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Fristlose Kündigung bei öffentlicher Diffamierung des Arbeitgebers

Ungefilterte Meinungsäußerungen: Ein Fall von Kündigung und Rufschädigung

Die rechtliche Auseinandersetzung zwischen einem Arbeitnehmer und seinem Arbeitgeber hat in den letzten Monaten für Aufsehen gesorgt. Der Kern des Disputs: Kann eine fristlose Kündigung aufgrund von öffentlichen Äußerungen, die als Rufschädigung interpretiert werden könnten, rechtens sein?

Der Kläger, ein Mitarbeiter im therapeutischen Team, wurde von seinem Arbeitgeber, der Beklagten, aufgrund von Vorwürfen einer unangemessenen Äußerung gegenüber anderen Mitarbeitern entlassen. Dieser Vorwurf bezog sich auf den Vorschlag, ein unangemessenes Weihnachtsgeschenk für eine Kollegin zu basteln. Doch das war nur der Anfang einer Reihe von Ereignissen, die zur fristlosen Kündigung führten.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 4 Sa 269/22  >>>

Das Wichtigste in Kürze


  • Fristlose Kündigung: Kläger wurde aufgrund von öffentlichen Äußerungen gegenüber dem Arbeitgeber gekündigt.
  • Öffentliche Diffamierung: Kläger erstellte eine Gedenkseite für einen verstorbenen Patienten und machte Vorwürfe gegen die Klinik und deren Oberärztin.
  • Kritik an privaten Betreibern: Kläger kritisierte in einem Online-Artikel den Thüringer Maßregelvollzug und warf privaten Betreibern diverse Rechtsbrüche vor.
  • Meinungsfreiheit: Kläger berief sich auf sein Recht zur freien Meinungsäußerung und argumentierte, dass seine Äußerungen wahr seien.
  • Rechtliche Prüfung: Kläger hat nicht ausreichend geprüft, ob seine öffentlichen Äußerungen wahr sind, bevor er sie veröffentlichte.
  • Arbeitgeberposition: Die Beklagte argumentierte, dass die Äußerungen des Klägers diffamierend und schädlich für ihr Geschäft waren.
  • Europäische Rechtsnormen: Die Anwendung der Whistleblower-Richtlinie der EU wurde in Betracht gezogen, führte jedoch nicht zu einem anderen Urteilsergebnis.

Online-Äußerungen und ihre Folgen

Rufschädigung des Arbeitgebers
Arbeitnehmer und Meinungsfreiheit: Die Balance zwischen öffentlichen Äußerungen und beruflichen Konsequenzen. (Symbolfoto: Pickadook /Shutterstock.com)

Ein weiterer Vorfall, der zur Kündigung beitrug, war die Erstellung einer Gedenkseite im Internet durch den Kläger für einen verstorbenen Patienten. Auf dieser Seite wurde der Arbeitgeber beschuldigt, den Tod des Patienten durch Verzögerungen bei der medizinischen Versorgung mit verursacht zu haben. Dies stellt eine schwerwiegende öffentliche Diffamierung dar, die das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer erheblich belasten kann.

Darüber hinaus veröffentlichte der Kläger unter einem Pseudonym einen Artikel online, in dem er das Verhalten privater Betreiber im Thüringer Maßregelvollzug kritisierte. Er warf ihnen Rufmord, Vertragsbruch und Datenschutzverletzungen vor. Solche Anschuldigungen können erhebliche rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen, insbesondere wenn sie öffentlich gemacht werden.

Die Reaktion des Arbeitgebers

Nachdem der Arbeitgeber von diesen Vorfällen Kenntnis erlangt hatte, hörte er sowohl die Schwerbehindertenvertretung als auch den Betriebsrat zur geplanten fristlosen Kündigung des Klägers an. Der Betriebsrat stimmte dieser Kündigung zu, was die Position des Arbeitgebers stärkte.

Die rechtliche Bewertung

Das Thüringer Landesarbeitsgericht entschied schließlich, dass die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Suhl zurückgewiesen wird. Das bedeutet, dass die fristlose Kündigung des Klägers durch den Arbeitgeber rechtens war. Die Rechtsprechung hat hier klar gemacht, dass Arbeitnehmer, auch wenn sie das Recht auf Meinungsfreiheit haben, ihre Äußerungen sorgfältig abwägen sollten, insbesondere wenn sie den Arbeitgeber betreffen und potenziell schädlich für dessen Ruf sein könnten.

