spät über Bewerbungen informiert.

Diese Regelungen sollen sicherstellen, dass schwerbehinderte Bewerber fair behandelt werden und ihre Rechte im Bewerbungsprozess gewahrt bleiben.


Das vorliegende Urteil

Arbeitsgericht Weiden – Az.: 1 Ca 1282/16 – Urteil vom 17.02.2017

Leitsätze:

1.           Dem Entschädigungsverlangen eines nach §§ 1, 3, 6 AGG in benachteiligender Weise abgelehnten Bewerbers steht der Einwand des Rechtsmissbrauches entgegen, wenn es dem Bewerber nicht darum ging, die ausgeschriebene Stelle zu erhalten, sondern nur um eine Entschädigung nach § 15 AGG.

2.           Hierzu muss in objektiver Hinsicht eine Gesamtwürdigung der Umstände ergeben, dass das gesetzgeberische Ziel eines wirksamen Schutzes vor Benachteiligung durch „Pönalisierung“ nicht erreicht wurde und in subjektiver Hinsicht die Absicht des Bewerbers ersichtlich wird, sich einen ungerechtfertigten Vorteil zu verschaffen, indem er die Voraussetzungen eines Entschädigungsanspruches willkürlich schafft.

3.           Der Arbeitgeber trägt für die tatsächlichen Voraussetzungen des Rechtsmissbrauchs die Darlegungs- und im Bestreitensfalle die Beweislast.

I.            Die Klage wird abgewiesen.

II.          Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

III.         Der Streitwert wird festgesetzt auf 6.591,– €

IV.         Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um Entschädigung wegen Benachteiligung.

Bei der Beklagten handelt es sich um eine Stadt in der mittleren O… mit insgesamt 110

Beschäftigten, davon 20 Bauhofmitarbeiter. Zwei der Bauhofmitarbeiter waren langzeiterkrankt. Deshalb suchte die Beklagte im Herbst 2016 mit Stellenangebot für einen Facharbeiter in der Jobbörse der Arbeitsagentur für den städtischen Bauhof (Blatt 4 der Akte) zwei Facharbeiter für den städtischen Bauhof in Vollzeit, „vorerst befristet für 12 Monate“. Der TVöD-AT/VKA sollte Anwendung finden und eine Vergütung erfolgen nach der Entgeltgruppe 5, derzeit 2.197,00 € brutto.

Auf dieses Stellenangebot bewarb sich der 1957 geborene Kläger mit Bewerbung vom 25.09.2016 (Blatt 7ff der Akte). Beigefügt war ein tabellarischer Lebenslauf. Danach erwarb der Kläger eine Berufsausbildung zum Facharbeiter Fleischer im K… Fleischverarbeitungskombinat R…, nach Auskunft des Klägers in der streitigen Verhandlung ca. 8 km von seinem Heimatort N. entfernt. Nach seiner Ausbildung war er zehn Jahre lang abhängig beschäftigt in seinem Heimatort und nach einer vorübergehenden Arbeitslosigkeit weitere sechs Jahre selbständig tätig in seinem Heimatort. Danach arbeitete er wieder in abhängiger Beschäftigung für neun Monate in R., nach Auskunft des Klägers in der streitigen Verhandlung ebenfalls ca. 8 km von seinem Heimatort N. entfernt. In der Folgezeit arbeitete er wieder sechs Jahre in N., von einer kurzen Arbeitslosigkeit unterbrochen. Anschließend arbeitete er in L…, nach Auskunft des Klägers in der streitigen Verhandlung ca. 18 km von seinem Heimatort N. entfernt. Ab Mai 2012 arbeitete er wieder in N., nach seinem Lebenslauf jedenfalls bis 25.09.2016, nach dem Arbeitszeugnis seines letzten Arbeitgebers vom 09.12.2016 (Blatt 40 der Akte) nur bis 31.03.2016.

Als Interessen und Hobbys benannte er im Lebenslauf an erster Stelle die Betätigung in der Schützengesellschaft N. (insbesondere Planung und Durchführung von Schützen- und Heimatfesten).

Dem Bewerbungsschreiben war ein Schreiben (Blatt 10 der Akte) beigefügt, das mit „Meine Motivation“ überschrieben ist. Seine Ausführungen dort leitete der Kläger ein mit der Behauptung, er „stehe derzeit noch in einem Anstellungsverhältnis“. Näher führte der Kläger aus: „Als Eigentümer zweier Mehrfamilienhäuser mit Hof und Garten und der in Eigenleistung getätigten Komplettsanierung bin ich mit nahezu allen handwerklichen Bereichen vertraut und kann auf gesammelte Erfahrungen verweisen. Instandhaltung und Pflege sind deshalb für mich keine Fremdwörter. Beide Häuser sind komplett vermietet. Der regelmäßige und kompetente Umgang mit meinen Mietern ist mir besonders wichtig. Über Jahrzehnte konnte ich eine Vertrauensbasis schaffen, welche heutzutage kaum mehr zu finden ist.“

Dem Bewerbungsschreiben war ferner ein Anlagenverzeichnis (Blatt 11 der Akte) beigefügt, in dem eine Kopie der Bescheinigung über eine Schwerbehinderung erwähnt wird. Der damit in Bezug genommene Änderungsbescheid des Landratsamtes V… vom 26.09.2012 (Blatt 12 der Akte) war der Bewerbung beigefügt. Daraus ergibt sich ein GbB von 50.

Mit Schreiben vom 26.10.2016 (Blatt 14 der Akte) erteilte die Beklagte dem Kläger eine Absage unter Hinweis auf die Entscheidung für einen Mitbewerber.

Am 28.10.2016 erteilte der Kläger seinem Sohn eine Prozessvollmacht in Arbeitsgerichtssachen (Blatt 15 der Akte). Am 03.11.2016 wies die Beklagte in einem Telefongespräch Entschädigungsansprüche des Klägers zurück.

Mit Klageschrift vom 07.11.2016, bei Gericht eingegangen am 09.11.2016, erhob der Kläger Klage auf Zahlung einer angemessenen Entschädigung wegen Diskriminierung nach § 15 AGG.

Der Kläger hatte sich auch bei der Stadt Re.      beworben für die Stelle eines Gartenarbei

ters. Für den 17.11.2016 war er dort zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Zu diesem Vorstellungsgespräch erschien er eine knappe Stunde verspätet, sodass das Vorstellungsgespräch nicht mehr stattfinden konnte nach der Bestätigung der Stadt vom 18.11.2016 (Blatt 41 der Akte).

Im Termin zur Güteverhandlung vom 22.11.2016 teilte die Prozessbevollmächtigte mit, dass eine der beiden Stellenbesetzungen nicht erfolgreich war und sie dem Kläger eine Stelle als Bauhofmitarbeiter zu den ausgeschriebenen Bedingungen ab 01.12.2016 anbieten könne. Dies lehnte der Kläger ab unter Hinweis darauf, dass er zwar arbeitslos sei, die Stelle aber im Hinblick auf ein gestörtes Arbeitsverhältnis nicht haben wolle.

Im Termin zur streitigen Verhandlung vom 17.02.2017 teilte die Bürgermeisterin der Beklagten mit, dass mittlerweile ein Mitarbeiter im Bauhof an der Schulter langzeiterkrankt sei und der Kläger wieder die Stelle als Bauhofmitarbeiter zu den ausgeschriebenen Bedingungen haben könne. Der Kläger lehnte das Stellenangebot ab, diesmal unter Hinweis auf Herzprobleme, eine aktuell vorliegende Arbeitsunfähigkeit und eine Unabsehbarkeit der Wiederherstellung seiner Gesundheit.

Der Kläger macht geltend:

Er sei nicht nach § 82 Abs. 2 SGB IX zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden. Er sei für die Stelle nach Maßgabe der Ausschreibung qualifiziert gewesen.

Das Stellenangebot in der Güteverhandlung sei nur taktischer Natur gewesen.

Der Kläger beantragt daher zuletzt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger eine angemessene Entschädigung in Geld nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.11.2016 zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte trägt vor:

Bei dem Kläger habe es sich nicht um die gesuchte Fachkraft gehandelt. Er sei im Fleischerhandwerk ausgebildet.

Der Kläger habe kein Interesse an der Stelle gehabt, wie seine Reaktion auf das Stellenangebot gezeigt habe.

Die Bürgermeisterin erklärt in der streitigen Verhandlung noch, dass es im Herbst viele Einstellungen bei der Beklagten gab und der Verwaltung das mit der Schwerbehinderung des Klägers einfach durchgerutscht sei.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und das Sitzungsprotokoll verwiesen, § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG i.V.m.

§ 313 Abs. 2 ZPO. Die Kammer hat keinen Beweis erhoben.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Klage ist zulässig. Der Rechtsweg zum Arbeitsgericht ist eröffnet, § 2 Abs. 1 Nr. 3 c) ArbGG i.V.m. den §§ 46, 48 ArbGG. Das Arbeitsgericht Weiden – Außenkammer Schwandorf – ist zur Entscheidung des Rechtsstreites auch örtlich zuständig, § 46 Abs. 1a ArbGG, Art. 2 Abs. 2 Nr. 10, Art 3 Abs. 1 Nr. 8 ArbGOrgG.