Das Echo des Urteils

Das Urteil zeigt, dass das Arbeitsrecht in Deutschland Arbeitgebern einen gewissen Spielraum gibt, wenn es um die Kündigung von Arbeitnehmern geht, die das Unternehmen öffentlich diffamieren. Es betont die Bedeutung des Vertrauensverhältnisses zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer und die gesetzlichen Grundlagen, die dieses Verhältnis schützen. Arbeitnehmer sollten sich daher der potenziellen Folgen ihrer öffentlichen Äußerungen bewusst sein, insbesondere in Zeiten von Social Media und Online-Plattformen, auf denen Informationen schnell verbreitet werden können.

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Diffamierung des Arbeitgebers – kurz erklärt


Wer seinen Arbeitgeber öffentlich diffamiert, kann die Grenzen der freien Meinungsäußerung überschreiten. In solchen Fällen ist es dem Arbeitgeber erlaubt, das Arbeitsverhältnis fristlos zu kündigen. Dies wurde vom Landesarbeitsgericht Thüringen bestätigt. Öffentliche diffamierende und bloßstellende Äußerungen über den eigenen Arbeitgeber sind nicht vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt. Daher sollten Arbeitnehmer vorsichtig sein, wenn sie sich öffentlich über ihren Arbeitgeber äußern, um rechtliche Konsequenzen zu vermeiden.


Das vorliegende Urteil

Thüringer Landesarbeitsgericht – Az.: 4 Sa 269/22 – Urteil vom 19.04.2023

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Suhl vom 20.5.2022 – 3 Ca 87/22 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten im Berufungsrechtszug noch über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung vom 21.02.2022 und einer hilfsweise erklärten ordentlichen Kündigung der Beklagten vom 17.03.2022.

Der Kläger war seit dem 01.10.2020 bei der Beklagten als Mitarbeiter im therapeutischen Team mit einer 40-Stunden-Woche bei einem Bruttomonatsentgelt in Höhe von 4.317,77 € beschäftigt. Der Kläger war einem Schwerbehinderten gleichgestellt. Mit Schreiben vom 17.01.2022, dem Kläger einen Tag später zugegangen, erklärte die Beklagte dem Kläger gegenüber eine außerordentliche Kündigung. Hintergrund war der Vorwurf, der Kläger habe im Rahmen seiner Arbeit gegenüber im Maßregelvollzug Untergebrachten vorgeschlagen, für eine andere Mitarbeiterin einen Holzdildo als Weihnachtsgeschenk zu basteln. Dieser Sachverhalt lag auch der später erklärten hilfsweisen ordentlichen Kündigung vom 17.03.2022 zugrunde.

Am 24.01.2022 erhielt die Beklagte Kenntnis davon, dass der Kläger für den verstorbenen Untergebrachten A… im Internet eine Gedenkseite eingerichtet hatte. Dort formulierte er wörtlich:

„A… durfte nach einem ungleichen Kampf, den er nicht gewinnen konnte, friedlich einschlafen, den er den B… Fachkliniken C… mit seiner Oberärztin D… mit zu verdanken hatte, die ein fachärztliches Konsil über Monate hinweg hinauszögerte.“

Der Kläger verfasste unter dem Pseudonym „E…“ in einer Internetpublikation online unter der URL: https://www.F… einen Artikel. Dort schrieb der Kläger unter der Überschrift „Bossing und Mobbing“ davon, dass der Thüringer Maßregelvollzug noch nicht verstaatlicht worden sei und kritisierte permanente Rechtsbrüche von privaten Betreibern. Als solche führte er Datenschutzverletzungen durch leitende Mitarbeiter, Schreibtischdurchsuchungen und Bloßstellungen von schwerbehinderten Mitarbeitenden sowie einen „Betriebsrat“ auf, dessen einzelne Mitglieder sich für Mobbing „verzwecken“ ließen. Ferner verwies er darauf, dass ein Mitarbeiter auf das Übelste bloßgestellt worden sei und man mit diesem einen „kurzen Prozess“ gemacht habe. Er behauptete weiter, aus Protest gegen die Zustände seien im Maßregelvollzug Untergebrachte in den Hungerstreik getreten und würden medizinisch unzureichend versorgt. Wegen der weiteren Einzelheiten sowohl des Inhaltes der Gedenkseite für den ehemals untergebrachten A… als auch den Artikel in dem Internetmagazin G… wird auf die hiervon zu den Akten gereichten Ausdrucke (Bl. 64 – 69 der erstinstanzlich hinzuverbundenen Akte 3 Ca 198/22 Arbeitsgericht Suhl) Bezug genommen.

Am 25.01.2022 erhielt die Beklagte einen Brief des Klägers, bei dem auf dem Briefumschlag als Adresse angegeben war „B… Fachklinik für Bossing & Mobbing inkl. Verleumdungen und Datenschutzverletzungen“ nebst Adresse. Wegen der weiteren Einzelheiten des Erscheinungsbildes dieses Briefumschlages wird auf Bl. 70 der erstinstanzlich hinzuverbundenen Akte 3 Ca 198/22 Arbeitsgericht Suhl Bezug genommen.

Mit Schreiben jeweils vom 03.02.2022 hörte die Beklagte die bei ihr gebildete Schwerbehindertenvertretung und den bei ihr gebildeten Betriebsrat zur hilfsweisen fristlosen Kündigung des Klägers an. Wegen des Inhaltes beider Anhörungsschreiben im Einzelnen wird auf die zu den Akten gereichte Kopien (Bl. 71 – 75 der erstinstanzlich hinzuverbundenen Akte 3 Ca 198/22 Arbeitsgericht Suhl) Bezug genommen. Mit Schreiben vom 09.02.2022 stimmte der Betriebsrat der hilfsweise fristlosen Kündigung zu (Bl. 75 der erstinstanzlich hinzuverbundenen Akte 3 Ca 198/22 Arbeitsgericht Suhl). Die Beklagte beantragte mit Schreiben vom 03.02.2022, welches am nächsten Tag beim Integrationsamt einging, die Zustimmung zu dieser außerordentlichen Kündigung.

Mit Schreiben vom 21.02.2022, dem Kläger am nächsten Tag zugegangen, erklärte die Beklagte ihm gegenüber die außerordentliche Kündigung. Hiergegen richtet sich die vom Kläger mit Zustellung an die Beklagte vom 08.03.2022 erhobene Klage.

Mit Schreiben vom 29.02.2022, wegen dessen Inhalts im Einzelnen auf die zu den Akten gereichte Kopie hiervon (Bl. 79 und 80 der erstinstanzlich hinzuverbundenen Akte 3 Ca 198/22) Bezug genommen wird teilte das Integrationsamt mit, dass die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung mit Ablauf von 2 Wochen nach Antragseingang als erteilt gelte.

Wegen des Weiteren unstreitigen und streitigen Vorbringens der Parteien im ersten Rechtszug sowie der dort gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (S. 2 – 5 des Entscheidungsabdrucks – Bl. 156 – 159 der Akte) Bezug genommen.

Mit Urteil vom 20.05.2022 hat das Arbeitsgericht die Kündigung vom 17.01.2022 für unwirksam erklärt und im Übrigen die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass hinsichtlich der außerordentlichen Kündigung vom 17.01.2022 die Schwerbehindertenvertretung nicht angehört worden sei, die Kündigung vom 21.02.2022 wirksam sei und es daher auf die später ausgesprochene hilfsweise ordentliche Kündigung vom 17.03.2022 nicht mehr ankomme. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf die Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung (Bl. 159 – 162 der Akte – S. 5 – 8 des Entscheidungsabdrucks) Bezug genommen.

Gegen das am 01.06.2022 zugestellte Urteil hat der Kläger mit am 25.06.2022 beim Thüringer Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und mit am 23.08.2022 eingegangenen Schriftsatz begründet, nachdem das Gericht auf den am 21.07.2022 eingegangenen Antrag hin mit Beschluss vom selben Tage die Berufungsbegründungsfrist bis zum 01.09.2022 verlängert hatte.

Der Kläger hält Vortrag zu den Gründen, die der außerordentlichen Kündigung vom 17.01.2022 und der hilfsweise ordentlichen Kündigung vom 17.03.2022 zugrunde gelegt worden sind. Wegen der Einzelheiten diesbezüglich wird auf die S. 1 und 2 der Berufungsbegründung (Bl. 199 und 200 der Akte) Bezug genommen.