II.

Die Klage ist nicht begründet. Die Beklagte hat den Kläger wegen seiner Behinderung benachteiligt nach §§ 1, 3 Abs. 1, 7 Abs. 1 AGG. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG, da er sich rechtsmissbräuchlich auf die Stelle beworben hatte nicht mit dem Ziel, in M… als Bauhofmitarbeiter zu arbeiten, sondern mit dem Ziel, im Falle einer Benachteiligung eine Entschädigung geltend zu machen.

Im Einzelnen:

1.           Bei dem Kläger handelt es sich um einen schwerbehinderten Menschen mit einem GdB von 50. Er war nach § 82 Satz 2 SGB IX von der Beklagten zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, nachdem er ausweislich seines tabellarischen Lebenslaufes die Einstellungsvoraussetzungen nach Maßgabe der Stellenausschreibung erfüllte und in seiner Bewerbung erkennbar auf seine Schwerbehinderung hingewiesen hatte.

Die Einwendungen der Beklagten, der Kläger sei für die Stelle offensichtlich unge

eignet gewesen i. S. d. § 82 Satz 3 SGB IX, sind unzutreffend. Die Beklagte hatte einen Facharbeiter gesucht ohne Beschränkung auf einen Berufsabschluss für einen Facharbeiter im Baugewerbe oder in einem Baunebengewerbe. Das „Nachschieben“ zusätzlicher Qualifikationsmerkmale ist nicht möglich, vergleiche BAG, Urteil vom 11.08.2016 – 8 AZR 375/15 – , dort Rdz. 37, zitiert nach juris.

Der Kläger ist Facharbeiter, wenn auch nicht im vorzugsweise gewünschten Bauoder Baunebengewerbe. Damit ist er nicht offensichtlich ungeeignet.

2.           Die Verletzung der Pflicht eines öffentlichen Arbeitgebers, einen erkennbar schwerbehinderten Stellenbewerber nach § 82 Satz 2 SGB IX zum Vorstellungsgespräch einzuladen, begründet nach der ständigen Rechtsprechung des BAG die Vermutung einer Benachteiligung nach § 22 AGG, zuletzt BAG, Urteil vom 11.08.2016 – 8 AZR 375/15 – , dort Rdz. 24ff, zitiert nach juris.

Es war deshalb nach § 22 AGG Sache der Beklagten, im Verfahren darzulegen und zu beweisen, dass sie den Kläger nicht benachteiligt hat. Dies hat die Beklagte nicht getan. Für die Entscheidungsfindung des Gerichtes ist daher davon auszugehen, dass die Beklagte den Kläger im Bewerbungsverfahren wegen seiner Schwerbehinderung zumindest auch benachteiligt hat.

3.           Dem Entschädigungsbegehren des Klägers steht der Einwand des rechtsmissbräuchlichen Handelns entgegen, § 242 BGB.

a.           Nach § 242 BGB sind Rechtspositionen nicht schutzwürdig, die durch unredliches Verhalten erworben werden. Das ist dann der Fall, wenn gerade das treuwidrige Verhalten zu der erworbenen Rechtsposition geführt hat, BAG, Urteil vom 11.08.2015 – 8 AZR 4/15 – Rdz. 44ff, zitiert nach juris. Geht es also einem Stellenbewerber nicht darum, die betreffende Stelle zu erhalten, sondern darum, die formale Stellung als Bewerber i. S. d. § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG zu erhalten mit dem Ziel, Entschädigungsansprüche nach § 15 AGG geltend machen zu können, so ist sein Handeln rechtsmissbräuchlich, EuGH, Urteil vom 28.07.2016 – C – 423/15 – , dort Rdz. 35f, zitiert nach juris. Seinem Entschädigungsbegehren steht der Einwand des rechtsmissbräuchlichen Handelns nach § 242 BGB entgegen, BAG, Urteil vom 11.08.2015 – 8 AZR 4/15 – Rdz. 54, zitiert nach juris. Dabei liegt die Dar- legungs- und Beweislast für rechtsmissbräuchliches Handeln nach den allgemeinen Grundsätzen der Beweislastverteilung bei demjenigen, der diesen Einwand geltend macht, hier also bei der Beklagten.

b.          Das Gericht ist von einem rechtsmissbräuchlichen Handeln des Klägers in diesem Zusammenhang überzeugt.