Der Kläger ist der Ansicht, die der Kündigung vom 21.02.2022 zugrunde liegenden Äußerungen seinerseits seien vom Recht der freien Meinungsäußerung umfasst. Eine Sanktionierung diese Äußerungen setze voraus, dass der Inhalt der Äußerungen unwahr sei. Das sei nicht der Fall.

Er, der Kläger, habe mit dem Untergebrachten A… mehrere Gespräche gehabt. Dieser sei an Speiseröhrenkrebs erkrankt und hieran letztlich auch verstorben. Er habe mehrfach über Beschwerden geklagt und dies ihm, dem Kläger, mitgeteilt. Er habe ihm, dem Kläger, auch mitgeteilt, dass er sich mehrfach an die Oberärztin D… gewandt hatte und dies dargestellt habe. Er habe mehrfach darum gebeten, dass man ihm insoweit einen Facharzt zuführe. Das sei nicht erfolgt. Der Untergebrachte A… habe ihm, dem Kläger, des Weiteren mitgeteilt, dass später seine Patientenakte entfernt und manipuliert worden sei. Er habe ihn, den Kläger, auch ausdrücklich darum gebeten, nach seinem Tod diese Umstände aufzuzeigen. Er, der Kläger, habe keine andere Möglichkeit gesehen, als diese Gedenkseite einzurichten. Er habe aus den ihm überlassenen Informationen eine Schlussfolgerung getroffen, die sich als Meinung im Rahmen der erstellten Gedenkseite darstellt.

Eine Möglichkeit, sich intern an eine Beschwerdestelle oder sonst wie an eine andere Stelle zu richten habe er nicht gesehen. Die aus seiner, des Klägers, Sicht wahre Behauptung könne nicht dazu führen, dass er gemaßregelt werde. Es hätten auch andere weniger einschneidende Sanktionen in Betracht gezogen werden müssen.

Der Kläger beantragt, unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Suhl vom 20.05.2022, 3 Ca 87/22, festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 17.01.2022, noch durch die hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 17.03.2022 und auch nicht durch die hilfsweise außerordentliche Kündigung vom 21.02.2022 aufgelöst worden ist.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung im Wesentlichen unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens und betont vor allem, dass der Kläger unwahre Tatsachenbehauptungen in diffamierender Art und Weise öffentlich gemacht habe, ohne diese vorher selbst sorgfältig auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen. Wegen der Einzelheiten des Sachvortrags der Beklagten und der vertretenen Rechtsansicht hierzu wird auf die S. 6 – 15 der Berufungserwiderung vom 23.09.2022 (Bl. 213 – 223 der Akte) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist insgesamt zulässig.

Der Kläger hat in seine angekündigten Anträge die bereits zu seinen Gunsten entschiedene und rechtskräftig gewordene Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung vom 17.01.2022 mit aufgenommen. Trotz des klaren Wortlautes ist dieser Antrag auslegungsfähig, weil es sich dabei um ein ganz offensichtliches Versehen handelt. Ausweislich der Berufungsbegründung wendet sich der Kläger ausschließlich gegen die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung vom 21.02.2022 und gegen die Wirksamkeit der hilfsweise erklärten ordentlichen Kündigung vom 17.03.2022, für die er dieselben Unwirksamkeitsgründe reklamiert, wie für die auf denselben Sachverhalt beruhende bereits entschiedene Kündigung vom 17.01.2022.

Die Berufung ist unbegründet.

Die Kündigung vom 21.02.2022 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien mit ihrem Zugang beendet. Sie ist wirksam.

Diesbezüglich nimmt die Kammer Bezug auf die ausführlichen und überzeugenden Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts im angefochtenen Urteil (Bl. 160 – 162 der Akte), folgt diesen, und macht sich diese zu Eigen (§ 69 Abs. 2 ArbGG).

Das Vorbringen im Berufungsrechtszug veranlasst folgende ergänzende Bemerkungen:

Es kann zugunsten des Klägers unterstellt werden, dass sowohl seine Äußerungen auf der Gedenkseite für den ehemals Untergebrachten und zwischenzeitlich verstorbenen A…, als auch seine im Internetmagazin G… getätigten Äußerungen und auch die Adressierung des Beklagten in einem Brief als „B… für Bossing und Mobbing“ unter den Schutz der Meinungsfreiheit fallen. Auch für Äußerungen, in denen sich Tatsachen und Meinungen vermengen, die erkennen lassen, dass sie durch Elemente einer Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sind, fallen unter den Schutzbereich des Rechts auf Meinungsfreiheit (BAG 05.12.2019 – 2 AZR 240/19, NZA 2020, 646 654 Rn. 93 ff.).

Die Kammer geht auch nicht davon aus, dass es sich bei den hier in Rede stehenden Äußerungen um reine Schmähkritik handelt, die nicht unter den Schutz von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG fiele. Eine Schmähung ist eine Äußerung, die unter Berücksichtigung von Anlass und Kontext, allein die Diffamierung einer anderen Person beabsichtigt und nicht auch polemisch formulierte und überspitzte Kritik darstellt, mit der auch eine Auseinandersetzung in der Sache gesucht wird (Bundesarbeitsgericht 05.12.2019 – 2 AZR 240/19, NZA 2020, 646 653 Rn. 87). Ausweislich der Formulierungen des Klägers in dem Internetmagazin G… sind alle seine Äußerungen in den Kontext zu stellen, dass er die noch nicht erfolgte Umsetzung des Plans, den Maßregelvollzug wieder staatlicherseits zu betreiben und nicht mehr durch freie Träger betreiben zu lassen, kritisieren will. In dem Zusammenhang formuliert er sehr überspitzt Kritik an privaten Betreibern des Maßregelvollzuges nimmt auch Behandlungsfehler in Bezug, was dann den erforderlichen Bezug zur Gedenkseite für A… darstellt. Insofern beabsichtigt er auch eine Auseinandersetzung in der Sache, sodass hier die Grundsätze über die Schmähkritik nicht zur Anwendung kommen, sodass der Kündigungsgrund hier daraufhin zu überprüfen ist, ob das Recht des Klägers auf freie Meinungsäußerung nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz der Wirksamkeit der Kündigung entgegensteht.

Allerdings ist auch nach diesen Maßstäben die hier ausgesprochene außerordentliche Kündigung vom 21.02.2022 wirksam. Das Recht auf Meinungsfreiheit gilt nicht schrankenlos. Unter anderem gehört § 241 Abs. 2 BGB zu den allgemeinen, das Grundrecht auf Meinungsfreiheit beschränkenden Gesetzen. Zwischen der Meinungsfreiheit und dem beschränkenden Gesetz findet eine Wechselwirkung statt. Die Reichweite der Pflicht zur vertraglichen Rücksichtnahme muss ihrerseits unter Beachtung der Bedeutung des Grundrechts bestimmt, der Meinungsfreiheit muss dabei die ihr gebührende Beachtung geschenkt werden und umgekehrt (Bundesarbeitsgericht a. a. O. S. 655 Rn. 95).

In Anwendung dieser Grundsätze ergibt hier die Abwägung der Einzelheiten des Falles, dass der Kläger die Grenzen der freien Meinungsäußerung überschritten hat.

Dabei ist auch zu beachten, dass die Freiheit der Meinungsäußerung auch in Art. 10 EMRK gewährleistet ist und dies auch am Arbeitsplatz gewährleistet ist. Deshalb ist Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG im Lichte und in Korrespondenz sowie im Einklang mit Art. 10 EMRK auszulegen und anzuwenden. Danach gilt, dass wer Missstände bei seinem Arbeitgeber öffentlich machen will, zunächst verpflichtet ist, die Tatsachen, die er öffentlich machen will, selbst zunächst einer sorgfältigen Prüfung zu unterziehen, bevor er damit an die Öffentlichkeit geht (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte 16.02.2021 – 23922/19, NJW 2021, 2343 ff.).