Die Lebensumstände des Klägers sprechen dafür, dass es ihm nicht um eine Stellung bei der Beklagten ging, sondern um einen Entschädigungsanspruch. Der Kläger war im Zeitpunkt der Bewerbung 59 Jahre alt und hat nach seinen Erläuterungen im Termin zur streitigen Verhandlung sein ganzes Berufsleben in N… oder näherer Umgebung verbracht mit der Möglichkeit der täglichen Rückkehr nach Hause. Es sind keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass er dies in seinen letzten Berufsjahren noch ändern will. In seinem Motivationsschreiben findet sich keine positive Aussage zu der Stelle eines Bauhofmitarbeiters bei der Beklagten. In den Absätzen 3 und 5 seines Motivationsschreibens, immerhin knapp 50 % dieses Schreibens und ohne den einleitenden und den Abschlussabsatz dieses Schreibens weit über 50 % dieses Schreibens finden sich Ausführungen, die den unbefangenen Leser nur den Eindruck gewinnen lassen, dass der Kläger tief in seinem Heimatort verwurzelt ist und dort seinen festen Lebensmittelpunkt hat. Dieser Eindruck ergibt sich aus der Darstellung, dass er Eigentümer zweier Mehrfamilienhäuser mit Hof und Garten ist, die er selbst in Eigenleistung komplett saniert hat und dem Hinweis auf den langjährigen Umgang mit den Mietern, mit denen er eine selten zu findende Vertrauensbasis hat. Ferner verweist der Kläger dort auf seine ehrenamtliche Tätigkeit in der örtlichen Schützengesellschaft und dem örtlichen Turn- und Sportverein. Diese tiefe Verwurzelung in der Heimatgemeinde findet sich wieder im tabellarischen Lebenslauf, in dem er sogar als langjähriger Vorsitzender der örtlichen Schützengesellschaft genannt wird und als Mitglied des Stadtrates. Dabei handelt es sich auch nicht um ein vergangenes Interesse und Engagement. Als aktuelles Hobby gibt der Kläger die Betätigung in der Schützengesellschaft an und dort insbesondere die Planung und Durchführung von Schützen- und Heimatfesten. Das Bild, das der Kläger von sich hier zeichnet, spricht nicht für

ein Interesse an einer auswärtigen Tätigkeit in der O… und führt beim unbefangenen Leser weniger zu der Überzeugung, hier einen motivierten Bewerber für die Stelle vor sich zu haben als vielmehr die Frage, warum sich der Kläger überhaupt bewirbt. Dieser Eindruck verfestigt sich bei einem Blick auf die ökonomische Seite der Stellenbewerbung. Der Kläger hat als Eigentümer zweier komplett vermieteter Mehrfamilienhäuser regelmäßige Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Als Bauhofmitarbeiter in der O… hat er ein monatliches Bruttoarbeitsentgelt von 2.197,00 €. Daraus ergibt sich ein monatliches Nettoeinkommen von ca. 1.450,00 €, bei Berücksichtigung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung und einem höheren Steuersatz noch weniger. Das verfügbare Einkommen wird noch weiter geschmälert durch die Wegekosten und die Kosten der Unterkunft während der Woche. M… liegt ca 195 km von N… entfernt. Die Mietpreise für kleine Wohnungen um die 40 qm liegen bei 6,50 € bis 8,50 € pro qm nach den Mietpreisspiegeln, die im Internet veröffentlicht sind.

Der Kläger hat sich im Rahmen seiner Bewerbung unehrlich verhalten. Nach dem tabellarischen Lebenslauf, den er am 25.09.2016 verfasste, war er zu diesem Zeitpunkt noch angestellt bei der Fa. D. GmbH. In seinem mit dem Bewerbungsschreiben vom 29.09.2016 bei der Beklagten vorgelegten Motivationsschreiben teilte der Kläger eingangs mit, er stehe derzeit noch in einem Arbeitsverhältnis. Dieses Motivationsschreiben schließt er mit der Behauptung, er wolle durch einen beruflichen Wechsel der nicht leistungsgerechten Entlohnung sowie unangemessenen Arbeitsbedingungen entgegenwirken. Damit behauptete er wahrheitswidrig gegenüber der Beklagten, er sei in Beschäftigung. Denn nach dem vorgelegten Arbeitszeugnis der Fa. D. GmbH war er dort schon am 31.03.2016 ausgeschieden.

Der Kläger unterzeichnete am 28.10.2016 eine Prozessvollmacht, die ausdrücklich erfolgte für die gerichtliche Geltendmachung einer Forderung nach § 15 AGG gegen die Beklagte. Diese Prozessvollmacht erteilte er umgehend nach Erhalt des Absageschreibens vom 26.10.2016, ihm frühestens mit der Post zugegangen am Folgetag. Dies spricht aus Sicht des Gerichtes dafür, dass die Entschädigungsklage nach dem AGG schon vor dem Absageschreiben konkret geplant war und im Umkehrschluss dagegen, dass es dem Kläger ernsthaft auf den Erhalt der Stelle ankam.