Zwar müsste die Beklagte als für den Kündigungsgrund vollbeweispflichtige Partei beweisen, dass der Kläger dieser Prüfungspflicht nicht nachgekommen ist. Den Kläger trifft dabei allerdings eine sekundäre Darlegungslast dahingehend, dass er darlegen müsste, welche Überprüfungen er vorgenommen hat. Dieser Darlegungslast ist er nicht nachgekommen und es ist nach dem gesamten Prozessverlauf, auch nachdem das Gericht in der mündlichen Verhandlung auf den Gesichtspunkt hingewiesen hat, nicht zu erwarten, dass noch weiterer Sachvortrag erfolgt. Er hat lediglich im Rahmen des Rechtstreits mitgeteilt, dass er häufiger mit dem untergebrachten A… gesprochen hat und das allein dessen Äußerungen für ihn maßgeblich waren und er auf den Wunsch des Untergebrachten allein die Informationen später öffentlich gemacht hat.

Die Kammer musste keinen weiteren Hinweis erteilen und dem Kläger Gelegenheit geben darzulegen, ob und gegebenenfalls welche weiteren eigenen Nachforschungen und Überprüfungen der Äußerungen des A… er unternommen hat, denn er hat erstinstanzlich selbst vorgetragen (S. 2 des Schriftsatzes vom 27.04.2022 – Bl. 83 der erstinstanzlich hinzuverbundenen Akte 3 Ca 198/22 Arbeitsgerichts Suhl) dass er keinerlei Zweifel am Wahrheitsgehalt der Äußerungen des A… hatte. Damit gibt er zu erkennen, dass er keine weiteren Überprüfungen angestellt hat.

Dabei ist dem Kläger ausweislich seiner eigenen persönlichen Eingaben an das Gericht durchaus bewusst, dass Äußerungen von im Maßregelvollzug untergebrachten Personen nicht so einfach Glauben zu schenken ist. Das ergibt sich z. B. aus einer Eingabe vom 16.03.2022 (Bl. 97 der Akte), in welcher er ein professionelles Vorgehen der Beklagten fordert, wenn Untergebrachte Vorwürfe gegen Personal einbringen. Das ergibt sich auch aus der Eingabe vom 07.01.2023 (Bl. 236 der Akte), in welcher der Kläger dieses unter Beifügung von Fachliteratur weiter anmahnt. Wenn der Kläger selber weiß, dass Vorwürfe von wegen psychischer Probleme nicht im Strafvollzug, sondern im Maßregelvollzug untergebrachten Personen zu hinterfragen sind, wiegt es umso schwerer, dass der Kläger selbst allein aufgrund einseitiger Informationen ohne jegliches Hinterfragen und auf Plausibilität prüfen solche gravierenden Vorwürfe wie zum Tode führende falsche ärztliche Behandlungen, die durchaus den Anfangsverdacht für Ermittlungen einer fahrlässigen Tötung durch Unterlassen darstellen können, öffentlich macht. Dies trifft auch die weiteren öffentlich gemachten Vorwürfe wie Datenschutzverletzungen und die Behauptung, die Verhaltensweisen auch der Beklagten führten zu Hungerstreiks von Untergebrachten.

Dabei wiegt auch schwer, dass der Kläger sich vor allem diffamierender Schlagworte wie „Bossing und Mobbing“ bedient. Auf diese Weise macht er Überprüfung seiner Behauptungen durch die Beklagte unmöglich. Das zeigt, dass zwar auch eine Auseinandersetzung in der Sache von ihm intendiert ist, jedoch er in allererster Linie seinen Arbeitgeber diffamieren und bloßstellen will. Insgesamt sind seine Äußerungen geprägt von einer aggressiven und feindlichen Einstellung gegenüber seinem Arbeitgeber, dem er durch die Äußerungen in der Öffentlichkeit auch Schaden zufügen will. Die öffentlich gemachten Ausführungen sind durchaus geeignet erstens die Beklagte als Adressat der Äußerungen erkennen zu lassen und zweitens sie in ihrer Berufsausübungsfreiheit gravierend zu beeinträchtigen. Gerade die schlagwortartige, diffamierende und aggressive Art und Weise der Veröffentlichung in ihrer Pauschalität und Unkonkretheit setzen die Beklagte schlicht diesen Behauptungen und dieser Diffamierung aus. Die Beklagte steht – wie das Arbeitsgericht zu Recht festgestellt hat – am Pranger ohne sich effizient zur Wehr setzen zu können. Dafür sind die Vorwürfe viel zu unkonkret, sodass der Beklagten jegliche Möglichkeit genommen ist, hierauf in irgendeiner Weise rechtfertigend oder entschuldigend zu erwidern.