In dieses Bild passt auch, dass er erst nach Erteilung der Prozessvollmacht telefonisch Kontakt mit der Beklagten aufnahm, um die Gründe für die Absage näher zu hinterfragen. In das Bild passt ferner, dass er nach eigenem Vorbringen bereits in diesem Telefonat Entschädigungsansprüche geltend machte. Der schnelle Übergang binnen eines Tages vom 27.10. auf den 28.10.2016 von der behaupteten Absicht, bei der Beklagten eine Beschäftigung als Bauhofmitarbeiter aufzunehmen, zu der Absicht, von dieser Entschädigung zu verlangen, spricht dafür, dass es dem Kläger von vorneherein nicht um eine tatsächliche Beschäftigung bei der Beklagten ging.

Der Kläger hat am 22.11.2016 ein ihm persönlich gemachtes Beschäftigungsangebot ausgeschlagen. Er war zu diesem Zeitpunkt noch auf Arbeitssuche, wie die Bestätigung der Stadt Re… vom 18.11.2016 zeigt. Danach war der Kläger für den 17.11.2016 zu einem Vorstellungsgespräch für die Stelle eines Gartenarbeiters eingeladen, zu dem er eine knappe Stunde zu spät kam. Das Stellenangebot hat er ausgeschlagen unter Hinweis auf ein gestörtes Vertrauensverhältnis. Aus Sicht des Gerichtes handelt es sich bei dem geltend gemachten gestörten Vertrauensverhältnis um eine Scheinbegründung, um ein ungewolltes Beschäftigungsangebot abzuwehren. Zwischen den Parteien hatte es noch keine Kontakte gegeben, die es zugelassen hätten, schon ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. Ein Vertrau-ensverhältnis, das nicht aufgebaut ist und deshalb auch nicht besteht, kann auch nicht gestört sein.

Der Kläger hat auch am 17.02.2017 ein ihm von der Bürgermeisterin persönlich gemachtes Beschäftigungsangebot ausgeschlagen. Er war in diesem Zeitpunkt nach seiner Auskunft am Herzen erkrankt und arbeitsunfähig und hat das Angebot deshalb ausgeschlagen. Auch diese Begründung ist für das Gericht ein weiteres Indiz dafür, dass der Kläger an einer Stelle bei der Beklagten nicht interessiert war, sondern nur an einer Entschädigung. Bei einem ernsthaften Interesse an einer Beschäftigung bei der Beklagten hätte er die Stelle unproblematisch annehmen können und sich mit der Beklagten darüber auseinandersetzen können, wann das Arbeitsverhältnis in Vollzug gesetzt wird im Hinblick auf die bestehende Erkrankung.

Das Gericht ist deshalb nach einer umfassenden Betrachtung und Bewertung der Umstände der Überzeugung, dass der Kläger bei der Beklagten von Anfang an nicht eine Beschäftigung als Bauhofmitarbeiter ernsthaft angestrebt hat, sondern nur die formale Stellung eines Bewerbers nach § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG anstrebte, um Entschädigungsansprüche nach § 15 AGG geltend machen zu können. Seinem Anspruch auf Entschädigung steht der Einwand des rechtsmissbräuchlichen Verhaltens nach § 242 BGB entgegen. Die Klage ist abzuweisen.

III.

Die Kostenentscheidung folgt § 91 Abs. 1 ZPO.

IV.

Die gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG gebotene Streitwertfestsetzung folgt § 3 ZPO. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers ist von einem Rahmen für den Entschädigungsanspruch von wenigstens einem und höchsten drei Bruttomonatsgehältern ausgegangen. Der Streitwert war daher auf drei Bruttomonatsgehälter festzulegen.

V.

Die Berufung war nicht gesondert zuzulassen nach § 64 Abs. 2 a) ArbGG, da sie ohnehin zulässig ist nach § 64 Abs. 2 b) ArbGG und die Zulassungsvoraussetzungen des § 64 Abs. 3 ArbGG nicht vorliegen.

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Unsere Hilfe im Arbeitsrecht

Wir sind Ihr Ansprechpartner in Sachen Arbeitsrecht. Vom Arbeitsvertrag bis zur Kündigung. Nehmen Sie noch heute Kontakt zu uns auf.

Rechtsanwälte Kotz - Kreuztal

Wissenswertes aus dem Arbeitsrecht einfach erklärt

Weitere interessante arbeitsrechtliche Urteile

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!