Schließlich hat die Kammer erwogen, ob sich aus der unterbliebenen Umsetzung der sogenannten Whistleblower-Richtlinie EU 2019/1937 vom 23. Oktober 2019 eine für den Kläger günstigere Lage ergibt. Da die Umsetzungsfrist für die Richtlinie abgelaufen ist, ist die Kammer verpflichtet, bei der Rechtsanwendung die Rechtsgedanken aus der Richtlinie anzuwenden und nationale Vorschriften im Lichte der Richtlinie europarechtskonform auszulegen und anzuwenden. Dies führt hier nicht zu einem anderen Ergebnis, weil der sachliche Anwendungsbereich der Richtlinie schon nicht eröffnet ist.

Hier käme nur Art. 2 Abs. 1 a) VIII RL (EU) 2019/1937 in Betracht. Danach sind Meldungen von Verstößen gegen das Unionsrecht im Bereich der öffentlichen Gesundheit von der Richtlinie erfasst. Hier ist weder erkennbar, dass der Kläger Verstöße gegen das Unionsrecht melden wollte, noch dass seine Kritik die öffentliche Gesundheit im Sinne der Richtlinie betrifft. In Betracht käme diesbezüglich wiederum nur ein Verstoß gegen Patientenrechte im Sinne der RL 2011/24/EU vom 9. März 2011über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung (vgl. EuArbRK/Fest RL 2019/1937 Art. 2 Rn.36 – 40, insb. Rn. 39). Diese betrifft die hier nicht betroffene grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung.

Außerdem sind die Voraussetzungen dafür, dass sich der Kläger auf den Schutz der Richtlinie, sollte sie anwendbar sein, berufen kann nicht erfüllt. Nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. a RL 2019/1937 ist Voraussetzung, dass Hinweisgebende hinreichenden Grund zu der Annahme hatten, dass die gemeldeten Informationen über Verstöße zum Zeitpunkt der Meldung der Wahrheit entsprachen. Dies ist anzunehmen, wenn der Verdacht eines Verstoßes angesichts der Umstände und der verfügbaren Informationen im Zeitpunkt der Meldung plausibel erschien (EuArbRK/Fest RL 2019/1937 Art. 6 Rn. 6 mit Hinweisen auf abweichende Meinungen). Hinsichtlich des Vorwurfes der Falschbehandlung des Untergebrachten A… lässt sich die nicht feststellen, weil allein dessen Angaben hierzu nicht ausreichen. Hinsichtlich der anderen Vorwürfe ist keinerlei Anhaltspunkt erkennbar.

Schließlich sind auch die Voraussetzungen von Art. 15 der Richtlinie nicht erfüllt. Danach kommt hier nur die Alternative in Betracht, dass hinreichender Grund zu der Annahme bestanden haben muss, dass der öffentlich gemachte Verstoß eine unmittelbare oder offenkundige Gefährdung des öffentlichen Interesses darstellen kann z. B. in einer Notsituation oder bei Gefahr eines irreversiblen Schadens oder im Falle einer Meldung Repressalien zu befürchten sind oder aufgrund der besonderen Umstände des Falles geringe Aussichten bestehen, dass wirksam gegen den Verstoß vorgegangen wird, beispielsweise weil Beweismittel unterdrückt oder vernichtet werden könnten oder wenn zwischen einer Behörde und dem Urheber des Verstoßes Absprachen bestehen könnten oder die Behörden an dem Verstoß beteiligt sein könnten.

Hinreichende Gründe für diese Annahmen sind weder dargelegt noch sonst irgendwie erkennbar.

Bei der Sachlage ist bei Auslegung der Anträge zugunsten des Klägers der Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit der hilfsweisen ordentlichen Kündigung vom 17.3.2022 nicht zur Entscheidung angefallen. Der Feststellungsantrag gegen die nur hilfsweise erklärte Kündigung ist als uneigentlicher Hilfsantrag für den Fall des Obsiegens mit den Anträgen gegen die außerordentlichen Kündigungen auszulegen. Diese innerprozessuale Bedingung ist nicht eingetreten.

Der Kläger trägt die Kosten seiner erfolglosen Berufung.

Anlass für die Zulassung der Revision bestand nicht.

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